Der neue Merker
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Deutschland<br />
griert. Da man sich, wenn man will und kann, auch auf die instrumentale<br />
Musik konzentriert, sind viele Besonderheiten zu entdecken: die formalen<br />
Abweichungen in der Französischen Ouvertüre, vielfältige Charaktere,<br />
die der Suiten-Gattung entnommen sind, wie z.B. die schwungvolle<br />
Gigue, die verhaltene Sarabande oder als Sonderfall ein „Fandango“ in der<br />
5. Szene des 1. Akts „Furie terribile“, Satztechniken (Echoeffekte, mehrere<br />
Unisono-Passagen bei den Streichern), „Vogelgezwitscher“ (hohe Flöten)<br />
und Fanfaren, virtuoses Cembalo, Marsch, „Battaglia“ und Brüche<br />
in Arien durch plötzliche Taktwechsel. Das Philharmonische Staatsorchester<br />
Mainz hat mit seinem Leiter diese vielfältige Klangwelt Händels<br />
mit Präzision und Einfühlungsvermögen interpretiert. GMD Hermann<br />
Bäumer, der auch sehr sängerfreundlich dirigiert, bekommt mit seinen<br />
Musikern beim ersten Vorhang den stärksten Beifall. Das spricht auch aus<br />
vielerlei Gründen für das Publikum! <br />
Volker Funk<br />
Wussten Sie schon, dass Giuseppe Verdi auch den Schlager „Azzurro“ komponiert<br />
hatte? Eine gute Minute lang schallt Adriano Celentanos Stimme<br />
zu Beginn der 3. Szene aus dem Radio der Spelunke, in der Falstaff wenig<br />
später Spaghetti serviert werden. <strong>Der</strong> Wirt, eine dauerkiffende, ungepflegte<br />
grauhaarige Type in Flipflops, beginnt animiert von den Klängen<br />
zu tänzeln, eine Dame durchaus älteren Semesters vor mir signalisiert mit<br />
hin und her schwingendem Körper ähnliche Absichten. Habe ich mich<br />
vielleicht ins falsche Stück verirrt? Und war das hörbar erheiterte Publikum<br />
erleichtert, mit leichten Ohrwürmern anstatt mit der ach so schweren<br />
Oper konfrontiert zu werden?<br />
All das könnte jetzt sarkastisch klingen, wenn es nicht in Wirklichkeit traurig<br />
und fassungslos stimmte, wie wenig Respekt Hausregisseurin Andrea<br />
Moses gegenüber Kunstwerken zeigt, indem sie meint, Verdis genialem<br />
Alterswerk eine solche musikalische Entgleisung aufpfropfen zu müssen.<br />
Noch bedenklicher wird dies bei GMD Sylvain Cambreling, der einerseits<br />
nicht müde wird zu betonen, wie perfekt anspielungsreich und in<br />
sich geschlossen diese Partitur ist, sowohl in einem Artikel im Programmheft<br />
als auch bekräftigt in der musikalischen Wiedergabe mit dem feinst<br />
auf alle kleinen und schnellen Details reagierenden Staatsorchester Stuttgart,<br />
dann aber einen solch frechen Unsinn im Rahmen dieses Gesamtkunstwerks<br />
zulässt und verantwortet. Um nicht falsch verstanden zu werden:<br />
sein analytischer Zugriff bekommt den häufigen Stimmungswechseln<br />
und vielen Farbtupfern äußerst gut. Rhythmische Prägnanz herrscht in<br />
den sich oftmals überschlagenden Abläufen, in den virtuos gehandhabten<br />
Ensembles, zwischen all den vielen zitierenden und karikierenden Espressivo-Phasen<br />
stellt sich in kurzen Zusammenkünften des jungen Liebespaares<br />
sowie in der finalen Waldszene impressionistisch zartestes Schimmern<br />
und Flimmern sowie richtig wohltuendes melodisches Streicher-Blühen<br />
ein. Kurz: da wird alles im rechten Maß und in Balance zwischen Ernst<br />
und Komik, zwischen Lachen und Ironie gehalten.<br />
Bei der Regie sieht es bei aller handwerklichen Brillanz der Regisseurin etwas<br />
anders aus: mit Ruhe oder Stillstand, Momenten des Sinnierens und<br />
Reflektierens vermag sie wenig umzugehen, es herrscht der fast beständige<br />
Drang nach Tempo und Aktion. Dazu gehören auch die offenen Umbauten<br />
auf der wieder einmal schwarz verhangenen Bühne (und das bei einer<br />
Komödie!), wo schwarze Kapuzenmänner in Fords Diensten mit vielfältigen<br />
z. T. durchlässigen Wandverschiebungen eines braunen Sperrholz-<br />
