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Der neue Merker

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Tanzwelt<br />

taphern zurück. Angefangen bei der spartanisch ausgerichteten Bühne,<br />

in deren Mitte sich eine geschwungene halbhohe Wand für die schnellen<br />

Szenenwechsel dreht und mal ein Miniatur-Dorf mit Fachwerkhäuschen<br />

als Verortung des Geschehens oder ein paar Tische zu sehen sind.<br />

Die Einbeziehung letzterer wie auch von Stühlen in den choreographischen<br />

Aufbau wirkt inzwischen doch etwas abgegriffen, weil die Figuren<br />

und die damit verbundenen Bewegungsmuster doch zu sehr vielen Vorgänger-Arbeiten<br />

gleichen und keine werk-spezifische Verwendung mehr<br />

bedeuten. Optisch erinnert vieles an seine einige Jahre zuvor entstandene<br />

„Leonce und Lena“-Choreographie, quasi als tragisches Spiegelbild zum<br />

absurd ironischen Lustspiel Büchners.<br />

Nicht nur die die gesellschaftliche Norm verkörpernden Tanzpaare als Gegenbild<br />

zu den Bauern aus der Komödie, auch die Uniformen und Zylinder,<br />

die weitgehend schwarz-graue Ausrichtung der Kostüme (Emma<br />

Ryott) sowie auch der eckige, vielfach abgewinkelte Einsatz der Arme wurden<br />

von Spuck schon vielfach angewandt.<br />

Die Doppelbödigkeit der Charaktere zwischen Täter- und Opfer-Funktion<br />

sowie zwischen der Kreatur Woyzeck, Marie und ihren Demütigen<br />

kommt sowohl im Tanz als auch in der raffinierten Einbeziehung verschiedener<br />

Musik-Auswahlen zum Vorschein. Alfred Schnittke, György Ligeti,<br />

Phillip Glass, Bach und der beständig mit elektronischen Möglichkeiten<br />

arbeitende Komponist Martin Donner stehen für eine Vielfalt zwischen<br />

passenden Jahrmarkts-/Spieldosenklängen, live erfolgender Trommelwirbel,<br />

originell verfremdeten Polkas und Walzern sowie brillante Höhepunkte<br />

aufbauender Film-Musik. Schade nur, dass der Orchesterpart den Gastspiel-<br />

Umständen geopfert werden und eine Band-Aufzeichnung herhalten musste.<br />

Aber auch ohne das klangliche Live-Erlebnis setzte das Geschehen Emotionen<br />

frei, ließ einen, wie es auch Büchner beabsichtigt hatte, mit Woyzecks<br />

Ohnmacht mittrauern. Speziell in den Szenen mit Marie hebt die Choreographie<br />

zu Höhenflügen großzügigen Ballett-Vokabulars ab, während den<br />

holzschnittartigen, Karikaturen gleichenden Figuren der Peiniger entsprechend<br />

eckigere, mechanische Bewegungen zugeordnet sind.<br />

Im Falle der Titelrolle hat Spuck auf einen für diese Rolle ungewöhnlich<br />

jungen Tänzer gesetzt und Recht behalten. <strong>Der</strong> große schmächtige Belgier<br />

Jan Casier identifiziert sich total mit dem geschundenen und von seiner<br />

Umwelt getriebenen Soldaten bis in die kleinsten Partikel seines meist dicht<br />

am Körper und Kopf entlang gehaltenen Bewegungs-Kanons, der bereits<br />

in seinem ersten Auftritts-Solo in komprimierter Form vorgeführt wird.<br />

Wie befreit, von einem Funken Hoffnung getragen, agiert er in den Szenen<br />

mit Marie, die mit der Ex-Stuttgarterin Katja Wünsche sehr aufrichtig besetzt<br />

ist, mit einer Mischung aus Reife und Losgelassenheit. Dabei macht<br />

sie spürbar, dass sie die Armut des Geliebten weg von ihm in die Arme des<br />

Frauen imponierenden Tambourmajors treibt, der ihr Ohrringe schenkt, die<br />

dann Woyzecks Eifersucht bis zur wahnhaften Obsession steigern. Ihre tragische<br />

uneheliche Beziehung, gekettet durch den gemeinsamen Sohn, gipfelt<br />

in der musikalisch formidabel umhüllten Ermordung Maries unter einer<br />

angestrahlten Wasser-Gischt. Selbst da ergreift der Choreograph noch<br />

Partei für den ausweglosen Mörder, was auf der anderen Seite noch durch<br />

den sehr viel Sympathie ausstrahlenden Belgier unterstützt wird.<br />

In die Begeisterung wurde auch das weitere Ensemble und Christian<br />

Spuck selbst einbezogen, besonders der einstige Stuttgarter Publikumsliebling<br />

