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26 Der Kelch Der Kelch 27<br />
W Der Kelch – Teil 2<br />
er sich eine Weile mit dem Kelch intensiver<br />
beschäftigen will, der wird<br />
kaum um den Heiligen Gral und verschiedene<br />
Mythen herumkommen. Allerdings existieren<br />
unzählige Varianten darüber, was der<br />
Gral denn nun heute ist und wo er sich befindet.<br />
Welches nun der richtige Gral ist<br />
oder ob und wo er überhaupt noch existiert,<br />
muss jeder für sich entscheiden. Sicher ist es<br />
auch nicht für jeden von Relevanz, ob der<br />
Gral materialisiert existiert. Vielmehr geht<br />
es doch um die Bedeutung und die Idee, die<br />
dahinter steht. Für viele steht der Gral deshalb<br />
schlicht für das höchste erlangbare<br />
Wissen, was auch immer man genau darunter<br />
versteht.<br />
Ich möchte gleich zu Beginn erwähnen, dass<br />
ich den Gral hier aufgrund der Tatsache,<br />
dass er heute unendlich viele Gesichter hat,<br />
hauptsächlich zur Zeit des Mittelalters betrachte.<br />
Denn dort hat der Gral sehr wahrscheinlich<br />
seinen Ursprung in der Form, wie<br />
sie heute allgemein bekannt ist. Ob, inwiefern<br />
und in welcher Form er vorher schon<br />
existierte, werde ich ganz zum Schluss kurz<br />
beleuchten. Auf die neueren Theorien darüber,<br />
was und wo er ist, werde ich aber im<br />
Einzelnen nicht eingehen, denn es gibt erstens<br />
unzählige Theorien und zweitens befürwortet<br />
jeder eine andere. Lediglich meine<br />
persönliche Meinung ist im Text noch zu<br />
finden. Auf jeden Fall hoffe ich, dass ich<br />
einmal andere Betrachtungsweisen aufzeigen<br />
werde als die, die die heutigen Verschwörungstheorien<br />
beinhalten. Und genau deshalb<br />
beginne ich beim Ursprung des Wortes<br />
„Gral“.<br />
Der Begriff „Gral“<br />
Über die Herkunft des Begriffes gibt es verschiedene<br />
Meinungen. Die häufigste und bekannteste<br />
ist das Wort „grazal“ aus dem Okzitanischen,<br />
aus dem Altfranzösischen das<br />
Wort „graal“, was soviel wie „Gefäß“ oder<br />
Der Heilige Gral<br />
„Schüssel“ bedeutet. Dieses wiederum<br />
stammt vermutlich vom lateinischen „cratalis“/“gradalis“<br />
und dem griechischen „krater“<br />
ab, was soviel wie „Mischgefäß“ bedeutet.<br />
Im Griechischen hat die Bedeutung des Wortes<br />
sogar zum Teil einen kosmischen Charakter.<br />
Ein weiterer Ursprung wird im Altspanischen<br />
oder Altportugiesischen vermutet.<br />
„Grial“ (altsp.) bzw. „Gral“ (altport.) wurden<br />
dort häufig für Mörser oder Trinkgefäße in<br />
Mörserform verwendet. Andere Autoren<br />
wiederum sehen den Ursprung des Begriffes<br />
in der persischen oder arabischen Sprache.<br />
Dort steht das Wort „ghral“ für einen heiligen<br />
Stein oder Edelstein.<br />
Die drei ersten Romane – keltische, christliche<br />
und orientalische Elemente der Legende<br />
Der Begriff „Gral“ stammt von Chrétien de<br />
Troyes, der ihn in seinem Roman über Parceval,<br />
an dem er von 1179 bis 1191 arbeitete,<br />
verwendete. Bei Chrétien ist der Gral eine<br />
kostbare Goldschale, die mit vielen Edelsteinen<br />
besetzt ist. Gehütet wird er von Rittern<br />
in einer Burg. In dem Gral wird dem Vater<br />
des Gralskönigs eine Hostie gebracht. Parceval<br />
