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Der neue Merker

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Deutschland<br />

Ideen Wagner sich erfolgreich bedient hat. Das ‚falsch Pompöse‘ an Wagner<br />

liegt mir fern. Insofern ist die Suche nach Transparenz für mich wesentlich.“<br />

Dort wie da scheint also innere Stimmigkeit und Wortverständlichkeit<br />

oberstes Gebot, ohne dass dadurch das „Tristan-Mysterium zu kurz käme.<br />

Sollte damit eine <strong>neue</strong> Wagner-Ära angebrochen sei?<br />

Auch in Essen…<br />

Zusammen mit vielen anderen angereisten Opernfreunden hörte ich am<br />

Aalto Theater Wagners opus immensum in ebenfalls völlig <strong>neue</strong>r musikalischer<br />

Interpretation. Die nun wiederaufgenommene Inszenierung<br />

von Barrie Kosky hatte ich bereits 2007 (ein Jahr nach ihrer Premiere)<br />

mit denselben Titelrollensängern, damals sehr leidenschaftlich dirigiert<br />

von Stefan Soltesz, kennen gelernt. Nach dem Ausscheiden des langjährigen<br />

GMD wurde nun Peter Schneider für drei Reprisen eingeladen.<br />

Eine simple Wiederholung seiner Wiener, Hamburger oder Bayreuther<br />

„Tristan“-Interpretationen, wo die (wohlbeherrschte) orchestrale Wucht<br />

(neben allen Subtilitäten) schon gelegentlich auch recht beeindruckend<br />

war, fand jedoch nicht statt. Die Essener Vorstellung erreichte nicht einmal<br />

den halben Lautstärke-Pegel, den wir etwa unter Wiens GMD zuletzt<br />

verzeichnen konnten. Und das lag nicht etwa am tiefer liegenden<br />

Orchestergraben, sondern an der Dirigierweise des Maestro. Hauptgebot<br />

war offensichtlich: Wort und Ton zu gleichem Recht kommen zu lassen,<br />

die seelischen Regungen der handelnden Personen in den Vordergrund zu<br />

stellen und dabei Wagners Ton- und Gedankenflut allezeit in pulsierender<br />

Bewegung zu halten. Keine Rede von orchestraler Dominanz, trotz<br />

„normaler“ Orchesterbesetzung, wohl aber eine ganzheitliche Vermittlung<br />

der Aussage dieser Musik, bestehend aus Instrumental- und Vokalbeitrag.<br />

Wir haben natürlich in vielen Aufführungen den Text des Liebesduetts,<br />

den von Markes Monolog oder den Beginn des 3. Akts deutlich vernommen,<br />

aber „wann ward es erlebt“, dass man von Brangäne im 1. Akt jedes<br />

Wort verstand? „Heut hast du’s erlebt!“ konstatierten wir nach der Aufführung.<br />

Und trotzdem ging nichts an Intensität und Klangschönheit verloren,<br />

schon deshalb, weil niemand zu forcieren brauchte, um gehört zu<br />

werden. Dahinter steckt natürlich ein immenses Können von Seiten des<br />

Dirigenten und der gute Wille der Essener Philharmoniker, sich davon<br />

inspirieren zu lassen. Vielleicht wollte Schneider aber auch auf Koskys Inszenierung<br />

eingehen, die das Liebespaar sowohl im 1. wie im 2. Akt, zusammen<br />

mit den anderen Personen, in einen engen Raum zwängt, aus<br />

dem für die beiden kein Entkommen ist. In der Liebesnacht dreht sich<br />

das kleine Zimmer, wo sie abwechselnd stehen, knien oder aneinander<br />

geschmiegt liegen, im Kreise. Auch im 3. Akt, wo Tristans Wunde von<br />

Kurwenal sehr realistisch gepflegt wird, ruht der Helde nur im Lehnstuhl<br />

oder steht daneben. Dass der Tote zu Beginn von Isoldes „Liebestod“<br />

einfach aufsteht und abgeht, ebenso wie sie zum orchestralen Ausklang,<br />

muss nicht unbedingt goutiert werden, bietet aber zumindest ein Gegengewicht<br />

zum vorangegangenen szenischen Realismus, sodass der Dirigent,<br />

passend zur Szene, endlich „loslassen“ und nach dem stundenlangen unerfüllten<br />

