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Europa<br />

Zürich: „FAUST“ – Premiere 3.11.<br />

Alles nur Gaukelei…<br />

Seit Götz Friedrichs auch nicht in allen Belangen geglückter Inszenierung,<br />

die schon einige Jahre zurückliegt und in letzter Zeit nicht mehr gespielt<br />

wurde, nun eine Neuinszenierung. Jan Philip Gloger, der in Bayreuth<br />

ja den „Holländer“ inszenierte, überrascht in Zürich mit einer fast traditionellen<br />

Lesart. Allerdings versetzt er Faust nicht in die sprichwörtliche<br />

Studierstube, sondern man seht ihn zu Beginn als Bürger des ausgehenden<br />

19. Jhs. mit seiner Frau bei Tische sitzen, während sie am andern Ende<br />

des Tisches in der Bibel liest, Bald kommen auch die 3 Kinderchen, um<br />

sich zu verabschieden und zur Schule zu gehen. (Haben Sie gewusst, dass<br />

Dr. Faust Familienvater war? Na, so was!) Seine Frau begleitet sie hinaus,<br />

Faust ist wieder allein – und jammert. Bald erscheint auch Mephisto, der<br />

sich an die Stelle von Faust zugeknöpfter Frau gesetzt hat und verspricht<br />

ihm das, was er nicht hat: Genuss, Jugend, ungezähmtes Leben. Wenn<br />

das Leading Team (Bühnenbild: Ben Baur, Kostüme: Karin Jud, Lichtgestaltung:<br />

Franck Evin) nun diese Repräsentationsoper der Franzosen in<br />

die Zeit des 2. Kaiserreiches mit seiner bigotten Bürgerlichkeit und ausuferndem<br />

Hedonismus versetzt, so trifft er den Nerv des Werkes eigentlich<br />

recht gut. Da Gloger aber alles auf eine „Bühne auf der Bühne“ versetzt,<br />

lässt er Mephisto zum Zauberer, Magier, Gaukler werden, wodurch<br />

die ganze Geschichte zur reinen Bühnenshow verkommt. Unverständlich<br />

auch die Szene im Dom, wo ein Christus in der Manier von Achternbusch<br />

die reuige Marguérite bedrängt; die Figur wird nicht erklärt,<br />

auch nicht als verkleideter Mephisto. Am Schluss, nachdem Marguérite<br />

tatsächlich aufs Schafott gezerrt worden ist, stehen Frau und Kinderchen<br />

wieder da, und Faust kann in den Schoß seiner Family zurückkehren. Ist<br />

doch schön, nicht wahr?<br />

Pavel Breslik versucht sich redlich an der Partie des Faust, singt auch in<br />

der Mittellage kultiviert und ein beeindruckend gutes Französisch, während<br />

ihm die Höhe arg zu schaffen macht. So schwindelt er sich mit nicht<br />

ganz gekonnter Voix mixte durch. Auch darstellerisch wirkt er steif und<br />

vermag die Wandlung zum Genussmenschen nicht rüberzubringen. Da<br />

mag vielleicht auch an dem zappeligen Mephisto liegen, der aber in Kyle<br />

Ketelsen einen voluminösen Bass findet, aber darstellerisch viel zu harmlos<br />

wirkt. Vor diesem Mephisto muss sich kein Mensch fürchten. Es ist<br />

ja eh Alles nur Show.<br />

Die Ballettszenen werden meist in lockerer Atmosphäre dargeboten, es<br />

wird eifrig so getan, als würde kopuliert, aber es bleibt alles hübsch und<br />

schön brav. Die Marguérite von Amanda Majewski ist ein verklemmtes<br />

Wesen mit einem von heftigem Vibrato durchzitterten und in der Höhe<br />

schrillen Sopran, der auch über kein besonders eindrucksvolles Timbre verfügt.<br />

Merkwürdig, dass sich gerade Faust in dieses Wesen verlieben sollte.<br />

Irène Friedli als Marthe Schwerdtlein übertreibt schamlos – vermutlich<br />

von der Regie gewollt –, sang aber gut. Leider nicht überzeugen konnte<br />

der Valentin von Elliot Madore, der zwar über einen angenehmen Bariton<br />

verfügt, aber weder die strahlende Höhe noch über die tiefen Töne<br />

hat, die diese Parte doch auch verlangen. Darstellerisch war der sympathische<br />

Bursche ansprechend. Ein Gewinn war aber Anna Stéphany als<br />

Siebel, die uns schon als Cherubino begeistert hat und nun hier gesanglich<br />

Höhepunkte setzen konnte. Die Stimme verfügt über Farben, hat<br />

Flexibilität, eine schöne Höhe, ihr Spiel ist angenehm und völlig natürlich,<br />

was für eine Hosenrolle nicht unbedingt selbstverständlich ist. Gut<br />

Erik Anstine als Wagner. <strong>Der</strong> Chor, einstudiert von Ernst Raffelsberger,<br />

übte sich vor allem in undifferenziertem Lautsingen, war aber stimmlich<br />

gut und ausgewogen.<br />

<strong>Der</strong> Dirigent Patrick Lange führte die klangschön aufspielende Philharmonia<br />

