Stärkung - Evangelischer Kirchenbezirk Tübingen
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<strong>Stärkung</strong><br />
von Pfarrer<br />
Friedhelm Schweizer,<br />
Derendingen<br />
Denken Sie auch: „Was für eine Pracht!“,<br />
wenn Sie einen Kirschbaum sehen, voll<br />
weißer Kirschblüten, der sich vom tiefblauen<br />
Himmel abhebt? Bleiben Sie mitunter<br />
auch stehen, selbst mitten im Alltag,<br />
um die zartrosa Blüten eines Apfelbaums<br />
samt ihrem Duft in sich aufzunehmen?<br />
Müssen Sie verweilen, um das intensive<br />
Gelb eines Sonnenblumenfeldes in sich<br />
aufzunehmen?<br />
Eine kleine Begebenheit zeigt mir, dass<br />
man diese Schönheiten übersehen kann.<br />
Da gingen zwei Leute spazieren an einem<br />
sonnigen Frühlingstag, vorbei an Gärten.<br />
Für beide war es persönlich keine sonnige<br />
Zeit; denn Sorgen und Beschwerden drückten<br />
gewaltig aufs Gemüt. Der eine: „Dass<br />
ich so dran sein muss! Ich komme ja gar<br />
nicht alleine zurecht; ich bin auf Hilfe angewiesen.“<br />
Der andere, obwohl nicht mit<br />
weniger Einschränkungen: „Schau dir mal<br />
diese Schönheit an! Tut das nicht gut?“<br />
„Ja, schön,“ sagte der erste und redete<br />
weiter von seinen Beschwerden. Die Worte<br />
seines Begleiters prallten an ihm ganz und<br />
gar ab.<br />
An diese Begebenheit erinnerte ich mich<br />
bei diesem Spruch aus der Bibel: „Lasst<br />
uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen,<br />
der uns aufgetragen ist, und dabei<br />
auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender<br />
des Glaubens.“ (Hebräer 12,1+2)<br />
Auf Jesus blicken bedeutet: Sich weglocken<br />
lassen von dem, was die Gedanken<br />
und Empfindungen wie in einem Sog nach<br />
unten zieht. Wie es bei den beiden Menschen<br />
darum ging, worauf sie ihre Auf-<br />
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merksamkeit konzentrierten, so wird nur<br />
auf Jesus blicken, wer mehr als ein paar<br />
beiläufige Gedanken auf ihn richtet. Die<br />
beiden Spaziergänger konnten die Schönheit<br />
um sich her nicht anders wahrnehmen,<br />
als dass sie erst einmal von sich und<br />
ihrer Stimmung wegsahen. Ebenso kann<br />
auf Jesus nur blicken, wer das erst einmal<br />
los lässt, was jetzt beschäftigt und bedrängt,<br />
es für einen paar Augenblicke auf<br />
die Seite legt.<br />
Aufsehen auf Jesus heißt also, die Fragen<br />
erst mal ruhen lassen, die nicht wenige<br />
bedrängen: Warum Gewalt und Krieg, Härte<br />
und Vergeltung in verschiedenen Regionen?<br />
Warum Erdbeben, Überschwemmungen<br />
und Dürre? Ich meine nicht, man solle<br />
diese Fragen ausklammern, aber manchmal<br />
eine Zeitlang warten lassen. Auch die<br />
persönlichen Fragen, die einem hart zusetzen,<br />
eine Zeitlang ruhen lassen. Und dann<br />
sich Jesus vor Augen malen mit allen Sinnen<br />
und Empfindungen: Wie er mit einer<br />
persönlichen Wertschätzung auf die Menschen<br />
zuging; wie er ihnen die Liebe Gottes<br />
aufblühen ließ durch eine Berührung,<br />
durch Heilung; wie er die befreite, die das<br />
schlechte Gewissen oder eine Schuld beschwerte,<br />
wie er solche in Schutz nahm,<br />
die der Verachtung ihrer Mitmenschen<br />
schutzlos ausgesetzt waren. Dabei hilft,<br />
sich in biblische Jesus-Geschichten hineinzuversetzen.<br />
Wer sich Jesus so vor Augen<br />
malt, darf sich ruhig vorstellen, dass dieser<br />
Jesus ihm oder ihr heute in gleicher<br />
Weise begegnet.<br />
Derart „auf Jesus blicken“ beantwortet<br />
erst mal keine der oben genannten Fragen.<br />
Aber es bedeutet eine innere <strong>Stärkung</strong> –<br />
wie die Wahrnehmung der Blütenpracht,<br />
die ja auch keine Sorgen klärt. Derart gestärkt,<br />
kann ich die ungelösten und unlösbaren<br />
Anfragen an Gott besser aushalten.<br />
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