Sehnen, Aufbegehren und Leiden der Liebenden als Erlösung<br />

von der schmerzlichen Tristan-Chromatik zuletzt ein wunderbar crescendiertes,<br />

hymnisches H-Dur-Finale aufbauen kann, das jene Transzendenz<br />

suggeriert, die Wagner nun einmal komponiert hat.<br />

Mehr als beachtlich auch die Sängerbesetzung. Bei Evelyn Herlitzius hat<br />

man sich daran gewöhnt, dass sie keine Balsamstimme besitzt. Ihr furioser<br />

Einsatz in allen Belangen, körperlich, mimisch, in der sprachlichen<br />

und vokalen Gestaltung der Rolle (und aller anderen!) hat oftmals die<br />

Befürchtung aufkommen lassen, ihre Karriere werde kurz sein. Aber ihr<br />

Gestaltungswille und ihre latente Kraft sind offenbar größer als geglaubt.<br />

Diese Isolde glüht innerlich, kämpft wie eine Tigerin um ihr Glück und<br />

gibt sich dem gemeinsamen, verklärten Nachterlebnis dann mit derselben<br />

Totalität hin. Vergleichsweise zurückhaltend, nicht nur im 1. Akt,<br />

spielt Jeffrey Dowd seine Rolle, singt den Tristan jedoch hervorragend,<br />

mit immer schönem, rundem Ton, durchgehend im Legato, bis hinein<br />

in die Wahnsinnsausbrüche des 3. Aktes. Einziges Manko: sein Gesichtsausdruck<br />

kennt keine Varianten – immer gleich gram- und schmerzvoll.<br />

Möglich auch, dass er unter weniger rücksichtsvollen Dirigenten an großen<br />

Häusern Durchsetzungsschwierigkeiten hätte. Aber einen Künstler<br />

im Hausensemble zu haben, der das gesamte schwere Fach so souverän<br />

bewältigt, ist schon ein Privileg für ein Theater.<br />

Allererste Klasse waren auch Brangäne und Kurwenal. Die Schwedin Martina<br />

Dike (in Bayreuth eine der Walküren, andernorts im gesamten deutschen<br />

Mezzofach zu hören) bringt einen leuchtenden Mezzo zum Einsatz,<br />

der in allen Lagen bis in die strapaziösen Höhen mit wunderbarer Selbstverständlichkeit<br />

funktioniert und durch eine fabelhafte Wort-Ton-Gestaltung<br />

Evelyn Herlitzius (Isolde) und Jeffrey Dowd (Tristan)<br />

(© Mathilde Jung)<br />

begeistert. Sie ist für Isolde eine ebenbürtige Partnerin, deren Argumente<br />

nicht zu ignorieren sind. Ich bin überzeugt, dass diese Sängerin ebenso wie<br />

der prächtige Kurwenal Heiko Trinsinger an jeder Weltbühne reussieren<br />

könnte. Auch er fesselt mit seinem kernigen, flexiblen, ausdrucksstarken Bariton<br />

und lebhaftem Spiel. Ebenfalls sehr präsent der schönstimmige, sein<br />

trauriges und humanes Anliegen gut artikulierende König Marke von Ante<br />

Jerkunica. Mateusz Kabala als Melot, Albrecht Kludszuweit als Hirte,<br />

Rainer Maria Röhr als Seemann und Thomas Sehrbock als Steuermann<br />

boten treffliche Ensemble-Beiträge. <strong>Der</strong> über Verstärker von außen singende<br />

Herrenchor kann hinsichtlich Klangqualität nicht wirklich beurteilt werden.<br />

Dass Wagners Botschaft angekommen ist, bewiesen die Schweigeminuten<br />

nach dem letzten Takt. Immerhin gab es mehrere Verbeugungsdurchgänge<br />

für alle Solisten, unter denen natürlich die leidenschaftliche Isolde<br />

den größten Beifall einheimste, und nachdem Peter Schneider bereits vor<br />

dem 2. Akt mit etlichen Bravo-Rufen und vor dem 3. Akt mit sehr vielen<br />

bedacht worden war, durfte er sich am Ende über den stärksten Applausanteil<br />

freuen. <br />

Sieglinde Pfabigan<br />

54 | DER NEUE MERKER 12/2013

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