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Deutschland<br />

Einfach „Schwamm drüber“ und, lebensklug geworden weitermachen wie<br />

vorher – diese Aufforderung von Don Alfonso stieße heutzutage eher auf<br />

taube Ohren. In der <strong>neue</strong>n Inszenierung des bekannten lettischen Schauspielers<br />

und Theaterregisseurs Alvis Hermanis an der Komischen Oper<br />

wird das deutlich. Bei ihm steht der zynische Ideengeber dieser Treue-<br />

Wette zuletzt recht zerknirscht da, als er merkt, was er angerichtet hat.<br />

Und müsste diese Oper nicht eher „Così fan tutti“ heißen? Schließlich<br />

sind es die Männer, die ihre Verlobten zu Testpersonen degradieren und<br />

deren Bedürfnis nach Liebe – übrigens ohne Rücksicht auf den Kompagnon<br />

als nur „ziemlich beste Freunde“ – voll auskosten? Verstört schaut der<br />

eine dem anderen bei der Verführung der eigenen Geliebten zu.<br />

Dass sich die beiden Frauen, angefeuert durch die mit allen Liebeswassern<br />

gewaschene Despina, „rumkriegen“ lassen, macht Hermanis verständlich.<br />

Er versetzt das Geschehen zunächst in eine sterile Restaurationswerkstatt<br />

(Bühnenbild: Uta Gruber-Ballehr). Alle arbeiten in weißen Kitteln und<br />

sind offenbar gefühlsmäßig unterkühlt. Die anfangs ungeschickten Annäherungsversuche<br />

der Männer finden bei den beiden ernsten, bebrillten<br />

Frauen eher Erstaunen, wecken aber Neugier und Sehnsüchte.<br />

Alvis Hermanis, nach eigener Aussage geschichtsbewusst, führt uns den durch<br />

die Verkleidung der Herren verursachten Stimmungswechsel alsbald tatsächlich<br />

und nicht ohne Ironie vor Augen. Bis auf Despina, hier als schwangere<br />

Putzfrau agierend (Mirka Wagner mit koloratursicherem Mezzo), werden die<br />

Paare wie zu Mozarts Zeiten ausstaffiert (Kostüme: Eva Dessecker).<br />

Schon die Rokoko-Gemälde, die von Anfang an die Bühne bevölkern<br />

und per Video (Ineta Sipunova) die Erotik jener Epoche detailreich vor<br />

Augen führen, haben die Richtung vorgegeben. Und bevor die Verkleidungsszene<br />

mit dem Partner-Wechsel beginnt, wurden bereits die Männerbildnisse<br />

auf den Staffeleien ausgetauscht, an denen die beiden Restauratorinnen<br />

zuvor gearbeitet haben.<br />

Nun beginnt ein turbulentes Drunter und Drüber auf dem Sofa. Die Männer<br />

grabschen nach den Frauen, doch die flüchten. Im 2. Akt, der insgesamt<br />

mehr hergibt, hantieren die Schwestern, teils unbeholfen, teils lüstern,<br />

mit einem dicken Entlüftungsschlauch, der womöglich die Schlange<br />

aus dem Paradies darstellen soll.<br />

Dorabella will sich als erste was gönnen und verschwindet mit ihrem Galan<br />

in einem Zimmer. Durch dessen Scheiben können wir das Geschehen<br />

beobachten. Selbst Fiordiligi, die Konservativere, lässt – wie auf einem Fragonard-Gemälde<br />

auf der Schaukel schwingend – Ferrando gerne unter ihre<br />

fliegenden Röcke gucken, bereut aber bald ihren (nicht gezeigten) Fehltritt.<br />

Wie sich das entwickelt und von einem Extrem ins andere kippt, wird<br />

überzeugend gespielt und zumeist auch gut gesungen. Den Don Alfonso,<br />

Cosi fan tutte - so machen es alle? (© Rittershaus)<br />

Initiator der üblen Wette, gibt Tom Erik Lie mit gebotenem Besserwisser-Zynismus<br />

und klangreichem Bariton. Dem Guglielmo verleiht Dominik<br />

Köninger, ebenfalls Bariton, stimmlich und darstellerisch gute Figur.<br />

Beim Gast Aleš Briscein (Ferrando) wird jedoch der Tenor im Forte<br />

einige Male platt und lässt mitunter Intonationstrübungen hören. Wenn<br />

er italienisch singt, tritt das weniger zu Tage. (In dieser Aufführung wird<br />

mal Deutsch, mal Italienisch gesungen).<br />

Am besten gefallen mir die beiden Damen. Die müssen sich jedoch (ebenso<br />

wie die Herren) öfter gegen Henrik Nánási durchsetzen, der das Orchester<br />

der Komischen Oper eher straff und lebhaft als lyrisch-schmeichlerisch dirigiert.<br />

