Gewalt in Medien und jugendliche Gewaltbereitschaft - Philipps ...
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<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>Medien</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>jugendliche</strong> <strong>Gewalt</strong>bereitschaft<br />
Prof. Dr. Mario Gollwitzer<br />
R<strong>in</strong>gvorlesung des Zentrums für Konfliktforschung der <strong>Philipps</strong>-Universität Marburg<br />
14.01.2013
Vier Fragen<br />
1. Wie können Ergebnisse der empirischen <strong>Medien</strong>wirkungsforschung<br />
verstanden <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretiert werden?<br />
2. Wie „wirken“ gewalthaltige Computerspiele <strong>und</strong> wie lässt<br />
sich diese „Wirkung“ psychologisch erklären?<br />
3. Welche Potenziale <strong>und</strong> Chancen bergen Computer- <strong>und</strong><br />
Videospiele für Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozesse?<br />
4. Welche Rolle spielt <strong>Medien</strong>kompetenz von Jugendlichen<br />
<strong>und</strong> Eltern im Zusammenhang mit (un)erwünschten<br />
Konsequenzen des <strong>Medien</strong>gebrauchs?
<strong>Medien</strong>wirkungsforschung<br />
<strong>in</strong> den <strong>Medien</strong><br />
„Jüngere <strong>und</strong> vor allem sehr umfassende Studien besagen, dass mit<br />
zunehmendem Konsum von <strong>Gewalt</strong>spielen auch zunehmend aus virtueller<br />
wirkliche <strong>Gewalt</strong> wird.“<br />
http://frontal21.zdf.de/ZDFde/<strong>in</strong>halt/16/0,1872,5593936,00.html<br />
„E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Kreis von Politikern, Wissenschaftlern <strong>und</strong> Journalisten hat<br />
Videospiele seit Jahren im Visier. Die Behauptung: Die <strong>Gewalt</strong>darstellung <strong>in</strong><br />
den Spielen mache Jugendliche aggressiv – bis h<strong>in</strong> zum Amoklauf. Die Fans<br />
empören sich, denn bislang fehlt der Nachweis für die These.“<br />
http://www.welt.de/webwelt/article1551539/Der_ungerechte_Kreuzzug_gegen_die_Videospiele.html<br />
„Pädagogen konnten […] <strong>in</strong> diversen Untersuchungen belegen, dass K<strong>in</strong>der,<br />
die gewalthaltig wirkende Spiele ausüben durften, anschließend zu weniger<br />
aggressivem Verhalten <strong>und</strong> höherer sozialer Kompetenz neigen.“<br />
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25606/1.html
Vier Fragen<br />
1. Wie können Ergebnisse der empirischen <strong>Medien</strong>wirkungsforschung<br />
verstanden <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretiert werden?<br />
2. Wie „wirken“ gewalthaltige Computerspiele <strong>und</strong> wie lässt<br />
sich diese „Wirkung“ psychologisch erklären?<br />
3. Welche Potenziale <strong>und</strong> Chancen bergen Computer- <strong>und</strong><br />
Videospiele für Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozesse?<br />
4. Welche Rolle spielt <strong>Medien</strong>kompetenz von Jugendlichen<br />
<strong>und</strong> Eltern im Zusammenhang mit (un)erwünschten<br />
Konsequenzen des <strong>Medien</strong>gebrauchs?
