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Europa<br />

Cecilia Bartoli - temperamentvoll wie immer<br />

(© Uli Weber/Decca)<br />

niemand entziehen kann. Schon bei ihrem Auftritt zieht sie das Publikum<br />

in ihren Bann. (Sie hatte diesmal einen eleganten Hosenanzug mit<br />

einem Rüschenhemd à la Mozart an und das sonst offen getragene Haar<br />

zu einem Rossschwanz gebändigt.)<br />

Vom Kammerorchester Basel unter dem rührigen Muhai Tang begleitet,<br />

sang sie gleich zu Beginn die durch Maria Stader seinerzeit populär<br />

gewordene Mozart-Kantate „Exsultate, jubilate“ – ein herrliches, zündendes<br />

Werk. Dass Cecilia Bartoli als indisponiert angekündigt wurde, hörte man<br />

kaum, allerdings ging sie die Motette vorsichtig, wohl aber engagiert an.<br />

In der Höhe – immerhin geht’s bis zum hohen C‘ – etwas zurückhaltend,<br />

- „rollte“ sie ihre Koloraturen und überzeugte mit einem in perfektestem<br />

Legato gesungenen Mittelteil „Fulget amica dies“. Beim „Alleluja“ trumpfte<br />

sie dann auf. Nach dem<br />

Allegro-Satz aus der<br />

Haydn-Sinfonie in c-<br />

Moll dann ganz herrlich<br />

„Parto, parto“ aus Mozarts<br />

„La clemenza di Tito“ mit<br />

Solo-Klarinette (aus dem<br />

Orchester besetzt – sehr<br />

gut!), war sie dann in ihrem<br />

Element, wohlgemerkt<br />

auch in ihrem angestammten<br />

Fach. Hier<br />

stimmte einfach alles.<br />

Hier kam alles zu allem,<br />

um mit Ariadne zu sprechen.<br />

Dem tschechischen<br />

Mozart namens Josef Mislivecek<br />

widmete Cecilia<br />

Bartoli die Arie „Se mai<br />

senti“ aus dessen Oper „La<br />

clemenza di Tito“, nachdem<br />

man mit der Ouvertüre<br />

zu „Medonte“ auf<br />

den tschechischen Meister<br />

eingestimmt war. Vor der Pause dann noch die Arie des Genio aus<br />

Haydns Orfeo-Version, die in der sich nun freigesungenen Sängerin eine<br />

fulminante Interpretatin fand.<br />

Nach der Pause zur Einstimmung wieder ein Satz aus einem Haydn-Werk,<br />

diesmal das Adagio aus der Sinfonie D-Dur, sang dann Cecilia Bartoli noch<br />

die lyrische Arie „Deh, per questo istante“, wiederum aus Mozarts „Titus“.<br />

Zwischen Werken der sogenannten Kleinmeister Vanhal und Kraus, die<br />

aber durchaus ernst zu nehmende Musik geschrieben haben, sang Cecilia<br />

Bartoli die Konzertarie „Ch’io mi scordi di te“ (die Mozart für die Wiener<br />

Aufführung des „Idomeneo“ nachkomponiert hatte) – ein wunderschönes<br />

Stück Musik – und dann zum Abschluss die große „Berenice“-Kantate<br />

von Haydn, wo die Künstlerin nochmal alle Vorzüge ausspielen konnte.<br />

Zur dieser grßsen Szene (Text Metastasio) trug dann la Bartoli ein historisch<br />

angelehntes, schulterfreies Kleid. Als Zugabe gab’s ein unvergleichliches<br />

„Voi, che sapete“ des Cherubino, jener Rolle, mit der sich die ganz<br />

junge Sängerin seinerzeit beim Zürcher Publikum vorgestellt und dieses<br />

sogleich im Sturm erobert hatte. Mit der Wiederholung von Mozarts<br />

„Alleluja“ bewies die Sängerin einmal mehr, dass sie ihresgleichen sucht.<br />

<br />

John H. Mueller<br />

Basel: „VOTRE FAUST“<br />

(Variable Oper von Henri Pousseur – Pr. 8.11.)<br />

Die einzige Oper des erst 2009 verstorbenen belgischen Komponisten<br />

Henri Pousseur ist in der Musikwelt noch so gut wie unbekannt. Die<br />

Schweizer Erstaufführung (in Koproduktion mit der Berliner Gruppe<br />

„Work in Progress“) der 1969 in Mailand uraufgeführten Oper wurde<br />

deshalb mit Spannung erwartet.<br />

Das bekannte Faust-Motiv wurde dabei vom französischen Librettisten<br />

Michel Butor neu interpretiert: <strong>Der</strong> junge Komponist Henri – die Namensgleichheit<br />

mit Pousseur kommt sicher nicht von ungefähr – erhält von<br />

einem Theaterdirektor den Auftrag, eine Oper zu komponieren. Einzige<br />

Bedingung: Ein Faust muss es sein. Dabei wird er von den beiden Damen<br />

Maggy und Greta (eine Dualform der Faust-Figur Margarete) naturgemäß<br />

eher behindert als unterstützt. <strong>Der</strong> mephistophelische Theaterdirektor<br />

fährt mit großem Geschütz auf, um Faust, resp. Henri zu verführen: Ein<br />

Jahrmarkt füllt die mit farbigen Glühbirnen behängte Bühne, 4 Musikkapellen<br />

aus Frankreich (Männer in Röcken mit Bérets), Deutschland,<br />

Italien und England (mit Pilzfrisuren à la Beatles) spielen munter drauflos.<br />

