Klinische Anwendung von Zytoprotektiva
Klinische Anwendung von Zytoprotektiva
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Fortbildung<br />
Fortbildung Supportivtherapie, Folge 2<br />
<strong>Klinische</strong> <strong>Anwendung</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Zytoprotektiva</strong><br />
Chemo- und Radiotherapie bilden zwei wichtige Säulen der onkologischen<br />
Behandlung. Maßnahmen, um gesunde Zellen so weit wie<br />
möglich zu schonen, rücken dabei zunehmend in den Vordergrund.<br />
Ausgehend <strong>von</strong> dieser Entwicklung verfasste der „Arbeitskreis<br />
Supportivmaßnahmen in der Onkologie“ (AK SUPPO) Empfehlungen<br />
zur klinischen <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> <strong>Zytoprotektiva</strong>, die Gegenstand<br />
der zweiten Folge unserer Fortbildungsreihe sind.<br />
Mit dem Begriff Zytoprotektion<br />
bezeichnen wir eine supportive<br />
Therapiestrategie, die gesunde<br />
Zellen vor den Toxizitäten einer<br />
antineoplastischen Therapie schützt –<br />
möglichst ohne die Wirksamkeit der<br />
Grundbehandlung negativ zu beeinflussen.<br />
Als <strong>Zytoprotektiva</strong> in diesem Sinne<br />
sind gegenwärtig in Deutschland lediglich<br />
die Substanzen Mesna und Amifostin<br />
zugelassen.<br />
Mesna – wann kommt es zum<br />
Einsatz?<br />
Die Oxazaphosphorine (Cyclophosphamid,<br />
Ifosfamid, Trophosphamid) nehmen<br />
eine zentrale Rolle in der Therapie<br />
verschiedener Tumoren ein. Als dosislimitierende<br />
Toxizität wurden mehrfach<br />
eine hämorrhagische Zystitis beschrieben,<br />
wobei Acrolein als der eigentlich<br />
toxische Metabolit identifiziert werden<br />
konnte. Die Inzidenz der hämorrhagischen<br />
Zystitis wird in mehreren Untersuchungen<br />
nach Cyclophosphamidbzw.<br />
Ifosfamidgabe je nach Dosis bis zu<br />
40% angegeben. Insgesamt ist eine deutliche<br />
Dosisabhängigkeit in der Entwicklung<br />
der hämorrhagischen Zystitis bei<br />
klinischer <strong>Anwendung</strong> aller Oxazaphosphorin-Derivate<br />
zu beobachten. Die sich<br />
aus der hämorrhagischen Zystitis ergebende<br />
Mortalitätsrate soll zwischen<br />
2 und 4% liegen.<br />
Pharmakologie. Mesna (2-Mercaptoethansulfonsäure)<br />
ist ein Thiol, das<br />
lokal in der Blase als Zytoprotektivum<br />
gegenüber den Oxazaphosphorin-Metaboliten<br />
wirksam wird. Sowohl nach oraler<br />
als auch intravenöser Gabe wird<br />
Mesna im Plasma schnell zu Dimesna<br />
oxidiert. Aufgrund seiner Hydrophilie<br />
wird dieses rasch renal ausgeschieden.<br />
Nach glomerulärer Filtration wird etwa<br />
ein Drittel des Dimers durch das Glutathionreduktasesystem<br />
der Tubuluszellen<br />
in die aktive Form zurückgeführt. Die<br />
Sulfhydrylgruppen des Mesna können<br />
dann Acrolein zu einem nicht-toxischen<br />
Thiolether binden. Innerhalb eines zweiten<br />
Reaktionsweges wird ein temporär<br />
stabiles, nicht-blasentoxisches Kondensationsprodukt<br />
aus den 4-Hydroxymetaboliten<br />
der Oxazaphosphorine und<br />
Mesna gebildet. Durch diese Stabilisierung<br />
vermag Mesna den weiteren Zerfall<br />
des 4-Hydroxymetaboliten und damit<br />
die weitere Bildung <strong>von</strong> Acrolein zu<br />
