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neurologisch - Österreichische Gesellschaft für Neurologie

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P.b.b. 07Z037411M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien, ISSN 2223-0629<br />

<strong>neurologisch</strong><br />

Fachmagazin für <strong>Neurologie</strong> AUSGABE 2/11<br />

Offizielles Organ<br />

der Österreichischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für<br />

<strong>Neurologie</strong><br />

Schwerpunkt<br />

Morbus Parkinson<br />

MedMedia<br />

Verlags Ges.m.b.H.<br />

Kongresshighlights<br />

Neuroscience Wintermeeting,<br />

European Charcot Foundation,<br />

AAN<br />

Gutachterliche Praxis<br />

Epilepsie und<br />

Arbeits(un)fähigkeit<br />

<strong>Neurologie</strong> aktuell<br />

Nichtdystrophe Myotonien<br />

und periodische Paralysen


Editorial<br />

Sehr geehrte Frau Kollegin,<br />

sehr geehrter Herr Kollege!<br />

Wir freuen uns, dass Ihnen dieses neue Heft<br />

unserer Zeitschrift <strong>neurologisch</strong> wieder<br />

viele interessante Informationen bietet! Das<br />

Schwerpunktthema „Morbus Parkinson“ behandelt<br />

aktuelle klinische und therapeutische<br />

Aspekte. Die nichtmotorischen Symptome<br />

haben für die PatientInnen oft gravierende<br />

Auswirkungen auf die Lebensqualität und<br />

werden dementsprechend auch von ärztlicher<br />

Seite immer stärker wahrgenommen,<br />

stellen aber durchaus eine therapeutische<br />

Herausforderung dar. Besondere Aufmerksamkeit<br />

von ärztlicher Seite kommt auch den<br />

Verhaltensstörungen zu, nicht zuletzt durch<br />

das vermehrte Auftreten von Impulskontrollstörungen<br />

unter der Therapie mit Dopaminagonisten.<br />

Neben dem Schwerpunktthema gibt es wie<br />

immer Berichte über die aktuellen wissenschaftlichen<br />

Veranstaltungen, diesmal u. a.<br />

zum Austrian Neuroscience Winter Meeting<br />

in Kitzbühel und zum Annual Meeting of<br />

the American Academy of Neurology in Honolulu,<br />

Hawaii.<br />

Wir wollen Sie als Mitglieder der Österreichischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong> aber<br />

auch über die aktuellen standespolitischen<br />

Themen informieren. Deshalb gibt es in dieser<br />

Ausgabe erstmals die Rubrik „Aus der<br />

Österreichischen Ärztekammer und den Bundesministerien“.<br />

Hier sollen wichtige Informationen<br />

(z. B. gesetzliche Neuerungen, Änderungen<br />

in der Ärzteausbildungsordnung,<br />

für die <strong>Neurologie</strong> relevante Aktivitäten der<br />

Österreichischen Ärztekammer) kurz zusammengefasst<br />

werden. Der Vorstand der ÖGN<br />

bemüht sich, die fachpolitischen Anliegen in<br />

regelmäßigen Gesprächen mit Vertretern der<br />

Ärztekammer, der Bundesministerien und<br />

des Hauptverbandes der Sozialversicherungen<br />

zu kommunizieren und möchte Sie auch<br />

diesbezüglich immer auf dem Laufenden halten.<br />

Ein besonderes Anliegen des ÖGN-Vorstandes<br />

ist auch die Unterstützung unserer<br />

Fachgruppenobleute in der Ärztekammer bei<br />

den kommenden Honorarverhandlungen mit<br />

den Krankenversicherungen, insbesondere<br />

bei der Erstellung von neuen Leistungskatalogen<br />

für die Fachärzte/-innen für <strong>Neurologie</strong>.<br />

Die Vorbereitungen für die nächsten wissenschaftlichen<br />

Veranstaltungen der ÖGN laufen<br />

bereits. Die Jahrestagung der ÖGN im<br />

März 2012 nimmt bereits konkrete Formen<br />

an, und wir werden Ihnen schon im nächsten<br />

Heft im Herbst die ersten Details zur Programmgestaltung<br />

bekannt geben. Auch die<br />

Vorbereitungen für den Weltkongress für<br />

<strong>Neurologie</strong> in Wien im September 2013 sind<br />

voll im Gange, und wir freuen uns alle darauf,<br />

für unsere KollegInnen aus aller Welt<br />

ein interessantes Forum im Herzen Europas<br />

bieten zu können.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre<br />

von <strong>neurologisch</strong> und einen erholsamen<br />

Sommerurlaub!<br />

Mit kollegialen Grüßen<br />

Ihr<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />

Vorstand der Universitätsklinik für<br />

<strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien,<br />

Präsident der ÖGN<br />

Wollen Sie mit uns<br />

in Kontakt treten?<br />

Leserbriefe erwünscht:<br />

<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at oder<br />

Seidengasse 9/Top1.1,<br />

1070 Wien<br />

Chefredaktion<br />

<strong>neurologisch</strong><br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />

SMZ Ost, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />

Generalsekretär der ÖGN<br />

FOTO: MEDCOMMUNICATIONS<br />

3


Wissenschaftlicher<br />

Beirat<br />

Bewegungsstörungen<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe, Innsbruck<br />

Epilepsie<br />

Univ.-Prof. DI Dr. Christoph Baumgartner, Wien<br />

Priv.-Doz. Dr. Michael Feichtinger, Graz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, Salzburg<br />

Schlafstörungen<br />

Univ.-Prof. Dr. Birgit Högl, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. DDr. Josef Zeitlhofer, Wien<br />

Neurorehabilitation<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Heinrich Binder, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Leopold Saltuari, Hochzirl<br />

Schlaganfall<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Aichner, Linz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin, Tulln<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang, Wien<br />

Schmerz<br />

Dr. Gerhard Franz, Telfs<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl, Linz<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Vöcklabruck<br />

Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Löscher, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Stefan Quasthoff, Graz<br />

Multiple Sklerose<br />

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Graz<br />

Univ.-Prof. Dr. Karl Vass, Wien<br />

Demenz<br />

Univ.-Prof. Dr. Thomas Benke, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt, Graz<br />

Autonome Störungen<br />

DI Dr. Heinz Lahrmann, Wien<br />

Dr. Walter Struhal, Linz<br />

Univ.-Prof. Dr. Gregor Wenning, Innsbruck<br />

Neurogeriatrie<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder, Salzburg<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, Linz<br />

Prim. Univ.-Doz. Dr. Josef Spatt, Wien<br />

Neurochirurgie<br />

Univ.-Prof. Dr. Engelbert Knosp, Wien<br />

Prim. Univ.-Doz. Dr. Manfred Mühlbauer, Wien<br />

Prim. Doz. Dr. Gabriele Wurm, Linz<br />

Neuroimaging<br />

Univ.-Prof. MSc DDr. Susanne Asenbaum-Nan, Wien<br />

Assoz. Prof. Dr. Christian Enzinger, Graz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller, Villach<br />

Leitmotiv der<br />

aktuellen Ausgabe <strong>neurologisch</strong><br />

Die 1981 in Rumänien geborene Künstlerin Annamaria Tatu ist ausgebildete Literaturwissenschaftlerin,<br />

studierte zwei Jahre in China Sinologie und hat ein Masterdiplom in Kultur -<br />

management. Sie studiert derzeit an der Akademie der bildenden Künste bei Prof. Gunter<br />

Damisch.<br />

„Es gab für mich keinen anderen Weg, die Parkinson-Krankheit darzustellen, als den abstrakten.<br />

Aber die künstlerische Abstraktion hat weder zum Verständnis dieses Zustands<br />

noch zur Beleuchtung seiner existenziellen Komplexität beitragen können. Meine Suche<br />

war die nach Form, Farbe und Gestalten. Mittels dieser Abstraktion<br />

wird das Bild der Gehirnerkrankung aus seinem<br />

konkreten Kontext isoliert und als ästhetische Schönheit<br />

wiedergegeben. Die Wahrheit liegt weit entfernt. Vielleicht<br />

steht aber dieser Versuch als Symbol dafür, dass ich auf<br />

dieser Suche selbst verloren bin und dass die Luft dieser<br />

Welt noch nicht zum Atmen ist.“<br />

Annamaria Tatu<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Österreichische <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong>, Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident der ÖGN. Chefredaktion: Univ.-Prof. Dr. Bruno<br />

Mamoli, Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager. Medieninhaber und Verlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31 11-0,<br />

E-Mail: office@medmedia.at. Verlagsleitung: Mag. Gabriele Jerlich. Redaktion: Maria Uhl. Lektorat: onlinelektorat@aon.at. Layout/DTP: Martin Grill. Projektbetreuung: Natascha<br />

Fial. Coverbild: Annamaria Tatu. Print: „agensketterl“ Druckerei GmbH, Mauerbach. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift ist zum Einzelpreis von 9,50 Euro plus MwSt. zu beziehen.<br />

Druckauflage: 8.100 Stück im 2. Halbjahr 2010, geprüft von der Österreichischen Auflagenkontrolle. Grundsätze und Ziele von <strong>neurologisch</strong>: Kontinuierliche medizinische Fortbildung<br />

für Neuro logen, Psychi ater und Allgemeinmediziner. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissenschaftliche Meinung<br />

des jeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungsbereich des Verfassers. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von<br />

pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung übernehmen Medieninhaber<br />

und Herausgeber keinerlei Haftung für drucktechnische und inhaltliche Fehler. Ausgewählte Artikel dieser Ausgabe finden Sie auch unter www.medmedia.at<br />

zum Download. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in<br />

irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer<br />

Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet werden.<br />

4


Inhalt 2/2011<br />

GESELLSCHAFTSNACHRICHTEN<br />

6 Neuigkeiten aus der ÖGN<br />

94 Veranstaltungskalender<br />

SCHWERPUNKT: PARKINSON-KRANKHEIT<br />

13 Vorwort<br />

W. Poewe, Innsbruck<br />

14 Morbus Parkinson – nicht immer leicht<br />

zu diagnostizieren<br />

S. Dürr, G. Wenning, Innsbruck<br />

20 Nichtmotorische Symptome der<br />

Parkinson-Krankheit<br />

W. Poewe, Innsbruck<br />

28 Impulskontrollstörungen und andere<br />

repetitive Verhaltensstörungen beim<br />

M. Parkinson<br />

R. Katzenschlager, Wien<br />

34 Neues zur medikamentösen<br />

Parkinson-Therapie<br />

P. Mahlknecht, K. Seppi, W. Poewe, Innsbruck<br />

FÜR DIE GUTACHTERLICHE PRAXIS<br />

54 Epilepsie und Arbeits(un)fähigkeit –<br />

Rechtsprechung versus <strong>neurologisch</strong>e<br />

(psychiatrische) Aspekte<br />

W. Laubichler, Salzburg; P. Smutny, Wien<br />

NEUROLOGIE AKTUELL<br />

58 Bewegungsstörungen<br />

P. Schwingenschuh, Graz<br />

60 Epilepsie<br />

C. Baumgartner, Wien<br />

63 Schlafstörungen<br />

B. Högl, Innsbruck<br />

65 Schlaganfall<br />

M. Pinter, Krems; M. Brainin, Tulln<br />

68 Neurorehabilitation<br />

B. Voller, Wien<br />

72 Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

N. Mitrovic, Vöcklabruck<br />

74 Multiple Sklerose<br />

U. Baumhackl, Wien<br />

H. Hegen, F. Deisenhammer, Innsbruck<br />

82 Autonome Störungen<br />

S. Dürr, R. Granata, G. Wenning, Innsbruck<br />

85 Neurogeriatrie<br />

B. Iglseder, Salzburg<br />

86 Neurochirurgie<br />

M. Lehner, G. Wurm, Linz<br />

92 Pharma-News<br />

KONGRESS-HIGHLIGHTS<br />

FOTOS: 8UHR19 - FOTOLIA.COM, S. URBANITS, WIEN, S. URBANITS, WIEN<br />

44 11. Austrian Neuroscience<br />

Wintermeeting<br />

S. Urbanits, Wien<br />

46 Symposium der European<br />

Charcot Foundation<br />

G. Hruby, J. Kraus, Salzburg<br />

48 63. Annual meeting<br />

of the AAN<br />

A. Tinchon, S. Oberndorfer, Wien<br />

5


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

ARGE Young Neurologists der ÖGN<br />

Die ARGE Young Neurologists vertritt österreichische <strong>Neurologie</strong>as -<br />

sistentInnen und junge NeurologInnen, organisiert Fortbildungsaktivitäten<br />

und einmal jährlich ein Meeting bei der ÖGN-Jahrestagung. Auf Einladung<br />

der Ausbildungskommission sind JungneurologInnen in diesem<br />

wichtigen Gremium der ÖGN mit einem/einer Delegierten vertreten.<br />

Vorsitzende der ARGE Young Neurologists sind derzeit Bernadette<br />

Calabek und Agnes Pirker.<br />

Im Rahmen der ÖGN fand am 17. 3. 2011 wieder die Arbeitsgruppensitzung<br />

der ARGE Young Neurologists statt. Unser besonderes Interesse<br />

gilt den Möglichkeiten, auf internationaler Ebene berufliche Erfahrungen<br />

sammeln zu können. Aus diesem Grund beruhte der Schwerpunkt<br />

der Sitzung auf den Auslandserfahrungen von 3 Kollegen sowie auf den<br />

Möglichkeiten von österreichischen und internationalen Stipendien für<br />

Hospitationen, Aus- und Weiterbildungen.<br />

Gottfried Kranz, Dietrich Haubenberger und Paulus Rommer (alle an der<br />

<strong>neurologisch</strong>en Abteilung des AKH Wien tätig) erläuterten in anschaulicher<br />

und sehr informativer Präsentation ihre Erfahrungen im Ausland im<br />

Rahmen von Hospitationen oder Forschungsaufenthalten. Hierbei bekamen<br />

wir einen intensiven Einblick in Organisation, Stipendien, finanziellen<br />

Aufwand, private Eindrücke und selbstverständlich auch die berufliche<br />

Erfahrung im Ausland. Obwohl verbunden mit Hindernissen und<br />

Schwierigkeiten aller Art, lohnte sich der Aufwand in jedem Fall!<br />

Es ist uns ein Anliegen, die Vielfalt der Mobilitätsstipendien auf nationaler<br />

und internationaler Ebene aufzuzeigen. Vielen KollegInnen sind diesbezügliche<br />

Informationen und Vergabekriterien nicht bekannt, da sie<br />

unserer Meinung nach zu wenig publik gemacht werden. Im Rahmen<br />

der Arbeitsgruppensitzung konnte aus organisatorischen Gründen die<br />

Präsentation der Stipendien nicht ausreichend dargelegt werden. Die<br />

europäische Facharztprüfung – gleichsam unser zweites großes Thema –<br />

konnte nur angesprochen werden.<br />

Um die Informationen über Stipendien und die europäische Facharztprüfung<br />

trotzdem weiterzugeben, stellen wir eine Zusammenfassung der<br />

Präsentationen auf die Website der ÖGN (Arbeitsgemeinschaft Young<br />

Neurologists).<br />

Wir sind weiterhin für alle Fragen, Anregungen und Wünsche offen und<br />

freuen uns auf weitere Rückmeldungen!<br />

Dr. Bernadette Calabek, Dr. Agnes Pirker<br />

Experten-Statement MS<br />

Dieser Ausgabe liegt<br />

das Experten-Statement<br />

„Fingolimod in<br />

der Behandlung der<br />

schubförmig remittierenden<br />

multiplen<br />

Sklerose“ bei. Es ist<br />

dies eine Zusammenfassung<br />

des Ergebnisses<br />

der Arbeitstreffen<br />

österreichischer<br />

NeurologInnen<br />

und ExpertInnen auf dem Gebiet der MS-Forschung<br />

und -Klinik zur Vorbereitung und<br />

Umsetzung des Patientenmanagements mit der<br />

ersten oralen Therapie der multiplen Sklerose<br />

mit neuem Wirkmechanismus.<br />

Sollte die Beilage in Ihrer Ausgabe<br />

fehlen könne Sie diese gerne unter<br />

<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at bestellen.<br />

Leben mit Parkinson<br />

Die vorliegende Patientenbroschüre wurde von ExpertInnen<br />

der Österreichischen Parkinsongesellschaft (ÖPG) –<br />

Univ.-Doz. Dr. Willibald Gerschlager, Univ.-Prof. Dr. Walter<br />

Pirker, OA Dr. Volker Tomantschger, OÄ Dr. Karoline Wenzel,<br />

OÄ Dr. Elisabeth Wolf – zusammengestellt und soll<br />

Betroffenen und ihren Angehörigen als Orientierungshilfe<br />

dienen. Ergänzend zum persönlichen Gespräch mit dem<br />

behandelnden Arzt vermittelt diese Broschüre grundlegende Informationen über die<br />

Parkinson-Krankheit, ihre möglichen Ursachen, Symptome, den Krankheitsverlauf,<br />

diagnostische Maßnahmen sowie aktuell zur Verfügung stehende Behandlungsmöglichkeiten.<br />

Darüber hinaus werden Fragestellungen wie Langzeitkomplikationen und<br />

so genannte nichtmotorische Symptome wie z. B. Schlafstörungen, Verdauungsprobleme<br />

etc. eigens erörtert und Empfehlungen zu deren Behandlung gegeben. Im<br />

Anhang finden sich ein Glossar medizinischer Fachbegriffe sowie eine Übersicht zu<br />

Kontaktadressen der Parkinson-Selbsthilfegruppen und Parkinson-Zentren in Österreich.<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, Linz<br />

Die Patientenbroschüre „Leben mit Parkinson“ ist kostenlos zu<br />

bestellen bei UCB Pharma GmbH: office.austria@ucb.com oder<br />

unter der Telefonnummer 01/291 80 00<br />

6


Zusammengestellt von:<br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />

und Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />

Nachruf<br />

Univ.-Prof. Dr. Dieter Klingler (1936–2011)<br />

Bestürzt und in tiefer Trauer muss ich Ihnen das Ableben von Univ.-<br />

Prof. Dr. Dieter Klingler zur Kenntnis bringen. Er verstarb überraschend<br />

am 24. 3. 2011.<br />

Das Leben von Dieter Klingler war von hartem Arbeiten, Glauben an<br />

die eigene Kraft, Ehrgeiz und auch so manch glücklicher Fügung<br />

geprägt.<br />

Prof. Klingler wurde 1936 in Timişoara in Rumänien geboren. Nach<br />

Absolvierung der Matura im deutschen gemischten Lyzeum zu<br />

Timişoara war er von 1953 bis 1955 zunächst Schichtarbeiter in einer<br />

Furnierfabrik. Anschließend verdiente er als Lohnbuchhalter seinen<br />

Lebensunterhalt, da er als Deutscher in Rumänien zunächst keine<br />

Chance für ein Hochschulstudium bekam. Schließlich gelang es ihm,<br />

von 1955 bis 1959 an der medizinischen Fakultät in Timişoara sein<br />

Medizinstudium zu beginnen, das er anschließend bis 1961 an der<br />

medizinischen Fakultät in Innsbruck fortsetzte.<br />

Prof. Klingler promovierte 1961 an der medizinischen Fakultät der<br />

Universität Innsbruck. Seine Ausbildung zum praktischen Arzt absolvierte<br />

er im AKH Linz und entschied sich rasch für die Ausbildung zum<br />

Facharzt für <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie. 1964 absolvierte er ein <strong>neurologisch</strong>-psychiatrisches<br />

Jahr bei Univ.-Prof. Dr. Hans Hoff an der Universitätsklinik<br />

Wien. Von dort kehrte er mit viel Enthusiasmus für die<br />

<strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie an das AKH Linz zurück, um seine Facharztausbildung<br />

bei Prim. Dr. Peichl zu beenden. 1969 diplomierte er<br />

zum Facharzt für <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie und erhielt einen Sondervertrag<br />

am AKH Linz für die Leitung eines klinisch-elektro-neurophysiologischen<br />

Labors.<br />

Im Januar 1978 wurde er zum Leiter der Abteilung für <strong>Neurologie</strong> und<br />

Psychiatrie am AKH Linz bestellt. Während seiner Schaffenszeit als Primarius<br />

am AKH Linz erzeugte er eine rege wissenschaftliche Tätigkeit,<br />

die ihn auch zu mehreren Studienaufenthalten ins Ausland (u. a. Universität<br />

Kopenhagen, medizinische<br />

Fakultät Brüssel, Mayo Clinic Rochester,<br />

New York University) führte. Er habilitierte<br />

1983 an der medizinischen Fakultät<br />

der Universität Innsbruck. 1989 wurde<br />

ihm der Titel a.o. Univ.-Prof. verliehen.<br />

Dieter Klingler war Gründungsmitglied<br />

und bis 1996 Erster Präsident der Österreichischen<br />

Schmerzgesellschaft, Präsidiumsmitglied<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> Österreichischer<br />

Nervenärzte und Psychiater sowie Vorstandsmitglied der Österreichischen<br />

Parkinsongesellschaft.<br />

1986 wurde ihm der Prof.-Dr.-Reisner-Preis auf dem Gebiet der Epileptologie<br />

verliehen. 1990 erhielt er das Goldene Verdienstzeichen des<br />

Landes Oberösterreich.<br />

Prof. Dieter Klingler war bis zuletzt Mitglied der Österreichischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong> und der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft.<br />

Bereits vor seiner Emeritierung 2002 war Prof. Klingler als<br />

freier Mitarbeiter des Bundesministeriums für Gesundheit mit Arbeitsschwerpunkt<br />

Entwicklung und Weiterbetreuung der 1997 eingeführten<br />

bundeseinheitlichen leistungsbezogenen Krankenhausfinanzierung<br />

(LKF) tätig. Diese Funktion übte er bis 2005 aus.<br />

Mit Prof. Klingler verliert die <strong>Neurologie</strong> in Österreich eine große Persönlichkeit,<br />

deren Schaffenskraft und Einfluss über das Ableben hinaus<br />

weiterwirken wird.<br />

Ich bitte Sie alle, das Andenken an Prof. Dr. Dieter Klingler über sein<br />

Ableben hinaus zu bewahren!<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl, sein Schüler<br />

Präsident der ÖKSG, für die ÖGN<br />

7


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Nachruf<br />

Univ.-Prof. DDr. h. c. Gerhard Barolin-Stricker (1929–2011)<br />

Tief betroffen haben wir vom Tod von Univ.-Prof. DDr. Gerhard Barolin<br />

erfahren. Wir möchten seiner gedenken.<br />

Nach seinem Medizinstudium in Wien und weiteren Ausbildungen<br />

und Tätigkeiten auf dem Gebiet der <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie an<br />

den Universitätskliniken in Graz, Innsbruck, Marseille, Paris sowie in<br />

Göttingen wurde Prof. Barolin 1973 beauftragt, die erste <strong>neurologisch</strong>e<br />

Abteilung in Vorarlberg zu gründen und war 22 Jahre lang hiebei<br />

erfolgreich als Vorstand tätig.<br />

Zu seinen medizinischen Schwerpunkten zählten Diagnostik und Therapie<br />

des Kopfschmerzes, worin er sich seit 1957 auch in Forschung<br />

und Lehre intensiv befasste. So hatte er von der internationalen Kopfschmerzgesellschaft<br />

den Harold-G.-Wolff-Award erhalten. Ab 1973<br />

organisierte er die jährlichen Frühjahrssymposien in Zürs am Arlberg<br />

zu Themen wie „Kopfschmerz und nervenärztliche Grenzgebiete aus<br />

interdisziplinärer Sicht“, und 1981 kam es aufgrund seiner Hauptinitiative<br />

zum 1. Internationalen Kopfschmerz-Symposium des deutschen<br />

Sprachraums in Feldkirch. Zwischen 1981 und 1994 erschien<br />

die legendäre Buchreihe zum Thema „Reihe zwangloser Darstellungen<br />

zur Kopfschmerzforschung des Arbeitskreises für Kopfschmerzforschung<br />

im deutschen Sprachraum“. 1986 wurde auch auf Hauptinitiative<br />

des zu Ehrenden und zu Gedenkenden die 1. Österreichischdeutsche<br />

Migräne-Tagung im Schlosshotel Weickersdorf bei Baden<br />

abgehalten.<br />

Auch auf dem Gebiet des Elektroenzephalographie und der Epilepsie<br />

war Prof. Barolin über Jahre hindurch in vorderster wissenschaftlicher<br />

Reihe tätig und erhielt 1975 den Michael-Prize-Preis zusammen mit<br />

Univ.-Prof. Dr. E. Scherzer und Univ.-Prof. Dr. G. Schnaberth aufgrund<br />

besonderer wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der vaskulären<br />

Epilepsie: „Die zerebrovaskulär bedingten Anfälle – unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Anfälle im höheren Lebensalter“ ist im<br />

Huber-Verlag Bern, 1975 erschienen.<br />

Prof. Barolin war auch mehrfacher Träger des Durig-Böhler-Preises in<br />

Vorarlberg. Schon Ende der 1970er Jahre gelang es Prof. Barolin<br />

zusammen mit dem Land Vorarlberg und anderen externen Netzwerkpartnern,<br />

ein nahezu flächendeckendes ambulantes Rehabilitationsnetz<br />

aufzubauen, das zunächst als „nachgehender ambulanter<br />

Rehab-Dienst in Vorarlberg“ bekannt wurde, später von Vereinen wie<br />

dem AKS und der SMO abgelöst und<br />

weiter ausgebaut werden konnte und bis<br />

heute Vorzeigecharakter besitzt. Prof.<br />

Barolin hat auch als Erster die Hippotherapie<br />

bei Erkrankungen mit Spastik im<br />

Erwachsenenalter in Vorarlberg eingeführt.<br />

Auf dem Gebiete der Neuro-Rehabilitation<br />

hat Prof. Barolin zahlreiche wissenschaftliche<br />

Artikel und Bücher verfasst<br />

und wurde erster Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Rehabilitation<br />

und Prophylaxe in Vorarlberg, das 1987 gegründet wurde.<br />

Im Bereich der Akutmedizin hat er besondere Verdienste auf dem<br />

Gebiet der Schlaganfallforschung und Schlaganfalltherapie erlangt<br />

und auch hier wichtige Publikationen und Bücher verfasst. Seine Publikationsliste<br />

umfasst über 600 Arbeiten, und er war langjähriger<br />

Redakteur je einer Buchreihe über Rehabilitation, Neuro-Rehabilitation,<br />

Kopfschmerz und Schlaganfall. Andere <strong>neurologisch</strong>e und geriatrische<br />

Themen umfassten rechtliche und ethische Fragen, <strong>neurologisch</strong>e<br />

Begutachtung, Psychotherapie, Sportmedizin und Verbesserung<br />

der Arztausbildung. Eines seiner letzten Werke beschäftigte sich<br />

erneut mit integrierter Psychotherapie.<br />

Nach seiner Pensionierung erfolgte eine Berufung an die Universitätsklinik<br />

in Riga (Lettland), wo er den weiteren Ausbau der dortigen<br />

Neuro-Rehabilitation gestalten konnte und für diese Leistungen zum<br />

Doktor honoris causa ernannt wurde.<br />

Trotz seines Schlaganfalles im Jahr 2000 blieb sein Forschungs- und<br />

Publikationsschaffen weiter aufrecht, und er hatte seine Erfahrungen<br />

als Betroffener nach seinem Schlaganfall in so manche seiner Publikationen,<br />

nachfolgende Bücher und Vorträge beispielgebend integriert.<br />

Prof. Barolin war eine markante Persönlichkeit, welche auch in manchen<br />

Bereichen Bruchlinien auslöste, aber mit zunehmenden Jahren in<br />

besonderem Ausmaß Harmonisierung gesucht und gefördert hat.<br />

Prim. Dr. Stefan Koppi<br />

Vorstand der Neurologischen Abteilung, LKH Rankweil,<br />

für die ÖGN<br />

8


Jobbörse<br />

Am A. ö. Bezirkskrankenhaus Kufstein/Abteilung <strong>Neurologie</strong> gelangt ab 1. Juli 2011<br />

eine Stelle für<br />

eine/n Fachärztin/Facharzt für <strong>Neurologie</strong> zur Besetzung.<br />

Die Abteilung für <strong>Neurologie</strong> des 1999 neu eröffneten 380-Betten-Krankenhauses hat einen systemisierten Bettenstand von 34 Betten, eine<br />

<strong>neurologisch</strong>e Allgemeinambulanz, verschiedene Spezialambulanzen, eine Stroke Unit und die gesamte <strong>neurologisch</strong>e Zusatzdiagnostik (EEG,<br />

EMG/NLG, EP, Duplexsonographie der extrakraniellen Gefäße, transkranielle Dopplersonographie). Die neuroradiologische Diagnostik wird<br />

durch die Röntgenabteilung im Haus mit CT und MRT gewährleistet.<br />

Die Entlohnung und der Anstellungsvertrag richten sich nach den Bestimmungen des G-VBG i.V.m. L-VBG i.d.g.F. und den Beschlüssen des<br />

Gemeindeverbandes.<br />

Bewerbungen richten Sie bitte mit den üblichen Unterlagen an die Ärztliche Direktion des A. ö. Bezirkskrankenhauses Kufstein,<br />

z. H. Herrn Prim. Univ.-Prof. Dr. Klaus Gattringer, Endach 27, 6330 Kufstein.<br />

Für weitere Informationen steht Ihnen Herr Prim. Univ.-Doz. Dr. Klaus Berek, Leiter der Abteilung für <strong>Neurologie</strong> im A. ö. BKH Kufstein,<br />

unter Tel. 05372/69 66-3400 zur Verfügung.<br />

Die Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, eine Gesundheitseinrichtung der<br />

Oberösterreichischen Gesundheits- und Spitals-AG, sucht ab 1. März 2012<br />

eine/einen Leiterin/Leiter der Abteilung für <strong>Neurologie</strong>.<br />

Die Position ist vorerst gemäß dem oberösterreichischen Zuweisungsgesetz für fünf Jahre befristet.<br />

Die Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, eine moderne Sonderkrankenanstalt in der Landeshauptstadt Linz und Universitäts-Lehrkrankenhaus,<br />

versteht sich als anerkanntes Kompetenzzentrum für Psychiatrie, <strong>Neurologie</strong>, Neurochirurgie und Geriatrie. Die Abteilung <strong>Neurologie</strong> ist mit<br />

84 Betten inkl. der Stroke Unit, Überwachungsstation, Phase-B-Rehabilitation, Epilepsiemonitoring-Betten sowie einem Schlaflabor ausge -<br />

stattet. Als besondere Schwerpunkte sind das zerebrovaskuläre Interventionszentrum, die interdisziplinäre konservative und operative Epilepsieund<br />

Parkinsontherapie, das neuromuskuläre Zentrum und das interdisziplinäre Schmerzzentrum hervorzuheben. Die enge interdisziplinäre<br />

Kooperation mit Neurochirurgie, Neuroanästhesie und Intensivmedizin, Neuroradiologie, Neuronuklearmedizin, Neuropathologie und<br />

Psychosomatik ist Standard.<br />

Die zu besetzende Stelle erfordert neben den allgemeinen Aufnahmevoraussetzungen vor allem profunde Fachkenntnisse, Geschick und<br />

Erfahrung in der Menschenführung, Durchsetzungsvermögen und organisatorische Fähigkeiten.<br />

Die Tätigkeit des/der LeiterIn umfasst die Führung der Abteilung in fachlicher, organisatorischer sowie in personeller Hinsicht. Als unser/e<br />

IdealkandidatIn führen Sie Ihre MitarbeiterInnen nach modernen Grundsätzen und erfüllen Ihre Aufgaben entsprechend den Zielen des<br />

Rechtsträgers und der Krankenhausleitung.<br />

FOTO: PERO-DESIGN - FOTOLIA.COM<br />

Bei Interesse laden wir Sie ein, den gesamten Ausschreibungstext unter www.gespag.at/jobs nachzulesen und sich dort das erforderliche<br />

Bewerbungsformular downzuloaden. Im Sinne des Frauenförderungsprogrammes des Landes Oberösterreich wird besonders die Bewerbung<br />

von Frauen begrüßt.<br />

Für nähere Auskünfte steht Ihnen Herr wHR Univ.-Doz. Prof. Dr. Werner Schöny, Ärztlicher Direktor, Tel.: 05 055462-22001,<br />

werner.schoeny@gespag.at, gerne zur Verfügung.<br />

Ihre aussagekräftigen Unterlagen senden Sie bitte gemeinsam mit dem Bewerbungsformular bis 31. August 2011 an:<br />

Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, Personalstelle, z. H. Frau Heidemarie Bräuer, Wagner-Jauregg-Weg 15, 4020 Linz<br />

9


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Am A. ö. Bezirkskrankenhaus Kufstein/Abteilung <strong>Neurologie</strong> gelangt ab 1. Juli 2011<br />

eine Ausbildungsstelle zur/zum Fachärztin/Facharzt für <strong>Neurologie</strong><br />

zur Besetzung.<br />

Die Abteilung für <strong>Neurologie</strong> des 1999 neu eröffneten 380-Betten-Krankenhauses hat einen systemisierten Bettenstand von 34 Betten, eine<br />

<strong>neurologisch</strong>e Allgemeinambulanz, verschiedene Spezialambulanzen, eine Stroke Unit und die gesamte <strong>neurologisch</strong>e Zusatzdiagnostik (EEG,<br />

EMG/NLG, EP, Duplexsonographie der extrakraniellen Gefäße, transkranielle Dopplersonographie). Die neuroradiologische Diagnostik wird<br />

durch die Röntgenabteilung im Haus mit CT und MRT gewährleistet.<br />

Die Entlohnung und der Anstellungsvertrag richten sich nach den Bestimmungen des G-VBG iVm. L-VBG idgF. und den Beschlüssen des<br />

Gemeindeverbandes.<br />

Bewerbungen richten Sie bitte mit den üblichen Unterlagen an die Ärztliche Direktion des A. ö. Bezirkskrankenhauses Kufstein,<br />

z.H. Herrn Prim. Univ. Prof. Dr. Klaus Gattringer, Endach 27, 6330 Kufstein.<br />

Für weitere Informationen steht Ihnen Herr Prim. Univ.-Doz. Dr. Klaus Berek, Leiter der Abteilung für <strong>Neurologie</strong> im A. ö. BKH Kufstein,<br />

unter Tel. 05372/6966-3400 zur Verfügung.<br />

Neues <strong>neurologisch</strong>es<br />

Rehabilitationszentrum Kittsee<br />

Dr. Wolfgang Pankl übernimmt die ärztliche Leitung des SeneCura<br />

<strong>neurologisch</strong>en Rehabilitationszentrums mit angeschlossenem<br />

Gesundheitshotel in Kittsee, Burgenland, das im Frühjahr 2012 eröffnet<br />

wird. Der Neurologe ist in dieser Funktion für die 100-Betten-Klinik<br />

mit Spezialisierung auf Neurorehabilitation verantwortlich. Pankl<br />

absolvierte nach dem Medizinstudium in Wien seine Ausbildung <strong>Neurologie</strong><br />

und Psychiatrie im Neurologischen Krankenhaus am Rosenhügel.<br />

Seit 1999 ist Pankl mit einer eigenen Praxis in Neusiedl am See<br />

selbständig. Neben zahlreichen Vorträgen und Publikationen vor<br />

allem zu den Themen Depression, Demenz und Parkinson war Pankl<br />

unter anderem als Mitveranstalter der „Brain Days“ in Rust tätig.<br />

Die Rehabilitationsklinik, die auf die Behandlung <strong>neurologisch</strong>er<br />

PatientInnen aller Schweregrade spezialisiert ist, wird vom größten<br />

privaten österreichischen Pflegeheimbetreiber SeneCura errichtet.<br />

Ab März 2012 werden ein hochqualifiziertes, multidisziplinäres ÄrztInnen-,<br />

Pflege- und TherapeutInnenteam sowie moderne Therapiegeräte<br />

für die Rehabilitation bei Schlaganfällen, Rückenmarksverletzungen,<br />

multipler Sklerose oder anderen <strong>neurologisch</strong>en Erkrankungen<br />

zur Verfügung stehen. Einen weiteren Schwerpunkt wird die<br />

Behandlung kognitiver Störungen als Folge <strong>neurologisch</strong>er Erkrankungen<br />

darstellen. Dem Kompetenzzentrum für <strong>neurologisch</strong>e Rehabilitation<br />

wird ein modernes Gesundheitshotel für private Aufenthalte<br />

und Angehörige der Reha-PatientInnen angeschlossen.<br />

10


Wichtiges aus der Österreichischen<br />

Ärztekammer und den Bundesministerien<br />

Sitzung der assoziierten wissenschaftlichen<br />

<strong>Gesellschaft</strong>en am 2. 3. 2011 in der<br />

Österreichischen Ärztekammer<br />

Präsident Niedermoser stellt fest, dass die assoziierten wissenschaftlichen<br />

<strong>Gesellschaft</strong>en vor allem in ausbildungs-/weiterbildungsrelevanten<br />

Angelegenheiten die Ansprechpartner der ÖÄK sind. Er<br />

ersucht die TeilnehmerInnen, darauf zu achten, dass zwischen Muttergesellschaft<br />

zum Hauptfach und Subgesellschaften zu Nebenfächern<br />

untereinander Einigung über ausbildungsrelevante bzw. sonstige<br />

Themen besteht und ausschließlich die Muttergesellschaft als<br />

Ansprechpartnerin der ÖÄK fungiert. Er stellt weiters fest, dass<br />

jeder/jede AbsolventIn einer Facharztausbildung berechtigt ist, die<br />

im Rasterzeugnis geforderten Fertigkeiten auszuüben, unabhängig<br />

von vertiefenden Ausbildungen auf einem bestimmten Gebiet.<br />

12. ÄG-Novelle<br />

In dieser ist eine leichtere Anrechnung ausländischer Ausbildungen<br />

geregelt.<br />

13. ÄG-Novelle<br />

Regelt den Wirkungsbereich zwischen ÖÄK und Bundesministerium<br />

für Gesundheit. Im „eigenen“ (gemeint ist die ÖÄK) Wirkungsbereich<br />

sind keine Weisungen des Bundesministeriums für Gesundheit<br />

gegenüber der Österreichischen Ärztekammer möglich. Dazu<br />

gehört z. B. die Fortbildung. Im „übertragenen“ Bereich ist eine<br />

Weisung des BM für Gesundheit möglich. Dazu gehören z. B. die<br />

Ausbildungsinhalte der Rasterzeugnisse.<br />

Weitere Aktivitäten<br />

Seitens des Bundesministers Stöger wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet,<br />

bestehend aus Vertretern der ÖÄK, des BM für Gesundheit,<br />

des Hauptverbandes und der Länder. Hauptthema wird unter<br />

anderem die Finanzierung der Lehrpraxen sein. Weiters müssen die<br />

Rasterzeugnisse hinsichtlich der Ausbildungsinhalte bis 2014 neu<br />

gestaltet sein.<br />

Ärzteausbildungsordnung<br />

Neu eingeführt wird das Additiv-Fach Geriatrie für die Sonderfächer<br />

Innere Medizin, <strong>Neurologie</strong>, Physikalische Medizin und Allgemeine<br />

Rehabilitation, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Allgemeinmedizin.<br />

Die ÖÄK ist daran interessiert, diese Übergangsbestimmungen<br />

möglichst lange aufrecht zu erhalten. Seitens der ÖÄK wird dies<br />

bis 2013 angedacht, seitens des BM für Gesundheit wird eher das<br />

Jahr 2012 ins Auge gefasst.<br />

Kundmachung 4. Novelle<br />

der KEF- und RZ-Verordnung<br />

Die Österreichische Ärztekammer informiert, dass seit 1. Juli 2011<br />

die 4. Novelle der KEF- und RZ-Verordnung für das Zusatzfach Geriatrie<br />

für die Sonderfächer Innere Medizin, Physikalische Medizin<br />

und allgemeine Rehabilitation, <strong>Neurologie</strong>, Psychiatrie und psychotherapeutische<br />

Medizin sowie für das Fach Allgemeinmedizin veröffentlicht<br />

wurden. Sie finden die Kundmachung, basierend auf den<br />

Beschlüssen des Kammertages, auf der Website der ÖÄK unter<br />

„Kundmachung“. Die neuen Rasterzeugnisformulare sind ebenfalls<br />

schon abrufbar unter „Info/Rasterzeugnisse“ bei den entsprechenden<br />

Fächern.<br />

Die Novelle der Ärzteausbildungsordnung, mit der das Additivfach<br />

Geriatrie geschaffen werden soll, ist leider trotz mehrfacher<br />

Urgenzen der ÖÄK beim BMG noch immer nicht im BGBI kundgemacht.<br />

Ungeachtet dessen hat die ÖÄK beschlossen, die<br />

Beschlüsse des Kammertages umzusetzen und die Verordnung<br />

der ÖÄK zu den Inhalten der Rasterzeugnisse Geriatrie zu publizieren.<br />

11


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Schwerpunktthema Parkinson-Krankheit<br />

Sehr geehrte Leserinnen und Leser!<br />

Obwohl die Parkinson-Krankheit nach wie vor als klassischer Vertreter der sogenannten extrapyramidalen<br />

Bewegungsstörungen gilt, hat sich in den vergangenen Jahren das Interesse der klinischen Erforschung dieser<br />

Erkrankung auch zunehmend auf ihre vielfältigen, nichtmotorischen Symptome konzentriert.<br />

Bedeutung<br />

nichtmotorischer Symptome<br />

Grund hierfür ist zum einen die Erkenntnis,<br />

dass viele der nichtmotorischen Symptome<br />

der Parkinson-Krankheit, wie neuropsychiatrische<br />

Funktionsstörungen, Hyposmie, Obstipation<br />

oder Störungen der Schlaf-wach-Regulation,<br />

bereits vor Beginn der klassischen<br />

motorischen Zeichen auftreten können.<br />

Somit eröffnen sich neue Perspektiven für die<br />

Frühdiagnostik der Erkrankung, gestützt<br />

durch die rezenten neuropathologischen Studien<br />

von Braak und MitarbeiterInnen, die eine<br />

stadienhafte Entwicklung der Neuropathologie<br />

der Erkrankung postulieren, nach welcher<br />

erste Veränderungen außerhalb des nigrostriatalen<br />

Systems auftreten würden. Dies ist<br />

offensichtlich von großer Bedeutung, nicht<br />

zuletzt für die Planung zukünftiger Neuroprotektionsstudien<br />

in der Frühphase des Morbus<br />

Parkinson.<br />

Nichtmotorische Symptome der Erkrankung<br />

werden mit zunehmender Progression und<br />

Krankheitsdauer zu einem zentralen prognostischen<br />

und therapeutischen Faktor des fortgeschrittenen<br />

Morbus Parkinson, sodass auch<br />

von dieser Seite das vermehrte Interesse seine<br />

Berechtigung findet.<br />

In jüngster Zeit ist eine weitere Dimension<br />

der Problematik nichtmotorischer Komplikationen<br />

des Morbus Parkinson in das klinische<br />

Bewusstsein gerückt: Impulskontrollstörungen<br />

und andere repetitive Verhaltensstörungen<br />

können bei Parkinson-PatientInnen unter<br />

dopaminerger Medikation zu einem gravierenden<br />

Problem werden – wobei Impulskontrollstörungen<br />

insbesondere mit Dopaminagonisten<br />

assoziiert sind und bei mehr als<br />

10 % der so behandelten PatientInnen auftreten<br />

können. Regina Katzenschlager gibt in<br />

ihrem Artikel einen aktuellen Überblick über<br />

diese Gruppe komplexer Verhaltensstörungen.<br />

Therapeutisch gehören die nichtmotorischen<br />

Symptome zu den größten Herausforderungen<br />

der modernen Parkinson-Therapie. Der<br />

Artikel von Mahlknecht und Mitarbeitern<br />

fasst die Entwicklungen zusammen, die sich<br />

aus den publizierten Daten rezenter, randomisierter,<br />

kontrollierter Therapiestudien zu<br />

motorischen und nichtmotorischen Aspekten<br />

des Morbus Parkinson ergeben.<br />

Atypische<br />

Präsentationen<br />

Obwohl bei typischer Präsentation und klassisch<br />

ausgeprägter klinischer Symptomatik<br />

die Diagnose einer Parkinson-Krankheit klinisch<br />

mit hoher Verlässlichkeit zu stellen ist,<br />

bereiten atypische Präsentationen, ebenso<br />

wie die Frühstadien anderer neurodegenerativer<br />

Parkinson-Syndrome, wie bei MSA oder<br />

PSP, noch immer diagnostische Schwierigkeit.<br />

Gregor Wenning und Susanne Dürr fassen<br />

in ihrem Beitrag die diagnostischen Probleme<br />

und mögliche Lösungsansätze zusammen.<br />

Ich hoffe, dass der Inhalt der Beiträge für<br />

alle klinisch tätigen KollegInnen nützliche Informationen<br />

liefert!<br />

n<br />

o. Univ.-Prof. Dr.<br />

Werner Poewe<br />

Direktor der Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität<br />

Innsbruck<br />

13


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Morbus Parkinson – nicht immer<br />

leicht zu diagnostizieren<br />

Degenerative Parkinson-Syndrome lassen sich prinzipiell in zwei Hauptgruppen einteilen: idiopathisches<br />

