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„neuen“ Kriege der Gegenwart. - Philipps-Universität Marburg

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Dr. Anna Geis<br />

Die Kontroversen über die "neuen" <strong>Kriege</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Gegenwart</strong>: Wie sinnvoll ist die Rede vom „Neuen“?<br />

Zentrum für Konfliktforschung, Universität <strong>Marburg</strong><br />

Ringvorlesung: Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft<br />

17. November 2009


Struktur des Vortrags<br />

1. Kriegsdefinitionen<br />

2. „Alte <strong>Kriege</strong>“ als lange vorherrschen<strong>der</strong> Idealtypus des <strong>Kriege</strong>s<br />

3. Argumente <strong>der</strong> Vertreter eines „neuen <strong>Kriege</strong>s“<br />

4. Die wissenschaftliche Kritik an <strong>der</strong> Rede von „neuen <strong>Kriege</strong>n“<br />

5. Politische Hintergründe <strong>der</strong> Debatte<br />

3 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


Der Krieg ist ein „wahres Chamäleon,<br />

weil er in jedem konkreten Falle seine<br />

Natur etwas än<strong>der</strong>t“<br />

(Carl von Clausewitz: Vom <strong>Kriege</strong>, 1832)<br />

Darstellung: Susanne Hemmerling, Bil<strong>der</strong>quelle: NARA<br />

4


Kriegsdefinitionen: Krieg als „Chamäleon“<br />

Krieg kann nicht „wesenhaft“ o<strong>der</strong> zeitlos gültig definiert werden<br />

Häufig binäre Gegenüberstellungen:<br />

Angriffs-/ Verteidigungskrieg<br />

Staaten-/ Bürgerkrieg<br />

symmetrischer/ asymmetrischer Krieg<br />

Kleiner/ Großer Krieg<br />

Alter/ Neuer Krieg<br />

Quantitative Kriegsforschung: bewaffnete Konflikte mit mindestens 1000 Toten pro<br />

Jahr<br />

5 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


„Alte“ <strong>Kriege</strong> als Kontrastfolie <strong>der</strong> „neuen“ <strong>Kriege</strong><br />

Idealmodell <strong>der</strong> „alten <strong>Kriege</strong>“: Der Staat als „Monopolist des <strong>Kriege</strong>s“<br />

„geregelter“ Krieg zwischen staatlich organisierten und staatlich gelenkten Streitkräften<br />

relativ begrenzte Dauer, klare politische Zielsetzung<br />

Trennung Kombattanten/Nonkombattanten<br />

Klare Trennung von Friedens-/Kriegszustand<br />

Krieg als „eingehegte“,<br />

staatliche Unternehmung<br />

6 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009<br />

Quelle:<br />

WikiCommons


Kritik am „alten“ Kriegsmodell<br />

„alter Krieg“ als „Staatenduell“ so kaum existent in <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

„euro-zentristisch“<br />

beschönigt die außereuropäische Kriegführung <strong>der</strong> europäischen Staaten<br />

völlig untauglich zur Erfassung des heutigen Kriegsgeschehens<br />

Der „Idealtyp“ bestimmte dennoch lange unser Kriegsbild in Europa sowie die<br />

westlichen Sicherheitsstrategien<br />

7 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


„Neue <strong>Kriege</strong>“ als „neue Kriegswirklichkeit“ ?<br />

Vor allem innerstaatliche <strong>Kriege</strong>, teils lang anhaltend, jenseits <strong>der</strong> OECD-Welt<br />

Kriegs-/Friedenszustände schwer zu unterscheiden, „low intensity conflicts“<br />

„Privatisierung“ des <strong>Kriege</strong>s: Warlords, Kin<strong>der</strong>soldaten, Söldner, Private<br />

Sicherheitsunternehmen,...<br />

„Brutalität“ <strong>der</strong> Gewalt: Viele zivile Opfer / Flüchtlinge<br />

Bürgerkriegsökonomien<br />

jüngst Vermischung mit „transnationalem Terrorismus“ (Münkler)<br />

Kontroverse: Wie „neu“ ist das alles wirklich?<br />

Was ist die empirische Basis <strong>der</strong> Beobachtung eines tiefgreifenden Wandels des<br />

Kriegsgeschehens?<br />

8 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


Gewaltakteure: Entstaatlichung des <strong>Kriege</strong>s<br />

Privatisierung des <strong>Kriege</strong>s<br />

Kriegsgewalt ausgeübt durch zahlreiche private Akteure:<br />

Warlords, Kin<strong>der</strong>soldaten, Söldner, private<br />

Sicherheitsunternehmen,Terroristen, kriminelle Banden<br />

Konfliktkonstellation wird sehr viel komplexer: staatliche, nichtstaatliche<br />

Akteure vor Ort sowie Intervention durch externe<br />

[regionale/internationale] staatliche und nicht-staatliche Akteure<br />

Kriegführende private Akteure sind nicht auf Regeln zu<br />

verpflichten, können nicht zur Rechenschaft gezogen werden<br />

Logo: Blackwater Worldwide<br />

Quelle: WikiCommons<br />

Foto:Ute Kirch<br />

9 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


Gewaltmotive: Entpolitisierung <strong>der</strong> Konflikte<br />

Im privatisierten Krieg treten die politischen Motive hinter die ökonomischen Motive<br />

zurück (an<strong>der</strong>s als im klassischen Bürgerkrieg)<br />

dauerhaftes Interesse privater Akteure an <strong>der</strong> Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Gewalt zwecks<br />

