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Deutschland<br />
der von Ulrich Nolte gut einstudierte und gut geführte Chor mit Extrachor<br />
und Statisten. Unglücklich wirkt auch die Reginas Stilisierung per<br />
Kostüm zu einer Mischung aus Gretchen und Germania. Adelheid Fink<br />
spielt mit ihrem darstellerischen und sängerischen Charme tapfer gegen<br />
dieses doppelte Klischee an.<br />
Den übrigen Darstellern bleibt die Rolle hinter der Rolle erspart. <strong>Der</strong><br />
Bassist Christoph Stegemann gibt mit Würde den alternden Unternehmerpatriarchen.<br />
Daniel Kim als Kilian und Ludovica Bello geben mit<br />
frischen Stimmen ein charmantes Dienerpaar. Pfalztheater-Urgestein Geertje<br />
Nissen, die bei ihrem Barbara-Couplet das sprichwörtliche Hühnchen<br />
tatsächlich rupft, glänzt wieder als Charakterdarstellerin. Sehr eindrucksvoll,<br />
mit prägnant geführtem Bariton und darstellerischem Feuer,<br />
verleiht Daniel Henriks dem verzweifelten Stephan zunehmend dämonische<br />
Züge. Und wie Daniel Böhm als Wolfgang hinter dem Freiheitskämpfer<br />
den Zyniker aufblitzen lässt, hat darstellerische Klasse. Überzeugend<br />
finde ich die Regieidee, die Schulbank im Vordergrund durch ein<br />
schlichtes Holzkreuz zugleich als Altar erscheinen zu lassen. Denn in dieser<br />
Oper wird umso mehr gebetet, je gefährlicher die Situation sich zuspitzt.<br />
Da richtet sich dann der Blick zum Kreuz, aber zugleich zu dem daneben<br />
sitzenden Knaben als anwesendem Zeugen des Geschehens.<br />
In der Verlobungsfeier lässt Heyme die Tänzer einfrieren. Stattdessen wird<br />
zu Lortzings Tanzmusik ein kleiner Totentanz eingelegt, in dem ein Skelett<br />
einem kleinen Jungen in Uniform und einem kleinen Mädchen mit<br />
einer Puppe ein Schwert in die Hände gibt. Die von Éva Adorján konzipierte<br />
Tanzhandlung illustriert die Erziehung zum Militärischen im Deutschen<br />
Kaiserreich, aber auch die fatale Todessehnsucht der Deutschen, die<br />
sie bis in die Endphase des Zweiten Weltkriegs hinein trieb. Diese Einstellung<br />
wirft tatsächlich schon im Finale der Oper ihre Schatten voraus,<br />
wenn es in Stoltzes „Deutscher Hymne“ heißt: „Fließ hin, o Blut, fließ in<br />
den Sand, o süßer Tod fürs Vaterland.“ Zur Ehre des Komponisten sei gesagt,<br />
dass die Musik beim Eintritt dieser Zeilen vom strahlenden C-Dur<br />
in ein nachdenkliches c-moll kippt. <strong>Der</strong> Pazifist Lortzing war niemand,<br />
der über Tod und Schrecken hinwegkomponierte wie viele seiner Kollegen!<br />
Spätestens im 3. Akt weitet sich die Spieloper in Richtung Grand-Opéra<br />
aus. Die Macht, der Sog und die Durchschlagskraft der Chöre erinnern<br />
an Verdis „Nabucco“. Hätte die Revolution gesiegt, wäre „Regina“ wohl<br />
die deutsche Nationaloper geworden. So aber fristet ihr Komponist nur<br />
mehr ein Mauernblümchen-Dasein im Spielbetrieb der Opernhäuser.<br />
Unter seinem 2. Kapellmeister Rodrigo Tomillo, der die Aufführung von<br />
GMD Uwe Sandner übernommen hat, kostet das Orchester des Pfalztheaters<br />
die Nuancen der Partitur von Mozartischer Delikatesse bis zu<br />
düsterer romantischer Leidenschaft voll aus. Obwohl der Dirigent manchmal<br />
das Tempo leicht überzog und einige Spannungspausen zu wenig auskostete,<br />
gelang doch eine sehr eindrucksvolle Aufführung. Man geriet ins<br />
Staunen darüber, was Lortzing geleistet hat und noch hätte alles leisten<br />
können, wäre er nicht unter armseligen Umständen schon 1852 in Berlin<br />
gestorben. <br />
Andreas Hauff<br />
Düsseldorf: „BILLY BUDD“ – WA 8.11.<br />
Die Rheinoper hatte in der vergangenen Spielzeit einige herbe Kritik einzustecken,<br />
so dass man glücklich war, zum Britten-Jahr eine hervorragende<br />
Präsentation der aus dem Jahre 2011 stammenden Inszenierung von Immo<br />
Karaman im Bühnenbild und mit Kostümen Nicola Reicherts zu erleben.<br />
Dunkle Stahlwände, die leicht verschiebbar sind, beherrschen die Bühne<br />
und unterstützen den düsteren Charakter der Novelle von Melville. Nur<br />
sehr wenige bunte Lichter hellen die Szene auf. Besonders gelungen ist die<br />
Personenführung der zahlreichen Darsteller. Für jede – auch die kleinste<br />
Figur – ist eine Individualisierung zu erkennen, was bei 17 Männerrollen<br />
eine enorme Leistung ist. Allein anfechtbar ist die hinzugedachte Figur<br />
einer Krankenschwester, die Captain Vere in einem Pflegeheim betreut,<br />
