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Deutschland<br />

Pfalz die Erinnerung an die deutsche Demokratiebewegung besonders lebendig.<br />

1832 fand bei Neustadt an der Weinstraße mit dem Hambacher<br />

Fest die eindrucksvollste demokratische Kundgebung des Vormärz statt.<br />

Die Pfalz und das benachbarte Baden waren die beiden Regionen, in denen<br />

die 1848er am längsten kämpften. Erst im Juni 1849 schlugen preußische<br />

und hessische Truppen den Volksaufstand brutal nieder. In Wien hatte die<br />

Reaktion damals längst wieder die Oberhand. Schon am 9.11.1848 hatten<br />

kaiserlich-königliche Truppen den Abgeordneten des Paulskirchen-Parlaments,<br />

Robert Blum, einen Freund Lortzings, unter Missachtung seiner<br />

Immunität in der Brigittenau standrechtlich erschossen.<br />

In der Oper ist dieses Ende nicht absehbar; denn weder Lortzing noch<br />

seine Bühnenfiguren ahnten, wie die Revolution ausgehen würde. Es beginnt<br />

mit den Arbeitern des Fabrikanten Simon. Sie streiken – einmal um<br />

mehr Lohn, aber auch aus Prinzip gegen jegliche Form von Unterdrückung.<br />

Simon selbst ist verreist, aber dem Geschäftsführer Richard gelingt<br />

es, das Personal zu beruhigen. „Frei geboren sind wir alle“, stimmt er zu,<br />

verweist aber auf den Verhandlungsweg: „Freiheit ohne Einigkeit gewährt<br />

kein Glück auf Erden.“ <strong>Der</strong> Fabrikant selbst ist ein wohlhabender, aber<br />

sozial denkender bürgerlicher Patriarch. Er ist auch bereit, seine Tochter<br />

Regina mit Richard zu verheiraten, obwohl dieser aus armen Verhältnissen<br />

kommt, und damit die Sehnsucht der beiden jungen Leute zu erfüllen.<br />

Simons Werkmeister Stefan ist gleichfalls in Regina verliebt. Aus<br />

Enttäuschung und Verzweiflung schließt er sich einem Trupp von wilden<br />

Freischärlern an, die von seinem lange inhaftierten alten Freund Wolfgang<br />

angeführt werden und einen Rachefeldzug gegen den Adel führen.<br />

Die Freischärler machen Stefans Sache zu der ihren, sprengen Richards<br />

und Reginas Verlobungsfeier, entführen Regina und legen die Fabrik in<br />

Schutt und Asche. (So etwas geschah durchaus. Lortzing nahm, wie Andreas<br />

Bronkallas interessantem Programmheft zu entnehmen, Mitte März<br />

1848 an Patrouillien teil, „denn der Pöbel plünderte in den Vorstädten.“)<br />

Zwar nimmt Richard mit etlichen Arbeitern die Verfolgung auf, doch die<br />

Freischärler entkommen in die Berge. (Lortzing dachte an eine Szene an der<br />

badischen Grenze zur Schweiz.) Dort legen sie Rast in der Hütte einer alten<br />

Frau ein. Diese ist zufällig Barbara, die Mutter von Simons Diener Kilian.<br />

Zu Beginn des Aktes singt sie ein Couplet „Nicht so bleiben kann dies Treiben“<br />

und artikuliert die Ansicht derjenigen im Volk, die weder für Kriege<br />

noch Revolutionen etwas übrig haben und vor allem das Glück des Friedens<br />

schätzen. Auch Kilian flüchtet mit seiner Kollegin Beate in die Hütte<br />

seiner Mutter. Dem gewitzten Diener gelingt es, die Freischärler mit Wein<br />

betrunken zu machen. Er singt ihnen auch das verlangte Lied zur Unterhaltung,<br />

dessen Text „Hinaus, hinaus in schnellster Frist, was nicht dem Land<br />

von Nutzen ist“ Lortzing bei dem Wiener Publizisten Johann Nepomuk<br />

Vogl (1802-1866) entlehnt hat. Die Tendenz gefällt den Freischärlern, die<br />

den Refrain gleich mitsingen, aber sie ist nicht so radikal, dass Kilian sich<br />

verbiegen müsste. Lortzings alter Spielopern-Witz kommt durch, wenn aus<br />

dem vom Männerchor imitierten Gitarrenklimpern „didldum“ ein hintersinniges<br />