1. Ex-post-facto-Analysen<br />
2. Korrelative Querschnittstudien<br />
3. Korrelative Längsschnittstudien<br />
4. Experimentelle Studien<br />
5. Meta-Analysen<br />
Methodik der<br />
<strong>Medien</strong>wirkungsforschung
Ex-post-facto-Analysen<br />
• Das Ereignis, das man beschreiben bzw. erklären möchte,<br />
ist bereits e<strong>in</strong>getreten. Nun sucht man retrospektiv nach<br />
Ursachen für dieses Ereignis.<br />
• Beispiel 1: Der Amoklauf von Littleton (20.04.1999)<br />
„Absent the comb<strong>in</strong>ation of extremely violent video<br />
games and these boys‘ <strong>in</strong>credibly deep<br />
<strong>in</strong>volvement, use of and addiction to these games<br />
and the boys‘ basic personalities, these murders<br />
and this massacre would not have occurred.“<br />
John W. DeCamp, Anwalt der Columb<strong>in</strong>e-Opfer; Textauszug aus der<br />
Klageschrift gegen 25 Spielefirmen <strong>in</strong> den USA (Klage wurde abgelehnt)
Ex-post-facto-Analysen<br />
• Das Ereignis, das man beschreiben bzw. erklären möchte,<br />
ist bereits e<strong>in</strong>getreten. Nun sucht man retrospektiv nach<br />
Ursachen für dieses Ereignis.<br />
• Beispiel 2: Der Amoklauf von Erfurt (26.04.2002)<br />
„Robert Ste<strong>in</strong>häuser war, wie se<strong>in</strong>e Mitschüler<br />
berichten, e<strong>in</strong> begeisterter "Counterstrike"-Spieler.<br />
Und das Spiel, <strong>in</strong> dem man vom Polizisten (sogar<br />
die GSG 9) über den Passanten bis h<strong>in</strong> zum<br />
Schulmädchen jeden erschießen soll, ehe man<br />
selber erschossen wird, liefert e<strong>in</strong>en<br />
Handlungscode für den Amoklauf von Erfurt.“<br />
Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e Sonntagszeitung vom 28.04.2002
Korrelative<br />
Querschnittstudien<br />
Datenquellen:<br />
• Selbstauskünfte (z.B.<br />
Angabe der Liebl<strong>in</strong>gsspiele)<br />
• Fremdauskünfte (z.B.<br />
Lehrere<strong>in</strong>schätzungen)<br />
• Objektive Daten (z.B.<br />
Schulnoten, Verweise)<br />
Aggressivität<br />
<strong>Medien</strong>konsum<br />
Vor- <strong>und</strong> Nachteile der Methode:<br />
• Messung e<strong>in</strong>er Vielzahl von Variablen möglich (z.B. Aggressionsformen)<br />
• Überprüfung von Zusammenhangs- <strong>und</strong> Unterschiedshypothesen möglich<br />
• Zeitliche Vorgeordnetheit unklar (es ist nur e<strong>in</strong>e Momentaufnahme)<br />
• Ke<strong>in</strong>e Aussagen über kausale Zusammenhänge möglich
Korrelative<br />
Querschnittstudien<br />
Korrelation zwischen der Konsumhäufigkeit gewalthaltiger Videospiele <strong>und</strong><br />
Indikatoren aggressiver Verhaltenstendenzen, Emotionen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>stellungen<br />
0,5<br />
0,4<br />
0,3<br />
0,2<br />
0,1<br />
0<br />
<strong>Gewalt</strong>tätiges<br />
Verhalten<br />
Physische<br />
Aggression<br />
Verbale<br />
Aggression<br />
Ärgerneigung<br />
Fe<strong>in</strong>dseligkeit<br />
<strong>Gewalt</strong> im<br />
Krieg<br />
<strong>Gewalt</strong><br />
gegen<br />
Partner<br />
Häufigkeit<br />
von <strong>Gewalt</strong><br />
Korrelation<br />
Aggressives Verhalten E<strong>in</strong>stellungen gegenüber<br />
<strong>Gewalt</strong><br />
aus Anderson, Gentile, & Buckley (2007)
Korrelative<br />
Längsschnittstudien<br />
Spielen aggressive K<strong>in</strong>der häufiger<br />
gewalthaltige Videospiele?<br />
(“Selektionseffekt”)<br />
Machen gewalthaltige<br />
Videospiele K<strong>in</strong>der aggressiv?<br />
(“<strong>Gewalt</strong>effekt”)<br />
Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2
aus Möller & Krahé (2009)<br />
Korrelative<br />
Längsschnittstudien
Korrelative<br />
Längsschnittstudien<br />
• Fazit:<br />
• Bislang gibt es nur wenige Längsschnittstudien, die e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige<br />
Identifikation der „Wirkrichtung“ erlauben.<br />
• Die Mehrzahl dieser Studien f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>en „<strong>Gewalt</strong>effekt“<br />
(<strong>Gewalt</strong>spiele Aggression; vgl. Möller & Krahé, 2009); e<strong>in</strong>ige<br />
f<strong>in</strong>den aber auch e<strong>in</strong>en „Selektionseffekt“ (Aggressivität <br />
<strong>Gewalt</strong>spiele; z.B. von Salisch, Kristen & Oppl, 2007).<br />
• Offenbar gibt es also beide Effekte, wobei der „<strong>Gewalt</strong>effekt“<br />
tendenziell stärker ist.<br />
• E<strong>in</strong> Problem, das selbst Längsschnittstudien nicht lösen können, ist<br />
die unklare zeitliche Vorgeordnetheit der UV vor der AV. Dieses<br />
Problem lässt sich nur experimentell lösen.
