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Deutschland<br />

trieben werden. Vielmehr bietet die Überzeugungskraft des Regisseurs die<br />

Gewähr dafür. Da jongliert Graf Almaviva, der zeitweise auch den Namen<br />

Lindoro trägt, kunstvoll zu seinem Ständchen auf einer Leiter, und Basilio<br />

zeigt mit permanentem Griff zum Joint seine Abhängigkeit in punkto<br />

Rauschmittel. Marcellina, die Haushälterin des Dr. Bartolo, hat ebenfalls<br />

diesen Hang zum weißen Pulver. Rosina, das heiß umworbene Mündel<br />

des Mediziners, wird vom Regisseur eindeutig zum Liebhaben gezeichnet.<br />

Gelungen sind auch die Annäherungsversuche des Grafen, indem dieser<br />

die Tipps von Freund Figaro als Soldat bzw. Betrunkener verwertet.<br />

Die Opernfreunde kamen in jeder Beziehung auf ihre Kosten. Es standen<br />

wieder einmal für alle Rollen Sänger/Innen zur Verfügung, die ihre<br />

Partien mit größter Spielfreude darstellten. Mit Filippo Bettoschi gab es<br />

einen Titelhelden, dessen Auftrittsarie bereits viel versprach und der die<br />

weiteren Momente mit starkem Bariton gekonnt ausstattete. Spielfreudig<br />

und „wie für die Rolle gemacht“, gestaltete James Elliot den Grafen<br />

Almaviva. Er konnte mit der bereits erwähnten Akrobatik jederzeit überzeugen,<br />

musste die Höhen seiner Partie jedoch mit Vorsicht angehen. Mit<br />

der Wahl seiner Auserwählten traf er bei Svetlana Smolentseva genau ins<br />

Schwarze, denn diese war genau das Persönchen, welches in die Rolle der<br />

Rosina passte. Höhenprobleme hatte Uwe Schenker-Primus als Dr. Bartolo<br />

dagegen überhaupt nicht. Vielmehr strahlte sein Prachtbariton unentwegt.<br />

Hier war ein echter Komödiant im Spiel. Gleiches ist von Leo<br />

Yeun-Ku Chu als Basilio zu berichten, der nicht nur großartig seine Verleumdungsarie<br />

gestaltete, sondern auch den Rest seiner Partie überzeugend<br />

zu Gehör brachte. Franziska Krötenheerdt schien ihre Rolle als Marzellina<br />

irgendwie aufgewertet zu haben, so intensiv kam ihre Gestaltung herüber<br />

– liebestoll – vorläufig – ohne Erfolg. Die weiteren kleineren Rollen<br />

teilten sich Daniel Dimitrov (Fiorello), Vladimir Marinov (Ambrogio),<br />

Giorgi Darbaidze (Ein Offizier) und Lukas Baranowski (Ein Notar).<br />

Katja Schröpfer hatte die Aufgabe, zu dieser „schrägen“ Inszenierung<br />

die passenden Kostüme vorzuweisen. Und wahrhaftig: es ist ihr gelungen.<br />

Ihre Auswahl traf genau das Empfinden, welches von der Bühne und<br />

dem Agieren der Künstler ausging.<br />

Von Jens Olaf Buhrow sehr gut eingestimmt, klang der Herrenchor des<br />

Stadttheaters Bremerhaven. Sowohl akustisch als auch optisch war er ein<br />

Vergnügen. Am Pult stand Stefan Veselka, der mit rasanten Tempi Rossinis<br />

Meisterwerk zu Gehör brachte. Regisseur Christian von Götz hat mit<br />

seiner Arbeit deutlich gemacht, wie man auch ohne Übersteuern ein hervorragendes<br />

