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Der neue Merker

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Tanzwelt<br />

dabei natürlich die Musik, denn Luciano Berios „Duetti per due violini“<br />

mögen anfangs in ihrer feingliedrigen, ganz nach innen horchenden<br />

Musikalität, so wie sie von Wolf-Dieter Streicher und Luminitza Petre<br />

in harmonischer Übereinstimmung ausgefüllt wird, die Dichte des choreographischen<br />

Ausdrucks unterstützen – der zunehmend kontrapunktische<br />

Verlauf der beiden Geigenstimmen driftet letztlich in die Beliebigkeit<br />

unorientierten Geschehens.<br />

Für die 18 TänzerInnen in schwarzen Slips bzw. Shorts und verschieden<br />

farbigen Tops von Stephen Galloway bedeutet das erstmals in Stuttgart<br />

getanzte Stück zweifellos eine wertvolle Erweiterung ihres Repertoires,<br />

des Beweises ihrer sicheren technischen Ausrüstung und ihrer Fähigkeit<br />

in solcher Abstraktion ein gewisses Maß an Seele mitschwingen zu lassen.<br />

Dass keiner der 6 eingesetzten Ersten bzw. Solisten hervortritt, sondern in<br />

die Gruppe mit den Halbsolisten und Corps de ballet-Tänzern gleichberechtigt<br />

integriert sind, spricht sowohl für den Leistungs-Standard letzterer<br />

als auch für den bewussten Ensemble-Charakter.<br />

Nach dieser schweren Kost bedeutete die Wiederaufnahme von Hans<br />

van Manens 2005 uraufgeführten „FRANK BRIDGE VARIATIONS“<br />

fast eine Erleichterung, ja Befreiung, obwohl die Ansprüche des holländischen<br />

Grandseigneurs nicht zu unterschätzen sind. Die Strenge seiner<br />

handlungslosen Werke wird durch das Aufgreifen stets <strong>neue</strong>r gesellschaftlicher<br />

Themen rund um den Eros, die durch viel Augenkontakt und gegenseitige<br />

Reaktion erzielte zwischenmenschliche Komponente sowie<br />

humorvoll ironisierte Abgänge gelockert und unter Spannung gehalten.<br />

Nichts lenkt von den in grünen, dunkelroten und schwarzen Trikots steckenden<br />

10 TänzerInnen ab, wenn sie Benjamin Brittens faszinierend<br />

Alicia Amatriain und Evan McKie - schnittig dramatisch in van Manens<br />

„Frank Bridge Variations“ (© Stuttg. Ballett)<br />

instrumentierte 10 Variationen eines Themas seines Lehrers Frank Bridge<br />

in glasklar ausgerichteten Linien mit den van-Manen-typischen neoklassischen<br />

Formen diagonal nach oben gestreckter Arme oder langsamem<br />

Schreiten mit wechselndem Ausdruck erfüllen, so wie Britten die einzelnen<br />

Abschnitte den verschiedenen Charaktereigenschaften seines Lehrers<br />

zugeordnet hat und dabei mehrere musikalische Stile von Vivaldi bis Strawinsky<br />

parodierend aufgreift. Den beiden Hauptpaaren gelingt das so bestechend<br />

gut, auf eine ganz uneitel virtuose Art, präzisest in jeder Haltung<br />

und im Timing des Aufeinander-Abgestimmt seins. Eine weiblich aparte<br />

Note steuert Maria Eichwald bei, Alicia Amatriain bildet das sportivere,<br />

wie gewohnt unendlich dehnbar scheinende Pendant, Evan McKie vereint<br />

Ernst und mitreißende Attacke, Marijn Rademaker verblüfft mit<br />

der scheinbaren Unvereinbarkeit von Akkuratesse und Lässigkeit. Und<br />

die 6 Solisten/Halbsolisten Rachele Buriassi, Miriam Kacerova, Alessandra<br />

Tognoloni, Roland Havlica, Roman Novitzky und Brent Parolin<br />

vervollkommnen den Funeral March zum tief unter die Oberfläche<br />

dringenden Schreit-Akt.<br />

Bereits im Vorfeld hatte Haus-Choreograph Marco Goecke verlauten lassen,<br />

künftig mehr aus der Dunkelheit seiner bisherigen Arbeiten hervorzutreten,<br />

nach nun gewonnener Etablierung in der Tanzgeschichte sich<br />

mehr zum Publikum hin zu öffnen. Die Erwartungshaltung mag deshalb<br />

besonders spannend gewesen sein. Dass „ON VELVET“ (= auf Samt)<br />

denn gar zum unbestrittenen Höhepunkt und einhelligen Erfolg des von<br />

Pina Bausch geprägten Wuppertalers wurde, ließ diesen Abend in einem<br />

so nicht vermuteten Jubelgeschrei enden.<br />

Die gewohnt dunkel ausgekleidete Bühne gibt zusehends zwei Reihen Theatergestühl<br />