Experimentelle<br />
Studien
Experimentelle<br />
Studien<br />
Effekte <strong>in</strong> Abhängigkeit von der Häufigkeit<br />
gewalthaltiger Computerspiele<br />
häufig<br />
mittel<br />
selten<br />
<strong>Gewalt</strong>freies<br />
Spiel<br />
<strong>Gewalt</strong>-<br />
Spiel<br />
Stichprobe: 92 Psychologiestudierende<br />
im 1. Semester<br />
Der Effekt des Videospiels<br />
auf nachfolgendes<br />
aggressives Verhalten ist<br />
stärker bei Personen, die nur<br />
selten <strong>Gewalt</strong>spiele spielen.<br />
Personen, die häufig<br />
<strong>Gewalt</strong>spiele spielen,<br />
verhalten sich eher<br />
aggressiv – unabhängig<br />
davon, welches Spiel sie im<br />
Experiment gespielt haben.<br />
aus Bartholow, Sestir & Davis (2005)
Experimentelle<br />
Studien<br />
Zeit bis Hilfeleistung <strong>in</strong> sek.<br />
100<br />
75<br />
50<br />
25<br />
0<br />
<strong>Gewalt</strong>freies Spiel<br />
<strong>Gewalt</strong>spiel<br />
Stichprobe: 320<br />
Studierende.<br />
Bei Personen, die e<strong>in</strong><br />
<strong>Gewalt</strong>spiel gespielt<br />
hatten, dauerte es ca. 1<br />
M<strong>in</strong>ute länger, bis sie<br />
e<strong>in</strong>er offenbar verletzten<br />
Person im Nachbarraum<br />
zu Hilfe kamen.<br />
aus Bushman & Anderson (2009)
Experimentelle<br />
Studien<br />
• Fazit:<br />
• Experimentelle Studien s<strong>in</strong>d am ehesten geeignet, die Annahme<br />
e<strong>in</strong>er kausalen Wirkung des Spielens gewalthaltiger Videospiele<br />
auf aggressives Verhalten zu testen.<br />
• Die meisten Experimente belegen, dass es e<strong>in</strong>en solchen Effekt<br />
tatsächlich gibt <strong>und</strong> dass dieser nicht trivial ist.<br />
• Es handelt sich hier um kurzfristige Effekte.<br />
• Probleme des experimentellen Vorgehens:<br />
– Es muss sichergestellt se<strong>in</strong>, dass die Spiele sich nicht <strong>in</strong> anderen<br />
relevanten Dimensionen (Spaß, Schwierigkeit etc.) unterscheiden.<br />
– Die Interaktivität der Spiele erschwert e<strong>in</strong>e Aussage darüber, was<br />
genau den Effekt ausmacht (Bekräftigung? Erregung? Frust?)<br />
– Aggressives Verhalten muss auf e<strong>in</strong>e „ethisch unbedenkliche“ Art <strong>und</strong><br />
Weise gemessen werden; Vorwurf der „Künstlichkeit“.
