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Aktuelles aus Österreich<br />
Geglückte Facherweiterung - Herbert Lippert als Peter Grimes<br />
men, dass man das Stück nur aufführt, wenn die richtige Besetzung zur<br />
Verfügung steht und keinen Repertoireschlendrian einreißen lässt. Oder<br />
gar damit, dass es sich um durchwegs dankbare Rollen handelt, von denen<br />
die meisten keine übermäßigen stimmlichen Anforderungen stellen<br />
und leicht aus dem jeweiligen Ensemble rekrutiert werden können? Vor<br />
allem aber meine ich, dass Britten es den Opernsängern leicht macht, sich<br />
zu profilieren, weil er lebendige Menschen auf die Bühne stellt. Ebenso<br />
viel Freude macht das Werk ganz offensichtlich auch den Dirigenten und<br />
Musikern, denn die Musik zwingt einen einfach, sich mit den Charakteren<br />
und Situationen zu identifizieren, sodass ich auch diesbezüglich von<br />
ausschließlich positiven Erfahrungen berichten kann.<br />
So wurde auch die gegenwärtige Aufführungsserie unter Brittens Landsmann<br />
Graeme Jenkins zu einem Klangerlebnis der Sonderklasse. Nicht<br />
nur der Titelheld kommt vom Meer nicht los, das für die Bewohner des<br />
Fischerstädtchens die Existenzgrundlage darstellt. Auch als bloßer Zuhörer<br />
hat man das Gefühl, dass die so meisterhaft in Töne gesetzten kleinen<br />
Wellen und gewaltigen Wogen, von einzelnen Holzbläsern, dem<br />
Streicher-Corps oder dem dunkel dräuenden Blechbläserchor in lebendiger<br />
Bewegung oder trügerischer Ruhe dargeboten, einen erregen, verlocken,<br />
erheben oder verschlingen. Es ist, als hätte man den festen Boden<br />
unter den Füßen verloren, vertraut sich dem trügerischen Element<br />
aber doch immer wieder gerne an. Allein schon die oft konzertant dargebotenen<br />
„Sea interludes“ sind ein Faszinosum für sich. Ich empfinde<br />
diese Musik immer mehr als Droge, von der man nicht mehr loskommt.<br />
Wenn dann noch das Philharmonische Wiener Staatsopernorchester<br />
im Einsatz ist, kommen dank seiner betörenden Klangschönheit auch<br />
die grellen, dissonanten Stellen oder Szenen, die die Tragödie des unrettbaren<br />
Außenseiters Peter Grimes ebenso charakterisieren wie die ruhigen,<br />
verinnerlichten Passagen, in ihrer humanen Botschaft zur Geltung.<br />
Bei hochgelagerten Orchestergräben, wie an der Wiener Staatsoper, besteht<br />
natürlich die Gefahr, dass das Orchester zu dominant wird und manche<br />
Sängerstimmen untergehen. Diesmal konnte der Dirigent, der das Werk<br />
offenbar gut kennt und fest in der Hand hat, auch jenseits der rein orchestralen<br />
Passagen des öfteren loslassen, denn es standen genügend voluminöse<br />
Stimmen zur Verfügung. Dass nicht alle Rollenträger starke Charakterporträts<br />
zuwege brachten, „danken“ sie der Regisseurin Christine<br />
Mielitz, die zwar etliche Klischees des modernen Regietheaters bediente,<br />
aber keine wirklich profilierte Personenregie bot. (Siehe „<strong>Merker</strong>“ 3/1996)<br />
Dass der für den wieder einmal absagenden Ben Heppner einspringende<br />
Herbert Lippert diese Herausforderung souverän bewältigte, erhöht seinen<br />
Wert als Ensemblemitglied. Mit echter heldentenoraler Durchschlagskraft<br />
gab er dem Peter Grimes die nötige vokale Präsenz, konnte aber auch<br />
mit den leiseren kantablen Passagen beeindrucken. Die Verzweiflung über<br />
die für ihn ausweglose Situation des als Kindesmörder angeklagten Fischers<br />
glaubte man ihm, die psychisch unvermeidbare Zuflucht zu roher Gewalt<br />
sollte noch eindrücklicher gebracht werden, und sein Gesicht sollte noch<br />
deutlicher die Seelenqualen des Grimes „sprechen“ lassen. Es ist ja so etwas<br />
wie eine „Lebensrolle“, in die auch viele seiner großen Tenorkollegen<br />
erst hineinreifen mussten.<br />
Mit enormem Stimmvolumen und interessantem Timbre überraschte die<br />
Hausdebutantin Gun-Brit Barkmin (die bereits beim Japan-Gastspiel der<br />
Wiener Staatsoper im Herbst unter Peter Schneider die Salome gesungen<br />
hatte) als Ellen Orford, die meist von lyrischeren Sopranen gesungen wird,<br />