Parkinson-Syndrom (IPS) und die atypischen Parkinson-Syndrome (APS). Letztere umfassen seltenere<br />

Varianten mit einem häufig, jedoch nicht immer L-Dopa-refraktärem Parkinson-Syndrom, wie die Multi -<br />

systematrophie (MSA), progressive supranukleäre Paralyse (PSP), Demenz mit Lewy-Körperchen (DLK),<br />

kortikobasales Syndrom (CBS).<br />

Die Queen-Square-Kriterien eines Parkinson-<br />

Syndroms beinhalten Akinese/Bradykinese (d.<br />

h., eine Verlangsamung und Verarmung von<br />

Bewegungen wie z. B. ein reduzierter Armschwung<br />

beim Gehen oder verminderte<br />

Mimik im Gesicht bzw. auch Schwierigkeiten,<br />

eine Bewegung zu initiieren) sowie eine rigide<br />

Muskeltonuserhöhung und Ruhetremor. Die<br />

Prävalenz der Parkinson-Syndrome steigt mit<br />

dem Alter (14 % der 65–74-Jährigen, 52 %<br />

der über 85-Jährigen 1 .<br />

Eine genaue Differenzierung zwischen IPS<br />

Dr. Susanne Dürr,<br />

Univ.-Prof. Dr. Gregor Wenning, MSc<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Innsbruck<br />

und APS stellt eine wesentliche Herausforderung<br />

für den Kliniker dar, da abhängig von<br />

der genauen Diagnose große Unterschiede<br />

in Therapie und Prognose bestehen. So ist<br />

bei IPS-PatientInnen von einer normalen Lebenserwartung<br />

auszugehen, während diese<br />

bei APS wesentlich reduziert ist (zumeist weniger/mehr?<br />

als 10 Jahre), außerdem bieten<br />

IPS-PatientInnen nach den Queen-Square-<br />

Parkinson-Kriterien ein sehr gutes nach- u<br />

Tab. 1: „Queen Square IPS“-Diagnose-Kriterien<br />

1. Schritt: Diagnose Parkinson-Syndrom<br />

• Bradykinese (Verlangsamung der Bewegungsinitiierung und<br />

progressive Reduktion von Geschwindigkeit und Amplitude repetitiver<br />

Bewegung) sowie zumindest eines der nachfolgenden Kriterien<br />

• rigide Muskeltonuserhöhung<br />

• Ruhetremor (4–6 Hz)<br />

• posturale Instabilität (nicht verursacht durch primär visuell,<br />

vestibulär, zerebellär, propriozeptive Störungen)<br />

2. Schritt: Ausschlusskriterien für IPS<br />

• multiple Schlaganfälle mit schrittweiser Zunahme der<br />

Parkinson-Symptome<br />

• rezidivierende Schädel-Hirn-Traumen<br />

• Enzephalitis<br />

• okulogyre Krise<br />

• Therapie mit Neuroleptika zu Beginn der Symptomatik<br />

• mehr als ein betroffener Verwandter<br />

• anhaltende Remission<br />

• streng einseitige Symptomatik nach 3 Jahren<br />

• supranukleäre Blickparese<br />

• zerebelläre Zeichen<br />

• früh auftretende autonome Störungen<br />

• früh auftretende Demenz<br />

• positive Babinski-Zeichen<br />

• zerebraler Tumor oder Normdruckhydrocephalus im CT<br />

• fehlendes Ansprechen auf L-Dopa (Malabsorption ausgeschlossen)<br />

• Exposition mit MPTP<br />

3. Schritt: Unterstützende Kriterien für IPS (für definitive<br />

Diagnose IPS werden 3 oder mehr Kriterien gefordert )<br />

• einseitiger Beginn<br />

• Ruhetremor<br />

• progressive Krankheit<br />

• fortbestehende Asymmetrie eine Seite mehr betreffend<br />

• sehr gutes Ansprechen auf L-Dopa (70–100 %)<br />

• schwere L-Dopa-induzierte Chorea<br />

• Ansprechen auf L-Dopa für länger als 5 Jahre<br />

• klinischer Verlauf über länger als 10 Jahre<br />

• Hyposmie<br />

• visuelle Halluzinationen<br />

Übersetzt nach: Lees 2009, Gibb & Lees 1988 3, 4<br />

14


Tab. 2: Klinische Charakteristika hinweisend auf ein APS<br />

Motorische Symptome:<br />

• früh im KH-Verlauf auftretende posturale Instabilität/Stürze<br />

• rasches Fortschreiten der Symptome<br />

• mangelndes Ansprechen auf Levodopa<br />

• positive Pyramidenbahnzeichen<br />

• zerebelläre Symptome<br />

• früh auftretende Dysarthrie/Dysphagie<br />

Okulomotorik:<br />

• supranukleäre Blickparese/verlangsamte Sakkaden<br />

Kognition/Verhalten:<br />

• früh auftretende Demenz<br />

• visuelle Halluzinationen (nicht durch dopaminerge Therapie<br />

induziert)<br />

• Apraxie<br />

• sensorischer/visueller Neglect<br />

Autonome Symptome:<br />

• früh auftretendes autonomes Versagen (unabhängig von<br />

dopaminerger Therapie auftretend), wie orthostatische Hypotension,<br />

Impotenz, Dranginkontinenz/Blasenentleerungsstörungen<br />

Übersetzt nach: Litvan 2000 8<br />

Tab. 3: DLK Diagnosekriterien (übersetzt nach McKeith 2005) 10<br />

1. Zentrales Kriterium „Central feature“ (Voraussetzung<br />

für mögliche oder wahrscheinliche DLK<br />

• Demenz definiert als eine progressive Verschlechterung kognitiver<br />

Funktionen, sodass bei Alltagsaktivitäten Einschränkungen<br />

bestehen.<br />

• Vorherrschendes oder persistierendes Gedächtnisdefizit muss<br />

nicht von Beginn an bestehen, tritt jedoch im Verlauf der<br />

Erkrankung auf.<br />

• Besonders vorherrschen können Defizite bei Aufmerksamkeit,<br />

exekutive Funktionen, visuospatiale Funktionen.<br />

2. Kernkriterien „Core features“ (2 oder mehrere für<br />

„wahrscheinliche DLK“, 1 für „mögliche DLK“)<br />

• Fluktuierende Kognition mit variierenden Defiziten bei<br />

Aufmerksamkeit und Wachheit<br />

• Rezidivierende visuelle Halluzinationen<br />

• Spontan auftretende Parkinson-Symptome<br />

3. Kriterien, die auf die Diagnose „Suggestive features“<br />

hinweisen (1 oder mehr plus 1 Kernkriterium für<br />

„wahrscheinliche DLK“, 1 oder mehr ohne Kernkriterium<br />

für „wahrscheinliche DLK“)<br />

• REM-Schlaf-Verhaltenstörung<br />

• Ausgeprägte Empfindlichkeit auf Neuroleptika<br />

• Herabgesetztes Dopamintransporter-Bindungspotenzial in den<br />

Basalganglien im SPECT oder PET<br />

Übersetzt nach: McKeith 2005 10<br />

4. Unterstützende Kriterien „Supportive features“ (in der<br />

klinischen Routine häufig auftretend, dzt. ohne bewiesene<br />

diagnostische Spezifität)<br />

• Rezidivierende Stürze und Synkopen<br />

• Unklare transiente Bewusstlosigkeit<br />

• Schwere autonome Dysfunktion (OH, Inkontinenz)<br />

• Andere (nicht visuelle) Halluzinationen<br />

• Wahnhafte Störungen<br />

• Depressionen<br />

• Relative Erhaltung des med. Temporallappens im CT/MRT<br />

• Pathologisches myokardiale MIBG-Szintigraphie<br />

• Prominente Verlangsamung im EEG mit temporal eingelagerten<br />

Spitzen<br />

5. Die Diagnose. DLK ist weniger wahrscheinlich bei:<br />

• Zerebrovaskulärer Ursache fokal <strong>neurologisch</strong>er Störungen<br />

• Andere, die klinische Präsentation erklärende zerebrale Pathologie<br />

• Auftreten von Parkinson-Symptomen erst im fortgeschrittenen<br />

Stadium der Demenz<br />

6. Zeitlicher Zusammenhang der Symptome<br />

• Auftreten der Demenz vor oder zeitgleich mit Parkinsonsymptomen<br />

• Der Begriff „Parkinson-Demenz“ sollte verwendet werden, wenn<br />

ein demenzielles Syndrom im Verlauf einer klassischen Parkinson-<br />

Krankheit auftritt<br />

• Die verschiedenen klinischen Phänotypen können unter dem<br />

Oberbegriff „Lewy-Körperchen-Krankheit“ oder „Alpha-Synukleinopathie“<br />

kategorisiert werden.<br />

15


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Tab. 4: PSP Diagnosekriterien (übersetzt nach Litvan 1996) 11<br />

1. Mögliche PSP: progrediente Erkrankung mit Beginn nach<br />

dem 40. Lebensjahr<br />

• Vertikale Blickparese und/oder verlangsamte vertikale Sakkaden<br />

und ausgeprägte posturale Instabilität mit Stürzen im 1. Jahr der<br />

Erkrankung<br />

• Keine andere bestehende Krankheit, die o. g. Kriterien erklären<br />

könnte (s. a. Ausschlusskriterien)<br />

2. Wahrscheinliche PSP: progrediente Erkrankung,<br />

Beginn im 40. Lebensjahr oder später<br />

• Vertikale Blickparese und ausgeprägte posturale Instabilität mit<br />

Stürzen im 1. Jahr der Erkrankung<br />

• Keine andere bestehende Krankheit, die o. g. Kriterien erklären<br />

könnte (s. a. Ausschlusskriterien)<br />

3. Gesicherte PSP<br />

• Klinisch mögliche oder wahrscheinliche PSP und histopathologisch<br />

nachgewiesene PSP-Veränderungen<br />

Übersetzt nach: Litvan 1996 11<br />

4. Ausschlusskriterien<br />

• Enzephalitis<br />

• „Alien-Limb-Syndrom“<br />

• Halluzinationen unabhängig von dopaminerger Therapie<br />

• Typische Symptome für Alzheimer-Demenz<br />

(s. NINCDS-ADRA-Kriterien)<br />

• Ausgeprägte zerebelläre oder autonome Störungen<br />

• Ausgeprägte asymmetrische Parkinson-Symptome<br />

• Neuroradiologisch strukturelle Veränderung<br />

• Mb. Whipple<br />

5. Unterstützende Kriterien<br />

• Symmetrische Akinese oder Rigidität, proximal betont<br />

• Mangelndes oder fehlendes Ansprechen auf L-Dopa<br />

• Früh auftretende Dysphagie oder Dysarthrie<br />

• Früh auftretende kognitive Störungen (inkl. mindestens 2 der<br />

Folgenden: Apathie, abstraktes Denken, reduzierter Wortfluss,<br />

frontale Zeichen)<br />

haltiges Ansprechen auf die dopaminerge<br />

Therapie, während dies bei APS-PatientInnen<br />

zumeist sehr limitiert ist; zudem demaskieren<br />

sich APS-PatientInnen zumeist in den ersten<br />

Jahren nach Krankheitsbeginn durch rasche<br />

Progredienz mit erhöhtem pflegerischem/sozialmedizinischem<br />

Aufwand sowie charakteristischen<br />

Warnsymptomen (Red Flags).<br />

Rezente Studien haben gezeigt, dass sich<br />

selbst für den Spezialisten die genaue Unterscheidung<br />

im Einzelfall sehr schwierig darstellen<br />

kann 2 .<br />

Diagnosestellung IPS<br />

Für die klinische Diagnose eines IPS wurden<br />

verschiedene diagnostische Kriterien vorgeschlagen,<br />

unter denen die Queen-Square-Parkinson-Kriterien<br />

aufgrund hervorragender<br />

Validitätskennzeichen eine führende Rolle<br />

spielen 3, 4 .<br />

Schritt 1 beinhaltet die Feststellung eines Parkinson-Syndroms<br />

durch das obligate Vorhandensein<br />

von Akinese/Bradykinese, assoziiert<br />

mit Rigidität, Ruhetremor (4–6 Hz) oder pos t -<br />

urale Instabilität (Tab. 1). Im zweiten Schritt<br />

sind Exklusionskriterien, die zumeist auf ein<br />

APS hinweisen, zu beachten. Im dritten<br />

Schritt sollten mindestens 3 unterstützende<br />

Kriterien für die Diagnose eines IPS vorliegen,<br />

z. B. ein sehr gutes Ansprechen auf die Therapie<br />

mit Levodopa und ein insgesamt asymmetrischer<br />

bzw. unilateraler Beginn der Parkinson-Symptome.<br />

Hinweisende Kriterien<br />

für das Vorliegen eines APS<br />

Der Terminus „atypisches Parkinson-Syndrom“<br />

umfasst sehr unterschiedliche Krankheitsentitäten<br />

mit z. T. auch sehr variierender<br />

zugrunde liegender Pathophysiologie. Die<br />

häufigsten neurodegenerativen atypischen<br />

Parkinson-Syndrome wurden z. T. schon in<br />

der Einleitung genannt und sollen der Übersicht<br />

halber nur grob umschrieben werden,<br />

vielmehr ist das Ziel des vorliegenden Artikels,<br />

auf mögliche klinische Kriterien, die auf ein<br />

atypisches Parkinson-Syndrom hinweisen,<br />

einzugehen (Tab. 2).<br />

Klinik: So ist die Diagnose IPS eher unwahrscheinlich,<br />

wenn die Krankheit generell schnell<br />

voranschreitet und schon früh eine posturale<br />

Instabilität auftritt. Ein nur mangelndes oder<br />

vorübergehendes Ansprechen auf die dopaminerge<br />

Therapie lässt ebenfalls die Diagnose<br />

IPS anzweifeln, wobei auch bei bis zu 30 %<br />

der MSA-PatientInnen ein zumindest zu Beginn<br />

der Krankheit vorübergehendes Ansprechen<br />

auf die dopaminerge Therapie verzeichnet<br />

werden kann (üblicherweise nimmt dies<br />

schließlich im Krankheitsverlauf ab).<br />

Früh im Krankheitsverlauf auftretende (meist<br />

visuelle) Halluzinationen – unabhängig von<br />

der Therapie oder Vorliegen eines demenziellen<br />

Syndroms – sind nicht typisch für IPS und<br />

eher hinweisend auf eine Demenz mit Lewy-<br />

Körperchen (DLK); prinzipiell ist jedoch derzeit<br />

noch unklar, ob es sich bei DLK und IPS<br />

wirklich um zwei verschiedene Krankheitsentitäten<br />

handelt oder wohl beide zu dem Spektrum<br />

„Lewy-Körperchen-Erkrankung“ zu<br />

zählen sind, wobei per definitionem für eine<br />

DLK das Auftreten des demenziellen Syndroms<br />

in der Anamnese zuvor bzw. zugleich<br />

mit den Parkinson-Symptomen gefordert<br />

wird (Tab. 3).<br />

Eine früh im Krankheitsverlauf auftretende<br />

posturale Instabilität ist ein insgesamt nur seltenes<br />

Charakteristikum der IPS; bei vorherrschenden<br />

Stürzen (zumeist nach hinten) sollte<br />

an eine PSP gedacht werden (Tab. 4), wobei<br />

auch bei MSA-PatientInnen eine posturale Instabilität<br />

bereits früh auftreten kann.<br />

Positive Pyramidenbahnzeichen (wie Babinski-Zeichen)<br />

schließen ein IPS nahezu aus, u<br />

16


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Tab. 5: Diagnosekriterien MSA<br />

1. Wahrscheinliche MSA<br />

Eine sporadische, progressive, im Erwachsenenalter beginnende<br />

Erkrankung, charakterisiert durch:<br />

• autonomes Versagen mit Inkontinenz (mit ED bei Männern) oder<br />

orthostatischen Blutdruckabfall innerhalb 3 min Stehens (zumindest<br />

30 mmHg systolisch oder 15 mmHg diastolisch) und<br />

• ein mangelhaft auf L-Dopa ansprechendes Parkinson-Syndrom<br />

(Bradykinese und Rigidität, Tremor oder posturale Instabilität) oder<br />

• ein zerebelläres Syndrom (Gangataxie und zerebelläre Dysarthrie,<br />

Extremitätenataxie, oder zerebelläre okulomotorische Störung)<br />

2. Mögliche MSA<br />

Eine sporadische, progressive, im Erwachsenenalter beginnende<br />

Erkrankung, charakterisiert durch:<br />

• Parkinson-Syndrom (Bradykinese und Rigidität, Tremor oder<br />

posturale Instabilität) oder<br />

• ein zerebelläres Syndrom (Gangataxie und zerebelläre Dysarthrie,<br />

Extremitätenataxie, oder zerebelläre okulomotorische Störung) und<br />

• zumindest ein Kriterium für autonomes Versagen (anderweitig nicht<br />

erklärbare Drangsymptomatik oder Blasenentleerungsstörung, ED<br />

bei Männern oder signifikanter orthostatischer Blutdruckabfall, der<br />

die Kriterien für „wahrscheinliche MSA“ nicht erfüllt) und<br />

• zumindest eines der zusätzlichen Kriterien (s. 3.)<br />

3. Zusätzliche Kriterien<br />

mögliche MSA-P oder MSA-C<br />

• Babinski-Zeichen und Hyperreflexie<br />

• Stridor<br />

mögliche MSA-P<br />

• rasch fortschreitendes Parkinson-Syndrom<br />

• schlechtes Ansprechen auf L-Dopa<br />

• posturale Instabilität innerhalb von 3 Jahren nach Beginn der<br />

motorischen Symptome<br />

• Gangataxie, zerebelläre Dysarthrie, Extremitätenataxie, zerebelläre<br />

okulomotorische Dysfunktion<br />

• Dysphagie innerhalb von 5 Jahren nach Beginn der motorischen<br />

Symptome<br />

• im MRT Atrophie des Putamens, Kleinhirnstiels, Pons, Cerebellums<br />

• Hypometabolismus im FDG-PET im Bereich des Putamens,<br />

Hirnstamms, Pons, Cerebellums<br />

mögliche MSA-C<br />

• Parkinson-Syndrom (Bradykinese und Rigidität)<br />

• im MRT Atrophie des Putamens, Kleinhirnstiels, Pons<br />

• Hypometabolismus im FDG-PET im Bereich des Putamens<br />

• präsynaptische Denervation im nigrostriatalen Dopaminsystem<br />

im SPECT oder PET<br />

Übersetzt nach: Gilman 2008 9<br />

vielmehr sind diese in ca. ein Drittel bis der<br />

Hälfte der atypischen Parkinson-Syndrome<br />

festzustellen. Zerebelläre Symptome (wie<br />

Stand-/Gangataxie, Dysmetrie) sprechen<br />

ebenfalls gegen die Diagnose IPS, wobei vor<br />

allem im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf<br />

eine klinische Differenzierung zwischen<br />

Gangstörung aufgrund der ausgeprägten posturalen<br />

Instabilität oder (eventuell auch zusätzlich<br />

bestehenden) zerebellären Ataxie<br />

schwierig sein kann.<br />

Ein weiteres für die klassische IPS untypisches<br />

Symptom sind Myoklonien im Bereich der Extremitäten<br />

oder Gesichtsmuskulatur – vielmehr<br />

werden diese bei bis zu 30 % der MSA-<br />

PatientInnen beobachtet und können sogar<br />

noch häufiger bei der CBS oder DLK auftreten.<br />

Das Vorliegen einer vertikalen Blickparese<br />

bzw. Verlangsamung der Sakkaden stellt hingegen<br />

nahezu ein diagnostisches Kriterium<br />

für die PSP dar.<br />

Auch ist sowohl eine ausgeprägte Dysarthrie<br />

FACT-BOX<br />

Die Diagnose der verschiedenen Parkinson-Syndrome<br />

bleibt eine klinische Diagnose,<br />

wobei die endgültige Differenzierung<br />

nur post mortem möglich ist. Jedoch<br />

ist eine frühe und möglichst<br />

akkurate Diagnose wegweisend hinsichtlich<br />

adäquater Führung des/der PatientIn<br />

und reduziert zudem unnötige und womöglich<br />

kostenintensive Zusatzdiagnostik.<br />

Außerdem wirkt sich eine angemessene<br />

Therapie (sowohl medikamentös als<br />

auch physikalisch und neurorehabilitativ)<br />

entscheidend auf die Symptomkontrolle<br />

aus; auch hat sich gezeigt, dass angemessen<br />

therapierte IPS-PatientInnen eine<br />

nahezu normale Lebenserwartung erreichen<br />

können.<br />

und/oder Dysphagie eher untypisch für IPS,<br />

obwohl dies im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf<br />

auch bei IPS-PatientInnen auftreten<br />

kann.<br />

Darüber hinaus sind autonome Symptome<br />

speziell für eine MSA charakteristisch, wie z.<br />

B. eine früh auftretende Dranginkontinenz<br />

oder Blasenentleerungsstörung bzw. erektile<br />

Dysfunktion sowie auch kardiovaskuläre Regulationsstörungen<br />

wie eine ausgeprägte orthostatische<br />

Hypotension (auch mit orthostatisch<br />

bedingten vasovagalen Synkopen); insgesamt<br />

spricht auch hier deren frühes<br />

Auftreten im Krankheitsverlauf eher gegen IPS<br />

und für ein atypisches Parkinson-Syndrom wie<br />

die MSA, jedoch können aufgrund der Beteiligung<br />

autonomer Zentren auch bei der IPS<br />

die autonomen Symptome nicht mit endgültiger<br />

Sicherheit zwischen IPS oder atypischen<br />

Parkinson-Syndrom differenzieren (Tab. 5).<br />

Klinisches Spektrum der Tauopathien:<br />

Während die klinische Präsentation der<br />

Alpha-Synucleinopathien DLK und MSA homogen<br />

erscheint, hat sich in den letzten Jah-<br />

18


en eine zunehmende Heterogenität der Tauopathien PSP und CBS<br />

gezeigt. Neben der klassischen Richardson-Variante der PSP, die oben<br />

beschrieben wurde, existieren offenbar als Ausdruck unterschiedlicher<br />

Tau-Läsionslast und Verteilung mindestens 3 weitere seltenere<br />

Varianten. Diese umfassen eine IPS-ähnliche Präsentation mit passagerem<br />

L-Dopa-Respons und verzögertem Auftreten von Blickparese<br />

und Sturzneigung (PSP-Parkinson-Typ) 5 , die so genannte pure akinesia<br />

and gait freezing (wurde zunächst in Japan beschrieben und<br />

von Williams et al. 2007 6 in westlichen PatientInnenpulationen dokumentiert)<br />

sowie das kortikobasale Syndrom als Kombination eines<br />

therapierefraktären Hemiparkinson/-dystonie-Syndroms mit einer<br />

ideomotorischen Apraxie und progredienten Demenz 7 . Interessanterweise<br />

ist eine kortikobasale Degeneration nur für 30 % der CBS-<br />

Fälle verantwortlich, führend ist dagegen eine PSP-Pathologie. Eine<br />

Überarbeitung der PSP-Diagnosekriterien erscheint angesichts dieser<br />

phänotypischen Erweiterung des klinischen Spektrums als unumgänglich.<br />

Diagnosestellung: Die Diagnose von IPS und APS bleibt primär klinisch,<br />

und der Stellenwert von Zusatzuntersuchungen wie Bildgebung<br />

oder Neuropsychodiagnostik wurde bislang ausschließlich bei<br />

klinisch bereits gesicherten Fällen untersucht. Jeder/jede Parkinson-<br />

PatientIn sollte aber zum Ausschluss von sekundären Ursachen bzw.<br />

zum Nachweis verschiedener APS-spezifischer Veränderungen mittels<br />

zerebralem MRT untersucht werden (MSA: rim sign, hot cross bun<br />

sign, OPCA-Atrophie-Muster; PSP: Mickey Mouse sign, humming<br />

bird sign, Mittelhirn- sowie frontale Atrophie; DLK: relative Verschonung<br />

des mesialen Temporallappens; CBS: einseitig betonte frontoparietale<br />

Atrophie).<br />

Weitere Untersuchungen sind von der klinischen Präsentation abhängig<br />

zu machen (z. B. Kipptischuntersuchung bzw. Urodynamik bei<br />

Verdacht auf autonomes Versagen im Rahmen von MSA oder DLK,<br />

Neuropsychodiagnostik bei Verdacht auf kognitive Einschränkung im<br />

MMSE-Screening, DAT SPECT bei Verdacht auf nichtdegeneratives<br />

Parkinson-Syndrom, FDG PET zum Nachweis von Basalganglien, Hirnstamm<br />

oder Kleinhirnpathologie bei Verdacht auf MSA, DLK oder<br />

PSP/CBS).<br />

n<br />

1 Wenning GK et al., Prevalence of movement disorders in men and women aged<br />

50–89 years (Bruneck Study cohort): a population-based study. Lancet Neurol 2005;<br />

4(12):815–20<br />

2 Hughes AJ et al., The accuracy of diagnosis of parkinsonian syndromes in a specialist<br />

movement disorder service. Brain 2002; 125(Pt 4):861–70<br />

3 Gibb WR, Lees AJ, The relevance of the Lewy body to the pathogenesis of idiopathic<br />

Parkinson's disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1988 Jun; 51(6):745–52<br />

4 Lees AJ, Hardy J, Revesz T, Parkinson’s disease. Lancet. 2009;13; 373(9680):2055–66<br />

5 Williams DR et al., Characteristics of two distinct clinical phenotypes in pathologically<br />

proven progressive supranuclear palsy: Richardson’s syndrome and PSP-parkinsonism.<br />

Brain 2005; 128(Pt 6):1247–58<br />

6 Williams DR et al., Pure akinesia with gait freezing: a third clinical phenotype of<br />

progressive supranuclear palsy. Mov Disord 2007; 15; 22(15):2235–41<br />

7 Wenning GK et al., Natural history and survival of 14 patients with corticobasal<br />

degeneration confirmed at postmortem examination. J Neurol Neurosurg Psychiatry<br />

1998; 64(2):184–9<br />

8 Litvan I et al., Research goals in progressive supranuclear palsy. First International<br />

Brainstorming Conference on PSP. Mov Disord 2000; 15(3):446–58<br />

9 Gilman S, Wenning GK et al., Second consensus statement on the diagnosis of<br />

multiple system atrophy. Neurology 2008 Aug 26; 71(9):670–6<br />

10 McKeith IG et al., Diagnosis and management of dementia with Lewy bodies: third<br />

report of the DLB Consortium. Neurology 2005 27; 65(12):1863–72<br />

11 Litvan I et al., Accuracy of clinical criteria for the diagnosis of progressive supranuclear<br />

palsy (Steele-Richardson-Olszewski syndrome). Neurology 1996; 46(4):922–30


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Nichtmotorische Symptome<br />

der Parkinson-Krankheit<br />

Die Parkinson-Krankheit gilt zu Recht als klassischer Vertreter der Erkrankungsgruppe der extrapyramidalen<br />

Bewegungsstörungen („Movement disorders“) und wird klinisch durch ihre motorischen Kardinalsymptome<br />

Bradykinese, Rigidität und asymmetrischer Ruhetremor definiert. Dennoch sind eine Vielzahl nichtmotorischer<br />

Symptome integraler Bestandteil des klinischen Spektrums dieser neurodegenerativen Erkrankung.<br />

O<br />

Obwohl die klinisch-pathologischen Korrelationen<br />

für viele dieser nichtmotorischen Symptome<br />

nicht exakt etabliert sind, besteht Konsens,<br />

dass sie eine direkte Folge der weit<br />

über das nigrostriatale System hinausgehenden<br />

systemischen Neuropathologie der Erkrankung<br />

sind. Nichtmotorische Symptome<br />

sind bereits am Beginn der Erkrankung häufig<br />

– für manche von ihnen wird sogar postuliert,<br />

dass ihre Manifestation der Präsentation motorischer<br />

Kardinalsymptome vorausgehen<br />

kann – werden aber mit fortschreitender Erkrankung<br />

noch häufiger und dann oft ein<br />

wesentlicher bestimmender Faktor für Progression<br />

von Behinderung, Lebensqualität<br />

und Pflegeheimeinweisung 1–3 . In ihren verschiedenen<br />

Kombinationen stellen nichtmotorische<br />

Symptome eine der größten therapeutischen<br />

Herausforderungen im Management<br />

der fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit<br />

dar.<br />

Klinisches Spektrum<br />

Das Spektrum der nichtmotorischen Symptome<br />

der Parkinson-Krankheit ist breit gefächert<br />

und umfasst Störungen von Kognition<br />

und Affektivität ebenso wie Symptome gestörter<br />

Schlaf-wach-Regulation, autonome<br />

Dysfunktion oder sensorische Symptome und<br />

Schmerz (Tab. 1).<br />

Neuropsychiatrische Symptome<br />

Bereits am Beginn der Parkinson-Krankheit<br />

lassen sich bei mehr als der Hälfte der PatientInnen<br />

bei gezielter Untersuchung Störungen<br />

der Affektivität und des Antriebs<br />

sowie verschiedene Manifestationen kognitiver<br />

Dysfunktion erfassen, wobei insgesamt<br />

Häufigkeit und Ausmaß der Störung im<br />

Krankheitsverlauf zunehmen. 2<br />

Die dopaminerge Ersatztherapie der Erkrankung<br />

hat darüber hinaus zu neuen Syndromen<br />

komplexer Verhaltensstörungen geführt,<br />

die beim unbehandelten M. Parkinson nicht<br />

beschrieben wurden und in einem eigenen<br />

Beitrag für dieses Schwerpunktthema behandelt<br />

werden.<br />

Depression<br />

Rezente Daten aus klinikbasierten Kollektiven<br />

legen eine Prävalenz von klinisch relevanten<br />

depressiven Symptomen bei 30–40 % der<br />

Parkinson-PatientInnen nahe 1, 2 , weniger als<br />

Tab. 1: Nichtmotorische Symptome der Parkinson-Krankheit<br />

Neuropsychiatrische Störungen<br />

Schlafstörungen<br />

Autonome Dysfunktion<br />

Sensorische Symptome/Schmerzen<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Werner Poewe<br />

Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität<br />

Innsbruck<br />

20 % der PatientInnen erfüllen allerdings<br />

DSM-IV-Kriterien für eine Major Depression. 4<br />

Interesseverlust und Anhedonie sind zentrale<br />

Aspekte des depressiven Syndroms des Morbus<br />

Parkinson, ebenso wie Ängstlichkeit und<br />

Panikattacken, Schlafstörungen und Erschöpfbarkeit,<br />

während traurige Verstimmung<br />

in einer rezenten Studie an über 1000<br />

Parkinson-PatientInnen bei weniger als 20 %<br />

Depression<br />

Apathie, Anhedonie<br />

Frontal exekutive Störung<br />

Demenz<br />

Psychose<br />

Dopaminerges Dysregulationssyndrom<br />

Impulskontrollstörung<br />

Schlaffragmentation, Insomnie<br />

RBD<br />

PLMS/RLS<br />

Pathologische Tagesmüdigkeit<br />

Orthostatische Hypotension<br />

Urogenitale Störungen<br />

Obstipation<br />

Hyposmie<br />

Farbdiskriminationsstörung<br />

Schmerz<br />

20


vorhanden war. 5 Andere klassische Symptome<br />

der Depression bei Nicht-Parkinson-PatientInnen,<br />

wie Selbstanklagen, Schuldgefühle<br />

und Suizidalität sind demgegenüber bei<br />

Parkinson-PatientInnen mit depressiver Symp -<br />

tomatik seltener (Tab. 2). Depressivität, Angst<br />

und Panikattacken sind darüber hinaus Manifestationen<br />

von Off-Phasen bei L-Dopa-behandelten<br />

Parkinson-PatientInnen mit Wirkungsfluktuationen.<br />

6<br />

Depressive Symptome des M. Parkinson dürften<br />

Folge gestörter Neurotransmission in mesokortikalen<br />

bzw. mesolimbischen monoaminergen<br />

Projektionen sein. Hierzu gehören die<br />

mesokortikolimbische Dopaminprojektion<br />

aus der ventralen tegmentalen Area, wobei<br />

insbesondere angenommen wird, dass orbitofrontale<br />

dopaminerge Denervierung eine<br />

Rolle für Apathie und Anhedonie spielen. 7<br />

Zusätzlich dürften für die Parkinson-Depression<br />

kortikolimbische noradrenerge Denervierung<br />

in Folge Zellverlustes im Locus coeruleus<br />

und serotonerge kortikale Denervierung als<br />

Folge von Neuronenverlust im Nucleus dorsalis<br />

raphae von Bedeutung sein.<br />

Medikamentöse Behandlung: Die Pharmakotherapie<br />

der Parkinson-Depression kann<br />

sich nur zum Teil auf gesicherte Daten aus<br />

randomisierten kontrollierten Studien stützen.<br />

8 Die wenigen verfügbaren, placebokontrollierten<br />

Studien wurden ganz überwiegend<br />

in kleinen PatientInnenkollektiven durchgeführt<br />

und haben generell große Placeboeffekte<br />

gezeigt, sodass insgesamt die Evidenzbasis<br />

für die Wirksamkeit von Antidepressiva<br />

bei der Parkinson-Depression unbefriedigend<br />

ist. (Tab. 3). Die größte placebokontrollierte<br />

Therapiestudie zur Parkinson-Depression<br />

wurde mit dem Dopaminagonisten Pramipexol<br />

durchgeführt und zeigte einen signifikanten<br />

antidepressiven Effekt nach 12-wöchiger<br />

Behandlung. 9 Letzteres unterstreicht die Bedeutung<br />

einer Optimierung der dopaminergen<br />

Ersatztherapie als wichtiger Baustein des<br />

antidepressiven Managements der Parkinson-<br />

Krankheit.<br />

Unter den Antidepressiva liegen lediglich für<br />

Nortryptilin, Desipramin und Citalopram<br />

Tab. 2: Klinisches Profil der Depression bei Parkinson<br />

Häufige Symptome<br />

Interesseverlust<br />

Anhedonie<br />

Apathie<br />

Erschöpfung<br />

Insomnie<br />

Pessimismus<br />

Traurige Verstimmung<br />

Ängstlichkeit<br />

Panikattacken<br />

Wirksamkeitsnachweise aus randomisierten<br />

placebokontrollierten Studien vor, während<br />

die Evidenzlage für die im klinischen Alltag<br />

am häufigsten verwendete Medikamentengruppe<br />

der Serotonin- oder dualen serotonergen-noradrenergen<br />

Antidepressiva unbefriedigend<br />

ist.<br />

10, 11<br />

Bei Fehlen ausreichender Daten aus randomisierten<br />

placebokontrollierten Therapie-Studien<br />

zur Parkinson-Depression beruht die u<br />

Tab. 3: Behandlung der Depression bei Morbus Parkinson – Evidenzniveau der<br />

Wirksamkeit aus klinischen Studien<br />

Therapieform Evidenzniveau aus klinischen Studien *<br />

A. Pharmakotherapie<br />

L-Dopa 3 **<br />

Dopaminagonisten<br />

• Bromocriptin 3<br />

• Pergolid 3<br />

• Pramipexol 1 ***<br />

Antidepressiva<br />

• Trizyklika (Nortryptilin, Desipramin) 1<br />

• SSRI (Sertralin, Fluoxetin, Paroxetin, 3<br />

Citalopram)<br />

• Neuere Antidepressiva (Mirtazapin, 3<br />

Venlafaxin, Reboxetin, Nefazodon,<br />

Bupropion)<br />

B. Nichtmedikamentöse Therapie<br />

• Psychotherapie, Verhaltenstherapie 3<br />

• Elektrokrampftherapie 3<br />

• rTMS<br />

- wirksam 3<br />

- unwirksam 1<br />

Seltener im Vergleich zu Major Depression<br />

Traurige Verstimmung<br />

Suizidgedanken<br />

Schuldgefühl<br />

Selbstanklagen<br />

Verlust des Selbstwertgefühls<br />

* Evidenzniveau entsprechend der Datenlage aus klinischen Studien:<br />

1 = randomisierte, kontrollierte Studie; 2 = nicht randomisierte, kontrollierte Studie; 3 = unkontrollierte Studie<br />

** Stimmungsaufhellende und angstlösende Effekte auch in einer kleinen doppelblinden placebokontrollierten<br />

Einzeldosisstudie nachgewiesen<br />

*** Positive Effekte auch in placebokontrollierter randomisierter Studie bei Depression ohne Morbus Parkinson<br />

21


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Tab. 4: Management der Depression bei Morbus Parkinson<br />

• Diagnose sichern und Depressionstyp charakterisieren (Major Depression, Minor<br />

Depression, subsyndromale Depression)<br />

• Optimierung der dopaminergen Ersatztherapie<br />

- Überprüfen der Medikation auf ausreichende Dosierung<br />

- bei „Off-Phasen“ dopaminerge Substitution anpassen (Maximierung der „On-Phasen“<br />

Dauer) bzw. Wirkungsfluktuationen behandeln<br />

• Erlernen von Coping-Strategien/Psychotherapie<br />

• Im Bedarfsfall Kombinationstherapie mit Antidepressiva<br />

• Konsultation eines Psychiaters, insbesondere bei<br />

- Parkinson-Patienten mit schwerer Depression oder wenn die Depression das führende<br />

