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Tanzwelt<br />
Das genaue Gegenteil von Mikayelyans schwärmerischem Romeo war der<br />
gut aussehende elegante, jedoch kalte und adelsstolze Tybalt von Matej<br />
Urban. Auch Matej Urban tanzte seine Rolle in dieser Vorstellung zum<br />
ersten Mal. Schade, dass es auch für diese Saison schon wieder das letzte<br />
Mal war, zumindest in München. Man hätte ihm gerne noch bei der weiteren<br />
Entwicklung der Rolle zugesehen. Karen Azatyan war ein übermütiger,<br />
virtuoser Mercutio. Das „Montague-Trio“ wurde von Ilia Sarkisov<br />
als quirligem Benvolio komplettiert. Erik Murzagaliyev machte viel aus<br />
der undankbaren Rolle des Grafen Paris.<br />
Robertas Švernikas leitete das Bayerische Staatsorchester, das nach einiger<br />
„Einspiel-Zeit“ noch zu einer klangmächtigen, dramatischen Interpretation<br />
von Prokofjews herrlicher Musik fand. Insgesamt eine berührende<br />
Vorstellung. <br />
Gisela Schmöger<br />
Bayerisches Staatsballett: „ROMEO UND JULIA“ – 10.11.<br />
abends<br />
„So schön hab ich das noch nie gesehen“, seufzte mein Sitznachbar nach<br />
der überwältigenden Balkonszene in John Crankos „Romeo“-Realisation.<br />
Und in der Tat, da war nichts von Arbeit in dieser so anspruchsvollen, verausgabenden<br />
Szene zu bemerken – nur Liebe, ausgedrückt in edelstem Tanz<br />
und für jedermann verständlicher Körpersprache. Schon vorher ist man gefesselt<br />
wie Lucia Lacarra (Julia) allein „mit den Armen spricht“, geschweige<br />
denn letztlich mit dem gesamten Körper. Das ist schlichtweg faszinierend.<br />
Da sich ihr Partner Marlon Dino (Romeo) in ebensolcher Spitzenverfassung<br />
zeigte, gibt es wirklich nichts zu kritisieren, nur begeistert zu berichten.<br />
Einen brillanten Mercutio brachte Lukáš Slavický auf die Bühne, Javier<br />
Amo war Benvolio, Maxim Chashchegorov Prinz Paris und Cyril Pierre<br />
der bewährt finstere Tybalt.<br />
Robertas Šervenikas ging mit dem Orchester ganz schön in die Vollen,<br />
so dass die Tragik des Stückes dem Zuhörer akustisch manches Mal geradezu<br />
brutal entgegen geschleudert wurde. Dorothea Zweipfennig<br />
Bayerisches Staatsballett: „LA BAYADÉRE“ mit Polina Semionova,<br />
22.11.:<br />
Vom 22.11 bis 5.12. gibt es in München drei verschiedene Besetzungen von<br />
„La Bayadère“ (Choreographie: Marius Petipa, Patrice Bart) zu sehen, mit<br />
drei hochkarätigen Ballerinen in der Hauptrolle: Polina Semionova (22. und<br />
30.11.), Daria Sukhorukova (29.11.) und Lucia Lacarra (3. und 5.12.). Den<br />
Anfang machte am 22.11. Polina Semionova. Sie begeisterte das Publikum<br />
nicht nur mit ihrer technischen Brillanz und ihrem reinen klassischen Stil, sondern<br />
auch mit ihrer beeindruckenden Rollengestaltung. Im 1. Akt war sie die<br />
leidenschaftliche, für ihre Liebe in den Tod gehende Tempeltänzerin, im Schattenakt<br />
dann ätherisch kühl, aber dennoch sehr faszinierend. Ihr Partner als Solor<br />
war – wie auch schon bei ihrem letzen Auftritt als Nikija im März 2013 –<br />
Staatsballett-Solist Maxim Chashchegorov. Er konnte mit seiner feinen und<br />
zugleich intensiven Bühnenpräsenz und seinem eleganten, klassischen Stil sehr<br />
für sich einnehmen. Besonders schön und klar tanzt er das von Patrice Bart für<br />
die Münchner Produktion choreographierte Solo im 1. Bild, das wegen seines<br />
unkonventionellen Bewegungsflusses bei den meisten anderen Tänzern, die bisher<br />
in München den Solor getanzt haben, immer etwas unharmonisch aussah.<br />
Ivy Amista zeigte als Gamzatti ebenfalls eine hervorragende Leistung. Die anspruchsvolle<br />
Partie bereitet ihr keinerlei Schwierigkeiten, so dass sie die Schönheit<br />
und Brillanz dieser Rolle voll zur Geltung bringen kann.<br />
Auch die übrigen Solisten zeigten sich an diesem Abend in sehr guter<br />
Form, etwa Ilia Sarkisov als Goldenes Idol oder Lisa-Maree Cullum,<br />
Ekaterina Markowskaja und Ekaterina Petina in den Schatten-Soli. Das<br />
Corps de Ballet zeigte sich im Schattenakt ebenfalls auf sehr hohem Niveau.<br />
Die erste der drei Alternativ-Besetzungen war in jedem Fall schon<br />
mal ein voller Erfolg und man freut sich schon auf die noch folgenden<br />
Vorstellungen mit anderen, hoffentlich genauso mitreißenden Interpretationen.<br />
<br />
Gisela Schmöger<br />
Düsseldorf: Ballett am Rhein: „b.16“ – 13.10.<br />
