neurologisch - Ãsterreichische Gesellschaft für Neurologie
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P.b.b. 07Z037411M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien, ISSN 2223-0629<br />
<strong>neurologisch</strong><br />
Fachmagazin für <strong>Neurologie</strong> AUSGABE 2/11<br />
Offizielles Organ<br />
der Österreichischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> für<br />
<strong>Neurologie</strong><br />
Schwerpunkt<br />
Morbus Parkinson<br />
MedMedia<br />
Verlags Ges.m.b.H.<br />
Kongresshighlights<br />
Neuroscience Wintermeeting,<br />
European Charcot Foundation,<br />
AAN<br />
Gutachterliche Praxis<br />
Epilepsie und<br />
Arbeits(un)fähigkeit<br />
<strong>Neurologie</strong> aktuell<br />
Nichtdystrophe Myotonien<br />
und periodische Paralysen
Editorial<br />
Sehr geehrte Frau Kollegin,<br />
sehr geehrter Herr Kollege!<br />
Wir freuen uns, dass Ihnen dieses neue Heft<br />
unserer Zeitschrift <strong>neurologisch</strong> wieder<br />
viele interessante Informationen bietet! Das<br />
Schwerpunktthema „Morbus Parkinson“ behandelt<br />
aktuelle klinische und therapeutische<br />
Aspekte. Die nichtmotorischen Symptome<br />
haben für die PatientInnen oft gravierende<br />
Auswirkungen auf die Lebensqualität und<br />
werden dementsprechend auch von ärztlicher<br />
Seite immer stärker wahrgenommen,<br />
stellen aber durchaus eine therapeutische<br />
Herausforderung dar. Besondere Aufmerksamkeit<br />
von ärztlicher Seite kommt auch den<br />
Verhaltensstörungen zu, nicht zuletzt durch<br />
das vermehrte Auftreten von Impulskontrollstörungen<br />
unter der Therapie mit Dopaminagonisten.<br />
Neben dem Schwerpunktthema gibt es wie<br />
immer Berichte über die aktuellen wissenschaftlichen<br />
Veranstaltungen, diesmal u. a.<br />
zum Austrian Neuroscience Winter Meeting<br />
in Kitzbühel und zum Annual Meeting of<br />
the American Academy of Neurology in Honolulu,<br />
Hawaii.<br />
Wir wollen Sie als Mitglieder der Österreichischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong> aber<br />
auch über die aktuellen standespolitischen<br />
Themen informieren. Deshalb gibt es in dieser<br />
Ausgabe erstmals die Rubrik „Aus der<br />
Österreichischen Ärztekammer und den Bundesministerien“.<br />
Hier sollen wichtige Informationen<br />
(z. B. gesetzliche Neuerungen, Änderungen<br />
in der Ärzteausbildungsordnung,<br />
für die <strong>Neurologie</strong> relevante Aktivitäten der<br />
Österreichischen Ärztekammer) kurz zusammengefasst<br />
werden. Der Vorstand der ÖGN<br />
bemüht sich, die fachpolitischen Anliegen in<br />
regelmäßigen Gesprächen mit Vertretern der<br />
Ärztekammer, der Bundesministerien und<br />
des Hauptverbandes der Sozialversicherungen<br />
zu kommunizieren und möchte Sie auch<br />
diesbezüglich immer auf dem Laufenden halten.<br />
Ein besonderes Anliegen des ÖGN-Vorstandes<br />
ist auch die Unterstützung unserer<br />
Fachgruppenobleute in der Ärztekammer bei<br />
den kommenden Honorarverhandlungen mit<br />
den Krankenversicherungen, insbesondere<br />
bei der Erstellung von neuen Leistungskatalogen<br />
für die Fachärzte/-innen für <strong>Neurologie</strong>.<br />
Die Vorbereitungen für die nächsten wissenschaftlichen<br />
Veranstaltungen der ÖGN laufen<br />
bereits. Die Jahrestagung der ÖGN im<br />
März 2012 nimmt bereits konkrete Formen<br />
an, und wir werden Ihnen schon im nächsten<br />
Heft im Herbst die ersten Details zur Programmgestaltung<br />
bekannt geben. Auch die<br />
Vorbereitungen für den Weltkongress für<br />
<strong>Neurologie</strong> in Wien im September 2013 sind<br />
voll im Gange, und wir freuen uns alle darauf,<br />
für unsere KollegInnen aus aller Welt<br />
ein interessantes Forum im Herzen Europas<br />
bieten zu können.<br />