frei, auf dem sich die wie aus dem Nichts des Hintergrunds<br />

erwachenden Geister des Hauses räkeln, die verborgenen Geschichten,<br />

die so ein Theaterraum in sich birgt, in gewohnt nervösem, aber weiter<br />

als bisher ausgreifendem Spiel der Hände und Arme, sowie die Körper<br />

nicht mehr so streng vertikal einsetzenden Haltungen, erzählen, zum Leben<br />

erwecken und dabei manchmal wie über dem Boden zu schweben<br />

scheinen – mal verängstigt, verstört, mal berührend naiv. Es gibt zwar<br />

auch wieder einen Punkt, wo das Vokabular innerhalb dieses Kreises erschöpft<br />

scheint, doch füllen die 12 Tänzer das imaginäre Theater mit ausreichend<br />

durchhaltendem Leben. Einen wesentlichen Faktor leistet dabei<br />

das 2006 uraufgeführte Cellokonzert des jungen Tirolers Johannes Maria<br />

Staud, in dem er ein anfangs zitiertes Mozart-Fragment langsam in<br />

seine eigene moderne Klangsprache übergehen und in teils schroff peitschenden,<br />

teils extrem hohe Frequenzen berührenden zarten Verästelungen<br />

des Solo-Cellos (Zoltan Paulich mit bewundernswerter Tonkonstanz)<br />

kulminieren lässt. Die unterschwellig bedrohlichen Klangräume, die sich<br />

hier öffnen, werden von Goecke in den stets unruhigen Bewegungsfluss<br />

seiner Tänzer übertragen.<br />

Magdalena Dziegielewska tritt mit ihrer witzigen Körpersprache und<br />

flinken Beweglichkeit ebenso besonders hervor wie Arman Zazyan durch<br />

seine stille Anpassungsfähigkeit. Neben dem ohnehin von spezieller Körperhaltung<br />

geprägten Robert Robinson vermag auch erstmals Ludovico<br />

Pace in einem deutlich hervor gehobenen Part nachdrücklich auf seine Präsenz<br />

aufmerksam zu machen. Und mit Marijn Rademaker hat der Choreograph<br />

noch auf einen erfahrenen Hauptakteur, der bereits sein „Äffi“<br />

erfolgreichst aus der Taufe gehoben hatte, gesetzt und ihm zu den martialischen<br />

Klängen von Edward Elgars „March of the Mogul“ ein wahrhaft<br />

krönendes Solo mit irrsinnig schnellen Fall- und Stütz-Aktionen auf<br />

den Leib geschnitten. Ein so theatergerecht abschließendes Finale wäre<br />

Goecke aufgrund seines bisher in moderner Abruptheit oder Versickern<br />

im Nichts endenden Oeuvres gar nicht zuzutrauen gewesen. Nicht zuletzt<br />

dies hat (in der packenden Wiedergabe durch das Staatsorchester<br />

Stuttgart unter James Tuggle) zur begeisternden Publikums-Reflektion<br />

beigetragen. <br />

Udo Klebes<br />

Gauthier Dance Stuttgart<br />

„CANTATA SPECIALE“ – Pr. 14.11. – Viel Erfreuliches<br />

Eric Gauthier und seine Tanz-Compagnie sind im 6. Jahr ihres Bestehens<br />

so gefragt, dass ein beträchtlicher Teil ihrer Auftritte außerhalb von Stuttgart<br />

stattfindet. Diesen Herbst verschob sich der heimatliche Saison-Auftakt<br />

dadurch auf Mitte November. Wie gewohnt, mit einer launigen Begrüßung<br />

durch den Chef persönlich, mit der er das Publikum auf seine<br />

lässig humorvolle Art sofort auf seiner Seite hatte. An diesem Abend gebe<br />

es zwar choreographisch gesehen nicht so viel Neues, aber äußerst Erfreuliches.<br />

Zum einen die Rückkehr des Publikumslieblings Garazi Perez<br />

Oloriz nach einer einjährigen Verletzungspause, vorläufig zwar mit<br />

nur einem, aber was für einem persönlichkeits-fesselnden Auftritt in Alejandro<br />

Cerrudos bereits vor einigen Jahren hier gezeigtem „LICKETY<br />

SPLIT“, zum anderen die bevorstehende Faust-Preis-Verleihung an die<br />

dafür nominierte, ebenfalls in vorderer Publikumsgunst stehende Anna<br />

Süheyla Harms. Und nicht zuletzt die Gelegenheit, Mauro Bigonzettis<br />

umwerfend animierendes gut dreiviertelstündiges „CANTATA“ noch<br />

einmal mit dem Live-Auftritt des neapolitanischen Frauen-Quartett As-<br />

DER NEUE MERKER 12/2013| 35

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