Quaders mehr oder weniger einfache Szenen skizzieren. Ausnahme ist das<br />
Innere von Fords Wohnhaus, wo sich die Vorgänge auf gleich drei nach<br />
hinten ansteigenden Etagen überschlagen – verdoppelt durch einen Riesen-Deckenspiegel,<br />
der auch in der nächtlichen Spukszene dazu dient,<br />
den großen Baum (Hernes Eiche) aus einem (neben weiteren) tatsächlich<br />
vorhandenen Stamm und dem sich genau darauf spiegelnden Ensemble<br />
in grüner Blätter-Verkleidung als Illusion herbei zu zaubern (Bühne: Jan<br />
Pappelbaum). Soviel Märchenzauber war nach den vorherigen Szenen.<br />
die Moses in für sie wohl unumgänglicher Weise im Hier und Heute angesiedelt<br />
sind, gar nicht zu vermuten. Anna Eiermanns Kostüme sind<br />
mit wenigen Ausnahmen (Falstaff, Alice und Meg) geschmacklich ziemlich<br />
entgleist, als gelte es das möglichst Hässliche auszustellen.<br />
Im Großen und Ganzen ist alles genau am Text, an den Vorgaben entlang<br />
inszeniert, und gerade deshalb stellt sich die Frage, warum der optische<br />
Rahmen so betont heutig sein muss. Das Stück ist in seiner Konzeption<br />
so modern, in seiner thematischen Verknüpfung von Moral und<br />
Ehrenhaftigkeit so zeitlos, dass es für sich selber spricht und keiner Aktualisierung<br />
bedarf.<br />
Dass der köstliche Spaß, den sich die „lustigen Weiber“ da leisten, kaum<br />
ein Lachen, höchstens ein gelegentliches Lächeln erweckt, entzieht dem<br />
Werk einen wesentlichen Teil seiner Wirkung. Warum Falstaff am Ende<br />
der von ihm selbst angestimmten Fuge das ihm von einem Kind gereichte<br />
Stuttgart: „FALSTAFF“ – 22.11. (Pr. 20.10.) – Adriano<br />
Celentano in der Oper<br />
Aus der Themse gerettet - Sir John (Albert Dohmen)<br />
(© A.T. Schaefer)<br />
Sektglas ablehnt und seitwärts abgeht, hängt der doch eindeutigen, auch<br />
musikalisch komprimierten Bekenntnis-Vereinigung, dass alles Spaß auf<br />
Erden ist, ein Fragezeichen an, so als dürfte es um Gottes Willen kein<br />
Happy-End geben.<br />
Die vokale Besetzung stimmte überwiegend. Zwiespälte tun sich ausgerechnet<br />
bei der Titelgestalt auf. Es ist gut nachvollziehbar, dass der international<br />
renommierte Bassbariton Albert Dohmen zwischen seinen vielen<br />
Wagner-Einsätzen mal einen Ausflug in komische Gefilde machen<br />
wollte. Und so viel sei gesagt: sein Debut ist rein gesanglich betrachtet<br />
vollkommen gelungen. Mühelos schöpft er das geforderte umfangreiche<br />
Register aus, vermag zwischen Feinem und Vollmundigem hinreichend<br />
zu nuancieren, spielt einen leicht herunter gekommenen Mann im noch<br />
besten Alter, der sich seiner Wirkung durchaus bewusst ist und dennoch<br />
die Weiberverführungen nur als Umweg benutzt, um zu Geld zu gelangen,<br />
seinem leiblichen Genuss frönen und seine ebenso trinkfreudigen<br />
Diener unterhalten zu können. Einer, bei dem sich zunehmend mehr<br />
das Mitleid als das Vergnügen um seine Durchtriebenheit einstellt. Und<br />
dennoch geht ihm etwas Entscheidendes ab: die Natürlichkeit des Charakters,<br />
die aus dem italienischen Text sprechende Süffisanz der Pointen.<br />
Meist herrscht mehr gelernte Perfektion als ein selbstverständlicher Humor,<br />
aus dem der Witz entspringt.<br />
Perfekt und gelöst zugleich präsentierte sich der albanische Sänger Gezim<br />
Myshketa als schauspielerisch wendiger, Spaß und Eifersucht schillernd<br />
zum Ausdruck bringender und mit einem schlackenlosen, schönen,<br />
rundum glanzvoll und unforciert ansprechenden Bariton aufhorchen lassender<br />
Ford. Seine Gattin Alice kann ihm in Gestalt der apart damenhaften<br />
Simone Schneider mit breiter gewordenem, aber in der Höhe leuchtend<br />
voll gebliebenem Sopran sowie köstlichem Mimenspiel auf gleichem<br />
Niveau begegnen. Ungewohnt jung und auch vokal anders geartet als<br />
64 | DER NEUE MERKER 12/2013