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Deutschland<br />

1. und den allzu transparenten Wänden im 2. Akt gern in Kauf. (Ausnahme:<br />

Die geschwenkten schwarzen Fahnen beim feierlichen Tedeum<br />

in der Kirche waren deplatziert und machten die gespenstische Situation<br />

dieses 1. Aktschlusses zur Farce.)<br />

Das allgegenwärtige Übergewicht der Technik-Show machte es denen,<br />

die das Stück mit ihrer Hände und ihrer Stimme Arbeit zu tragen hatten,<br />

nicht gerade leichter. Am stärksten waren davon Orchester und Dirigent<br />

betroffen. Will Humburg führte dennoch mit gediegener Werkkenntnis<br />

und dirigentischer Umsicht das Saarländische Staatsorchester<br />

sicher durch schwelgerische Kantilenen wie durch veristische Exzesse und<br />

sorgte, komplettiert vom gewohnt sicher singenden Opernchor unter<br />

Jaume Miranda, für einen unfallfreien Verlauf und ausgewogene musikalische<br />

Proportionen. An manchen Stellen wäre aber etwas mehr agogische<br />

Intuition bei der Begleitung der Sänger hilfreich gewesen.<br />

Die Sängerbesetzung hätte kaum unterschiedlicher sein können. Weder<br />

die Regie noch die musikalische Leitung konnten aus der Mischung von<br />

hauseigenen Kräften und speziell für diese Produktion engagierten Sängern<br />

ein homogenes Ensemble schweißen.<br />

Von den vielen Stichwortträgern, die leicht zu besetzen sind, seien nur<br />

zwei umfangreichere Partien genannt: der solide Angelotti Hiroshi Matsui<br />

und der betuliche Mesner Markus Jaursch. Und die melancholische Hirtenmelodie,<br />

die das Morgengrauen des 3. Akts atmosphärisch anreichert,<br />

sollte, wie von Puccini gewünscht, von fern zu hören sein, Hier singt sie<br />

der Hirtenknabe, fern von seiner Herde, auf der Plattform der Engelsburg,<br />

auf der gleich danach die Exekution stattfindet. Wie kommt er hierher?<br />

Von den drei Protagonisten stammte immerhin einer aus dem hauseigenen<br />

Ensemble: <strong>Der</strong> isländische Charakterbariton Olafur Sigurdarson, noch<br />

in bester Erinnerung als Jago und als Mephisto, bringt das nötige erzene<br />

Volumen mit, das Scarpia braucht, um gegen die gepanzerten Klangballungen<br />

des Tedeums zu bestehen. Nur fehlt dem untersetzten Sänger optisch<br />

die nötige Mischung von aalglatter Eleganz und Dämonie, um auch<br />

im 2. Akt die zynische Figur glaubhaft zu machen.<br />

In der Titelpartie war die Russin Victoria Yastrebova zu erleben. In der<br />

Gestaltung eher zu konventionellen Gesten neigend, überzeugte sie doch<br />

durch musikalische Sensibilität ebenso wie durch den dynamisch differenzierten<br />

Einsatz ihres klangvollen Spinto-Soprans. Die hymnischen Aufschwünge,<br />

die Puccini ihr anbietet, wusste sie wirkungsvoll auszusingen.<br />

Besonders beeindruckend gelang ihr das in ihrem überzeugenden Gebet.<br />

Ihr Cavaradossi, der Spanier Alex Vicens, versuchte es ihr gleichzutun, besitzt<br />

aber weder die dafür erforderliche Stimmtechnik noch das für diese<br />

Partie unerlässliche edle Timbre. Er gab ihr seine trompetenhaften hohen<br />

Töne – und blieb ihr den Rest schuldig. Die Kantilenen in der Mittellage<br />

(also das meiste) klang eng und farblos. Doch das Publikum schien beschlossen<br />

zu haben, dass dies ein festlicher Abend zu sein hat, und bejubelte<br />

seine beiden Arien, zumal der sympathische Sänger lebendig spielte<br />

und gute Figur machte.<br />

Jetzt beginnt das geduldige Warten auf eine Produktion, bei der die <strong>neue</strong><br />

Bühnentechnik nicht nur effektvoll, sondern auch künstlerisch überzeugend<br />

eingesetzt wird. Johannes Schenke<br />

Weimar:<br />

„Die Entführung aus dem Serail“<br />

– 7.11.<br />

Nach der Vorstellung wurde ein Jugendlicher von seiner Mutter vom<br />

DNT abgeholt. „Das Stück hat aber lange gedauert!?“ „Ja, Über drei Stunden.“<br />

„Worum ging es eigentlich?“ „Um Liebe und Sex.“ Mehr bekam ich<br />

von diesem Dialog nicht mit, aber er bringt treffend das zum Ausdruck,<br />

was ich auch empfand. Das Stück zieht sich. Das liegt daran, dass die<br />

Regisseurin Elisabeth Stöppler sehr eigenwillig und eigenmächtig in<br />

die Vorlage eingreift, indem sie mit der Dramaturgin Martina Stütz<br />

eine Dialogfassung erstellte, die in ihrer Länge beinahe schon musikalischen<br />