Symptom ist<br />

- Parkinson-Patienten mit Depression mit Therapieresistenz gegenüber der<br />

medikamentösen Behandlung<br />

Tab. 5: Parkinson-Psychose – diagnostische Kriterien<br />

A) Vorhandensein von mindestens einem Symptom<br />

- illusionäre Verkennung<br />

- falsches Gefühl der Anwesenheit von Personen<br />

- Halluzinationen<br />

- Wahnvorstellungen<br />

B) Diagnose einer Parkinson-Krankheit<br />

C) Auftreten der Symptome unter A) nach Beginn der Parkinson-Krankheit<br />

D) Symptome unter A) sind für mindestens einen Monat rezidivierend oder<br />

anhaltend<br />

E) Ausschluss anderer Gründe für Symptome unter A)<br />

Tab. 6: Therapieprinzipien im Management der Parkinson-Psychose<br />

Kontrolle auslösender Faktoren<br />

Reduktion von Polypharmazie<br />

Gabe von atypischen<br />

Antipsychotika<br />

• Therapie von Infekten (HWI, Pneumonie)<br />

• Ausgleich von gestörtem Flüssigkeitshaushalt<br />

und/oder Elektrolytstörung<br />

• Reduktion/Ausschleichen von Trizyklika,<br />

Anxiolytika, Hypnotika<br />

• Reduktion/Absetzen von Parkinson-Mitteln mit<br />

ungünstiger Nutzen-Risiko-Relation (Anticholinergika,<br />

Amantadin, Dopaminagonisten vor L-Dopa)<br />

• Quetiapin oder Clozapin (Olanzapin, Risperidon<br />

wegen motorischer Verschlechterung<br />

kontraindiziert!)<br />

Gabe von Cholinesterasehemmern • nur bei Patienten mit Parkinson-Demenz<br />

nach Ravina et al., 2007<br />

pragmatische Therapie zum Teil auf unkontrollierten<br />

Studiendaten bzw. der Extrapolation<br />

von Studienergebnissen an PatientInnen<br />

mit primärer Depression (Tab. 4).<br />

Kognitive Dysfunktion<br />

und Parkinson-Demenz<br />

Subtile Zeichen kognitiver Dysfunktion lassen<br />

sich testpsychologisch bei der Mehrzahl der<br />

Parkinson-PatientInnen schon im Frühstadium<br />

nachweisen – hierzu gehören Störungen<br />

von Aufmerksamkeit, der frontal-exekutiven<br />

Funktion und Defizite in visuell-räumlichen<br />

Tests. In letzter Zeit ist vorgeschlagen worden,<br />

diese subklinischen Defizite als „minimale kognitive<br />

Beeinträchtigung bei M. Parkinson“<br />

(MCI-PD) zu operationalisieren – unter anderem,<br />

um eine Basis für prospektive Untersuchungen<br />

zum Demenzrisiko solcher PatientInnen<br />

zu schaffen 12 .<br />

Im Langzeitverlauf entwickelten je nach Serie<br />

und Länge der Nachuntersuchungsperiode<br />

bis zu 80 % der PatientInnen mit Parkinson-<br />

Krankheit eine Demenz. 2 Die Parkinson-Demenz<br />

ist klinisch durch Störungen im Gedächtnisabruf,<br />

der Aufmerksamkeit und frontal-exekutiver<br />

Funktionen mit Defiziten beim<br />

Konzeptwechsel, Planen und Problemlösen<br />

gekennzeichnet. Charakteristisch sind auch<br />

visuell-räumliche Verarbeitungsstörungen,<br />

das Auftreten von visuellen Halluzinationen<br />

sowie oft markante Fluktuationen im Aufmerksamkeits-<br />

und gesamten kognitiven Niveau.<br />

Anders als bei der Alzheimer-Erkrankung bleiben<br />

Sprache und Praxis relativ intakt. Klinisch<br />

beruht die Abgrenzung einer Demenz mit<br />

Lewy-Körpern (DLK) von der Parkinson-Demenz<br />

allein auf dem Zeitkriterium des Auftretens<br />

der Demenz in Relation zur motorischen<br />

Parkinson-Manifestation – vorher oder<br />

innerhalb eines Jahres bei der DLK, später bei<br />

der Parkinson-Demenz, während sich das klinische<br />

Demenzprofil nicht unterscheidet.<br />

Ursächlich für die Parkinson-Demenz sind kortikale<br />

cholinerge Denervierung durch Zellverlust<br />

im Nucleus basalis und Lewy-Körper-Degeneration<br />

im limbischen und im Neokortex.<br />

22


Tab. 7: Praktisches Management der Dysautonomie bei Morbus Parkinson<br />

Orthostatische Hypotonie<br />

Neurogene Blasenstörungen<br />

Erektile Dysfunktion<br />

Obstipation<br />

Therapeutisch sind Cholinesterasehemmer<br />

Therapie der ersten Wahl, wobei die robus -<br />

teste Evidenz zur Wirksamkeit für Rivastigmin<br />

vorliegt, gegebenenfalls in Kombination mit<br />

atypischen Neuroleptika wie Clozapin oder<br />

Quetiapin zur Kontrolle psychotischer Symptome.<br />

13<br />

• elastische Stützstrümpfe<br />

• salzreiche Ernährung<br />

• Fludrokortison 0,1–0,3 mg/Tag<br />

• Etilefrin 15–25 mg/Tag<br />

• Midodrin 2,5–10 mg/Tag (wirksam in RCT)<br />

• Oktreotid 25–50 mg s.c. 30 Minuten vor der<br />

Mahlzeit bei postprandialer Hypotonie<br />

• Detrusorhyperreflexie<br />

- Oxybutynin 5–15 mg/Tag<br />

- Tolterodin 2–4 mg/Tag<br />

- Trospiumchlorid 20–40 mg/Tag<br />

• Retention<br />

- Oxybutynin 5–15 mg/Tag<br />

- Intermitt. Selbstkatheterismus<br />

• Nächtliche Polyurie<br />

- Desmopression<br />

Spray: 10–40 mcg/Nacht<br />

Tablettenform: 100–400 mcg/Nacht)<br />

• Pharmakotherapie nur bei strenger Indikation<br />

(Nebenwirkungen)<br />

• Wirksam in einer kontrollierten Studie:<br />

50 mg Sildenafil<br />

• Keine Studiendaten zu anderen PDE-5-Hemmern<br />

(Tadalafil, Vardenafil), Apomorphin oder<br />

Schwellkörperselbstinjektion<br />

• Ballaststoffreiche Ernährung<br />

• Absetzen von Anticholinergika<br />

• Ausreichende Flüssigkeitszufuhr<br />

• Gabe von prokinetischen Substanzen (Tegaserod)<br />

oder Laxantien (Makrocol = Movicol ® )<br />

Psychose<br />

Psychose wird als Oberbegriff für ein klinisches<br />

Spektrum von verschiedenen kognitiven<br />

und Wahrnehmungsstörungen verwendet<br />

– insbesondere Illusionen, Halluzinationen,<br />

Wahnvorstellungen, Verwirrtheit und<br />

paranoiden Wahrnehmungsverarbeitung. Klinisch-diagnostische<br />

Kriterien für die Parkinson-Psychose<br />

sind in Tabelle 5 zusammengefasst.<br />

Illusionäre Verkennungen und Halluzinationen<br />

sind die häufigsten psychotischen Manifestationen<br />

bei der Parkinson-Erkrankung und sind<br />

in der Regel visueller Natur, während akus -<br />

tische und taktile Halluzinationen seltener vorkommen<br />

und, falls vorhanden, meistens in<br />

Zusammenhang mit visuellen Halluzinationen<br />

auftreten. 14, 15 Visuelle Halluzinationen bei der<br />

Parkinson-Krankheit kommen in geringer<br />

Ausprägung als Gefühl der Anwesenheit oder<br />

des Vorbeigehens von Personen vor oder als<br />

vollständig ausgebildete visuelle Halluzinationen<br />

mit detailreichen und farbigen Wahrnehmungen<br />

von zumeist belebten Objekten, wie<br />

Menschen, Tieren oder Fabelwesen. 16 In weniger<br />

schweren Fällen bleibt die Einsicht in<br />

die halluzinatorische Natur der Wahrnehmungen<br />

zumindest teilweise erhalten, während<br />

diese in schweren Formen verloren geht und<br />

paranoide Deutungen und Angstzustände<br />

hinzutreten können.<br />

Die Häufigkeit von Halluzinationen bei Morbus<br />

Parkinson wird auch durch Querschnittsuntersuchungen<br />

in Klinik-Ambulanzen unterstrichen,<br />

wo Prävalenzen von bis zu 75 %<br />

(einschließlich geringgradiger Formen, wie illusionärer<br />

Verkennungen oder flüchtiger<br />

Sensationen von Anwesenheit von Personen)<br />

berichtet wurden.<br />

15, 17<br />

Ohne gezielte systematische<br />

Befragung wird die Inzidenz psychotischer<br />

Symptome bei M. Parkinson in der<br />

klinischen Routine unterschätzt. 18<br />

Psychose ist wiederholt als wesentlicher Risikofaktor<br />

für die Pflegeheimeinweisung von<br />

Parkinson-PatientInnen hervorgehoben worden.<br />

19 Eine frühzeitige psychotische Reaktion<br />

auf dopaminerge Ersatztherapie in den ersten<br />

Krankheitsjahren wurde als Risikofaktor für<br />

eine nachfolgende Entwicklung von kogni -<br />

tiver Dysfunktion und Demenz identifi ziert. 20<br />

Visuelle Halluzinationen bei Parkinson-PatientInnen<br />

dürften mit neurodegenerativen Veränderungen<br />

im visuo-perzeptiven System des<br />

so genannten ventralen visuellen Verarbeitungsstroms<br />

(kollikulo-thalamo-amygdales<br />

System) zusammenhängen.<br />

21, 22<br />

Auf dieser<br />

Basis können grundsätzlich alle Anti-Parkinson-Medikamentengruppen<br />

Halluzinationen<br />

und andere psychotische Symptome induzieren<br />

oder verschlechtern, einschließlich Dopaminagonisten,<br />

L-Dopa, MAO-B-Hemmer,<br />

COMT-Hemmer, Anticholinergika und Amantadin.<br />

14 Insgesamt ist die medikamentös<br />

induzierte Psychose häufiger unter Dopamin- u<br />

23


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Tab. 8: Störungen der Schlaf-wach-Regulation bei Morbus Parkinson<br />

Primäre Störung der<br />

Schlaf-wach-Regulation<br />

Sekundäre Effekte von<br />

Parkinson-Symptomen<br />

Effekte der<br />

Parkinson-Medikation<br />

Effekte von Komorbiditäten<br />

• Veränderte Schlafmikrostruktur<br />

• Schlaffragmentation<br />

• REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD)<br />

• Exzessive Tagesmüdigkeit<br />

• Nächtliche Akinese, Tremor und Rigidität<br />

• Nächtliche Off-Phase-Dystonie und Schmerzen<br />

• Nykturie und Inkontinenz<br />

• Nächtliche Verwirrtheit und Halluzinose<br />

• Depression<br />

• Medikamentös induzierte Insomnie<br />

(Dopaminergika)<br />

• Medikamentös induzierte Tagesmüdigkeit<br />

(Dopaminagonisten, L-Dopa)<br />

• Medikamentös induzierte Verwirrtheit<br />

• Schlafbezogene Atemregulationsstörung<br />

• RLS/PLMS<br />

agonistenbehandlung im Vergleich zur L-<br />

Dopa-Monotherapie zu finden 23 . Die wesent -<br />

lichsten weiteren Risikofaktoren sind kognitive<br />

Dysfunktion, Demenz und Alter.<br />

Die Behandlung der Parkinson-Psychose ist<br />

in der Regel mehrdimensional und schließt<br />

sowohl die sorgfältige Erhebung und Kontrolle<br />

auslösender oder verschlimmernder Faktoren,<br />

einschließlich einer kritischen Überprüfung<br />

der jeweiligen Anti-Parkinson-Medikamente<br />

und ihrer Dosierung ein. Oft ist die<br />

additive Behandlung mit einem Antipsychotikum<br />

erforderlich, wobei nur für Clozapin ein<br />

eindeutiger Wirksamkeitsnachweis aus kontrollierten<br />

klinischen Studien vorliegt (Tab. 6).<br />

Autonome Dysfunktion<br />

Eine große retrospektive klinische Analyse<br />

von 135 PatientInnen mit pathologisch ge-


sichertem Morbus Parkinson fand eine Prävalenz<br />

von orthostatischer Hypotension<br />

(OH) von mindestens 30 %, von Blasenfunktionsstörungen<br />

bei 32 % und chronischer<br />

Obstipation bei 36 %. Klinische Studien<br />

haben häufig noch höhere Prävalenzen<br />

beschrieben, vor allem in fortgeschrittenen<br />

Fällen mit mehr als 10-jähriger Krankheitsdauer.<br />

1, 2<br />

Orthostatische Hypotension (OH) wird als<br />

Abfall von mindestens 20 mm/Hg des systolischen<br />

oder 10 mm/Hg des diastolischen<br />

Blutdrucks oder beider Werte nach 3-minütigem<br />

Aufstehen aus liegender Position definiert.<br />

Die symptomatische OH bei Morbus<br />

Parkinson manifestiert sich durch Verschwommensehen,<br />

posturale Instabilität,<br />

Schwindelgefühl, Schmerzen im Nacken und<br />

in Schultern („coat hanger pain“) sowie orthostatische<br />

Synkopen. 24 Die symptomatische<br />

OH ist ein wesentlicher Risikofaktor für Stürze<br />

bei Morbus Parkinson.<br />

Neurogene Blasenfunktionsstörungen<br />

belasten vor allem PatientInnen mit fortgeschrittener<br />

Parkinson-Krankheit und umfassen<br />

vermehrten Harndrang mit häufigen<br />

Blasenentleerungen, inkomplette Blasenentleerung<br />

mit Restharnbildung sowie Dranginkontinenz.<br />

In urodynamischen Studien besteht<br />

die häufigste Abnormität bei Morbus<br />

Parkinson in einer Detrusorhyperreflexie.<br />

Sexuelle Funktionsstörungen manifestieren<br />

sich bei Parkinson-Patienten als erektile<br />

und ejakulatorische Dysfunktion, bei Patientinnen<br />

als Verlust von Libido und Orgasmusfähigkeit.<br />

25<br />

Chronische Obstipation wurde bei bis zu<br />

70 % der PatientInnen mit Morbus Parkinson<br />

beschrieben 26 und kann dem Auftreten klassischer<br />

motorischer Symptome vorausgehen.<br />

Ursächlich für die Dysautonomie bei der Parkinson-Krankheit<br />

dürften neurodegenerative<br />

Veränderungen in autonomen Kerngebieten<br />

des unteren Hirnstammes sowie in peripheren<br />

sympathischen Ganglien und sympathischen<br />

und parasympathischen Efferenzen<br />

zum Herzen oder Gastrointestinaltrakt sein.<br />

Ebenso sind das pontine Miktions- und Defäkationszentrum<br />

sowie der für die Sexualfunktion<br />

relevante paraventrikuläre hypothalamische<br />

Nukleus in der Pathologie der Parkinson-Krankheit<br />

eingeschlossen.<br />

Die Behandlung der verschiedenen autonomen<br />

Symptome bei der Parkinson-Krankheit<br />

ist großteils auf pragmatischen Empfehlungen<br />

aufgebaut, die sich nicht aus kontrollierten<br />

Therapie-Studien ableiten lassen.<br />

27, 28<br />

Eine Übersicht findet sich in Tabelle 7. u


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Tab. 9: Pragmatische Therapie von Schlafstörungen bei Morbus Parkinson<br />

RBD: Clonazepam 0,5 mg/Tag<br />

RLS: abendlicher Dopaminagonist<br />

Nykturie: neurourologische Abklärung, evtl. Detrusordämpfung, Oxybutinin, Tolterodin,<br />

Trospiumchlorid, evtl. Desmopressinspray<br />

Nächtliche Verwirrtheit: Quetiapin oder Clozapin zur Nacht<br />

Nächtliche Parkinson-Symptome (Tremor, Akinese, Dystonie): Retard-Präparate<br />

(L-Dopa, DA-Agonisten) zur Nacht, evtl. MAO-B-Hemmer, evtl. COMT-Hemmer<br />

Störungen der<br />

Schlaf-wach-Regulation<br />

Störungen der Schlaf-wach-Regulation bei<br />

der Parkinson-Krankheit umfassen Ein- und<br />

Durchschlafstörungen mit Schlaffragmentation<br />

und reduzierter Schlafeffizienz ebenso wie<br />

pathologische Tagesmüdigkeit. Ein besonderes<br />

Charakteristikum gestörter Schlafarchitektur<br />

bei Morbus Parkinson ist die REM-Schlafassoziierte<br />

Verhaltensstörung (RBD) mit fehlender<br />

Muskelatonie im REM-Schlaf, sodass<br />

es zu traumassoziierten Bewegungsabläufen<br />

mit Verletzungsgefahr für PatientInnen oder<br />

BettpartnerInnen kommt. Neben den intrinsischen<br />

Störungen der Schlaf-wach-Regulation<br />

des Morbus Parkinson beinhalten die<br />

Schlafstörungen dieser Erkrankung auch Effekte<br />

nächtlicher motorischer und nichtmotorischer<br />

Symptome auf den Schlaf sowie<br />

Medikationseffekte auf Wachheit untertags<br />

(Tab. 8). Schließlich wird der Schlaf von Parkinson-PatientInnen<br />

auch durch Komorbiditäten<br />

wie schlafbezogene Atemregulationsstörung<br />

oder komorbides RLS beeinträchtigt.<br />

Verschiedene Formen gestörter Schlaf-wach-<br />

Regulation sind nahezu obligate Symptome<br />

der Parkinson-Krankheit und wurden in einer<br />

Fragebogenumfrage in nahezu 90 % der<br />

Fälle gefunden 29 sowie in einer weiteren, bevölkerungsbasierten<br />

Untersuchung in 70 %<br />

aller Parkinson-PatientInnen. 30 REM-Schlaf-<br />

Verhaltensstörung (RBD) und exzessive Tagesmüdigkeit<br />

31, 32 wurden bei bis zu 50 % der<br />

Parkinson-PatientInnen gefunden, und verschiedene<br />

Studien fanden eine erhöhte Prävalenz<br />

von RLS um 20 %. 33<br />

Auch für die Therapie von Schlaf-wach-Regulationsstörungen<br />

bei Morbus Parkinson<br />

gibt es nur wenige Daten aus kontrollierten<br />

Therapiestudien. Das pragmatische Management<br />

von Schlafstörungen und pathologischer<br />

Tagesmüdigkeit bei Morbus Parkinson<br />

erfordert eine sorgfältige anamnestische (gegebenenfalls<br />

auch polysomnographische) Abklärung<br />

möglicher zugrunde liegender Ursachen.<br />

Tabelle 9 gibt einen Überblick über die<br />

wichtigsten therapeutischen Szenarien.<br />

Sensorische<br />

Funktionsstörungen<br />

Hyposmie: Zahlreiche Untersuchungen<br />

haben mit bemerkenswerter Konsistenz bei<br />

ca. 90 % der Parkinson-PatientInnen eine<br />

Hyp osmie mit verminderter Geruchswahrnehmung<br />

und -identifikation gefunden. 34 Ursächlich<br />

sind Alpha-Synuklein-Pathologie und<br />

Neurodegeneration im olfaktorischen Sys -<br />

tem, insbesondere im Bulbus und Tractus olfactorius<br />

und piriformen Kortex. Viele PatientInnen<br />

beklagen diese Störung nicht spontan,<br />

und sie ist selten mit Leidensdruck verbunden;<br />

Therapien stehen nicht zur Verfügung.<br />

Visuelle Funktionsstörungen in Form von<br />

verminderter Sehschärfe und Kontrastsensitivität<br />

sowie gestörter Farbdiskrimination lassen<br />

sich bei der Mehrzahl der Parkinson-PatientInnen<br />

mit gezielter und aufwendiger ophthalmologischer<br />

Untersuchung nachweisen,<br />

sind aber selten mit subjektiven Beschwerden<br />

verbunden. Ursächlich sind neurodegenerative<br />

Veränderung der Retina, unter anderem<br />

mit morphologischen Veränderungen von dopaminergen<br />

amakrinen Zellen der Netzhaut.<br />

Schmerzen: Im Gegensatz zu Hyposmie und<br />

visuellen Funktionsstörungen sind Schmerzen<br />

eine häufige subjektive Beschwerde von<br />

Parkinson-PatientInnen. Rezente Untersuchungen<br />

haben bei über 60 % der PatientInnen<br />

chronische Schmerzen identifiziert,<br />

wobei bei mehr als der Hälfte keine von der<br />

Parkinson-Krankheit unabhängige Ursache<br />

bestand. 35 Parkinson-Schmerzen sind multifaktoriell<br />

und umfassen unter anderem muskuloskelettale<br />

Schmerzen durch Rigidität,<br />

Dystonie oder chronische Fehlhaltung ebenso<br />

wie Veränderungen der zentralen<br />

Schmerzverarbeitung.<br />

Nichtmotorische Symptome:<br />

erste klinische Zeichen einer<br />

Parkinson-Krankheit?<br />

Viele Parkinson-PatientInnen berichten auf<br />

gezieltes Befragen, dass verschiedene nichtmotorische<br />

Symptome bereits lange vor Beginn<br />

der ersten wahrnehmbaren Störungen<br />

ihrer Motorik bestanden hätten. Hierzu gehören<br />

neben einer gestörten Geruchswahrnehmung<br />

vor allem chronische Obstipation<br />

und Depressivität, Angst oder Antriebsstörung<br />

sowie die meist von BettpartnerInnen<br />

erfragbaren Hinweise auf eine REM-Schlaf-<br />

Verhaltensstörung. Hyposmie oder RBD würden<br />

sich auch aus dem von Braak entwickelten<br />

stadienhaften Modell der zerebralen Ausbreitung<br />

der Parkinson-Pathologie als<br />

mögliche erste Manifestationen der Parkinson-Krankheit<br />

ableiten lassen, da hiernach<br />

die ersten Parkinson-typischen neuropathologischen<br />

Veränderungen im Bulbus und Tractus<br />

olfactorius sowie in der Medulla oblongata<br />

auftreten.<br />

Prämotorische Phase: Tatsächlich unterstützen<br />

zahlreiche Untersuchungen die Existenz<br />

einer „prämotorischen Phase“ der Parkinson-<br />

Krankheit: Hyposmie bei sonst <strong>neurologisch</strong><br />

unauffälligen Menschen ist mit einem 4-fach<br />

erhöhten Parkinson-Risiko innerhalb von nur<br />

4 Jahren verbunden. 36–38 Chronische Obsti-<br />

26


pation erhöht das Parkinson-Risiko um bis zu<br />

3-fach 39 , und Normalpersonen mit chronischer<br />

Obstipation haben bei Post-mortem-<br />

Untersuchung häufiger Zeichen von Neurodegeneration<br />

in der Substantia nigra als Kontrollen.<br />

39 Menschen mit depressiven Episoden<br />

haben ebenfalls ein erhöhtes Parkinson-Risiko,<br />

40 aber der mit Abstand größte positive<br />

Vorhersagewert für eine spätere Parkinson-<br />

Krankheit findet sich bei Nachweis von RBD<br />

– bis zu 60 % der betroffenen PatientInnen<br />

mit so genanntem idiopathischem RBD entwickeln<br />

im Langzeitverlauf einen M. Parkinson.<br />

41 Die beobachteten Latenzen betrugen<br />

in Einzelfällen bis zu 50 Jahre. 42<br />

Konsequenzen: Solche Beobachtungen<br />

haben zwei wesentliche Implikationen: Zum<br />

einen werfen sie die Frage nach einer Neudefinition<br />

der diagnostischen Kriterien der<br />

Parkinson-Krankheit auf, zum anderen eröffnen<br />

sie Perspektiven für ein „Parkinson-Risiko-Screening“.<br />

Nach derzeit gültigen Kriterien<br />

ist die klinische Diagnose einer Parkinson-Krankheit<br />

an das Vorhandensein von<br />

Bradykinese und mindestens einem weiteren<br />

motorischen Symptom gebunden. Damit ist<br />

eine „Frühdiagnose“ ausgeschlossen, wenn<br />

die ersten Krankheitsmanifestationen nur nicht -<br />

motorische Funktionsstörungen umfassen.<br />

Umgekehrt ist die Spezifität der potenziellen<br />

nichtmotorischen Frühsymptome viel zu gering,<br />

um als verlässliche frühdiagnostische<br />

Marker Verwendung zu finden. Dennoch ist<br />

davon auszugehen, dass in Zukunft bestimmte<br />

Konstellationen nichtmotorischer<br />

Symptome in Verbindung mit Familienanamnese,<br />

genetischen oder proteomischen<br />

Markern sowie Bildgebungsbefunden ausreichend<br />

validiert werden können, um zur Diagnose<br />

eines zumindest wahrscheinlichen<br />

„prämotorischen M. Parkinson“ zu führen.<br />

Damit würden die Chancen für progressionsmindernde<br />

Therapien vermutlich deutlich<br />

verbessert.<br />

Verwandt, aber nicht identisch mit dem Konzept<br />

der prämotorischen Parkinson-Krankheit<br />

ist die Definition von Parkinson-Risiko-<br />

Populationen anhand von Risikomarkern.<br />

Auch hierzu zählen nichtmotorische Symptome,<br />

sie sind aber für sich allein zu unspezifisch<br />

für eine brauchbare Risiko-Prädiktion.<br />

Kombinationen verschiedener Marker können<br />

jedoch zu weit höherer Spezifität sowie<br />

verbesserten positiven Vorhersagewerten<br />

führen. Auch hier ist davon auszugehen,<br />

dass es gelingen wird, Markerkombinationen<br />

zu validieren, die letztlich für ein populationsbasiertes<br />

Parkinson-Risiko-Screening<br />

tauglich sind.<br />

n<br />

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27


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Impulskontrollstörungen und<br />

andere repetitive Verhaltensstörungen<br />

beim M. Parkinson<br />

Eine Reihe neuropsychiatrischer Komplikationen der Parkinson-Erkrankung wie Demenz, Halluzinose oder<br />

Depression sind seit Langem bekannt. Die letzten Jahre haben aber zunehmend Erkenntnisse zu selteneren,<br />

jedoch klinisch wesentlichen Störungen von Verhalten und Kognition erbracht, die als Komplikation der<br />

dopaminergen Therapie bei einem Teil der PatientInnen auftreten. Am häufigsten unter diesen impulsasso -<br />

ziierten, repetitiven Verhaltensstörungen sind die Impulskontrollstörungen, die schon bei der Ersteinstellung<br />

auftreten können. Eher später im Krankheitsverlauf und meist unter höheren Medikamentendosen können<br />

sich die spezifische repetitive Verhaltensstörung „Punding“ sowie das dopaminerge Dysregulationssyndrom<br />

entwickeln. Alle drei Formen können isoliert oder in jeder Kombination auftreten (Abb. 1).<br />

Dopaminerges<br />

Dysregulationssyndrom (DDS)<br />

Aufgrund des progredienten neurodegenerativen<br />

Prozesses beim M. Parkinson und der<br />

daraus resultierenden motorischen Behinderung<br />

steigen im Lauf der Erkrankung die<br />

Dosen dopaminerger Medikamente, die zur<br />

adäquaten Behandlung der Motorik erfor -<br />

derlich sind. Beim Großteil der PatientInnen<br />

entstehen motorische Komplikationen, die<br />

komplexe Einnahmeschemata erforderlich<br />

machen können. Eine Minderheit prädisponierter<br />

PatientInnen steigert jedoch die Dosis<br />

weiter, über das zur Behandlung der Motorik<br />

erforderliche Maß hinaus. Daraus können typische<br />

kognitive und Verhaltensänderungen<br />

entstehen, die das dopaminerge Dysregulationssyndrom<br />

(DDS) ausmachen.<br />

Klinische Charakteristika<br />

DDS kann sich langsam aus verschriebener<br />

Bedarfsmedikation heraus entwickeln. Prädisponierte<br />

PatientInnen mit gutem Ansprechen<br />

auf dopaminerge Substanzen nehmen bereits<br />

einen Bedarf nach der nächsten Einnahme<br />

wahr, wenn sie sich in einem On-Zustand mit<br />

guter Beweglichkeit und oft auch mit Dyskinesien<br />

befinden. Das Aufsuchen mehrerer<br />

VerschreiberInnen und Internetbezug kommen<br />

vor, ebenso Horten und Verstecken von<br />

Medikamentenvorräten.<br />

Die typischen Verhaltensänderungen beim<br />

voll entwickelten DDS sind Beschaffungs- und<br />

Verleugnungsstrategien, Impulsivität, Reizbarkeit,<br />

manipulatives Verhalten und Aggressivität.<br />

Hypomanie kann vorkommen. Es besteht<br />

mangelnde Einsicht im Hinblick auf den<br />

Schaden, der für die PatientInnen selbst und<br />

für andere entsteht. Versuche einer Dosisreduktion<br />

führen meist zu Dysphorie oder Aggression;<br />

negative soziale Konsequenzen sind<br />

häufig 1–3 .<br />

Prävalenz<br />

Derzeit sind keine epidemiologischen Daten<br />

verfügbar. Spezialisierte Zentren berichteten<br />

über ein Auftreten eines DDS bei 3,48 bis<br />

4,1% 9 der Parkinson-PatientInnen.<br />

Prädisponierende<br />

und assoziierte Faktoren<br />

Alter und Persönlichkeit: Das DDS betrifft<br />

vorwiegend PatientInnen mit frühem Erkrankungsbeginn<br />

und nimmt mit zunehmender<br />

Krankheitsdauer zu 2, 6 . Hohe Werte bei Tests<br />

auf „impulsives Sensation-Seeking“ zeigen<br />

Persönlichkeitsmerkmale an, die mit einem<br />

erhöhten Risiko für Dysregulation (und Impulskontrollstörungen<br />

im Allgemeinen) einhergehen.<br />

Dementsprechend haben DDS-PatientInnen<br />

mit höherer Wahrscheinlichkeit als<br />

andere Parkinson-PatientInnen in der Vorgeschichte<br />

Erfahrungen mit oder Abhängigkeit<br />

von illegalen Drogen oder Alkohol 6 . Auch Depression<br />

ist mit höherem DDS-Risiko verbunden;<br />

es bestehen Hinweise auf einen Zusammenhang<br />

mit künstlerischem oder kreativem<br />

beruflichem Hintergrund 19 .<br />

Medikamente: DDS ist mit hohen dopaminergen<br />

und L-Dopa-Äquivalenzdosen assoziiert,<br />

nicht aber mit einer bestimmten Medikamentenklasse<br />

wie etwa Dopaminagonisten.<br />

Dies steht im Gegensatz zu isolierten<br />

Impulskontrollstörungen, bei denen ein enger<br />

Zusammenhang mit Agonisten besteht 2, 3, 5 .<br />

Impulskontrollstörungen<br />

Priv. Doz. Dr.<br />

Regina Katzenschlager<br />

Neurologische Abteilung,<br />

SMZ Ost/Donauspital Wien<br />

Diese sind laut DSM-IV durch das Unvermögen<br />

definiert, einem Impuls zu widerstehen,<br />

der für einen selbst oder für andere schädlich<br />

ist 4 . Bei Parkinson-PatientInnen finden sich<br />

am häufigsten pathologisches Glücksspiel,<br />

Hypersexualität (einschließlich forensisch relevanter<br />

Handlungen) und impulsives Kaufen<br />

28


(auch für andere im Sinn einer „reckless generosity“,<br />

also einer unvorsichtigen Großzügigkeit<br />

20 ) oder impulsives Essen. Letzteres besteht<br />

in neu auftretendem oder verstärktem,<br />

oft nächtlichem Verlangen nach Essen oder<br />

nach Süßem, manchmal mit unerwünschter<br />

Gewichtszunahme.<br />

Impulskontrollstörungen können zu schwerwiegenden<br />

sozialen, persönlichen, beruflichen,<br />

finanziellen oder forensischen Konsequenzen<br />

führen; am häufigsten ist isoliertes<br />

Auftreten, sie können aber auch zusammen<br />

mit Punding oder als Teil des DDS auftreten.<br />

Prävalenz<br />

Eine Querschnittstudie mit über 3000 PatientInnen<br />

zeigte eine Prävalenz von 13,6 %,<br />

wobei alle oben angeführte Formen der Impulskontrollstörungen<br />

etwa gleich häufig<br />

waren. Glücksspiel und Hypersexualität<br />

waren häufiger bei Männern, impulsives Kaufen<br />

und Essen bei Frauen anzutreffen 5 .<br />

Assoziierte Faktoren<br />

Es besteht eine starke Assoziation mit Dopaminagonistentherapie,<br />

ein Auftreten unter L-<br />

Dopa-Monotherapie ist selten 5, 7 . Zwar besteht<br />

eine gewisse Dosisabhängigkeit, allerdings<br />

ist es von großer klinischer Bedeutung,<br />

dass sich Impulskontrollstörungen auch unter<br />

niedrigen Dosierungen entwickeln können,<br />

wie sie etwa beim frühen M. Parkinson und<br />

auch bei der Ersteinstellung eingesetzt werden.<br />

Das wird auch durch Berichte über Auftreten<br />

bei Restless-Legs-Syndrom verdeutlicht<br />

21, 22 .<br />

Bei PatientInnen mit Impulskontrollstörungen<br />

zeigten sich in einer großen Case-Control-<br />

Studie vermehrt funktionelle Behinderung,<br />

Depression, Ängstlichkeit, Zwanghaftigkeit,<br />

mit Risikofreude assoziierte Persönlichkeitsmerkmale<br />

und Impulsivität. PatientInnen mit<br />

mehreren Impulskontrollstörungen zeigten<br />

häufiger Dyskinesien 23 .<br />

Punding<br />

Dabei handelt es sich um eine spezifische<br />

Verhaltensstörung mit repetitiven, zwecklosen<br />

und lang andauernden Tätigkeiten, die<br />

Abb. 1: Zusammenhang zwischen den Syndromen: die Störungen können<br />

isoliert oder in jeder beliebigen Kombination auftreten<br />

Dopaminerges<br />

Dysregulationssyndrom<br />

Unkontrollierte<br />

Dosissteigerung mit<br />

Verhaltensstörungen<br />

sich aus vorbestehenden Gewohnheiten entwickeln<br />

und einen engen Zusammenhang mit<br />

dem Geschlecht und mit der beruflichen und<br />

persönlichen Vorgeschichte aufweisen 6 (Tab.).<br />

Tab.: Beispiele für Punding<br />

Impulskontrollstörungen<br />

Spielsucht, Hypersexualität,<br />

Impulsive Geldausgaben/Essen<br />

Punding<br />

Spezifische<br />

Verhaltensstörung<br />

mit repetitiven,<br />

stereotypen Tätigkeiten<br />

Diese Verhaltensweisen wurden erstmals bei<br />

Psychostimulanzienabhängigen beschrieben,<br />

die Bezeichnung stammt von Betroffenen<br />

und leitet sich von einem skandinavischen u<br />

70 M Ingenieur ordnet Steinesammlung.<br />

70 M Elektriker exzessives Fotografieren, zerlegt Kameras.<br />

65 M Geschäftsmann lang dauerndes Ordnen von und Herumkramen in Papieren.<br />

62 M Pfarrer andauerndes Verfassen von Gedichten, sammelt<br />

Gegenstände in Taschen.<br />

61 M Biologe stundenlanges Beobachten von Fischen und Vögeln,<br />

entfernt Batterien, hortet Nahrung<br />

60 M Fabriksarbeiter Wohnungsbasteleien, zerlegt Bohrmaschinen<br />

59M Buchhalter Modelleisenbahn, zerlegt Kühlschrank und<br />

Apomorphinpumpe<br />

58 M Architekt Computer, zerlegt Bestandteile<br />

57 M Buchhalter Gartenarbeit, Computer, zerlegt Fahrrad<br />

53 M Sachbearbeiter Papierordnen<br />

50 M Tischler sammelt Werkzeug, exzessives Basteln, fällt Baum<br />

46 M EDV-Spezialist sinnlose Manipulation von Grafik-Software<br />

76 F Hausfrau Gartenarbeit.<br />

58 F Schneiderin andauerndes „Aufräumen“, ordnet Knöpfe<br />

57 F Musikerin Zeichnen, Aufräumen<br />

56 F Musikerin Kämmen, Singen<br />

54 F Hausfrau Sammeln und Ordnen von Nägeln, Gummibändern,<br />

Beschriften, Aufräumen.<br />

Quelle: Evans AH, Katzenschlager R et al., Punding in Parkinson’s disease:<br />

its relation to the dopamine dysregulation syndrome. Mov Disord 2004; 19:397–405<br />

29


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Abb. 2: Racloprid-PET/volumetrisches MRI<br />

Ausdruck für „blockierter Kopf“ ab. Es gibt<br />

Analogien mit amphetamininduzierten Stereotypien<br />

bei Tieren.<br />

Klinische Charakteristika<br />

Die PatientInnen sind von repetitiven Tätigkeiten<br />

gefesselt, die sich auch auf die Nachtstunden<br />

erstrecken oder einen Großteil des<br />

Tages ausfüllen können. Behinderung kann<br />

entstehen, wenn soziale, familiäre oder berufliche<br />

Interaktionen und Verpflichtungen<br />

oder Hygiene und Nahrungsaufnahme vernachlässigt<br />

werden und Schlafmangel eintritt.<br />

Versuche von außen, die Tätigkeit zu<br />

unterbrechen, führen zu Dysphorie. Auf Befragen<br />

geben die PatientInnen an, ihre Aktivitäten<br />

als unwiderstehlich und manchmal<br />

entspannend zu erleben, obwohl oft durchaus<br />

Einsicht für deren störenden und unproduktiven<br />

Charakter besteht. Spontan wird<br />

Punding von den betroffenen PatientInnen<br />

fast nie berichtet.<br />

Im Gegensatz zu Zwangsverhalten dient Punding<br />

nicht zur Lösung von innerer Spannung<br />

oder Angst. Typische Zwangsinhalte fehlen,<br />

und Punding spricht nicht auf Serotoninwiederaufnahmehemmer<br />

(SSRI) an. 6, 2<br />

Prävalenz<br />

Zur Prävalenz von Punding gibt es derzeit unzureichend<br />

Daten, was zum Teil mit unterschiedlichen<br />

Erfassungsmethoden zusammenhängen<br />

dürfte. Es existiert keine DSM-<br />

IV-Definition von Punding. Zahlen aus spezialisierten<br />

Zentren reichen von 1,4 (bei unselektionierten<br />

PatientInnen) 7 bis 14 % (unter<br />

hohen dopaminergen Dosen) 6 und sind nur<br />

begrenzt generalisierbar. Punding ist deutlich<br />

mit der dopaminergen Gesamtdosis und mit<br />

der Anzahl der Bedarfsmedikation assoziiert.<br />

Ob ein Zusammenhang mit einer bestimmten<br />

Substanzgruppe wie Dopaminagonisten oder<br />

L-Dopa besteht, lässt sich aus den bisher vorhandenen<br />

Daten nicht beantworten.<br />

Pathophysiologie<br />

Orange Bereiche<br />

(ventrales Striatum)<br />

zeigen signifikante<br />

Unterschiede im<br />

Tracer-Uptake zwischen<br />

Patienten mit<br />

und ohne DDS nach<br />

L-Dopa-Gabe<br />

Quelle: Evans AH, Pavese N,<br />

Lawrence AD, O’Sullivan JD,<br />

Appel S, Lawrence AD, Lees<br />

AJ, Compulsive drug use<br />

linked to sensitized ventral<br />

striatal dopamine transmis -<br />

sion. Ann Neurol 2006;<br />

59:852–858<br />

Diese ist nicht vollständig geklärt. Die medikamenteninduzierten<br />

impulsassoziierten Störungen<br />

beim M. Parkinson haben wahrscheinlich<br />

überlappende Entstehungsmechanismen,<br />

wobei das ventrale Striatum eine<br />

zentrale Rolle spielen dürfte. Die folgenden<br />

Hypothesen beziehen sich in erster Linie auf<br />

das bisher am besten untersuchte DDS, viele<br />

spielen aber auch bei den anderen impulsassoziierten<br />

Problemen eine Rolle.<br />

Negative Verstärkung durch unangenehme<br />

Off-Symptome: PatientInnen mit DDS<br />

geben unangenehme Off-Symptome als<br />

Grund für weitere Medikamenteneinnahmen<br />

und steigende Dosen an. Medikamentenentzug<br />

bei DDS-PatientInnen ist mit vermindertem<br />

positivem Affekt, vermehrtem negativem<br />

Affekt und schlechterer motorischer<br />

Funktion verbunden 10 . Im Suchtmodell der<br />

negativen Verstärkung werden Abhängige<br />

nicht durch die erwarteten angenehmen Effekte<br />

zur Drogeneinnahme motiviert, sondern<br />

durch das Bestreben, Entzugssymptome<br />

zu vermeiden. Höhere Depressions-Scores<br />

wurden bei DDS-PatientInnen im Vergleich<br />

zu PatientInnen ohne DDS mit vergleichbarer<br />

motorischer Beeinträchtigung gefunden. Bei<br />

Parkinson-PatientInnen könnten wiederholte<br />

negative Erfahrungen mit Wearing-off am<br />

Dosisende bei gleichzeitig bestehender Depression<br />

den subjektiven Wert der Medikation<br />

erhöhen.<br />

Allerdings reichen Wearing-off-Symptome allein<br />

nicht aus, um die Entwicklung einer dopaminergen<br />

Dysregulation zu erklären: Der<br />

Großteil der Parkinson-PatientInnen erlebt im<br />

Krankheitsverlauf Wirkungsschwankungen,<br />

die oft mit nichtmotorischen und unangenehmen<br />

Symptomen im Off einhergehen,<br />

aber nur ein kleiner Teil der PatientInnen steigert<br />

daraufhin die Dosis in unkontrollierter<br />

Weise.<br />

Gewohnheit: DDS beginnt mit Medikamenteinnahme<br />

als zielgerichteter Handlung,<br />

wobei die PatientInnen die resultierenden angenehmen<br />

Effekte anstreben. In weiterer<br />

Folge kommt es zu automatisierten Abläufen<br />

oder Gewohnheitsentwicklung. Zudem werden<br />

Umgebungsstimuli mit der Medikamentenwirkung<br />

assoziiert und können zu Rückfällen<br />

über assoziative Lernmechanismen führen.<br />

Die stereotypen Verhaltensweisen beim Punding<br />

sind ebenfalls teilweise mit der Gewohnheitstheorie<br />

erklärbar; die ausgeführten Tätigkeiten<br />

beinhalten typischerweise Routine -<br />

elemente.<br />

„Incentive Sensitisation“ (Sensibilisierung<br />

auf Belohnungseffekte durch wiederholte<br />

Verabreichung): Impulsive Medikamenteneinnahme<br />

könnte auf Neuroadaptationen im<br />

Nucleus-accumbens-Kreislauf zurückzufüh-<br />

30


en sein, z. B. in der dopaminergen und<br />

GABAergen Neurotransmission. Diese Systeme<br />

werden hypersensitiv auf die belohnenden<br />

Effekte wiederholt eingenommener Medikamente.<br />

In der Folge werden den dopaminergen<br />

Medikamenten selbst angenehme<br />

Eigenschaften zugeschrieben, das heißt,<br />

diese gewinnen „incentive salience“ oder in<br />

sich erstrebenswerte Eigenschaften. Dieses<br />

pathologische Verlangen („wanting“, craving)<br />

unterscheidet sich von „liking“, also dem angenehmen<br />

Effekt der Medikamente.<br />

In Einklang mit diesem Konzept steht, dass<br />

in einer PET-Studie bei Parkinson-PatientInnen<br />

mit DDS nach L-Dopa-Gabe die Dopamin-Freisetzung<br />

im ventralen Striatum im<br />

Vergleich zu gematchten PatientInnen ohne<br />

DDS erhöht war 11 (Abb. 2). Die Freisetzung<br />

korrelierte mit pathologischem Verlangen<br />

(„wanting“) aber nicht mit der subjektiven<br />

Qualität des Effektes („liking“) 11 . Daraus<br />

könnte sich erklären, warum DDS-PatientInnen<br />

im On mehr Verlangen nach weiteren<br />

Einnahmen verspüren im Vergleich zu<br />

nicht dysregulierenden PatientInnen 10 , trotz<br />

vermehrter Dyskinesien im On (aber vergleichbarer<br />

motorischer Beeinträchtigung<br />

im Off).<br />

Genetische Faktoren sind sehr wahrscheinlich<br />

beteiligt, allerdings stammen die derzeit<br />

dazu verfügbaren Daten aus der Literatur zu<br />

Suchtkranken ohne M. Parkinson. Weitere<br />

Forschungsarbeit ist erforderlich 12 .<br />

Orbitofrontale und kognitive Dysfunktion:<br />

Diese spielt mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

eine zentrale Rolle bei der Entstehung von<br />

Kontrollverlust über die Medikamenteneinnahme<br />

und anderer repetitiver und impulsiver<br />

Verhaltensstörungen. Orbitofrontale Funktionen<br />

sind an zahlreichen mentalen Strategien<br />

beteiligt, darunter Impulskontrolle, Risikoverhalten<br />

sowie die Fähigkeit, eine unmittelbare<br />

Belohnung zum Erreichen einer späteren aufzuschieben,<br />

Unterbrechen von begonnenen<br />

Aktivitäten und Hemmung von erlerntem Verhalten.<br />

Verminderte Aktivität im orbitofrontalen Kortex<br />

wurde bei Drogenabhängigen und bei<br />

Parkinson-PatientInnen mit pathologischem<br />

Glücksspiel gezeigt 13 . Unbehandelte Parkinson-PatientInnen<br />

zeigen veränderte frontostriatale<br />

Konnektivität 14 , andererseits können<br />

sich auch die dopaminergen Medikamente<br />

negativ auswirken: Unter Medikation wurde<br />

ein Zusammenhang mit verstärktem Lernen<br />

aus positivem Feedback gezeigt, zudem ist<br />

Dopaminagonisten-Therapie mit verändertem<br />

frontalem Blutfluss und vermindertem<br />

Lernen aus negativem Feedback assozi iert 14, 15 .<br />

Parkinson-PatientInnen mit impulsiven Verhaltensstörungen<br />

zeigen vermindertes Lernen<br />

aus negativem Feedback und ein schlechteres<br />

Arbeitsgedächtnis im Vergleich zu gematchten<br />

KontrollpatientInnen 16 . Bei Parkinson-PatientInnen<br />

mit pathologischem Glücksspiel<br />

fanden sich Beeinträchtigungen von Exekutivfunktionen<br />

17 und Entscheidungen 18 , und<br />

eine rezente Studie fand präfrontale Funktionsstörungen<br />

bei Hypersexualität und pathologischem<br />

Spielen, zusätzliche kognitive Einbußen<br />

aber nur bei Hypersexualität 24 .<br />

Management<br />

DDS<br />

Bisher wurden keine kontrollierten Studien<br />

zu medikamentösen oder anderen Behandlungsstrategien<br />

publiziert. Versuche einer Dosisreduktion<br />

werden als der wesentliche<br />

Schritt gesehen, allerdings besteht dagegen<br />

von Seiten der betroffenen PatientInnen<br />

meist erheblicher Widerstand. Das Management<br />

wird weiter erschwert durch mangelnde<br />

Krankheitseinsicht, Entzugssymptome und<br />

Verlangen nach weiteren Dosen, analog zu<br />

anderen Arten der Substanzabhängigkeit. Die<br />

Supervision von Vorräten, Bezugsquellen und<br />

Medikamenteneinnahme kann sinnvoll sein.<br />

In manchen Fällen, in denen eine Dosisreduktion<br />

gelingt, können Besserungen eintreten.<br />

Dennoch ist wie bei anderen Substanzabhängigkeiten<br />

von einem relevanten Rückfallrisiko<br />

auszugehen. Es gibt derzeit keine<br />

Daten zum Langzeit-Outcome dieser PatientInnen<br />

oder zur Bedeutung von Psycho-/Verhaltenstherapie<br />

oder der Teilnahme an Drogenprogrammen.<br />

Zu den derzeit in randomisierten<br />

Studien untersuchten Substanzen<br />

zählt der Opioidantagonist Naltrexon. Ansprechen<br />

auf atypische Neuroleptika wurde<br />

vereinzelt beobachtet 6 ; in einer Einzelfallbeobachtung<br />

war der Mood-Stabiliser Lithium<br />

nicht wirksam 25 .<br />

Die bisher publizierten Effekte der tiefen Hirnstimulation<br />

sind zum Teil widersprüchlich: In<br />

einem rezenten Review besserten sich 60 %<br />

der DDS-PatientInnen postoperativ, bei<br />

gleichzeitiger Medikamentenreduktion. Andererseits<br />

kann tiefe Hirnstimulation auch<br />

zum Neuauftreten eines Dysregulationssyndroms<br />

führen 26 . Darüber hinaus gibt es Hinweise<br />

darauf, dass ein bestehendes Dysregulationssyndrom<br />

einen Risikofaktor für postoperative<br />

Selbstmordversuche darstellt 27 .<br />

Impulskontrollstörungen<br />

Die derzeitige Praxis besteht in einer Umstellung<br />

vom Dopaminagonisten auf L-Dopa,<br />

entweder als L-Dopa-Monotherapie oder, in<br />

ausgewählten Fällen, als Kombination von L-<br />

Dopa und einem niedriger dosierten Agonisten.<br />

Allerdings ist dieses Vorgehen auch bei<br />

isolierten Impulskontrollstörungen, die üblicherweise<br />

besser therapierbar sind als ein<br />

Dysregulationssyndrom, nicht immer erfolgreich.<br />

Bisher wurde eine einzige, unkontrollierte<br />

prospektive Studie publiziert, die dieses<br />

Vorgehen unterstützt: 15 PatientInnen wurden<br />

entweder auf L-Dopa oder auf L-Dopa<br />

mit niedriger dosiertem Agonisten (bei gleicher<br />

L-Dopa-Äquivalenzdosis) umgestellt und<br />

über ca. 2 Jahre telefonisch verfolgt; es zeigte<br />

sich ein anhaltender Erfolg bei über 80 %<br />

in dieser kleinen PatientInnengruppe 28 . Eine<br />

Besserung von isolierten Impulskontrollstörungen<br />

auf Bupropion wurde berichtet 29 ; die<br />

Rolle der SSRI ist derzeit nicht geklärt. Eine<br />

kleine offene, aber randomisierte Studie berichtete<br />

Ansprechen auf Amantadin 30 , im Gegensatz<br />

dazu zeigte allerdings eine große<br />

Querschnittsstudie eine Assoziation von Amantadin<br />

mit Impulskontrollstörungen 31 . u<br />

31


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Punding<br />

Es gibt derzeit keine kontrollierten Therapiestudien<br />

zu Punding und wenige Daten aus<br />

Beobachtungsstudien. Reduktionen der dopaminergen<br />

Gesamtdosis können zu Besserungen<br />

führen, wobei auf eventuelle motorische<br />

Verschlechterungen geachtet werden<br />

muss. Die Literatur zeigt einen möglichen,<br />

aber keineswegs bewiesenen Zusammenhang<br />

zwischen Agonistentherapie und Punding.<br />

Besserungen wurden auf Quetiapin 32 ,<br />

Amantadin 32, 33 und eine Reduktion der Dopaminagonisten<br />

beobachtet 32 . Im Zusammenhang<br />

mit tiefer Hirnstimulation wurden<br />

Besserungen, Gleichbleiben oder auch Neuauftreten<br />

von Punding beobachtet 26 . Es besteht<br />

Bedarf an kontrollierten Studien zu diesen<br />

Maßnahmen.<br />

Prävention und Früherkennung<br />

Die begrenzten therapeutischen Möglichkeiten,<br />

vor allem beim Dysregulationssyndrom,<br />

machen es umso wichtiger, sich der<br />

möglichen medikamenteninduzierten Verhaltensauffälligkeiten<br />

bei Parkinson-PatientInnen<br />

bewusst zu sein und sie gegebenenfalls<br />

früh zu entdecken. Zur Risikoeinschätzung<br />

ist es wichtig, prädisponierende<br />

Faktoren zu kennen, wie das Alter bei<br />

Krankheitsbeginn. Beruf, Freizeitverhalten<br />

und persönliche Geschichte eines/einer PatientIn<br />

können Hinweise auf impulsive oder<br />

risikofreudige Persönlichkeitsmerkmale ergeben.<br />

Während des gesamten Krankheitsverlaufes<br />

sollte der/die BehandlerIn auf die mögliche<br />

Entstehung impulsiver Verhaltensweisen achten.<br />

Bereits auf niedrig dosierte Ersteinstellungen<br />

mit einem Agonisten können Impulskontrollprobleme<br />

auftreten.<br />

Eine Aufklärung über mögliche Impulskontrollstörungen<br />

als unerwünschte Wirkung<br />

muss bei allen PatientInnen vor einer Neueinstellung<br />

auf einen Dopaminagonisten<br />

Standard sein und sollte dokumentiert werden.<br />

Das Thema sollte aber auch bei Dosiserhöhungen<br />

oder Umstellungen angesprochen<br />

werden.<br />

Wenn Depression oder Substanzgebrauch in<br />

der Anamnese vorliegen, kann es sinnvoll<br />

sein, nur die zur Einstellung der Motorik erforderlichen<br />

Dosen einzusetzen und Bedarfsmedikation<br />

zu vermeiden. An ein beginnendes<br />

Dysregulationssyndrom sollte gedacht<br />

werden, wenn der/die PatientIn Bedarf an<br />

weiteren Dosen äußert oder wahrnimmt,<br />

während er/sie noch im On ist.<br />

Nach prolongierten repetitiven Tätigkeiten<br />

sollte aktiv gefragt werden, z. B. nach nächtlichen<br />

Aktivitäten bei PatientInnen, die über<br />

Insomnie klagen.<br />

Bei der frühen Erkennung dieser Verhaltensänderungen<br />

ist es oft sinnvoll und notwendig,<br />

Angehörige und BetreuerInnen einzubeziehen,<br />

damit Maßnahmen ergriffen werden<br />

können, bevor es zu irreversiblen persönlichen,<br />

finanziellen, beruflichen oder forensischen<br />

Schäden kommt.<br />

n<br />

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in cross-sectional study. Ann Neurol 2010;<br />