verhindern.<br />
Die renale Verstoffwechslung <strong>von</strong><br />
Mesna erklärt den Umstand, dass die<br />
Substanz zum einen keinen Schutz vor<br />
anderen nicht-urologischen Toxizitäten<br />
der Oxazaphosphorine bietet, zum<br />
anderen auch keinen Einfluss auf die<br />
zytotoxische Aktivität der Alkylantien<br />
hat. Folgende pharmakokinetische Charakteristika<br />
haben auf die Wirksamkeit<br />
<strong>von</strong> Mesna als Uroprotektor einen<br />
besonderen Einfluss: Nach oraler Gabe<br />
beträgt die Bioverfügbarkeit zwischen<br />
50 und 75%, die Umrechnung zur intravenösen<br />
Dosis sollte deshalb 2:1 erfolgen.<br />
Die Halbwertszeit <strong>von</strong> Mesna<br />
beträgt 0,4 Stunden, <strong>von</strong> Dimesna 1,2<br />
Stunden. Die renale Exkretion des Zytoprotektivums<br />
ist 2 bis 4 Stunden nach<br />
i.v.-Gabe abgeschlossen, nach oraler<br />
Applikation kann sie in einem Zeitraum<br />
<strong>von</strong> 8 Stunden noch ansteigen.<br />
Nebenwirkungen. In Dosen zwischen<br />
50 und 100 mg/kg i.v. zeigte<br />
Mesna keinen Hinweis auf eine toxische<br />
Beeinflussung des Knochenmarks, der<br />
Leber-, Nieren- oder ZNS-Funktionen.<br />
Übelkeit und Erbrechen traten als<br />
Nebenwirkungen <strong>von</strong> Mesna erst nach<br />
Dosen <strong>von</strong> über 80 mg/kg auf.<br />
Mesna bei der Gabe <strong>von</strong><br />
Ifosfamid<br />
In einer 1991 publizierten, prospektiv<br />
randomisierten Studie wurden 91 Patienten<br />
aufgenommen, <strong>von</strong> denen 45 mit<br />
Ifosfamid/Mesna und 46 mit Ifosfamid/Plazebo<br />
behandelt wurden. Alle<br />
Patienten hatten zuvor 2 l Flüssigkeit als<br />
i.v.-Infusion erhalten. Die nachgewiesene<br />
Reduktion der Hämaturie, des<br />
schmerzhaften Harndranges und des<br />
Restharngefühls zeigt Tabelle 1. In einer<br />
retrospektiven Analyse <strong>von</strong> 748 Patienten<br />
(409 Patienten mit Standardprophylaxe,<br />
399 Patienten mit Mesnaprophylaxe)<br />
konnten diese Ergebnisse bestätigt<br />
werden. In beiden Arbeiten fand sich<br />
keine komplette Uroprotektion, unter<br />
Mesna-Schutz beträgt die Inzidenz der<br />
Urotheltoxizität zwischen 1 und 10%.<br />
Dosierung bei i.v.-Applikation.<br />
Die tägliche Gesamtdosis Mesna sollte<br />
60% der Ifosfamiddosis betragen und<br />
in drei Einzeldosierungen als Bolus appliziert<br />
werden: 15 Minuten vor sowie<br />
4 und 8 Stunden nach der Gabe <strong>von</strong><br />
Ifosfamid. Wird Ifosfamid als kontinuierliche<br />
Infusion appliziert, so werden<br />
20% der Ifosfamiddosis als Mesna kurz<br />
vor Beginn der Dauerinfusion als Bolus<br />
verabreicht; 100% der Ifosfamiddosis<br />
werden als Mesna parallel zur Dauerinfusion<br />
kontinuierlich infundiert (Mesna<br />
kann der Infusionslösung direkt zugesetzt<br />
werden). Nach Abschluss der Dauerinfusion<br />
werden über weitere 12 Stunden<br />
50% der Ifosfamiddosis als Mesna<br />
perfundiert.<br />
Dosierung bei oraler Applikation.<br />
Insbesondere die wiederholten Mesna-<br />
Applikationen lassen sich nach initialer<br />
i.v.-Gabe gut mit der oralen Form fort-<br />
66<br />
Im Focus Onkologie 6/2000
Tabelle 1:<br />