Konzept darbieten kann. Ein toller Abend! Hermann Habitz<br />

„HÄNSEL UND GRETEL“ – Pr. 17.11.<br />

Engelbert Humperdinck (1854 -1921) hatte zunächst ein Architekturstudium<br />

begonnen, ehe er sich ernsthaft der Musik zuwandte. Nach Köln<br />

und München begann eine Zusammenarbeit mit Richard Wagner als Assistent<br />

in Bayreuth. Schon früh begann er mit dem Komponieren. Seine<br />

Richtung auf diesem Gebiet waren Märchenopern wie „Die Königskinder“<br />

oder „Dornröschen“. Nach der Komischen Oper „Heirat wider Willen“<br />

verlegte er sich auch auf Schauspielmusiken. Aber keines seiner Werke<br />

wurde zu einem solchen Treffer wie die Märchenoper „Hänsel und Gretel“,<br />

die er im Jahre 1891 vollendete. Als Auslöser dafür muss seine Schwester<br />

Adelheid genannt werden, die sich früh damit beschäftigte, zu Kindergeburtstagen<br />

Märchen der Gebrüder Grimm zu Schauspielen umzuarbeiten.<br />

Und Bruder Engelbert reizten diese „Spielchen“ zum Vertonen.<br />

Die Uraufführung in Weimar übernahm zwei Jahre später kein Geringerer<br />

als Richard Strauss. <strong>Der</strong> Erfolg der Oper war überwältigend. Das<br />

kinderfreundliche Werk wurde bald in viele Sprachen übersetzt. Die Zusammenarbeit<br />

mit Richard Wagner ist an vielen Stellen herauszuhören,<br />

wenn auch in nur geringem Ausmaß. Die Oper wurde zu einer beliebten<br />

Einstiegsoper für Theaterneulinge neben „Zauberflöte“ und „Freischütz“.<br />

In Bremerhaven hat man den Einstieg in die Welt der Oper den Neulingen<br />

noch mehr erleichtert. Man hat das Stück nicht nur auf eine Stunde<br />

gekürzt, sondern auch mehrere Rollen total gestrichen: die Eltern, Sandmännchen<br />

und Taumännchen. Es blieben also nur Hänsel, Gretel und<br />

die Hexe. Dadurch gingen bekannte und beliebte Gesangsstücke verloren,<br />

aber Paradestücke wie „Ein Männlein steht im Walde“, „Abendsegen“<br />

und der „Hexenritt“ blieben. Regisseur Sebastian Glathe hat die<br />

Musiker auf die Bühne platziert. Die knappe Ausstattung besorgte Stefanie<br />

Stuhldreier. <strong>Der</strong> erhöhte Orchesterboden ist die Fläche für die Akteure.<br />

Gleich zu Beginn lässt der Regisseur die beiden Titelhelden vom<br />

Zuschauerraum aus auf die Bühne springen. Als sie merken, dass sie sich<br />

unweigerlich verlaufen haben im Wald der Geigen, Bratschen, Celli und<br />

Kontrabässe, legen sie sich zum Schlafen nieder. Zeit für die Hexe, ihr<br />

grell geschmücktes und mit Honigkuchen bedecktes Riesenzelt, also ihr<br />

Hexenhaus, aufzubauen und die Kinder anzulocken und zu überlisten.<br />

Wie bekannt, gelingt ihr dies nicht. Mit vereinten Kräften schaffen sie es,<br />

die Hexe in den Ofen zu schieben. Die Bleibe der Hexe bricht mit Getöse<br />

und Qualm zusammen.<br />

Dies alles geschah in der genannten Zeit, ohne weitere Kulissen. Die Begeisterung<br />

der Zuschauer, wovon die jüngsten kaum zwei Jahre zählten,<br />

war besonders beim Schlussapplaus zu spüren. Und begeistert schienen<br />

auch die Sänger/Innen in ihren Rollen zu sein: Svetlana Smolentseva als<br />

tollpatschiger jungenhafter Hänsel, Franziska Krötenheerdt als ängstliche<br />

zarte Gretel und Thomas Burger als verführerische Hexe.<br />

Wenn es sich auch nur um eine gekürzte Darbietung handelt, ist doch das,<br />

was Humperdinck fordert, genug an gesanglicher Aufgabe. Während die<br />

Kinder total normal gekleidet herumtoben, hat man der Hexe eine grell<br />

lockende Garderobe geschneidert, die einerseits das Fürchten lehrt, andererseits<br />