William Moore für seinen herrlich gockelhaften und athletisch<br />

stolzen Tambourmajor. Passende Profile hatten auch Christian Alex Assis<br />

als Hauptmann, Manuel Renard als Doktor, Filipe Portugal als Professor,<br />

Ty Gurfein als Andres und Galina Mihaylova als Margret. Udo Klebes<br />

Györ:„EIN SOMMERNACHTSTRAUM“ –<br />

16.11.<br />

Ein typischer Novembertag – nasskalt, sehr nebelig – verlockte dennoch<br />

zum Abstecher zu sommerlichen Reminiszenzen im Nationaltheater in<br />

Györ zur <strong>neue</strong>sten Ballettproduktion (Premiere war am 19.10.): „Ein Sommernachtstraum“<br />

in der Choreographie von Youri Vamos. Die Uraufführung<br />

von diesem Stück gab es bereits 1995 im Theater Basel.<br />

Die Intention des Choreographen ist es, vor allem klassische Ballettthemen<br />

in <strong>neue</strong>r Fassung und teilweise veränderter Handlung zu erschaffen.<br />

In seiner Version des Shakespeareschen Liebesverwirrspiels wird das neckische<br />

Treiben durch 2 Kobolde – Puck und Robin – durcheinandergewirbelt;<br />

lässt er die Irrungen statt in dezent-ästhetischer Andeutung in<br />

derb-deftiger Manier stattfinden. Es gibt viel Slapstick und viel Pantomime;<br />

aber auch schön getanzte Corps de ballet-Szenen in Gruppenformation.<br />

Als Mittel zum Liebeszauber kommt statt einer Wunderblume<br />

ein Glitzerhandschuh á la Michael Jackson zum Einsatz.<br />

Kostümmäßig ist die reale Handlung aus dem antiken Griechenland in die<br />

Jetztzeit versetzt; die Bühnenausstattung ist gut gelungen und lässt durch<br />

einfaches und praktikables Umdrehen der Büsche den raschen Wechsel vom<br />

Zauberwald in die Realität zu. Die Feenwelt ist durch silber- bzw. grünglänzende<br />

Ganzkörpertrikots gekennzeichnet; die Handwerker tragen Lederhosen<br />

– sogenannte „Krachlederne“, während bei den Liebespaaren die Mädchen<br />

in duftigen Blümchenkleidchen die Männer becircen, die in Hemd,<br />

Hose und Gilet durch entsprechende Farbgebung die Pärchenzusammengehörigkeit<br />

dokumentieren. Musikalisch kommen neben der eigentlichen<br />

Sommernachtstraum-Musik (aus der Konserve) noch andere Kompositionen<br />

von Felix Mendelssohn-Bartholdy zum Einsatz. Die beiden Liebespaare<br />

sind es auch, die durch Lebensfreude, unbeschwerte Fröhlichkeit und<br />

intensives Ausdrucksspiel am besten gefallen: Melinda Berzéki (Helena)<br />

und Krisztián Horváth (Demetrius) sowie Tatjana Shipilova (Hermia)<br />

und Artem Pozdeev (Lysander) finden letztendlich zueinander.<br />

Die beiden Schabernack treibenden Kobolde sind bei Daichi Uematsu<br />

(Puck) und Tamás Szanyi (Robin) bestens aufgehoben. Souverän über<br />

allem steht Balázs Pátkai als Feenkönig Oberon, ihm zur Seite Georgina<br />

Szendrei als hoheitsvolle Feenkönigin Titania, die sich durch den eingesetzten<br />

