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Deutschland<br />
ersten Sitzreihen ins Spiel einbezogen. Die gewagteste Einlage: als Violetta,<br />
auf Händen und Füßen bis Reihe fünf, hautnah am erstaunten<br />
(oder empörten) Publikum auf den Sitzlehnen balancierte, und wieder<br />
zurück. Ein Unfallrisiko war unschwer zu erkennen. Dass die Sängerin<br />
ihren Gesangspart während des Balanceaktes abliefern musste, war<br />
für Herrn von Peter selbstverständlich. Hier muss die Gesamtleistung<br />
der großartigen Patricia Andress, die schon viele tragende Rollen ihres<br />
Faches in Bremen verkörpert hat, gewürdigt werden. Sie gestaltet<br />
ihre Rolle unendlich intensiv und schraubt ihren Sopran in jeder Phase<br />
zur Höchstleistung. Mit Sicherheit steckt in dem hiermit Erreichten<br />
eine besonders intensive Probenarbeit. Ihre Sehnsucht nach Liebe, ihr<br />
Verzicht auf den geliebten Alfred, ihr Dahinsterben an der Schwindsucht:<br />
das alles so glaubhaft darzustellen, sind ihre Qualitäten. Somit<br />
war der auf sie niederprasselnde Applaus in jedem Punkt gerechtfertigt.<br />
Clemens Heil am Pult war ein äußerst klug agierender musikalischer<br />
Leiter. Ihm fiel die schwierige Aufgabe zu, die Adressaten seiner Impulse<br />
beinahe im Kreis bedienen zu müssen. Die Bremer Philharmoniker<br />
zeigten, dass dieser ihnen Verdi recht gut ins Programm passt.<br />
Den kräftig und ausdrucksstark singenden Chor des Theater Bremen<br />
hat Daniel Mayr hervorragend einstudiert.<br />
Hyojong Kim rutscht immer weiter in umfangreichere Rollen hinein<br />
und hat einen grandiosen Alfredo gesungen. Sehr voluminös und tragend<br />
war die Stimme von KS Loren Lang als Giorgio Germont. Seit<br />
seinem Scarpia führt der Künstler gern sein gewachsenes Stimmvolumen<br />
vor. Die Sänger der kleinen Rollen fügten sich gleichermaßen in<br />
diese etwas andere Darstellungsweise ein, waren doch für sie „Regie“<br />
und „Inszenierung“ weniger bedeutend.<br />
Die Frage, ob trotz der beinahe leeren Bühne für den Zuschauer überhaupt<br />
eine Erfüllung zu spüren ist, beantwortet sich eindeutig mit ja.<br />
So intensiv, so glaubhaft und einfach, so gekonnt ist die Regieleistung<br />
des Herrn von Peter, der wiederum gezeigt hat, wie hoch die Messlatten<br />
für eine hervorragende Operninszenierung gesteckt werden können.<br />
Selten hat der Applaus in diesem Theater glatte 10 Minuten gedauert.<br />
<br />
Hermann Habitz<br />
letzten Liebesmahle“ aus „Parsifal“ und „Wach auf!“ aus den „Meistersingern“.<br />
Gewaltig und mit zwei zusätzlichen „Aida“-Fanfaren das Thema<br />
angebend, wurde der berühmte und beliebte Triumphmarsch dargeboten.<br />
Mit Wagners „Ertöne, Siegesweise“ aus Lohengrin“, dem Finale des<br />
1. Aktes mit den Solisten Robert Lichtenberger als Lohengrin und Lusine<br />
Ghazaryan als Elsa endete für die inzwischen ergriffenen Zuschauer<br />
der offizielle Teil dieser „regielosen“ Darbietung.<br />
Doch eine Ankündigung des Intendanten Michael Börgerding, der nach<br />
jeweils zwei Musikstücken kurze, aber treffende Erklärungen abgegeben<br />
hatte, versetzte die Zuschauer noch einmal in Jubel. Verdis „Va, pensiero“,<br />
der berühmte Gefangenenchor aus „Nabucco“, erklang in großartiger<br />
Darbietung. Das Publikum wurde danach aufgefordert, das Haus zu verlassen<br />
und auf dem Theater-Vorplatz, ausgestattet mit Text und Teelichtern,<br />
den Chor selbst zu singen, was dann auch mit großer Begeisterung,<br />
mehrsprachig natürlich, befolgt wurde. Eine tolle Idee, und ein Erlebnis,<br />
das einer „echten“ Opernaufführung in jeder Weise das Wasser reichen<br />