Prospektiv-randomisierte Studie zu Mesna bei Ifosfamidtherapie<br />
Ifosfamid plus Mesna Ifosfamid + Plazebo p-Wert<br />
n (Pat) 45 46<br />
schwere Hämaturie 6,7% 32,6% 0,0008<br />
Algurie 0,0% 19,6% 0,0003<br />
Restharngefühl 0,0% 15,2% 0,009<br />
führen, wobei die Gesamtdosis des Ifosfamids<br />
unter 2 g/m 2 betragen sollte. Die<br />
50%-ige Bioverfügbarkeit <strong>von</strong> oral aufgenommenem<br />
Mesna führt zur o.g. Dosisumrechnung<br />
(i.v. : p.o. = 1 : 2) Dabei<br />
werden initial 20% der Oxazaphosphorindosis<br />
als Mesna kurz vor der Infusion<br />
als Bolus i.v. verabreicht. Jeweils 40% der<br />
Ifosfamiddosis werden als Mesna peroral<br />
zur Stunde 2 und 6 eingenommen.<br />
Mesna bei der Gabe <strong>von</strong><br />
Cyclophosphamid<br />
Die hochdosierte Cyclophosphamidanwendung<br />
findet nur im Rahmen der<br />
Hochdosis-Chemotherapie mit autologer<br />
Stammzelltransplantation statt. Hierfür<br />
ist eine Zytoprotektion mit Mesna<br />
obligat. Grundsätzlich ist bei allen<br />
Hochdosistherapien die Mesnadosis<br />
mindestens 100% der entsprechenden<br />
Dosis des eingesetzten Oxazaphosphorin-Derivates,<br />
häufig werden 20% der<br />
Dosis zusätzlich als Bolus vorab appliziert.<br />
Werden Cyclophophamid-Dosen<br />
< 750 mg/m 2 angewendet, so kann auf<br />
eine Zytoprotektion verzichtet werden.<br />
Eine Zusammenfassung der Empfehlungen<br />
zur Dosierung des Mesnas bei<br />
Standarddosierungen <strong>von</strong> Oxazaphosphorinen<br />
zeigt Tabelle 2.<br />
Tabelle 2:<br />
Dosisempfehlungen zu Mesna bei Oxazaphosphorinen<br />
Zeit in Stunden 0 2 4 6 8<br />
Schema 1 (Standard)<br />
Oxazaphosphorin 1 – – – –<br />
Mesna (intravenös) 0,2 – 0,2 – 0,2<br />
Schema 2 (Standard)<br />
Oxazaphosphorin 1 ➔ ➔ ➔ ➔<br />
Mesna (intravenös) 0,2 – – – –<br />
Mesna (intravenös) 1 ➔ ➔ ➔ ➔<br />
Schema 3 (Standard)<br />
Oxazaphosphorin 1 – – – –<br />
Mesna (iv./p.o) 0,2 (iv.) 0,4 (p.o.) – 0,4 (p.o.) –<br />
Amifostin – Substanz mit<br />
multiplem Potenzial<br />
Amifostin (Synonym: WR-2721) ist ein<br />
natürlich auftretendes Thiol, das Zellen<br />
vor Schäden zu schützen vermag, die<br />
durch freie Sauerstoffradikale bedingt<br />
sind. Im Rahmen eines Entwicklungsprogrammes<br />
der US-Army wurde die<br />
Substanz als diejenige <strong>von</strong> 4.400 Stoffen<br />
identifiziert, die das größte radioprotektive<br />
Potenzial im Falle eines nuklearen<br />
Angriffes bieten würde. Erst in den Folgejahren<br />
wurde die klinische Rolle als<br />
Radioprotektor evaluiert, auch wurde<br />
das Schutzpotenzial gegenüber Chemotherapie-bedingten<br />
Toxizitäten für Zytostatika<br />
geprüft, die Struktur und Funktion<br />
der DNA alterieren (Alkylanzien,<br />
Platinderivate). Im Gegensatz zu anderen<br />
<strong>Zytoprotektiva</strong> gilt Amifostin nach<br />
den vorliegenden Daten als Substanz mit<br />
einem multiplen Schutz vor den Toxizitäten<br />
der antineoplastischen Therapie.<br />
Pharmakologie. Die Substanz<br />
Amifostin ist als Prodrug selbst ohne<br />
protektiven Effekt. Erst nach ihrer<br />
Dephosphorylierung durch die membrangebundene<br />
alkalische Phosphatase<br />
zum Metaboliten WR-1065 können die<br />
