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Deutschland<br />

stimmige Cassio, der in der Höhe etwas schwindeln muss. Hans Günther<br />

Dotzauer als Roderigo, Don Lee als venezianischer Botschafter, Joachim<br />

Pieczyk als Montano, vor allem aber I Chiao Shih als Jagos Gattin Emilia<br />

mit warmem weichem Alt, sind verlässliche Stützen in den Nebenrollen.<br />

Noch nicht in der Sturmszene, doch im weiteren Verlauf, gewinnt der<br />

Opernchor an Format. GMD Timo Handschuh dirigiert mit dem Philharmonischen<br />

Orchester einen packenden Verdi voll schmissiger Szenen,<br />

aber auch mit vielen gefühlvollen, manchmal düsteren, oft trauervoll zarten<br />

Stimmungen. Es dürfte sich lohnen, die Oper ein weiteres Mal, dann<br />

in der Originalbesetzung des Otello mit dem jungen neuseeländischen<br />

Tenor Andrew Sritheran zu erleben. <br />

Fridhardt Pascher<br />

Und die Musik ist eben ein Meisterwerk. Humperdinck ist einfallsreich,<br />

ein starker Melodiker und Instrumentator, die Philharmoniker unter Leitung<br />

von Daniel Montané spielen diese Musik weich und romantisch, die<br />

Ouvertüre mit ihren vielen Ohrwürmern in fast symphonischer Breite.<br />

Hervorragend die Spielfreude der bestens einstudierten Sänger, allem voran<br />

Maria Rosendorfsky als humor- und liebevoller Müllmann in seiner<br />

aufgeplusterten orangefarbenen Arbeitskleidung mit wunderschön<br />

lyrischem und klangreichem Sopran, ebenso die beiden großartig spielenden<br />

Kinder, Chia Shih als etwas pummeliger Hänsel mit stets verschmitztem<br />

Ausdruck und herrlich pastosem Mezzo, dagegen Edith Lorans<br />

als die ernstere Gretel mit hellem, etwas sprödem Sopran. Tomasz<br />

Kaluzny ist der Vater mit breitem Bariton, Frauke Willimcziks Sopran<br />

„HÄNSEL UND GRETEL“ – Pr. 7.11.<br />

Es ist gerade 120 Jahre her, dass Engelbert Humperdincks Märchenoper<br />

„Hänsel und Gretel“ am 23. Dezember 1893 in Weimar, dirigiert von keinem<br />

Geringeren als Richard Strauss, unter großem Jubel uraufgeführt<br />

wurde. Wie kann diese herrliche romantische Märchenoper heutzutage,<br />

im Zeichen des modernen „Regietheaters“ (dessen das Opernpublikum<br />

zunehmend überdrüssig wird) überhaupt auf die Bühne gebracht werden?<br />

Zugegeben, das Grimmsche Märchen hat, wie viele seiner Art, arg<br />

grausame Züge. Wie wär‘s also wie folgt: Hänsel und Gretel, schmutzig,<br />

faul und asozial, Vater Alkoholiker und gescheiterter Kleinunternehmer,<br />

Mutter bösartig und verbittert, Hexe ein im Wald hausender Lustmolch,<br />

der Kinder einfängt und verschwinden lässt, bis er von den Brandstiftern<br />

Hänsel und Gretel samt seinem Laden angezündet wird. Das wäre doch<br />

so richtig sozialkritisch! Und dass das nicht mit der Musik konform geht<br />

– nebensächlich.<br />

Keine Sorge, solche Auswüchse sind in Ulm unter Operndirektor und<br />

Dramaturg Matthias Kaiser nicht zu befürchten, obwohl die Inszenierung<br />

von Benjamin Künzel mit Mona Hapke (Bühne und Kostüme)<br />

und Klaus Welz (Licht) durchaus einen modernen Touch hat und weit<br />

von einer naiven, überzuckerten Märchenstunde entfernt ist.<br />

Hänsel und Gretel tollen vor einer bunten, etwas abgeschossenen Blumentapete<br />

herum, natürlich geht der Reistopf zu Bruch und sie werden<br />

ins Freie zum Beerenpflücken gejagt. Sie verlaufen sich aber nicht im romantischen<br />

deutschen Wald, sondern in einem großen Park, rasten auf<br />

einer breiten Bank vor einer funzeligen Straßenlaterne. Jetzt sollte eigentlich<br />