Die US-Amerikanerin Nicole Chevalier, als Fiordiligi Guglielmos<br />

Partnerin, kann sich mit ihrem kräftigen Sopran dennoch überzeugend Gehör<br />

verschaffen. Theresa Kronthaler, jung und hübsch, wird mit schlankem<br />

Mezzo und mancher Munterkeit dem Namen Dorabella durchaus gerecht.<br />

Dem Beinahe-Heiratsfest folgt der Kater. Die ertappten Frauen wünschen<br />

sich (zumindest verbal) inbrünstig singend den Tod (Zwischenbeifall, insbesondere<br />

für Nicole Chevalier). Die gewonnene Erkenntnis ist für alle<br />

eine bittere Medizin, selbst wenn der gemeinsame Schlussgesang, angeführt<br />

von Don Alfonso, zu Klugheit und Versöhnung aufruft. Die zuvor<br />

heile Welt, an der wohl auch Mozart gezweifelt hat, ist kaputt. Ein Paar<br />

stiebt auseinander, das andere arrangiert sich vielleicht.<br />

Zuletzt kräftiger und anhaltender Applaus für alle Sänger, mit einigen<br />

Phon mehr für die Damen. Viel Zustimmung auch für Henrik Nánási<br />

und das Orchester, einige wenige Buhs fürs Regieteam, die vom Beifall<br />

schnell übertönt werden. Insgesamt keine außerordentliche „Così“, aber<br />

eine passable, die vermutlich dank Mozart ihren Weg machen wird.<br />

<br />

Ursula Wiegand<br />

Weitere Termine: 9. und 15. November, sowie 1., 10., 15. und 19. Dezember,<br />

wieder ab Mai 2014 (www.komische-oper-berlin.de)<br />

Komische Oper: Jubel umtoste Premiere von<br />

„WEST SIDE STORY“ – 24.11.<br />

Jubel ist gar kein Ausdruck für all die Begeisterung, die schon im Verlauf<br />

der „West Side Story“-Premiere immer wieder durch die Komische Oper<br />

Berlin brandet. Intendant Barrie Kosky hat einen <strong>neue</strong>n Knaller und sicherlich<br />

einen Dauerbrenner gezündet und dabei die hochgeschraubten<br />

Erwartungen noch übertroffen.<br />

Gemeinsam mit Otto Pichler hat er dieses krasse Kunstwerk von Leonard<br />

Bernstein aus dem New York der 1950er Jahre gekonnt ins Heute überführt,<br />

aus dem damaligen Amerika in die globalen Großstadt-Slums, wo<br />

mehr denn je die Gewalt grassiert. Vor allem bei den Tanzszenen (Choreographie<br />

Otto Pichler) wird das überaus deutlich.<br />

Zunächst sehen wir nur einen einzigen Ballkünstler auf einem markierten<br />

Basketball-Feld, doch dann stürmen die alteingesessenen Jets unter Führung<br />

von Riff auf die weitgehend kahle Bühne, die ihnen viel Platz zum<br />

Austoben lässt. Und den nutzen diese durchtrainierten Breakdance-Akrobaten<br />

aufs Allerbeste. Sie rasen, rollen über den Boden, schlagen Salti,<br />

klettern geschwind die Leitern an beiden Seiten empor. Einige, insbesondere<br />

Daniel Therrien, Chef der Riffs, kann dazu noch gut singen. Wo<br />

haben Kosky und Pichler diese Allround-Talente aufgegabelt?<br />

Ihre Konkurrenten, die aus Puerto Rico zugewanderten Sharks unter Führung<br />

von Bernardo (Gianni Meurer), eher tätowiert als gekleidet (Bühne<br />

und Kostüme Esther Bialas), stehen ihnen an Körperkönnen und Aggressivität<br />

keineswegs nach. Sie alle räumen sogleich beim Beifall ab, ebenso<br />

die rasant-charmante Girl-Truppe mit dem Temperamentsbündel Sigalit<br />

Feig (die spätere Anita) und dem Song „I like to be in America“. Für den<br />

vollen Sound sorgen zusätzlich einige Chorsolisten des Hauses.<br />

Die treibende Kraft bei diesen Ausbrüchen ist jedoch das Orchester der<br />

Komischen Oper Berlin unter Koen Schoots. <strong>Der</strong> setzt auf straffe Tempi,<br />

der spitzt die Synkopen zu, lässt aber auch die lyrischen Partien warm aufleuchten.<br />

Die Instrumentalisten musizieren diese knifflige Partitur, die<br />

europäische Operettentradition mit altjüdischen Klängen und US-Jazz<br />

genial kombiniert, mit solcher Verve, als täten sie das jeden Tag. So gut<br />

und so plausibel habe ich das weltbekannte Stück noch nie gehört und<br />

erlebt. Diese <strong>neue</strong> Berliner Variante stellt sogar das New Yorker Original<br />

und den berühmten Film in den Schatten.<br />

Doch was wäre das Stück ohne das passende Liebespaar? Das besitzt die<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 43

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