68:963–968.<br />

32 Fasano A et al., Management of punding in Parkinson’s<br />

disease: an open-label prospective study. J Neurol.<br />

2010<br />

33 Kashihara K, Imamura T, Amantadine may reverse<br />

punding in Parkinson’s disease – observation in a<br />

patient. Mov Disord 2008; 23:129–130.<br />

32


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Praxisrelevantes aus klinischen Studien 2009–2010<br />

Neues zur medikamentösen<br />

Parkinson-Therapie<br />

Allein in den letzten beiden Jahren wurden wieder über 30 randomisierte klinische Studien zur Parkinson-<br />

Therapie veröffentlicht – 18 davon mit Fokus auf der Therapie motorischer Symptome der Erkrankung, aber<br />

fast genauso viele (14) mit nichtmotorischen Symptomen als primäre Studienendpunkte 1, 2 . Insgesamt war aber<br />

die Zahl der PatientInnen in motorischen Therapie-Studien mit insgesamt 4.819 PatientInnen mehr als viermal<br />

so groß wie jene in Studien zu nichtmotorischen Symptomen (n = 1.113), bedingt durch die noch immer<br />

überwiegend kleinen Fallzahlen in Letzteren. In der folgenden kurzen Übersicht sollen jene Studien vorgestellt<br />

werden, deren Ergebnisse unmittelbar praxisrelevant sind. Zumeist handelt es sich dabei um Absicherungen<br />

schon etablierter Therapien durch zusätzliche robuste Daten oder zumindest vorläufige Antworten auf offene<br />

Fragen zum Einsatz etablierter Medikamente.<br />

Neue Daten<br />

zu Dopaminagonisten<br />

Mehrere Studien haben neue und praxisrelevante<br />

Daten zur Parkinson-Therapie mit Dopaminagonisten<br />

vorgestellt: zur Wirksamkeit<br />

und Verträglichkeit der seit 2010 in Österreich<br />

zugelassenen Retardformulierung von<br />

Pramipexol, zur Wirksamkeit von transdermalem<br />

Rotigotin auf nächtliche und frühmorgendliche<br />

Behinderung sowie zur Dyskinesieprävention<br />

durch Add-on-Therapie mit Ropinirol<br />

Retard (Tab. 1).<br />

1 2<br />

Pramipexol: Eine placebokontrollierte, doppelblinde<br />

Vergleichsstudie zwischen Pramipexol-Standardtherapie<br />

dreimal täglich und Pramipexol<br />

Retard einmal täglich konnte die<br />

Überlegenheit beider Therapiearme gegenüber<br />

Placebo zeigen. Außerdem war die<br />

Verbesserung gemessen an der UPDRS-II und<br />

-III zwischen den Therapiearmen in einem<br />

„Non-Inferiority“-Design nicht unterschiedlich,<br />

womit die Gleichwertigkeit der symptomatischen<br />

Wirkung des Retard-Präparats bei<br />

vergleichbarer Verträglichkeit belegt ist 3 . Eine<br />

weitere Studie belegt die Möglichkeit einer<br />

erfolgreichen 1:1-Umstellung über Nacht von<br />

Pramipexol dreimal täglich auf Pramipexol Retard<br />

einmal täglich: Über 80 % der PatientInnen<br />

erreichten gleiche Wirkung und Verträglichkeit<br />

ohne Erfordernis einer Dosisanpassung<br />

4 . Somit kann für die klinische Routine<br />

eine Umstellung vom Standard auf das<br />

Retard-Präparat von einem Tag auf den anderen<br />

in gleichbleibender Tagesdosis als Standardvorgehen<br />

empfohlen werden.<br />

Rotigotin: Die transdermale Applikation von<br />

Rotigotin gewährleistet eine kontinuierliche<br />

Wirkstoffzufuhr dieses Dopaminagonisten<br />

über 24 Stunden. In einer doppelblinden placebokontrollierten<br />

Studie wurde der Einfluss<br />

von Rotigotin auf morgendliche Beweglichkeit<br />

und Schlafqualität untersucht 5 . Sowohl<br />

die morgendliche Beweglichkeit gemessen an<br />

der UPDRS-III als auch die Schlafqualität gemessen<br />

an einer modifizierten Version der<br />

Parkinson’s Disease Sleep Scale (PDSS-2) verbesserten<br />

sich unter Rotigotin signifikant. Gestörter<br />

Schlaf, nächtliche Unbeweglichkeit<br />

sowie morgendliche Akinesie sind häufige<br />

Probleme bei Parkinson-PatientInnen in fortgeschrittenen<br />

Stadien mit Wirkfluktuationen<br />

und die Anwendung eines Dopaminagonis -<br />

Dr. Philipp Mahlknecht,<br />

Univ.-Prof. Dr. Klaus Seppi 1 ,<br />

Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe 2<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Innsbruck<br />

ten mit 24-stündiger Wirkung ist eine somit<br />

eine nützliche Option speziell für diese PatientInnen.<br />

Ropinirol PR: Die retardierte Formulierung<br />

von Ropinirol (PR = prolonged release) ist in<br />

Österreich schon seit 2008 zugelassen. Erst<br />

im letzten Jahr sind interessante Ergebnisse<br />

einer Studie veröffentlicht worden, bei der<br />

bei PatientInnen mit geringgradigen Wirkfluktuationen<br />

und Bedarf einer Erhöhung der<br />

dopaminergen Medikation unter laufender<br />

L-Dopa-Monotherapie das Auftreten von<br />

Dyskinesien innerhalb von 2 Jahren nach Aufdosierung<br />

von L-Dopa im Vergleich zur Addition<br />

von Ropinirol PR bei stabiler L-Dopa-<br />

Dosis untersucht wurde 6 .<br />

Unter zusätzlichem Ropinirol PR (mittlere Tagesdosis<br />

von 10 mg) im Vergleich zu zusätzlichem<br />

L-Dopa (mittlere Tagesdosiserhöhung<br />

von 284 mg) entwickelten sich bis zum Studienende<br />

nach 24 Monaten bei 3 % der mit<br />

additivem Ropinirol PR behandelten Patien-<br />

34


Tab. 1: Neues zu Dopamin-Agonisten 2009/2010 3–6<br />

Pramipexol Retard:<br />

gleich wirksam und verträglich wie Standard PPX<br />

- Vereinfachung<br />

- Compliance-Verbesserung?<br />

Rotigotin-Pflaster:<br />

verbessert nächtliche und frühmorgendliche Symptomkontrolle<br />

- verbesserte Schlafqualität<br />

Ropinirol Retard:<br />

Addition zu LD erzeugt weniger Dyskinesien als LD-Aufdosierung<br />

- „Add-on“-Agonisten-Therapie zur Dyskinesieprävention<br />

tInnen Dyskinesien im Unterschied zu 17 %<br />

der mit L-Dopa aufdosierten PatientInnen. Die<br />

motorische Verbesserung, gemessen anhand<br />

der Abnahme des UPDRS Motor Scores, war<br />

in beiden Gruppen vergleichbar (–3,7 vs. –<br />

3,3 Punkte), ebenso die Medikamentenverträglichkeit.<br />

Damit zeigt diese Studie, dass<br />

auch die spätere Addition eines Dopaminagonisten<br />

bei primär mit L-Dopa behandelten Patienten<br />

eine sinnvolle Strategie zur Umgehung<br />

weiterer L-Dopa-Erhöhungen und damit zur<br />

Minderung des Dyskinesie-Risikos sein kann,<br />

ohne dass dafür Wirksamkeitsnachteile in<br />

Kauf genommen werden müssten.<br />

Neues zur COMT-Hemmung<br />

Die kombinierte Behandlung mit L-Dopa und<br />

dem peripheren COMT-Inhibitor Entacapon<br />

ist eine seit vielen Jahren etablierte Strategie<br />

zur Therapie von Wirkungsfluktuationen vom<br />

Wearing-off-Typ. Das Wirkprinzip beruht auf<br />

einem verzögerten Abbau von L-Dopa mit<br />

längerer L-Dopa-Halbwertszeit und höherer<br />

Bioverfügbarkeit. Aufgrund von Tierexperimenten<br />

wurde postuliert, dass diese Kombination<br />

durch eine kontinuierlichere Stimulation<br />

striataler Dopaminrezeptoren mit einem<br />

geringeren Dyskinesie-Risiko verbunden sein<br />

könnte als die klassische L-Dopa-Therapie.<br />

Die so genannte STRIDE-PD-Studie hat an<br />

über 700 PatientInnen in einem doppelblinden<br />

randomisierten Design diese Hypothese<br />

überprüft, um zu entscheiden, ob L-Dopa,<br />

am besten schon von Therapiebeginn an als<br />

Kombination mit einem COMT-Hemmer gegeben<br />

werden sollte. In dieser sehr aufwendigen<br />

Studie wurden Parkinson-PatientInnen,<br />

die noch nicht mit L-Dopa behandelt worden<br />

waren, aber inzwischen hierfür einen Bedarf<br />

hatten, im 1:1-Verhältnis zu einer doppelblinden<br />

Langzeittherapie mit L-Dopa+Carbidopa<br />

oder L-Dopa+Carbidopa+Entacapon in Form<br />

des Kombinationspräparates Stalevo ® randomisiert<br />

7 .<br />

Nach einer mittleren Behandlungsdauer von<br />

37 Monaten zeigten sich entgegen der Ausgangshypothese<br />

im Stalevo ® -Arm der Studie<br />

eine höhere Dyskinesie-Rate und kürzere Latenz<br />

bis zum ersten Auftreten von Dyskinesien<br />

als in der konventionellen Therapiegruppe<br />

(42 % vs. 32 %), Eine mögliche Erklärung<br />

für dieses Ergebnis ist, dass die Stalevo ® -<br />

Gruppe bei gleicher L-Dopa-Dosis durch die<br />

COMT-Hemmung einer 1,3-fach höheren<br />

L-Dopa-Äquivalenzdosis ausgesetzt war als<br />

die Kontrollgruppe. Außerdem zeigen neuere<br />

pharmakokinetische Studien, dass auch bei<br />

einem Dosierungsintervall von 3,5 Stunden<br />

die Gabe von 4 Einzeldosen Stalevo ® mit ähnlichen<br />

Blutspiegelschwankungen verbunden<br />

ist wie die Verabreichung von klassischem<br />

L-Dopa, wenngleich mit weniger tiefen Blutspiegelminima<br />

8 . Eine wirklich „kontinuierliche“<br />

dopaminerge Stimulation dürfte also im<br />

Stalevo ® -Arm dieser Studie nicht erreicht<br />

worden sein.<br />

Für die klinische Praxis bedeuten die Ergebnisse<br />

von STRIDE-PD, dass eine Indikation für<br />

den Einsatz von Stalevo ® unverändert nur bei<br />

PatientInnen mit Wirkfluktuationen besteht.<br />

Neues zu Amantadin<br />

Amantadin ist ein NMDA-Rezeptor-Antagonist<br />

und bislang das einzige Medikament mit<br />

erwiesener Wirkung auf L-Dopa-induzierte<br />

Dyskinesien. Der antidyskinetische Effekt ist<br />

durch mehrere Kurzzeitstudien mit kleinen<br />

Fallzahlen belegt, allerdings hat eine kleine<br />

italienische Studie Hinweise ergeben, dass die<br />

antidyskinetische Wirkung von Amantadin<br />

nach 9 Monaten wieder verschwunden sei 9 .<br />

Letzteres wurde in einer rezenten multizentrischen<br />

österreichischen Studie widerlegt,<br />

wo 32 Parkinson-PatientInnen mit Dys -<br />

kinesien unter einer mindestens einjährigen<br />

Amantadin-Therapie (im Mittel 4,8 Jahre),<br />

doppelblind entweder weiterhin Amantadin<br />

oder aber Placebo für 3 Wochen erhielten 10 .<br />

In der Placebogruppe kam es zu Studienende<br />

zu einem signifikanten Anstieg in den Dyskinesie-Ratings,<br />

in der Amantadingruppe<br />

zeigte sich keine Veränderung. Für den klinischen<br />

Alltag bedeutet dies, dass eine antidyskinetische<br />

Therapie mit Amantadin auch<br />

langfristig als wirksam angesehen werden<br />

kann.<br />

Nichtmotorische Symptome<br />

Insgesamt bleiben Daten aus randomisierten,<br />

kontrollierten Studien zur Therapie nichtmotorischer<br />

Symptome der Parkinson-Krankheit<br />

gemessen an der Vielzahl der unterschiedlichen<br />

Behandlungserfordernisse ungenü- u<br />

Tab. 2: Wirksame Therapie für nichtmotorische Symptome – EBM-Review der<br />

Movement Disorder Society 2<br />

Depression<br />

Pramipexol * , Nortriptylin * , Desipramin<br />

Demenz<br />

Rivastigmin<br />

Psychose<br />

Clozapin<br />

Erektile Dysfunktion (Sildenafil * )<br />

Obstipation<br />

Macrogol<br />

Sialorrhoe<br />

Glycopyrrolat * , Btx A * , B<br />

* untermauert durch Daten aus RCT der letzten beiden Jahre<br />

Ungenügende Evidenz für Therapie von: OH, neurogene Blasenstörung, Fatigue, Insomnie, pathologische Tagesmüdigkeit<br />

35


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

gend. Tatsächlich sind in den letzten beiden<br />

Jahren lediglich für die Therapie der Depression<br />

und der Demenz große Studien veröffentlicht<br />

worden. Eine weitere zur Behandlung<br />

der erektilen Dysfunktion mit Sildenafil<br />

hatte 236 PatientInnen eingeschlossen, und<br />

die AutorInnen hatten positive Evidenz für<br />

die Wirksamkeit berichtet, aber zwischenzeitlich<br />

die Publikation zurückgezogen. Tabelle 2<br />

fasst die therapeutischen Optionen für nichtmotorische<br />

Symptome zusammen, welche in<br />

einem rezenten EBM-Review der Movement<br />

Disorder Society als wirksam eingestuft wurden.<br />

Therapie der Parkinson-Depression<br />

Seit Jahren sind selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />

(SSRI) die am häufigsten<br />

eingesetzten Medikamente zur Depressionsbehandlung<br />

bei M. Parkinson 11 . Dennoch existiert<br />

bislang kein positiver Beleg für deren<br />

Wirksamkeit aus placebokontrollierten, randomisierten,<br />

doppelblinden Studien 12 . Inzwischen<br />

liegen zwei neue Studien vor, bei<br />

denen jeweils ein SSRI und ein Trizyklikum<br />

untereinander und mit Placebo verglichen<br />

wurden<br />

Nortriptylin/Paroxetin: In einer placebokontrollierten<br />

doppelblinden Studie wurde<br />

Nortriptylin als Trizyklikum mit dem Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />

Paroxetin bei<br />

nichtdementen Parkinson-PatientInnen mit<br />

depressiven Symptomen verglichen 13 . Nach<br />

der Studiendauer von 8 Wochen kam es nur<br />

in der Nortriptylingruppe zu einer signifikanten<br />

Besserung in der primären Zielvariable<br />

(Hamilton Rating Scale for Depression/HAM-<br />

D). 53 % der mit Nortriptylin behandelten<br />

PatientInnen wiesen eine über 50%-ige Verbesserung<br />

der HAM-D auf im Unterschied zu<br />

lediglich 11 % der mit Paroxetin behandelten<br />

PatientInnen und 24 % der PatientInnen<br />

unter Placebo. Trockener Mund und Verstopfung<br />

waren die häufigsten Nebenwirkungen<br />

unter Nortriptylin und Fatigue unter Paroxetin.<br />

Auch frühere Vergleichsstudien lassen<br />

vermuten, dass TCA wie Amitriptylin 14 oder<br />

Desipramine 15 den SSRI in der Behandlung<br />

von depressiven Symptomen bei Parkinson-<br />

Tab. 3: Evidenzbasis antidementiver Pharmaka bei der Parkinson-Demenz 2<br />

Substanz<br />

Donepezil<br />

Rivastigmin<br />

Galantamin<br />

Memantin<br />

PatientInnen überlegen sind. Allerdings muss<br />

bei dieser Therapieentscheidung das größere<br />

Nebenwirkungsprofil der TCA mitbedacht<br />

werden.<br />

Pramipexol: Die bisher größten Studie zur<br />

Behandlung depressiver Symptome bei M.<br />

Parkinson untersuchte, ob der Dopaminagonist<br />

Pramipexol trotz gegebener optimaler<br />

Kontrolle der motorischen Symptome Depressivität<br />

bei Parkinson-PatientInnen bessern<br />

kann 16 . In einem 12-wöchigen doppel -<br />

blinden, placebokontrollierten Studiendesign<br />

wurden 296 nichtfluktuierende Parkinson-PatientInnen<br />

eingeschlossen, die eine eindeutige<br />

depressive Symptomatik (15-item Geriatric<br />

Depression Scale Score 5) aufwiesen. Die<br />

primäre Zielvariable war eine Änderung im<br />

Beck Depression Inventar (BDI). Der BDI-Score<br />

fiel im Mittel um 5,9 Punkte in der Pramipexol-Gruppe<br />

und 4,0 Punkte in der Placebo-Gruppe<br />

mit einer signifikanten Differenz<br />

zwischen den Gruppen von 1,9 Punkten. 27 %<br />

der mit Pramipexol behandelten PatientInnen<br />

wiesen eine über 50%-ige Verbesserung im<br />

BDI auf, unter Placebo waren es 18 %.<br />

Der UPDRS Motor-Score fiel um 4,4 Punkte<br />

in der Pramipexol-Gruppe und 2,2 Punkte in<br />

der Placebo-Gruppe mit einer signifikanten<br />

Differenz von 2,2 Punkten. Durch eine komplexe<br />

statistische Analyse konnte ein Einfluss<br />

der Besserung der motorischen Symptome<br />

auf die günstigen Effekte von Pramipexol auf<br />

die depressiven Symptome ausgeschlossen<br />

werden. Tatsächlich stellte der direkte Effekt<br />

von Pramipexol auf die depressiven Symptome<br />

80 % des gesamten Behandlungseffektes<br />

dar. Da der Vergleich gegen Placebo durchgeführt<br />

wurde, bleibt ungewiss, inwieweit<br />

dieser Effekt spezifisch für Pramipexol ist oder<br />

eine generelle Wirkung der Dopaminergika<br />

darstellt.<br />

Evidenz für Wirkung<br />

ungenügend<br />

wirksam<br />

ungenügend<br />

ungenügend<br />

Therapie der Parkinson-Demenz<br />

Bislang ist der Cholinesterasehemmer Riva -<br />

stigmin das einzige Medikament mit robuster<br />

publizierter Datenlage zur Effektivität in der<br />

Behandlung der Parkinson-Demenz. Für die<br />

Therapie der Alzheimer-Demenz hat sich<br />

auch der NMDA-Rezeptor-Antagonist Memantin<br />

in fortgeschrittenen Stadien als wirksam<br />

erwiesen.<br />

Memantin wurde in zwei rezenten doppelblinden<br />

placebokontrollierten Studien bei<br />

PatientInnen mit Parkinson-Demenz (PDD) und<br />

Lewy-Body-Demenz (DLB) getestet. Beide Studien<br />

gingen über 24 Wochen mit einer Memantin-Zieldosis<br />

von 20 mg/Tag. In der ersten<br />

norwegischen Studie hatten zu Studienende<br />

die Memantin-behandelten PatientInnen im<br />

CGIC (Clinical Global Impression of Change;<br />

Range –7 Punkte) im Mittel um 0,7 Punkte<br />

bessere Scores als die Placebo-Gruppe 17 .<br />

In der zweiten internationalen Studie zeigten<br />

nach den 24 Wochen nur die PatientInnen<br />

mit DLB in der Memantin-Gruppe eine im<br />

Mittel um 0,7 Punkten größere Verbesserung<br />

nach der CGIC als die Placebobehandelten 18 .<br />

Bei den PatientInnen mit PDD konnten keine<br />

signifikanten Unterschiede festgestellt werden.<br />

In beiden Studien wurde Memantin ähnlich<br />

gut wie Placebo vertragen. Kürzlich publizierte<br />

Follow-up-Daten der norwegischen<br />

Studie zeigen, dass der Therapieeffekt im<br />

„Auslassversuch“ nach 4 Wochen verloren<br />

ist und die ursprünglich Memantin-Behandelten<br />

im CGIC gleich abschneiden wie die ursprünglich<br />

Placebobehandelten 19 .<br />

Insgesamt sind die Ergebnisse bei heterogenen<br />

Studienpopulationen nicht eindeutig interpretierbar<br />

(z. B. waren in der norwegischen<br />

Studie Cholinesterasehemmer als Komedikation<br />

erlaubt), weshalb Memantin im Moment<br />

keine erwiesen wirksame Behandlungsoption<br />

36


für PatientInnen mit M. Parkinson und Demenz<br />

darstellt (Tab. 3).<br />

Therapie der Sialorrhoe<br />

Neue Daten existieren darüber hinaus zur Therapie<br />

der Sialorrhoe, ein sehr häufiges Problem<br />

bei Parkinson-PatientInnen. Eine kleine Studie<br />

konnte einen milden Effekt von Glycopyrrolat,<br />

einem nicht ZNS-gängigen Anticholinergikum,<br />

nachweisen 20 . Bei 39 % der StudienpatientInnen<br />

kam es unter 3-mal 1 mg Glycopyrrolat<br />

zu einer 30%igen Symptomreduktion.<br />

Daneben scheint die Injektion von Botulinumtoxin<br />

Typ B in die Parotis in der Behandlung<br />

der Sialorrhoe wirksam zu sein. Hier gaben<br />

78 % der behandelten PatientInnen mit später<br />

Parkinson-Erkrankung und behindernder<br />

Sialorrhoe eine moderate bis drastische Symptomlinderung<br />

an, die im Mittel für 19 Wochen<br />

anhielt 21 . In einer früheren Studie hatten<br />

die AutorInnen bereits die Wirksamkeit<br />

von Botulinumtoxin Typ A in die Parotis aufgezeigt<br />

22 .<br />

Progressionsminderung<br />

Trotz aller Fortschritte und Erweiterungen der<br />

medikamentösen Parkinson-Therapie handelt<br />

es sich noch immer um eine unaufhaltsam<br />

fortschreitende Erkrankung. Progressionsminderung<br />

bleibt damit das unerreichte Therapieziel<br />

mit der höchsten Priorität.<br />

Eine vieldiskutierte Studie aus dem Jahr 2009<br />

hat zum Teil widersprüchliche Evidenz für<br />

progressionsmindernde Effekte des MAO-B-<br />

Hemmers Rasagilin erbracht. Schon zuvor<br />

hatte die TEMPO-Studie in einem Delayed-<br />

Start-Design gezeigt, dass bei frühem Parkinson<br />

unter 1 und 2 mg Rasagilin über ein Jahr<br />

eine signifikant geringere Verschlechterung<br />

der klinischen Scores gemessen am UPDRS-<br />

Gesamtscore eintrat als bei PatientInnen, die<br />

2 mg Rasagilin verzögert nach 6-monatiger<br />

Placebo-Behandlung bekamen 23 .<br />

Die wesentlich größere und mit einem rigorosen<br />

statistischen Analyseplan angelegte<br />

ADAGIO-Studie hatte eine placebokontrollierte<br />

Phase von 9 Monaten, gefolgt von einer<br />

ebenfalls 9-monatigen aktiven Therapiephase<br />

mit delayed start von Rasagilin in der ursprünglichen<br />

Placebo-Gruppe. Insgesamt<br />

wurden über 1000 PatientInnen mit frühem<br />

M. Parkinson (mittlere Dauer seit Diagnose<br />

unter 5 Monaten) eingeschlossen und zu 2<br />

Dosierungsarmen (1 und 2 mg) bzw. Placebo<br />

randomisiert. Das Ergebnis nach 18 Monaten<br />

zeigte für den 1-mg-Arm eine geringere Neigung<br />

der Progressionsgeraden durch den Anstieg<br />

der UPDRS-Scores in der placebokontrollierten<br />

Phase der ersten 9 Monate, einen<br />

geringeren UPDRS-Score nach weiterer 9-monatiger<br />

aktiver Behandlung mit 1 mg zu -<br />

gunsten der Gruppe mit früherem Behandlungsbeginn<br />

sowie parallel verlaufende<br />

Progressionsgeraden über die zweite 9-Monats-Periode<br />

für beide Gruppen 24 . Insgesamt<br />

betrug der Unterschied zwischen den Gruppen<br />

im Mittel 1,7 Punkte im gesamten UPDRS.<br />

Dieser Effekt konnte mit einer Tagesdosis von<br />

2 mg Rasagilin nicht gezeigt werden.<br />

In der Extension der TEMPO-Studie zeigte<br />

sich ein anhaltender positiver Unterschied zugunsten<br />

der sofortigen Behandlung mit Rasagilin<br />

über 5,5 Jahre 3 . Diese Daten können<br />

insgesamt als krankheitsmodifizierender Effekt<br />

gewertet werden. Dagegen spricht die<br />

Tatsache, dass in der ADAGIO-Studie die 2-<br />

mg-Dosis nicht eine ähnliche Wirkung erzielte<br />

wie die 1-mg-Dosis, was auch die AutorInnen<br />

der Studie zur kritischen Betrachtung der Ergebnisse<br />

veranlasste.<br />

Da aber auch die kürzlich beendete Pramipexol-Studie<br />

im Delayed-Start-Design negativ<br />

ausgegangen ist (Baseline-Daten 25 ), erscheint<br />

es möglich, dass der positive Effekt mit 1 mg<br />

Rasagilin möglicherweise doch einen krankheitsmodifizierenden<br />

Effekt nachweist. n<br />

1 Fox Sea. Movement Disorder Society Evidence-Based<br />

Medicine Review Update: Treatments for the Motor<br />

Symptoms of Parkinson’s Disease. Mov Disord 2011;<br />

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dementia and dementia with Lewy bodies: different<br />

aspects of one entity. International psychogeriatrics/<br />

IPA 2009; 21(2):216–219.<br />

18 Emre M, Tsolaki M, Bonuccelli U et al., Memantine for<br />

patients with Parkinson's disease dementia or dementia<br />

with Lewy bodies: a randomised, double-blind,<br />

placebo-controlled trial. Lancet Neurol; 9(10):969–977.<br />

19 Johansson C, Ballard C, Hansson O et al., Efficacy of<br />

memantine in PDD and DLB: an extension study including<br />

washout and open-label treatment. International<br />

journal of geriatric psychiatry; 26(2):206–213.<br />

20 Arbouw ME, Movig KL, Koopmann M et al., Glycopyrrolate<br />

for sialorrhea in Parkinson disease: a randomized,<br />

double-blind, crossover trial. Neurology;<br />

74(15):1203–1207.<br />

21 Lagalla G, Millevolte M, Capecci M, Provinciali L,<br />

Ceravolo MG, Long-lasting benefits of botulinum toxin<br />

type B in Parkinson's disease-related drooling. J Neurol<br />

2009; 256(4):563–567.<br />

22 Lagalla G, Millevolte M, Capecci M, Provinciali L,<br />

Ceravolo MG, Botulinum toxin type A for drooling in<br />

Parkinson’s disease: a double-blind, randomized, placebocontrolled<br />

study. Mov Disord 2006; 21(5):704–707.<br />

23 A controlled, randomized, delayed-start study of<br />

rasagiline in early Parkinson disease. Arch Neurol 2004;<br />

61(4):561–566.<br />

24 Olanow CW, Rascol O, Hauser R et al., A double-blind,<br />

delayed-start trial of rasagiline in Parkinson’s disease.<br />

The New England journal of medicine 2009;<br />

361(13):1268–1278.<br />

25 Schapira AH, Albrecht S, Barone P et al., Rationale for<br />

delayed-start study of pramipexole in Parkinson’s disease:<br />

the PROUD study. Mov Disord;25(11):1627–1632.<br />

37


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

11. Austrian Neuroscience<br />

Wintermeeting 2011<br />

Mit 150 TeilnehmerInnen wies das 11. Austrian Neuroscience Wintermeeting, das Anfang April im Schlosshotel<br />

Lebenberg in Kitzbühel stattfand, einen Besucherrekord seit seiner Gründung vor 22 Jahren auf.<br />

AAmyloidose: Die erste wissenschaftliche Sitzung<br />

war dem heterogenen Krankheitsbild<br />

der Amyloidose gewidmet. Prof. Grisold,<br />

Wien, gab einen Überblick über die <strong>neurologisch</strong>en<br />

Grundlagen dieser Erkrankung, die<br />

in primäre und sekundäre sowie genetisch<br />

bedingte Amyloidose differenziert werden<br />

kann. Klinisch finden sich verschiedene Erscheinungsbilder<br />

wie z. B. autonome Störungen<br />

mit schmerzhaften Polyneuropathien<br />

oder autonome Störungen mit schmerzlosen<br />

Neuropathien und autonome Störungen<br />

ohne weiteres <strong>neurologisch</strong>es Symptom. Zusätzlich<br />

findet man Polyneuropathien ohne<br />

autonome Störungen und generalisierte autonome<br />

Störungen mit Kleinfaserneuropathien.<br />

Prof. Kyriakides aus Zypern gab einen großartigen,<br />

historisch sehr interessanten Überblick<br />

über eine Sonderform der Amyloidose,<br />

die familiäre Amyloidneuropathie, die über<br />

den Reiseweg der ehemaligen Kreuzritter ihre<br />

Ausbreitung fand. Molekularbiologische Ursache<br />

ist eine Transthyretin-Mutation (Val-30-<br />

Met-TTR), die eine veränderte Struktur des<br />

Amyloids als Beta-Faltblatt-Struktur bedingt.<br />

Interessant an dieser Form der Polyneuropathie<br />

ist die unterschiedliche Penetranz in verschiedenen<br />

Ländern, vermutlich aufgrund der<br />

unterschiedlichen genetischen Muster, die in<br />

den Ländern Zypern, Portugal und Schweden<br />

vorliegen, wo diese Erkrankung derzeit zu<br />

finden ist.<br />

Klinisch isoliertes Syndrom bei MS: Die<br />

wissenschaftliche Sitzung, welche sich mit<br />

den verschiedenen Formen des klinisch isolierten<br />

Syndroms (CIS) beschäftigte, wurde<br />

von Doz. Kristoferitsch eingeleitet, der die<br />

differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten<br />

bei Diagnose eines CIS beschrieb und die<br />

weitere Differenzierung darlegte. Neben<br />

Dr. Sabine Urbanits, MSc<br />

Neurologische Abteilung,<br />

Kaiser-Franz-Josef-Spital,<br />

Wien<br />

FOTO: 8UHR19 - FOTOLIA.COM<br />

44


Übergängen in eine schubförmige multiple<br />

Sklerose müssen die Verlaufsformen herausgefunden<br />

werden, die einen anderen Verlauf<br />

nehmen und damit mit einer anderen Therapie<br />

versorgt werden sollten. Dazu gehört<br />

die Neuromyelitis optica (NMO), die heute<br />

relativ leicht durch das Fehlen von oligoklonalen<br />

Banden und den Nachweis von Aquaporin-Antikörpern<br />

gezeigt werden kann,<br />

sowie andere bösartiger verlaufende Varianten<br />

(Marburg, Baló).<br />

Das radiologisch isolierte Syndrom (RIS)<br />

wurde von Prof. Gass diskutiert, der vor allem<br />

auf die Darstellung nicht aktiver Herde ohne<br />

klinische Symptomatik einging und darauf<br />

hinwies, dass eine Erweiterung der primären<br />

Radiodiagnostik auf die gesamte Neuraxis im<br />

Falle eines RIS sowie der Einsatz von 3-Tesla-<br />

Geräten einen besseren Überblick über die<br />

vorliegende Erkrankung geben können. Angerissen<br />

wurde von ihm auch eine eventuelle<br />

Therapieoption bei RIS mit aktiven Herden.<br />

Prof. Dr. Reindl von der Universitätsklinik Innsbruck<br />

ging auf die biologischen Marker als<br />

Hilfestellung der klinischen Wertigkeit und<br />

der Prognose des weiteren Verlaufes eines<br />

CIS ein. Er zeigte auf, dass mit Hilfe von<br />

Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein und<br />

IgG-Autoantikörper gegen Aquaporin-4 ein<br />

Schema zur besseren Differenzierung der CIS<br />

eingeführt werden kann. Abgeschlossen<br />

wurde die Sitzung von Prof. Berger, Innsbruck,<br />

der nochmals die Differenzialdiagnosen<br />

des CIS diskutierte und auch die Wichtigkeit<br />

der frühen Erkennung von ADEMS<br />

und NMO betonte. Hier ist vor allem die<br />

frühe therapeutische Intervention von größter<br />

Bedeutung.<br />

Zerebrovaskuläre Bildgebung: Die Sitzung<br />

zur zerebrovaskulären Bildgebung für Diagnostik<br />

und Therapie zeigte sehr spannende<br />

Projekte, die derzeit im Laufen sind. Prof. Fiebach,<br />

Berlin, stellte ein innovatives Modell<br />

vor, bei dem mit einem umgebauten Feuerwehrauto<br />

das CCT zur Erstdiagnostik vor Ort<br />

gebracht wird. Die CCT-Diagnostik wird so<br />

am Abholort des/der SchlaganfallpatientIn<br />

durchgeführt. Gleichzeitig wird eine Labordiagnostik<br />

vor Ort gemacht, und diese Daten<br />

werden an die Stroke Unit übermittelt, in<br />

welche der/die PatientIn gebracht werden<br />

soll. Die weitere Intervention kann bereits<br />

vorbereitet werden, während der/die PatientIn<br />

noch auf dem Transportweg ist. Dieses<br />

Projekt der Charité Berlin soll zeigen, dass<br />

bei einem solchen Vorgehen ein vermehrter<br />

Schutz der Penumbra und ein besseres Outcome<br />

für die PatientInnen erzielt wird. Prof.<br />

Deutschmann stellte verschiedene Retractor-<br />

Systeme zur mechanischen Rekanalisation bei<br />

Gefäßverschluss bei ischämischen Insulten<br />

sowie verschiedenen Stent-Varianten vor.<br />

Lymphome und Glioblastome: In der Sitzung<br />

über die Immunologie von Lymphomen<br />

und Glioblastomen wurde von Prof. Felzmann<br />

ein Überblick über die immunologischen<br />

Aspekte von Glioblastomen gebracht, der<br />

einen Einblick in die auf dendritischen<br />

Stammzellen basierende Immuntherapie gab<br />

und die geplante Etablierung dieser Therapie<br />

in die klinische Anwendung darstellte.<br />

Prof. Schlegel gab einen Überblick über die<br />

Anwendung des Anti-CD20-Antikörpers Rituximab<br />

bei primären ZNS-Lymphomen und<br />

sprach auch über die Effizienz von intraventrikulären<br />

Anwendungen. Aufgrund des<br />

Nachweises von Tumorzellen in der Peripherie<br />

im Verlauf wird angenommen, dass einige<br />

als primäre ZNS-Lymphome diagnostizierte<br />

Lymphome eigentlich Metastasen von okkulten<br />

Non-Hodgkin-Lymphomen entsprechen.<br />

Zusätzlich dachte er noch sehr innovative,<br />

nicht etablierte Therapien an, wie z. B. mit<br />

radioaktiven Strahlen konjugierte CD-20-Antikörper:<br />

Ibritumomab und Tositumomab.<br />

Prof. Giometto diskutierte die immunologischen<br />

Aspekte der limbischen Enzephalitis,<br />

FAZIT<br />

Insgesamt war die Teilnahme an den Sitzungen<br />

eine rege und interessierte, und<br />

es kam zu zahlreichen interessanten Diskussionen.<br />

Der ressortartige Charakter<br />

des Tagungsortes gab dem Meeting<br />

einen abgeschlossenen Rahmen, der eine<br />

Fortsetzung vieler wissenschaftlicher Diskussionen<br />

in die Freizeit hinein möglich<br />

machte.<br />

die häufig als paraneoplastisches Syndrom<br />

auftritt. Er beschrieb die Klinik und die Neuropathologie<br />

und betonte die Wichtigkeit der<br />

Bestimmung von antineuronalen Antikörpern<br />

aus dem Serum zur Diagnosestellung. Eine<br />

rasche Diagnose, gefolgt von einer raschen<br />

immunmodulierenden Therapie, kann das klinische<br />

Outcome mit deutlichen kognitiven<br />

Defiziten verbessern.<br />

Sarkopenie und Kachexie: In der Sitzung<br />

über die Sarkopenie und Kachexie bei degenerativen<br />

und tumorösen Erkrankungen stellte<br />

Dr. Kaiser seine Untersuchungen bei demenziellen<br />

Erkrankungen vor. Hier ging er<br />

vor allem auf die Sarkopenie als Ursache des<br />

Gewichtsverlustes bei demenziellen, fortgeschrittenen<br />

Erkrankungen ein und beschrieb<br />

auch, dass diese Sarkopenie mit zunehmender<br />

Immobilität einhergeht. Neben einer diätetischen<br />

Verbesserung wird auf die Wichtigkeit<br />

remobilisierender Maßnahmen und einer<br />

Früherkennung bzw. einer frühen Prävention<br />

dieser Sarkopenie hingewiesen. Prof. Attems<br />

stellt eine neuropathologische Post-mortem-<br />

Studie vor, die bei dementen PatientInnen im<br />

Vergleich mit nicht dementen PatientInnen<br />

eine deutlich höhere Kachexie nachgewiesen<br />

hat. Neben der Differenzialdiagnose der demenziellen<br />

Syndrome wurde auch die Alimentationshilfe<br />

PEG-Sonde bei dementen PatientInnen<br />

diskutiert.<br />

Dr. Zampieri stellt ihre Studien an KrebspatientInnen<br />

vor, in der sie die Skelettmuskulatur<br />

dieser PatientInnen untersucht hat: Ihre<br />

Ergebnisse zeigen eine subklinische neuropathologisch<br />

darstellbare Myopathie an einer<br />

Gruppe von PatientInnen mit kolorektalen<br />

Krebserkrankungen. Prof. Griesmacher<br />

schloss die Sitzung mit einer Diskussion über<br />

eine mögliche Früherkennung von kachektischen<br />

oder sarkopenischen Erkrankungen aus<br />

Sicht des Labormediziners ab. Sie beleuchtete<br />

die Diagnostik verschiedener Entzündungsmarker<br />

sowie Laborwerte des Glukose- und<br />

Fettstoffwechsels. Insgesamt kommt sie zu<br />

der Schlussfolgerung, dass die derzeitigen Laborwerte<br />

eher für die Aussage des Ist-Zustandes<br />

als zur Vorhersage einer sich ankündigenden<br />

Kachexie oder Sarkopenie genutzt<br />

werden können.<br />

n<br />

45


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Einfluss von Ernährung und Umwelt auf die Pathogenese der MS<br />