Meta-Analysen<br />
• Zusammenfassung e<strong>in</strong>er großen Anzahl von<br />
Orig<strong>in</strong>alstudien („Primärstudien“) <strong>und</strong> Schätzung e<strong>in</strong>es<br />
durchschnittlichen Effekts.<br />
• Vorteil: Vor- <strong>und</strong> Nachteile der e<strong>in</strong>zelnen Primärstudien,<br />
ihre methodischen Stärken <strong>und</strong> Schwächen mitteln sich<br />
heraus. Das Ergebnis stellt e<strong>in</strong>e gute Schätzung des<br />
durchschnittlichen Effekts dar.<br />
• Nachteil: Es gehen nur Primärstudien <strong>in</strong> die Meta-Analyse<br />
e<strong>in</strong>, die auch öffentlich zugänglich (d.h. publiziert) s<strong>in</strong>d.<br />
Primärstudien, die ke<strong>in</strong>e Ergebnisse erbracht haben,<br />
werden allerd<strong>in</strong>gs seltener publiziert.
Meta-Analysen<br />
Effektstärke (Korrelationskoeffizient)<br />
0,5<br />
0,4<br />
0,3<br />
0,2<br />
0,1<br />
0<br />
Neueste Meta-Analyse (Januar 2010):<br />
Ca. 90 Studien, ca. 130.000 Versuchspersonen<br />
(aus Amerika, Europa <strong>und</strong> Asien)<br />
Korrelative Studien Längsschnittstudien Experimentelle Studien<br />
aus Anderson et al. (2010)
Der Risikofaktoren-Ansatz<br />
Bandenmitgliedschaft<br />
<strong>Gewalt</strong>haltige Computerspiele<br />
Psychologische Verfassung<br />
Verhältnis zu den Eltern<br />
Geschlecht (männlich)<br />
Frühere physische <strong>Gewalt</strong><br />
<strong>Gewalt</strong>haltige <strong>Medien</strong><br />
Antisoziale Eltern<br />
Ger<strong>in</strong>ge Bildung<br />
Zerrüttete Verhältnisse<br />
Armut<br />
Missbrauchserfahrungen<br />
Substanzmissbrauch<br />
Relative E<strong>in</strong>flussstärke<br />
unterschiedlicher<br />
Risikofaktoren (zu e<strong>in</strong>em<br />
früheren Zeitpunkt) auf die<br />
<strong>Gewalt</strong>neigung (zu e<strong>in</strong>em<br />
späteren Zeitpunkt)<br />
aus Anderson, Gentile & Buckley (2007)<br />
0 0,1 0,2 0,3 0,4
Vier Fragen<br />
1. Wie können Ergebnisse der empirischen <strong>Medien</strong>wirkungsforschung<br />
verstanden <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretiert werden?<br />
2. Wie „wirken“ gewalthaltige Computerspiele <strong>und</strong> wie lässt<br />
sich diese „Wirkung“ psychologisch erklären?<br />
3. Welche Potenziale <strong>und</strong> Chancen bergen Computer- <strong>und</strong><br />
Videospiele für Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozesse?<br />
4. Welche Rolle spielt <strong>Medien</strong>kompetenz von Jugendlichen<br />
<strong>und</strong> Eltern im Zusammenhang mit (un)erwünschten<br />
Konsequenzen des <strong>Medien</strong>gebrauchs?
Psychologische Erklärungen<br />
für die Wirkung von Videospielen<br />
• Videospiele s<strong>in</strong>d hervorragende Lehrer!<br />
• Sie geben klare Ziele vor, deren Schwierigkeit sich an den<br />
<strong>in</strong>dividuellen Interessen <strong>und</strong> Fertigkeiten des „Schülers“ orientieren.<br />
• Sie nehmen Rücksicht auf das <strong>in</strong>dividuelle Lerntempo e<strong>in</strong>es<br />
„Schülers“ <strong>und</strong> geben differenzierte Anweisungen.<br />
• Die Schwierigkeit der Anforderungen, das Tempo, die Komplexität<br />
der Aufgaben nimmt stetig zu <strong>und</strong> orientiert sich dabei immer an<br />
den bislang erworbenen Fertigkeiten.<br />
• Das „Lernen“ erfolgt aktiv über Übungen, Rückmeldungen, weiteren<br />
Übungen etc. bis h<strong>in</strong> zur erfolgreichen Bewältigung der Aufgabe.<br />
• Wissen <strong>und</strong> Fertigkeiten werden immer weiter e<strong>in</strong>geübt <strong>und</strong><br />
ausgebildet – bis h<strong>in</strong> zur Automatisierung.<br />
aus Gentile & Gentile (2008)