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre<br />
von <strong>neurologisch</strong> und einen erholsamen<br />
Sommerurlaub!<br />
Mit kollegialen Grüßen<br />
Ihr<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />
Vorstand der Universitätsklinik für<br />
<strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien,<br />
Präsident der ÖGN<br />
Wollen Sie mit uns<br />
in Kontakt treten?<br />
Leserbriefe erwünscht:<br />
<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at oder<br />
Seidengasse 9/Top1.1,<br />
1070 Wien<br />
Chefredaktion<br />
<strong>neurologisch</strong><br />
Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />
SMZ Ost, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />
Generalsekretär der ÖGN<br />
FOTO: MEDCOMMUNICATIONS<br />
3
Wissenschaftlicher<br />
Beirat<br />
Bewegungsstörungen<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />
Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe, Innsbruck<br />
Epilepsie<br />
Univ.-Prof. DI Dr. Christoph Baumgartner, Wien<br />
Priv.-Doz. Dr. Michael Feichtinger, Graz<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, Salzburg<br />
Schlafstörungen<br />
Univ.-Prof. Dr. Birgit Högl, Innsbruck<br />
Univ.-Prof. DDr. Josef Zeitlhofer, Wien<br />
Neurorehabilitation<br />
Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Heinrich Binder, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Leopold Saltuari, Hochzirl<br />
Schlaganfall<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Aichner, Linz<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin, Tulln<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang, Wien<br />
Schmerz<br />
Dr. Gerhard Franz, Telfs<br />
Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl, Linz<br />
Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Vöcklabruck<br />
Neuromuskuläre Erkrankungen<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Löscher, Innsbruck<br />
Univ.-Prof. Dr. Stefan Quasthoff, Graz<br />
Multiple Sklerose<br />
Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Innsbruck<br />
Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Graz<br />
Univ.-Prof. Dr. Karl Vass, Wien<br />
Demenz<br />
Univ.-Prof. Dr. Thomas Benke, Innsbruck<br />
Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Wien<br />
Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt, Graz<br />
Autonome Störungen<br />
DI Dr. Heinz Lahrmann, Wien<br />
Dr. Walter Struhal, Linz<br />
Univ.-Prof. Dr. Gregor Wenning, Innsbruck<br />
Neurogeriatrie<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder, Salzburg<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, Linz<br />
Prim. Univ.-Doz. Dr. Josef Spatt, Wien<br />
Neurochirurgie<br />
Univ.-Prof. Dr. Engelbert Knosp, Wien<br />
Prim. Univ.-Doz. Dr. Manfred Mühlbauer, Wien<br />
Prim. Doz. Dr. Gabriele Wurm, Linz<br />
Neuroimaging<br />
Univ.-Prof. MSc DDr. Susanne Asenbaum-Nan, Wien<br />
Assoz. Prof. Dr. Christian Enzinger, Graz<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller, Villach<br />
Leitmotiv der<br />
aktuellen Ausgabe <strong>neurologisch</strong><br />
Die 1981 in Rumänien geborene Künstlerin Annamaria Tatu ist ausgebildete Literaturwissenschaftlerin,<br />
studierte zwei Jahre in China Sinologie und hat ein Masterdiplom in Kultur -<br />
management. Sie studiert derzeit an der Akademie der bildenden Künste bei Prof. Gunter<br />
Damisch.<br />
„Es gab für mich keinen anderen Weg, die Parkinson-Krankheit darzustellen, als den abstrakten.<br />
Aber die künstlerische Abstraktion hat weder zum Verständnis dieses Zustands<br />
noch zur Beleuchtung seiner existenziellen Komplexität beitragen können. Meine Suche<br />
war die nach Form, Farbe und Gestalten. Mittels dieser Abstraktion<br />
wird das Bild der Gehirnerkrankung aus seinem<br />
konkreten Kontext isoliert und als ästhetische Schönheit<br />
