Der neue Merker
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Tanzwelt<br />
Tango mit „Zweitfrau“ (© Diego Franssens)<br />
im Bordell die Zeit damit vertrieben, sich untereinander – also Macho-<br />
Mann mit Macho-Mann – im Tango zu messen! Akkurate Live-Projektionen<br />
putzten im Hintergrund laufend die insgesamt recht kommerzielle<br />
Show optisch auf und nahmen ihr damit den doch etwas zweifelhaften<br />
Nimbus von Show-Wettbewerben beim „ball-room-dancing“…<br />
<br />
Norbert A. Weinberger<br />
Linz: „ROMEO UND JULIA“ – Musiktheater – 15.11.<br />
Die Premiere war für den 25. Mai vorgesehen, musste jedoch wegen Verletzung<br />
eines Tänzers verschoben werden. Choreografie und Inszenierung<br />
stammen von Jochen Ulrich, der am 10. November des Vorjahres im Alter<br />
von 68 Jahren verstorben ist. Es war ihm leider nicht vergönnt, seine<br />
Version des Stückes im <strong>neue</strong>n Musiktheater zu erleben.<br />
Es scheinen diesmal einige Personen auf, die in meinem sehr guten Führer,<br />
den ich zu Rate ziehen musste, gar nicht vorkommen, zumindest sind<br />
sie nicht namentlich genannt, bzw. solche, die wiederum hier keine Rolle<br />
spielen. Zudem gibt es eine Menge <strong>neue</strong>r Tänzer, die vermutlich von der<br />
<strong>neue</strong>n Ballettchefin Mei Hong Lin mitgebracht wurden. So fange ich<br />
einfach der Reihe nach an, wie sie im ursprünglichen Programmheft stehen<br />
bzw. auf dem Abendspielzettel, denn auch da gibt es jede Menge Abweichungen.<br />
DIE MONTAGUES: Romeo: Jonatan Salgado Romero, Mercutio: Alexander<br />
Novikov, Benvolio: Pavel Povraznik, Antonio: Julio Andrés Escudero,<br />
Balthasar: Geoffroy Poplawski, Rosalinde: Sabra Johnson, Bianca:<br />
Mireia González Fernández, Victoria: Nuria Gimenez Villaroya. Pater<br />
Lorenzo: Leonardo Barbu. DIE CAPULETS: Lord Capulet: Wolfgang<br />
Berner (Er sitzt übrigens im Rollstuhl. <strong>Der</strong> wievielte Rollstuhl in den verschiedenen<br />
Produktionen ist das eigentlich?) Die eiskalte Lady Capulet:<br />
Andressa Miyazato, die kindliche Julia: Ilja van den Bosch, deren betuliche,<br />
gütige Amme: Anna Stèrbová. Von fast animalischer Ausstrahlung<br />
ist Tybalt Ziga Jereb, vor dem seine Tante Lady Capulet (hier ganz und<br />
gar nicht kühl), angetan zu sein scheint. <strong>Der</strong> aalglatte, geschniegelte Graf<br />
Paris, Matej Pajgert, ist chancenlos bei Julia – da helfen auch seine roten<br />
Rosen nichts, die sie angewidert zur Seite wirft. Zudem gibt es 6 Damen<br />
und 6 Herren im Hause Capulet sowie einen Diener.<br />
Das Bühnenbild stammt von Kathrin Kegler. Von Verona ist nicht einmal<br />
ein Hauch zu spüren. Soll auch nicht so sein. Vielmehr ist hier der<br />
Schauplatz der Liebestragödie ein verbrannter und vom Krieg der Familien<br />
verwüsteter Ort, an dem das „militant faschistoid“ geführte Herrscherhaus<br />
Capulet mit einer jungen, revoltierenden „Streetgang“ der Montagues<br />
konfrontiert wird. Das erklärt, warum die Freundinnen und Freunde<br />
Romeos gekleidet sind, als seien sie gerade aus der „West Side Story“ gefallen.<br />
Und somit ist auch die „Garde der Capulets“ sonnenklar. Ob man<br />
das schön findet oder nicht, ist Geschmackssache. Im Gegensatz dazu sind<br />
die restlichen Kostüme, vor allem die der Damen (kreiert von Marie-Théresè<br />
Cramer) ein Traum oder die farbenfrohen schwingenden Umhänge<br />
der Herren. Dass mit Degen gekämpft wird, na ja, so ganz kommt man<br />
an der Renaissance halt doch nicht vorbei. Denn sonst müssten Julia und<br />
Romeo am Ende nicht Gift schlucken, Julia würde sich erschießen und<br />
nicht erdolchen, daher funktioniert die viel gepriesene Zeitlosigkeit wie<br />
so oft nicht. Die „Trauungszeremonie“ von Romeo und Julia findet vor<br />
einem goldschimmernden Vorhang statt, dazu gibt es eine Leiter, die geradewegs<br />
in den Himmel zu führen scheint. Sehr hübsch! Meine Angst,<br />
die beiden müssten womöglich hinaufklettern, erwies sich glücklicherweise<br />
als unbegründet!<br />
Daniel Linton-France leitete das Bruckner Orchester. Die Musik von<br />
Sergej Prokofjew ist ja äußerst facettenreich (das Blech fand ich des Öfteren<br />
empfindlich laut) und dann wieder so zart und fein, hinreißend! Die<br />
phantastischen Tänzerinnen und Tänzer sind eine Augenweide und jeder<br />
einzelne eine Klasse für sich. Das zeigt der frenetische Applaus. Die Poesie<br />
bleibt leider auf der Strecke – für mich hinterlässt der Abend recht gemischte<br />
Gefühle. <br />
Heide Müller<br />
Stuttgarter Ballett<br />
„FORT// SCHRITT//MACHER“ – Pr. 8.11. –<br />
Erweckte Theatergeister<br />
Drei Choreographen aus drei Generationen, die alle wesentlich zur Modernisierung<br />
des Balletts beigetragen haben und dies auch weiterhin verfolgen,<br />
markieren das <strong>neue</strong>ste Programm des Stuttgarter Balletts. In diesen<br />
zunehmend dunkleren Tagen hätte sicher so mancher Zuschauer etwas<br />
lichtvollere, für das Auge weniger anstrengende Arbeiten bevorzugt, doch<br />
bei konzentrierter Betrachtung förderten die drei gezeigten Stücke viel Sehenswertes<br />
ans Licht.<br />
William Forsythes „WORKWITHINWORK“ wurde im Oktober 1998<br />
in Frankfurt uraufgeführt und markiert den Abschluss seiner Ballette über<br />
das Ballett. Purer Tanz in einer etwas diffusen Beleuchtung, die die Tänzer<br />
manchmal nur wie Schatten aussehen lässt. Trotz aller Bewunderung der<br />
unendlich variierten <strong>neue</strong>n Zusammensetzungen des klassischen Ballettvokabulars<br />
in wechselnden kleineren und größeren Tänzergruppen, des<br />
exakten Schliffes aller Windungen und Wendungen zwischen kurz eingestreuten<br />
konventionellen Spitzendrehungen, beginnt das halbstündige<br />
Geschehen irgendwann auf der Stelle zu treten. Eine große Rolle spielt<br />
34 | DER NEUE MERKER 12/2013