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Deutschland<br />

Dann aber lang anhaltender Jubel, Gejohle und Standing Ovations für<br />

diese glühende Darbietung, die die Mehrheit der Musicals zu lauwarmen<br />

Übungen degradiert. Hinrennen, anrufen, eine Mail schreiben –<br />

das wäre jetzt ein Muss. Doch schon vor der Premiere waren die Folgenvorstellungen<br />

ausverkauft. Wer Glück hat, bekommt noch eine Restkarte<br />

an der Abendkasse oder muss auf den Frühsommer 2014 hoffen. <br />

<br />

Ursula Wiegand<br />

Konzerthaus Berlin: Leonard Bernsteins: „A QUIET PLACE”,<br />

konzertante Kammerfassung, 27.11.<br />

Maria and Toni - Julia Giebel und Tansel Akzeybek (© Iko Freese)<br />

Komische Oper mit Julia Giebel als Maria und Tansel Akzeybek als<br />

Tony in den eigenen Reihen. Die beiden trifft, das wird spürbar, die Liebe<br />

wie ein heller Blitz aus dem hier düsteren Himmel.<br />

Bei Tonys „Maria, Maria, Maria“ muss jedes Frauenherz schmelzen, und<br />

beim gemeinsamen „Tonight, tonight“ haben die Zwei nicht nur den (vorläufigen)<br />

Sieg über die Grenzlinien ihrer verfeindeten Gangs gewonnen,<br />

sondern auch die Herzen des Publikums. Diese Anteilnahme wächst noch<br />

im Verlauf, zumal Tansel Akzeybeks Tenor immer mehr an Wärme, Volumen<br />

und schließlicher Tragik gewinnt. Super!<br />

Denn auch Bernsteins Version von Shakespeares „Romeo und Julia“ endet<br />

bekanntlich in der Katastrophe, scheitert an der Gewaltgier, die den Vermittler<br />

(Tony) im Affekt selbst zum Mörder werden lässt. Nach dem Tod<br />

seines Freundes Riff stößt er Bernardo, Marias Bruder, das Messer ins Herz.<br />

Noch ahnt Maria nichts von dieser Eskalation und trällert spritzig „I feel<br />

pretty“. Danach bleibt nur fassungsloses Erschrecken, das jedoch in die Dennoch-Hoffnung<br />

auf ein friedliches Leben weit weg von der Großstadt mündet.<br />

Dieser 2. Akt, in dem ungezügelte Gewalt auch zwei Liebende zerstört,<br />

kann leicht in den Kitsch abgleiten, tut es hier aber nicht.<br />

Die Spannung bleibt erhalten, mucksmäuschenstill verfolgt das Publikum<br />

das schlimm-traurige Geschehen, auch die Vergewaltigung der Anita (Marias<br />

Freundin) von der anderen Gang.<br />

Das Gegengewicht bilden die anhaltend innigen Liebesbekundungen von<br />

Maria und Tony. Beide wollen beim Tod von Bernardo nicht stehen bleiben.<br />

Doch das Idyll endet abrupt. Tony, von einer Fehlmeldung Anitas sichtlich<br />

erschüttert, lässt sich widerstandslos vom herbei gerufenen Konkurrenten<br />

Chico (Kevin Foster) abknallen. Maria hält den Sterbenden in den Armen.<br />

Nun wird hier nicht mehr opernmäßig gesungen, Tony röchelt sein Leben<br />

aus, Maria setzt nur einige leise hohe Töne. Wunderbar und lebensecht.<br />

Und es hat gar nichts genützt, dass der mutige Obsthändler Doc (Peter<br />

Renz in einer Sprechrolle) die Gewalttätigen zuvor auseinander gejagt<br />

hatte. Die beiden Polizisten (Christoph Späth und Philipp Meierhöfer)<br />

hatten ein Eingreifen eh nur vorgetäuscht, während sich die jugendlichen<br />

Intensivtäter über den Sozial-Ansatz heutiger Tage lustig machten.<br />

(Deutsche Fassung von Frank Thannhäuser und Nico Rabenald).<br />

Wer nur Leonard Bernsteins schmissige „West Side Story“ mit ihren<br />

Ohrwürmern kennt, wird beim kurzen Hineinhören in „A Quiet Place“<br />

kaum vermuten, dass der auch diese Musik geschaffen hat, solch einen<br />

weitgehend dissonanten Parcours durch Dodekaphonie über streng Serielles<br />

bis zu diatonischen Choralklängen. „Trouble in Tahiti“ hieß die zunächst<br />

einaktige, 110 Minuten dauernde Oper von Bernstein und dem<br />

Theaterregisseur Stephen Wadsworth. Die aber stieß bei der Uraufführung<br />

am 17. Juni 1983 in Houston/Texas weitgehend auf Ablehnung. Nicht<br />

nur die ungewohnt extreme Komposition verstörte das Publikum, sondern<br />

auch das Thema: eine zerrüttete Familie mit all ihren, auch sexuellen<br />

Besonderheiten. Ein Tabubruch sondergleichen zur damaligen Zeit. Da<br />

Bernstein selbst mit dieser ersten Fassung unzufrieden war, wurde sie revidiert<br />

und in eine dreiaktige<br />

Oper verwandelt, die 1984<br />

in Mailand und dann –<br />

mit weiteren Korrekturen –<br />

1986 unter Bernsteins Leitung<br />

in Wien aufgeführt und<br />

auf CD eingespielt wurde.<br />

<strong>Der</strong> Maestro sah in diesem<br />

Werk einige seiner kreativsten<br />

Ideen verwirklicht, doch<br />

ein dauerhafter Erfolg stellte<br />

sich auch nach diesen Änderungen<br />

nicht ein, zumal die<br />

Darbietung wegen der erforderlichen<br />

72 Instrumentalisten<br />

äußerst aufwändig war.<br />

Die New Yorker Neuproduktion<br />

in 2008 verpuffte ebenfalls.<br />

Aus diesem Dilemma zog<br />

Garth Edwin Sunderland<br />

vom Leonard Bernstein Office,<br />

unterstützt vom Dirigenten<br />

Kent Nagano, die<br />

Konsequenzen. Er hat eine<br />

Kammerfassung für nur 18<br />

Kent Nagano dirigiert Bernstein-Rarität<br />

(© Felix Broede)<br />

Instrumentalisten geschaffen, die nach seiner Meinung das Beste aus der<br />

ersten und der revidierten Fassung kombiniert. Außerdem sind die einzelnen<br />

Teile neu geordnet.<br />

Im Konzerthaus Berlin war die 105-minütige konzertante Uraufführung<br />

dieser Zusammenfügung zu erleben. Unter der Stabführung von<br />

Kent Nagano gestalten das Ensemble Modern und Vocalconsort Berlin<br />

sowie zahlreiche britische Sänger diese Bernstein-Hommage. „Bestattungsinstitut“,<br />

„Das Haus der Familie“ und „<strong>Der</strong> Garten“ heißen die drei<br />

Akte. Doch hinter den harmlosen Bezeichnungen verbergen sich ungeahnte<br />

Abgründe.<br />

Anlass des Familientreffens ist der tödliche Autounfall von Dinah, Sams<br />

Frau. Wie es ein späterer, mit Keksen garnierter Abschiedsbrief nahe legt,<br />

war es ein Selbstmord. Das Ehepaar lebte getrennt. Auch die Kinder – die<br />

schöne Dede (Didi gesprochen) und der schwule Sohn, nur Junior genannt<br />

– waren weggezogen.<br />

44 | DER NEUE MERKER 12/2013

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