aber den Kindern als starkes Lockmittel dienen sollte.<br />

Hartmut Brüsch dirigierte das Städtische Orchester Bremerhaven sehr<br />

flott, ließ aber trotz gekürzter Fassung die weichen Töne nicht aus. Es darf<br />

die Frage gestellt werden, wie viel Komposition bzw. wie viel Handlung<br />

das jüngste Publikum verarbeiten konnte. Angesichts oftmals mangelnder<br />

Verständigung bei Damenstimmen (vorsichtig ausgedrückt) wird es<br />

jeweils nicht sehr viel gewesen sein. Man darf hoffen, dass notwendige<br />

Erklärungen der Eltern in ausreichendem Maße folgten. Auf jeden Fall<br />

ist dieser Einstieg in das Medium Oper sehr gelungen. Ähnliches sollte<br />

auch in den nächsten Spielzeiten in Angriff genommen werden. <br />

<br />

Hermann Habitz<br />

CD / RICHARD WAGNER IN ZÜRICH - CD SONY<br />

mit ausführlichem Booklet<br />

In Erinnerung an Wagners erste Festspiele in Zürich 1853, der Keimzelle der<br />

Bayreuther Festspiele sozusagen, wurde in der akustisch fabelhaften und architektonisch<br />

wunderschönen Tonhalle Zürich ein Wagner-Konzert gegeben. David<br />

Zinman, der seit 1995/96 die Geschicke des Tonhalle-Orchesters als Chief<br />

Conductor leitet, hat sich nach seinen Erfolgen der Gesamteinspielungen der<br />

Sinfonien von Beethoven, Brahms, Schumann und der Sinfonischen Dichtungen<br />

von Richard Strauss nun als Wagner-Dirigent „ge-outet“. Als Chefdirigent<br />

des Tonhalle Orchesters hat er das Konzertpodium nur äußerst selten gegen den<br />

Orchestergraben im Opernhaus Zürich vertauscht. Schon gar nicht mit Wagner.<br />

Und doch eignet seiner Wagner-Interpretation, insofern man sie an dieser<br />

Live-Aufzeichnung festmachen kann, auf eine Richtung, die etwa durch Arturo<br />

Toscanini oder Otto Klemperer für Wagner eingeschlagen wurde. Da ist<br />

wohl die klangliche Ballung, aber in der Balance immer transparent und in allen<br />

Instrumentengruppen erkennbar, ohne ins Bombastische abzukippen. Die<br />

„Holländer“-Ouvertüre hat Rasanz, aber auch der Lyrik des Senta-Themas wird<br />

nachempfunden. Erstaunlicherweise dirigiert Zinman hier die Harfen-Fassung,<br />

die Wagner wohl in dieser Form in Zürich noch nicht dirigiert haben dürfte.<br />

Egil Silins singt sodann einen markigen Holländer-Monolog, gut in der stimmlichen<br />

Attacke, ohne grob zu werden, und in der wohl dosierten Diktion. <strong>Der</strong><br />

Walküren-Ritt – ohne Singstimmen – war ja auch schon bei Toscanini aus dem<br />

Zusammenhang gelöst und ohne Gesang aufgeführt worden – ist schon fast mit<br />

schneidigem amerikanischen Temperament (immer noch besser als deutsches<br />

Schlachtgetümmel) zu hören. „Rheingold“ und „Walküre“ waren ja in den Jahren<br />

1849-1858 in Zürich entstanden, so gab’s auch das Finale von „Rheingold“,<br />

mit Egil Silins als jugendlich-heldisch wirkendem Gott und zum Abschluss des<br />

live aufgezeichneten Konzerts auch Wotans Abschied und Feuerzauber mit einem<br />

in der ganzen Ausdrucks-Skala überzeugenden Egil Silins. Auch Morgendämmerung<br />

und Siegfrieds Rheinfahrt beeindrucken durch Ernsthaftigkeit des<br />

Ausdrucks. Wunderschön spielt das Tonhalle-Orchester mit Brillanz und Akkuratesse,<br />

ganz dem Maestro folgend, ohne Mätzchen und ohne zusätzliche Drücker.<br />

Ein Zeugnis aktuellen Wagner-Verständnisses. John H. Mueller<br />

72 | DER NEUE MERKER 12/2013

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