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Tanzwelt<br />

türe schnell erschließen. Das Szenario ist wenig originell: „Das bekannte<br />

Cranko-Medley von Märchenmotiven zwischen ‚Aschenbrödel’ und ‚La Belle<br />

et la Bête’, mit einer Prise ‚König Lear’ und ‚Turandot’.“ (So der Ballett-Kritiker<br />

Horst Koegler in einer zornigen Rezension der Straßburger Fassung<br />

von Bertrand d’At 2002.) Schon die Namen der beiden weiblichen Hauptrollen,<br />

Belle Epine (Schöner Dorn) und Belle Rose (Schöne Rose) führen<br />

die Handlung unweigerlich ins Klischee. Dass der Choreograph Kenneth<br />

McMillan für eine Neuinszenierung 1989 am Royal Ballett zusammen<br />

mit dem Schriftsteller Colin Thubron eine psychologisch vertiefte Version<br />

entwickelte, half der Rezeption auch nicht auf. Dabei gab sich Benjamin<br />

Britten bei der Komposition viel Mühe, einen fernöstlichen Tonfall<br />

zu finden und unternahm dafür 1956 sogar eine Studienreise nach Bali.<br />

Das berühmte, doch zu selten aufgeführte Britten-Ballett ist wieder im Repertoire<br />

Und er weigerte sich zeitlebens, einer Kürzung seiner Musik zuzustimmen.<br />

In Kaiserslautern erleben wir nun den „Pagodenprinzen“ als Kammerspiel-<br />

Version auf der Werkstattbühne in einer um eine Stunde auf ca. 90 Minuten<br />

gekürzten Version. Die Musik kommt vom Band – wie die Nachfrage<br />

ergab, in einer Aufnahme mit dem BBC Symphony Orchestra unter Leonard<br />

Slatkin. In zwei Szenen (Luft und Wasser) hat Ballettdirektor Stefano<br />

Giannetti zudem die Musik gestrichen und stattdessen Geräusche<br />

unterlegt. So kommt man also leider um die Chance, ein großes Orchester<br />

mit sechs balinesisch agierenden Schlagzeugern zu erleben. Für die<br />

kleine Lösung sprechen dennoch zwei Argumente: Das aufwändige Originalszenario<br />

hätte die kleine Kaiserslauterner Ballettkompanie personell<br />

überfordert – und es hätte unweigerlich die Erwartung nach einer repräsentativen<br />

Ausstattung à la „Land des Lächelns“ befördert. So aber bietet<br />

sich die Chance, dem Klischee zu entkommen.<br />

In seiner Choreographie folgt Giannetti in den Grundzügen der von<br />

Cranko entworfenen Handlung. Einige Nuancen scheinen von McMillan<br />

entlehnt. Im Reich der Mitte erwartet der amtsmüde Kaiser (Chris<br />

Kobusch) vier Könige; mit einem von ihnen will er seine ältere Tochter<br />

Belle Epine (Laure Courau) verheiraten. Diese fängt Feuer für den vor<br />

Männlichkeit strotzenden König des Südens (Salvatore Nicolosi). <strong>Der</strong><br />

aber entfernt sich, ohne um ihre Hand angehalten zu haben. Da erscheint<br />

ein Bote des Pagodenprinzen mit einem Kästchen. Belle Epine vermag es<br />

nicht zu öffnen, allerdings ihre jüngere Schwester Belle Rose (Gabrielle<br />

Limatola), die nun mit dem Boten (wiederum Salvatore Nicolosi) durch<br />

die Elemente Luft, Wasser und Feuer ins geheimnisvolle Land des Prinzen<br />

reist. Ein faszinierender Salamander entpuppt sich als der verwandelte<br />

Pagodenprinz (Kei Tanaka). Die beiden verlieben sich. In der Heimat<br />

hat inzwischen Belle Epine die Macht an sich gerissen und den Vater<br />

eingekerkert. Belle Rose kehrt in Begleitung des Prinzen zurück. Sie befreien<br />

den Vater, der gerne in die Eheschließung einwilligt, und setzen<br />

Belle Epine ab. Dieser verzeiht der Kaiser und vermählt sie mit dem König<br />

des Südens, der sich inzwischen entschlossen hat. Ausgiebig wird die<br />

Doppelhochzeit begangen.<br />

Vor einem blau leuchtenden Horizont beschränkt sich das Bühnenbild<br />

von Julia Buckmiller und Barbara Kloos auf ein Gestell, dessen Stangen<br />

mehrere Quader andeuten. Das reicht tatsächlich, um den kaiserlichen Palast<br />

mit Zimmern, Balkonen und Verlies zu erkennen. Alle weiteren Szenarien<br />

ergeben sich aus der Bewegungskunst der Darsteller. Weiß gekleidet<br />

sind die Normalsterblichen, grün der geheimnisvolle Prinz, blau und<br />

rot die Darsteller von Wasser und Feuer. <strong>Der</strong> Tanz ist fast ganz im klassischen<br />

