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Deutschland<br />
meist die Mrs. Quickly: Hilke Andersen im schwarzen Hosenkostüm<br />
mit hochgesteckten Haaren und riesiger Brille bietet viel Sexappeal und<br />
schmeichelt Falstaff mit betörend weicher Mittellage. Während sie in der<br />
Höhe richtig aufdrehen kann, bleibt das Tiefenregister eher schwach, es<br />
sei denn der Verzicht auf in dieser Partie gern gehörte üppige brustige Tiefen<br />
(„Reverenza“) war hier beabsichtigt, um Hörgewohnheiten zu überwinden.<br />
In Aufmerksamkeit heischender Mode und saftigem Mezzo-Einsatz<br />
stand Sophie Marilley als beständig Kaugummi kauende Meg Page<br />
mit Model-Figur und entsprechenden Bewegungsmöglichkeiten keineswegs<br />
im Damen-Quartett zurück, zu dem auch die neu ins Ensemble gekommene<br />
Rumänin Mirella Bunoaica als Nanetta gehört. Die hier als<br />
etwas aufmüpfiger Teenager gezeigte Tochter der Fords lässt einen angenehmen<br />
lyrischen Sopran hören, der sich in den langen Höhen warm und<br />
klar entfaltet. Gergely Nemeti macht neben ihr als Fenton eine eher unglückliche<br />
linkische Figur, kommt aber mit der für ihn inzwischen schon<br />
sehr leichten Partie trotz einer angekündigten Erkältung mit kultiviertem<br />
Tonfall und sauber gestützter Höhe bestens zurecht.<br />
Heinz Göhrig gehört zu den Sängern, die jedem festen Ensemble in unterschiedlichsten<br />
Partien zur Ehre gereichen. Im Falle des brav bürgerlichen<br />
Dr. Cajus in kariertem Anzug und mit sauberst getolltem Haar trifft<br />
er mit immer noch substanzreichem Tenormaterial den passend penetranten<br />
Tonfall des unliebsamen Wunsch-Bräutigams.<br />
Torsten Hofmann und Roland Bracht füllen die beiden Diener mit<br />
schmierigem Charaktertenor bzw. bedrohlich dunklem Bass als prägnant<br />
charakterisierte Gauner aus.<br />
<strong>Der</strong> Staatsopernchor Stuttgart mischt vor allem das Schlussbild mit ganz<br />
feinen sowie auch deftig zulangenden Tönen auf und darf bei der Rache<br />
an Falstaff, der hier tatsächlich mit Hirschgeweih und Lederhose mit Hufen<br />
auftritt, entsprechend beteiligt sein.<br />
Als zweiter Beitrag (nach „Nabucco“ zu Jahresbeginn) im Verdi-Jahr<br />
stimmte auch dieses Gesamtpaket vor allem szenisch nicht rundum glücklich,<br />
auch wenn die Publikumsaufnahme an diesem Repertoireabend sehr<br />
lebhaft und für einige Sänger auch verdient begeistert war. Udo Klebes<br />
„I LOMBARDI“ – 24.11.<br />
Die traditionsreichen Konzertchöre Stuttgarter Liederkranz luden in die<br />
Liederhalle und leisteten zum Verdi-Jahr einen gehaltvollen Beitrag mit<br />
„I Lombardi“, aus der frühen Schaffensperiode des italienischen Meisterkomponisten.<br />
Dieses Werk zu inszenieren legt oft szenisch-dramaturgische<br />
Probleme dar, welche man geschickt umging und die konzertante<br />
Aufführungspraxis wählte.<br />
Es geht um die eigenwillige verstrickte Story um Liebe, Verrat, Bruderzwist,<br />
Mord, Rache und Vergebung vor dem historischen Hintergrund<br />
des ersten Kreuzzuges, jenem umstrittenen, religiösen Fanatismus der<br />
christlichen Kirche.<br />
Für die Rolle der Giselda dieser Sopran- Extrempartie und Vorstufe der<br />
Abigaille war Adréana Kraschewski vorgesehen, aber die Dame sagte ab<br />
und als Retterin in der Not sprang Agnieszka Hauzer ein, die die Partie<br />
bereits vorab in Kielgesungen hatte. Mit voller dramatischer Wucht<br />
warf sich die junge polnische Sängerin ins Geschehen, beeindruckte mit<br />
fulminanter Stimmtechnik, bewältigte die vertrackten Oktavsprünge des<br />
Rondo-Finales Se vano é il pregare souverän. War zwar das herbe Timbre<br />
dieser Stimme meinem Gehör nicht immer gewogen, so schenkte diese<br />
Powerfrau dem Duett Teco io fuggo sowie der Soloarie In fondo all´alma<br />
mehr Wärme und vokale Farben. Mit weichem Mezzo gstaltete Carmen<br />
Mammoser die Sofia. Schönstimmig erklang der Sopran Christine Reber<br />
(Viclinda).<br />
Die Herrenriege führte ohne Zweifel mit der kultiviertesten Stimme des<br />
Abends Zurab Zurabishvili an. <strong>Der</strong> georgische Spinto-Tenor eroberte<br />
sich mit der leider viel zu kurzen Partie des Oronte ein weiteres Glanzlicht<br />
seines Verdi-Repertoires. Jung und frisch erklang das legato-fähige<br />
Material in unübertrefflicher Schönheit, ließ mit Stilgefühl herrliche Piani<br />
erklingen und überzeugte mit strahlendem Höhenglanz.<br />