protektiven Mechanismen greifen: Abfangen<br />
hochaggressiver Sauerstoffradikale,<br />
und Freisetzung <strong>von</strong> Wasserstoffatomen<br />
zur Reparatur bereits zerstörter<br />
Zielmoleküle (DNA-Repair). Eine Selektivität<br />
der Amifostinwirkung wird<br />
durch mehrere Faktoren erreicht, durch<br />
die sich Tumorgewebe vom Normalgewebe<br />
unterscheidet. Zum Ersten ist das<br />
Tumorgewebe durch eine Hypovaskularisierung<br />
mit konsekutiver Anämie und<br />
niedrigem interstitiellen pH-Wert charakterisiert.<br />
Dies führt zu einer verminderten<br />
Prodrug-Aktivierung durch die<br />
alkalische Phosphatase. Zum Zweiten ist<br />
die Konzentration dieses Enzyms in<br />
Kapillaren und Arteriolen <strong>von</strong> normalem<br />
Gewebe deutlich höher als in denen <strong>von</strong><br />
Tumorgewebe. Im Ergebnis dieser selektiven<br />
Aktivierung liegt im Normalgewebe<br />
eine mehr als 100-fach höhere Konzentration<br />
des aktiven Thiols WR-1065<br />
vor als in Zellen des Tumorgewebes.<br />
Im Rahmen früher Phase-I/II-Untersuchungen<br />
konnte keine maximal<br />
tolerable Dosis <strong>von</strong> Amifostin ermittelt<br />
werden, jedoch wurden 740 bis<br />
910 mg/m 2 als klinisch akzeptable<br />
Einmaldosis festgelegt.<br />
Nebenwirkungen. Typische Nebenwirkungen<br />
der insgesamt gut tolerablen<br />
Substanz waren in diesen ersten Untersuchungen<br />
Übelkeit und Erbrechen,<br />
Niesanfälle, Hitzewellen, eine milde<br />
Somnolenz, ein metallischer Geschmack<br />
während der Infusion und gelegentlich<br />
allergische Reaktionen. Auch eine<br />
Hypokalzämie (Parathormonblockade)<br />
wurde als Folge einer Amifostinapplikation<br />
beschrieben. In weiteren Phase-IIund<br />
Phase-III-Studien kristallierten sich<br />
als wesentliche klinische Nebenwirkungen<br />
eine moderate Hypotension und das<br />
emetogene Potenzial heraus. Obwohl es<br />
bei der Mehrzahl der Patienten zu einem<br />
vorübergehenden Absinken des Blutdruckes<br />
kommt, sind klinisch-bedeutsame<br />
Reaktionen (> 20 mm Hg über<br />
5 min) bei weniger als 5% aller <strong>Anwendung</strong>en<br />
zu beobachten. Der exakte Entstehungsmechanismus<br />
der Hypotension<br />
ist bisher unbekannt.<br />
Die Inzidenz der Nebenwirkungen<br />
ist dosisabhängig und korreliert mit der<br />
Dauer der Infusion/Injektion. Es werden<br />
im Rahmen der Chemoprotektion (Dosierung<br />
740 bis 910 mg/m 2 Amifostin)<br />
eine 15-minütige Kurzinfusion empfohlen,<br />
bei der der Patient in liegender<br />
Im Focus Onkologie 6/2000<br />
67
Fortbildung<br />
Supportivtherapie<br />
Position überwacht werden sollte. Für<br />
die wiederholten Applikationen im Rahmen<br />
der Radioprotektion (200 mg/m 2<br />
Amifostin) sind hingegen auch i.v.-Applikationen<br />
denkbar, da diese ein milderes<br />
Toxizitätsprofil des Zytoprotektivums<br />
zeigten. Ist die Trockensubstanz einmal<br />
in isotonischer Kochsalzlösung gelöst, so<br />
ist sie 6 Stunden bei Raumtemperatur<br />
oder 24 Stunden unter Kühlung haltbar.<br />
Nach humanen pharmako-kinetischen<br />
Studien ist die Plasmahalbwertszeit<br />
<strong>von</strong> Amifostin kleiner als eine<br />
Minute, so dass 10 Minuten nach Injektion<br />