Anteilen ebenbürtig ist. Nur hat sie nicht deren Qualität! U. a.<br />

werden Auszüge aus Briefen von Wolfgang an Constanze zitiert. Aber<br />

nicht nur das: Die Dialogfassung bedient sich genüsslich der schlüpfrigen<br />

und banalen Alltagssprache der Gegenwart. Verfremdungen gibt es<br />

auch im musikalischen Bereich. <strong>Der</strong> Reihe nach.<br />

Lange bevor es losgeht, gewahrt man auf der Bühne (Karoly Risz), deren<br />

einziges Requisit hohe Palastmauern sind, die in spitzem Winkel im<br />

Hintergrund aufeinander treffen, einen barfüßigen Mann. Ab und an<br />

knallt er gegen die Palastmauern, dann wiederum kauert er sich in den<br />

besagten Winkel, schließlich schaut er sinnierend in den Orchestergraben.<br />

Ist das Belmonte? Sucht er nach einem Weg, um in den Palast zu<br />

kommen? <strong>Der</strong> Chor betritt, aus dem Zuschauerraum kommend, in modernem<br />

Outfit die Bühne. Nun meldet sich der Mann zu Wort. Bevor<br />

der Maestro den Taktstock heben darf, hat der Mann, der sich als Bassa<br />

Selim entpuppt, einige Fragen an die Damen und Herren des Chores.<br />

„Glauben Sie an die Kraft der Liebe?“, „Möchten Sie Ihre Frau sein?“ Noch<br />

ehe die Musik zu ihrem Recht kommt, wird dieses und jenes in Bezug<br />

auf Liebe und Partnerschaft erfragt. Spätestens hier wird klar, dass die<br />

Regisseurin Mozarts Singspiel nutzt, um auf diese Fragen eine Antwort<br />

zu finden. Sie möchte ein zeitloses Kammerspiel entwickeln, in dessen<br />

Mittelpunkt eben diese Probleme stehen.<br />

Diejenigen, die Mozarts Singspiel nicht kennen, fanden das alles ziemlich<br />

cool. Wer seinen Mozart liebt, fragt sich, warum ausgerechnet die<br />

„Entführung“ für diese Polemik herhalten musste. Es mussten Dinge<br />

verändert werden, die es so in diesem Singspiel nicht gibt. Beispielsweise<br />

stehen im „Saufduett“ nicht nur Pedrillo und Osmin auf der Bühne,<br />

sondern auch Blonde und Belmonte. <strong>Der</strong> Einzige, der sich nicht am<br />

Gelage beteiligt, ist Osmin. Folglich verfällt er auch in keinen Rausch.<br />

Kurzerhand greift Belmonte zu einem Damenschuh, haut damit dem<br />

Aufseher eins über den Schädel, so dass dieser erst einmal handlungsunfähig<br />

ist und in die Knie geht. Um ihre Lesart durchzuboxen, ignoriert<br />

die Regisseurin eigentlich alles, was an Auftritten vorgegeben ist.<br />

Sie erfindet die Figurenkonstellationen neu. Und jeder hat das Recht,<br />

die Darbietungen des anderen zu kommentieren, sei es durch eindeutige<br />

obszöne Gesten und Bemerkungen oder individuelle Geräuschkulissen<br />

in Comic-Manier. Besonders derb darf sich Blonde geben. Frank<br />

Lichtenberg, der für die Kostüme verantwortlich zeichnet, steckte sie<br />

nicht umsonst in einen Kampfanzug. Auch die Musik bleibt nicht vor<br />

Eingriffen verschont. So sind Ausschnitte aus Klaviersonaten und -konzerten<br />

von Mozart zu hören. Auch Brahms meldet sich unfreiwillig zu<br />

Wort. Und im Verdi-Jahr darf sich Belmonte ein kräftiges „All‘armi“ abdrücken.<br />

Manrico lässt grüßen! Mitunter sind die Aktionen temporeich,<br />

mitunter treten sie auf der Stelle. Interessant ist der Schluss. Was fängt<br />

man mit der gewonnenen Freiheit an? Man lyncht erst einmal Osmin<br />

und bekundet, dass nichts so hässlich wie die Rache sei.<br />

Musikalisch bot die Aufführung ein recht unausgewogenes Niveau. Begeistern<br />

konnte lediglich Heike Porstein. In der vorausgegangenen Inszenierung<br />

war sie noch die Blonde. Ihr Sopran ist hörbar gereift und hat<br />

mit der schwierigen Tessitura der Konstanze keinerlei Probleme. Selbstbewusst<br />

singt sie trotz der Fesselspiele, die sie auf der Bühne zu ertragen<br />

hat, ihre „Martern-Arie“. Auch sonst nimmt sie mit ihrer klangschönen<br />

und –intensiven Stimme für sich ein. Ihr Spiel ist glaubhaft. Dass einiges<br />

nicht ganz nachvollziehbar ist, liegt sicher nicht an ihr. Völlig unterbelichtet<br />

ist die Beziehung zwischen ihr und Belmonte. <strong>Der</strong> versteckt sich<br />

in Frauenkleidern, schminkt sich und lungert wie ein Häufchen Elend<br />

über weite Strecken an der Wand. Warum ihn Konstanze, die bis dato<br />

eigentlich nur mit dem Bassa Kontakt hatte, aus diesem jammervollen<br />

Dasein befreit, indem sie ihn abschminkt und Männerkleidung reicht,<br />

bleibt unklar. Jaesig Lee gefällt mit schöner Stimmgebung, bleibt als<br />

Belmonte darstellerisch allerdings viel zu passiv.<br />

Steffi Lehmann kommt mit ihrem burschikosen Auftreten als Blonde<br />

beim jugendlichen Publikum gut an. Sie singt gefällig, wobei es in der<br />

Obertonreihe noch Reserven gibt. Jörn Eichler war der Pedrillo. Er<br />

wurde als indisponiert angesagt, so dass sich seine vokale Leistung einer<br />

sachlichen Einschätzung entzieht. Auch er muss in Frauenkleidern<br />

68 | DER NEUE MERKER 12/2013

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