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Deutschland<br />

„Nahezu das gesamte Geschehen in‚ Tristan und Isolde‘ ist innerlich“. So stand<br />

es in einem Opernführer, und so hat es wohl auch Kay Metzger gesehen,<br />

der die Inszenierung am Landestheater Detmold in ein Kammerspiel verpackt.<br />

Damit ist ihm ein Regiestreich gelungen, denn so logisch, so schlüssig<br />

und doch so spannend und intensiv habe ich diese Oper selten auf der<br />

Bühne erlebt. Zusammen mit seiner Bühnen- und Kostümbildnerin Petra<br />

Mollérus verlegt er die Handlung auf kleinsten Raum, der durch die<br />

Drehbühne, dem Regiekonzept folgend, in Tagräume, weiß und hell, sowie<br />

Nachträume, dunkel und von einem Sternenhimmel beleuchtet, verwandelt<br />

werden kann. Bei Wagner (im Gegensatz zum Epos) schafft der Liebestrank<br />

nicht die Leidenschaft zwischen den Liebenden, sondern er macht sie frei,<br />

frei für die höchste Erfüllung, den Tod. Deshalb schafft Metzger diese Kontraste:<br />

die Realität, der Alltag läuft in der Helligkeit des Tages ab, bewegt sich<br />

in gesellschaftlichen Normen. Die Nacht jedoch ist intim, verströmt Geborgenheit<br />

und Innigkeit, gehört jeder Person allein. Die Schwelle zu übertreten,<br />

kann alles bedeuten, sogar den Verlust des Lebens. Wenn Marke die<br />

Frage an Tristan nach dem Warum (des Verrats) stellt, antwortet ihm Tristan<br />

„Das kann ich Dir nicht sagen“ noch jenseits der Schwelle, dann tritt er<br />

ein in den Nachtraum, den Raum der Liebe, und fragt von dort aus Isolde,<br />

ob sie ihm folge. Liebe und Musik sind untrennbar miteinander verbunden.<br />

So gestalten Metzger und Mollérus die Nachtwelt als Musikraum, in<br />

dem ein Flügel steht und das Liebespaar Notenblätter in die Hand nimmt.<br />

Und komponiert?? Die Assoziation zu Richard Wagner und Mathilde Wesendonck<br />

ist offensichtlich, denn auch sie waren Liebende, die wie Tristan<br />

und Isolde nicht zusammen kommen konnten. Ohne Zweifel brachten die<br />

beiden ihre eigene Geschichte in diese schicksalhafte Oper ein, denn auch sie<br />

haben unter der ausweglosen Verbindung gelitten. Von diesem Leid, tiefstem<br />

Verständnis und einfacher Logik ist die gesamte Inszenierung geprägt.<br />

Man spürt, dass Kay Metzger sich sehr intensiv mit den Hintergründen zur<br />

Entstehung der Oper beschäftigt hat. Als Beweis könnte man Vieles aus dem<br />

Schriftverkehr zwischen Wagner und Mathilde zitieren, aber das würde an<br />

dieser Stelle zu weit führen. Belassen wir es bei einem Brief, in dem Wagner<br />

Mit Michael Baba holte man einen Tristan, der am Anfang einer großen<br />

Karriere im Heldentenorfach steht. Unter Gustav Kuhn sang er u.a. bei<br />

den Festspielen Erl den Tristan, Siegmund, Pasrsifal, Stolzing und Kaiser<br />

in „Frau ohne Schatten“, in Karlsruhe konnte man ihn als Florestan erleben.<br />

Seine Stimme hat eine durchsetzungsfähige Mittellage, auf der er die<br />

Höhen mit einem sicheren Legato aufbaut. Keine Anstrengung ist zu spüren.<br />

In allen Lagen klingt sein interessantes Timbre warm und ohne Schärfe.<br />

Den gefürchteten 3. Akt bewältigte er mit starker Stimme, mit intensiver<br />

Darstellung und imponierte durch einfühlsamen schmerzvollen Ausdruck.<br />

Beachtenswert ist auch seine klare Aussprache. Joanna Konefal gestaltete<br />

mit bezauberndem Charme und blonder Schönheit die Isolde. GMD Rademacher<br />

musste vor der Aufführung leider ansagen, dass Frau Konefal<br />

noch nicht ganz von einer starken Erkältung genesen sei und voraussichtlich<br />

nicht die gewohnte Leistung bringen könne. Das spürte man bei den<br />

extremen Höhen, wo sie zu viel Kraft aufbringen musste, was einige scharfe<br />

Töne hervorbrachte. Aber ihre faszinierende Gestaltung der Figur und ihre<br />

schöne Mittellage und wunderbare Piani über weite Strecken zeigten ihre<br />

Begabung. Vielleicht ist die Isolde für die junge Polin noch zu früh, es wäre<br />