kann. Ähnliche Darbietungen dürfen folgen! Hermann Habitz<br />
Bremerhaven:<br />
„<strong>Der</strong> BARBIER VON SEVILLA“ – Pr. 2.11.<br />
„CHORKONZERT WAGNER VERDI“ - 1.11.<br />
Zu Beginn der Spielzeit und noch rechtzeitig im Wagner/Verdi-Jahr dürfen<br />
Chor und Extrachor des Theater Bremen so richtig loslegen. Unter<br />
dem agilen Chordirektor Daniel Mayr, der gleichzeitig auch als 2. Kapellmeister<br />
seine Arbeit am Theater verrichtet, hat man auf Wagners Seite<br />
im Gegensatz zu Verdi eine nicht überreiche Auswahl zur Verfügung, zumal<br />
von den 10 Opern mit „Bayreuth-Weihe“ „nur“ sechs Werke mit<br />
großem Chor ausgestattet, neben dem kurzen Herrenchor im „Tristan“ .<br />
Da ist die Auswahl bei Verdi doch wesentlich größer. Ein Fachmann wie<br />
Daniel Mayr weiß natürlich, wie ein solcher Abend beginnen sollte. Also<br />
sorgt er mit der Anfangsszene aus „Otello“ für Spannung bereits zu Beginn<br />
des Abends. Natürlich ging dies nicht ohne die Begrüßung des Feldherrn:<br />
Sangmin Jeon schleuderte kraftvoll und sicher sein „Esultate“ in<br />
den Raum. Da konnte man ganz nebenbei feststellen, dass der Bremer<br />
Chor einen potentiellen Otello birgt - zumindest was die Stimme anbelangt.<br />
Nach dem „Patria opressa“ aus „Macbeth“ erklangen aus dem „Troubadour“<br />
der „Zigeunerchor“ und die Arie der Azucena, großartig vorgetragen<br />
von Irina Ostrovskaia.<br />
<strong>Der</strong> Wagner-Reigen begann mit „Gesegnet soll sie schreiten“ aus „Lohengrin“<br />
und „Steuermann! Lass die Wacht“ aus dem „Holländer“. Ein<br />
weiterer Chor-Solist war, sauber artikulierend, aber vielleicht ein wenig<br />
zu schwach, Sungkuk Chang als Steuermann. Übrigens: wer weiterhin<br />
Lust auf den „Holländer“ hat, kann diesen in der laufenden Spielzeit noch<br />
mehrfach genießen.<br />
Nach der Pause folgten weitere Perlen der Opernchor-Produktionen. Daniel<br />
Mayr als Dirigent seiner großen Chor-Elite war stets in Höchstform.<br />
Drei der großartigsten Passagen erklangen: das Vorspiel zu „Tristan“, „Zum<br />
Rossinis „Barbier“ macht die Runde und ist nun im Stadttheater Bremerhaven<br />
angekommen. Christian von Götz, der auch für die Kulissen<br />
zuständige Regisseur, hat die Oper nicht nach üblichem Klischee abspielen<br />
lassen. Zu Beginn lässt er eine Truppe junger Musikfans auffahren,<br />
die den 100. Todestag des ehemals berühmtesten Musikschöpfers, übermütig<br />
in Szene setzen wird. Dabei handelt es sich um keinen anderen als<br />
Gioacchino Rossini. Dieser galt als der schnellste Komponist zwischen<br />
Bologna und Paris und hat diese Oper in nur 13 Tagen komponiert. Wir<br />
befinden uns im Jahr 1968, im südlichen Europa, und träumen vom Ge-<br />
Ein moderner Thespis-Karren für den „Barbiere“<br />
(© Stadttheater Bremerhaven)<br />
nerationenkampf, vom Sieg über die Alten, von weiblicher Emanzipation<br />
und schließlich von der freien Liebe.<br />
Die Oper spielt zunächst auf einer Wiese und macht das Publikum mit<br />
den chaotischen Figuren vertraut. Lediglich bühnenbreite primitiv bemalte<br />
Vorhänge, die fleißig verschoben werden, bilden die eigentliche Abwechslung<br />
für das Geschehen. Dabei erweist sich von Götz als hervorragender<br />
Ideengeber, der mit seinen oftmals witzig agierenden Figuren köstlich umgehen<br />
kann. Schon der Auftritt des Titelhelden, der seine Prachtarie an<br />
einem pendelnden Seil hängend beginnt, lässt auf weitere Gags hoffen.<br />
Und diese stellen sich Punkt für Punkt ein. Dabei ist jederzeit festzustellen,<br />
dass die Mitwirkenden niemals zu komödiantischer Clownerie ge-<br />
DER NEUE MERKER 12/2013| 71