wiedergegeben. Die Wahrheit liegt weit entfernt. Vielleicht<br />
steht aber dieser Versuch als Symbol dafür, dass ich auf<br />
dieser Suche selbst verloren bin und dass die Luft dieser<br />
Welt noch nicht zum Atmen ist.“<br />
Annamaria Tatu<br />
Impressum<br />
Herausgeber: Österreichische <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong>, Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident der ÖGN. Chefredaktion: Univ.-Prof. Dr. Bruno<br />
Mamoli, Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager. Medieninhaber und Verlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31 11-0,<br />
E-Mail: office@medmedia.at. Verlagsleitung: Mag. Gabriele Jerlich. Redaktion: Maria Uhl. Lektorat: onlinelektorat@aon.at. Layout/DTP: Martin Grill. Projektbetreuung: Natascha<br />
Fial. Coverbild: Annamaria Tatu. Print: „agensketterl“ Druckerei GmbH, Mauerbach. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift ist zum Einzelpreis von 9,50 Euro plus MwSt. zu beziehen.<br />
Druckauflage: 8.100 Stück im 2. Halbjahr 2010, geprüft von der Österreichischen Auflagenkontrolle. Grundsätze und Ziele von <strong>neurologisch</strong>: Kontinuierliche medizinische Fortbildung<br />
für Neuro logen, Psychi ater und Allgemeinmediziner. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissenschaftliche Meinung<br />
des jeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungsbereich des Verfassers. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von<br />
pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung übernehmen Medieninhaber<br />
und Herausgeber keinerlei Haftung für drucktechnische und inhaltliche Fehler. Ausgewählte Artikel dieser Ausgabe finden Sie auch unter www.medmedia.at<br />
zum Download. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in<br />
irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer<br />
Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet werden.<br />
4
Inhalt 2/2011<br />
GESELLSCHAFTSNACHRICHTEN<br />
6 Neuigkeiten aus der ÖGN<br />
94 Veranstaltungskalender<br />
SCHWERPUNKT: PARKINSON-KRANKHEIT<br />
13 Vorwort<br />
W. Poewe, Innsbruck<br />
14 Morbus Parkinson – nicht immer leicht<br />
zu diagnostizieren<br />
S. Dürr, G. Wenning, Innsbruck<br />
20 Nichtmotorische Symptome der<br />
Parkinson-Krankheit<br />
W. Poewe, Innsbruck<br />
28 Impulskontrollstörungen und andere<br />
repetitive Verhaltensstörungen beim<br />
M. Parkinson<br />
R. Katzenschlager, Wien<br />
34 Neues zur medikamentösen<br />
Parkinson-Therapie<br />
P. Mahlknecht, K. Seppi, W. Poewe, Innsbruck<br />
FÜR DIE GUTACHTERLICHE PRAXIS<br />
54 Epilepsie und Arbeits(un)fähigkeit –<br />
Rechtsprechung versus <strong>neurologisch</strong>e<br />
(psychiatrische) Aspekte<br />
W. Laubichler, Salzburg; P. Smutny, Wien<br />
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
58 Bewegungsstörungen<br />
P. Schwingenschuh, Graz<br />
60 Epilepsie<br />
C. Baumgartner, Wien<br />
63 Schlafstörungen<br />
B. Högl, Innsbruck<br />
65 Schlaganfall<br />
M. Pinter, Krems; M. Brainin, Tulln<br />
68 Neurorehabilitation<br />
B. Voller, Wien<br />
72 Neuromuskuläre Erkrankungen<br />
N. Mitrovic, Vöcklabruck<br />
74 Multiple Sklerose<br />
U. Baumhackl, Wien<br />
H. Hegen, F. Deisenhammer, Innsbruck<br />
82 Autonome Störungen<br />
S. Dürr, R. Granata, G. Wenning, Innsbruck<br />
85 Neurogeriatrie<br />
B. Iglseder, Salzburg<br />
86 Neurochirurgie<br />
M. Lehner, G. Wurm, Linz<br />
92 Pharma-News<br />
KONGRESS-HIGHLIGHTS<br />
FOTOS: 8UHR19 - FOTOLIA.COM, S. URBANITS, WIEN, S. URBANITS, WIEN<br />
44 11. Austrian Neuroscience<br />
Wintermeeting<br />
S. Urbanits, Wien<br />
46 Symposium der European<br />
Charcot Foundation<br />
G. Hruby, J. Kraus, Salzburg<br />
48 63. Annual meeting<br />
of the AAN<br />
A. Tinchon, S. Oberndorfer, Wien<br />
5
