Der neue Merker
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Deutschland<br />
rupte Beleuchtungswechsel soll der Raum Atmosphäre bekommen. Eine<br />
solche wird aber eher durch die hochpompösen Barockroben der Damen<br />
erreicht, die sich von dem minimalistischen Raum spektakulär abheben.<br />
Die Hofwache Valentinianos wird durch die Statisterie verkörpert, die in<br />
„unisex“ schwarzen heutigen Gewändern, versetzt schreitend, Ezio einmal<br />
nach rechts, einmal nach links hinausgeleitet. <strong>Der</strong> Varo wird fast etwas<br />
ironisch von Simon Bode mit schlankem Tenor gezeichnet. Den Massimo<br />
gibt Beau Gibson mit wunderbar biegsamem, feinem Tenor, dem<br />
man auch bei seinen längsten Arien noch gern zuhört. Seine Mordintention<br />
wird bei seinem eher sanften Charakter nicht evident, da seine Frau<br />
auch gar nicht namentlich erwähnt wird. Die Onoria wird vom Frankfurter<br />
Neuzugang Sofia Fomina mit süßem, gut prononciertem Sopran<br />
gesungen. Leider ist sie aber nur mit kurzen Phrasen vertreten. Den Ezio<br />
singt Sonia Prina mit männlich timbriertem, sonorem Alt und beeindruckt<br />
in einigen Koloratur- gespickten Arien mit ihrem sehr flexiblen<br />
Organ. Obwohl von kleiner Statur, erreicht sie ihre Ziele mit konstanter<br />
Robustheit, wobei ihr stilisierter Brustpanzer die Herkunft ihrer voluminösen<br />
Töne betont.<br />
Den Valentiniano gibt Max Emanuel Cencic mit zuerst etwas blassem,<br />
dann sich stark belebendem hohem Countertenor. <strong>Der</strong> kleine, verschlagen<br />
aber auch schwächlich wirkende Kaiser, fast verhüllt in einem prächtig<br />
wallenden roten Mantel, beglaubigt das mit manchmal fast ironisch<br />
wirkenden, die phänomenale Bandbreite seines Counters betonenden<br />
Gesangsphrasen. Paula Murrihy ist die Fulvia und überzeugt hier wieder<br />
einmal mit samt-brokatenem Mezzo, der sich in die Gehörgänge geradezu<br />
einwindet. Bei ihrer stückbedingten eher passiven Grundhaltung<br />
wirkt ihr Gesang umso einnehmender, was die Figur zusätzlich interessant<br />
macht. <br />
Friedeon Rosén<br />
Mainz: „Rinaldo“ – Pr. 31.10.<br />
Beginnen möchte ich mit dem überzeugenden Bühnenbild von Stefan<br />
Heine. Auf dem Bühnenboden rotiert eine Spielfläche, die über weite<br />
Strecken im Gegenuhrzeigersinn bewegt wird. Beim genaueren Hinsehen<br />
handelt es sich um ein liegendes Zahnrad. Im hinteren Bereich läuft<br />
eine zweite Drehbühne, wo u. a. das Dienerpersonal (mit verknoteten Taschentüchern<br />
als Kopfbedeckung) in eingefrorenen Posen gezeigt wird.<br />
Außerdem beobachten sie hinter einem Durchgang das Geschehen oder<br />
transportieren ein altmodisches Sofa der 50er Jahre, einen Stuhl und auch<br />
einen Koffer hin und zurück, Requisiten, die im Regietheater eigentlich<br />
schon längst ausgedient haben sollten. Als Gegenstände dürfen auch einige<br />
aus der Mode gekommene Stehlampen mit aufgesetzter Kugelhaube<br />
„Karussell fahren“. Na ja! Ein Stock höher, gewissermaßen in der „Belle<br />
Etage“, befindet sich das Orchester, das von der Akustik her bestens platziert<br />