keine freie Substanz mehr im<br />
Plasma nachgewiesen werden kann.<br />
Chemoprotektion mit Amifostin<br />
Nephrotoxizität. In mehreren Studien<br />
wurde die Reduktion der Nephrotoxizität<br />
Cisplatin-haltiger Chemotherapieregime<br />
bestätigt. Im Rahmen einer<br />
randomisierten Phase-III-Untersuchung<br />
konnte durch Amifostinschutz an 242<br />
Patientinnen mit einem fortgeschrittenen<br />
Ovarialkarzinom eine Reduktion<br />
der Cisplatin/Cyclophosphamidbedingten<br />
funktionellen Nierenschädigung<br />
<strong>von</strong> 33 auf 10% der Patientinnen<br />
beobachtet werden. Therapieansprechen<br />
und mittlere Überlebensraten waren in<br />
beiden Studienarmen gleich, so dass kein<br />
Hinweis auf eine Tumorprotektion in<br />
dieser Untersuchung gefunden wurde.<br />
Eine signifikante Reduktion der<br />
Nephrotoxizität (und Hämatotoxizität)<br />
konnte auch in einer prospektiven Studie<br />
zum Einsatz <strong>von</strong> Amifostin in Kombination<br />
mit einer Cisplatin-Ifosfamidbasierten<br />
Hochdosis-Chemotherapie<br />
(HD-VIC) mit autologer Stammzelltransplatation<br />
im Vergleich zu Kontrollpatienten<br />
erzielt werden.<br />
Neutropenie und Thrombopenie. Im Rahmen<br />
früher Phase-I/II-Untersuchungen<br />
konnte bereits die myeloprotektive<br />
Wirkung <strong>von</strong> Amifostin nachgewiesen<br />
werden. In der bereits erwähnten randomisierten<br />
Studie an Patientinnen mit<br />
fortgeschrittenem Ovarialkarzinom wurde<br />
eine Reduktion der Neutropenie<br />
vom WHO-Grad 4 <strong>von</strong> 21 auf 10%<br />
durch Amifostinschutz dokumentiert.<br />
Hinsichtlich der Anzahl verwendeter<br />
Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentrate<br />
ließ sich keine signifikante Differenz<br />
zwischen den beiden Gruppennachweisen.<br />
Hingegen konnten in zwei<br />
kleinen randomisierten Arbeiten eine<br />
Reduktion der Carboplatin-bedingten<br />
Thrombozytopenie durch die zusätzliche<br />
Gabe <strong>von</strong> Amifostin beobachtet werden.<br />
Neurotoxizität und Ototoxizität. Aus<br />
verschiedenen Phase-I/II-Daten gibt es<br />
Hinweise auf eine mögliche Protektion<br />
gegenüber der Cisplatin-bedingten Neuro-<br />
und Ototoxizität. Im Rahmen der<br />
Ovarialkarzinomstudie wurde eine<br />
signifikante Reduktion der Grad-3-<br />
Neuropathie angegeben (p = 0,029), die<br />
Ototoxizität wurde weniger deutlich gesenkt<br />
(p = 0,108). Eine objektivierbare<br />
Senkung der Neurotoxizität (Vibrati-<br />
Amifostin als Einmalgabe empfohlen.<br />
Diese sollten als 15-minütige Kurzinfusion<br />
30 Minuten vor Beginn der Chemotherapie<br />
appliziert werden. Vor der Infusion<br />
des Zytoprotektivums sollten die Patienten<br />
eine Prämedikation (5-HT3-Antagonist<br />
plus Glukokortikoid) erhalten,<br />
um die emetogenen Nebenwirkungen<br />
<strong>von</strong> Amifostin zu minimieren. Niedrigere<br />
Dosen Amifostin (740 mg/m 2 ) wurden<br />
in einzelnen Studien erfolgreich angewendet;<br />
hiermit ließ sich ein klinisch<br />
vergleichbares Maß an Nephroprotektion<br />
erzielen. Auf Grund der besonderen<br />
Pharmakokinetik <strong>von</strong> Amifostin (kurze<br />
