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Deutschland<br />
Hagen: „DON PASQUALE“ – Pr. 16.11.<br />
Die Sängerbesetzung war hingegen recht ambivalent. Ein Glücksfall<br />
war die Titelrollenbesetzung mit Rainer Zaun. Er ist ein umwerfender<br />
Komödiant, darstellerisch flexibel in jeder Position, singt auch mit<br />
dem Kopf nach unten verkehrtherum im Rollstuhl liegend und besitzt<br />
einen gesunden Bassbuffo sowie die notwendige Parlandotechnik.<br />
Das ist umso erstaunlicher, als er in Bayreuth jedes Jahr im Wagnerfach<br />
aktiv ist. Demgegenüber fielen alle anderen Protagonisten ab.<br />
Malatesta war Raymond Ayers, der viel zu viel Druck auf die Stimme<br />
gab, um fließend schöne Belcantolinien zu zeichnen. Auch neigt er<br />
zum Verschleifen des Textes. Er verfügt aber ähnlich wie Zaun über<br />
eine exzellente Parlandotechnik, was leider etwas unterging, weil die<br />
Regisseurin vor (!) beiden Protagonisten wegen eines an dieser Stelle<br />
verfehlten Effekts den Chor herumwuseln ließ. Norina war die junge<br />
Maria Klier, eine ungemein attraktive und spielfreudige Blondine,<br />
insofern also eine Idealbesetzung. Allerdings ist die Stimme zu klein.<br />
Was für vokale Möglichkeiten in der Partie stecken, haben prominente<br />
Rollenvertreterinnen wie Netrebko oder Machaidze vor Augen geführt.<br />
Klier kann die Partie zwar singen, die großen Melodiebögen und Aufschwünge<br />
aber nicht mit der wünschenswerten Leichtigkeit vermitteln.<br />
Bleibt noch der Ernesto des Kejia Xiong. Es ist schwer zu sagen,<br />
was man von diesem Sänger halten soll. Einerseits entwickelt er in der<br />
oberen Mittellage durchaus vielversprechenden Schmelz. Andererseits<br />
produziert die Stimme Nebengeräusche, und auch die Acuti strahlen<br />
nicht. Natürlich kann man von einem in seinen Ressourcen stark beschränkten<br />
Haus wie dem Theater Hagen nicht verlangen, für diese<br />
Partie einen Tenor vom Rang eines Flórez aufzubieten. Man wird ihr<br />
indes nur gerecht mit einem Tenor, der wenigstens über ausgeglichenes<br />
Material verfügt. Dass auch Xiong ausgezeichnet mitspielte, sei<br />
allerdings betont. Klaus Ulrich Groth<br />
Perfekte Donizetti-Buffa: Maria Klier (Norina), Rainer Zaun (Don P.),<br />
Reymond Ayers (Malatesta (© Kihle/Theater Hagen)<br />
Donizettis Opera buffa ist pseudointellektuellen Regiekonzepten kaum<br />
zugänglich. Das Stück spricht vielmehr für sich selbst. Umso mehr ist<br />
eine professionelle Personenführung gefragt. Das hat Regisseurin Annette<br />
Wolf gut erkannt. Ausstatterin Lena Brexendorff hat ihr ein Bühnenbild<br />
mit Puppenstubenambiente entwickelt. In diesem Rahmen<br />
präsentiert Wolf eine große Zahl von bemerkenswerten Einfällen. Das<br />
beginnt bereits während der Ouvertüre, denn dort sieht man Pasquale<br />
im Rollstuhl vor sich hindämmern. Sodann tritt Malatesta auf und untersucht<br />
seinen Dauerpatienten mit allerlei Kunstgriffen. U. a. pumpt er<br />
das Blutdruckmessgerät so lange auf, bis es kaputt ist. Zugleich vermittelt<br />
er die Idee einer Heirat mit seiner Schwester. Das führt dazu, dass<br />
Pasquale langsam, aber sicher aus seiner Lethargie erwacht und schließlich<br />
mit der Aussicht auf eine jugendliche Gespielin übermütig aus dem<br />
Rollstuhl springt und wie ein Wiesel über die Bühne sprintet. Dann wirft<br />
er seinen Neffen mit dem gleichen Elan und einem Tritt in den Hintern<br />
aus dem Haus und sich ein Paar Pillen aus einer blauen Packung<br />
(Viagra?) in verfrühter Vorfreude auf kommende sexuelle Genüsse ein.<br />
Norina wird als selbstbewusste Frau von heute charakterisiert, die genau<br />
weiß, wie sie ihre Reize einsetzen muss. Nach der Heirat deckt sie<br />
sich erst einmal mit teuren Accessoires ein (Louis Vuitton und Gucci<br />
