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Deutschland<br />

Philharmonie Essen:<br />

VITTORIO GRIGOLO & FILARMONICA DELLA SCALA<br />

Im sog. Stadtgarten, der eigentlich ein Kulturpark ist, steht schräg gegenüber<br />

dem Aalto Theater das Gebäude der Philharmonie, wo dasselbe Orchester<br />

beheimatet ist, das auch in der Oper auftritt. Ein paar Schritte<br />

weiter findet sich das berühmte Folkwang-Museum. Außen um den Park<br />

herum flutet der Verkehr der wichtigsten Geschäftsstadt des Ruhrgebiets,<br />

die auch noch ein Schauspielhaus, das sog. Grillo-Theater (nach dem Erbauer<br />

benannt) und ehem. erstes Opernhaus der Region, anzubieten hat.<br />

Das Jahresprogramm der Philharmonie ist beachtlich. Alle Musikgattungen<br />

kommen zum Zug, viele prominente Namen aus der internationalen<br />

Musikwelt sind zu lesen.<br />

So nützte ich den Abend vor der „Tristan“-Aufführung zum Kennenlernen<br />

dieser Institution. <strong>Der</strong> außen wie innen freundlich-helle Bau bietet<br />

großräumige Foyers und einen holzgetäfelten Saal mit breiter Bühne, ansteigenden<br />

Sitzreihen und guter Akustik. Eine Büste im Eingangsbereich<br />

stellt nicht, wie erwartet, einen Komponisten oder Dirigenten dar, sondern<br />

Alfred Krupp, den vielfachen Kulturstifter dieser Region.<br />

Gäste aus Italien bestritten den Abend. Vittorio Grigolo, das „Zugpferd“<br />

dieses Konzerts, brachte echtes mediterranes Flair ins dichtest besiedelte<br />

Gebiet Deutschlands. Leider mit nur drei Arien, die er ganz wunderbar<br />

sang: Aus Donizettis unvollendeter Oper „Il Duca d’Alba“ die beliebte<br />

Tenor-Nummer „Angelo casto e bel“ des Marcello, der sich als Sohn des<br />

Herzogs von Alba, des grausamen spanischen Unterdrückers von Flandern,<br />

dem flandrischen Widerstand angeschlossen hat und in einer herzzerreißenden<br />

Kantilene seiner geliebten Amalia gedenkt, seines „Engels“,<br />

mit dem ihm kein anhaltendes Liebesglück winkt. In kultiviertem Legato<br />

flößt der Sänger mit schönem Tenortimbre dem unglücklichen jungen<br />

Mann viel Gefühl ein. Genauso berückend gelingt ihm Nemorinos<br />

„Una furtiva lagrima“, mit langem Atem wunderbar gesteigert und am<br />

Schluss in ein berührendes pp zurückgenommen – er muss und wird seine<br />

Adina bekommen! Locker und natürlich in Haltung und Auftreten, belässt<br />

Grigolo es dann bei Besingung der „gelida manina“ nicht beim Stehen,<br />

sondern macht uns glauben, dass er die Arie – mit strahlendem hohem<br />

„speranza“-C – seiner (fingierten) Mimi zusingt, für die er am Ende<br />

an der Rampe sogar in die Knie sinkt.<br />

Was man instrumental aus italienischen Opern hörte, ließ viele Wünsche<br />

offen. Nicht nur hätte man statt zwei langer Ouvertüren (Rossinis<br />

„Barbiere“ und Verdis „Vespri“) und dem Zwischenspiel aus „Cavalleria<br />

rusticana“ gern mehr vom Tenorstar gehört, sondern der Dirigent Andrés<br />

Orozco-Estrada (uns als Leiter des Niederösterr. Tonkünstlerorchesters<br />

wohlbekannt) verabsäumte es, daraus Opernmusik zu machen. Alles<br />

klang zu symphonisch-neutral, es fehlte am rechten Aufbau, am Stimmungsgehalt<br />

und als Begleiter des Sängers drifteten die Gruppen mehrmals<br />

auseinander. Vittorio Grigolo musste selbst das Ruder in die Hand<br />

nehmen, um seine Gesangsnummern kompakt darbieten zu können. Bei<br />

dem als Draufgabe zum Verdi-Jahr präsentierten „La donna è mobile“, das<br />

der Sänger mit hinreißender Vitalität startete, konnte das Orchester überhaupt<br />

nicht mithalten. Dass der Maestro im rein symphonischen Bereich<br />

besser beheimatet ist, konnte er nach der Pause bei Mussorgskys „Bildern<br />

einer Ausstellung“ (in der orchestrierten Fassung von Ravel) beweisen,<br />

wo die Filarmonica della Scala sich als ebenso kompetenter Klangkörper<br />

präsentierte. <br />

Sieglinde Pfabigan<br />

Lübeck: „TRISTAN UND ISOLDE“ – NI 10.11.<br />

In Lübeck inszenierte der mit dem „Ring“ und „Parsifal“ hier sehr erfolgreiche<br />