Psychologische Erklärungen<br />
für die Wirkung von Videospielen<br />
• Videospiele s<strong>in</strong>d hervorragende Lehrer!<br />
• Der Lernerfolg wird belohnt: erfolgreiches Lernen wird bekräftigt<br />
(extr<strong>in</strong>sisch durch Waffen, Ges<strong>und</strong>heit, Lebenspunkte etc.;<br />
<strong>in</strong>tr<strong>in</strong>sisch durch Status, Kraft, Macht, Selbstwert).<br />
• Das „Lernen“ im Videospiel stellt e<strong>in</strong>e ideale Komb<strong>in</strong>ation aus<br />
„massierten“ <strong>und</strong> „verteilten“ Übungen dar.<br />
• Wissen <strong>und</strong> Fertigkeiten werden <strong>in</strong> unterschiedlichen Kontexten<br />
erworben <strong>und</strong> e<strong>in</strong>geübt: Das erlaubt den Transfer über Kontexte<br />
h<strong>in</strong>weg.<br />
• Das „Lernen“ macht den „Schülern“ Spaß <strong>und</strong> hält sie bei der<br />
Stange.<br />
aus Gentile & Gentile (2008)
Videospiele als „Lehrer“<br />
• Verhalten, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er positiv valenten Situation (dem<br />
Spielen) bekräftigt wird, wird auch außerhalb dieser<br />
Situation eher gezeigt (Sw<strong>in</strong>g, Gentile & Anderson, 2009).<br />
• Diejenigen Fertigkeiten, die im Spiel gefordert <strong>und</strong><br />
bekräftigt werden, werden eher dauerhaft erworben (z.B.<br />
Auge-Hand-Koord<strong>in</strong>ation; räumliche Orientierung; Vigilanz;<br />
Schnelligkeit).<br />
• Solche „Lerneffekte“ s<strong>in</strong>d nicht nur beschränkt auf<br />
aggressive Inhalte bzw. aggressives Verhalten, sondern<br />
schließen auch prosoziale Inhalte <strong>und</strong> Verhalten mit e<strong>in</strong><br />
(dazu später mehr).
Videospiele als „Lehrer“<br />
Anzahl Fehler <strong>in</strong> "Top Gun"<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
nie 0-3<br />
St<strong>und</strong>en<br />
pro Woche<br />
mehr als 3<br />
St<strong>und</strong>en<br />
pro Woche<br />
Stichprobe: 33 Chirurgen<br />
e<strong>in</strong>er US-Kl<strong>in</strong>ik.<br />
Chirurgen, die angaben,<br />
<strong>in</strong> ihrer Freizeit häufig<br />
Computerspiele zu<br />
spielen, machten bei<br />
e<strong>in</strong>em Laparoskopie-<br />
Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g („Top Gun“)<br />
weniger Fehler als<br />
Nichtspieler.<br />
aus Rosser et al. (2007)
Die Desensitivierungs-<br />
Hypothese<br />
Herzrate<br />
75<br />
70<br />
65<br />
60<br />
<strong>Gewalt</strong>freies Spiel<br />
<strong>Gewalt</strong>spiel Stichprobe: 257<br />
Studierende (USA).<br />
vor dem<br />
Spiel<br />
nach dem<br />
Spiel<br />
während des<br />
Films<br />
Personen, die e<strong>in</strong><br />
gewalthaltiges Spiel<br />
gespielt hatten, reagierten<br />
die Personen auf filmisch<br />
dargebotene <strong>Gewalt</strong>darstellungen<br />
mit<br />
schwächerer physiologischer<br />
Erregung.<br />
aus Carnagey, Anderson & Bushman (2007)
Die Desensitivierungs-<br />
Hypothese<br />
Stichprobe: 39<br />
Studierende (USA).<br />
Vielspieler gewalthaltiger<br />
Videospiele zeigen bei<br />
<strong>Gewalt</strong>darstellungen<br />
(Fotos) e<strong>in</strong> schwächeres<br />
„ereigniskorreliertes<br />
Potenzial“ (EKP: Die<br />
sog. „P300“ als Maß für<br />
die affektive Reagibilität).<br />
aus Bartholow, Bushman & Sestir (2006)
Sozial-kognitive<br />
Erklärungsansätze<br />
• Videospiele formen kognitive Schemata (Normen,<br />
E<strong>in</strong>stellungen, Erwartungen) <strong>und</strong> Verhaltensskripte<br />
(Reiz-Reaktions-Verknüpfungen):<br />
• Verhalten, das belohnt wird, kann nicht verwerflich se<strong>in</strong>.<br />