lassen grüßen). Als Pasquale darüber einen Schock erleidet, versetzt<br />
sie ihn im Ohrfeigenduett durch gezielte Berührungen und Einsatz<br />
ihrer körperlichen Reize in „Stimmung“. Als das den Alten überfordert,<br />
macht sie sich kurzerhand von dannen.<br />
Ernesto ist eine arme Wurst im doppelten Sinne und bleibt das in<br />
dieser Produktion auch, denn das Ende ist gänzlich anders, als es im<br />
Libretto steht. Norina hat offen bar doch noch ihr Herz für Pasquale<br />
(und/oder sein Vermögen) entdeckt. Beide verschwinden mit roten<br />
Rosen ins Schlafzimmer.<br />
Wenn Kritik an der Regie zu üben ist, so daran, dass die Kostüme keine<br />
zeitliche Zuordnung ermöglichen. Neben Hauspersonal mit Puderperücken<br />
und dem wie in der Zeit eines Molière gekleideten Pasquale tritt<br />
Malatesta in zeitgenössischer Kleidung auf und setzt ein Blutdruckmessgerät<br />
ein. Das gab es zur Kompositionszeit natürlich noch nicht.<br />
Die musikalische Leitung lag in Händen von David Marlow. Anfänglich<br />
klang das Philharmonische Orchester noch ein wenig dünn und<br />
zumindest in der Ouver türe nicht ganz sattelfest. Das besserte sich aber<br />
im Laufe der Aufführung nach haltig und erlaubte Marlow, mit der gebotenen<br />
Verve zu musizieren. <strong>Der</strong> Chor war von Wolfgang Müller-<br />
Salow bestens einstudiert worden und hatte nachhaltige schauspielerische<br />
Aufgaben zu erfüllen.<br />
Bremen: „LA TRAVIATA“ – Pr. 24.11.<br />
Benedikt von Peter ist der Regisseur der <strong>neue</strong>n „Traviata“. Er wurde<br />
1977 in Köln geboren. In Bonn und Berlin studierte er Musikwissenschaft,<br />
Germanistik, Jura und Gesang. Er ist Mitbegründer der Produzentengemeinschaft<br />
„eviva la diva“. Nach einer Assistenzzeit an der<br />
Hamburgischen Staatsoper folgten erste Regiearbeiten wie z. B. „Eugen<br />
Onegin“, „Fidelio“, „Idomeneo“ und „Parsifal“. Hausregisseur am<br />
Theater Bremen wurde er in der Spielzeit 2012/13. Von Peter hat hier<br />
mit seiner außergewöhnlichen Lesart der Oper „Aufstieg und Fall der<br />
Stadt Mahagonny“ ganz <strong>neue</strong> Wege erkannt und vollzogen. Vor zwei<br />
Jahren hat er in Hannover eine ebenfalls viel beachtete „Traviata“-Inszenierung<br />
erarbeitet. Freimütig gibt er zu, dass Neuinszenierungen<br />
auf vorhergehende aufgebaut sein dürfen.<br />
Aber wie ist denn die Angabe des Regisseurs zu verstehen, dass nur<br />
eine einzige Person auf der Bühne singen und agieren darf? Wo befinden<br />
sich die anderen Mitwirkenden, Solisten und Chor? Diesbezüglich<br />
muss die zunächst schlimmste Antwort gegeben werden: Solisten<br />
und Chor sind im 2. Rang untergebracht, also völlig unsichtbar für<br />
die Zuschauer. Beinahe bewegungslos, gekleidet in schwarze Roben<br />
(Kostüme: Geraldine Arnold), singen sie dort ihre Passagen. Alle bekannten<br />
Beweggründe für eine hervorragende Akustik in einem Theater<br />
wurden somit außer Acht gelassen. Die hinteren Parkettreihen<br />
waren am schlimmsten betroffen. Das Orchester befindet sich auf der<br />
Hinterbühne. Vorn, auf dem gehobenen Orchestergraben, findet die<br />
eigentliche Inszenierung statt. Hier ist das Terrain der einsamen Frau.<br />
Für ihre Dienste muss sie selbst ihre Requisiten heranschleppen: Stuhl,<br />
Tisch, Fenster, Schminktisch. Sie verwandelt sich mit einem pinkfarbenen<br />
Tüll-Unterkleid in das von der Pariser Männerwelt so heiß begehrte<br />
Frauenbild.<br />
Aber eine Annäherung gibt es in dieser Inszenierung niemals, nicht<br />
einmal den geringsten Körperkontakt. Die Violetta Valéry bleibt allein<br />
und isoliert, verzweifelnd an der Liebe. Sie widmet sich selbst unendlich<br />
viel Aufmerksamkeit, auf ihr Rollenspiel. Wie so oft, werden die<br />
70 | DER NEUE MERKER 12/2013