Stil gehalten; allerdings haben Giannetti<br />

und sein Ensemble enorme Sorgfalt darauf verwendet,<br />

jede einzelne Rolle und jede Szenenfolge<br />

charakteristisch zu gestalten – bei zahlreichen<br />

Doppelrollen eine besondere Herausforderung.<br />

Pfalztheater-Dramaturgin Tanja Herrmann hat<br />

durchaus Recht, wenn sie im Programmheft ausführlich<br />

von dem faszinierender tänzerischen Ergebnis<br />

dieser Detailarbeit schwärmt. (Allerdings<br />

meine ich, dass das nicht ihre Kernaufgabe ist<br />

und sie eher über das wenig bekannte Stück hätte<br />

informieren sollen.)<br />

Eine deutliche dramaturgische Schwäche ist die<br />

Rückkehr Belle Roses an den Kaiserhof. Eine<br />

kleine Geste des Pagodenprinzen genügt, um<br />

die Usurpatorin zum Verzicht zu bewegen und<br />

den Kaiser zu befreien. Gerade im Verhältnis zu<br />

den ausufernden, in der Auftrittsfolge aber sehr<br />

geschickt gestaffelten Hochzeitsfeierlichkeiten<br />

müsste die Überwindung des Bösen auch als<br />

Anstrengung deutlich werden. Britten orientiert<br />

sich bei den repräsentativen Abschluss-Tänzen<br />

anscheinend an den neoklassizistischen Ballettmusiken<br />

von Sergej Prokofjew, ohne dabei auf<br />

eigene Akzente zu verzichten. Besonders auffallend<br />

ist ein Art Walzer, der mehr im geraden als im Dreiertakt steht. Da<br />

fragt man sich, wie viel an Parodie oder Ironie in der Partitur steckt und<br />

ob nicht auch die Choreographie stärker ironische Züge tragen könnte.<br />

Giannetti nimmt sie über weite Strecken sehr ernst. Bei den vier Bewerbern<br />

um Belle Epine gönnt er sich karikierende Momente. Für den alten<br />

Kaiser aber hat er eine wenig elegante, groteske Bewegungssprache entwickelt.<br />

Wie Chris Kobusch am Ende die Hochzeitsleute wegschickt und<br />

– froh, wieder seine Ruhe zu haben – sich mit aufgestütztem Kopf vorne<br />

auf den Bühnenboden setzt, ist dann doch sehr witzig. Andreas Hauff<br />

Ludwigsburg: Gastspiel des Ballett Zürich<br />

„WOYZECK“ – 27.11. – Mit wenig Neuem viel erreicht<br />

Zürichs Ballettdirektor Christian Spuck hat Georg Büchners Drama<br />

2011 für das Norwegische Nationalballett in Oslo für den Tanz adaptiert.<br />

Nun hat er es passend zum 200. Geburtstags des in Zürich gestorbenen<br />

und begrabenen Dichters mit seiner eigenen Compagnie einstudiert und<br />

damit im Rahmen der begehrten Tanzreihe des Ludwigsburger Forums<br />

für 2 Vorstellungen in der Nähe seiner alten Heimat gastiert.<br />

Genauso knapp wie das Drama des jung verstorbenen revolutionären<br />

Schriftstellers als damals sehr modern anmutend entworfen ist, hat Spuck<br />

die Übertragung auf die tänzerische Ebene vorgenommen. In 80 pausenlosen<br />

Minuten richtet sich der Blick konzentriert aufs Wesentliche.<br />

Wer von ihm dabei eine Entwicklung oder gar Veränderung seiner Stilmittel<br />

erwartet hatte, wurde enttäuscht, greift der ehemalige Stuttgarter<br />

Hauschoreograph doch auf seine mehr oder weniger bewährten Me-<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 39

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