• Figuren, die mir unähnlich s<strong>in</strong>d, s<strong>in</strong>d wahrsche<strong>in</strong>lich Fe<strong>in</strong>de.<br />
• Besteht die Gefahr, angegriffen zu werden, ist Aggression e<strong>in</strong>e<br />
erfolgversprechende Reaktion („shoot first, talk later“).<br />
• Die meisten Figuren, denen man im Spiel begegnet, hegen<br />
fe<strong>in</strong>dselige Absichten („hostile attribution bias“).<br />
• Die Welt ist e<strong>in</strong> gefährlicher Ort; man muss auf der Hut se<strong>in</strong>; man<br />
darf Anderen nicht leichtfertig vertrauen.<br />
• …
Bee<strong>in</strong>flussung normativer<br />
Erwartungen<br />
• „Canis Canem Edit“: Abenteuer e<strong>in</strong>es pubertierenden Jungen auf e<strong>in</strong>er USamerikanischen<br />
High School<br />
• Orig<strong>in</strong>alname: „Bully“ (USA); für den europäischen Markt verändert<br />
• Altersfreigaben;<br />
• US (ESRB): ab 13 Jahren („T“)<br />
• UK (BBFC): ab 15 Jahren („15“)<br />
• Deutschland (USK): ab 16 Jahren<br />
• Kritische Stimmen:<br />
• „I've had dozens of compla<strong>in</strong>ts from people who f<strong>in</strong>d this game offensive, but I've<br />
also had dozens of hate e-mails, some of which have been very abusive. I th<strong>in</strong>k<br />
this demonstrates the type of person this game is targeted at.“ (Liz Carnell;<br />
“Bully<strong>in</strong>g Onl<strong>in</strong>e”)<br />
• „What you are <strong>in</strong> effect do<strong>in</strong>g is rehears<strong>in</strong>g your physical revenge and violence<br />
aga<strong>in</strong>st those whom you have been victimized by. And then you, like Klebold and<br />
Harris <strong>in</strong> Columb<strong>in</strong>e, become the ultimate bully.” (Staatsanwalt Jack Thompson)
Bee<strong>in</strong>flussung normativer<br />
Erwartungen<br />
Anfangsbetrag: 1€<br />
Behaltener Betrag<br />
Investition (0-1€) x 3<br />
+<br />
Geld aus „Topf“<br />
=<br />
Endbetrag (0-4€)<br />
„Geme<strong>in</strong>samer<br />
Topf“<br />
Beobachtete Variablen:<br />
Eigene Investition: “Wie viel Geld möchten Sie <strong>in</strong> den<br />
geme<strong>in</strong>samen Topf e<strong>in</strong>zahlen?”<br />
Vermutung über die E<strong>in</strong>zahlung anderer: “Was schätzen Sie:<br />
Wieviel Geld zahlen andere durchschnittlich e<strong>in</strong>?”
Bee<strong>in</strong>flussung normativer<br />
Erwartungen<br />
100<br />
Sportunterricht<br />
Geldbetrag (0-100 Cent)<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
66,1<br />
45,39<br />
Eigene Investition<br />
Verrat durch Fre<strong>und</strong><br />
54,9<br />
42,7<br />
Vermutung<br />
Verhalten anderer<br />
Stichprobe: 46 Studenten.<br />
Personen, die die „geme<strong>in</strong>e“<br />
Spielsequenz gespielt hatten,<br />
überweisen im anschließenden<br />
„Vertrauensspiel“<br />
weniger Geld an ihren<br />
Partner; außerdem denken<br />
sie, dass auch ihr Partner<br />
weniger <strong>in</strong>vestieren wird.<br />
aus Rothm<strong>und</strong>, Gollwitzer & Klimmt (2011)
Vier Fragen<br />
1. Wie können Ergebnisse der empirischen <strong>Medien</strong>wirkungsforschung<br />
verstanden <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretiert werden?<br />
2. Wie „wirken“ gewalthaltige Computerspiele <strong>und</strong> wie lässt<br />
sich diese „Wirkung“ psychologisch erklären?<br />
3. Welche Potenziale <strong>und</strong> Chancen bergen Computer- <strong>und</strong><br />
Videospiele für Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozesse?<br />
4. Welche Rolle spielt <strong>Medien</strong>kompetenz von Jugendlichen<br />
<strong>und</strong> Eltern im Zusammenhang mit (un)erwünschten<br />
Konsequenzen des <strong>Medien</strong>gebrauchs?