Zauber in den Esel verliebt – Bálint Sebestyén verkörpert selbigen.<br />

Dem Publikum im ausverkauften Haus hat es gut gefallen – viel Applaus<br />

bei dieser Repertoirevorstellung! <br />

Ira Werbowsky<br />

Buch / STUTTGARTER BALLETT-ANNUAL<br />

Ein traditioneller und immer schon sehnsüchtig erwarteter Band: Im Stuttgarter<br />

Ballett Annual. Hg. vom Stuttgarter Ballett und der John Cranko Gesellschaft<br />

(ISBN978-3-9814688-1-6) stehen diesmal die Spielzeiten 2011/12 und 2012/13<br />

im Fokus. Auf 200 Seiten findet sich alles Wissenswerte und Informative aus den vergangenen<br />

beiden Saisonen über die weltberühmte Ballettcompagnie. Wie gewohnt<br />

und bewährt, ist auch dieser Band mit unzähligen wunderschönen Farbfotos versehen<br />

– darunter wird natürlich dem Abschied von Christian Spuck, Katja Wünsche<br />

und William Moore sowie Alexander Zaitsev ebenso ausgiebig Raum gewidmet<br />

wie dem Jubiläum zu 50 Jahren „Romeo und Julia“. Als Bildimpressionen festgehalten<br />

sind auch die Gastspiele in Japan, Korea, China und zuletzt Moskau. Im Betrachten<br />

der Fotos fühlt man sich wie mitten drin in diesen lebhaften Geschehnissen<br />

– wunderbare Momente sind für die Ewigkeit festgehalten. Auch die Nachrufe<br />

auf die beiden wesentlichen Persönlichkeiten der aktuellen Ballettgeschichte finden<br />

sich im Annual: auf den unvergleichlichen Welttänzer Richard Cragun und auf den<br />

Ballettpapst Horst Koegler.<br />

Um der Bedeutung der international sehr renommierten Balletttruppe Rechnung<br />

zu tragen, sein alle Beiträge natürlich sowohl auf deutsch als auch auf englisch abgedruckt.<br />

Neben dem Vorwort des Ballettintendanten Reid Anderson gibt es auch<br />

ein ausführliches Interview mit ihm; ein Grusswort der John Cranko Gesellschaft<br />

und einen Artikel über selbige findet sich ebenso im Buch. Als Portraits werden die<br />

Tänzer Hyo-Jung Kang, Alexander Jones, Myriam Simon und Arman Zazyan sowie<br />

der <strong>neue</strong> Stuttgarter Hauschoreograph Demis Volpi vorgestellt. Die Spielzeitberichte<br />

rufen nochmals die vergangenen Highlights in Erinnerung. <strong>Der</strong> Beitrag über<br />

40 Jahre John Cranko Schule widmet sich dem Jubiläum der außergewöhnlichen<br />

Talenteschmiede. Vor den Vorhang geholt werden diesmal auch diejenigen, die für<br />

die gelungenen Aufführungen zuständig sind: die Ballettmeister. Ohne deren unermüdliche<br />

Arbeit im Hintergrund würde keine Vorstellung stattfinden können. Weiters<br />

wird die Initiative Stuttgarter Ballett JUNG vorgestellt – das Programm für<br />

die Jugend, das Angebot für Schulklassen und Familien. Den Abschluss bilden die<br />

Auflistung aller Compagnie-Mitglieder und vom Leading Team samt Portraitfotos<br />

und die Übersicht über die Vorstellungen (darunter alle Premieren und Wiederaufnahmen)<br />

mit den Besetzungen sowie anderen Veranstaltungen mit dem Stuttgarter<br />

Ballett bzw. der John Cranko Schule. Die Beiträge stammen von Nikolai Forstbauer,<br />

Claudia Gass, Andrea Kachelrieß, Udo Klebes, Hartmut Regitz, Angela<br />

Reinhardt, Kristina Scharmacher und Gary Smith. Eine wunderschön aufbereitete,<br />

sehr umfassende Dokumentation einer großartigen Ballettcompagnie – ein absolutes<br />

Muss für jeden Ballettinteressierten. <br />

Ira Werbowsky<br />

40 | DER NEUE MERKER 12/2013

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