und die auch in der rückblickend erzählten Handlung auf dem Schiff<br />
auftaucht. Vielleicht sollte dadurch die reine Männerriege der Darsteller<br />
durchbrochen werden, wirklich erkennbar wird der Sinn der Aktion nicht.<br />
Die Lichteffekte von Volker Weinhart sind ausgesprochen eindrucksvoll,<br />
da zum Beispiel der Nebel in dieser Oper eine besondere Rolle spielt.<br />
<strong>Der</strong> Dirigent Peter Hirsch hat offenbar eine besondere Beziehung zur<br />
Britten‘schen Tonsprache. Wie er einzelne Instrumente hervorhebt, sie aber<br />
auch wieder in den Orchesterklang einwebt, ist meisterhaft. Die Sängerführung<br />
ist höchst genau. Man hört das Düsseldorfer Orchester selten<br />
in einer so fabelhaften Form. Was an Farben und Instrumentalbrillanz zu<br />
Tage trat, begeisterte den Hörer. Selbst in den aufbrausenden Klangmassen<br />
blieb alles durchhörbar und schlank, so dass die Sänger nie forcieren<br />
mussten. Die gewaltigen Männerchöre, die für dieses Werk von entscheidender<br />
Bedeutung sind, sangen tonschön und dynamisch glänzend abgestimmt.<br />
Ein Bravo für den Chorleiter Gerhard Michalski.<br />
Lauri Vasar, ein schlanker Blondin, gab einen zunächst unbekümmerten<br />
Titelrollenträger. Erst als der einfache Bursche in für ihn unentwirrbare Situationen<br />
gerät, machen sich seine Schwächen – Stottern – bemerkbar. Sein<br />
Gesicht verzerrt sich und er wird zur geschundenen Kreatur, die vergeblich<br />
beim Kapitän Hilfe sucht. In der zunächst angstvollen Erwartung seiner<br />
Hinrichtung löst sich langsam seine Verkrampfung und er geht ruhig seinem<br />
Tod entgegen. Hier müssen auch schon härtere Gemüter schlucken, um<br />
die Tränen zurückzuhalten, zumal der Sänger diese Szene geradezu beängstigend<br />
intensiv gestaltet. Seine samten timbrierte lyrische Baritonstimme ist<br />
in allen Lagen gleich gut durchgebildet und besonders ausdrucksvoll. Eine<br />
solche absolute Spitzenleistung hört man selten.<br />
Raymond Very als Captain Vere zeigt eine gebrochene Figur. Dieser Intellektuelle<br />
passt kaum auf ein Kriegsschiff und zerbricht an der Ausweglosigkeit<br />
seiner Situation. Er möchte Billy retten, sein Pflichtgefühl gestattet es<br />
ihm aber nicht. Mit wenigen sparsamen Bewegungen vermag der Sänger<br />
dies ausgezeichnet darzustellen. Seine jugendliche Heldenstimme bewältigt<br />
die nicht einfach zu singende Partie glänzend. Sami Luttinen als John Claggart<br />
ist der Bösewicht im Jago‘schen Sinne schlechthin. In der Tat scheint<br />
er sich in einer Ordnung wie in der Hölle wohlzufühlen, was er in seiner<br />
Darstellung deutlich zum Ausdruck bringt. Seine düstere Bassstimme prädestiniert<br />
ihn geradezu für diese Rolle.<br />
Die Offiziere – Michael Druiett, Ashley Holland, Torben Jürgens –<br />
sind darstellerisch und stimmlich sehr zufriedenstellend. Unter den vielen<br />
Comprimari fallen die beiden Buffotenöre Cornel Frey und Florian<br />
Simson als Novize und Squeak durch ihre hellen Stimmen besonders auf,<br />
zumal sie den Leidensdruck der gequälten Matrosen hervorragend zum<br />
Ausdruck bringen. <strong>Der</strong> 77-jährige Carlos Krause gestaltet den alten Seebären<br />
Dansker, der Billy in seiner Todesstunde beisteht, höchst ergreifend<br />
und singt seine wenigen Sätze mit immer noch markantem Bass. Das restliche<br />
Herrenensemble, das durch keinen Ausfall gekennzeichnet ist, sei<br />
mit einem Pauschallob bedacht.<br />
Das Publikum dankte der überaus bewegenden Aufführung mit langem<br />
und starkem Beifall. <br />
Johann Schwarz<br />
Frankfurt:<br />
„DIDO AND AENEAS/<br />
HERZOG BLAUBARTS BURG“ – 16.11.<br />
Eine glanzvolle Wiederaufnahme von zwei konträren Werken bescherte<br />
die Oper Frankfurt seinem begeisterten Publikum und zwar „Dido and<br />
Aeneas“ (Henry Purcell) sowie dem knapp 2 ½ Jahrhunderte später komponierten<br />
Werk „Herzog Blaubarts Burg“ des ungarischen Meisters Bela<br />
Bartók. Vortrefflich setzte Barrie Kosky die Kurzopern in Szene, verstand<br />
es auf wunderbare Weise, sinnliche Lebensfreude mit dem tragischen Ende,<br />
dem Erstickungstod der Dido, zu verschmelzen – er steckte, mit Anklängen<br />
an die Shakespeare-Ära, bärtige Männer mit langen Haaren in Frauenkleider.<br />
Unter der temperamentvollen Leitung von Constantinos Carydis musizierte<br />
die kleine Besetzung des Opern- und Museumsorchester herzerfri-<br />
DER NEUE MERKER 12/2013| 61