ist. Für Blechbläser werden nach Bedarf „Fenster“ geöffnet. Leisere<br />
Instrumente, wie eine solistische Blockflötengruppe oder das Duo von<br />
Theorbe und Kontrabass, haben je nach Bedarf „reservierte“ Plätze im<br />
vorderen Bühnenbereich. Eine große Projektionsfläche findet sich über<br />
dem Orchester. Dort wechseln sich unterschiedliche Bilder ab, zum Beispiel<br />
ineinander greifende Zahnräder, Uhrzeiger und Wolken. Alles ist<br />
in Bewegung. Zu Beginn während der Ouvertüre werden zu den hereinkommenden<br />
Sängerinnen und Sängern die Rollennamen eingeblendet,<br />
wie im Film. Eine glänzende Idee! Es hilft auch ein wenig bei der<br />
Frage: „Who is who?“, was speziell die Zuordnung von Geschlecht<br />
und Stimmfächern betrifft. „Rinaldo“ ist die letzte Mainzer Inszenierung<br />
von Tatjana Gürbaca. In positiver Erinnerung bleiben mir ihre Regieleistungen<br />
in „Lucia di Lammermoor“, „Werther“ und „Manon“. Mit ihrer<br />
aktuellen szenischen Einstudierung habe ich allerdings einige Probleme.<br />
Ein extrem hektischer, kontrapunktierender Aktionismus, der sich<br />
nicht immer auf das Libretto bezieht, prägt die Regie und verweist über<br />
weite Strecken die Musik, sowohl die instrumentale als auch die gesungene,<br />
in den Hintergrund.<br />
Einige Ideen haben mir allerdings auch besonders gut gefallen: Es gibt<br />
einen Ohrwurm in dieser ersten Oper, die Georg Friedrich Händel für<br />
London schrieb, da bleiben die Zeit und damit auch die Zahnräder stehen.<br />
„Nur“ Sängerin und Orchester verzaubern das Publikum. Dies erinnert<br />
mich an den großen Monolog der „Marschallin“, die über die Zeit<br />
sinniert. Äußerst gelungen ist auch der „Rollentausch“ von Armida zur<br />
Almirena. Hinter großen Schwanenfedern wird der Wechsel ermöglicht.<br />
Die blauen Kleider, welche beide Damen tragen, verstärken die romantische<br />
Stimmung. Auch das augenzwinkernde Happy End mit Discokugel<br />
und Seifenblasen überzeugt. Gänzlich daneben, überzogen und der Lächerlichkeit<br />
preisgegeben sind eine Gebetsstunde im Islam-Ritus und aus<br />
dem christlichen Bereich, innerhalb der Eucharistie, eine dreifache Segnung<br />
mit einem Schraubenschlüssel. Was soll das?<br />
Nun zum vokalen Bereich: Bis auf eine Ausnahme sind alle Sänger Mitglieder<br />
des Jungen Ensembles des Staatstheaters Mainz in Zusammenarbeit<br />
mit der Hochschule für Musik. Es stehen also an diesem Abend vorwiegend<br />
Studierende auf der Bühne! Die künstlerische Koordination des<br />
Jungen Ensembles liegt in den Händen von Prof. Claudia Eder. Gerade<br />
im Bereich der christlichen Kreuzritter gibt es die „Verwirrung“ in den<br />
Stimmfächern der Hauptdarsteller. In der Rolle des Heerführers Goffredo<br />
tritt als Gast der kanadische Countertenor Michael Taylor auf. Er meistert<br />
diese schwierige Partie souverän, ist auch schauspielerisch überzeugend.<br />
Um seine dienstlichen Aufgaben kümmert er sich wenig. Hobbies<br />
sind für ihn die Hauptsache. Seine Pflichten delegiert er an seinen Bruder<br />
Eustazio/Alin Deleanu, einem ausgezeichneten Altus aus Rumänien. Dieser<br />