verkörperte eine starke Frau, die zu retten versucht, was möglich ist, indem<br />
sie Peter Grimes Halt zu geben und ihn zu freundlicher Behandlung<br />
des jungen Fischergehilfen zu bewegen trachtet. Ihr Schreck, wenn sie erkennen<br />
muss, dass es für ihn am Ende keinen anderen Ausweg als das von<br />
Balstrode vorgeschlagene „Sink the boat!“ geben kann, ist nicht nur gespielt.<br />
Wir sind nun doppelt neugierig auf ihre Salome und Sieglinde noch<br />
in dieser Saison. Ebenfalls Hausdebutant war der Bariton Iain Paterson<br />
als Captain Balstrode, eine Autorität, die in der kleinen Stadt nach dem<br />
Rechten sieht. Das bewies er sowohl mit seinem vollen, kernigen Bariton<br />
als auch durch seine Haltung und ein Minimum an passenden Gesten.<br />
Das übrige Ensemble konnte sich nur vokal profilieren, weil die Regie zu<br />
wenige Entfaltungsmöglichkeiten vorsieht – die Chorumtriebe waren ihr<br />
wichtiger. An vorderster Stelle ist da Norbert Ernst zu nennen, der die<br />
Zednik-Rolle des zynischen, stets betrunkenen Bob Boles mit gänzlich anderem,<br />
heldischerem Stimmcharakter eindringlich singt. Wolfgang Bankl<br />
als Dorfrichter, von Britten dezent als „lawyer“ bezeichnet, der schon im<br />
Prolog den Angeklagten zur Schnecke macht, indem er ihm immer wieder<br />
das Wort abschneidet, tat dies imposant mit seinem durchsetzungsfähigen<br />
Bassbariton. Monika Bohinec als Auntie, Donna Ellen als Mrs.<br />
Sedley und die beiden Nichten Simina Ivan und Hyuna Ko zeichneten<br />
sich durch Bemühen um verständliche englische Diktion ebenso aus wie<br />
die Herren Carlos Osuna (Reverend Horace Adams), Gabriel Bermúdez<br />
(Ned Keene) und Janusz Monarcha (Hobson). <strong>Der</strong> von Thomas<br />
Lang betreute Chor konnte seine Allmacht trefflich unter Beweis stellen.<br />
Während Britten und sein Librettist Montague Slater gerade in diesem<br />
Stück, wo die Masse Mensch einen Einzelgänger vernichtet, weil sie einen<br />
Sündenbock braucht, auf die genaue Zeichnung einzelner Individuen<br />
Wert gelegt haben, glaubte Christine Mielitz dies zugunsten einer vagen<br />
Modernität ignorieren zu müssen.<br />
Die gute Hintergrundbeleuchtung trug jedoch einiges zur optischen Bereicherung<br />
bei. Da wurde doch die düstere, gefahrvolle Atmosphäre geschaffen,<br />
die auch in der Musik vorherrscht.<br />
Zur Un-Ehre der Wiener Staatsoper muss ich leider feststellen, dass alle<br />
anderen mir bekannten Inszenierungen dem Stück weit besser gerecht<br />
wurden. Dank der grandiosen Musik und unserem vortrefflichen Ensemble<br />
konnte Brittens humane Botschaft trotzdem auch hier ankommen. <br />
<br />
Sieglinde Pfabigan<br />
24.11.: „DIE ZAUBERFLÖTE“<br />
Unser lieber alter Musikprofessor betrat in der 1. Klasse Gymnasium das<br />
Musikzimmer mit einem Klavierauszug der „Z“ unter dem Arm und erklärte:<br />
„Jetzt werdet ihr was vom Schönsten hören, dass es überhaupt gibt!“<br />
Dann begann er mit der Ouvertüre. Beifall. – Doch dann ging es los: Er<br />
sang zum Klavier alle Partien, die es gibt. Hohe, tiefe, lustige, traurige.<br />
<strong>Der</strong> Beifall war enden wollend. Doch ernste seelische Verletzungen gab<br />
es keine. Merke! Als Erst-Oper gar nicht so geeignet, wie man vielleicht<br />
glauben könnte. Zumindest mit Klavier.<br />
An dem Abend klang es schon viel, viel besser.<br />
Gesungen hat alles, was junge und schöne Stimmen hat. So gleich der Sarastro<br />
des Bridley Sherratt, ein wohltönender Bass, dem nur noch der Ausbau<br />
der tiefen Lage etwas fehlt. Dem Tamino des Benjamin Bruns fehlt<br />
an Stimme gar nichts, nur dass diese etwas dunkler und ausdrucksvoller<br />
sein könnte, was aber sicher nur eine Frage der Zeit ist, – Sprecher und 2.<br />
Priester liegen bei Alfred Šramek in wohlerprobter Kehle, der 1. Priester<br />
desgleichen bei Benedikt Kobel. Olga Pudova als nächtliche Königin ist,<br />
kurz gesagt, Erste Klasse. <strong>Der</strong>artig brillantene Höhen und scharf geschliffene<br />
Koloraturen hat man schon die längste Zeit nicht mehr gehört. Die<br />
Pamina der Chen Reiss besticht in ähnlicher Weise durch Schöngesang<br />
DER NEUE MERKER 12/2013| 23