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Guiseppe Verdi<br />
Zu Gast auf Giuseppe Verdis Galeere – Ein Jahrzehnt wird beleuchtet<br />
Zum Geleit<br />
Um Giuseppe Verdis gesamtes Opernschaffen angemessen zu würdigen,<br />
braucht es ein ganzes Buch oder es gelingt dem Autor ein bündiger Aphorismus.<br />
Will und soll man einen Essay schreiben, so gilt es auszuwählen,<br />
also in heutiger Terminologie ein Sängerensemble, dessen Größe und vokale<br />
Kapazität bisweilen auf pragmatische Weise in künstlerische Belange<br />
eingriff, dem <strong>neue</strong>n Werk also Grenzen setzte oder Möglichkeiten bot.<br />
Verdi als schöpferischer Dramaturg<br />
Die Begeisterung des Komponisten für das Sprechtheater, sein Lesehunger<br />
und das Interesse für Weltliteratur reichen bereits in die frühe Jugend zurück<br />
und sollten sein Schaffen bis hin zu den späten Meisterwerken prägen<br />
und bestimmen. Besonders William Shakespeare hatte es ihm angetan,<br />
wie die Sujetwahl von „Macbeth“, „Otello“ und „Falstaff“ ganz deutlich<br />
zeigt. Sogar einen „König Lear“ wollte er vertonen, resignierte aber schließlich<br />
doch vor der Vielschichtigkeit des Stoffes und misstraute vielleicht<br />
auch den Fähigkeiten seiner Librettisten, denen er in einem dialektischen<br />
Schaffensprozess bei anderen Stücken durchaus Ansporn und anfeuernde<br />
Kritik zuteilwerden ließ. So schreibt er 1847 an Salvatore Cammarano<br />
zur geplanten Oper Alzira: „Lassen Sie die Sache nur leidenschaftlich sein,<br />
und Sie werden sehen, dass ich ganz ordentliche Musik schreiben kann.“ Die<br />
Hauptfiguren seines „Attila“ nennt Verdi Francesco Maria Piave gegenüber<br />
„tre carattere stupendi“. Für Macbeth aber hat der Komponist selbst ein<br />
Szenar gezimmert, dessen verbale Umsetzung er Piave mit dem Anspruch<br />
von „Erhabenheit und Kürze“ übertrug. Und als dieser seine Erwartungen<br />
nicht erfüllte, stellte er ihm für die beiden Schlussakte den bedeutenden<br />
José Carreras als Ritter Gaston in „Jérusalem“<br />
Schwerpunkte zu setzen, Leitlinien zu folgen. Als Kriterien dieser Zielsetzung<br />
können etwa der Bekanntheitsgrad der Werke, ihre musikalische<br />
oder dramaturgische Qualität, aber auch der innovative Grad oder<br />
die Herausforderung an Sänger, Dirigenten und Orchester dienen. Oder<br />
man hält sich wie dieser Beitrag einfach an eine zeitliche Vorgabe. Giuseppe<br />
Verdi hat im Dezennium zwischen 1840 und 1850 nicht weniger<br />
als 15 Opern komponiert, zählt man mit gutem Recht die französische<br />
Umarbeitung von „I Lombardi alla prima crociata“ (1843) zu „Jérusalem“<br />
als eigenes Stück.<br />
Die Bezeichnung Anni di galera stammt vom Komponisten selbst, als er<br />
im Jahr 1858 einen resümierenden Blick auf die zurückliegenden 16 Jahre<br />
seines Schaffens wirft, zu einem Zeitpunkt also, da der harte Frondienst<br />
nach eigener Einschätzung eben erst erfüllt war, der Komponist sich also<br />
endlich etwas zurücklehnen und stärker nach eigenem Impuls denn auf<br />
fremdes Geheiß hin kreativ sein durfte. Davor hatte er als Compositore<br />
scritturato, wie es in Italien damals hieß, in rascher Folge den wechselnden<br />
Opernaufträgen (also Scritture) verschiedener Häuser zu genügen. <strong>Der</strong> ästhetische<br />
Wunsch und der kommerzielle Bedarf nach <strong>neue</strong>n Opern (Opere<br />
dʼobbligo) waren in diesen Jahren schier unersättlich. <strong>Der</strong> jeweilige Impresario,<br />
ein meist im Pachtauftrag auf eigenes Risiko agierender Theaterdirektor,<br />
der nicht selten mehreren Opernhäusern vorstand, engagierte<br />
damals in Erfüllung seiner Impresa eine sogenannte Compagnia di canto,<br />
„...il di de la vittoria...!“ Birgit Nilsson als Lady Macbeth (beide © Fayer)<br />
2 | DER NEUE MERKER 12/2013