„dumm dumm dumm“ wird. Das Lied versandet in müdem Ritardando,<br />

sogar der Fagottist im Orchestergraben verschläft den Schlusston.<br />

Kilian gelingt es, mit Regina zu fliehen, er wird aber von den Freischärlern<br />

wieder eingeholt. Sie nehmen die Unternehmerstochter mit zu ihrem Lager<br />

in den Bergen, wo sie in einem alten Turm Pulver und Munition horten.<br />

Kilian alarmiert Simon und Richard, die auf dem Land Zuflucht gefunden<br />

haben. Zusammen mit einer Gruppe Bauern nehmen die Männer<br />

die Verfolgung auf und stellen die Entführer am Turm. Als diese unterliegen<br />

und sich Stephan in die Enge getrieben sieht, besteigt er mit Regina<br />

den Turm, um sich mit ihr in die Luft zu sprengen. Regina gelingt es im<br />

letzten Moment, ihn mit seiner eigenen Flinte zu erschießen. Als sie aus<br />

der Ohnmacht erwacht, sieht sie nicht nur Vater, Verlobten und vertrautes<br />

Hauspersonal um sich. Im Textbuch heißt es: „Landleute, Arbeiter aus<br />

allen Klassen mit Büchsen, Hacken, Sensen, bunten Fahnen etc., Soldaten<br />

stürmen von allen Seiten herbei.“ Richard berichtet: „Von allen Seiten Freiheitsboten<br />

nah’n.“ Und die Menge stimmt die von dem Frankfurter Dichter<br />

Friedrich Stoltze (1816-1901) gedichtete und von Lortzing hier als<br />

Krönung des Finales vertonte „Deutsche Volkshymne“ an: „Heil, Freiheit,<br />

Dir, o Völkerzier.“ Aus der konkreten Handlung wächst die ersehnte<br />

Utopie: Das Volk hat gesiegt – über den Adel, aber auch über die buchstäblich<br />

mit dem Feuer spielenden Radikalen.<br />

In Wirklichkeit aber siegte die Reaktion, und das dürfte der Grund dafür<br />

sein, dass Lortzing die als letztes in Angriff genommen Ouvertüre nicht<br />

mehr fertig stellte. Zwar wurde das Vorspiel später von dem Schweriner<br />

Musikdirektor Komponisten Gustav Härtel sach- und stilgerecht komplettiert<br />

und in dieser Form auch in die 1998 vom Verlag Ricordi vorgelegte<br />

„Regina“-Originalausgabe von Irmlind Capelle aufgenommen.<br />

Die Pfalztheater- Aufführung bricht mit Takt 133 ab, wo Lortzing den<br />

Stift niedergelegt hatte, motiviert dies aber szenisch: <strong>Der</strong> Chor der streikenden<br />

Arbeiter kommt aus dem Hintergrund hervor.<br />

„Regina“ kann man vermutlich nicht inszenieren, ohne auf die eine oder<br />

andere Weise zur deutschen Geschichte (einschließlich der österreichischen)<br />

Position zu beziehen. Regisseur und Ausstatter Hansgünther<br />

Heyme, Intendant des Ludwigshafener Theaters, der am eigenen Haus<br />

Regina - zur Flucht entschlossen (© Pfalztheater)<br />

gerade erst Wagners „Ring“ inszeniert hat, ist sich dessen bewusst. Und<br />

so wendet er das moderne Konzept des „historic re-enactment“ (also des<br />

Nachspielens historischer Szenarien) auf eine Situation kurz nach dem 2.<br />

Weltkrieg an. Vorne auf einer kleinen Holzbank sitzt ein junger Knabe<br />

(Tabea Koch) und verfolgt gebannt die Geschichtslektion seines Geschichtslehrers,<br />

der ihm als Richard die Oper vorspielt – zusammen mit<br />

vielen anderen seriösen Studienräten im dunklen Anzug und ältlichen<br />

Lehrerfräuleins im hochgeschlossenen Kostüm. Dabei definieren sich die<br />

Akteure jeweils durch schwarze, rote und goldene Plastik-Überzüge als<br />

Arbeiter, Freischärler und Bauern. Schwarz, Rot und Gold, heute die deutsche<br />

Nationalflagge, waren damals die Farben der demokratischen Bewegung.<br />

(Auf dem Hambacher Schloss wird noch eine Originalfahne von der<br />

Kundgebung 1832 aufbewahrt.) Drei große Plastikbahnen in diesen Farben<br />

bestimmen auch die Hinterwand der sparsam ausgestatteten Bühne.<br />

<strong>Der</strong> Regieansatz erschließt sich erst nach einer Weile, und er passt auch<br />

nicht ganz. Denn als sein eigener Librettist hat der Komponist den Menschen<br />

„aufs Maul geschaut“ und viele seiner Szenen dem Alltag abgelauscht.<br />

Unter dem Verlust dieser Unmittelbarkeit leidet vor allem Daniel Ohlmann<br />

als Richard, dem man bei allem Engagement den jugendlichen Berufsaufsteiger<br />

und Liebhaber nicht abnimmt. Dass er bei den Spitzentönen<br />

seines Tenors immer wieder an Grenzen stößt, dürfte auch mit der Steifheit<br />

seiner Geschichtslehrer-Rolle zu tun haben. Leichter damit tun sich<br />

60 | DER NEUE MERKER 12/2013

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