Auch Martin Schläpfers 16. Programm beim Ballett am Rhein (in Düsseldorf<br />
und Duisburg) hat wieder eine dreiteilige Struktur, doch folgt diesmal<br />
mit Schläpfers eigener Choreographie „Nacht umstellt“ eine Großform<br />
auf zwei einleitende Miniaturen.<br />
„Afternoon of a Faun”, 1953 UA NYC Ballett, für Düsseldorf einstudiert von<br />
Anita Paciotti, vom Jerome Robbins dauert kaum länger als die dazugehörige<br />
Musik. Claude Debussys sinnliches „Prélude à l’après-midi d’un faun“, von<br />
den Düsseldorfer Symphonikern unter Wen-Pin Chien ist tanzgeschichtlich<br />
und inhaltlich ein hoch dosiertes Konzentrat. Historisch, weil er anspielt auf Vaslav<br />
Nijinskys berühmte Choreographie von 1912 zum selben Musikstück, die<br />
wegen ihrer untergründigen sexuellen Aufladung Skandal machte, inhaltlich,<br />
weil er diesem Stil- und Motivzitat eine zweite, reflektierende Ebene hinzufügt.<br />
Handfester geht es bei Hans van Manens „Without Words“ zu, 2010<br />
für Het Nationale Ballett kreiert, einstudiert von Mea Venema. <strong>Der</strong> Titel<br />
geht zurück auf die Idee des mit van Manen befreundeten Dirigenten<br />
Reinbert de Leeuw zu vier „Mignon-Liedern“ von Hugo Wolf als musikalische<br />
Grundlage. Operndirektor Stephen Harrison spielt am Klavier.<br />
Martin Schläpfers <strong>neue</strong>s Ballett „Nacht umstellt“ greift zu auf Musik zweier<br />
Komponisten, Franz Schuberts „Unvollendete“ ist eingerahmt von Salvatore Sciarrinos<br />
gesten- und geisterhaften Orchesterstücken „Il Suono e il tacere“ und<br />
„Shadow of Sound“ (2004 und 2005). Alle drei Stücke werden live und mit<br />
hoher Ausdrucksintensität von den Düsseldorfer Symphoniker unter Wen-Pien<br />
Chien gespielt. Die Außenschicht sind die 16 Deutschen Tänze D 783 Schuberts<br />
zu einer Aufnahme von Alfred Brendel aus 1988 und dem Männerchor<br />
„Die Nacht“ D 983c 1991 (Rundfunkchor Berlin unter Dietrich Knothe.)<br />
<strong>Der</strong> Abend treibt in die düstere Nacht-Seite der Romantik, ins Zwielicht, in<br />
den Zweifel. Er wird zum Sommernachts-Albtraum, wo einer dem anderen<br />
zum Gespenst wird. Sciarrinos sparsame, klagende und kratzige Musik wirkt<br />
wie eine Lupe, unter der die Gefühle des Verlassen seins zum Vorschein kommen.<br />
Im ganzen Ensemble wirkt die drahtige Marlúcia do Amaral wie die<br />
einzige, die nicht der Macht dieser Musik unterliegt, sondern sie zu bezwingen<br />
vermag. Mit energischen, blitzartigen Bewegungen wie eine Zauberin verscheucht<br />
sie schließlich Sciarrino und schafft Raum für die „Unvollendete“.<br />
Die aber erscheint fast wie eine Fortsetzung des Sciarrinoschen Nachtstücks.<br />
Es entfalten sich zwar Melodien, doch wirkt Schuberts Musik plötzlich<br />
eigenartig unberechenbar. In einem langen Solo reckt sich Yuko Kato<br />
immer wieder gen Himmel und wird von unsichtbarer Hand immer wieder<br />
heruntergedrückt. Anne Marchand geistert wie eine verstörte Giselle<br />
über die Bühne, mit starrem Blick in die Ferne und verliert ihren Partner<br />
Jackson Carroll aus den Augen. Höhepunkt des Spukhaften ist, wenn<br />
zu den kurzen Fortissimopassagen des langsamen Satzes fast die gesamte<br />
Bühnenmannschaft wie ein stampfendes Menschenknäuel vorbeizieht.<br />
Schubert gleitet wieder zurück in Sciarrino, und Marlúcia do Amaral hat<br />
am Ende noch größere Mühe, die bösen Geister zu verscheuchen. Am Ende<br />
bleibt sie übrig – mit Bruno Narnhammer und Bogdan Nicula, dem als einzigem<br />
die Nachtstimmungen nie so recht etwas anhaben konnten, zu Schuberts<br />
Männerchor-Vertonung „Die Nacht“. Ein wenig mehr lüftet sich die<br />
von Bühnenbildner Florian Etti entworfene dunkle Hinterwand, in der zuvor<br />
nur einzelne Risse den Blick auf das dahinter liegende Blau freigaben.<br />
Hinaus freilich kommt niemand aus dem Dunkel. Andreas Hauff<br />
Kaiserslautern: „DER PAGODENPRINZ“<br />
– 19.10.<br />
Indem es John Crankos und Benjamin Brittens Ballett „<strong>Der</strong> Pagodenprinz“<br />
(„The Prince of the Pagodes“) auf den Spielplan bringt, setzt das<br />
Pfalztheater in Kaiserslautern noch einmal einen besonderen Akzent<br />
zum Britten-Jahr. Das abendfüllende Werk, 1957 vom Royal Ballett in<br />
Covent Garden uraufgeführt, ist ein Stiefkind der Bühnen. Warum, lässt<br />
sich nach der Kaiserslauterner Aufführung und einiger begleitender Lek-<br />
38 | DER NEUE MERKER 12/2013