Neue Aspekte zu „alten Bekannten“<br />

Beim Symposium der Europäischen Charcot-Foundation, das Anfang Dezember 2010 im italienischen Fiuggi<br />

stattfand, konnten sich die rund 300 TeilnehmerInnen, darunter etwa 25 österreichische MS-SpezialistInnen, von<br />

ausgewiesenen internationalen ExpertInnen einen Überblick über das kontroverse Thema von Ernährung und<br />

Umweltfaktoren bei multipler Sklerose (MS) verschaffen.<br />

NNeben der Entwicklung neuer Therapie -<br />

formen entstand in den letzten Jahren vor<br />

allem in Nordamerika und in den englischsprachigen<br />

Ländern eine zunehmende Fokussierung<br />

auf Umweltfaktoren bei multipler<br />

Sklerose, insbesondere auf den Einfluss von<br />

Vitamin-D-Mangel in der Pathogenese der<br />

MS und auf einen möglichen Therapieansatz<br />

durch Vitamin-D-Substitution. Daher widmete<br />

die European Charcot-Foundation diesem<br />

Thema ihr jährliches Symposium, das im<br />

Dezember 2010 im alterwürdigen Thermalbadeort<br />

Fiuggi in den Hügeln nahe Roms<br />

stattfand. Hochkarätige ExpertInnen aus allen<br />

5 Erdteilen stellten dabei die neuesten<br />

Forschungsergebnisse dar, die zum Teil sehr<br />

kontrovers diskutiert wurden.<br />

In der Eröffnungsrede sprach Prof. A. Ascherio<br />

aus Boston über geografische Faktoren<br />

und Umwelteinflüsse, die eine Rolle in der<br />

Entstehung und Inzidenz der MS haben. Insbesondere<br />

warf er die Frage auf, ob man<br />

durch Beeinflussung von Umweltfaktoren die<br />

Entstehung der MS verhindern könne. Er wies<br />

auf modifizierbare Risikofaktoren wie den<br />

Wohnort (Nord-Süd-Gefälle in den USA und<br />

Europa), Rauchen und Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus<br />

hin. Vor allem hob er die<br />

niedrige Prävalenz von MS bei negativer EBV-<br />

Serologie hervor. Auch ein Wohnortwechsel<br />

in südliche US-Bundesstaaten könne das Risiko,<br />

an MS zu erkranken, senken.<br />

1<br />

Genetische Aspekte: Prof. G. Ebers aus Oxford<br />

präsentierte Daten, die die genetische<br />

Assoziation, insbesondere von HLA-DRB1,<br />

zum Erkrankungsrisiko für MS untermauerten.<br />

Insbesondere der Major Histocompatibility<br />

Complex (MHC) sei hierbei der dominierende<br />

Genlocus. Ebers sprach von einem epigenetischen<br />

Effekt, der durch eine Interaktion<br />

von Umweltfaktoren mit Genen zustande<br />

kommt, die durch Umwelteinflüsse selektiert<br />

werden. Zusätzlich erläuterte er epidemiologische<br />

Daten, die belegen, dass verschiedene<br />

Geburtsmonate auch unterschiedliche Inzidenzraten<br />

von MS-erkrankten PatientInnen<br />

haben. Dabei fanden sich in der nördlichen<br />

Hemisphäre erhöhte Inzidenzraten im Frühsommer<br />

und erniedrigte im Spätherbst.<br />

E. Jakkula aus Finnland präsentierte epidemiologische<br />

Daten, die bis ins 17. Jahrhundert<br />

reichten und die in bestimmten finnischen<br />

Regionen die Abstammung vieler MS-<br />

Kranker aus einigen wenigen Familien<br />

bewies. Auch im Rahmen genetischer Studien<br />

konnte unter anderem das STAT-3-Gen identifiziert<br />

werden, das die Entwicklung von<br />

TH17-Zellen reguliert. Diese CD4+-Th-Zellen<br />

produzieren Interleukin-17 (IL-17), das eine<br />

wichtige Rolle in der Entwicklung von Autoimmunerkrankungen<br />

spielt.<br />

2<br />

Dr. Georg Hruby 1 ,<br />

Priv.-Doz. Dr. Jörg Kraus 2<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Paracelsus Medizinische Privatuniversität<br />

Christian-Doppler-Klinik, Salzburg<br />

MS-bedingte Hirnatrophie: A. Achiron aus<br />

Israel stellte eine innovative MR-Technik vor,<br />

wobei er im Rahmen von MRI-Studien mittels<br />

der SIENA-Technik strukturelle Hirnveränderungen,<br />

insbesondere die Hirnatrophie untersuchte.<br />

Er konnte die raschere Abnahme von<br />

Gehirnmasse bei MS-PatientInnen (0,5 %/<br />

Jahr) im Vergleich zur Normalbevölkerung<br />

(0,15 %/Jahr) nachweisen. Die präsentierten<br />

Daten zeigten auch, dass unter immunmodulatorischen<br />

Therapien (DMT) im ersten Jahr<br />

nach Therapiebeginn überraschenderweise<br />

das Ausmaß der Atrophie beschleunigt war,<br />

jedoch in den 2–3 darauf folgenden Jahren<br />

unter der Therapie vermindert. Dies lässt vermuten,<br />

dass durch DMT die raschere Atrophie<br />

bei MS-PatientInnen insgesamt verlangsamt<br />

werden könnte.<br />

Abgerundet wurde der erste Kongresstag<br />

durch ein Satellitensymposium der Firma Novartis,<br />

in welchem R. Hohlfeld aus München,<br />

D. Arnold aus Montreal und B.C. Kieseier aus<br />

Düsseldorf einen Überblick über das oral verfügbare<br />

Medikament Fingolimod gaben.<br />

Dabei wurde einerseits der exakte Wirkmechanismus<br />

des Sphingosin-Analagons Fingolimod<br />

dargestellt, andererseits wurde mittels<br />

MR-Daten dargelegt, dass Fingolimod auch<br />

die MS-bedingte Hirnatrophie abmildern<br />

kann.<br />

Vitamin-D-Mangel und manifeste MS: E.<br />

Mowry aus San Francisco präsentierte Studi-<br />

46


en, die belegen, dass Vitamin-D-Mangel mit<br />

einer erhöhten Suszeptibilität, an MS zu erkranken,<br />

einhergeht. Es ist jedoch noch unklar,<br />

ob ein veränderter Vitamin-D-Spiegel<br />

einen Einfluss auf die Prognose der bereits<br />

manifesten MS hat. Sie beschrieb auch ethnische<br />

Unterschiede, da Dunkelhäutige einen<br />

niedrigeren Vitamin-D-Spiegel als Weiße<br />

haben. Bisher konnte kein sicherer Zusammenhang<br />

des HLA-DRB1-Status zum Vitamin-<br />

D-Spiegel gefunden werden.<br />

Eine Vitamin-D-Insuffizienz lässt ein erhöhtes<br />

Risiko für Schubereignisse vermuten, jedoch<br />

konnten die bisher erhobenen Daten keinen<br />

sicheren Anhalt geben, dass eine Substitution<br />

von Vitamin D die Schubrate signifikant reduzieren<br />

kann.<br />

Mowry beleuchtete den Zusammenhang des<br />

Vitamin-D-Spiegels mit dem EDSS-Score. Bei<br />

einem höheren EDSS-Score als 4 finden sich<br />

signifikant niedrigere Vitamin-D-Spiegel. Unklar<br />

ist, ob dabei möglicherweise auch die<br />

verminderte Sonnenexposition aufgrund des<br />

höheren Behinderungsgrades und dem damit<br />

verbundenen vermehrtem Aufenthalt in Räumen<br />

eine Rolle spielt.<br />

Immunmodulatorischer Effekt: Dr. J. Correale<br />

aus Buenos Aires sprach über einen<br />

möglichen immunmodulatorischen Effekt<br />

von Vitamin D im Rahmen der MS. Der krankheitsmodifizierende<br />

Effekt komme möglicherweise<br />

dadurch zustande, dass CD4+-Zellen<br />

und autoreaktive T-Zellen Vitamin D metabolisieren<br />

können. Dies könne zu vermehrter<br />

Bildung von IL-10 führen, bei gleichzeitiger<br />

Verminderung von IL-6 und IL-17, was wiederum<br />

einen hemmenden Einfluss auf die<br />

CD4+T-Zell-Proliferation hat.<br />

J. Killestein aus Amsterdam erläuterte geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede bei MS-<br />

PatientInnen in Bezug auf Vitamin-D-Spiegel.<br />

Es gebe eine negative Korrelation von<br />

erniedrigten Vitamin-D-Spiegeln und EDSS<br />

bei Frauen, nicht aber bei Männern. Experimentelle<br />

Studien lassen eine direkte Interaktion<br />

zwischen HLA-DRB1 und dem Vitamin-D-Metabolismus<br />

vermuten. Da Vitamin<br />

D an den HLA-DRB1-Promotor bindet<br />

und dieser Genotyp (insbesondere DRB1*<br />

1501) als Risikoallel für MS angesehen<br />

wird, vermutet man hier einen Zusammenhang.<br />

S. Ramagopalan, Oxford, ging darauf ein,<br />

dass bei Vorliegen einer gewissen genetischen<br />

Suszeptibilität insbesondere betreffend<br />

den HLA-DRB1*1501-Genotyp über einen<br />

durch verminderte Sonnenlichtexposition vermittelten<br />

Vitamin-D-Mangel eine Veränderung<br />

der Immunantwort auftreten kann.<br />

Vitamin-D-Gabe: P. Calabresi aus Baltimore<br />

stellte dar, dass bei einer Vielzahl von Vitamin-D-Präparaten<br />

die vom Hersteller angegebene<br />

Dosis deutlich von der tatsächlich<br />

nachweisbaren Vitamin-Dosis abwich. Dies<br />

war insbesondere bei Hochdosispräparaten<br />

der Fall. Bei einem Präparat konnten tatsächlich<br />

nur 0,24 % der angegebenen Dosis nachgewiesen<br />

werden.<br />

T. Holmoy, Oslo, referierte über Daten aus<br />

dem Tiermodell, wonach nach oraler Gabe<br />

von Vitamin D bei den Versuchstieren nur<br />

etwa 5 % der Konzentrationen im Gehirn<br />

nachweisbar war. Insbesondere ist dabei die<br />

im ZNS nachweisbare Vitamin-D-Konzentration<br />

von der Integrität der Blut-Hirn-Schranke<br />

abhängig.<br />

In einem Satellitensymposium der Firma<br />

MerckSerono wurden durch J. Killestein und<br />

J. Smolders, Sittard, Niederlande, die wissenschaftliche<br />

Grundlage sowie das Design der<br />

FAZIT<br />

Zusammenfassend schaffte es O. Hommes,<br />

Vorsitzender der European Charcot-Foundation,<br />

erneut, in sehr angenehmer<br />

Atmosphäre ein für die tägliche Praxis<br />

wichtiges und interessantes Thema<br />

aufzugreifen. Durch die Auswahl der Vortragenden<br />

gelang es, den TeilnehmerInnen<br />

einen umfassenden Einblick in die<br />

Thematik zu ermöglichen. Allerdings ist<br />

es derzeit so, dass die präsentierten<br />

Daten noch nicht ausreichend sind, um<br />

die beobachteten Effekte abschließend<br />

zu interpretieren, und insbesondere auch<br />

nicht, um eine breite Behandlungsempfehlung<br />

für die Durchführung einer Vitamin-D-Substitution<br />

auszusprechen.<br />

so genannten „SOLAR-Studie“ dargestellt,<br />

bei der untersucht werden soll, ob ein Vitamin-D-Präparat<br />

als Add-on-Gabe zu Interferon-Beta-1a<br />

einen zusätzlichen Effekt auf<br />

die Krankheitsaktivität erreichen kann. M.<br />

Freedman, Toronto präsentierte Ergebnisse<br />

der Studien über die Wirksamkeit von Cladribin<br />

bei MS. Er berichtete über Wirkmechanismen<br />

(Verminderung der Anzahl von<br />

B- und T-Lymphozyten im peripheren Blut)<br />

sowie über die ca. 50%-ige Reduktion der<br />

jährlichen Schubrate unter Cladribin im Vergleich<br />

zu Placebo.<br />

Kontroverse Daten über Umweltfaktoren:<br />

J. Boström, Kristinehamn, stellte sehr<br />

umfassende Daten aus der schwedischen Region<br />

Värmland dar. Dabei ging sie darauf ein,<br />

dass Vitamin-D-Mangel bzw. Sonnenexposition<br />

in dieser Region keine Korrelation zur<br />

MS-Häufigkeit zeigte, wohingegen ein möglicher<br />

Risikofaktor ein Wohnort in der Nähe<br />

von holzverarbeitenden Industriebetrieben<br />

war.<br />

Gleichsam interessante wie auch provokative<br />

Daten wurden von D. Sadovnick, Vancouver,<br />

präsentiert, wonach sich das Nord-Süd-Gefälle<br />

der MS-Prävalenz in der nördlichen Hemisphäre<br />

in den vergangenen Jahrzehnten<br />

deutlich abgeschwächt hat. Entsprechend<br />

diesen Ergebnissen hat die MS-Prävalenz in<br />

südlichen Ländern zuletzt deutlich zugenommen.<br />

Als mögliche Faktoren wurden neben<br />

einer verbesserten medizinischen Versorgung<br />

mit verbesserter Diagnostik der Erkrankung<br />

vor allem auch Lifestyle-Faktoren wie etwa<br />

eine zunehmende Industrialisierung und Änderung<br />

der Ernährungsgewohnheiten diskutiert.<br />

Demgegenüber zeigten Daten von J. Van der<br />

Mei, Hobart, Australien, dass zumindest dort<br />

die Prävalenz der MS deutlich vom Breitengrad<br />

abhängt. In einer sehr angeregten Diskussion<br />

wurden die widersprüchlichen Daten<br />

aus der nördlichen und südlichen Hemisphäre<br />

kontroversiell besprochen.<br />

Eine abschließende Erklärung für dieses Phänomen<br />

eines anscheinend unterschiedlichen<br />

Einflusses des Breitengrades auf beiden Hemisphären<br />

in Bezug auf die MS-Prävalenz erscheint<br />

derzeit jedoch nicht möglich. n<br />

47


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

63. Annual Meeting of the AAN 2011,<br />

Honolulu<br />

Dieses Jahr fand das 63. Treffen der American Academy on Neurology (AAN) in Honolulu, Hawaii statt.<br />

Mit ca. 9000 TeilnehmerInnen aus 93 Ländern ist der AAN-Kongress einer der populärsten und wichtigsten<br />

Kongresse im Bereich der <strong>Neurologie</strong>. Von den mehr als 3000 eingereichten Abstracts wurden 2500 ange -<br />

nommen. Neueste Forschungsergebnisse aus den Gebieten Schlaganfall, Demenz, multiple Sklerose,<br />

Parkinson-Erkrankung, Schädel-Hirn-Traumen, Neuroonkologie, Epilepsie, Kopfschmerzen und Epidemiologie<br />

wurden diskutiert.<br />

IIm Rahmen von Seminaren über Schlaganfälle<br />

wurde im Zusammenhang mit der klinischen<br />

Forschung speziell auf Designfehler<br />

bei Studien im Sinne sogenannter Bias und<br />

Confounder eingegangen. Weiters erfolgte<br />

eine zusammenfassende Erklärung der einzelnen<br />

klinischen Studienphasen und ihrer<br />

Besonderheiten bis hin zur Medikamententestung.<br />

Der juvenile Stroke wurde, ausgehend<br />

von den wahrscheinlichen Ursachen bis<br />

hin zu seltenen Syndromen, die sich durch<br />

begleitende Erkrankungen anderer Organ -<br />

systeme schon bei der Statuserhebung vermuten<br />

lassen, präsentiert. Weiterhin kontroversiell<br />

wurde die Frage diskutiert, wann ein<br />

offenes Foramen ovale verschlossen werden<br />

sollte, wobei gegenwärtig wieder zunehmende<br />

Zurückhaltung bezüglich einer solchen Intervention<br />

besteht. In diesem Zusammenhang<br />

wurde auch noch einmal an die akuten<br />

Komplikationen des Eingriffs, vor allem aber<br />

an die Möglichkeit des Entstehens von Vorhofflimmern<br />

erinnert.<br />

Neuroonkologie<br />

In den neuroonkologischen Seminaren wurde<br />

bei primären Hirntumoren und zerebralen<br />

Metastasen das interdisziplinäre und an<br />

den/die PatientIn angepasste Management in<br />

Form von exemplarischen Fallpräsentationen<br />

dargestellt. Aufgrund der Komplexität neuroonkologischer<br />

Erkrankungen ist ein evidenzbasiertes<br />

diagnostisches und therapeutisches<br />

Vorgehen eingeschränkt möglich.<br />

Nicht zuletzt aus diesem Grund kommt dem<br />

1<br />

2<br />

Dr. Alexander Tinchon 1 ,<br />

Priv.-Doz. Dr. Stefan Oberndorfer 2<br />

Neurologische Abteilung,<br />

Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien<br />

individualisierten Patientenmanagement inklusive<br />

palliativer Aspekte besondere Bedeutung<br />

zu. Ein weiteres wichtiges Feld in der<br />

Neuroonkologie stellte Lisa de Angelis vom<br />

MSCCC in New York vor. In der von ihr organisierten<br />

Session wurde die Wichtigkeit der<br />

<strong>neurologisch</strong>en Expertise bei Neurotoxizität<br />

von onkologischen Therapien, bei <strong>neurologisch</strong>en<br />

Komplikationen von hämatologischen<br />

Erkrankungen, malignen Querschnitter -<br />

krankungen, neoplastischer Meningitis und<br />

symptomatischen Therapien <strong>neurologisch</strong>er<br />

Komplikationen bei Hirntumoren hervorgehoben.<br />

So wurden z. B. die diagnostischen Kriterien<br />

der neoplastischen Meningitis hinterfragt.<br />

Laut Expertenmeinung reicht zur Diagnosesicherung<br />

bereits ein eindeutiges MRT der<br />

Neuroaxis, bei unauffälliger Liquorzellanalyse.<br />

Die Wahrscheinlichkeit, maligne Zellen im Liquor<br />

zu finden, liegt nach der ersten Lumbalpunktion<br />

ohnedies nur bei ca. 60 %. In<br />

Europa ist die Diagnosesicherung üblicherweise,<br />

neben dem MRT, mit einer typischen<br />

<strong>neurologisch</strong>en Klinik und/oder dem Vorliegen<br />

von malignen Zellen im Liquor verknüpft.<br />

Bei malignen Querschnittsyndromen wurden<br />

rezente Daten vorgelegt, welche die Bedeutung<br />

einer akuten interdisziplinären Behandlungsstrategie<br />

für das positive Outcome der<br />

PatientInnen bestätigten. Bei klinischen Symptomen<br />

einer Myelonkompression wird die<br />

perakute Dexamethasongabe und eine sofortige<br />

lokale Strahlentherapie empfohlen, es sei<br />

denn, es bestehen Indikationen für ein akutes<br />

chirurgischen Vorgehen wie knöcherne Myelonkompression,<br />

unklare Dignität, oder z. B.<br />

Progression unter akuter Strahlentherapie.<br />

Auch moderne onkologische Therapien, sogenannte<br />

„zielgerichtete Therapien“, können<br />

zu einer erheblichen Neurotoxizität im Bereich<br />

des zentralen und peripheren Nervensystems<br />

führen. Beispiele sind verschiedene<br />

monoklonale Antikörper wie z. B. Rituximab<br />

oder Bevacizumab und die progressive multifokale<br />

Leukenzephalopathie, oder das Thalidomid-Analogon<br />

Lenalidomid oder Bortezomib<br />

und Polyneuropathien.<br />

Aufgrund der diagnostischen und therapeutischen<br />

Komplexität auf diesem Gebiet wird<br />

international ein interdisziplinäres Ausbildungscurriculum<br />

für den Bereich Neuroonkologie<br />

forciert. Die fächerübergreifende<br />

Expertise und die Etablierung neuroonkologischer<br />

Tumorboards kann zu einer wesentlichen<br />

Qualitätssteigerung in der Betreuung<br />

von neuroonkologischen PatientInnen führen.<br />

n<br />

48


FÜR DIE GUTACHTERLICHE PRAXIS<br />

Epilepsie und Arbeits(un)fähigkeit –<br />

Rechtsprechung versus <strong>neurologisch</strong>e<br />

(psychiatrische) Aspekte<br />

Die Rechtsprechung nimmt in der Frage, ab wann in Pensionsverfahren bei an Epilepsie leidenden Pensions -<br />

werberInnen von Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden kann, einen strengen Standpunkt ein. Aus vielen<br />

obergerichtlichen Entscheidungen ist ersichtlich, dass auch bei einer völlig unbefriedigenden Einstellung von<br />

Anfällen ein Verlust der Arbeitsfähigkeit in der Regel nicht angenommen wird. Aus <strong>neurologisch</strong>-psychiatrischer<br />

Sicht fällt allerdings auf, dass in keiner dieser Entscheidungen auf Probleme wie hirnorganisches Psycho -<br />

syndrom, allenfalls sogar beginnende Demenz, eingegangen wird. Freilich könnte dies auch daran liegen, dass<br />

die vom Gericht beigezogenen <strong>neurologisch</strong>en Sachverständigen (SV) diesem Problemkreis zu wenig Beachtung<br />

schenken. In der Folge werden eine Reihe obergerichtlicher Entscheidungen vorgestellt und Vorschläge zur<br />

<strong>neurologisch</strong>en Begutachtung von AnfallspatientInnen für das Sozialgericht zur Diskussion gestellt.<br />

Rechtliche Grundlagen<br />

Epilepsie ist eine in Pensionsverfahren vor den<br />

Arbeits- und Sozialgerichten häufig gestellte<br />

Diagnose. Aufgrund der unterschiedlichen Erscheinungsformen<br />

gestaltet sich die Beurteilung,<br />

inwieweit durch dieses Leiden das medizinische<br />

Leistungskalkül bzw. in der Folge<br />

die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt sind, oft<br />

schwierig. Grundsätzlich wird ein Ausschluss<br />

vom Arbeitsmarkt dann angenommen, wenn<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer<br />

Krankenbehandlung zu erwartende<br />

leidensbedingte Krankenstände (einschließlich<br />

Kuraufenthalte) von jährlich 7 Wochen<br />

und darüber oder krankheitsbedingte zusätzliche<br />

notwendige Arbeitspausen in erheblichem<br />

Umfang festgestellt werden. Epilepsie<br />

stellt somit grundsätzlich kein absolutes Hindernis<br />

für eine geregelte Beschäftigung dar.<br />

Maßgebend dafür, ob eine Epilepsie im Einzelfall<br />

nach der Rechtsprechung tatsächlich<br />

Invalidität begründet, sind der Grad der Erkrankung,<br />

die dadurch bewirkte Art und Häufigkeit<br />

der Anfälle sowie deren allfällige<br />

Folgeerscheinungen und die dadurch bedingten<br />

Auswirkungen auf die Eingliederbarkeit<br />

ins Berufsleben.<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Werner Laubichler<br />

Facharzt für <strong>Neurologie</strong><br />

und Psychiatrie,<br />

Gerichtssachverständiger,<br />

Salzburg<br />

Mag. a Petra Smutny<br />

Richterin des OLG Wien<br />

Wohl sehr maßgeblich beeinflusst von Scherzer<br />

1 galt im vorigen Jahrhundert die Faustregel,<br />

dass ein tageszeitlich ungebundener<br />

Grand-Mal-Anfall pro Monat bzw. ein partieller<br />

Anfall pro Woche mit Arbeitsunfähigkeit<br />

verbunden sei, weil sich niemand mit<br />

einer solchen Anfallfrequenz am Arbeitsmarkt<br />

halten könne. Bezogen auf die posttraumatische<br />

Epilepsie galt dies auch als der<br />

offizielle Standpunkt in der AUVA. Ende der<br />

1990er Jahre hat sich die Rechtsprechung jedoch<br />

erheblich verschärft und mit ihr auch<br />

die Grundlagen für die <strong>neurologisch</strong>-psychia -<br />

trischen Sachverständigen.<br />

Die Gerichte haben sich auch seither mit epileptischen<br />

Zustandsbildern unterschiedlichster<br />

Ausprägung und Ursache und der daraus<br />

resultierenden Frage des Ausschlusses vom<br />

Arbeitsmarkt in einer Vielzahl von Entscheidungen<br />

zu befassen gehabt. In der Judikatur<br />

wird dabei sehr zurückhaltend agiert und<br />

selbst bei relativ massiven Beeinträchtigungen<br />

zumeist kein Ausschluss vom Arbeitsmarkt<br />

angenommen. So wurden beispielsweise<br />

nicht nur epileptische Anfälle ca. alle<br />

4 bis 5 Monate (RIS-Justiz RS0085011) bzw.<br />

alle 6 Monate (OLG Wien 7 Rs 95/09f), sondern<br />

auch das Auftreten eines großen epileptischen<br />

Anfalls nur einmal (SVSlg 38.024),<br />

ein- bis zweimal pro Monat (SVSlg 38.035),<br />

durchschnittlich zweimal pro Monat (SVSlg<br />

48.944, 46.007), bis zu zweimal monatlich<br />

unerwartet auftretende epileptische Anfälle,<br />

die mit einer Arbeitsunfähigkeit von jeweils<br />

4 Stunden verbunden sind (SSV-NF 4/168),<br />

durchschnittlich zwei epileptische GM-Anfälle<br />

pro Monat, die einen höchstens einige<br />

Stunden währenden Dämmer- oder Schläfrigkeitszustand<br />

zur Folge haben (SSV-NF<br />

5/82), aber auch bis zu zweimal monatlich<br />

54


(große) epileptische Anfälle mit Arbeitsunfähigkeit<br />

bis zu zwei Tagen (SSV-NF 10/69),<br />

zwei bis drei große Anfälle mit einer damit<br />

verbundenen Arbeitsunfähigkeit von jeweils<br />

ca. zwei Stunden sowie 5 mittlere und 3 bis<br />

4 kleine Anfälle mit einer daraus resultierenden<br />

Arbeitsunfähigkeit von jeweils ca. 15 Minuten<br />

(10 ObS 165/03t), drei epileptische Anfälle<br />

monatlich, die jeweils rund 5 Minuten<br />

dauern und teilweise mit einer anschließenden<br />

Arbeitsunfähigkeit (Dämmerzustand) von<br />

bis zu zwei Stunden (OLG Wien 10 Rs<br />

60/09f), 4 epileptische Anfälle im Monat, die<br />

überwiegend nachts auftreten und eine Arbeitsunfähigkeit<br />

von ein bis zweimal monatlich<br />

für jeweils einige Stunden mit sich bringen<br />

(SVSlg 40.574), nicht als für den Arbeitsmarkt<br />

ausschlussbegründend erachtet.<br />

Anmerkungen zur Judikatur<br />

aus <strong>neurologisch</strong>-psychiatrischer<br />

Sicht<br />

Eine umfassendere Zusammenstellung obergerichtlicher<br />

Entscheidungen mit eingehender<br />

Besprechung wurde anderen Orts publiziert.<br />

2<br />

Zur Diskussion werden in der Folge an dieser<br />

Stelle jedoch einige Entscheidungen herausgegriffen<br />

und dabei wesentliche Ablehnungsgründe<br />

bzw. Umstände, die nicht für einen<br />

Ausschluss vom Arbeitsmarkt ausreichend erachtet<br />

wurden, unter Bezugnahme auf das<br />

jeweilige Ausmaß des Epilepsieleidens zusammengefasst.<br />

OGH 26. 5. 1992, 10 ObS 72/92 = SVSlg<br />

38.024: Es besteht Alkoholmissbrauch, aber<br />

keine Polyneuropathie; einmal monatlich ein<br />

GM-Anfall, möglicherweise auch auf dem<br />

Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte,<br />

mit nachfolgender Arbeitsunfähigkeit für diesen<br />

Tag; wegen dieser Anfälle kommt es zu<br />

höchstens zwölf Krankenstandstagen im Jahr.<br />

Dass ein Epileptiker insbesondere wegen der<br />

bei Arbeitgebern und Arbeitskollegen negative<br />

Gefühle auslösenden Begleitumstände<br />

der (großen) Anfälle vom allgemeinen Arbeitsmarkt<br />

ausgeschlossen wäre, ist weder<br />

festgestellt noch offenkundig. Es besteht<br />

auch kein diesbezüglicher allgemeiner Erfahrungssatz.<br />

Der Versicherte wurde (daher) auch nicht vom<br />

allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen<br />

und somit nicht als invalid erachtet.<br />

Der hier ausgewiesene Fall wirkt gemessen<br />

an vergleichsweise weit verbreiteten Vorurteilen<br />

gegenüber EpileptikerInnen weltfern.<br />

Zu verweisen ist auf eine Umfrage durch die<br />

deutsche Sektion der internationalen Liga<br />

gegen Epilepsie 1996. 3 Demnach halten 20 %<br />

der Befragten die Epilepsie für eine Geisteskrankheit;<br />

21 % meinen, EpileptikerInnen<br />

sollen nicht heiraten; 15 % wollen nicht, dass<br />

die eigenen Kinder Kontakt mit EpileptikerInnen<br />

haben; 11 % waren gegen eine berufliche<br />

oder soziale Integration von anfallskranken<br />

Personen. Diese Einstellung gegenüber<br />

EpileptikerInnen ist zwar jüngeren<br />

Umfragen zufolge tendenziell weniger negativ.<br />

4 2008 waren aber in Deutschland immer<br />

noch 13 % gegen eine berufliche Integration<br />

von EpileptikerInnen. Bemerkenswert ist hierzu<br />

auch eine Studie des Epilepsiezentrums<br />

Bethel/Bielefeld aus 1992/93. 5 Danach standen<br />

29 % arbeitslose Anfallskranke (mit einer<br />

durchschnittlichen Dauer von 27,4 Monaten)<br />

13 % arbeitslosen schwerbehinderten Personen<br />

aus anderen Gründen (mit einer durchschnittlichen<br />

Dauer von 20 Monaten) und<br />

7,4 % arbeitslosen Personen in der Allgemeinbevölkerung<br />

(mit einer durchschnittlichen<br />

Dauer von 12 Monaten) gegenüber. Der<br />

Begriff „schwerbehindert“ in Deutschland<br />

entspricht einer Einstufung von mindestens<br />

50 % GdB durch unser Bundessozialamt.<br />

OGH 16. 7. 1996, 10 ObS 2182/96x = SSV-<br />

NF 10/69: Die 48-jährige Klägerin leidet seit<br />

dem 14. Lebensjahr an Anfällen, derzeit an<br />

Leberzirrhose und ein bis zwei GM-Anfällen<br />

monatlich – nahezu immer tagsüber – mit<br />

ein- bis zweitägigem Krankenstand; sieben<br />

Wochen Krankenstand oder mehr jährlich<br />

nicht ableitbar, sondern bloß max. 48 Tage<br />

(= 6,85 Wochen!).<br />

Es ist nicht auszuschließen, dass es bei vielen<br />

hart wirkenden Entscheidungen bezüglich<br />

Epilepsie, Anfallsfrequenz und Arbeitsfähigkeit<br />

letztlich das Gericht nur das Gutachten<br />

eines <strong>neurologisch</strong>en SV umgesetzt hat.<br />

Wenn es bei Tagungen zu Diskussionen von<br />

RichterInnen und medizinischen SV kommt,<br />

wird von Ersteren öfter behauptet, dass bei<br />

Entscheidungen, die für Ärzte nicht immer<br />

verständlich sind, das Gutachten eines medizinischen<br />

SV ausschlaggebend war. Die vorstehende,<br />

aus <strong>neurologisch</strong>er Sicht verwunderliche<br />

Entscheidung kann daher eventuell<br />

auch das Produkt einer extremen Meinung<br />

eines <strong>neurologisch</strong>en SV sein, es ist nicht ausschließbar,<br />

dass derselbe Fall vielleicht ganz<br />

anders verlaufen wäre, wenn er von einem<br />

anderen <strong>neurologisch</strong>en SV begutachtet worden<br />

wäre. Bekanntlich bedeuten sieben Wochen<br />

„leidensbedingter“ Krankenstand pro<br />

Jahr Arbeitsunfähigkeit. Dass bei diesem Beispiel<br />

wegen einem Tag weniger die Pension<br />

verweigert wurde, obwohl auch eine Leberzirrhose<br />

bestand, ist merkwürdig. Wahrscheinlich<br />

hat der internistische Gutachter<br />

diese als (noch) irrelevant bezeichnet.<br />

OGH 5. 10. 1999, 10 ObS 88/99k = SSV-<br />

NF 13/93: Beim Kläger besteht ein neurasthenisch-depressiver<br />

Verstimmungszustand<br />

mit vegetativer Labilität. Es liegt ein Anfallsleiden<br />

aufgrund einer Gehirnhautentzündung<br />

in der Kindheit vor, welches sich in Absencen<br />

äußert, wobei der Kläger in seinem<br />

Bewegungsablauf innehält, einige Sekunden<br />

abwesend ist und dann in seinem Handlungsablauf<br />

fortfährt. Diese Absencen sind nicht<br />

mit Stürzen, Vergesslichkeit oder Gedächtnislücken<br />

verbunden. Dieses Anfallsleiden liegt<br />

unverändert seit der Kindheit vor. Mit derartigen<br />

Absencen ist bei medikamentöser Einstellung<br />

höchstens ein bis zweimal monatlich<br />

zu rechnen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt<br />

könnte der Kläger unter Außerachtlassung<br />

des Anfallsleidens und den damit verbundenen<br />

Absencen noch primär technische<br />

Kundenberater-Berufstätigkeiten ausüben.<br />

Das vorhandene Anfallsleiden und die damit<br />

verbundenen Absencen schließen diese Tätigkeiten<br />

zwar aus. Es handelt sich dabei jedoch<br />

um einen in das Erwerbsleben eingebrachten<br />

und im Wesentlichen unverändert<br />

bestehenden Zustand, der bei der Prüfung<br />

der Berufsunfähigkeit außer Betracht zu bleiben<br />

hat.<br />

Auch dieser Fall ist eine Diskussion wert. Offenbar<br />

nahm die Justiz an, dass von Anfang<br />

an keine wirkliche Arbeitsfähigkeit vorlag.<br />

Früher war es nicht unüblich, dass behinderte<br />

Personen angestellt wurden, eventuell im u<br />

55


FÜR DIE GUTACHTERLICHE PRAXIS<br />

Familienbetrieb, ohne dass sie wirklich eine<br />

Leistungsfähigkeit, wie am „allgemeinen<br />

Arbeitsmarkt“ verlangt, erbringen konnten.<br />

Eine solche Einschleusung in die Sozialversicherung<br />

wurde durch Gesetzgebung und<br />

Rechtsprechung schließlich unterbunden. In<br />

diesem Fall ist allerdings offen, ob anfänglich<br />

doch – gerade noch – Arbeitsfähigkeit vorlag<br />

und durch einen weiteren vorzeitigen Abbau<br />

Arbeitsunfähigkeit eintrat, wie dies bei behinderten<br />

Personen häufig zu beobachten ist.<br />

Sollte dies doch so der Fall gewesen sein,<br />

dann lag ein Versäumnis des Gutachters vor,<br />

der nicht darauf verwies, dass ein vorliegendes<br />

hirnorganisches Psychosyndrom sich erheblich<br />

verschlechtert habe. Ähnliche Überlegungen<br />

treffen auch auf die beiden nachstehenden<br />

Beispielsfälle zu.<br />

OGH 14. 1. 2003, 10 ObS 334/02 v = SSV-<br />

NF 17/2: Während ihrer Lehrzeit zur Tierpflegerin<br />

und der nachfolgenden Beschäftigung<br />

während der Behaltepflicht erlitt die<br />

Klägerin fast täglich epileptische Anfälle.<br />

Diese Anfälle kündigten sich einerseits durch<br />

eine Veränderung der Gesichtsfarbe, andererseits<br />

durch ein Zucken an. In weiterer Folge<br />

wäre die Klägerin umgefallen, wenn sie nicht<br />

von einer Arbeitskollegin „aufgefangen“ worden<br />

wäre. Ein Anfall dauert ein bis zwei Minuten.<br />

Die Klägerin nahm dann eine Tablette<br />

und arbeitete weiter. Die Arbeitskollegin arbeitete<br />

räumlich so nahe bei der Klägerin,<br />

dass sie mit Ausnahme eines einzigen Falles<br />

immer in der Lage war, die Klägerin aufzufangen,<br />

wenn sich ein epileptischer Anfall<br />

ankündigte. Die Arbeitskollegin war vom<br />

Dienstgeber unter Hinweis auf die epileptischen<br />

Anfälle dazu aufgefordert worden, auf<br />

die Klägerin aufzupassen. Im Betrieb wurde<br />

auf diese Weise auf die Erkrankung der Klägerin<br />

Rücksicht genommen. Das Krankheitsbild<br />

besteht seit dem 5. Lebensjahr mit häufigen<br />

echten epileptischen Anfällen. Im Laufe<br />

des Lebens wurde das Zustandsbild noch<br />

durch dissoziative Anfälle verschlechtert. Ein<br />

Zeitpunkt, an dem diese Verschlechterung<br />

eingetreten ist, ist nicht mit Sicherheit festzustellen.<br />

Wegen hoher Verletzungsgefahr ist<br />

eine Tätigkeit, die nicht ununterbrochen beaufsichtigt<br />

wird, nicht verantwortbar. Zum<br />

Zeitpunkt des Eintritts in das Erwerbsleben<br />

bestand keine Fähigkeit, ohne Entgegenkommen<br />

des Dienstgebers Arbeiten am allgemeinen<br />

Arbeitsmarkt zu verrichten.<br />

OGH 1. 7. 2003, 10 ObS 165/03 t: Der 40-<br />

jährige Kläger leidet an epileptischen An -<br />

fällen, deren Ursache in einem zurückliegenden<br />

Alkoholkonsum und einem Schädel-Hirn-<br />

Trauma liegt. Es treten drei Typen von<br />

Anfällen auf: durchschnittlich zwei bis drei<br />

große Anfälle monatlich, verbunden mit Bewusstlosigkeit<br />

mit anschließender Orientierungslosigkeit<br />

und in der Folge Arbeitsunfähigkeit<br />

von jeweils ca. zwei Stunden. Beim<br />

zweiten Anfallstyp ist der Kläger kurz weggetreten<br />

und hat Erinnerungslücken, dies ca.<br />

fünfmal pro Monat. Daraus resultiert eine Arbeitsunfähigkeit<br />

von etwa 15 Minuten. Der<br />

dritte, leichte Anfallstyp (epigastrische Auren)<br />

äußert sich in einem unguten Gefühl in der<br />

Magengegend, dies zwischen drei- und viermal<br />

monatlich, wobei die Dauer der Arbeitsunfähigkeit<br />

ebenfalls etwa 15 Minuten beträgt.<br />

Die Anfälle ereignen sich zu keinen bestimmten<br />

Tageszeiten, treten an jedem<br />

Wochentag auf, unabhängig davon, ob der<br />

Kläger arbeitet oder nicht. Von Februar bis<br />

August 2002 erlitt der Kläger insgesamt 77<br />

Anfälle. Die schweren Anfälle nehmen zu.<br />

Diskussion<br />

Völlige Übereinstimmung aller <strong>neurologisch</strong>en<br />

GutachterInnen wird grundsätzlich nicht erreichbar<br />

sein. Nach Möglichkeit sollten aber<br />

alle <strong>neurologisch</strong>en GutachterInnen die gleichen<br />

in Betracht kommenden Behinderungen<br />

oder Störungen berücksichtigen und sich von<br />

der Ansicht trennen, dass allein der Anfallstyp<br />

und die Frequenz der Anfälle von Bedeutung<br />

sind. Die Problematik sollte nach folgenden<br />

Richtlinien bearbeitet werden:<br />

1. Anfallstyp (Praktisch nur tageszeitlich<br />

ungebundene Anfälle sind bedeutsam.)<br />

2. Frequenz<br />

3. Länge der postiktischen Beeinträchtigung;<br />

Ausfall über einen Tag? Ausfall<br />

nur kurz?<br />

4. Verletzungsrisiko bzw. Voraussehbarkeit<br />

des drohenden Anfalles? (Aura?)<br />

Commotio cerebri durch Sturz?<br />

5. Hirnorganisches Psychosyndrom und/oder<br />

medikamentöse Beeinträchtigung<br />

6. Komorbitäten<br />

7. Leidensbedingte Krankenstandszeiten<br />

durch Komorbitäten werden durch<br />

Anfälle meist negativ beeinflusst.<br />

8. Berufsschutz (Bestimmte Berufe sind mit<br />

Anfällen nicht vereinbar.)<br />

Zu Punkt 1. ist festzuhalten, dass die Schlaf -<br />

epilepsie und Aufwachepilepsie für sich alleine<br />

in der Regel keinen Ausschluss von der<br />

Arbeitsfähigkeit darstellen, allerdings wird<br />

eine Schlafepilepsie mit hoher Frequenz<br />

ebenfalls zu einem organischen Psychosyndrom<br />

führen. Auch die Frequenz (Punkt 2.)<br />

ist für sich alleine in vielen Fällen, selbst bei<br />

völlig unbefriedigender Einstellung, nicht entscheidend,<br />

wie aus den zitierten oberstgerichtlichen<br />

Entscheidungen hervorgeht.<br />

Wichtiger ist hingegen Punkt 3., die Länge<br />

der postiktischen Beeinträchtigung, die<br />

manchmal nur kurz ist, sich hin und wieder<br />

aber doch länger als über einen Tag erstreckt.<br />

Wichtig erscheint schließlich vor allem Punkt<br />

4., die Voraussehbarkeit des drohenden Anfalles,<br />

weil davon entscheidend das Verletzungsrisiko<br />

bestimmt wird. Wird der/die PatientIn<br />

vom Anfall völlig überrascht, sind<br />

Sturzverletzungen häufig. Es kann auch zu<br />

Knochenbrüchen kommen. Zu bedenken ist,<br />

dass auch im Anfall durch den Sturz eine<br />

Commotio cerebri zugefügt werden kann.<br />

Praktisch jeder GM-Anfall stellt durch die Zyanose<br />

eine minimale Hirnschädigung dar, die<br />

sich allmählich summiert. Werden immer wieder<br />

durch den Sturz zusätzliche Commotiones<br />

zugefügt, dann beschleunigt dies das<br />

Auftreten eines Psychosyndroms und verlängert<br />

Krankenstandszeiten möglicherweise<br />

drastisch. Daher ist (Punkt 5.) bei unbefriedigendem<br />

Anfallsverlauf im besonderen<br />

Maße auf ein allfälliges hirnorganisches Psychosyndrom<br />

zu achten, das mitunter die Arbeitsfähigkeit<br />

in höherem Ausmaß beeinträchtigt<br />

als die Anfälle selbst. Die modernen<br />

Antikonvulsiva sind nebenwirkungsarm, d. h.<br />

kaum sedierend, doch ist an Interaktionen<br />

mit Medikamenten zu denken, die aus anderen<br />

Gründen verordnet werden.<br />

Bedeutsam ist auch Punkt 6., die Komorbitäten,<br />

die durch gleichzeitige zerebrale Anfälle<br />

negativ beeinflusst werden können. In<br />

56


der Praxis wird gehandhabt, dass voraussehbare<br />

leidensbedingte Krankenstandszeiten<br />

aus verschiedenen Fachgebieten nicht addiert,<br />

sondern durch „Überschneidungen“<br />

gerafft werden. Zu bedenken ist dabei, dass<br />

Anfälle die leidensbedingten Krankenstandszeiten<br />

aus Komorbitäten vermehren können<br />

(Punkt 7.). Bekanntlich kann bisweilen ein<br />

GM-Anfall zu einem Kompressionsbruch von<br />

Wirbelkörpern führen. Dies ist zwar selten,<br />

wenn aber das orthopädische Gutachten aus<br />

einer Erkrankung der Wirbelsäule gewisse<br />

Krankenstandszeiten als wahrscheinlich hinstellt,<br />

dann können zusätzliche zerebrale Anfälle<br />

diese Krankenstandszeiten in die Höhe<br />

schnellen lassen. Wenn z. B. das orthopädische<br />

Gutachten leidensbedingte Krankenstandszeiten<br />

von vier bis fünf Wochen als<br />

wahrscheinlich voraussagt, dann können<br />

häufige GM-Anfälle die Krankenstandszeit<br />

über die Sieben-Wochen-Grenze anheben.<br />

Zuletzt ist auf den Berufsschutz zu verweisen<br />

(Punkt 8.). Manche Berufe sind mit zerebralen<br />

Anfällen unvereinbar. Hierzu ist vor allem auf<br />

das Beispiel des/der FlugzeugpilotIn zu verweisen,<br />

der/die wohl aufgrund eines einzigen<br />

Anfalles die Fähigkeit zu dieser Berufsausübung<br />

verliert. Allerdings verschiebt sich bei<br />

diesen Fällen die Problematik aus dem <strong>neurologisch</strong>-medizinischen<br />