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
ARGE Young Neurologists der ÖGN<br />
Die ARGE Young Neurologists vertritt österreichische <strong>Neurologie</strong>as -<br />
sistentInnen und junge NeurologInnen, organisiert Fortbildungsaktivitäten<br />
und einmal jährlich ein Meeting bei der ÖGN-Jahrestagung. Auf Einladung<br />
der Ausbildungskommission sind JungneurologInnen in diesem<br />
wichtigen Gremium der ÖGN mit einem/einer Delegierten vertreten.<br />
Vorsitzende der ARGE Young Neurologists sind derzeit Bernadette<br />
Calabek und Agnes Pirker.<br />
Im Rahmen der ÖGN fand am 17. 3. 2011 wieder die Arbeitsgruppensitzung<br />
der ARGE Young Neurologists statt. Unser besonderes Interesse<br />
gilt den Möglichkeiten, auf internationaler Ebene berufliche Erfahrungen<br />
sammeln zu können. Aus diesem Grund beruhte der Schwerpunkt<br />
der Sitzung auf den Auslandserfahrungen von 3 Kollegen sowie auf den<br />
Möglichkeiten von österreichischen und internationalen Stipendien für<br />
Hospitationen, Aus- und Weiterbildungen.<br />
Gottfried Kranz, Dietrich Haubenberger und Paulus Rommer (alle an der<br />
<strong>neurologisch</strong>en Abteilung des AKH Wien tätig) erläuterten in anschaulicher<br />
und sehr informativer Präsentation ihre Erfahrungen im Ausland im<br />
Rahmen von Hospitationen oder Forschungsaufenthalten. Hierbei bekamen<br />
wir einen intensiven Einblick in Organisation, Stipendien, finanziellen<br />
Aufwand, private Eindrücke und selbstverständlich auch die berufliche<br />
Erfahrung im Ausland. Obwohl verbunden mit Hindernissen und<br />
Schwierigkeiten aller Art, lohnte sich der Aufwand in jedem Fall!<br />
Es ist uns ein Anliegen, die Vielfalt der Mobilitätsstipendien auf nationaler<br />
und internationaler Ebene aufzuzeigen. Vielen KollegInnen sind diesbezügliche<br />
Informationen und Vergabekriterien nicht bekannt, da sie<br />
unserer Meinung nach zu wenig publik gemacht werden. Im Rahmen<br />
der Arbeitsgruppensitzung konnte aus organisatorischen Gründen die<br />
Präsentation der Stipendien nicht ausreichend dargelegt werden. Die<br />
europäische Facharztprüfung – gleichsam unser zweites großes Thema –<br />
konnte nur angesprochen werden.<br />
Um die Informationen über Stipendien und die europäische Facharztprüfung<br />
trotzdem weiterzugeben, stellen wir eine Zusammenfassung der<br />
Präsentationen auf die Website der ÖGN (Arbeitsgemeinschaft Young<br />
Neurologists).<br />
Wir sind weiterhin für alle Fragen, Anregungen und Wünsche offen und<br />
freuen uns auf weitere Rückmeldungen!<br />
Dr. Bernadette Calabek, Dr. Agnes Pirker<br />
Experten-Statement MS<br />
Dieser Ausgabe liegt<br />
das Experten-Statement<br />
„Fingolimod in<br />
der Behandlung der<br />
schubförmig remittierenden<br />
multiplen<br />
Sklerose“ bei. Es ist<br />
dies eine Zusammenfassung<br />
des Ergebnisses<br />
der Arbeitstreffen<br />
österreichischer<br />
NeurologInnen<br />
und ExpertInnen auf dem Gebiet der MS-Forschung<br />
und -Klinik zur Vorbereitung und<br />
Umsetzung des Patientenmanagements mit der<br />
ersten oralen Therapie der multiplen Sklerose<br />
mit neuem Wirkmechanismus.<br />
Sollte die Beilage in Ihrer Ausgabe<br />
fehlen könne Sie diese gerne unter<br />
<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at bestellen.<br />
Leben mit Parkinson<br />
Die vorliegende Patientenbroschüre wurde von ExpertInnen<br />
der Österreichischen Parkinsongesellschaft (ÖPG) –<br />
Univ.-Doz. Dr. Willibald Gerschlager, Univ.-Prof. Dr. Walter<br />
Pirker, OA Dr. Volker Tomantschger, OÄ Dr. Karoline Wenzel,<br />
OÄ Dr. Elisabeth Wolf – zusammengestellt und soll<br />
Betroffenen und ihren Angehörigen als Orientierungshilfe<br />
dienen. Ergänzend zum persönlichen Gespräch mit dem<br />
behandelnden Arzt vermittelt diese Broschüre grundlegende Informationen über die<br />
