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Aktuelles aus Österreich<br />
14.11.: „TANZPERSPEKTIVEN“ – Besetzung wie 2.11.<br />
15.11.: „MADAMA BUTTERFLY“ – Puccini lebt!<br />
Fast will es scheinen, dass es die Wiener Staatsoper mit aller Emphase<br />
zurzeit darauf anlegt, den hohen Wert des Repertoire-Betriebs zur<br />
Schau zu stellen. Die älteste Inszenierung des Hauses (Josef Gielen,<br />
1957) erlebte mit einigen Rollendebutanten, bewährten Ensemblemitgliedern,<br />
einem nochmals eingesetzten Tenorstar von früher und einem<br />
noch größeren am Pult eine derart dichte, packende, hochemotionale<br />
Wiedergabe, dass man ein <strong>neue</strong>s Werk zu entdecken glaubte.<br />
Plácido Domingo – das ist die Verkörperung eines Lebens für die Oper.<br />
In allen denkbaren Funktionen, die hier nicht aufgezählt werden müssen.<br />
Das Dirigieren gehört dazu und gewinnt mit vermehrter Routine immer<br />
Hellwach und voller Liebe - Plácido Domingo am Pult<br />
mehr an Qualität. Es „zerreißt“ ihn nicht mehr im Affekt, er gibt ganz professionell<br />
die Einsätze dort, wo es nötig ist, und lässt Musiker und Sänger<br />
sich entfalten, wo sie keiner Nachhilfe bedürfen. Ich reihe ihn nun unter<br />
die sog. „Wohlfühl-Dirigenten“ ein. Damit meine ich die Maestri, denen<br />
man gerne zuschaut, weil alles so gut und richtig ist, was sie machen, und<br />
deshalb auch das optimale Resultat dabei herauskommt. Im konkreten<br />
Fall: Puccini ohne unnötigen Lärm, in den Japanismen des 1. Akts sehr<br />
locker und beschwingt, beim Einsetzen von Kantilenen (sei es orchestral<br />
oder vokal) jedesmal das Gefühl vermittelnd, als werde jetzt eine <strong>neue</strong><br />
Gefühlswelt geschaffen (wir sind ja schließlich auch bei den asiatischen<br />
Schauplätzen des Meisters aus Lucca noch immer in Italien!) und in den<br />
dramatischen Momenten mit einer quasi „sachlichen“ Konzentration, die<br />
die Tragödie sozusagen auf den Punkt bringt.<br />
So war z. B. der 2. Akt, der sich mitunter zieht, als kontinuierliche emotionale<br />
Steigerung aufgebaut. Bei Cio-Cio-Sans „Un bel dì vedremo“ nahm<br />
dieses Gefühls-Crescendo erstmals so überhand, das man genau wusste:<br />
es gibt für sie kein Zurück – entweder alles oder nichts. Wie Domingo<br />
da die Sängerin gleichsam emporhob und ihre große Liebe All-umfassend<br />
wurde (fast ein bisschen an Isoldes „Weltatem“ erinnernd), war ebenso<br />
überwältigend wie die beinah trunkene Hingabe der beiden Frauen an<br />
das Kirschblütenduett, das einen <strong>neue</strong>n Frühling heraufbeschwören sollte.<br />
Dabei blieb alles im kultivierten Rahmen, ohne Überhandnehmen übermäßiger<br />
Lautstärke, und es gab keinerlei Leerläufe bis zum fatalen Ende<br />
der Oper. Eine alles in allem wirklich meisterhafte Dirigentenleistung,<br />
die von den Musikern selbstverständlich mit Hochgenuss in Edelklang<br />
umgesetzt wurde.<br />
Die für Wien <strong>neue</strong> Butterfly von Ana Maria Martinez brachte keine wirklich<br />
große, ausladende Stimme mit. Gut und sicher geführt, kam sie über<br />
alle Runden bzw. bewältigte auch die extremen Höhen, aber mit etwas zu<br />
viel Nachdruck, sodass die Klangqualität ihres schlanken Soprans nicht<br />
optimal war. Stilistisch war sie im Bilde. Sie konnte dadurch auch die Figur<br />
berührend gestalten und somit das Publikum ganz auf ihre Seite ziehen.<br />