Serious Games<br />
• „Serious Games“ = Computer- <strong>und</strong> Videospiele, die nicht primär zu<br />
Unterhaltungszwecken produziert werden <strong>und</strong> mit denen „ernsthafte“<br />
Ziele verfolgt werden.<br />
• Anwendungsbereiche:<br />
• Simulation <strong>und</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g (Feuerwehr, Militär, Piloten, Chirurgen etc.)<br />
• Werbung<br />
• Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge <strong>und</strong> Therapie<br />
• Pädagogik <strong>und</strong> Lernen<br />
• Paradigmen:<br />
• Motivationsparadigma<br />
• Verstärkungsparadigma<br />
• Mischparadigma
Vier Fragen<br />
1. Wie können Ergebnisse der empirischen <strong>Medien</strong>wirkungsforschung<br />
verstanden <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretiert werden?<br />
2. Wie „wirken“ gewalthaltige Computerspiele <strong>und</strong> wie lässt<br />
sich diese „Wirkung“ psychologisch erklären?<br />
3. Welche Potenziale <strong>und</strong> Chancen bergen Computer- <strong>und</strong><br />
Videospiele <strong>und</strong> Lern- <strong>und</strong> Entwicklungsprozesse?<br />
4. Welche Rolle spielt <strong>Medien</strong>kompetenz von Jugendlichen<br />
<strong>und</strong> Eltern im Zusammenhang mit (un)erwünschten<br />
Konsequenzen des <strong>Medien</strong>gebrauchs?
<strong>Medien</strong>kompetenz<br />
• Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Fiktion <strong>und</strong> Realität<br />
• Fähigkeit, das Spiel als Unterhaltungsmedium zu begreifen<br />
(<strong>und</strong> nicht als Parallelwelt)<br />
• Fähigkeit, mit dem Spielen aufhören zu können<br />
• Fähigkeit, auch während des Spielens sich vom<br />
Spielgeschehen distanzieren zu können (z.B. <strong>in</strong><br />
Ladepausen), ohne dass das Unterhaltungserleben<br />
darunter leidet.
Zusammenfassung<br />
• Ergebnisse der <strong>Medien</strong>wirkungsforschung können nur vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />
ihrer jeweiligen methodischen Aussagekraft <strong>in</strong>terpretiert werden.<br />
• Es existieren gesicherte empirische Bef<strong>und</strong>e dafür, dass gewalthaltige<br />
Inhalte von Computerspielen e<strong>in</strong>en Risikofaktor für aggressive<br />
Verhaltensbereitschaften darstellen.<br />
• Die Wirkmechanismen dieser Effekte (Verstärkung, Desensitivierung,<br />
normative Erwartungen etc.) werden zurzeit erforscht.<br />
• Je schwerer die <strong>Gewalt</strong>form, desto schwieriger wird die Vorhersage<br />
(<strong>und</strong> der Erklärungsbeitrag möglicher Prädiktoren): Amokläufe lassen<br />
sich so gut wie gar nicht vorhersagen.<br />
• Technologie <strong>und</strong> Mechanismen von Computerspielen eröffnen<br />
Potentiale für e<strong>in</strong>e Vielzahl von Lernangeboten.<br />
• <strong>Medien</strong>kompetenz spielt e<strong>in</strong>e Rolle im Zusammenhang mit<br />
unerwünschten Wirkungen gewalthaltiger <strong>Medien</strong>.