Dabei ist der Blick auf die Theaterkulisse freigegeben, inklusive aller<br />

Kabel, Rohre und Aufhängevorrichtungen, was durchaus reizvoll ist.<br />

Auf diesen Jahrmarkt wird in der Pause auch das Publikum gebeten. Hühnersuppe<br />

und Getränke werden ausgegeben, und die Holz-Eier, die jeder<br />

Zuschauer am Eingang bekommen hat, sollen im Sack Maggy oder im<br />

Sack Greta landen. Das Publikum kann nämlich mitbestimmen, durch die<br />

Eier-Abstimmung hat man der Geschichte bereits eine Richtung gegeben.<br />

Nach der Pause können die Zuschauer zusätzlich durch abfällige lautstarke<br />

Äußerungen eine Szene abklemmen, oder durch Zischlaute die abfälligen<br />

Laute übertönen und die Szene weiterspielen lassen. 5 verschiedene<br />

Endfassungen gibt es, und das Ensemble musste sie alle proben. Ein Riesenaufwand,<br />

wofür vor allem dem Dirigenten Gerhardt Müller-Goldboom<br />

Respekt zu zollen ist.<br />

Bei so viel Aktion und Interaktion (Regie: Aliénor Dauchez) sollte man<br />

einen spannenden Abend erwarten, doch dem ist nicht so. Da mögen<br />

auf der Bühne Professoren lautstark ihre Theorien erklären, Schausteller<br />

ihre Shows anpreisen, Moderatoren zungenfertig durch die Abstimmung<br />

führen, Installationstafeln aufleuchten, eine Luftkissenwippe die<br />

Geliebten durchschütteln und (lebende) Hühner herumflattern. Zwischen<br />

den Protagonisten passiert jedoch recht wenig. Die Szenen ähneln<br />

Baukastenelementen, die Bühne einem Setzkasten, bei dem bald das eine,<br />

bald das andere Kästchen erleuchtet wird. Dass die Szenenfolgen selbstgewählt<br />

sind, macht sie nicht weniger willkürlich und bald scheinbar unzusammenhängend.<br />

Mit den Protagonisten mag sich niemand identifizieren, zu abgehoben,<br />

zu unsympathisch, zu distanziert wirken sie. Henri (Franz Rogowski)<br />

wird als lispelnder Nerd dargestellt, der ellenlange monotone Monologe<br />

über Musiktheorie hält. <strong>Der</strong> Theaterdirektor (Peter von Strombeck) ist<br />

ein schmieriger Agent, und ob Maggy oder Greta (beide: Julia Reznik)<br />

gerade auf der Bühne steht, ist nicht nur häufig unklar, sondern dem<br />

Zuschauer bald einerlei. Emotionen kommen da nicht hoch. Man stimmt<br />

ab und stimmt ab und landet am Schluss irgendwo in der Mitte zwischen<br />

der künstlerischen Freiheit und der Abhängigkeit vom Sponsor, zwischen<br />

der ewigen Liebe und dem ewigen Werk. Wie war noch mal der gewählte<br />

Schluss? Eigentlich ist dem Zuschauer nach drei Stunden alles egal.<br />

Das mag auch an der Musik liegen. Zum einen tritt diese für eine Oper<br />

recht spärlich auf, zum andern ist die von Pousseur favorisierte 12-Ton-<br />

Musik nicht unbedingt leicht zu ertragen. Atonaler Funk-Jazz? Schräger<br />

elektronischer Serialismus? Die Musikrichtung kann man nicht wirklich<br />

benennen. Will man auch nicht.<br />

Die Oper soll schockieren und protestieren. Aber wogegen eigentlich? Das<br />

Bildungsbürgertum? Den Opernbetrieb? Die Abhängigkeit der Kunst von<br />

Kommerz? Oder gegen das Faustmotiv à la Gounod, Goethe, Mann, das<br />

hier ganz schön selbstironisch verwendet wird? Irgendwie wirkt das alles<br />

nicht mehr zeitgemäß. Publikumseinbezug ist auch nichts Neues, gelebte<br />

Demokratie für die Schweiz ein alter Hut. Einzig die lebendigen Hühner<br />

und Ziegen für die schwarze Messe schockieren. Aber auch nur die Tierschützer.<br />

<br />

Alice Matheson<br />

74 | DER NEUE MERKER 12/2013

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