Halbwertszeit) wird keine Kombination<br />
Tabelle 3:<br />
Studien zur erfolgreichen Amifostin-Gabe bei Radiochemotherapie<br />
Zytostatikum Intention n Protektion gegen<br />
Carboplatin Chemoprotektion 39 Hämatotoxizität<br />
Mukositis<br />
Xerostomie<br />
Carboplatin Radioprotektivum 50 Mukositis<br />
Xerostomie<br />
Cisplatin Chemoprotektivum 20 Zystitis<br />
onsmessung) konnte in einer bisher nur<br />
als Abstract publizierten Untersuchung<br />
an Patienten mit fortgeschrittenen Kopf-<br />
Hals-Karzinomen nachgewiesen werden,<br />
die Cisplatin/Amifostin vs. Cisplatin<br />
erhalten hatten. Ähnliche objektivierbare<br />
Methoden (OAE, BERA) sind für<br />
künftige Untersuchungen zur Otoprotektion<br />
unumgänglich.<br />
Paclitaxel-bedingte Neurotoxizität. In<br />
einer kürzlich publizierten, randomisierten<br />
Phase-II-Untersuchung erhielten<br />
37 Patienten mit fortgeschrittenem<br />
Mammakarzinom hochdosiertes Paclitaxel<br />
in einer Dosis <strong>von</strong> 250 mg/m 2 als<br />
3-Stunden-Infusion alle drei Wochen.<br />
Als Prämedikation wurden 910 mg/m 2<br />
Amifostin appliziert. Die Autoren konnten<br />
keine mittels Vibrationsmessung<br />
objektivierbare Neuroprotektion durch<br />
Amifostin nachweisen. Eine <strong>Anwendung</strong><br />
<strong>von</strong> Amifostin zur Prävention der Taxan-<br />
Neuropathie kann daher zur Zeit nicht<br />
empfohlen werden.<br />
Dosierung zur Chemoprotektion.<br />
Vom Hersteller und der ASCO wird in<br />
Zusammenhang mit Cisplatindosierungen<br />
>50mg/m 2 eine Dosis <strong>von</strong> 910mg/m 2<br />
mit Zytostatika empfohlen, die entweder<br />
eine lange Verweildauer im Körper selbst<br />
aufweisen oder als prolongierte Infusion<br />
appliziert werden.<br />
Radioprotektion mit Amifostin<br />
Xerostomie. In einer randomisierten Untersuchung<br />
an 315 Patienten mit fortgeschrittenen<br />
Kopf-Hals-Karzinomen<br />
wurde Amifostin in einer Dosis <strong>von</strong><br />
200 mg/m 2 als 3-minütige Injektion täglich<br />
vor jeder Bestrahlung appliziert.<br />
Wichtigstes Einschlusskriterium war die<br />
Mitbestrahlung <strong>von</strong> mindestens 75% des<br />
Volumens der großen Speicheldrüsen.<br />
Unter Amifostin-Schutz kam es hierbei<br />
zu einem späteren Einsetzen einer akuten<br />
Mundtrockenheit (42 Gy vs. 62 Gy),<br />
die Inzidenz der akuten Xerostomie<br />
≥ Grad 2 (RTOG) wurde <strong>von</strong> 78 auf<br />
51% gesenkt. Die späte Xerostomie<br />
≥ Grad 2 (RTOG) konnte in derselben<br />
Untersuchung durch Amifostin <strong>von</strong><br />
51 auf 28% signifikant gesenkt werden.<br />
Nach 12 Monaten war keine Differenz<br />
der lokoregionären Kontrolle und der<br />
Gesamtüberlebenskurve zwischen beiden<br />
Gruppen zu erkennen.<br />
68<br />
Im Focus Onkologie 6/2000
In einer kleinen, randomisierten<br />
Untersuchung an 39 Patienten zur Amifostin-<strong>Anwendung</strong><br />
bei einer Radiochemotherapie<br />
bei fortgeschrittenem Kopf-<br />
Hals-Karzinom wurde ebenfalls die<br />
signifikante Reduktion der akuten und<br />
späten Xerostomie durch die zusätzliche<br />
Gabe <strong>von</strong> Amifostin beobachtet, jedoch<br />
wurde das Zytoprotektivum hier lediglich<br />