Farblos in eigenwilliger Intonation absolvierte mit reifem Bassorgan Marcel<br />
Rosca die gewichtige Partie des Pagano. Leichtgewichtig, mit sprödem<br />
Tenor gab Robert Wörle dem Arvino wenig Profil. Rollendeckend<br />
fügten sich die Stimmen der Herren Thomas Wittig (Pirro, Acciano) sowie<br />
Jörg Aldag (Priore) in die musikalischen Abläufe.<br />
Berücksichtigt man die Tatsache, dass es sich bei der Chorvereinigung Liederkranz<br />
um keinen professionellen Opernchor handelt, so fallen die Leistungen<br />
der immensen Chorfrequenzen umso mehr ins Gewicht. Was dieser<br />
Gemeinschaft noch an trefflicher Diktion und Transparenz fehlen mochte,<br />
glichen die sehr engagierten Sänger mit bewundernswerter Klangqualität<br />
und Rhythmik, besonders während der schnellen Passagen, bestens aus.<br />
<strong>Der</strong> trockenen Beton-Akustik des Beethovensaals wirkte der Dirigent Ulrich<br />
Walddörfer mit weniger knalligen Forte-Effekten entgegen. Schwelgerisch<br />
vermittelten die sauber und viril aufspielenden Mitglieder des<br />
Staatsorchesters Stuttgart den Melodienreichtum der Partitur und der<br />
umsichtige Kapellmeister verstand sich zudem als sensibler Sängerbegleiter.<br />
Kleine Diskrepanzen zum Chorapparat waren allerdings nicht zu<br />
überhören. Wunderschön intonierte die Solovioline (Joachim Schall) das<br />
Preludio des Finale-Terzo und imposant absolvierte Georg Oberauer die<br />
Orgelbegleitung.<br />
Die begeisterte Zustimmung des Publikums würde mit der Wiederholung<br />
der Chorszene Gerusalem…Jerusalem belohnt. Gerhard Hoffmann<br />
Ulm: „OTELLO“ – Pr. 26.9.<br />
„Künstlerpech – ausgerechnet zum Saisonbeginn –“, so empfindet man, nachdem<br />
Intendant Andreas von Studnitz vor dem Vorhang tritt, um zu verkünden,<br />
dass der Sänger des Otello plötzlich erkrankt sei, der kurzfristig<br />
eingesprungene Tenor die Rolle von der Seitenbühne aus singe und Regisseur<br />
Matthias Kaiser die Rolle auf der Bühne mimen werde. Dass sich<br />
ein kleines Haus wie Ulm keine Doppelbesetzung leisten kann, ist verständlich<br />
und so ist das Publikum erfreut, dass die Premiere nicht ganz abgesetzt<br />
wird. Und mit einem triumphierenden „Esultate“ („Freut Euch“)<br />
in der Sturmszene gewinnt der von Köln angereiste Ray Wade das Publikum<br />
„im Sturm“. <strong>Der</strong> junge Texaner, in Statur und Teint zwar der klassische<br />
Otello, singt die Rolle jedoch mit weichem, modulationsfähigem,<br />
italienisch geschultem Spinto-Tenor, höhensicher auch in den berührenden<br />
Pianostellen wie im großen Liebesduett.<br />
Bei Operndirektor Matthias Kaiser kann man drauf vertrauen, dass seine<br />
Inszenierungen werkgerecht sind (was nicht werkgetreu heißen muss). So<br />
auch an diesem Abend. Eine mächtige, dreh- und verschiebbare Wippe<br />
(Bühnenbild Britta Lammers) ist das einzige Requisit auf der ausgeräumten<br />
Bühne, vielfältig einsetzbar im Auf und Ab der Leidenschaften. In der<br />
Sturmszene stellt sie im Hintergrund mittels geschickter Beleuchtung und<br />
im Sturm wehenden Vorhängen ein Schiff in Seenot dar, im weiteren Verlauf<br />
wird sie zum Laufsteg, zum Versteck für den lauschenden Otello und<br />
schließlich zum Bett der Desdemona. Bei den Kostümen dominieren Seemannsuniformen<br />
im Stile der Erstehungszeit der Oper, auf prachtvolle<br />
Gewänder aus der Zeit der venezianischen Seeherrschaft wird verzichtet<br />
(Kostüme Angela Schuett).<br />
Bei der Personenführung ist schon ein Handicap, dass der schmächtige<br />
Matthias Kaiser seine von ihm kreierte Figur durch den Ausfall des Otello<br />
selber spielen muss (auf schwäbisch eher ein „Otellole“). Aber die anderen<br />
Rollen sind hervorragend eingestellt, vor allem Kwang Keun Lee als<br />
Jago, der die intrigante Figur, das Urbild der menschlichen Schlechtigkeit,<br />
fast etwas zu eindimensional ausspielt, dazu mit seinem virilen Verdi-Bariton<br />
großartig singt. Sein vom Feuer umspieltes „Credo“, nicht weniger<br />
die vom Orchester mit chromatischer, teuflisch kriechender Melodie unterlegte<br />
Traumerzählung, sind gesangliche Höhepunkte.<br />
Oxana Arkaeva ist die bedauernswerte Desdemona, die von Akt zu Akt<br />
an stimmlichem Format gewinnt und vor allem die Todesahnung mit dem<br />
Lied von der Weide berührend gestaltet. Alexander Schröder ist der hell-<br />
DER NEUE MERKER 12/2013| 65