Parkinson-Krankheit, ihre möglichen Ursachen, Symptome, den Krankheitsverlauf,<br />
diagnostische Maßnahmen sowie aktuell zur Verfügung stehende Behandlungsmöglichkeiten.<br />
Darüber hinaus werden Fragestellungen wie Langzeitkomplikationen und<br />
so genannte nichtmotorische Symptome wie z. B. Schlafstörungen, Verdauungsprobleme<br />
etc. eigens erörtert und Empfehlungen zu deren Behandlung gegeben. Im<br />
Anhang finden sich ein Glossar medizinischer Fachbegriffe sowie eine Übersicht zu<br />
Kontaktadressen der Parkinson-Selbsthilfegruppen und Parkinson-Zentren in Österreich.<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, Linz<br />
Die Patientenbroschüre „Leben mit Parkinson“ ist kostenlos zu<br />
bestellen bei UCB Pharma GmbH: office.austria@ucb.com oder<br />
unter der Telefonnummer 01/291 80 00<br />
6
Zusammengestellt von:<br />
Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />
und Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />
Nachruf<br />
Univ.-Prof. Dr. Dieter Klingler (1936–2011)<br />
Bestürzt und in tiefer Trauer muss ich Ihnen das Ableben von Univ.-<br />
Prof. Dr. Dieter Klingler zur Kenntnis bringen. Er verstarb überraschend<br />
am 24. 3. 2011.<br />
Das Leben von Dieter Klingler war von hartem Arbeiten, Glauben an<br />
die eigene Kraft, Ehrgeiz und auch so manch glücklicher Fügung<br />
geprägt.<br />
Prof. Klingler wurde 1936 in Timişoara in Rumänien geboren. Nach<br />
Absolvierung der Matura im deutschen gemischten Lyzeum zu<br />
Timişoara war er von 1953 bis 1955 zunächst Schichtarbeiter in einer<br />
Furnierfabrik. Anschließend verdiente er als Lohnbuchhalter seinen<br />
Lebensunterhalt, da er als Deutscher in Rumänien zunächst keine<br />
Chance für ein Hochschulstudium bekam. Schließlich gelang es ihm,<br />
von 1955 bis 1959 an der medizinischen Fakultät in Timişoara sein<br />
Medizinstudium zu beginnen, das er anschließend bis 1961 an der<br />
medizinischen Fakultät in Innsbruck fortsetzte.<br />
Prof. Klingler promovierte 1961 an der medizinischen Fakultät der<br />
Universität Innsbruck. Seine Ausbildung zum praktischen Arzt absolvierte<br />
er im AKH Linz und entschied sich rasch für die Ausbildung zum<br />
Facharzt für <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie. 1964 absolvierte er ein <strong>neurologisch</strong>-psychiatrisches<br />
Jahr bei Univ.-Prof. Dr. Hans Hoff an der Universitätsklinik<br />
Wien. Von dort kehrte er mit viel Enthusiasmus für die<br />
<strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie an das AKH Linz zurück, um seine Facharztausbildung<br />
bei Prim. Dr. Peichl zu beenden. 1969 diplomierte er<br />
zum Facharzt für <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie und erhielt einen Sondervertrag<br />
am AKH Linz für die Leitung eines klinisch-elektro-neurophysiologischen<br />
Labors.<br />
Im Januar 1978 wurde er zum Leiter der Abteilung für <strong>Neurologie</strong> und<br />
Psychiatrie am AKH Linz bestellt. Während seiner Schaffenszeit als Primarius<br />
am AKH Linz erzeugte er eine rege wissenschaftliche Tätigkeit,<br />
die ihn auch zu mehreren Studienaufenthalten ins Ausland (u. a. Universität<br />
Kopenhagen, medizinische<br />
Fakultät Brüssel, Mayo Clinic Rochester,<br />
New York University) führte. Er habilitierte<br />
1983 an der medizinischen Fakultät<br />
der Universität Innsbruck. 1989 wurde<br />
ihm der Titel a.o. Univ.-Prof. verliehen.<br />
Dieter Klingler war Gründungsmitglied<br />
und bis 1996 Erster Präsident der Österreichischen<br />
Schmerzgesellschaft, Präsidiumsmitglied<br />
der <strong>Gesellschaft</strong> Österreichischer<br />
Nervenärzte und Psychiater sowie Vorstandsmitglied der Österreichischen<br />
Parkinsongesellschaft.<br />
1986 wurde ihm der Prof.-Dr.-Reisner-Preis auf dem Gebiet der Epileptologie<br />