an den Tagen der simultanen<br />
Carboplatingabe appliziert.<br />
Mukositis. Im Rahmen der o.g. Radioprotektionsstudie<br />
(n = 315) konnte<br />
nur ein Trend bezüglich eines Schutzes<br />
der oralen Mukosa durch Amifostin festgehalten<br />
werden (p = 0,1442). In der<br />
ebenfalls bereits erwähnten randomisierten<br />
Pilotuntersuchung (n = 39) zur<br />
Radio-Chemotherapie im Kopf-Hals-<br />
Bereich wurde eine signifikante Reduktion<br />
der Grad 3/4-Mukositis (RTOG)<br />
(p = 0,001) beobachtet.<br />
Urotoxizität. Einhundert Patienten<br />
mit einem Rektumkarzinom wurden innerhalb<br />
einer randomisierten Studie behandelt,<br />
in der die Radiotherapie ± Amifostin<br />
durchgeführt wurde. Es zeigte sich<br />
hierbei eine deutliche Reduktion <strong>von</strong><br />
Spätnebenwirkungen (Blase, Urogenitaltrakt),<br />
ein Einfluss auf die Akuttoxizität<br />
konnte nicht beobachtet werden.<br />
Dosierung zur Radioprotektion.<br />
Es liegen gegenwärtig keine Daten zur<br />
optimalen Dosis des Amifostins im Rahmen<br />
der Radioprotektion vor. Eine wiederholte<br />
Applikation <strong>von</strong> 200 mg/m 2<br />
Amifostin hat sich im Rahmen der Zulassungsstudie<br />
als effektiv und nebenwirkungsarm<br />
erwiesen. Dies gilt ebenso<br />
für die <strong>von</strong> anderen Autoren genutzten<br />
Dosen zwischen 300 und 340 mg/m 2 .<br />
Diese Dosis sollte 30 Minuten vor der<br />
Bestrahlung als Bolus intravenös gegeben<br />
werden, auf eine antiemetische Prämedikation<br />
kann bei den meisten Patienten<br />
verzichtet werden.<br />
Dosierung bei der simultanen Radiochemotherapie.<br />
Das Zeitfenster zwischen<br />
Beginn der Amifostingabe, Applikation<br />
des Zytostatikums und Ende der<br />
Strahlentherapie sollte auch hier 60 Minuten<br />
nicht überschreiten, allerdings<br />
können hierzu keine abschließenden<br />
Empfehlungen gegeben werden. Für die<br />
erfolgreiche Integration <strong>von</strong> Amifostin<br />
in derart multimodale Therapiekonzepte<br />
ist die primäre Intention der Zytoprotektion<br />
zu definieren (s. Tab. 3, d.h.<br />
primäre Chemo- oder Radioprotektion),<br />
um eine optimale Reduktion der additiven<br />
oder synergistischen Toxizitäten zu<br />
erreichen.<br />
Nicht zugelassene Substanzen:<br />
1. Dexrazoxan<br />
Diese Substanz hat in den USA und einigen<br />
europäischen Staaten die Zulassung<br />
als Kardioprotektivum, nicht jedoch<br />
in Deutschland. Sie schützt auf der<br />
Basis einer Chelatbildung vor den kardialen<br />
Nebenwirkungen <strong>von</strong> Anthrazyklinen.<br />
Die Gefahr einer chronischen<br />
Kardiomyopathie hängt sehr wahrscheinlich<br />
mit der Freisetzung sehr reaktiver<br />
Sauerstoffradikale zusammen, die<br />
ihrerseits mit Eisen-(III)-Ionen außerordentlich<br />
aggressive und zytotoxische<br />
Hydroxyl-Ionen und -Radikale bilden.<br />
Da das Myokard nur geringe Mengen an<br />
Katalase und Superoxiddismutase enthält,<br />
ist dieses Gewebe besonders empfindlich<br />
gegenüber den Sauerstoffspezies.<br />
Aufgrund neuerer Untersuchungen<br />
empfiehlt die ASCO die Gabe <strong>von</strong><br />
Dexrazoxan bei Patienten, deren kumulative<br />
Doxorubicindosis mehr als<br />