Fachbereich hin zur<br />

Berufskunde bzw. wird sie zu einer reinen<br />

Rechtsfrage, weil die Verweisbarkeit in einen<br />

allfällig zumutbaren anderen Beruf den <strong>neurologisch</strong>en<br />

SV nur am Rande berührt.<br />

Abschließend ist nochmals auf das hirnorganische<br />

Psychosyndrom zu verweisen, das oftmals<br />

in höherem Ausmaß die rechtliche Voraussetzung<br />

zur Pensionierung begründet als<br />

die Anfälle selbst. Insofern erscheint es bedauerlich,<br />

dass Testuntersuchungen in der<br />

Mitte des vorigen Jahrhunderts gänzlich den<br />

PsychologInnen überlassen wurden und<br />

heute in der Fachausbildung kaum mehr die<br />

Möglichkeit besteht, Testverfahren zu erlernen.<br />

Jede/r gutachterlich tätige Neurologe/-in<br />

sollte doch zumindest einige Tests für Screeninguntersuchungen<br />

erwerben (es soll nicht<br />

unerwähnt bleiben, dass durch die Entscheidung<br />

des OGH vom 6. 5. 2010 – 12 Os<br />

22/10t, 12 Os 23/10i – diese Testuntersuchungen<br />

durch ÄrztInnen auch verrechenbar<br />

sind). Allenfalls haben <strong>neurologisch</strong>e SV auf<br />

die Notwendigkeit einer psychologischen<br />

bzw. arbeitspsychologischen Untersuchung<br />

zu verweisen. Möglich wäre, dass der <strong>neurologisch</strong>e<br />

SV ein psychologisches Subgutachten<br />

ausarbeiten lässt, was von den Gerichten<br />

regelmäßig bewilligt wird.<br />

Auffällig ist, dass in keiner Entscheidung die<br />

Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms<br />

enthalten ist, was nur an den <strong>neurologisch</strong>en<br />

SV liegen kann, die eine solche<br />

Diagnose offenbar kaum stellen und zu<br />

wenig auf die daraus resultierenden Behinderungen<br />

verweisen. Dass in der Rechtsprechung<br />

organische Psychosyndrome nicht aufscheinen,<br />

kann nur daran liegen, dass die<br />

<strong>neurologisch</strong>en SV diesen ganzen Problemkreis<br />

zu wenig berücksichtigen. In vielen Fällen<br />

einer unbefriedigenden Einstellung einer<br />

seit Kindheit bestehenden Epilepsie ist der<br />

fortschreitende Abbau kognitiver Leistungen<br />

entscheidender als die Anfallsfrequenz. n<br />

1 Scherzer, Krösl: Handbuch der chirurgischen und<br />

<strong>neurologisch</strong>en Unfallbegutachtung in der Privatunfallversicherung.<br />

Maudrich, Wien-München-Berlin 1994,<br />

S 526<br />

2 Smutny, Laubichler: Epilepsie und geminderte Arbeits -<br />

fähigkeit. ZAS 03/2011;169<br />

3 Thorbeck, Rating: Was denkt man über Epilepsie?<br />

Epilepsie-Blätter 1996; 9:71–95<br />

4 Brandt: Meinungen und Einstellungen zur Epilepsie,<br />

Informationszentrum Epilepsie (ize) der Dt. <strong>Gesellschaft</strong><br />

für Epileptologie e.V. 2010;<br />

www.izepilepsie.de/home/showdoc, ici, 387, aid, 3092,<br />

htme; Thorbeck, Pfäffling, May, Cobin, Stephani, Balsmeier:<br />

Einstellung zur Epilespsie in Deutschland 1967 –<br />

2008. Zeitschr. f. Epileptologie 2010:82–97<br />

5 Kempen, Elmer, Göcke: Handbuch Epilepsie u. Arbeit,<br />

Verlag Einfälle Berlin 2002<br />

<strong>neurologisch</strong><br />

Aktuelle wissenschaftliche Arbeiten aus Österreich<br />

Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen,<br />

In der Fachzeitschrift <strong>neurologisch</strong> der Österreichischen <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong> werden in der Rubrik „<strong>Neurologie</strong> aus<br />

Österreich“ bereits veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten österreichischer NeurologInnen in Kurzfassung vorgestellt.<br />

Wenn Sie eine deutsche Kurzfassung einer aktuellen, bereits publizierten oder in Druck befindlichen Studie, die Sie durchgeführt<br />

oder an der Sie mitgearbeitet haben, in <strong>neurologisch</strong> veröffentlichen wollen, ersuchen wir Sie um eine kurze Mitteilung an<br />

E-Mail: <strong>neurologisch</strong>@medmedia.at oder<br />

MedMedia Verlag, Natascha Fial, 1070 Wien, Seidengasse 9/Top 1.1<br />

Wir freuen uns auf Ihre Einsendung!<br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />

Chefredaktion <strong>neurologisch</strong><br />

Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />

57


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Bewegungsstörungen<br />

Unterscheidung von psychogener<br />

und organischer Dystonie<br />

Zirka 2–3 % der PatientInnen in Bewegungsstörungskliniken<br />

leiden an einer psychogenen<br />

Bewegungsstörung. Die frühe Diagnosestellung<br />

gilt als modifizierender Faktor hinsichtlich<br />

Prognose und Langzeit-Outcome und ist<br />

entscheidend zur Vermeidung unnötiger und<br />

potenziell schädigender diagnostischer und<br />

therapeutischer Maßnahmen. Die Diagnose<br />

einer psychogenen Bewegungsstörung soll<br />

keinesfalls als reine Ausschlussdiagnose organischer<br />

Erkrankungen erfolgen, sondern<br />

anhand positiver klinischer und anamnestischer<br />

Kriterien. 1 Dennoch stellt die Diagnos -<br />

tik psychogener Bewegungsstörungen KlinikerInnen<br />

oft vor eine große Herausforderung,<br />

und apparative Hilfsmittel wären wünschenswert.<br />

Zur Unterscheidung von psychogenem<br />

versus organischem Tremor und Myoklonus<br />

wurden verschiedene elektrophysiologische<br />

Tests vorgeschlagen, und in der Differenzialdiagnose<br />

organischer versus psychogener<br />

Parkinsonismus kann ein Dopamintransporter<br />

SPECT hilfreich sein.<br />

psychogener und organischer Dystonie<br />

gewidmet. Überraschenderweise zeigten<br />

PatientInnen mit psychogener Dystonie dieselbe<br />

verminderte kortikale und spinale Inhibierung<br />

wie organische Dystonien. 3, 4 Dies<br />

könnte durch sekundäre zentrale Veränderungen<br />

bei chronischer abnormaler Körperhaltung,<br />

zentrale Prädisposition für die Entwicklung<br />

einer Dystonie oder aber durch eine<br />

zugrunde liegende psychiatrische Erkrankung<br />

bedingt sein. Einen „ersten Lichtblick“ für<br />

eine mögliche apparative Unterscheidung<br />

beider Gruppen ergab eine Studie von Quartarone<br />

et al., welche – zumindest auf Gruppenebene<br />

– abnorme kortikale Plastizität<br />

anhand eines TMS-Protokolls (PAS – paired<br />

associative stimulation) nur bei organischer<br />

Abb. 1: Doppelblinkreflex einer gesunden Kontrollperson<br />

Dystonie und nicht bei PatientInnen mit psychogener<br />

fixierter Extremitätendystonie<br />

fand. 5<br />

Studie bei Blepharospasmus<br />

Wir führten kürzlich eine Studie zur Unterscheidung<br />

von psychogenem und organischem<br />

Blepharospasmus durch. 6 Blepharospasmus<br />

ist eine fokale Dystonie mit spätem<br />

Beginn, gekennzeichnet durch exzessives<br />

unwillkürliches Schließen der Augen. Auch<br />

organischer Blepharospasmus kann mit<br />

„ungewöhnlichen“ Merkmalen assoziiert<br />

sein, indem er intermittierend, variabel und<br />

ablenkbar erscheint oder sich unter Umständen<br />

durch Konzentration und Anspannung<br />

Differenzialdiagnose bei Dystonie: Unsicherheiten<br />

bestehen häufig auch bei der<br />

Unterscheidung von psychogener und organischer<br />

Dystonie, was nicht zuletzt daran<br />

liegt, dass die Dystonie sehr lange fälschlicherweise<br />

generell als psychogene Störung<br />

erachtet wurde. Klinische Hinweise für das<br />

Vorliegen einer psychogenen Dystonie sind<br />

unter anderem plötzlicher Beginn, paroxysmales<br />

Auftreten und von Beginn an bestehende<br />

fixierte Körperfehlhaltungen, im<br />

Gegensatz zur mobilen und klassischerweise<br />

bei bestimmten Tätigkeiten verstärkten Ausprägung<br />

organischer Dystonien. 2<br />

Nur wenige elektrophysiologische Studien<br />

haben sich bisher der Unterscheidung von<br />

Applikation eines elektrischen Doppelreizes über dem Nervus supraorbitalis mit einem Interstimulus -<br />

intervall (ISI) von 200 ms und Ableitung mittels Oberfächen-EMG vom ipsilateralen M. orbicularis oculi<br />

zeigt eine signifikante Amplitudenabnahme im Vergleich der ersten (lila) unkonditionierten zur zweiten<br />

(grün) konditionierten R2-Antwort.<br />

Quelle: Schwingenschuh P<br />

58


-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

Zusammengestellt für den Beirat „Bewegungsstörungen“:<br />

Dr. Petra Schwingenschuh<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Graz<br />

Abb. 2: Vergleich der R2-Blinkreflex-Erholungskurven<br />

R2-konditioniert/R2-unkonditioniert (%)<br />

120 -<br />

100 -<br />

80 -<br />

60 -<br />

40 -<br />

20 -<br />

0<br />

*<br />

0,2 0,3 0,5 1,0 3,0<br />

bessert. Obwohl gewisse Merkmale wie zum<br />

Beispiel konstanter Lidschluss, früher und<br />

plötzlicher Beginn, Besserung mittels ungewöhnlicher<br />

Tricks eher typisch für psychogenen<br />

Blepharospasmus sind, ist dieser klinisch<br />

oft schwer von der organischen Erkrankung<br />

zu unterscheiden.<br />

Der Doppelblinkreflex ist eine Variante des<br />

Blinkreflexes, bei dem der natürliche Effekt<br />

der Habituation ausgenutzt wird. Elektrophysiologisch<br />

erfolgt ein kurz hintereinander<br />

abgegebener elektrischer Doppelreiz im<br />

*<br />

ISI (Sekunden)<br />

Dieser ergab einen signifikanten Gruppenunterschied, verursacht durch eine abnorm beschleunigte<br />

Erholungskurve der organischen Blepharospasmus-Gruppe (rot) im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe<br />

(blau) (p < 0,001) und zum psychogenen Blepharospasmus (grün) (p < 0.001). Die Amplitu -<br />

denreduktion der konditionierten im Vergleich zur unkonditionierten R2-Antwort in der psychogenen<br />

Blepharospasmus-Gruppe war signifikant bei ISI von 0,2, 0,3, 0,5 und 1 Sekunde, nicht jedoch bei<br />

3 Sekunden. Fehlerbalken entsprechen Standardfehlern des Mittelwertes. Sterne entsprechen einem<br />

Signifikanzlevel von 5 %.<br />

Quelle: Schwingenschuh P et al., Neurology 2011; 76(7):610–614<br />

*<br />

*<br />

Abstand von ca. 150–200 ms Interstimulus-<br />

Intervall (ISI). Dabei sollte es physiologischerweise<br />

zu einer Amplitudenabnahme um<br />

mehr als 30 % nach dem zweiten (= konditionierten)<br />

Reiz kommen (Abb. 1). Bei länger<br />

werdenden ISI normalisiert sich die Amplitude<br />

der konditionierten R2-Antwort wieder.<br />

Durch Aufzeichnen des Doppelblinkreflexes<br />

mit aufsteigenden ISI erhält man eine so<br />

genannte R2-Blinkreflex-Erholungskurve,<br />

welche die Erregbarkeit der Hirnstamm-Interneurone<br />

repräsentiert.<br />

Ergebnis: Wir bestätigten, dass die R2-Blink -<br />

reflex-Erholungskurve bei organischem Blepharospasmus<br />

im Sinne einer verminderten<br />

Inhibition verändert ist. Im Gegensatz dazu<br />

zeigten PatientInnen mit psychogenem Blepharospasmus<br />

eine normale Blinkreflex-Erholungskurve,<br />

was für eine normale Erregbarkeit<br />

der Hirnstamm-Interneurone und somit<br />

für eine andere Pathogenese als beim organischen<br />

Blepharospasmus spricht (Abb. 2).<br />

Die Test-Spezifität lag dabei bei 90 % und die<br />

Sensitivität bei 100 %. Die Aufzeichnung der<br />

R2-Blinkreflex-Erholungskurve erscheint<br />

daher als nützliches Hilfsmittel in der Differenzialdiagnose<br />

zwischen organischem und<br />

psychogenem Blepharospasmus. Weitere<br />

Studien sollten untersuchen, ob dieser Test<br />

auch zur Abgrenzung anderer psychogener<br />

Dystonieformen hilfreich ist.<br />

1 Fahn S and Williams D (1988), Psychogenic dystonia.<br />

Adv Neurol 50:431–455<br />

2 Hallett M (2010), Physiology of psychogenic movement<br />

disorders. J Clin Neurosci 17(8):959–965<br />

3 Espay AJ, Morgante F, Purzner J et al. (2006), Cortical<br />

and spinal abnormalities in psychogenic dystonia. Ann<br />

Neurol 59:825–834<br />

4 Avanzino L, Martino D, van de Warrenburg BP et al.<br />

(2008), Cortical excitability is abnormal in patients with<br />

the “fixed dystonia” syndrome. Mov Disord 23:646–652<br />

5 Quartarone A, Rizzo V, Terranova C et al. (2009), Abnormal<br />

sensorimotor plasticity in organic but not in psychogenic<br />

dystonia. Brain 132:2871–2877<br />

6 Schwingenschuh P, Katschnig P, Edwards MJ et al.<br />

(2011), The blink reflex recovery cycle differs between<br />

essential and presumed psychogenic blepharospasm.<br />

Neurology 76(7):610–614<br />

59


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Epilepsie<br />

Zusammengestellt im Namen des Beirats „Epilepsie“:<br />

Univ.-Prof. DI Dr. Christoph Baumgartner<br />

2. Neurologische Abteilung, Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel, Wien<br />

Neue Definition der medikamentösen<br />

Therapieresistenz bei Epilepsie<br />

Tab.: Outcome-Dimensionen<br />

Die Internationale Liga gegen Epilepsie hat<br />

kürzlich eine neue Definition für medikamentös<br />

therapieresistente Epilepsien vorgestellt 1 .<br />

Diese Definition soll in der täglichen klinischen<br />

Praxis anwendbar sein und so dem/der<br />

primär versorgenden Arzt/Ärztin (AllgemeinmedizinerIn,<br />

NeurologIn, EpileptologIn) ein<br />

Werkzeug in die Hand geben, um PatientInnen<br />

mit medikamentös therapieresistenten<br />

Epilepsien rasch zu erkennen und eine rasche<br />

Zuweisung an ein entsprechend spezialisiertes<br />

Zentrum zu ermöglichen.<br />

Anfallskontrolle Auftreten von Nebenwirkungen Outcome-Kategorie<br />

1. Anfallsfrei A. Nein 1A<br />

B. Ja 1B<br />

C. Unbestimmt 1C<br />

2. Therapieversagen A. Nein 2A<br />

B. Ja 2B<br />

C. Unbestimmt 2C<br />

3. Unbestimmt A. Nein 3A<br />

B. Ja 3B<br />

C. Unbestimmt 3C<br />

Die Definition umfasst<br />

2 „hierarchische“ Ebenen („Level“):<br />

In Ebene 1 (Level 1) wird das Ergebnis (Outcome)<br />

einer therapeutischen Intervention<br />

klassifiziert. Dabei werden einerseits die<br />

Anfallskontrolle (Kategorie 1: anfallsfrei; Kategorie<br />

2: nicht anfallsfrei bzw. Therapie -<br />

versagen; Kategorie 3: unbestimmt) sowie<br />

anderseits die Nebenwirkungen (A: keine<br />

Neben wirkungen; B: Nebenwirkungen; C:<br />

unbestimmt) beurteilt.<br />

Das Wesentliche der neuen Definition ist<br />

dabei, dass das Ergebnis (Outcome) einer therapeutischen<br />

Intervention nur dann in eine<br />

der genannten Kategorien klassifiziert werden<br />

kann, wenn diese Intervention passend<br />

(„appropriate“) und adäquat („adequate“)<br />

war. Eine Intervention ist dann passend („appropriate“),<br />

wenn für die vorliegenden Anfallstypen<br />

bzw. für das vorliegende Epilepsiesyndrom<br />

ein passendes Medikament gewählt<br />

wurde, d. h. die Wirksamkeit wurde bereits<br />

gezeigt, am besten in einer randomisierten<br />

kontrollierten Studie. Eine Intervention ist<br />

dann adäquat („adequate“), wenn die Therapie<br />

in einer ausreichenden Dosierung für<br />

eine ausreichend lange Zeit erfolgte.<br />

Das Ergebnis (Outcome) einer Intervention<br />

wird als unbestimmt definiert, wenn sie nicht<br />

adäquat war, d. h. die Therapie wurde auf<br />

Grund von Nebenwirkungen bei unzureichender<br />

Dosierung abgebrochen (z. B. auf Grund<br />

einer allergischen Reaktion) oder der/die PatientIn<br />

wurde im Follow-up verloren.<br />

Die Dauer der Anfallsfreiheit wird festgesetzt<br />

als entweder 12 Monate oder 3-mal das<br />

längs te anfallsfreie Intervall vor der Intervention,<br />

was immer länger ist. Wenn ein(e) PatientIn<br />

weniger als 12 Monate, aber länger<br />

als 3-mal das längste anfallsfreie Intervall vor<br />

der Intervention anfallsfrei geblieben ist, wird<br />

sein/ihr Outcome als „unbestimmt“ klassifiziert,<br />

erleidet er/sie einen erneuten Anfall innerhalb<br />

von 12 Monaten, wird er/sie als<br />

„nicht anfallsfrei“ bzw. „Therapieversagen“<br />

klassifiziert.<br />

Nebenwirkungen werden entsprechend der<br />

World Health Organization 2 (1972) definiert<br />

als „any response to an intervention which<br />

is noxious and unintended, and which occurs<br />

when the intervention is applied with modalities<br />

normally used in humans for the<br />

treatment of epilepsy“, also jegliche Reaktion<br />

auf eine Intervention, die schädlich und unbeabsichtigt<br />

ist und die bei einer Intervention<br />

unter Modalitäten auftritt, die normalerweise<br />

für die Behandlung von Epilepsien angewendet<br />

werden.<br />

In Ebene 2 (Level 2) erfolgt dann die Definition<br />

der therapieresistenten Epilepsie.<br />

„Drug resistant epilepsy may be defined as<br />

failure of adequate trials of two tolerated<br />

and appropriately chosen and used AED schedules<br />

(whether as monotherapies or in combination)<br />

to achieve sustained seizure freedom“,<br />

d. h. eine therapieresistente Epilepsie<br />

wird definiert als das Versagen von adäquaten<br />

Versuchen mit 2 tolerierten und passend<br />

gewählten und verwendeten Antiepileptika-<br />

Therapieplänen (entweder als Monotherapie<br />

oder als Kombinationstherapie), um anhaltende<br />

Anfallsfreiheit zu erreichen.<br />

In anderen Worten entspricht eine Therapieresistenz<br />

einem Ergebnis (Outcome) der Kategorie<br />

2 für mindestens 2 Therapiepläne,<br />

wobei für die derzeitige Therapie kein Ergebnis<br />

(Outcome) der Kategorie 1 gegeben sein<br />

darf. Dabei ist zu beachten, dass die Epilepsie<br />

eines/einer Patienten/-in als dynamischer und<br />

nicht als statischer Prozess anzusehen ist und<br />

die Einstufung als therapieresistent nur für<br />

einen gegebenen Zeitpunkt gültig ist und<br />

nicht bedeutet, dass der/die PatientIn niemals<br />

anfallsfrei werden kann. Zudem ist es möglich,<br />

dass ein(e) PatientIn zu einem gegebenen<br />

Zeitpunkt weder die Definition von Anfallsfreiheit<br />

noch von Therapieversagen erfüllt,<br />

das Ansprechen auf die Therapie wird<br />

dann vorübergehend als „unbestimmt“ klassifiziert.<br />

1 Kwan P, Arzimanoglou A, Berg AT, Brodie MJ, Allen<br />

Hauser W, Mathern G, MosheSL, Perucca E, Wiebe S,<br />

French J, Definition of drug resistant epilepsy: Consensus<br />

proposal by the ad hoc Task Force of the ILAE<br />

Commission on Therapeutic Strategies. Epilepsia 2010;<br />

51:1069–77<br />

2 World Health Organization.International Drug Monitoring:<br />

the Role of National Centres. Techn Rep Series WHO,<br />

Geneva, 1972, p. 498<br />

60


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlafstörungen<br />

Zusammengestellt im Namen des Beirats „Schlafstörungen“:<br />

Univ.-Prof. Dr. Birgit Högl<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Innsbruck<br />

KOGGE - FOTOLIA.COM<br />

RLS und Friedreich-<br />

Ataxie – interessante<br />

Zusammenhänge<br />

Ein aktuell in Movement Disorders publizierter<br />

Artikel 1 zeigt, dass 8 von 16 PatientInnen<br />

mit genetisch gesicherter<br />

Friedreich-Ataxie auch ein Restless-Legs-<br />

Syndrom hatten. Interessanterweise hatten<br />

Friedreich-PatientInnen mit RLS signifikant<br />

niedrigeres Ferritin als solche ohne<br />

(76 vs. 176 µg/l). Die PatientInnen mit<br />

RLS hatten zudem mehr periodische<br />

Beinbewegungen im Wachzustand, und<br />

diese korrelierten invers mit dem Ferritinspiegel.<br />

Diese Befunde sind gut vereinbar mit<br />

dem pathophysiologischen Konzept einer<br />

gestörten spinalen sensomotorischen Integration<br />

beim RLS. In der Pathophysiologie<br />

der Friedreich-Ataxie spielen Neuronenverlust<br />

und -schrumpfung in den<br />

Hinterhornzellen und der Clarke-Säule<br />

des Myelons eine Rolle, und interessanterweise<br />

haben genomweite Assoziationsstudien<br />

des RLS häufige Varianten im<br />

SCOR1-1-Gen auf Chromosom 15q gezeigt,<br />

welches eine wichtige Rolle in der<br />

Entwicklung von sensorischen Bahnen im<br />

Rückenmark hat 2 .<br />

Die Assoziation mit niedrigen Serumferritin<br />

ist erstmalig beschrieben und im Hinblick<br />

auf die pathophysiologischen Hinweise<br />

für abnorme intrazelluläre Eisenverteilung<br />

sowohl bei Friedreich-Ataxie<br />

als auch bei RLS äußerst interessant und<br />

weiter zu untersuchen.<br />

1<br />

Frauscher B, Hering S, Högl B, Gschliesser V, Ulmer<br />

H, Poewe W, Boesch SM, Restless legs syndrome in<br />

Friedreich ataxia: A polysomnographic study. Mov<br />

Disord. 2011; 26:302–6.<br />

2<br />

Winkelmann J Genome-wide association study of<br />

restless legs syndrome identifies common variants<br />

in three genomic regions Nat Gen 2007<br />

Pramipexol in der Behandlung des Restless-Legs-Syndroms:<br />

Wirksamkeit und Augmentation<br />

Im April 2011 erschien in Sleep Medicine eine<br />

Studie zur Wirksamkeit und zur Augmentation<br />

mit Pramipexol bei Behandlung des Restless-Legs-Syndroms<br />

1 .<br />

Studiendesign: Untersucht wurde in einem<br />

doppelblinden Design Pramipexol im Vergleich<br />

zu Placebo, wobei die Pramipexol-Dosis<br />

nach Bedarf bis auf 0,54 mg pro Tag gesteigert<br />

werden konnte. Die Behandlung wurde<br />

über ein halbes Jahr durchgeführt. Der Haupt -<br />

endpunkt dieser Langzeitstudie war die Veränderung<br />

in der Schwereskala der Internationalen<br />

RLS Study Group (IRLS). Die Besonderheit<br />

bei dieser Studie war dass bei allen<br />

PatienInnnen, die vordefinierte Hinweise auf<br />

mögliche Augmentation zeigten, von einem<br />

geblindeten Expertenpanel nach einem festgelegten<br />

Algorithmus untersucht wurde, ob<br />

Augmentation vorlag oder nicht. 321 PatientInnen<br />

wurden eingeschlossen, 234 kamen<br />

bis zum Ende der Studie.<br />

Ergebnisse: Wie erwartet, zeigte Pramipexol<br />

im Vergleich zur Placebo eine überlegene<br />

Wirksamkeit in der Behandlung des RLS.<br />

Das Hauptinteresse lag auf den Augmenta -<br />

tionsdaten: So betrug die Inzidenz für vom<br />

ExpertInnenpanel bestätigte Augmentation<br />

9,2 % für Pramipexol und 6 % für Placebo.<br />

Die Rate an Augmentation oder die Häufigkeit<br />

von Augmentation nahm mit zunehmender<br />

Behandlungsdauer zu, aber nur in der<br />

Pramipexol-Gruppe und nicht in der Placebo-<br />

Gruppe. Insgesamt zeigte diese Studie, dass<br />

Pramipexol über 6 Monate eine sichere und<br />

effektive Behandlung des RLS ist und gut vertragen<br />

wird. Die hohe Variabilität der Wirksamkeit<br />

in den verschiedenen Ländern ist<br />

auch ein Hinweis darauf, dass die Datenqualität<br />

von Land zu Land bzw. von Zentrum zu<br />

Zentrum in so einer Studie deutlich variieren<br />

kann.<br />

Kommentar: Das mit längerer Behandlungsdauer<br />

ansteigende Risiko für Augmentation<br />

zeigt jedoch ganz klar, dass wesentlich längere<br />

Studien als 6 Monate erforderlich sind.<br />

Außerdem zeigte sich auch, dass beginnende<br />

oder milde Augmentation für ein externes ExpertInnenpanel,<br />

das keinen direkten Kontakt<br />

zu den PatientInnen hat, sehr schwer von<br />

spontanen Fluktuationen der RLS-Schwere zu<br />

unterscheiden ist. Die vergleichsweise geringe<br />

und niedrige Augmentationsrate in der vorliegenden<br />

Studie liegt jedoch möglicherweise<br />

auch daran, dass nur PatientInnen mit nicht<br />

depletierten Eisenspeichern eingeschlossen<br />

wurden (Ferritin > 30 µg/l war Einschlusskriterium).<br />

1 Högl B, Garcia-Borreguero D, Trenkwalder C, Ferini-<br />

Strambi L, Hening W, Poewe W, Brenner SS, Fraessdorf<br />

M, Busse M, Albrecht S, Allen RP, Efficacy and augmentation<br />

during 6 months of double-blind pramipexole for<br />

restless legs syndrome. Sleep Med. 2011; 12(4):351–60<br />

63


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlafstörungen<br />

Workshop der internationalen RBD Study Group (IRBDSG)<br />

In Marburg, Deutschland, fand von 29. 4. bis<br />

1. 5. 2011 ein Workshop der internationalen<br />

RBD (REM Sleep Behavior Disorder) Study<br />

Group statt, das von der National Parkinson<br />

Foundation (NPF) unterstützt wurde.<br />

Das Programm begann mit einem Update<br />

über die RBD-Forschung und intensiver Diskussion<br />

über neue Ergebnisse aus der Grundlagenforschung<br />

im Bereich der RBD, vor allem<br />

Muskelaktivität bei RBD und deren Messung<br />

im Tierversuch. Pierre-Hervé Luppi aus Lyon,<br />

Martina Krenzer aus Zürich und Yuan-Yang<br />

Lai aus Los Angeles berichteten über ihre Methoden<br />

und Ergebnisse.<br />

Eine weitere Sitzung war der Fragestellung<br />

gewidmet, wie man EMG-Aktivität bei RBD<br />

im klinischen Setting am besten untersucht.<br />

Verschiedene Modelle wurden vorgestellt:<br />

Luigi Ferini-Strambi aus Mailand berichtete<br />

über den italienischen Ansatz zur computergestützten<br />

Auswertung der Kinnmuskelaktivität,<br />

Geert Mayer aus Schwalmstadt-Treysa,<br />

Deutschland, stellte einen anderen computergestützten<br />

Ansatz vor und Ronald Postuma<br />

aus Montreal einen manuellen polysomnographiegestützten<br />

Ansatz zur Quantifikation<br />

von Muskelaktivität im REM-Schlaf bei RBD-<br />

PatientInnen<br />

Neue Daten zur Muskelaktivität: Birgit<br />

Frauscher aus Innsbruck stellte schließlich<br />

neue und noch unpublizierte Daten zur Quantifikation<br />

von Muskelaktivität im REM-Schlaf<br />

bei PatientInnen mit RBD vor, die aus der SIN-<br />

BAR-Koooperation (Sleep Innsbruck-Barcelona)<br />

entstanden sind. Die SINBAR-Gruppe<br />

quantifizierte erstmals an einer großen Zahl<br />

von 30 RBD-PatientInnen und 30 Kontrollpersonen<br />

ohne RBD systematisch tonische, phasische<br />

und jegliche Muskelaktivität in insgesamt<br />

11 verschiedenen Muskeln.<br />

Damit wurde ein sehr großer Datenpool bei<br />

RBD-PatientInnen und Kontrollen gewonnen,<br />

der zum allerersten Mal in der RBD-Forschung<br />

die Angabe von Normwerten und Cut-off-<br />

Werten erlaubt, d. h. ab wann erhöhte Muskelaktivität<br />

im REM-Schlaf tatsächlich pathologisch<br />

ist.<br />

Dies ist für die Diagnose der RBD von entscheidender<br />

Bedeutung, da eine geringe<br />

phasische Muskelaktivität in Zusammenhang<br />

mit REM-Schlaf auch bei gesunden SchläferInnen<br />

ohne RBD zu finden und bei diesen<br />

als physiologisch zu werten ist. Die TeilnehmerInnen<br />

des Workshops entschieden, diese<br />

Methode der SINBAR-Gruppe für die weitere<br />

RBD-Forschung der IRBDSG zu verwenden.<br />

Von der IRBDSG ist eine doppelblinde Studie<br />

zur symptomatischen Behandlung der RBD<br />

geplant.<br />

Die besondere Bedeutung der RBD, welche<br />

auch das große Interesse von NeurologInnen<br />

an dieser Schlafstörung erklärt, liegt<br />

darin, dass nach übereinstimmenden Ergebnissen<br />

mittlerweile mehrerer Studien beeindruckend<br />

gezeigt werden konnte, dass im<br />

Verlauf ein großer Teil der RBD-PatientInnen<br />

eine neurodegenerative Erkrankung, am häufigsten<br />

ein Parkinson-Syndrom, entwickeln.<br />

Eine rechtzeitige und zuverlässige Diagnose<br />

der RBD ist daher notwendig. Nach den allgemein<br />

akzeptierten Kriterien ist diese Diagnose<br />

nur mittels Schlaflabor möglich, wobei<br />

die Aufzeichnung und Auswertung der Muskelaktivität<br />

im Schlaf spezielle Kenntnisse erfordern,<br />

die nur in <strong>neurologisch</strong>en Schlaflaboren<br />

erbracht werden können.<br />

Sehr geehrte Leserinnen und Leser!<br />

Der vorliegenden Ausgabe von <strong>neurologisch</strong> liegen die aktuellen<br />

„die PUNKTE“ <strong>Neurologie</strong> bei.<br />

Der DFP-Beitrag von Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Innsbruck, widmet<br />

sich der multiplen Sklerose. In den letzten Jahren gab es erhebliche<br />

Fortschritte in der Diagnostik und Therapie der MS. Praxisgerecht<br />

aufbereitet fasst der Artikel den aktuellen Wissensstand<br />

zur Immunpathogenese, Neuropathologie, Klinik, Diagnose und Differenzialdiagnosen<br />

sowie zu den zur Verfügung stehenden Therapien<br />

zusammen.<br />

Nicht weniger praxisrelevant ist der DFP-Beitrag von Univ.-Prof. DDr.<br />

Josef Zeitlhofer, Wien. Wie verbreitet Schlafstörungen sind, zeigen<br />

epidemiologischen Studien, die eine Prävalenz von 20–30 % angeben.<br />

Der Artikel befasst sich mit den häufigsten <strong>neurologisch</strong>en<br />

Schlafstörungen und stellt das praktische Management in Diagnose<br />

und Therapie dar.<br />

Sollte Ihrer <strong>neurologisch</strong>-Ausgabe keine aktuelle Ausgabe von<br />

„die PUNKTE“ beiliegen, besteht die Möglichkeit, diese unter<br />

<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at anzufordern.<br />

Diese Möglichkeit besteht ebenso<br />

für bereits erschienene Ausgaben:<br />

die PUNKTE NEUROLOGIE 1/09<br />

- Demenzen: Diagnostik und<br />

Therapie<br />

die PUNKTE NEUROLOGIE 1/10<br />

- Diagnose und Therapie<br />

der Epilepsie<br />

- Karpaltunnelsyndrom und andere Engpasssyndrome<br />

des Nervus medianus<br />

die PUNKTE NEUROLOGIE 2/10<br />

- Morbus Parkinson: Diagnose und Therapie<br />

- Neuroborreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis<br />

die PUNKTE NEUROLOGIE 1/11<br />

- Migräne – Klinik, Diagnostik, Akuttherapie und Prophylaxe<br />

64


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlaganfall<br />

Zusammengestellt im Namen<br />

des Beirats „Schlaganfall“:<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Michaela M. Pinter 1<br />

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c.<br />

Michael Brainin 1, 2<br />

1 Zentrum für klinische Neurowissenschaften, Donau-Universität Krems;<br />

2 Neurologische Abteilung, Landesklinikum Tulln<br />

Interdiziplinäre Krems-Konferenzen<br />

Funktionelle elektrische Stimulation<br />

Im Juni 2010 startete das Zentrum für Klinische<br />

Neurowissenschaften an der Donau-<br />

Universität Krems eine Serie von „Krems-Konferenzen“,<br />

bei denen aktuelle Themen der<br />

Neurorehabilitation, die für die interdisziplinäre<br />

Praxis und Forschung relevant sind, behandelt<br />

werden. Hervorstechendes Merkmal<br />

der Krems-Konferenzen ist eine Kombination<br />

von Vortragsserien und themenbezogenen<br />

Workshops sowie der interdisziplinäre Charakter,<br />

angesprochen werden sowohl ÄrztInnen<br />

als auch TherapeutInnen.<br />

Ein Schwerpunkt von 3 Krems-Konferenzen<br />

ist die funktionelle elektrische Stimulation<br />

(FES) bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems<br />

(Upper Motor Neuron Diseases).<br />

Ziel der ersten interdisziplinären Tagung, die<br />

am 1. April 2011 stattfand, war es, Basiswissen<br />

der elektrischen Stimulation in der<br />

Applikation und Indikationsstellung zu vermitteln.<br />

Die weiteren Tagungen am 11. Oktober<br />

2011 und am 24. Februar 2012 beschäftigen<br />

sich mit Indikationen und speziellen<br />

Einstellungen bei der FES der unteren<br />

sowie der oberen Extremitäten.<br />

Das Konzept der FES wurde bereits in den<br />

1960er Jahren von Liberson eingeführt 1 . Prinzip<br />

der FES ist, dass durch die Applikation der<br />

elektrischen Stimulation die Bewegung eines<br />

oder mehrerer gelähmter Muskeln in der<br />

Funktion unterstützt und aktiviert wird. Angewandt<br />

wird diese Therapiemethode bei<br />

zentral bedingter Vorfußheberschwäche (Fallfuß)<br />

nach Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma,<br />

Rückenmarkverletzung und bei multipler Sklerose.<br />

Durch Innovationen in der biomedizinischen<br />

Technologie hat sich im Laufe der Jahre<br />

das Therapiefeld der FES sowohl in Bezug der<br />

Indikationsstellung als auch hinsichtlich des<br />

Spektrums der Modalitäten geändert – ein<br />

rezentes Update wird im Rahmen der Krems-<br />

Konferenzen zum Thema FES vermittelt.<br />

Funktionelle elektrische Stimulation<br />

(FES) – mit Oberflächenelektroden<br />

bzw. mit intramuskulären<br />

Elektroden<br />

Die Indikation zur FES hat sich gegenüber den<br />

1960er Jahren nicht geändert. Die funktionelle<br />

elektrische Stimulation dient der aktiven<br />

Unterstützung einer Bewegungssequenz in<br />

ACTIGAIT DER FA. OTTO BOCK<br />

der Funktion. Je nach Bewegungssequenz<br />

werden Einkanalstimulatoren, Zweikanalstimulatoren<br />

oder Dreikanalstimulatoren bzw.<br />

Mehrkanalstimulatoren verwendet.<br />

Als Beispiel soll hier die Einkanalstimulation<br />

bei Vorfußheberschwäche bei zentralen Paresen<br />

(Drop Foot) angeführt werden: Prinzipiell<br />

ausgelöst wird die Stimulation durch<br />

einen Fußschalter, der an der Ferse der betroffenen<br />

Seite platziert ist. Die aktive Elektrode<br />

wird über den N. peronaeus (direkt u<br />

Abb.: Implantierbares System zur funktionellen Peronaeusstimulation<br />

65


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlaganfall<br />

hinter dem Caput fibulae) angebracht, die<br />

indifferente Elektrode über dem M. tibialis<br />

anterior. Das Prinzip ist, dass in der Schwungphase<br />

des Gehens die Hebung des Vorfußes<br />

durch die Stimulation aktiv unterstützt wird.<br />

Ausgelöst wird die Stimulation durch einen<br />

an der Ferse angebrachten Fußschalter, der<br />

durch Abheben der Ferse vom Boden die<br />

elektrische Stimulation des Nervus peronaeus<br />

und konsekutiv des Vorfußhebers (M. tibialis<br />

anterior) initiiert.<br />

Effekte der kontinuierlichen FES sind eine Verbesserung<br />

der Vorfußhebung, eine Kräftigung<br />

der stimulierten Muskeln, eine Abnahme<br />

der Spastizität sowie eine Zunahme der<br />

Schrittlänge, der Gehgeschwindigkeit und<br />

der Ausdauer beim Gehen – insgesamt eine<br />

Verbesserung der Gangökonomie und damit<br />

der Lebensqualität 2, 3 . In einem systematischen<br />

Review konnte gezeigt werden, dass<br />

FES bei SchlaganfallpatientInnen mit Vorfußheberschwäche<br />

zu einer Erhöhung der Gehgeschwindigkeit<br />

um 0,13 m/s (Range 0,07–<br />

0,2 m/s) bzw. um 38 % (Range 22,18 bis<br />

53,8 %) führt 4 . Der therapeutische Effekt der<br />

FES wird noch durch eine Meta-Analyse untermauert,<br />

in der eine signifikante Erhöhung<br />

der Gehgeschwindigkeit um 0,18 m/s dokumentiert<br />

werden konnte 5 .<br />

In einer rezenten randomisierten kontrollierten<br />

Studie wurde bei 53 chronischen SchlaganfallpatientInnen<br />

der Effekt von FES mit intramuskulären<br />

Elektroden kombiniert mit<br />

Laufband- und Gangtraining untersucht. Im<br />

primären Gang-Outcome-Parameter dem<br />

„Gait Assessment and Intervention Tool“<br />

(G.A.I.T.) zeigte sich bei der FES-Gruppe<br />

verglichen mit der No-FES-Gruppe eine additive<br />

Verbesserung auf Signifikanzniveau<br />

(p = 0,045), diese Verbesserung war auch<br />

noch 6 Monate nach Abschluss des Trainings<br />

nachweisbar 6 .<br />

Funktionelle Elektrostimulation<br />

(FES) – implantierbares System<br />

Wird die FES mittels Oberflächenelektroden<br />

quasi zu einer „Dauerlösung“, ist die Indikation<br />

gegeben, eine vierpolige Ringelektrode<br />

direkt über den N. peronaeus (motorischer<br />

Anteil) zu implantieren. Über eine Antenne<br />

wird die Stimulation des N. peronaeus – getriggert<br />

über einen Fersenschalter – von der<br />

extern getragenen Kontrolleinheit ausgelöst.<br />

Durch Feinabstimmung der Stimulationsparameter<br />

der 4-poligen Ringeleltrode kann je<br />

nach Bedarf die Dorsalflexion bzw. Eversion<br />

des Vorfußes forciert werden. Voraussetzung<br />

für die Implantation der 4-poligen Ring -<br />

elektrode sind eine FES mit Oberflächenelektroden<br />

über einen Zeitraum von mindestens<br />

3 Monaten. Effekt der kontinuierlichen FES<br />

ist – wie bei der FES mit Oberflächenelektroden<br />

– eine Verbesserung der Gangökonomie<br />

4, 7 .<br />

1 Liberson WT, Holmquest HJ, Scot D, Dow M, Functional<br />

electrotherapy: stimulation of the peroneal nerve<br />

synchronized with the swing phase of the gait of<br />

hemiplegic patients. Arch Phys Med Rehabil 1961;<br />

42:101–5<br />

2 Taylor PN, Burridge JH, Dunkerley AL, Wood DE, Norton<br />

JA, Singleton C, Swain ID, Clinical use of the Odstock<br />

dropped foot stimulator: its effect on the speed an<br />

effort of walking. Arch Phys Med Rehabil. 1999;<br />

80(12):1577–83<br />

3 Esnouf JE, Taylor PN, Mann GE, Barrett CL, Impact on<br />

activities of daily living using a functional electrical<br />

stimulation device to improve dropped foot in people<br />

with multiple sclerosis, measured by the Canadian<br />

Occupation Performance Measure. Mult Scler 2010;<br />

16(9):1141–7<br />

4 Kottink AI, Oostendorp LJ, Buurke JH, Nene AV,<br />

Hermens HJ, IJzerman MJ, The orthotic effect of<br />

functional electrical stimulation on the improvement of<br />

walking in stroke patients with a dropped foot: a<br />

systematic review. Artif Organs 2004; 28:577–86.<br />

5 Robbins SM, Houghton PE, Woodbury MG, Brown JL,<br />

The therapeutic effect of functional and transcutaneous<br />

electric stimulation on improving gait speed in stroke<br />

patients: a meta- analysis. Arch Phys Med Rehabil 2006;<br />

87:853–9<br />

6 Daly JJ, Zimbelman J, Roenigk KL, McCabe JP, Rogers<br />

JM, Butler K, Burdsal R, Holcomb JP, Marsolais EB, Ruff<br />

RL, Recovery of coordinated gait: randomized controlled<br />

stroke trial of functional electrical stimulation (FES)<br />

versus no FES, with weight-supported treadmill and<br />

over-ground training. Neurorehabil Neural Repair 2011<br />

Apr 22<br />

7 Burridge J, Haugland M, Larsen B, Pickering RM,<br />

Svaneborg N, Iversen HK, Christensen B, Haase J,<br />

Brennum J, Sinkjaer T, Phase II trial to evaluate the<br />

ActiGait implanted drop-foot stimulator in established<br />

hemiplegia. J Rehabil Med 2007; 39:212–218<br />

66


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurorehabilitation<br />

Zusammengestellt für den Beirat „Neurorehabilitation“:<br />

Univ.-Prof. Dr. Bernhard Voller<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien<br />