Selbstbereicherung und an schwacher staatlicher Herrschaft<br />

Entstehung von „Gewaltmärkten“ und Bürgerkriegsökonomien<br />

Gegensatz zum klassischen Bürgerkrieg:<br />

Politisch-ideologische Motive nachrangig<br />

Copyright: Jonathan Alpeyrie Quelle: WikiCommons<br />

10 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


Gewaltökonomien<br />

Entstehung von „Gewaltmärkten“ und Bürgerkriegsökonomien:<br />

Raub, Plün<strong>der</strong>ung, Aneignung von Bodenschätzen, Menschen- und Drogenhandel<br />

durch transnationale Netzwerke an den kriminellen Sektor <strong>der</strong> Weltwirtschaft<br />

angeschlossen (Schattenglobalisierung)<br />

Gewaltökonomien stellen eine beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung für<br />

Friedensstrategien dar<br />

11 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


Gewaltstrategien und Gewaltfolgen<br />

„Entmilitarisierung“ des <strong>Kriege</strong>s und Entgrenzung von Gewalt<br />

private Akteure setzen vorwiegend „leichte“ Waffen und Gerät ein<br />

„entzivilisierte Kriegführung“: Massenvertreibungen, Massenvergewaltigungen,<br />

Verstümmelungen, gezielte Tötungen von Zivilisten, terroristische Akte u.a.<br />

Keine Trennung Kombattanten/ Nonkombattanten<br />

„Brutalisierung“ des <strong>Kriege</strong>s<br />

viele zivile Opfer (Schätzung: 80-90% Zivilisten), viele Flüchtlinge<br />

12 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


Wie sinnvoll ist die Rede vom „Neuen“? (I)<br />

Kritik an den Thesen zu den „neuen <strong>Kriege</strong>n“<br />

Referenzkategorie „Staat“ euro-zentriert; fragile Staatlichkeit weltweit<br />

jedoch nicht neu<br />

Die Welt war nie in dem Maße „verstaatlicht“, wie es westliche<br />

Beobachter häufig selbstverständlich angenommen hatten.<br />

Vieles, was als „neu“ behauptet wird, war schon vorher da:<br />

innerstaatliche <strong>Kriege</strong> als vorherrschen<strong>der</strong> Kriegstyp schon seit 1945<br />

„Asymmetrie“ altbekanntes Phänomen<br />

private Akteure haben in vielen <strong>Kriege</strong>n zuvor schon eine Rolle<br />

gespielt<br />

„brutale Kriegführung“ ebenfalls kein neues Phänomen<br />

Copyright: J.F. Fitzpatrick, Jr.<br />

Quelle: NARA<br />

13 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


Wie sinnvoll ist die Rede vom „Neuen“? (II)<br />

Teils fragwürdige empirische Basis bzw. Überpointierung und falsche Generalisierung<br />

Vorwurf: zu viel anekdotische Evidenz<br />

Reduzierung von Komplexität (z.B. ad: ökonomische Antriebsmotive für Gewalt)<br />

aus (durchaus zutreffenden) Teilbeobachtungen wird vorschnell ein Modell o<strong>der</strong> eine<br />

Theorie konstruiert<br />

ABER: Tatsächlich „neu“: Bürgerkriegsökonomien; Anschluss an Globalisierungsprozesse<br />

Fazit:<br />

empirische Basis bleibt umstritten: allenfalls gradueller Wandel des <strong>Kriege</strong>s<br />

weitere empirische Forschung notwendig, aber auch präzisere Begriffsfassung<br />

vieles wurde nach dem Ende des Kalten <strong>Kriege</strong>s an<strong>der</strong>s wahrgenommen in den Augen<br />

westlicher Betrachter<br />

14 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009


Politische Hintergründe <strong>der</strong> Rede vom „Neuen“<br />

Neuorientierung <strong>der</strong> westlichen Sicherheitspolitik nach dem Ende des Kalten <strong>Kriege</strong>s:<br />

Wo liegen internationale Gefahren / Bedrohungen für das eigene Land?<br />

Legitimationsfrage: Wozu braucht man solch umfangreiche Militärapparate?<br />

Neuer Interventionismus seit 1990<br />

Verän<strong>der</strong>te Wahrnehmung von Konflikten in <strong>der</strong> Welt möglich:<br />

„Brille“ des Kalten <strong>Kriege</strong>s abgelegt<br />

Globalisierungsdebatte: potenziell überall eigene Betroffenheit durch territorial weit entfernte<br />

Entwicklungen<br />

Probleme:<br />

viele unterschiedliche Phänomene werden undifferenziert vermischt<br />

diffuses Bedrohungsgefühl und weltweite „Zuständigkeit“ westlicher Staaten<br />

15 Dr. Anna Geis, Ringvorlesung „Konflikte in <strong>Gegenwart</strong> und Zukunft“, <strong>Philipps</strong>-Universität <strong>Marburg</strong>, 16.11.2009

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