das Sandmännchen kommen, doch es erscheint ein freundlicher Müllmann,<br />

der mit den Kindern nach getaner Arbeit sein Vesper teilt, sie nach<br />

dem Abendsegen liebevoll in den Schlaf singt und beschützt. Eigentlich<br />

braucht man die 14 besungenen Schutzengel nicht, aber sie stehen halt im<br />

Libretto und so sehen die Kinder im Traum ihre Eltern gleich vierzehnfach.<br />

Letztere Idee kann allerdings nicht überzeugen. Dagegen ist schlüssig,<br />

dass die Hexe den schlafenden Kindern ein Lebkuchenhaus im Mülleimer<br />

versteckt, das diese dann entdecken: „O Himmel, welch ein Wunder<br />

ist geschehen!“ Die Kinder sind nicht die ersten, die sich aus dem Abfalleimer<br />

bedienen, der Müllmann hat es ja schon vorgemacht, als er eine leere<br />

Pfandflasche einsteckt. Jetzt nimmt die Inszenierung Fahrt auf, der Zwischenvorhang<br />

fällt, er gibt aber kein Hexenhaus frei, sondern eine dampfende,<br />

mit bunten Kontrolllampen blinkende Schokoladenfabrik, riesengroße<br />

Schokokugeln ausspuckend, aus denen (huch, wie eklig) noch die<br />

eine oder andere Kinderhand ragt. Zusatzenergie wird gewonnen durch<br />

Fahrradantrieb. Nachdem es gelingt, die Hexe in den Verbrennungsofen<br />

zu schubsen, treten die Kinder in die Pedale, bis durch Überspannung die<br />

ganze Anlage in die Luft fliegt, nicht ohne noch vorher die Hexe als giftige<br />

Kugel auszustoßen. Jetzt sollten eigentlich die gefangenen Kinder erlöst<br />

werden, doch stattdessen kriechen müde, staubige Arbeiter aus der Ruine,<br />

die Musik wird noch einmal besinnlich: „Wenn die Not aufs höchste steigt,<br />

Gott der Herr die Hand uns reicht“. Na ja, dem Ende zu kam auch der Regisseur<br />

in höchste Not. Trotz allem hat man den Eindruck, die Regie läuft<br />

nicht gegen die Musik. Und das kann nicht hoch genug gelobt werden.<br />

Knusperhaus mit Backofen: Hans-Günther Dotzauer (Hexe), Edith Lorans (Gretel),<br />

Chia Shih (Hänsel) (© Martin Kaufhold)<br />

ist klangschön, wenn auch nicht so ausladend. Den Vogel schießt wieder<br />

einmal das Ulmer Urgestein Hans-Günther Dotzauer ab, diesmal tollt<br />

er als gruselig geschminkte Hexe über die Bühne und produziert dabei<br />

auch noch hörenswerte Töne.<br />

Alles in allem gelingt den Ulmern eine interessante, humorvolle, ganz selten<br />

ins Klamaukhafte abdriftende Märchenoper. Am Ende viel Applaus,<br />

vor allem für den „Sand- und Müllmann“ dem es vorbehalten bleibt, am<br />

Schluss den Vorhang zu ziehen. <br />

Fridhardt Pascher<br />

Baden-Baden: JUAN DIEGO FLÒREZ – 9.11.<br />

Ein Fest für Rossini versprach das Festspielhaus mit dem prominenten<br />

Zugpferd Juan Diego Flórez. Lediglich den smarten Argentinier zu erleben,<br />

war die Fangemeinde aus nah und fern angereist, las teils nicht den<br />

„Beipackzettel“ und verstand somit das Programm mit der Damenverstärkung<br />

als regelrechte Mogelpackung. Zudem sang Flórez lediglich nur zwei<br />

Arien und holte sich zur Schonung der kostbaren Stimmbänder zu diversen<br />

Arien und Duetten noch zwei begleitende Solistinnen ins vokale Beiboot.<br />

Luftig, locker, instrumental nicht einwandfrei eröffnete die Philharmonie<br />

Baden-Baden unter Führung von Christopher Franklin den kontroversen<br />

Konzertabend mit der Ouvertüre zu „Torvaldo e Dorliska“, gefolgt<br />

von der Arie Dove son? Chi m´aita der weiblichen Titelheldin, in<br />

sehr unflexibler Stimmführung von Yolanda Auyanet dargeboten. Anna<br />

Bonitatibus, dem bereits renommierten italienischen Mezzo liegt dagegen<br />

Rossini in der Kehle. Facettenreich, ganz im Gestus des Komponisten,<br />

erklang ihre weiche, schöne Stimme mit der Arie Bell´alme generose<br />

aus „Elisabetta, regina d´Inghilterra“. Nach diesen Einleitungen kam endlich<br />

ER, eroberte mit Charme, koloraturreich und höhensicher die Herzen<br />

der Zuhörer. Und dennoch erschien mir das kostbare Material bei der<br />

66 | DER NEUE MERKER 12/2013

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