ist zum stärksten und heldenhaftesten unter<br />
den Rittern aufgestiegen. So besteht seine<br />
Aufgabe darin, den Gralskönig, seinen gelähmten<br />
Onkel, von seinem Leiden zu erlösen,<br />
denn dieser kann selbst die Macht des<br />
Grals nicht mehr nutzen, um sich zu heilen<br />
und seinem Gefolge zu helfen. Jedoch konnte<br />
der Roman nicht fertiggestellt werden, sodass<br />
der Ausgang um die Gralslegende offen<br />
blieb. Der Gral selbst verlieh seinem Hüter<br />
eine große Macht, wenn dieser sie zu nutzen<br />
wusste.<br />
Der Gral, Illustration von Arthur<br />
Rackham, 1917<br />
Die Geschichte um den König Artus, Parceval<br />
und den Heiligen Gral gelangte durch<br />
Chrétien erstmals zu Popularität. Er benutzte<br />
für seinen Roman eine unbekannte Quelle,<br />
sodass sich heute nicht feststellen lässt, ob<br />
Gral und Parceval bzw. Artussage schon<br />
vorher miteinander verbunden waren oder ob<br />
er selbst diese Elemente zusammensetzte. Es<br />
ist aber bekannt, dass er die britischen Artuslegenden<br />
und keltische Legenden, in denen<br />
durchaus viel Magie und Mystik vorkamen,<br />
kannte. Allerdings wird zum Teil auch davon<br />
ausgegangen, dass Chrétien in diesem, seinem<br />
fünften, Roman damit begann, christliche<br />
Elemente einzubauen, was ihm nach<br />
Meinung vieler jedoch nicht wirklich geglückt<br />
ist.<br />
Ein weiterer Autor, der den Gralsmythos<br />
verarbeitete, ist Robert de Boron. Er beschreibt<br />
die Reise von Josef von Arimathäa,<br />
der den Gral schließlich nach „Avaron“ 1<br />
bringt, wo später das Kloster von Glastonbury<br />
gegründet wird. Aus diesem Kelch soll Jesus<br />
beim letzten Abendmahl getrunken haben<br />
und in ihm soll Josef dessen Blut am<br />
Kreuz aufgefangen und aufbewahrt haben.<br />
An dieser Stelle wird der christliche Einfluss<br />
sehr deutlich. Noch heute wird die rote Farbe<br />
des Wassers, welches in der Quelle in Glastonbury<br />
sprudelt, dadurch erklärt, dass der<br />
Kelch des letzten Abendmahls unter der<br />
Quelle verborgen liegt und das Blut Jesu<br />
zum Vorschein kommt.<br />
Ob Josef von Arimathäa tatsächlich gelebt<br />
hat, lässt sich nicht eindeutig belegen, jedoch<br />
wird er an zwei Stellen in der Bibel erwähnt.<br />
Zum einen wird darin beschrieben, dass er<br />
zum Jünger Jesu wurde, zum anderen, dass<br />
er Pontius Pilatus um den Körper von Jesus<br />
bat. Diesen wollte er in dem Grab beisetzen,<br />
welches eigentlich für ihn selbst bestimmt<br />
war. Viel häufiger jedoch taucht Josef in a-<br />
pokryphischen Schriften auf. Dort wird beschrieben,<br />
wie er das Blut von Jesus auffing,<br />
welches aus einer Wunde stammte, die ihm<br />
ein römischer Hauptmann mit einer Lanze<br />
zufügte. In den Acta Pilati (Pilatusakten) findet<br />
sich eine Fortsetzung. Josef wurde für<br />
viele Jahre ins Gefängnis gesperrt, weil er<br />
des Leichenraubes von Jesus beschuldigt<br />
worden war. Dort erschien ihm Jesus, der<br />
ihm einen Kelch übergab und ihn zu seinem<br />
Hüter erklärte. Jeden Tag kam eine Taube<br />
1 Boron erwähnt tatsächlich „Avaron“ in seinem Roman,<br />
welches später zu „Avalon“ wird. In seiner Estoire dou<br />
Graal (Geschichte des Grals) schreibt er: „es vaus<br />
d'Avaron“ (Z.3123, Täler von Avaron).