stellt einen nervösen, recherchierenden Bücherwurm als „Arbeitstier“<br />
für seinen „Chef“ dar, begleitet dann auch noch seinen Bruder wie ein<br />
doppeltes Ich. Kein Wunder, dass Silke Willrett (Kostüme) beide häufig<br />
gleich anzieht, z.B. mit Golf- bzw. Tenniskleidung sowie Tropenhelmen,<br />
karierten Jacken und Schottenröcken für den beschwerlichen Aufstieg zu<br />
Almiras Burg. Die in Südkorea geborene Sopranistin Saem You/Almirena<br />
spielt mit Brille und weißem Kleid die „brave“, ruhige Tochter von Goffredo.<br />
Sie hat auch ohne hektische Regieanforderungen eine enorme Ausstrahlung,<br />
gepaart mit einer makellos angenehmen Stimme. Ihr Ohrwurm<br />
„Lascia ch’io pianga mia cruda sorte“ lässt alle Anwesenden den Atem anhalten.<br />
<strong>Der</strong> nachfolgende euphorische Applaus ist verdient. Jetzt wird es<br />
noch einmal kompliziert! Die dramatische Koloratursopranistin und Studentin<br />
Jina Oh aus Südkorea verkörpert den pubertierenden Rinaldo, der<br />
in schwarzer Kriegstracht und Schwert Jerusalem einnehmen soll. Warum<br />
er bzw. sie wie ein kleiner Bub über längere Zeit „Hoppe, hoppe Reiter“<br />
spielen soll, überzeugt mich nicht und es nervt auch! Gleichwohl: ihre /<br />
seine Stimme ist in dem äußerst niveauvollen Ensemble herausragend.<br />
Kommen wir zur gegnerischen Seite, den Besetzern von Jerusalem. Hier<br />
werden die Stimmfächer traditionell zugeordnet. <strong>Der</strong> sarazenische Herrscher<br />
der Feinde (Argante) wird von dem in Moskau aufgewachsenen,<br />
wohlklingenden Bariton Dmitriy Ryabchikov verkörpert. Seine einnehmende<br />
Stimme ist für alle geforderten Affekte ideal geeignet. Eine Spitzenleistung!<br />
Als Darsteller nimmt man ihm alles ab, auch in der Orgie gegen<br />
Ende des letzten Akts, wo er sich durchaus glaubhaft und züngelnd<br />
bisexuell auslebt. Mit seiner Geliebten, der Zauberin Armida, hat er sich<br />
ein Luxusweibchen auserkoren, das mit allen Wassern gewaschen ist. Sie<br />
wird mit teuren Kleidern, Paillettenhöschen, rotem Federschmuck usw.<br />
„trendy“ und verführerisch ausstaffiert. Den Hüftschwung einer „Carmen“<br />
hat sie neben anderem Verführungsritual auch noch drauf. Die schauspielerisch<br />
exzellente Rollenträgerin wird von der Koloratursopranistin Radoslova<br />
Vorgic aus Serbien verkörpert. Für die halsbrecherischen Koloraturen<br />
ist sie ideal besetzt. Beim Forcieren in den höchsten Tönen besteht<br />
jedoch (noch) die Gefahr eines stärkeren Vibratos. Als christlicher Magier<br />
agiert der deutsche Bass Florian Küppers. Er trägt eine dunkle Tracht<br />
mit Beffchen und Perücke und erinnert dadurch ein wenig im Habitus<br />
an van Bett aus Lortzings „Zar und Zimmermann“. Auch die weiteren<br />
kleinen Rollen sind bestens besetzt: Su-Jin Yang (Sopran) als Donna/Sirene<br />
und Uiji Kim/Sirene (Sopran), beide wieder aus Süd-Korea, sowie<br />
Frederik Bak/Araldo (Tenor).<br />
Die spielfreudige Statisterie des Staatstheaters Mainz unter der bewährten<br />
Leitung von Dieter Rößler ist bestens in das Bühnengeschehen inte-<br />
DER NEUE MERKER 12/2013| 63