schade, wenn ihre Stimme durch solch schwere Partien Schaden nähme.<br />

Über eine außergewöhnlich schöne Stimme verfügt Monika Waeckerle.<br />

Ihr Mezzo fesselte von Anfang an. Mit warmem, schönem Ton sang sie<br />

die Brangäne, überzeugte durch sympathisches Spiel und bot dazu noch<br />

eine perfekte Diktion, die jedes Wort verstehen ließ. Die Warnrufe im 2.<br />

Akt „Einsam wachend in der Nacht… habet acht, habet acht“ klangen strahlend,<br />

fast überirdisch. In vielen Inszenierungen sieht man Brangäne in dieser<br />

Szene nicht, weil sie aus dem Hintergrund singt. Hier jedoch dreht sich<br />

die Bühne einmal ganz herum und mit ihr Brangäne, an einer Wand lehnend.<br />

Sie zieht quasi einen schützenden Kreis um ihre Isolde.<br />

Doch das hilft nicht. Marke mit seinem Gefolge erscheint, das Unheil<br />

nimmt seinen Lauf.<br />

Einen tiefen, satten schwarzen Bass ließ Jens Larsen, Gast von der Komischen<br />

Oper Berlin, als König Marke vernehmen. Ausdrucksvoll sang<br />

er seinen langen Monolog und legte das ganze Leiden über den Verrat in<br />

seine Stimme. Das ging zu Herzen.<br />

Als Kurwenal begeisterte Andreas Jören mit einem kräftigen und runden,<br />

italienisch geprägten Bariton. Ungewöhnlich stark war seine Darstellung<br />

als Gefolgsmann von Tristan. Das Mitgefühl für seinen Herrn,<br />

das Mit-Leiden brachte er mit intensiver Mimik und Körpersprache zum<br />

Ausdruck. Auf gutem Niveau sangen Jundong Kim den Verräter Melot,<br />

Markus Gruber den Hirten, Chun Hoe Kim den Steuermann und Kai-<br />

Ingo Rudolph den Seemann. <strong>Der</strong> Herrenchor mit Extrachor des Hauses<br />

war von Marbod Kaiser tadellos einstudiert.<br />

Eine außergewöhnliche Aufführung! Man war gefesselt von der hohen<br />

Qualität der musikalischen Durchführung dieses äußerst schwierigen<br />

Werkes und den <strong>neue</strong>n szenischen Ideen. Das Publikum fühlte sich angesprochen<br />

und bedankte sich mit begeistertem Applaus. Leider war es die<br />

letzte Aufführung. Man kann nur hoffen, dass es eine Wiederaufnahme<br />

geben wird, denn diese tiefsinnige, durchdachte Inszenierung sollte nicht<br />

in Vergessenheit geraten. <br />

Inge Lore Tautz<br />

Joanna Konefal (Isolde) und Michael Baba (Tristan) (© Klaus Lefebre)<br />

am 21. Dezember 1861 an Mathilde Wesendonck aus Paris schrieb: „Dass<br />

ich den Tristan geschrieben, danke ich Ihnen aus tiefster Seele in alle Ewigkeit!“<br />

Auch musikalisch war der Abend ein Genuss. Das Symphonische Orchester<br />

des Landestheaters fand unter der Leitung seines <strong>neue</strong>n Generalmusikdirektors<br />

Lutz Rademacher zu einer außerordentlichen Leistung.<br />

Durch den nach hinten unter der Bühne erweiterten Orchestergraben, der<br />

vor allem alle Bläsergruppen aufnehmen kann, wurde ein ausgewogenes<br />

Klangbild geschaffen, das an Bayreuth erinnert. So werden die Streichergruppen<br />

nie übertönt, im Gegenteil. Weich und zart ertönt es aus dem Graben.<br />

Die Bläsergruppen standen dem in nichts nach, mit exakten, sauber<br />

geführten Klängen runden sie das ungewöhnlich schöne Hörerlebnis ab.<br />

Essen: „TRISTAN UND ISOLDE“ – 10.11.<br />

Vorbemerkung: <strong>Der</strong> „leise“ „TRISTAN“<br />

Gerade, als ich in Essen für die „Tristan“-Aufführung eingetroffen war,<br />

erhielt ich obigen Bericht und freute mich über die Meldung, wie eindrucksvoll<br />

Wagner an einer „Provinz“-Bühne ganz ohne Pomp sein kann.<br />

Ich hatte ja in Detmold auch schon mehrfach Wagner-Produktionen dieses<br />

Kalibers erlebt. Nach meiner Heimkehr las ich in einer Mail die folgenden<br />

Äußerungen des Nürnberger GMD Marcus Posch (dessen großartige<br />

„Tristan“-Wiedergabe in Nürnberg ich vor einem Jahr bewundert<br />

hatte): „Ein wichtiges Anliegen ist es mir, Wagners Musik aus dem Geiste Mendelssohns<br />

heraus zu dirigieren. Wenn man allein das Vorspiel zu „Rheingold“<br />

hört und „Die schöne Melusine“ im Ohr hat, dann weiß man, an welchen<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 53

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