Pharmakotherapie in der<br />

motorischen Rehabilitation<br />

Fluoxetin bei Schlaganfall<br />

In einer doppelblinden Studie an 9 französischen<br />

Zentren wurden 118 PatientInnen<br />

im Alter von 18–85 Jahren mit ischämischem<br />

Insult und Hemiparese und<br />

einem Wert von 55 in der motorischen<br />

Fugl-Meyer-Skala (FMMA) eingeschlossen<br />

1 . Die PatientInnen erhielten beginnend<br />

zwischen dem 5. und 10. Tag für<br />

3 Monate entweder 20 mg Fluoxetin oder<br />

Placebo einmal täglich sowie den gleichen<br />

Anteil an Physiotherapie. Die Besserung<br />

gemessen am FMMS war größer in der<br />

Fluoxetin-Gruppe (34 Punkte, 95%-CI<br />

29,7–38,4) als in der Placebogruppe (24,3<br />

Punkte, 95%-CI 19,9–28,7; p = 0,003).<br />

Neben der signifikanten Besserung der<br />

Funktion der oberen Extremität kam es<br />

auch zu einer Vorbeugung von Depressionen<br />

(p = 0,002). Auch nach Berücksichtigung<br />

des Faktors Depression in der<br />

Analyse blieb die motorische Funktion signifikant<br />

gebessert. Die Nebenwirkungen<br />

waren in beiden Gruppen vergleichbar bis<br />

auf eine leichte Häufung von Störungen<br />

des Verdauungstrakts in der Fluoxetin-<br />

Gruppe.<br />

Kommentar: Der eindeutige neurorehabilitative<br />

Effekt legt nahe, dass Fluoxetin<br />

neuroplastische Vorgänge in der Akut-<br />

Subakut-Phase nach einem Schlaganfall<br />

fördert. Es wurde jedoch nicht überprüft,<br />

ob die motorischen Fortschritte über längere<br />

Zeit erhalten blieben. Eine Empfehlung<br />

zum generellen klinischen Einsatz<br />

kann derzeit aufgrund dieser Daten noch<br />

nicht ausgesprochen werden. Weitere<br />

Studien zu serotonergen Substanzen erscheinen<br />

sinnvoll, insbesondere auch aufgrund<br />

der hohen Sicherheit in der Behandlung.<br />

1 Chollet F et al., Fluoxetine for motor recovery after<br />

acute ischaemic stroke (FLAME): a randomised<br />

placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2011;<br />

10:123–30<br />

Schädel-Hirn-Trauma<br />

Kraniektomie bei diffuser Hirnschädigung<br />

Nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma (SHT)<br />

kommt es häufig zu einer sekundären Hirnschädigung,<br />

welche durch einen erhöhten intrakraniellen<br />

Druck, ausgelöst durch ein Hirnödem,<br />

hervorgerufen wird. In der vorliegenden<br />

Studie wurden 155 australische und<br />

neuseeländische PatientInnen mit schwerer<br />

diffuser Hirnschädigung nach SHT und therapierefraktärem<br />

Hirndruck, definiert als<br />

20 mmHg mit einer Dauer von über 15 Minuten<br />

trotz medikamentöser Therapie, in zwei<br />

Gruppen randomisiert 1 . PatientInnen der<br />

einen Gruppe erhielten die Standardbehandlung,<br />

die anderen wurden zusätzlich großflächig<br />

bilateral kraniektomiert. Primärer Zielparameter<br />

war der Wert in der erweiterten Glasgow<br />

Outcome Scale (eGOS) nach 6 Monaten.<br />

In der Kraniektomiegruppe hatten die PatientInnen<br />

nachweislich einen niedrigeren Druck,<br />

verbrachten eine kürzere Zeit auf der Intensivstation,<br />

zeigten jedoch überraschend<br />

schlechtere Werte in der eGOS (OR 1,84;<br />

95%-CI 1,05–3,24; p = 0,03) und ein größeres<br />

Akutrehabilitation bei Schlaganfall<br />

Frühmobilisation nichtgehfähiger PatientInnen<br />

In einer australischen Studie wurde untersucht,<br />

ob eine intensivierte Mobilisierung<br />

außerhalb des Krankenbetts für die PatientInnen<br />

die Zeit zum selbständigen Gehen<br />

verkürzt 1 . Nach randomisierter Zuteilung<br />

von 71 PatientInnen wurde die Therapie in<br />

der Behandlungsgruppe innerhalb von 24<br />

Stunden nach dem Akutereignis begonnen.<br />

Die PatientInnen der Kontrollgruppe erhielten<br />

die konventionelle Behandlung einer<br />

Schlaganfalleinheit. In Bezug auf das primäre<br />

Untersuchungsziel, der Zeit gemessen in<br />

Tagen bis zur Bewältigung einer 50-m-Gehstrecke<br />

ohne Unterstützung, erreichten die<br />

früh rehabilitierten nichtgehfähigen SchlaganfallpatientInnen<br />

schneller die unabhängige<br />

Gehfähigkeit (3,5 vs. 7 Tage, p = 0,032).<br />

Die Werte des Barthel-Index als sekundärer<br />

Risiko für ein schlechteres Ergebnis (OR 2,21;<br />

95%-CI 1,12–4,26; p = 0,02). In beiden Gruppen<br />

war die Sterblichkeit vergleichbar.<br />

Kommentar: Im begleitenden Editorial 2 wur -<br />

de angemerkt, dass durch das Patientenauswahlverfahren<br />

nur ein kleiner Teil (ca. 5 %)<br />

der PatientInnen eingeschlossen werden<br />

konnte, was die klinische Aussagekraft mindert.<br />

Bei vielen der nicht eingeschlossenen<br />

PatientInnen waren andere übliche neurochirurgische<br />

Maßnahmen erforderlich, wie z. B.<br />

eine Hämatomausräumung oder unilaterale<br />

Dekompressionen. Diese Studie zeigt unter<br />

anderem auch, dass eine chirurgische Dekompression<br />

mit nachgewiesener Reduktion des<br />

Drucks nicht zwangsläufig zu einem besseren<br />

klinischen Ergebnis führen muss und sogar in<br />

mancher Hinsicht nachteilig sein kann.<br />

1 Cooper DJ et al., Decompressive craniectomy in diffuse<br />

traumatic brain injury (DECRA). N Engl J Med 2011;<br />

364:1493–502<br />

2 Servadei F, Clinical value of decompressive craniectomy.<br />

N Engl J Med 2011; 364:16<br />

Parameter waren nach 3 Monaten und die<br />

des Rivermead-Motor-Assessments nach<br />

3 und 12 Monaten signifikant besser.<br />

Kommentar: In dieser kontrollierten Phase-<br />

II-Studie erreichten nichtgehfähige SchlaganfallpatientInnen<br />

doppelt so schnell die<br />

unabhängige Gehfähigkeit wie konventionell<br />

behandelte PatientInnen. Die Wirksamkeit<br />

des aufgabenspezifischen, repetitiven<br />

Konzepts in der motorischen Rehabilitation<br />

bestätigte sich. Eine frühere und intensivere<br />

Therapie außerhalb des Krankenbetts<br />

scheint die Wiedererlangung des selbständigen<br />

Gehens wesentlich zu beschleunigen.<br />

1<br />

Cumming TB et al., Very early mobilization after<br />

stroke fast-tracks return to walking: further results<br />

from the phase II AVERT randomized controlled trial.<br />

Stroke 2011; 42:153–8<br />

68


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

Nichtdystrophe Myotonien und<br />

periodische Paralysen<br />

Chloridkanalmyotonie<br />

Das klinische Symptom Myotonie bezeichnet<br />

eine Steifigkeit der Muskulatur, die durch eine<br />

verlangsamte Entspannung nach einer willkürlichen<br />

Kontraktion oder nach mechanischer<br />

Stimulation auftritt. Die erste Form der<br />

Myotonie wurde von Thomsen 1876 an sich<br />

selbst und seiner Familie beschrieben, sie<br />

hatte einen dominanten Erbgang. Vor ca. 50<br />

Jahren entdeckte Becker, dass es auch eine<br />

rezessiv erbliche Form der Myotonie gibt. Die<br />

Erkrankungen werden nach den Erstbeschreibern<br />

Myotonia congenita Thomsen (dominant)<br />

und Becker (rezessiv) genannt. Es gibt<br />

darüber hinaus Tiermodelle für die Myotonie,<br />

z. B. die myotone Ziege.<br />

Elektrophysiologische In-vitro-Untersuchungen<br />

an tierischen und menschlichen Muskelpräparaten<br />

zeigten, dass der Myotonie eine<br />

reduzierte Chloridleitfähigkeit der Muskelfasermembran<br />

zugrunde liegt. Später konnte<br />

gezeigt werden, dass bei den genannten Erkrankungen<br />

Mutationen in dem Gen vorliegen,<br />

das für den muskulären Chloridkanal<br />

kodiert (CLCN1). Die beiden Formen der<br />

Myotonia congenita werden dementsprechend<br />

als muskuläre Chloridkanalkrankheiten<br />

bezeichnet. Durch heterologe Expression und<br />

elektrophysiologische Charakterisierung von<br />

krankheitsverursachenden Mutationen konnte<br />

man den pathophysiologischen Mechanismus<br />

auf der molekularen Ebene aufklären.<br />

Klinik: Die Chloridkanalmyotonien sind klinisch<br />

durch eine generalisierte Myotonie<br />

sowie durch das so genannte „Warm-up-Phänomen“<br />

charakterisiert: Die Muskelsteifigkeit<br />

nimmt mit einer zunehmenden Anzahl von<br />

Kontraktionen ab. PatientInnen zeichnet meistens<br />

eine Muskelhypertrophie aus, die Muskeln<br />

sind jedoch funktionell, durch extreme<br />

Steifigkeit, deutlich beeinträchtigt. Die Myotonie<br />

macht sich beim festen Händedruck bemerkbar<br />

(so genannte „grip“ myotonia);<br />

der/die PatientIn ist dann nicht in der Lage,<br />

die Hand loszulassen. Das Beklopfen der<br />

Muskulatur (u. a. auch an der Zunge) löst<br />

eine myotone Reaktion aus, dies wird Perkussionsmyotonie<br />

genannt. Auf Grund der<br />

ausgeprägten Myotonie können Muskelverkürzungen<br />

mit der Folge eines Spitzfußes<br />

oder Einschränkungen im Bereich der anderen<br />

Gelenke z. B. Ellbogen oder Handgelenk<br />

auftreten. Becker-PatientInnen können eine<br />

transiente Muskelschwäche aufweisen. Diese<br />

tritt meist bei Beginn der Muskelaktivität auf<br />

und bildet sich nach wiederholten Kontraktionen<br />

langsam zurück.<br />

Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />

klinisches Bild, myotone „runs“ im<br />

EMG sowie molekulargenetische Untersuchung.<br />

Natriumkanalmyotonie<br />

Elektrophysiologische Untersuchungen an<br />

Muskelbiopsaten einiger PatientInnen mit<br />

Myotonie zeigten eine normale Chloridleitfähigkeit,<br />

jedoch eine erhöhte Natriumleitfähigkeit<br />

der Muskelfasermembran. Daraufhin<br />

gelang durch einen Kandidatengenansatz die<br />

Kopplung dieser Krankheiten zum Gen der<br />

-Untereinheit des muskulären Natriumkanals,<br />

SCN4A. Bis heute sind verschiedene<br />

Punktmutationen in diesem Gen gefunden<br />

worden, die diese so genannte kaliumsensitive<br />

Myotonie (Potassium-aggravated Myotonia<br />

= PAM) verursachen.<br />

Die Myotonie bei PAM wird durch Verabreichung<br />

von depolarisierenden Substanzen induziert<br />

oder verschlimmert (z. B. Kalium, Suxamethonium).<br />

Pathophysiologisch kann die<br />

Myotonie durch einen vermehrten Natriumeinstrom<br />

in die Muskelzelle erklärt werden.<br />

Die positiven Natriumionen führen zu einer<br />

leichten Membrandepolarisation, diese wiederum<br />

zu Serien von Aktionspotenzialen, die<br />

klinisch einer verlangsamten Muskelrelaxation<br />

– sprich Myotonie – entsprechen.<br />

Klinik: PAM tritt häufig nach körperlicher Tätigkeit<br />

auf, PatientInnen klagen auch über<br />

Muskelkrämpfe. Der Schweregrad der Myotonie<br />

kann zwischen einer leichten Form (der<br />

so genannten Myotonia fluctuans) und einer<br />

sehr schweren Form (Myotonia permanens)<br />

variieren. Bei der fluktuierenden Myotonie<br />

sind PatientInnen manchmal leicht und an<br />

vielen Tagen überhaupt nicht beeinträchtigt.<br />

Im Gegensatz dazu führt die Myotonia permanens<br />

zu einer massiven Muskelsteifigkeit,<br />

die gelegentlich sogar die Atemmuskulatur<br />

so stark beeinflusst, dass keine ausreichende<br />

Lungenventilation möglich ist.<br />

Im Gegensatz zu Myotonia Becker und Thomsen<br />

zeigen diese PatientInnen weder transiente<br />

Muskelschwäche noch eine besondere<br />

Kälteempfindlichkeit. Das Krankheitsbild ähnelt<br />

der Myotonia congenita Thomsen, von<br />

der es sich allerdings durch die Verstärkung<br />

der myotonen Symptomatik nach oraler Kaliumaufnahme<br />

unterscheidet, was diagnostisch<br />

verwendet werden kann. Ein weiteres<br />

Merkmal der PAM ist die so genannte paradoxe<br />

Myotonie (s. u.), die nur im Bereich der<br />

Lidmuskeln zu beobachten ist.<br />

Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />

klinisches Bild, Belastungstests mit<br />

oralem Kalium (nicht bei der Myotonia permanens<br />

testen!), myotone „runs“ im EMG<br />

sowie molekulargenetische Untersuchung.<br />

Paramyotonia congenita<br />

Im Gegensatz zum Warm-up-Phänomen, das<br />

bei der MC Thomsen und Becker auftritt,<br />

72


Zusammengestellt für den Beirat „Neuromuskuläre Erkrankungen“:<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic<br />

Abteilung für <strong>Neurologie</strong>, Landeskrankenhaus Vöcklabruck<br />

nimmt bei einer anderen myotonen Erkrankung<br />

die Muskelsteifigkeit mit repetitiver Reizung<br />

zu, ein Phänomen, das als „paradoxe<br />

Myotonie“ bezeichnet wird. Die Krankheit<br />

wurde deshalb Paramyotonia congenita (PC)<br />

genannt. Sie wurde zuerst von Eulenburg beschrieben<br />

(1896) und ist klinisch neben der<br />

paradoxen Myotonie durch eine kälteinduzierte<br />

Muskelsteifigkeit mit einer oft darauf<br />

folgenden Lähmungsphase charakterisiert,<br />

die Minuten bis Stunden anhalten kann. PC<br />

ist auch durch Mutationen im muskulären<br />

Natriumkanal verursacht, somit ist PC auch<br />

eine Natriumkanalerkrankung. Selten können<br />

bei einigen PC-Mutationen spontane Muskelschwächeepisoden<br />

auftreten. Solche<br />

spontan auftretende Attacken sind eigentlich<br />

bei periodischen Paralysen zu erwarten und<br />

können manchmal diagnostische Schwierigkeiten<br />

verursachen.<br />

Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />

klinisches Bild, Belastungstests mit<br />

Kälte (z.B. 15 Minuten Handkühlen bei 15° C),<br />

deutliche CK-Erhöhung, myotone „runs“ im<br />

EMG sowie molekulargenetische Untersuchung.<br />

Therapie<br />

Viele MyotoniepatientInnen benötigen keine<br />

Therapie, ausgenommen sind stark betroffene<br />

PatientInnen mit z. B. Myotonia permanens.<br />

Einige PatientInnen bevorzugen eine<br />

Prophylaxe vor der Trigger-Exposition (z. B.<br />

Paramyotonia-congenita-Patienten vor Kälteexposition,<br />

z. B. Schwimmengehen).<br />

Die therapeutischen Empfehlungen sind rein<br />

empirisch:<br />

Prophylaxe: Vermeidung von Kälte sowohl bei<br />

der Myotonie als auch bei der Paramyotonie;<br />

Vermeidung von kaliumreicher Ernährung und<br />

extensiver körperlicher Aktivität bei PAM.<br />

Medikamente: 1. Wahl: Flecainid 2-mal<br />

50–100 mg/d, Propafenon 2-mal 150–300<br />

mg/d (Vorsicht bei PatientInnen mit kardialen<br />

Vorerkrankungen, z. B. KHK oder Herzrhythmusstörungen);<br />

2. Wahl: Lamotrigin 2-mal<br />

50–300 mg/d, Oxcarbazepin 2-mal 300–900<br />

mg/d; 3. Wahl: Carbamazepin 2-mal 200–<br />

600 mg/d, Phenytoin 3-mal 100 mg/d; Lidocain<br />

oder Dantrolen i.v. bei Masseterspasmus.<br />

Periodische Paralysen<br />

Hyperkaliämische<br />

periodische Paralyse (HyperPP)<br />

Episodisch auftretende Lähmungsphasen, die<br />

typischerweise von einer Erhöhung des Serumkaliums<br />

begleitet werden, sind das Leitsymptom<br />

der hyperkaliämischen periodischen<br />

Paralyse (HyperPP). Die Lähmungen treten oft<br />

in der Erholungsphase nach starker Muskelaktivität<br />

auf und können durch Einnahme von<br />

Kalium oder kaliumreiche Speisen provoziert<br />

werden. Manchmal tritt eine Myotonie als Begleitsymptom<br />

der HyperPP kurz vor der Lähmung<br />

auf. Die Symptome können zwischen<br />

leichten, beinbetonten, proximalen Schwächen<br />

und schweren generalisierten Lähmungen<br />

variieren. Die Attacken dauern typischerweise<br />

wenige Minuten bis einige Stunden an.<br />

Sie treten meistens in der Früh, nach körperlicher<br />

Belastung, Nahrungskarenz oder nach<br />

Einnahme kaliumreicher Nahrung auf.<br />

HyperPP ist auch eine Natriumkanalerkrankung.<br />

Pathophysiologisch führt der Natriumeinstrom<br />

zu einer beträchtlichen Membrandepolarisation,<br />

Aktionspotenziale können<br />

nicht mehr ausgelöst werden, die Muskelfasern<br />

sind gelähmt.<br />

Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />

klinisches Bild, Belastungstests mit<br />

Kalium, iktales und interiktales Kalium, häufig<br />

myotone „runs“ im EMG sowie molekulargenetische<br />

Untersuchung.<br />

Die Körperliche Belastung führt auch bei gesunden<br />

Menschen zu einem vorübergehenden<br />

Kaliumspiegelanstieg. Während sich bei<br />

Gesunden die Kaliumwerte nach kurzer Zeit<br />

wieder normalisieren, steigen sie bei den HyperPP-PatientInnen<br />

nach ca. 45 Minuten erneut<br />

an. Dieser zweite Kaliumanstieg führt<br />

dann zu einer Lähmungsepisode. Die Kaliumwerte<br />

am Ende einer Lähmungsepisode<br />

können stark variieren, es können sogar hypokaliämische<br />

Spiegel vorliegen. Somit kann<br />

fälschlicherweise eine hypokaliämische periodische<br />

Paralyse (HypoPP) diagnostiziert werden,<br />

wenn die Kaliumspiegelbestimmung zu<br />

einem späten Zeitpunkt vorgenommen wird!<br />

Hypokaliämische<br />

periodische Paralyse (HypoPP)<br />

Im Gegensatz zu HyperPP findet man während<br />

der Lähmungsphase bei der hypokaliämischen<br />

periodischen Paralyse eine Senkung<br />

des Serumkaliums. Die Lähmungsepisoden<br />

dauern mehrere Stunden bis Tage an, treten<br />

nach körperlicher Belastung oder Einnahme<br />

glukosereicher Nahrung auf. Viele PatientInnen<br />

erleiden im Verlauf eine progressive Muskeldegeneration.<br />

Bei der HypoPP wurden Mutationen<br />

in Natrium-, Kalzium- und einem<br />

Kaliumkanal gefunden. Pathophysiologisch<br />

ist die Erkrankung noch nicht vollständig geklärt.<br />

Myotone Serien im EMG schließen die<br />

Diagnose einer HypoPP aus.<br />

Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />

klinisches Bild, Belastungstests mit<br />

Kalium, iktales und interiktales Kalium, keine<br />

„myotonen ,runs‘“ im EMG sowie mole -<br />

kulargenetische Untersuchung (SCN4A,<br />

CACN1AS, KCNJ18).<br />

Andere Formen<br />

Bei einigen PatientInnen werden während der<br />

Lähmungsepisoden immer normale Kaliumwerte<br />

gemessen. Diese Form wird normokaliämische<br />

periodische Paralyse genannt und<br />

unterscheidet sich rein klinisch nicht von den<br />

anderen beiden Formen.<br />

Die thyreotoxische hypokaliämische Lähmung<br />

tritt im Rahmen einer Hyperthyreose auf, die<br />

Symptome und die Trigger entsprechen<br />

denen der HypoPP. Eine sehr seltene Form<br />

der episodischen Paralyse ist das Andersen-<br />

Tawil-Syndrom. Die Kaliumwerte können bei u<br />

73


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

diesem Syndrom während der Lähmungsattacken<br />

stark variieren, des Weiteren können<br />

Herzrhythmusstörungen auftreten.<br />

Therapie<br />

Akuttherapie: HyperPP: Glukose 2 g/kg/KG<br />

oder Salbutamol 1–2 Hübe ggf. Kalziumglukonat<br />

0,5–2,0 g i.v. langsam;<br />

HypoPP: 2–10 g KCl oral, z. B. 2-3 Beutel<br />

Kalioral ® (117 mmol), bei niedrigen Kaliumwerten<br />

20 mmol KCl in 50 ml 5%iger Mannitollösung<br />

Prophylaxe: HyperPP: regelmäßige kohlenhydratreiche<br />

Mahlzeiten, Vermeiden von kaliumreicher<br />

Nahrung und Fasten sowie exzessiver<br />

körperlicher Tätigkeit. „Working-off“:<br />

die körperliche Aktivität nicht abrupt beenden.<br />

Lange Ruhephasen meiden, „ständig in<br />

Bewegung bleiben“.<br />

HypoPP: kaliumreiche Nahrung, Vermeidung<br />

von Kohlenhydraten und exzessiver körperlicher<br />

Tätigkeit. „Working-off“: die körperliche<br />

Aktivität nicht abrupt beenden. Lange Ruhephasen<br />

meiden, „ständig in Bewegung bleiben“.<br />

Medikamente: HyperPP: 1. Wahl: Hydrochlorothiazid<br />

25–75 mg/d, Kalium-Zielwert<br />

3–3,5 mmol/l (Cave Hypokaliämie!); 2. Wahl:<br />

Acetazolamid 125–1000 mg/d, Dichlorphenamid<br />

25–75 mg/d (noch nicht erhältlich); 3.<br />

Wahl: Fludrocortison 0,1 mg/d<br />

HypoPP: 1. Wahl: Acetazolamid 125–1000<br />

mg/d mit Kalium retard, Kalium-Zielwert 4,5–<br />

5,2 mmol/l (cave: Hyperkaliämie!); Dichlorphenamid<br />

25–75 mg/d; 2. Wahl: Eplerenon<br />

25–50 mg/d mit Kalium retard; 3. Wahl: kaliumsparende<br />

Diuretika wie z. B. Triamteren<br />

150 mg/d.<br />

NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Multiple Sklerose<br />

Zusammengestellt von:<br />

Prim. Dr. Ulf Baumhackl<br />

Neurologisch-psychiatrisches Zentrum Belvedere, Wien<br />

ÖMSG-Erhebung<br />

Prävalenz der multiplen Sklerose 2010<br />

Nach 10 Jahren wurde von der Österreichischen<br />

Multiplen Sklerose <strong>Gesellschaft</strong><br />

(ÖMSG) 2010/2011 in Zusammenarbeit mit<br />

GfK wieder eine Untersuchung zur Prävalenz<br />

der multiplen Sklerose durchgeführt, an der<br />

sich insgesamt 1.303 MS-PatientInnen und<br />

28 MS-Ambulanzen in ganz Österreich beteiligten.<br />

Wie die Aggregation und Hochrechnung der<br />

Ergebnisse zeigt, gibt es aktuell in Österreich<br />

rund 12.500 MS-Patientinnen, deutlich mehr<br />

als in der Untersuchung von 1999. Die Prävalenz<br />

der MS beträgt 148 pro 100.000 EinwohnerInnen.<br />

Dies dürfte auch mit der verbesserten<br />

Diagnostik und einer zunehmenden<br />

Lebenserwartung in Zusammenhang<br />

stehen. Eine Monatsauszählung in den MS-<br />

Ambulanzen ergab, dass innerhalb von 4 Wochen<br />

1.497 PatientInnen betreut wurden. Insgesamt<br />

gaben 40 % der PatientInnen an, innerhalb<br />

der letzten 12 Monate nicht in MS-<br />

Ambulanzen betreut worden zu sein.<br />

Der Zeitraum zwischen der ersten Verdachtsdiagnose<br />

auf MS und der endgültigen Diagnose<br />

liegt im Durchschnitt bei weniger als<br />

einem Jahr. 22 % der MS-PatientInnen leiden<br />

unter einer Verlaufsform, die die PatientInnen<br />

nur leicht behindert, 33 % haben subjektiv<br />

keine Beschwerden oder Behinderung, 10 %<br />

benötigen zeitweise oder ständig einen Rollstuhl.<br />

Bei 2 Drittel der MS-Betroffenen liegt<br />

eine schubförmige Verlaufsform vor. Im Allgemeinen<br />

sind MS-PatientInnen sehr gut<br />

über ihre Erkrankung informiert (44 %), lediglich<br />

4 % fühlen sich schlecht informiert.<br />

Als besonders wichtig werden die Informationen<br />

der NeurologInnen in MS-Ambulanzen<br />

und im stationären Bereich bei Diagnosestellung<br />

sowie der niedergelassenen NeurologInnen<br />

erachtet.<br />

Die definitive Diagnose wird vor allem stationär<br />

im Krankenhaus gestellt, und 45 % der PatientInnen<br />

werden hauptsächlich in MS-Spezialambulanzen<br />

betreut. Die überwiegende<br />

Mehrheit (95 %) ist zufrieden mit der medizinischen<br />

Versorgung. Die größten Mankos bestehen<br />

aus PatientInnensicht bei der Erstattung<br />

der Kosten für Heilbehelfe, bei der finanziellen<br />

Unterstützung bei Verlust des Arbeitsplatzes<br />

sowie bei der Höhe des Pflegegeldes. Viele<br />

MS-PatientInnen sind aber noch erwerbstätig<br />

(32 % voll, 13 % teilweise berufstätig), und<br />

nur 30 % sind Pflegegeldbezieher.<br />

Im Vergleich zu 1999 hat sich in der subjektiven<br />

Beurteilung die Lebensqualität verbessert.<br />

46 % bezeichnen diese als gut, weitere<br />

37 % als eher gut und nur 14 % als (eher)<br />

schlecht. 1999 sagten noch 29 % der MS-<br />

PatientInnen, dass ihre Lebensqualität<br />

schlecht sei.<br />

74


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Multiple Sklerose<br />

Zusammengestellt für den<br />

Beirat „Multiple Sklerose“:<br />

Dr.<br />

Harald Hegen<br />

Univ.-Prof. Dr. Florian<br />

Deisenhammer<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Innsbruck<br />

Kongress der American Academy of Neurology 2011<br />

Highlights zur multiplen Sklerose<br />

Der diesjährige Kongress der American Academy<br />

of Neurology (AAN) fand im April in<br />

Honolulu statt und bot den rund 8000 TeilnehmerInnen<br />

mit einem breiten wissenschaftlichen<br />

Programm und knapp über<br />

2000 Posterbeiträgen einen guten Überblick<br />

über die aktuelle Studienlage in den verschiedenen<br />

<strong>neurologisch</strong>en Teilbereichen. Im<br />

Bereich der multiplen Sklerose (MS) wurden<br />

nur wenige neue randomisiert-kontrollierte<br />

klinische Studien präsentiert. Wesentliche<br />

Neuigkeiten stellten aber insbesondere die<br />

revidierten McDonalds-Kriterien 2010 für<br />

die Diagnose der MS sowie die aktuellen<br />

Daten zur Risikostratifizierung für die progressive<br />

multifokale Leukenzephalopathie<br />

(PML) unter einer Therapie mit Natalizumab<br />

dar. Zudem gab es eine Reihe von interessanten<br />

experimentellen Arbeiten, deren Relevanz<br />

allerdings oft hinterfragt werden<br />

darf.<br />

Randomisierte, kontrollierte,<br />

doppelblinde Therapie-Studien<br />

TEMSO: In dieser Phase-III-Studie wurde die<br />

orale Therapie mit Teriflunomid in den Dosierungen<br />

7 mg und 14 mg täglich mit Placebo<br />

an insgesamt 1088 schubförmigen MS-<br />

PatientInnen über einen Zeitraum von 108<br />

Wochen verglichen. Primärer Endpunkt war<br />

die jährliche Schubrate.<br />

Ergebnisse: Die jährliche Schubrate in der Placebo-Gruppe<br />

betrug 0,54 und in den beiden<br />

Therapiearmen jeweils 0,37. Dies entspricht<br />

einer relativen Risikoreduktion von 31 %.<br />

Eine signifikante Risikoreduktion (30 %) für<br />

eine nach 12 Wochen bestätigte EDSS-Progression<br />

konnte nur für PatientInnen in der<br />

14-mg-Dosis-Gruppe gezeigt werden. Ein<br />

klarer Dosiseffekt von Teriflunomid wurde<br />

auch in Bezug auf Reduktion der MRT-Aktivität<br />

beobachtet.<br />

Nebenwirkungen: Diarrhoe, Nausea, Erhöhung<br />

der ALT sowie milde Alopezie wurden<br />

häufiger in der Teriflunomid- als in der Placebo-Gruppe<br />

beobachtet. Die Rate an Infektionen<br />

war zwischen den Gruppen etwa<br />

gleich verteilt.<br />

Ocrelizumab in RRMS (relapsing remitting<br />

MS): Diese laufende vierarmige Phase-<br />

II-Studie untersucht Ocrelizumab (OCR),<br />

einen humanisierten Anti-CD20-monoklonalen<br />

Antikörper, an insgesamt 220 schubförmigen<br />

MS-PatientInnen. Das Studiendesign<br />

ist in Abbildung 1 dargestellt. Primärer Endpunkt<br />

ist die Anzahl Gadolinium-anreichender<br />

(Gd + -)Läsionen.<br />

Ergebnisse: Die Anzahl der Gd + -MRI-Läsionen<br />

konnte um 96 % bzw. 89 % reduziert werden<br />

(hoch- vs. niedrige OCR-Dosis). Die jährliche<br />

Schubrate betrug für die OCR-600-mg-<br />

Gruppe 0,11 und die OCR-2000-/1000-mg-<br />

Gruppe 0,26. Nach 48 Wochen waren in<br />

diesen beiden Gruppen 80 % bzw. 73 %<br />

der PatientInnen schubfrei.<br />

Nebenwirkungen: Schwere Nebenwirkungen<br />

Abb. 1: Studiendesign Ocrelizumab in RRMS<br />

Randomisierung (n = 220)<br />

Placebo<br />

Ocrelizumab 600 mg<br />

Ocrelizumab 2000 mg<br />

IFN-1a 30 µg i.m. 1-mal/Wo<br />

und Infektionen wurden in allen 4 Gruppen<br />

mit ähnlicher Häufigkeit beobachtet. Es traten<br />

bisher keine opportunistischen Infektionen<br />

auf. In ca. 35 % der Fälle kam es zu<br />

infusionsassoziierten Nebenwirkungen. Ein<br />

Todesfall ereignete sich in der OCR-2000/-<br />

1000-mg-Gruppe aufgrund eines Systemic<br />

Inflammatory Response Syndrome.<br />

Ginkgo biloba for Cognition: Die orale Medikation<br />

von täglich 120 mg Ginkgo biloba<br />

wurde mit Placebo über einen Zeitraum von<br />

12 Wochen an 122 MS-PatientInnen verglichen.<br />

Der primäre Endpunkt inkludierte verschiedene<br />

neuropsychologische Tests (Stroop,<br />

Pasat, California Verbal Learning Test II, Controlled<br />

Oral Word Association Test).<br />

Ergebnisse: Für keinen der Endpunkte konnte<br />

eine signifikante Verbesserung durch die Medikation<br />

mit Ginkgo biloba gezeigt werden.<br />

Transdermal Myelin Peptides in RRMS: In<br />

dieser placebokontrollierten Studie wurde die<br />

transdermale Applikation eines Myelin-Peptid-<br />

Gemisches (MBP 85-99, PLP 139-151 and<br />

MOG 35-55) an 30 schubförmigen MS-PatientInnen<br />

über einen Zeitraum von einem u<br />

Re-Allokation Woche 24<br />

Ocrelizumab 600 mg<br />

Ocrelizumab 600 mg<br />

Ocrelizumab 1000 mg<br />

Ocrelizumab 600 mg<br />

75


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Multiple Sklerose<br />

Jahr untersucht. Insgesamt gab es 3 Therapiearme:<br />

10-mg-Peptid- (n = 4), 1-mg-Peptid-<br />

(n = 16) und Placebo-Gruppe (n = 10). Das<br />

transdermale Pflaster wurde im ersten Monat<br />

wöchentlich, danach monatlich gewechselt.<br />

Primärer Endpunkt war die Anzahl Gd + -Läsionen.<br />

Ergebnisse: In der 1-mg-Peptid-Gruppe wur -<br />

de eine signifikante Reduktion des Volumens<br />

von T2- und Gd + -Läsionen, der EDSS-Progression<br />

als auch der jährlichen Schubrate um<br />

65 % verglichen mit Placebo beobachtet.<br />

Nebenwirkungen: Insgesamt wurden keine<br />

wesentlichen Nebenwirkungen berichtet.<br />

SIMCOMBIN: Die Effektivität und Sicherheit<br />

von Simvastatin als Add-on-Therapie zu intramuskulärem<br />

Interferon- (IFN)-1a wurde<br />

an 156 schubförmigen MS-PatientInnen untersucht.<br />

Patienten erhielten entweder IFN<br />

und Simvastatin 80 mg täglich ODER IFN<br />

und Placebo. Primärer Endpunkt war die jährliche<br />

Schubrate.<br />

Ergebnisse: Es wurden keine signifikanten<br />

Unterschiede hinsichtlich jährlicher Schubrate,<br />

Zeit bis zum ersten Schub, neuer und/oder<br />

zunehmender T2-Läsionen oder Anzahl der<br />

PatientInnen ohne Krankheitsaktivität festgestellt.<br />

Effects of Fingolimod on Cardiovascular<br />

Parameters: Die kardiovaskulären Daten von<br />

2552 MS-PatientInnen aus den beiden Phase-<br />

III-Studien FREEDOMS und TRANSFORMS<br />

wurden analysiert.<br />

Ergebnisse: Der Therapiebeginn mit Fingolimod<br />

resultierte in einer dosisabhängigen Abnahme<br />

der Herzfrequenz, die den Nadir nach<br />

5 Stunden erreichte und in der 0,5-mg-Dosis-<br />

Gruppe 8 Schläge pro Minute betrug. Atrioventrikuläre<br />

Überleitungsstörungen waren<br />

meist asymptomatisch, nur 1 Patient in der<br />

0,5-mg-Dosis-Gruppe erhielt eine medikamentöse<br />

Therapie aufgrund einer Bradykardie.<br />

Insgesamt normalisierten sich Herzfrequenz<br />

und atrioventrikuläre Überleitung innerhalb<br />

eines Monats. In FREEDOMS wurde<br />

zudem ein geringer Anstieg des Blutdrucks<br />

um durchschnittlich 1,1 mmHg verzeichnet.<br />

Echokardiographische Untersuchungen in<br />

TRANSFORMS an einem kleinen Teil der PatientInnen<br />

(n = 33) zeigten keine Veränderungen<br />

der Linksventrikelfunktion.<br />

Tab.: MRI-Kriterien für zeitliche und örtliche Dissemination 2005 vs. 2010<br />

McDonalds-Kriterien 2005 McDonalds-Kriterien 2010<br />

RRMS<br />

Zeitliche Disseminierung 1 Gd + -Läsion zumindest drei 1 neue T2- und/oder<br />

Monate nach dem initialen Gd + -Läsion verglichen mit<br />

klinischen Ereignis a<br />

Baselinescan c<br />

oder<br />

oder<br />

1 neue T2-Läsion verglichen Simultaner Nachweis einer<br />

mit einem Referenzscan b asymptomatishen Gd + - und<br />

Gd – -Läsion zu jedem Zeitpunkt<br />

Räumliche 3 von 4 Kriterien erfüllt: 1 T2-Läsion in 2 von 4<br />

Disseminierung • 1 Gd + - oder Regionen:<br />

9 T2-Läsionen<br />

• periventrikulär<br />

• 1 infratentorielle Läsion • juxtakortikal<br />

• 1 juxtakortikale Läsion • infratentoriell<br />

• 3 periventrikuläre Läsionen • spinal<br />

PPMS<br />

Diagnostische Kriterien 1 Jahr Krankheitsprogression d 1 Jahr Krankheitsund<br />

progression d<br />

2 von 3 Kriterien erfüllt: und<br />

• 9 T2-Läsionen oder 2 von 3 Kriterien erfüllt:<br />

4 T2-Läsionen und • 1 T2-Läsionen in 1 MSpositive<br />

VEP<br />

typischen Region (periven-<br />

• 2 spinale Läsionen<br />

trikulär, juxtakortikal,<br />

• erhöhter IgG-Index oder infratentoriell)<br />

OCB +<br />

• 2 spinale Läsionen<br />

• erhöhter IgG-Index<br />

oder OCB +<br />

a in einer Lokalisation, die nicht mit dem initialen klinischen Ereignis korrespondiert.<br />

b durchgeführt zumindest 30 Tage nach Beginn des initialen klinischen Ereignisses.<br />

c durchgeführt zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem initialen klinischen Ereignis.<br />

d retro- oder prospektiv.<br />

Revidierte<br />

McDonalds-Kriterien 2010<br />

Im Zuge der letzten Revision der McDonalds-<br />

Kriterien für die Diagnose der MS wurden in<br />

erster Linie die MRT-Kriterien für die zeitliche<br />

und räumliche Disseminierung geändert. Dadurch<br />

wird die Diagnosestellung bereits bei<br />

PatientInnen mit nur einem klinischen Ereignis<br />

(CIS) und einem MRT-Scan möglich.<br />

Zudem ist die Liquordiagnostik zum Nachweis<br />

einer intrathekalen Immunglobulinsynthese<br />

durch einen erhöhten IgG-Index oder positiven<br />

oligoklonalen Banden für die Diagnose<br />

einer schubförmigen MS nicht mehr notwendig,<br />

sondern nur mehr zum Ausschluss relevanter<br />

Differenzialdiagnosen sowie für die<br />

Diagnose der primär progredienten Verlaufsform.<br />

Pathologische visuell evozierte Potenziale<br />

sind nicht mehr Bestandteil der diagnos -<br />

tischen Kriterien für die PPMS.<br />

Die Tabelle zeigt eine Gegenüberstellung der<br />

wesentlichen Änderungen.<br />

Anti-JCV-Antikörper<br />

und PML-Risiko<br />

Anti-JCV-Antikörper (Anti-JCV-AK) kommen<br />

bei knapp über 50 % der mit Natalizumab<br />

behandelten MS-PatientInnen vor. Die Tes -<br />

tung erfolgt mit einem vom Biogen Idec zur<br />

Verfügung gestellten 2-Stufen-ELISA. In einer<br />

Studie an 376 PatientInnen wurde eine Anti-<br />

JCV-AK-Prävalenz von 57 % sowie eine signi -<br />

fikant niedrigere Prävalenz bei Frauen (52 %<br />

vs. 68 %) beobachtet. Frühere Immunsup-<br />

76


pression sowie Therapiedauer mit Natalizumab<br />

hatten keinen Einfluss auf die AK-Prävalenz.<br />

Bis dato wurden Anti-JCV-AK in allen Blutproben<br />

nachgewiesen, die vor, zum Zeitpunkt<br />

und nach einer PML-Diagnose entnommen<br />

wurden. Somit besteht nach der aktuellen<br />

Datenlage kaum ein PML-Risiko bei einem<br />

negativem Anti-JCV-AK-Test, wobei eine jährliche<br />

Serokonversionrate zur AK-Positivität<br />

von 2–3 % zu berücksichtigen ist. Die Abbildung<br />

2 zeigt die am Kongress erstmals präsentierten<br />

aktuellen PML-Inzidenzen unter<br />

Berücksichtigung der bekannten 3 Risikofaktoren.<br />

Eine weitere Studie untersuchte das Outcome<br />

von Natalizumab-assoziierter PML und zeigte<br />

höheres Patientenalter, höheren EDSS vor<br />

PML, längeren Zeitabstand von Beginn der<br />

PML-Symptomatik bis zur Diagnosestellung<br />

und ausgedehnte PML-Läsionen im MRT als<br />

ungünstige prognostische Faktoren. Nach<br />

Therapiebeginn mit Plasmapherese oder Immunoadsorption<br />

wurde ein Immune-Reconstitution-Inflammatory-Response-Syndrom<br />

(IRIS-Syndrom) bei ca. 90 % berichtet. Die<br />

Überlebensrate betrug ca. 80 %.<br />

Auswahl von Beobachtungsund<br />

explorativen Studien<br />

• Chronic cerebro-spinal venous insuffi -<br />

ciency (CCSVI) – eine von einer For -<br />

schungsgruppe berichtete Abflussstörung<br />

insbesondere im Bereich der Vv.<br />

jugulares internae – wurde in mehreren<br />

Studien untersucht. Weder mit extranoch<br />

mit transkranieller Doppler-Sonographie<br />

noch mit MR-Venographie<br />

konnte an insgesamt 181 MS-Patien -<br />

t Innen ein signifikanter Unterschied in<br />

Bezug auf retrograden Blutfluss oder<br />

Stenosen der Vv. jugulares internae, ver -<br />

tebrales sowie intrakranieller Venen und<br />

zerebralen Sinus verglichen mit 40 Kon -<br />

trollpersonen beobachtet werden. Insge -<br />

samt besteht somit nach wie vor keine<br />

Evidenz für eine venöse Insuffizienz in<br />

der Pathogenese der MS.<br />

• Mit Hilfe der optischen Koheränztomographie<br />

wurde eine signifikant geringere<br />

Abb. 2: Stratifizierung des PML-Risikos unter Therapie mit Natalizumab<br />

Therapiedauer<br />

Negativ a<br />

Anti-JCV-AKnegativ<br />

Anti-JCV-Antikörper-Status<br />

a PML-Inzidenz basiert auf der hypothetischen Annahme eines Anti-JCV-AK-negativen PML-Patienten.<br />

b PML-Inzidenz wurde basierend auf einer Anti-JCV-AK-Prävalenz von 55 %, einer 20%-igen Rate vorangegangener<br />