verliehen. 1990 erhielt er das Goldene Verdienstzeichen des<br />
Landes Oberösterreich.<br />
Prof. Dieter Klingler war bis zuletzt Mitglied der Österreichischen<br />
<strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong> und der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft.<br />
Bereits vor seiner Emeritierung 2002 war Prof. Klingler als<br />
freier Mitarbeiter des Bundesministeriums für Gesundheit mit Arbeitsschwerpunkt<br />
Entwicklung und Weiterbetreuung der 1997 eingeführten<br />
bundeseinheitlichen leistungsbezogenen Krankenhausfinanzierung<br />
(LKF) tätig. Diese Funktion übte er bis 2005 aus.<br />
Mit Prof. Klingler verliert die <strong>Neurologie</strong> in Österreich eine große Persönlichkeit,<br />
deren Schaffenskraft und Einfluss über das Ableben hinaus<br />
weiterwirken wird.<br />
Ich bitte Sie alle, das Andenken an Prof. Dr. Dieter Klingler über sein<br />
Ableben hinaus zu bewahren!<br />
Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl, sein Schüler<br />
Präsident der ÖKSG, für die ÖGN<br />
7
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Nachruf<br />
Univ.-Prof. DDr. h. c. Gerhard Barolin-Stricker (1929–2011)<br />
Tief betroffen haben wir vom Tod von Univ.-Prof. DDr. Gerhard Barolin<br />
erfahren. Wir möchten seiner gedenken.<br />
Nach seinem Medizinstudium in Wien und weiteren Ausbildungen<br />
und Tätigkeiten auf dem Gebiet der <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie an<br />
den Universitätskliniken in Graz, Innsbruck, Marseille, Paris sowie in<br />
Göttingen wurde Prof. Barolin 1973 beauftragt, die erste <strong>neurologisch</strong>e<br />
Abteilung in Vorarlberg zu gründen und war 22 Jahre lang hiebei<br />
erfolgreich als Vorstand tätig.<br />
Zu seinen medizinischen Schwerpunkten zählten Diagnostik und Therapie<br />
des Kopfschmerzes, worin er sich seit 1957 auch in Forschung<br />
und Lehre intensiv befasste. So hatte er von der internationalen Kopfschmerzgesellschaft<br />
den Harold-G.-Wolff-Award erhalten. Ab 1973<br />
organisierte er die jährlichen Frühjahrssymposien in Zürs am Arlberg<br />
zu Themen wie „Kopfschmerz und nervenärztliche Grenzgebiete aus<br />
interdisziplinärer Sicht“, und 1981 kam es aufgrund seiner Hauptinitiative<br />
zum 1. Internationalen Kopfschmerz-Symposium des deutschen<br />
Sprachraums in Feldkirch. Zwischen 1981 und 1994 erschien<br />
die legendäre Buchreihe zum Thema „Reihe zwangloser Darstellungen<br />
zur Kopfschmerzforschung des Arbeitskreises für Kopfschmerzforschung<br />
im deutschen Sprachraum“. 1986 wurde auch auf Hauptinitiative<br />
des zu Ehrenden und zu Gedenkenden die 1. Österreichischdeutsche<br />
Migräne-Tagung im Schlosshotel Weickersdorf bei Baden<br />
abgehalten.<br />
Auch auf dem Gebiet des Elektroenzephalographie und der Epilepsie<br />
war Prof. Barolin über Jahre hindurch in vorderster wissenschaftlicher<br />
Reihe tätig und erhielt 1975 den Michael-Prize-Preis zusammen mit<br />
Univ.-Prof. Dr. E. Scherzer und Univ.-Prof. Dr. G. Schnaberth aufgrund<br />
besonderer wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der vaskulären<br />
Epilepsie: „Die zerebrovaskulär bedingten Anfälle – unter besonderer<br />
Berücksichtigung der Anfälle im höheren Lebensalter“ ist im<br />
Huber-Verlag Bern, 1975 erschienen.<br />
Prof. Barolin war auch mehrfacher Träger des Durig-Böhler-Preises in<br />
Vorarlberg. Schon Ende der 1970er Jahre gelang es Prof. Barolin<br />
zusammen mit dem Land Vorarlberg und anderen externen Netzwerkpartnern,<br />
ein nahezu flächendeckendes ambulantes Rehabilitationsnetz<br />
aufzubauen, das zunächst als „nachgehender ambulanter<br />
Rehab-Dienst in Vorarlberg“ bekannt wurde, später von Vereinen wie<br />
dem AKS und der SMO abgelöst und<br />
weiter ausgebaut werden konnte und bis<br />