Zürich manchmal etwas gar gemächlich und zuweilen langweilig<br />

durch das Werk Gounods, das aber unbedingt einer energetischen Auffrischung<br />

bedürfte. Die oft banale Musik sollte doch etwas sophistischer<br />

interpretiert werden. Das würde der Inszenierung nur gut tun.<br />

Alles in allem – ein passabler Abend. Alles nett, aber so war es doch wohl<br />

nicht gemeint, oder? <br />

John H. Mueller<br />

„OTELLO“ – 16.10.<br />

Erstmals in der Intendanz Homoki wurde die desaströse Inszenierung von<br />

Graham Vick wiederaufgenommen, was nur mit dem Verdi-Gedenkjahr<br />

sowie einer erstklassigen Besetzung zu erklären ist. Wobei gar nicht so sehr<br />

die Verlegung der Handlung in einen Wüstenkrieg irritierte, als vielmehr<br />

der Umstand, dass der Regisseur einige Male brutal gegen die Musik verstieß.<br />

Als lediglich ein Beispiel dafür sei die Liebesmelodie im 1. Akt und<br />

deren Reprise im letzten erwähnt, zu welcher Otello und Desdemona<br />

voneinander entfernt und ohne gemeinsamen Bezug agieren mussten.<br />

Immerhin kam diesmal Zürich wenigstens in den Genuss des Otello von<br />

Peter Seiffert. 2011 war er ja v. a. wegen Meinungsverschiedenheiten mit<br />

dem Dirigenten Daniele Gatti aus der Produktion ausgestiegen, wodurch<br />

einige Monate später die Wiener Staatsoper das Erlebnis seines Rollendebüts<br />

hatte. Dass Seiffert sich weder in der Zürcher Szenerie noch in seiner<br />

Kostümierung wohl fühlte, war unschwer zu erkennen, doch befand er<br />

sich in vorzüglicher stimmlicher Disposition, sodass er eine seinem künstlerischen<br />

Rang entsprechende Leistung bot. Er dürfte heute ein führender<br />

Vertreter dieser Partie sein, was sich einerseits auf seinen schonungslosen,<br />

alle Höhen vom C über H bis zum B voll auskostenden Gesang<br />

und andererseits auf seine beispiellose Intensität zurückführen lässt. Dieser<br />

Effizienz haben die wenigen anderen prominenten Vertreter der Partie<br />

nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen, doch möchte ich bei dieser Feststellung<br />

ausdrücklich Gregory Kunde ausklammern, der phantastisch sein<br />

soll, dessen Otello ich aber bisher noch nicht kenne. Jedenfalls sind mir im<br />

Lauf dieser Vorstellung wieder einmal die bedauernden Gedanken gekommen,<br />

welch herrlicher Siegfried Peter Seiffert vermutlich wäre bzw. dass er ebenso<br />

etwa als Chénier, Calaf, Samson oder Don José im italienischen und französischen<br />

Fach ideale Rollenverkörperungen bieten könnte.<br />

Die junge Maria Agresta debütierte am Opernhaus und war selbst in dem<br />

wüsten Ambiente eine ganz ausgezeichnete Desdemona. Sie ist unter den<br />

italienischen Sopranistinnen eigentlich kein Versprechen mehr, sondern bereits<br />

Erfüllung, die von Verdi über Puccini bis Donizetti (Lucia!) eigentlich<br />

keine Fachgrenzen kennt. Auch Iago war in der Person von Željko Lučić<br />

großartig besetzt. <strong>Der</strong> Serbe agierte geschmeidiger, ja verführerischer als<br />

viele seiner Kollegen, und sang dementsprechend eher weich, aber in allen<br />

Lagen voll tönend.<br />

Ansonsten sind v. a. der in der Premierenserie noch als Roderigo eingesetzte<br />

Benjamin Bernheim als hervorragender Cassio sowie Judith Schmid als<br />

trotz angestrengter Töne am Schluss des 4. Aktes („Otello uccise Desdemona!“)<br />

sehr gute Emilia zu nennen, während Dmitry Ivanchey (Roderigo),<br />

Dimitri Pkhaladze (Lodovico) und Tomasz Slawinski (Montano)<br />

nicht störten, allerdings farblos blieben.<br />

Die Chöre sangen gut, und der für Paolo Carignani in die ganze Aufführungsserie<br />

eingesprungene Friedemann Layer war ein grundsolider, alles<br />

tadellos in Händen haltender musikalischer Leiter. Die Philharmonia<br />

Zürich leistete sehr gute Arbeit. <br />

Gerhard Ottinger<br />

CECILIA BARTOLI - Konzert Tonhalle 8.11. -<br />

Incomparabile Cecilia<br />

Man muss sie einfach gern haben, diese absolut erstaunliche Erscheinung<br />

im heutigen Opern- und Konzertleben, wo doch alles so geschniegelt und<br />

Main-Stream-artig vonstatten geht. Sie geht ihren eigenen Weg, macht<br />

ihre speziellen, ganz auf sie zugeschnittenen Programme und überrascht<br />

auf der Bühne mit einer Norma, die ihr niemand zugetraut hätte. Dass<br />

Cecilia Bartoli sich natürlich die Dinge zurechtlegen muss, das ist eine<br />

alte Primadonnen-Weisheit. Erfolg hatte man/frau dann, wenn dieses Abweichen<br />

überzeugend war, auch eine künstlerische Aussage hat. Um eine<br />

solche braucht man sich bei Cecilia Bartoli, die sich nun schon mehr als<br />

zwei Jahrzehnte auf der Szene zu behaupten weiss, nicht zu sorgen. Alles,<br />

was sich die Bartoli vornimmt, erfüllt sie mit Sinn und Engagement,<br />

auch wenn sie dabei manchmal den Hörgewohnheiten zuwider läuft. Wir<br />

wissen es, ihre Stimme ist nicht groß, hat aber ein spezifisches Timbre,<br />

eine „geläufige Gurgel“ und vor allem: Cecilia hat ein Charisma, dem sich<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 73

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