Immunsuppression (TYGRIS) und einer 100%-igen Anti-JCV-AK-Positivität vor Beginn und zum Zeitpunkt der<br />

Diagnose der PML berechnet.<br />

Ganglienzellschicht-Dicke der Retina bei<br />

MS-PatientInnen verglichen mit gesun -<br />

den Kontrollpersonen – mit den niedrigs -<br />

ten Werten bei MS-PatientInnen mit<br />

sekundär progredientem Verlauf – sowie<br />

eine inverse Korrelation mit früheren<br />

Opticusneuritiden, Seh vermögen und<br />

EDSS-Score festgestellt.<br />

• Höheres Patientenalter bei<br />

Schwangerschaft, höhere Schubrate im<br />

Jahr vor sowie in der Schwangerschaft,<br />

längere MS-Erkrankungsdauer, höherer<br />

EDSS-Score, das Fehlen früherer<br />

immuno modulatorischer Therapie waren<br />

Prädiktoren für das Auftreten postpar -<br />

taler Schübe. Insgesamt hatten von 44 %<br />

der 298 Patientinnen 1 oder mehr<br />

Schübe innerhalb eines Jahres nach der<br />

Entbindung.<br />

• Bei 54 MS-PatientInnen wurde beobach -<br />

tet, dass ausschließliches Stillen zu einer<br />

signifikant reduzierten Schubrate in den<br />

ersten 6 Monaten nach der Entbindung<br />

führte, verglichen mit nicht ausschließ -<br />

lichem Stillen.<br />

• Longitudinale Messungen der Lympho -<br />

zytenzahl im peripheren Blut unter der<br />

Therapie mit Fingolimod, das über die<br />

Blockade von S1P-Rezeptor den Egress<br />

von Lymphozyten aus Lymph knoten<br />

Anti-JCV-AK-positiv ohne<br />

frühere Immunsuppression<br />

0,35/1000<br />

0–2 Jahre 0,11/1000 (95%-CI: 0,19–0,60)<br />

(95%-CI:<br />

0–0,59)<br />

> 2 Jahre 2,8/1000<br />

(95%-CI: 2,0–3,8)<br />

Positiv b<br />

Frühere Immunsuppression<br />

Nein<br />

Ja<br />

Anti-JCV-AK-positiv mit<br />

früherer Immunsuppression<br />

1,2/1000<br />

(95%-CI: 0,58–2,2)<br />

8,1/1000<br />

(95%-CI: 5,4–11,6)<br />

reduziert, zeigten, dass die Lympho -<br />

zytenzahl nach Therapiebeginn innerhalb<br />

von Stunden abnahm, einen Steady<br />

State nach 2–4 Wochen erreichte und<br />

die Reduktion in der 0,5-mg-Dosis-Gruppe<br />

ca. 73 % betrug. Nach Beendi gung<br />

der Therapie wurde nach 45 Tagen<br />

wieder eine normale Lymphozytenzahl<br />

erreicht, die 78 % des Ausgangswertes<br />

vor Therapie betrug.<br />

• Ergebnisse aus der REFLEX-Studie zeig -<br />

ten, dass die frühe Therapie mit sub -<br />

kutanem IFN-1a in einer ca. 50%-<br />

Risikoreduktion für die Konversion zur<br />

klinisch-definitiven MS im Beobachtungs -<br />

zeitraum von 2 Jahren resultierte.<br />

• Die 5-Jahres-Daten der PreCISe-Studie<br />

zeigten nach wie vor einen Nutzen von<br />

einer frühen Therapie mit Glatiramer -<br />

a cetat.<br />

• Die Impfantwort (Tetanustoxoid und<br />

Keyhole Limpet Hemocyanin) wird durch<br />

eine laufende Therapie mit Natalizumab<br />

nicht beeinflusst.<br />

• Eine 21-Jahres-Analyse der originalen<br />

Betaferon-Studie zeigte eine niedrigere<br />

Mortalität in der Gruppe der ursprüng -<br />

lich zu Betaferon randomisierten Pa -<br />

tienten im Vergleich zu der ursprüng -<br />

lichen Placebo-Gruppe.<br />

77


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Autonome Störungen<br />

Droxidopa zur Therapie der symptomatischen<br />

neurogenen orthostatischen Hypotension –<br />

ein Überblick<br />

Für die Behandlung der neurogenen orthostatischen Hypotonie bei PatientInnen mit Mb. Parkinson, MSA und<br />

PAF stellt Droxidopa als Vorläufersubstanz von Noradrenalin einen hoffnungsvollen neuen Kandidaten dar.<br />

Der Begriff „orthostatische Hypotension“<br />

wird definiert als ein orthostatisch bedingter<br />

Blutdruckabfall (d. h. ausgelöst durch den<br />

Wechsel aus liegender in stehende Position)<br />

von 20 mmHg systolisch bzw. 10 mmHg<br />

diastolisch. Die neurogene orthostatische<br />

Hypotension (NOH) stellt ein wesentliches<br />

Symptom autonomen Versagens bei verschiedenen<br />

neurodegenerativen Erkrankungen<br />

dar. So kann sie sowohl bei PatientInnen<br />

mit der klassischen Parkinson-Krankheit ein<br />

herausragendes Symptom autonomer Dysfunktion<br />

als auch bei PatientInnen mit der<br />

Parkinson-Variante der Multisystematrophie<br />

(MSA) vornehmlich auftreten; bei beiden<br />

Krankheiten hat sich gezeigt, dass die symptomatische<br />

orthostatische Hypotonie einen<br />

wesentlicher Faktor zur Einschränkung der<br />

Lebensqualität darstellt. Darüber hinaus gibt<br />

es weitere neurodegenerative Krankheiten,<br />

im Rahmen derer eine NOH auftritt und wo<br />

sie sogar das Leitsymptom darstellen kann<br />

(insgesamt handelt es sich hierbei jedoch<br />

um eher seltener auftretende Krankheiten:<br />

primär autonomes Versagen, familiäre Dysautonomie,<br />

Beta-Hydroxylase-Mangel, außerdem<br />

kann eine neurogene orthostatische<br />

Dysregulation auch bei anderen (nichtdiabetischen)<br />

autonomen Neuropathien auftreten).<br />

Ätiologisch werden entsprechend verschiedenen<br />

zugrunde liegenden Pathomechanismen<br />

der oben erwähnten Krankheiten auch verschiedene<br />

pathophysiologische Mechanismen<br />

der NOH diskutiert. So scheint zum<br />

einen bei der Parkinson-Krankheit eher ein<br />

peripheres Problem vorzuliegen, entsprechend<br />

den Ergebnissen neuropathologischer<br />

und funktionell-bildgebender Untersuchungen<br />

(Untergang peripherer Neurone des Sympathikus);<br />

und zum anderen scheint bei Multisystematrophie,<br />

primär autonomen Ver -<br />

sagen und familiärer Dysautonomie eher eine<br />

zentrale Ursache zugrunde zu liegen (Degeneration<br />

zentraler Sympathikusanteile),<br />

wobei speziell bei der Multisystematrophie<br />

auch eine Kombination aus beidem beschrieben<br />

wurde.<br />

Abb. 1: Metabolismus von Droxidopa<br />

Abb. 2: Wirkmechanismus von Droxidopa<br />

Kaufmann, 2008<br />

Kaufmann, 2008<br />

82


Zusammengestellt im Namen des<br />

Beirats „Autonome Störungen“:<br />

Dr. Susanne<br />

Dürr<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Gregor Wenning,<br />

MSc<br />

Dr. Roberta Granata<br />

Abteilung für klinische Neurobiologie, Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Innsbruck<br />

Therapie<br />

Zum jetzigen Zeitpunkt stehen uns keine ursächlich<br />

die Pathophysiologie der jeweiligen<br />

neurodegenerativen Erkrankungen beeinflussenden<br />

Wirkstoffe zur Verfügung, und die<br />

Behandlung der orthostatischen Hypotonie<br />

stützt sich vor allem auf eine symptomatisch<br />

orientierte Gabe der fehlenden Neurotransmitter<br />

– vergleichbar mit einer Dopamin-Therapie<br />

zur Behandlung der motorischen Symptome<br />

bei Parkinson-PatientInnen.<br />

Etabliert haben sich hier – neben allgemeinen<br />

physikalischen Behandlungsansätzen (Tragen<br />

von Stützstrümpfen/-mieder, ausreichend<br />

Flüssigkeitszufuhr, mehrere kleine Mahlzeiten<br />

am Tag statt wenige große, Schlafen mit erhöhtem<br />

Bettkopfende) – vor allem zwei in<br />

der klinischen Routine häufig verwendete<br />

Wirkstoffe: das Sympathomimetikum Midodrin<br />

(Gutron ® ) und das Mineralokortikoid Fludrocortison<br />

(Astonin H ® ).<br />

Insgesamt können damit zumeist gute Verbesserungen<br />

erreicht werden, sowohl des<br />

messbaren orthostatischen Blutdruckabfalls<br />

als auch der häufigen Begleitsymptome (wie<br />

Schwindel, Verschwommensehen, Übelkeit,<br />

Müdigkeit, Nackenschmerzen, Konzentrationsstörungen,<br />

Stürze). Trotzdem stellen sowohl<br />

häufige Nebenwirkungen (zu starker<br />

Blutdruckanstieg im Liegen, hypertone Entgleisungen<br />

und deren Folgen) als auch manch<br />

therapieresistenter Patient limitierende Faktoren<br />

dar, weshalb die Forschung nach weiteren<br />

Substanzen zur Behandlung der orthostatischen<br />

Hypotonie sucht.<br />

Wirkstoff Droxidopa<br />

„L-Threo-3,4-Dihydroxy-Phenylserin“, kurz<br />

Droxidopa, ist eine synthetisch hergestellte<br />

Vorläufersubstanz des körpereigenen Neurotransmitters<br />

Noradrenalin. Droxidopa selbst<br />

unterscheidet sich von Levodopa lediglich<br />

durch eine zusätzliche Carboxyl-Gruppe, ist<br />

noch unverstoffwechselt biologisch inaktiv<br />

und durchläuft die Blut-Hirn-Schranke. Weiter<br />

wird es sowohl im zentralen als auch im<br />

peripheren Nervensystem in den natürlichen<br />

Stoffwechsel eingeschleust (Enzym = Dopa-<br />

Decarboxylase) und im Neuron zu Noradrenalin<br />

umgewandelt. Hierbei wird der Syntheseschritt<br />

Dopamin Noradrenalin umgangen,<br />

was z. B. zur Behandlung der Krankheit<br />

mit Dopamin-Beta-Hydroxylasemangel ausgenutzt<br />

wird.<br />

Das nun zu dem körpereigenen Hormon Noradrenalin<br />

verstoffwechselte Droxidopa hat<br />

prinzipiell einen sympathomimetischen Effekt,<br />

wobei sowohl zentralautonome als auch<br />

periphere Mechanismen diskutiert werden;<br />

außerdem ist auch ein hormonähnlicher Effekt<br />

in inneren Organen möglich.<br />

Präklinische Daten zeigten eine gute Bioverfügbarkeit<br />

der oral administrierten Substanz (ca.<br />

90 %), bei einer mittleren Halbwertszeit von<br />

2–3 Stunden. Dies führt dazu, dass Droxidopa<br />

Abb. 3: Design der Phase-III-Studie mit Droxidopa<br />

– ähnlich dem Levodopa – mehrmals täglich<br />

eingenommen werden muss (wobei sich eine<br />

3-mal tägliche Gabe als effektiv erwiesen hat).<br />

Erfahrungen aus<br />

Phase-II- und -III-Studien<br />

Nach präklinischen Untersuchungen zur<br />

Wirksamkeit und Sicherheit von Droxidopa<br />

wurde die Substanz in verschiedenen Phase-<br />

II-Studien getestet, mit besonderem Augenmerk<br />

auf den symptomatischen Effekt auf<br />

orthostatisch hervorgerufene Beschwerden<br />

anhand verschiedener Skalen zur Erfassung<br />

klinischer Symptome (OHSA = orthostatic hypotension<br />

symptom scale, OHDAS = orthostatic<br />

hypotension daily activity scale, GCI-I<br />

= global clinical impression-improvement).<br />

Hier zeigte sich sowohl ein zumeist moderater<br />

blutdrucksteigernder Effekt in Ruhe, bei<br />

guter Verbesserung des orthostatischen Blutdruckabfalls,<br />

als auch eine signifikante Verbesserung<br />

der OH-begleitenden Symptome,<br />

getestet an MSA- und PAF-PatientInnen.<br />

Das Ergebnis einer europaweiten Studie (30<br />

Zentren, 125 PatientInnen, doppelblind und u<br />

83


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Autonome Störungen<br />

placebokontrolliert) zur Dosisfindung von<br />

Droxidopa bei PatientInnen mit NOH bei Mb.<br />

Parkinson und MSA zeigte, dass die optimale<br />

Dosierung bei 3-mal 300 mg/d liegt und<br />

dabei eine signifikante Reduktion des systolischen<br />

Blutdruckabfalls erreicht werden kann<br />

(im Mittel um 11,4 mmHg).<br />

Basierend auf diesen Ergebnissen wurde die<br />

Phase-III-Studie designt und kürzlich fertig<br />

gestellt (multicenter, randomisiert, placebokontrolliert<br />

mit einer offenen Titrationsphase<br />

gefolgt von einer 7-tägigen Auswaschphase<br />

und anschließenden 7-tägigen Therapiephase).<br />

Insgesamt wurden hier 263 PatientInnen<br />

als „Responder“ eingestuft, d. h., dass ein<br />

definiertes Ansprechen auf Droxidopa gegeben<br />

war, und schließlich 168 PatientInnen in<br />

die Studie randomisiert.<br />

In diese Studie wurden PatientInnen mit Mb.<br />

Parkinson, MSA und PAF eingeschlossen. Das<br />

Ergebnis ist zum jetzigen Zeitpunkt noch<br />

nicht veröffentlicht, aber aufgrund der sehr<br />

ermutigenden Daten aus Phase-II-Studien<br />

wird derzeit eine Zulassung in Europa und<br />

USA angestrebt.<br />

Indikation und Dosierung<br />

Die Indikation von Droxidopa soll für folgende<br />

Konstellationen gestellt werden: symptomatische<br />

NOH bei Patienten mit Mb. Parkinson,<br />

Multisystematrophie, primär autonomes<br />

Versagen, familiäre Dysautonomie, Beta-Hydroxylase-Mangel,<br />

nichtdiabetische autonome<br />

Neuropathie.<br />

Entsprechend den oben angeführten pharmakokinetischen<br />

Erfahrungen wird Droxidopa<br />

3-mal täglich eingenommen, die Startdosis<br />

wird bei 3-mal 100 mg empfohlen, anschließend<br />

wird eine Steigerung um 100 mg<br />

bis zu einer Maximaldosis von 3-mal 600 mg<br />

täglich empfohlen.<br />

Resümee<br />

Droxidopa stellt als Vorläufersubstanz des<br />

Noradrenalins einen hoffnungsvollen neuen<br />

Kandidaten für die Behandlung der neurogenen<br />

orthostatischen Hypotonie bei PatientInnen<br />

mit Mb.Parkinson, MSA und PAF dar,<br />

dessen Wirksamkeit und Sicherheit gezeigt<br />

werden konnte. Eine baldige Zulassung in<br />

europäischen und amerikanischen Ländern<br />

wird derzeit angestrebt.<br />

Literatur:<br />

- Mathias CJ et al., L-dihydroxyphenylserine (Droxidopa)<br />

in the treatment of orthostatic hypotension. The<br />

European experience. Clin Auton Res 2008;<br />

Suppl 1:25–29<br />

- Kaufmann H et al., L-dihydroxyphenylserine (Droxidopa):<br />

a new therapy for neurogenic orthostatic hypotension.<br />

The US experience. Clin Auton Res 2008;<br />

Suppl 1:19–24<br />

- Mathias CJ et al., A double-blind, randomized,<br />

placebo-controlled study to determine the efficacy<br />

and safety of droxidopa in the treatment of<br />

orthostatic hypotension associated with multiple system<br />

atrophy or Parkinson’s disease. Clin Auton Res 2007;<br />

17:272(Abstract)<br />

- Goldstein DS et al. 2004, Clinical pharmacokinetics of<br />

the norepinephrine precursor L-threo-DOPS in primary<br />

chronic autonomic failure. Clin Auton Res 2004;<br />

14(6):363–68<br />

- Esler et al., An explanation of the unexpected efficacy of<br />

L-DOPS in pure autonomic failure. Clin Auton Res 2004;<br />

14:356–357<br />

- Droxidopa 301 study protocol (Chelsea© therapeutics)<br />

84


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurogeriatrie<br />

Zusammengestellt für den Beirat „Neurogeriatrie“:<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder<br />

Universitätsklinik für Geriatrie, Christian-Doppler-Klinik, Salzburg<br />

Ideale Lipidstoffwechselprofile für ein langes Leben<br />

Ein aktueller Review-Artikel 1 in Current Opinion in Cardiology beschäftigt sich mit den Zusammenhängen<br />

zwischen Lipidprofil, genetischen Einflussfaktoren und Langlebigkeit. Der nachfolgende Text versucht eine<br />

Zusammenfassung.<br />

Während für das jüngere und mittlere Lebensalter<br />

der Zusammenhang zwischen Fettstoffwechsel,<br />

kardiovaskulären und zerebrovaskulären<br />

Erkrankungen klar ist, fehlt es an<br />

Wissen über diese Zusammenhänge bei<br />

hochaltrigen (80+) Personen. Dies ist bedeutsam,<br />

da die Zahl der alten und ältesten Menschen<br />

weltweit zunimmt und in den westlichen<br />

Industrieländern bis zur Mitte dieses<br />

Jahrhunderts auf bis zu 10 % der Gesamtbevölkerung<br />

anwachsen wird. Typischerweise<br />

finden sich bei hochaltrigen Menschen – insbesondere<br />

bei 100-Jährigen – Cholesterinprofile,<br />

die ein niedriges Risiko für atherosklerotische<br />

Erkrankungen definieren: hohe<br />

HDL, niedrige LDL und niedrige Gesamtcholesterinspiegel.<br />

Lipidprofile im Alternsprozess<br />

Bei Männern führen im Alterungsprozess hormonelle<br />

Veränderungen und eine Zunahme<br />

der abdominellen Fettverteilung zu ungünstigen<br />

Auswirkungen auf den Lipidmetabolismus,<br />

durch die Abnahme der Androgenspiegel<br />

kommt es allerdings auch zu einer Erhöhung<br />

der HDL-Cholesterinspiegel im Ver gleich<br />

zum mittleren Lebensalter.<br />

Frauen zeigen im Alter eine stärkere Zunahme<br />

der Gesamtcholesterinspiegel, so finden<br />

sich die höchsten Cholesterinwerte bei Frauen<br />

in der 6. Dekade, bei Männern in der 5.<br />

Dekade. Postmenopausal finden sich bei<br />

Frauen höhere Werte für Gesamtcholesterin,<br />

LDL und Triglyzeride, während die HDL-Cholesterinspiegel<br />

im Vergleich zu prämenopausalen<br />

Frauen absinken. Für den Anstieg der<br />

Triglyzeride (bis zu 16 %) wird besonders die<br />

Reduktion der Östrogenspiegel in der Postmenopause<br />

verantwortlich gemacht, dazu<br />

kommt der Faktor der Zunahme der abdominellen<br />

Fettverteilung, der sich auch ungüns -<br />

tig auf HDL-Cholesterinspiegel und Triglyzeride<br />

auswirkt.<br />

Genetische Faktoren<br />

Große multinationale Forschungsprogramme<br />

(GEHA – GEnetics of Healty Aging; LLFS –<br />

Long Life Family Study) stellen sich aktuell<br />

der Frage nach genetischen Determinanten<br />

für extreme Langlebigkeit, zahlreiche Kohortenstudien<br />

gewichten die genetische Komponente<br />

für Langlebigkeit mit 15–30 %. So<br />

haben Zwillinge von 100-Jährigen eine 8 bis<br />

18-fach höhere Wahrscheinlichkeit, ebenfalls<br />

100 Jahre zu werden. Der zentrale Faktor der<br />

extremen Langlebigkeit ist die Resistenz gegenüber<br />

Krankheiten, die zu frühem Tod führen<br />

– extrem langlebige Menschen bleiben<br />

in der Regel von kardio- und zerebrovaskulären<br />

Erkrankungen, Diabetes, Alzheimer und<br />

Krebs verschont.<br />

Aktuell werden etwa 100 Kandidatengene<br />

für menschliche Langlebigkeit diskutiert, einige<br />

betreffen den Lipidstoffwechsel:<br />

• Die physiologische Rolle des Apolipo -<br />

protein E liegt in der Regelung der<br />

Interaktion von Lipoproteinen mit den<br />

jeweiligen Rezeptoren, z. B. für LDL und<br />

Chylomikronen. Apolipoprotein,<br />

E-Genpolymorphismen beeinflussen<br />

etwa 4–15 % der Variabilität der LDL-<br />

Cholesterinspiegel. Zahlreiche Studien<br />

belegen einen Zusammenhang zwischen<br />

dem ε4-Allel, Atherosklerose und der<br />

Alzheimer-Erkrankung, während eine<br />

signifikant höhere Frequenz des ε2-Allels<br />

bei Hochaltrigen gefunden werden<br />

konnte.<br />

• Hohe Spiegel von Adiponektin konnten<br />

in mehreren Untersuchungen von<br />

Hochaltrigen gezeigt werden, wobei hier<br />

auch genetische Varianten des ADIPOQ-<br />

Gens eine Rolle spielen dürften, be son -<br />

ders bei Männern.<br />

• Für Leptin konnten genetische Varianten<br />

im LEP-Gen gezeigt werden, die mit<br />

Langlebigkeit bei Männern assoziiert<br />

sind. Hier kann ähnlich wie für ADIPOQ<br />

eine geschlechtsspezifische Variabilität<br />

der Langlebigkeit angenommen werden.<br />

• Auch genetische Varianten im Angio -<br />

tensin Converting Enzyme-Gen und im<br />

Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptor wurden mit<br />

Langlebigkeit assoziiert.<br />

• CETP-Genpolymorphismen (Cholesterol<br />

Ester Transfer Protein) spielen ebenfalls<br />

eine interessante Rolle, da CETP den<br />

Austausch von Cholesterinestern für<br />

Triglyzeride zwischen HDL-Partikeln und<br />

triglyzeridreichen Lipoproteinen – und<br />

damit die Plasma-HDL-Spiegel – beein -<br />

flusst. Hier wurden genetische Varianten<br />

beschrieben, die mit außergewöhnlicher u<br />

85


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurogeriatrie<br />

Langlebigkeit – aber auch mit sehr hohen<br />

HDL-Cholesterinspiegeln (> 70 mg/dl) –<br />

assoziiert sind.<br />

• Im Interesse aktueller Forschung stehen<br />

auch die Paraoxonase 1 (PON-1), die als<br />

protektiver Faktor gegen die oxidative<br />

Modifikation von LDL- Partikeln ange -<br />

sehen wird, sowie der Peroxisome Pro -<br />

liferator Activated Receptor -2 (PPARG),<br />

der Fettstoffwechsel, Insulinsensitivität<br />

und inflammatorische Response beein -<br />

flusst.<br />

Klinische Konsequenz: Therapie<br />

der Hyperlipidämie im Alter<br />

Klinische Endpunktdaten sind rar, zeigen<br />

aber, dass eine Statintherapie das Risiko für<br />

atheroskleroseassoziierte Erkrankungen auch<br />

im Alter senkt, zumindest für Menschen in<br />

gutem Allgemeinzustand mit einer Lebenserwartung<br />

von wenigstens 3 Jahren.<br />

Im Alter müssen insbesondere die verminderten<br />

Eliminationsfähigkeiten von Nieren und<br />

Leber sowie mögliche Interaktionen mit anderen<br />

Pharmaka (Stichwort Polypharmazie)<br />

beachtet werden. Eine gute Verträglichkeit<br />

von Statinen im höheren Lebensalter gilt mittlerweile<br />

als gesichert, und mehrere Studien<br />

(J- LIT, 4S, SAGE, TNT, IDEAL) belegen positive<br />

Effekte einer Statintherapie hinsichtlich kardiovaskulärer<br />

Endpunkte auch bei älteren<br />

Menschen: So wurde gezeigt, dass in einer<br />

älteren Population 13 PatientInnen behandelt<br />

werden müssen, um ein kardiovaskuläres Ereignis<br />

zu verhindern, während diese Zahl bei<br />

jüngeren Kollektiven mit 43 angegeben wird.<br />

Auch die Ergebnisse der Heart Protection<br />

Study (HPS), die mehr als 5000 PatientInnen<br />

in der Altersgruppe von über 70 Jahren eingeschlossen<br />

hat, zeigen keine unterschiedlichen<br />

Auswirkungen auf Endpunkte in Bezug<br />

auf die verschiedenen Altersklassen. Prospektive<br />

Studien an Alterskollektiven, wie sie beispielsweise<br />

in der HYVET-Studie für die arterielle<br />

Hypertonie vorliegen, fehlen allerdings<br />

für die Therapie der Dyslipidämie.<br />

Fazit<br />

Zusammenfassend kann man feststellen, dass<br />

das ideale Lipidprofil für gesundes Altern und<br />

Langlebigkeit demjenigen entspricht, das<br />

charakteristisch für ein niedriges Risiko für<br />

atherosklerosebezogene Erkrankungen ist,<br />

daneben spielen genetische Varianten eine<br />

wesentliche Rolle. Auch die Therapie der Hyperlipidämie<br />

im Alter ist gut verträglich und<br />

zeigt ähnlich positive Effekte wie in Populationen<br />

mittleren Alters; Ergebnisse prospektiver<br />

Studien liegen allerdings nicht vor.<br />

1 Kolovou G, Kolovou V, Vasiliadis I, Wierzbicki AS,<br />

Mikhailidis DP, Ideal lipid profile and genes for an<br />

extended life span. Curr Opin Cardiol 2011 Apr 8,<br />

[Epub ahead of print] PMID:21478743<br />

NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurochirurgie<br />

Zusammengestellt im Namen des<br />

Beirats „Neurochirurgie“:<br />

Buchrezension<br />

M. Forsting, I. Wanke (Eds.): Intracranial<br />

Vascular Malformations and Aneurysms<br />

Dr. Michael Prim. Priv.-Doz. Dr.<br />

Lehner Gabriele Wurm<br />

Abteilung für Neurochirurgie<br />

Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, Linz<br />

Die Behandlung intrakranieller Aneurysmen<br />

und vaskulärer Malformationen stellt eine<br />

Herausforderung für NeurochirurgInnen und<br />

in zunehmendem Ausmaß auch für interventionell<br />

tätige NeuroradiologInnen dar. Die rasante<br />

Entwicklung speziell auf dem Gebiet<br />

der endovaskulären Behandlung dieser Pathologien<br />

erfordert eine intensive Auseinandersetzung<br />

mit diesem komplexen Thema<br />

und die Förderung einer gut funktionierenden,<br />

interdisziplinären Zusammenarbeit der<br />

mit der Behandlung dieser komplexen Erkrankungen<br />

beschäftigten Disziplinen.<br />

Das vorliegende Buch beschreibt in 5 illus -<br />

trierten Kapiteln die Pathologie, Klinik, Bild-<br />

86


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurochirurgie<br />

gebung und Therapie der verschiedenen intrakraniellen<br />

vaskulären Malformationen und<br />

Aneurysmen.<br />

DVA (developmental venous anomalies)<br />

werden im ersten Kapitel behandelt. Bei diesen<br />

handelt es sich um rein venöse Missbildungen,<br />

die häufig als Zufallsbefund im Rahmen<br />

von MRT-Untersuchungen gefunden<br />

werden. Isolierte DVA zeigen kein Blutungsrisiko<br />

und bedürfen keiner weiteren Diagnostik<br />

oder Therapie. Es wird gezeigt, dass DVA<br />

in bis zu einem Drittel der Fälle mit Kavernomen<br />

assoziiert sind und sich die Therapieentscheidung<br />

dann an der Behandlung der<br />

assoziierten Kavernome orientiert.<br />

Kavernome und kapilläre Teleangiektasien<br />

sind der Inhalt des zweiten Kapitels.<br />

Zu Beginn erfolgen histopathologische Darstellungen<br />

und pathogenetische Überlegungen<br />

zur Entstehung von Kavernomen. Diese<br />

können sporadisch, nach Radiotherapie<br />

sowie familiär (multiple Kavernome) auftreten.<br />

Das Blutungsrisiko wird mit 0,25–0,7 %<br />

angegeben; epileptische Anfälle sind das<br />

häufigste Initialsymptom von Kavernomen.<br />

Die MRT wird als Untersuchung der Wahl angeführt,<br />

es können Aussagen zu Morphologie,<br />

stattgehabten Blutungen sowie assoziierten<br />

Malformationen (DVA) gemacht werden.<br />

Zum Schluss des Kapitels wird die<br />

Literatur zur Therapie der Kavernome, die in<br />

erster Linie in der neurochirurgischen Exzision<br />

besteht, diskutiert.<br />

M. Forsting, I. Wanke (Eds): Intracranial<br />

Vascular Malformations and Aneurysms,<br />

Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2008<br />

Piale arteriovenöse Malformationen<br />

(AVM) werden im dritten Kapitel beschrieben.<br />

Hierbei handelt es sich um kongenitale<br />

zerebrovaskuläre Missbildungen, bei denen<br />

ein Netzwerk aus abnormalen Gefäßen<br />

(Nidus) zwischen speisenden Arterien und arterialisierten<br />

Venen liegt. Es folgt eine genaue<br />

klinische Darstellung der AVM, insbesondere<br />

werden das Blutungsrisiko sowie Faktoren,<br />

die dieses beeinflussen, diskutiert. Für die<br />

komplexe Therapieentscheidung (Embolisation,<br />

mikroneurochirurgische Exzision, Radiochirurgie<br />

oder kombinierte Therapieoptionen)<br />

wird speziell auf die Wichtigkeit einer Zusammenarbeit<br />

eines erfahrenen, multidisziplinären<br />

Teams, bestehend aus NeuroradiologInnen,<br />

RadiochirurgInnen und NeurochirurgInnen,<br />

hingewiesen. Nach Meinung der Autoren<br />

ist immer die komplette Ausschaltung<br />

der AVM Ziel der Therapie, da eine Teilbehandlung<br />

das Blutungsrisiko nicht senkt und<br />

lediglich zur Symptomkontrolle (progressives<br />

<strong>neurologisch</strong>es Defizit bei Steal-Phänomen)<br />

bzw. zur Ausschaltung Flow-bezogener<br />

Aneurysmen („Schwachpunkt“ einer AVM)<br />

indiziert ist.<br />

Durale arteriovenöse Malformationen<br />

(DAVM), die vielerorts auch als durale AV-<br />

Fisteln bezeichnet werden, sind der Inhalt des<br />

nächsten, sehr gut illustrierten Kapitels.<br />

DAVM sind abnormale Shunts zwischen arteriellen<br />

und venösen Gefäßen, die in der<br />

Dura liegen, am häufigsten in der Nähe der<br />

venösen Sinus. Es erfolgt eine ätiologische<br />

und pathogenetische Darstellung dieser relativ<br />

seltenen Läsionen, die nicht alle kongenital,<br />

wie früher vermutet, sondern häufig<br />

auch nach Traumen, venöser Thrombose oder<br />

transkranieller Chirurgie erworben sind. Symptomatisch<br />

werden diese Läsionen entweder<br />

durch Blutungen oder durch Symptome wie<br />

pulsatilen Tinnitus, Kopfschmerzen, Anfälle<br />

oder Hirnnervenausfälle. Danach wird die<br />

Klassifizierung von DAVM dargestellt, die im<br />

Wesentlichen auf dem venösen Drainagemus -<br />

ter basiert und die Aggressivität des klinischen<br />

Verlaufs gut vorhersehen lässt.<br />

Hinsichtlich bildgebender Darstellung dieser<br />

Läsionen bleibt die digitale Subtraktionsangiographie<br />

(DSA) zu exakten Darstellung,<br />

Klassifikation und Therapieplanung notwendig.<br />

Als Therapieoptionen werden die manuelle<br />

Kompressionstherapie, transarterielle und<br />

transvenöse Embolisation, neurochirurgischer<br />

Verschluss, stereotaktisch-radiochirurgische<br />

Bestrahlung bzw. kombinierte Strategien angeführt.<br />

Ein konservativ-observierendes Vorgehen<br />

ist bei asymptomatischen PatientInnen<br />

mit angiographisch „benignen“ Läsionen<br />

möglich.<br />

Intrakranielle Aneurysmen: Das letzte Kapitel<br />

widmet sich den intrakraniellen Aneurysmen.<br />

Zu Beginn erfolgt eine ausführliche<br />

pathologische bzw. pathogenetische Beschreibung<br />

zerebraler Aneurysmen, gefolgt<br />

von Angaben zur klinischen Präsentation, Epidemiologie<br />

und Verlauf der Subarachnoidalblutung<br />

(SAB). Zur Diagnose der SAB und<br />

zerebraler Aneurysmen werden die Vor- und<br />

Nachteile der verschiedenen Untersuchungsmodalitäten<br />

CT und CT-Angiographie, MR-<br />

Angiographie und DSA diskutiert. Die konventionelle<br />

zerebrale 4-Gefäße-Angiographie<br />

mit 3-D-Rotationsangiographie bleibt der<br />

Goldstandard zur definitiven Diagnose und<br />

Therapieplanung.<br />

Die Therapie hat sich in den letzten Jahren,<br />

insbesondere seit der Publikation der ISAT-<br />

Studie 2002, dramatisch dahingehend verändert,<br />

als der Anteil der endovaskulär versorgten<br />

im Vergleich zu den mikrochirurgisch geklippten<br />

Aneurysmen deutlich zugenommen<br />

hat. Dies ist eine Folge der sich rasant entwickelnden,<br />

modernen endovaskulären Therapieoptionen<br />

mittels Coils, Stents, Remodelling-Techniken<br />

usw., die im Detail erläutert<br />

werden. Die „verbleibenden“, interventionell<br />

neuroradiologisch nicht versorgbaren Aneurysmen<br />

sind in der Regel komplex und benötigen<br />

eine hohe neurochirurgische Expertise,<br />

die aufgrund sinkender Klippungsoperationen<br />

schwierig zu erhalten ist und auch<br />

für die Ausbildung zukünftiger AneurysmenchirurgInnen<br />

ein Problem darstellt.<br />

87


Service –Veranstaltungstermine<br />

43 rd International Danube Neurology Symposium<br />

6.–8. Oktober<br />

Carl Gustav Carus, Technical University of Dresden<br />

D-01307 Dresden, Fiedlerstraße 42/House 91 (MTZ)/<br />

House 40(DEK)<br />

Information:<br />

E-Mail: danube2011@cpo-hanser.de<br />

Webinfo: www.danube2011.org<br />

3 rd Scientific Meeting of the ESN<br />

7.–9. September<br />

Congress Center, Basel<br />

Webinfo: www.esn2011.org<br />

15 th EFNS Congress<br />

10.–13. September<br />

Budapest, Hungary<br />

Information:<br />

E-Mail: budapest2011@efns.org<br />

Webinfo: www.efns.org/efns2011<br />

24. Jahrestagung der Österreichischen<br />

Alzheimergesellschaft<br />

16.–17. September<br />

Renaissanceschloss Rosenburg, Waldviertel<br />

Information: christian.bancher@horn.lknoe.at<br />

84. Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />

für <strong>Neurologie</strong> mit Fortbildungsakademie<br />

28. September bis 1. Oktober<br />

Rhein-Main-Hallen, Wiesbaden<br />

Information: Prof. Dr. Jan Kassubek,<br />

Neurologische Universitätsklinik Ulm<br />

D-89081 Ulm, Oberer Eselsberg 45<br />

Tel.: +49 (0)731/177 12 06<br />

E-Mail: jan.kassubek@uni-ulm.de<br />

Webinfo: www.dgn2011.de<br />

Neuroimaging-Akademie<br />

30. September bis 1. Oktober<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Wien<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

BRAINdays 2011<br />

30. September bis 1. Oktober<br />

NH Danube City, 1220 Wien, Wagramer Straße 21<br />

Webinfo: www.braindays.com<br />

Anmeldung: office@medizin-akademie.at<br />

7. Neurologische Fortbildungstage<br />

30. September bis 1. Oktober<br />

NH Danube City<br />

Wagramer Staße 21, 1220 Wien<br />

E-Mail: preisinger@medizin-akademie.at<br />

Jahrestagung der<br />

Österreichischen Parkinsongesellschaft<br />

13.–15.Oktober<br />

Congress Center, Villach<br />

Information: pco tyrol congress<br />

Rennweg 3, 6020 Innsbruck<br />

5 th World Congress on Controversies in Neurology<br />

13.–16. Oktober<br />

Beijing, China<br />

Webinfo: comtecmed.com/cony/2011/<br />

Innsbrucker Neurosonokurse „Kurs 1“<br />

15.–16. Oktober<br />

Information: Dr. Christoph Schmidauer<br />

E-Mail: christoph.schmidauer@uki.at<br />

Facharztausbildungsseminar WS 2011<br />

20.–22. Oktober<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Innsbruck<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

7 th International Congress on Vascular Dementia<br />

20.–23. Oktober<br />

Riga, Latvia<br />

Information: Congress Secretariat<br />

Tel.: +41 (0)22/908 0488<br />

Fax: +41 (0)22/906 9140<br />

E-Mail: vascular@kenes.com<br />

Webinfo:<br />

www.kenes.com/vascular2011/mailshots/ms5.htm?ref5=db1<br />

1 st European NeuroRehabiliation Congress<br />

20.–22. Oktober<br />

Kurhaus Meran<br />

I-39012 Meran, Freiheitsstraße 33 Corso Libertà<br />

Information:<br />

E-Mail: enrc2011@come-innsbruck.at<br />

Webinfo: www.enrc2011.eu<br />

2. Grazer Neurogeriatrisches Symposium<br />

22. Oktober<br />

Albert-Schweitzer-Klinik<br />

8020 Graz, Albert-Schweitzer-G. 36<br />

Information: OA Dr. Ronald Saurugg, Abteilung für <strong>Neurologie</strong><br />

Fax: +43 (0)316/70 60-1319<br />

E-Mail: ronald.saurugg@stadt.graz.at<br />

94


ÖGN-Sekretariat: Tanja Weinhart<br />

Garnisongasse 7/22, 1090 Wien<br />

Tel.: +43 (0)1/512 80 91-19<br />

E-Mail: weinhart@admicos.com<br />

Schmerzakademie Modul 1<br />

28.–30. Oktober<br />

Hotel Friesacher, Anif<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

9. Südtiroler Neurophysiologisches Wochenende<br />

28.–30. Oktober<br />

Sand in Taufers/Campo Tures<br />

Information: Frau Schleyer<br />

Care Fusion Germany 234 Training Center<br />

97204 Höchberg, Leibnizstraße 7<br />

MS-Usermeeting<br />

4. November<br />

Hotel Gut Brandlhof, Saalfelden<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

Plattform Niedergelassene NeurologInnen<br />

4.–5. November<br />

Hotel Gut Brandlhof, Saalfelden<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

19. Jahrestagung der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> für<br />

Schlafforschung und Schlafmedizin<br />

10.–12. November<br />

Mannheim<br />

Information: Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> für Schlafforschung<br />

und Schlafmedizin<br />

E-Mail: dgsm@conventus.de<br />

Webinfo: www.dgsm2011.de<br />

XX th World Congress of Neurology<br />

12.–17. November<br />

Marrakesh, Morocco<br />

Information: Kenes International<br />

CH-1211 Geneva 1 Switzerland,<br />

1-3 rue de Chantepoulet, P.O. Box 1726<br />

Tel: +41 (0)22/908 04 88<br />

Fax: +41 (0)22/906 91 40<br />

E-Mail: wcn@kenes.com<br />

Webinfo: www.kenes.com/404a.htm<br />

Curriculum Neurorehabilitation – Modul 4<br />

25. November<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong> Graz<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

ÖGN-Schmerzakademie Modul 2<br />

25.–27. November<br />

Hotel Friesacher, Anif<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

Jahrestagung der Österreichischen <strong>Gesellschaft</strong><br />

für Neurorehabilitation<br />

26. November<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Graz<br />

Information: Univ.-Doz. Dr. Christian Enzinger<br />

E-Mail: chris.enzinger@medunigraz.at<br />

Innere Medizin Update – Refresher<br />

30. November bis 4. Dezember<br />

Aula der Wissenschaften, Wien<br />

Information: Forum für medizinische Fortbildung<br />

Tel.: +43 (0)2252/263 263-10<br />

Fax: +43 (0)2252/263 263-40<br />

E-Mail: info@fomf.at<br />

Webinfo: www.fomf.at<br />

6. Deutscher Wirbelsäulenkongress<br />

8.–10. Dezember<br />

Congress Centrum Hamburg<br />

Information: Justus G. Appelt<br />

Tel.: +49 (0)3641/311 63 11<br />

Fax: +49 (0)3641/311 62 40<br />

E-Mail: dwg@conventus.de<br />

Webinfo: www.dwg2011.de<br />

MS-Akademie<br />

9.–10. Dezember<br />

Seminarhotel Lengbachhof, Steinhäusl 8, 3033 Altlengbach<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

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