heute Vorzeigecharakter besitzt. Prof.<br />
Barolin hat auch als Erster die Hippotherapie<br />
bei Erkrankungen mit Spastik im<br />
Erwachsenenalter in Vorarlberg eingeführt.<br />
Auf dem Gebiete der Neuro-Rehabilitation<br />
hat Prof. Barolin zahlreiche wissenschaftliche<br />
Artikel und Bücher verfasst<br />
und wurde erster Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Rehabilitation<br />
und Prophylaxe in Vorarlberg, das 1987 gegründet wurde.<br />
Im Bereich der Akutmedizin hat er besondere Verdienste auf dem<br />
Gebiet der Schlaganfallforschung und Schlaganfalltherapie erlangt<br />
und auch hier wichtige Publikationen und Bücher verfasst. Seine Publikationsliste<br />
umfasst über 600 Arbeiten, und er war langjähriger<br />
Redakteur je einer Buchreihe über Rehabilitation, Neuro-Rehabilitation,<br />
Kopfschmerz und Schlaganfall. Andere <strong>neurologisch</strong>e und geriatrische<br />
Themen umfassten rechtliche und ethische Fragen, <strong>neurologisch</strong>e<br />
Begutachtung, Psychotherapie, Sportmedizin und Verbesserung<br />
der Arztausbildung. Eines seiner letzten Werke beschäftigte sich<br />
erneut mit integrierter Psychotherapie.<br />
Nach seiner Pensionierung erfolgte eine Berufung an die Universitätsklinik<br />
in Riga (Lettland), wo er den weiteren Ausbau der dortigen<br />
Neuro-Rehabilitation gestalten konnte und für diese Leistungen zum<br />
Doktor honoris causa ernannt wurde.<br />
Trotz seines Schlaganfalles im Jahr 2000 blieb sein Forschungs- und<br />
Publikationsschaffen weiter aufrecht, und er hatte seine Erfahrungen<br />
als Betroffener nach seinem Schlaganfall in so manche seiner Publikationen,<br />
nachfolgende Bücher und Vorträge beispielgebend integriert.<br />
Prof. Barolin war eine markante Persönlichkeit, welche auch in manchen<br />
Bereichen Bruchlinien auslöste, aber mit zunehmenden Jahren in<br />
besonderem Ausmaß Harmonisierung gesucht und gefördert hat.<br />
Prim. Dr. Stefan Koppi<br />
Vorstand der Neurologischen Abteilung, LKH Rankweil,<br />
für die ÖGN<br />
8
Jobbörse<br />
Am A. ö. Bezirkskrankenhaus Kufstein/Abteilung <strong>Neurologie</strong> gelangt ab 1. Juli 2011<br />
eine Stelle für<br />
eine/n Fachärztin/Facharzt für <strong>Neurologie</strong> zur Besetzung.<br />
Die Abteilung für <strong>Neurologie</strong> des 1999 neu eröffneten 380-Betten-Krankenhauses hat einen systemisierten Bettenstand von 34 Betten, eine<br />
<strong>neurologisch</strong>e Allgemeinambulanz, verschiedene Spezialambulanzen, eine Stroke Unit und die gesamte <strong>neurologisch</strong>e Zusatzdiagnostik (EEG,<br />
EMG/NLG, EP, Duplexsonographie der extrakraniellen Gefäße, transkranielle Dopplersonographie). Die neuroradiologische Diagnostik wird<br />
durch die Röntgenabteilung im Haus mit CT und MRT gewährleistet.<br />
Die Entlohnung und der Anstellungsvertrag richten sich nach den Bestimmungen des G-VBG i.V.m. L-VBG i.d.g.F. und den Beschlüssen des<br />
Gemeindeverbandes.<br />
Bewerbungen richten Sie bitte mit den üblichen Unterlagen an die Ärztliche Direktion des A. ö. Bezirkskrankenhauses Kufstein,<br />
z. H. Herrn Prim. Univ.-Prof. Dr. Klaus Gattringer, Endach 27, 6330 Kufstein.<br />
Für weitere Informationen steht Ihnen Herr Prim. Univ.-Doz. Dr. Klaus Berek, Leiter der Abteilung für <strong>Neurologie</strong> im A. ö. BKH Kufstein,<br />
unter Tel. 05372/69 66-3400 zur Verfügung.<br />
Die Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, eine Gesundheitseinrichtung der<br />
Oberösterreichischen Gesundheits- und Spitals-AG, sucht ab 1. März 2012<br />
eine/einen Leiterin/Leiter der Abteilung für <strong>Neurologie</strong>.<br />
Die Position ist vorerst gemäß dem oberösterreichischen Zuweisungsgesetz für fünf Jahre befristet.<br />
Die Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, eine moderne Sonderkrankenanstalt in der Landeshauptstadt Linz und Universitäts-Lehrkrankenhaus,<br />