Anthony Pilavachi mit dramaturgischer Assistenz von Richard Erkens<br />

nun „Tristan und Isolde“ als unerfüllte romantische Liebesbeziehung<br />

Richard Wagners (alias Tristan) zu Mathilde Wesendonck (alias Isolde)<br />

und siedelte das Stück in einem großbürgerlichen Ambiente an. Gleich zu<br />

Beginn sieht man statt auf ein Schiffsdeck in ein schon etwas vom Verfall<br />

gezeichnetes hochherrschaftliches Zimmer. Es ist bereits zum eleganten<br />

Diner gerichtet, welches natürlich nie stattfinden wird…Tatjana Ivschina<br />

ist für das über die drei Aufzüge weiter verfallende Bühnenbild und die<br />

zu dieser Ästhetik passenden Kostüme aus der Entstehungszeit des Werkes<br />

verantwortlich. Dass wir uns dennoch auf einer Reise befinden, einer<br />

Reise durch stärkste Emotionen und Gefühle, wie sich bald herausstellen<br />

wird, ist an den Schiffsplanken des Bodens sichtbar, die später das Licht<br />

von unten durchlassen.<br />

Anthony Pilavachi – und das hat er an diesem Hause, welches untrennbar<br />

mit dem Namen Thomas Manns verbunden ist, schon wiederholt unter<br />

Beweis gestellt – ist ein Meister der Psychologie. Man erlebt mit seinem<br />

„Tristan“ ein äußerst spannendes psychologisches Musikdrama, welches<br />

alle emotionalen Facetten und menschlichen Enttäuschungen der Protagonisten<br />

konsequent aufzudecken vermag.<br />

Schon bei der ersten Begegnung Tristans mit Isolde, nachdem Isolde und<br />

Brangäne in wartender Haltung schwer vom jungen Seemann, Kurwenal<br />

und deren Entourage gedemütigt worden sind, gibt es eine zärtliche Annäherung,<br />

welche die ganz große Liebe wenig später unmissverständlich erahnen<br />

lässt. Ein Liebestrank ist kaum noch nötig. Die Kussorgie mit überstürzten<br />

Entkleidungsversuchen, die zum Schluss des 1. Aufzugs Tristan<br />

und Isolde für den gebieterischen Eintritt König Markes und seines Gefolges<br />

erblinden lässt, sucht in „Tristan“-Inszenierungen der letzten Jahre<br />

sicher ihresgleichen… Auch hier dachte Pilavachi nicht zuletzt wohl an<br />

Biografisches aus dem Leben des Komponisten…Die Lichtregie von Falk<br />

Hampel trägt enorm zur Suggestivkraft dieser und späterer Szenen bei.<br />

Mit einer unerträglichen Fixierung Isoldes durch Marke beginnt der 2.<br />

Aufzug in ebenso tiefer Depression wie der erste im Liebestaumel endete.<br />

Sublim, aber schon Gefahr andeutend, sieht man langsam die Fackelträger<br />

der Jagdgesellschaft im Wald verschwinden und die Hörner verhallen –<br />

auch hier psychologisch stark aufgeladene Bilder. Schon kündigt sich der<br />

Herbst mit Laub im verfallenden Zimmer an, der Kronleuchter hängt in<br />

Edith Haller (Isolde) und Wioletta Hebrowska (Brangäne)<br />

(© Jochen Quast)<br />

Trümmern herunter, die Dinner-Stühle sind achtlos in die Ecke geworfen.<br />

In diesem Ambiente lebt beider Liebe noch einmal höchst romantisch<br />

auf, als Tristan zu Isolde tritt und ihr, also Mathilde Wesendonck,<br />

ihre von ihm vertonten (Wesendonck-) Lieder übergibt – eine Szene von<br />

größter Poesie und Intimität, zweifellos das Herzstück dieser Inszenierung.<br />

Die über alles loyale Dienerin ihrer Herrin, Brangäne, hat zuvor mit mehr<br />

oder weniger Erfolg Melot vertrieben.<br />

Die Romantik der Liebe hat aber bei Pilavachi auch eine erotische und<br />

damit durchaus wirklichkeitsnahe Entsprechung. Während der in Liebesschwelgen<br />

versinkenden Musik nach dem Duett gehen beide kurz<br />

aus der Szene und kommen mit Badehandtuch bzw. heraushängendem<br />

Hemd wieder herein. Da war also doch was…In der „echten“ Liebesbeziehung<br />

Wagners zu Mathilde blieb das ja bis heute im Dunkel. Man war<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 55

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