300 mg/m 2 beträgt. Dexrazoxan wird<br />
dabei in einem Verhältnis <strong>von</strong> 1:10 zu<br />
Adriamycin als Kurzinfusion im Abstand<br />
<strong>von</strong> nicht länger als 30 min vor Adriamycin<br />
verabreicht. Für die Kardioprotektion<br />
durch Dexrazoxan im Rahmen<br />
einer Epirubicintherapie konnte<br />
Anmerkungen der Autoren<br />
” Anlehnend an die kürzlich publizierten<br />
ASCO-Guidelines basieren die<br />
Empfehlungen auf dem gegenwärtigen<br />
Wissen und werden alle drei Jahre<br />
aktualisiert. Sie sollen die Nutzung<br />
verschiedener <strong>Zytoprotektiva</strong> außerhalb<br />
klinischer Studien in Deutschland<br />
lenken, ohne den juristischen Anspruch<br />
einer Richtlinie zu haben.<br />
” Die zur Verfügung stehenden Daten<br />
entstammen nur teilweise prospektiven<br />
Untersuchungen. Insbesondere<br />
exakte Daten zu Aspekten der Lebensqualitätsmessung<br />
und zu pharmakoökonomischen<br />
Analysen, die im<br />
Rahmen der Diskussion um<br />
Supportivmaßnahmen zunehmend<br />
an Bedeutung gewinnen, fehlen noch<br />
hingegen keine Empfehlung abgegeben<br />
werden. Mögliche tumorprotektive<br />
Effekte <strong>von</strong> Dexrazoxan sollten unbedingt<br />
beachtet werden.<br />
2. Natriumselenit<br />
Es gibt in letzter Zeit einige experimentelle<br />
Hinweise, dass die prophylaktische<br />
Gabe <strong>von</strong> Natriumselenit zu radio- und<br />
chemoprotektiven Effekten führen kann.<br />
<strong>Klinische</strong> Daten aus kontrollierten<br />
Untersuchungen liegen bisher jedoch<br />
noch nicht vor.<br />
Die Auswahl dieser nicht-zugelassenen<br />
zytoprotektiven Substanzen erhebt<br />
keinen Anspruch auf Vollständigkeit.<br />
Vielmehr sollen es Anregungen für<br />
weitere Auseinandersetzung mit dem<br />
Thema sein. Ihre <strong>Anwendung</strong> sollte<br />
unbedingt im Rahmen klinischer Studien<br />
erfolgen.<br />
Literatur bei den Verfassern<br />
AG Zytoprotektion des AK SUPPO:<br />
J. Büntzel, Klinik für HNO-Krankheiten,<br />
Zentralklinikum Suhl;<br />
C. Bokemeyer, Medizinische Klinik und<br />
Poliklinik, Eberhard-Karls-Universität,<br />
Tübingen;<br />
W. Wagner, Paracelsus-Strahlenklinik,<br />
Osnabrück.<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Dr. med. Jens Büntzel, Ltd. Oberarzt<br />
der HNO-Klinik, Zentralklinikum Suhl,<br />
A.-Schweitzer-Str. 2, 98527 Suhl.<br />
weitgehend. Diese Wertungen tragen<br />
deshalb präliminären Charakter und<br />
bedürfen der Überprüfung in weiteren<br />
klinischen Studien.<br />
” Die Empfehlungen beziehen sich auf<br />
die in der jeweiligen Zulassung formulierten<br />
Indikationsgebiete. Es werden<br />
keine Wertungen möglicher Indikationen<br />
vorgenommen, die außerhalb dieses<br />
Bereiches liegen, d.h. Gegenstand<br />
klinischer Untersuchungen sind.<br />
” Zu denen im letzten Abschnitt besprochenen<br />
nicht-zugelassenen Substanzen<br />
wird keine Empfehlung abgegeben,<br />
da ihre <strong>Anwendung</strong> zur Zeit<br />
grundsätzlich im Rahmen <strong>von</strong> Therapieoptimierungsuntersuchungen<br />
erfolgen<br />
sollte.<br />
Im Focus Onkologie 6/2000<br />
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