Weit lockerer sang ihre Leidensgefährtin, die erst 25-jährige Alisa<br />
Kolosova. Eine so warmstimmige Suzuki mit solch schönem, flexiblem<br />
Mezzo und derart lebhafter Anteilnahme an Freud‘ und Leid der ihrer<br />
Obhut anvertrauten jungen Braut und Ehefrau verdient gesondert hervorgehoben<br />
zu werden, gerät die getreue Dienerin doch allzu oft auf die<br />
Nebengeleise unseres Interesses.<br />
Mit Neil Shicoff muss wohl sein Tenorkollege persönlich gearbeitet haben.<br />
Natürlich war zu hören, dass Shicoffs Stimme nicht mehr taufrisch<br />
ist, aber nach dem vorjährigen „Maskenball“-Debakel hätte man kaum erwartet,<br />
dass er mit einem jugendlichen italienischen Liebhaber doch noch<br />
einigermaßen zurechtkommt. Er sah sehr gut aus, schlank und rank, mit<br />
schöner schwarzer Perücke und guter Maske, ließ es zwar bei Pinkertons<br />
Beteuerung seiner Lebensgenussphilosophie an Lockerheit fehlen, ließ dafür<br />
aber von Anfang an spüren, dass er moralische Bedenken mit in die<br />
999-Jahre währende Ehe mitnimmt. Seine immer schon sicheren Höhen<br />
waren da, auch wenn sein Gesang sich nicht durch extreme Geschmeidigkeit<br />
auszeichnete. Als Meister gebrochener Charaktere gelang ihm im<br />
3. Akt die glaubwürdige Darstellung des von Reue und neu erwachter<br />
Liebe gequälten Mannes, der nur noch aus dem Terrain seines Vergehens<br />
flüchten kann. Ein gut charakterisierender Konsul Sharpless war Gabriel<br />
Bermudez. Er gestaltete seine Rolle sehr wortdeutlich und teilnahmsvoll<br />
und sein jugendlicher Bariton konnte sich dank Domingos einfühlsamer<br />
Orchesterbegleitung auch durchsetzen, sollte fürs große Haus aber noch<br />
weit mehr Volumen entwickeln.<br />
Herwig Pecoraro als geschwätziger Goro, Simina Ivan als verständnisvolle<br />
Kate Pinkerton, Hans Peter Kammerer als abgewiesener Yamadori, Alexandru<br />
Moisiuc als zeternder Onkel Bonze, sowie Martin Müller (Standesbeamter),<br />
Martina Reder (Mutter) und Jung Won Han (Base) erfüllten<br />
ihre Rollen ebenso zufriedenstellend wie der von Martin Schebesta<br />
gut studierte Staatsopernchor.<br />
Die singuläre Glanzleistung Domingos vom Pult aus war nicht zuletzt ein<br />
Plädoyer für Puccinis geniales Gesamtkunstwerk. Sieglinde Pfabigan<br />
16.11.: „UN BALLO IN MASCHERA“ – Orrore!<br />
O Schreck! – was für ein Gegenschlag nach dem wunderbaren Puccini-<br />
Abend. Und das meine ich wörtlich: Dirigent und Primadonna lieferten<br />
einander ein Duell „Wer kann’s lauter?“ Jesús Lopez-Cobos drosch<br />
Verdi zutode. Gerade noch, dass die paar ruhigen Chorstellen leise belassen<br />
wurden und im 3. Akt Amelia sich um ein paar kultivierte piano-<br />
Phrasen bemühte, tat der Maestro alles, um Verdis wunderbare Noblesse<br />
und Kantabilität zu ständigen Attacken auf unsere Gehörorgane umzufunktionieren.<br />
Und was Sondra Radvanovsky an geschrieener Pseudo-<br />
Dramatik produzierte, war nicht minder unerquicklich. Schon im Vorjahr<br />
befleißigte sie sich in der Rolle der Amelia vor allem unkontrollierter Lautstärke,<br />
aber diesmal hatte ihr einstmals recht respektabler Sopran schon<br />
gar keinen Klang mehr, weder im ff noch in den bemühten piano-Phrasen<br />
– es gab nur noch durchdringende, scharfe, gequälte Töne. Welcher<br />
Teufel sie wohl bei dieser „Singweise“ geritten hat?<br />
20 | DER NEUE MERKER 12/2013