versteht sich als anerkanntes Kompetenzzentrum für Psychiatrie, <strong>Neurologie</strong>, Neurochirurgie und Geriatrie. Die Abteilung <strong>Neurologie</strong> ist mit<br />
84 Betten inkl. der Stroke Unit, Überwachungsstation, Phase-B-Rehabilitation, Epilepsiemonitoring-Betten sowie einem Schlaflabor ausge -<br />
stattet. Als besondere Schwerpunkte sind das zerebrovaskuläre Interventionszentrum, die interdisziplinäre konservative und operative Epilepsieund<br />
Parkinsontherapie, das neuromuskuläre Zentrum und das interdisziplinäre Schmerzzentrum hervorzuheben. Die enge interdisziplinäre<br />
Kooperation mit Neurochirurgie, Neuroanästhesie und Intensivmedizin, Neuroradiologie, Neuronuklearmedizin, Neuropathologie und<br />
Psychosomatik ist Standard.<br />
Die zu besetzende Stelle erfordert neben den allgemeinen Aufnahmevoraussetzungen vor allem profunde Fachkenntnisse, Geschick und<br />
Erfahrung in der Menschenführung, Durchsetzungsvermögen und organisatorische Fähigkeiten.<br />
Die Tätigkeit des/der LeiterIn umfasst die Führung der Abteilung in fachlicher, organisatorischer sowie in personeller Hinsicht. Als unser/e<br />
IdealkandidatIn führen Sie Ihre MitarbeiterInnen nach modernen Grundsätzen und erfüllen Ihre Aufgaben entsprechend den Zielen des<br />
Rechtsträgers und der Krankenhausleitung.<br />
FOTO: PERO-DESIGN - FOTOLIA.COM<br />
Bei Interesse laden wir Sie ein, den gesamten Ausschreibungstext unter www.gespag.at/jobs nachzulesen und sich dort das erforderliche<br />
Bewerbungsformular downzuloaden. Im Sinne des Frauenförderungsprogrammes des Landes Oberösterreich wird besonders die Bewerbung<br />
von Frauen begrüßt.<br />
Für nähere Auskünfte steht Ihnen Herr wHR Univ.-Doz. Prof. Dr. Werner Schöny, Ärztlicher Direktor, Tel.: 05 055462-22001,<br />
werner.schoeny@gespag.at, gerne zur Verfügung.<br />
Ihre aussagekräftigen Unterlagen senden Sie bitte gemeinsam mit dem Bewerbungsformular bis 31. August 2011 an:<br />
Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, Personalstelle, z. H. Frau Heidemarie Bräuer, Wagner-Jauregg-Weg 15, 4020 Linz<br />
9
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Am A. ö. Bezirkskrankenhaus Kufstein/Abteilung <strong>Neurologie</strong> gelangt ab 1. Juli 2011<br />
eine Ausbildungsstelle zur/zum Fachärztin/Facharzt für <strong>Neurologie</strong><br />
zur Besetzung.<br />
Die Abteilung für <strong>Neurologie</strong> des 1999 neu eröffneten 380-Betten-Krankenhauses hat einen systemisierten Bettenstand von 34 Betten, eine<br />
<strong>neurologisch</strong>e Allgemeinambulanz, verschiedene Spezialambulanzen, eine Stroke Unit und die gesamte <strong>neurologisch</strong>e Zusatzdiagnostik (EEG,<br />
EMG/NLG, EP, Duplexsonographie der extrakraniellen Gefäße, transkranielle Dopplersonographie). Die neuroradiologische Diagnostik wird<br />
durch die Röntgenabteilung im Haus mit CT und MRT gewährleistet.<br />
Die Entlohnung und der Anstellungsvertrag richten sich nach den Bestimmungen des G-VBG iVm. L-VBG idgF. und den Beschlüssen des<br />
Gemeindeverbandes.<br />
Bewerbungen richten Sie bitte mit den üblichen Unterlagen an die Ärztliche Direktion des A. ö. Bezirkskrankenhauses Kufstein,<br />
z.H. Herrn Prim. Univ. Prof. Dr. Klaus Gattringer, Endach 27, 6330 Kufstein.<br />
Für weitere Informationen steht Ihnen Herr Prim. Univ.-Doz. Dr. Klaus Berek, Leiter der Abteilung für <strong>Neurologie</strong> im A. ö. BKH Kufstein,<br />
unter Tel. 05372/6966-3400 zur Verfügung.<br />
Neues <strong>neurologisch</strong>es<br />
Rehabilitationszentrum Kittsee<br />
Dr. Wolfgang Pankl übernimmt die ärztliche Leitung des SeneCura<br />
<strong>neurologisch</strong>en Rehabilitationszentrums mit angeschlossenem<br />
Gesundheitshotel in Kittsee, Burgenland, das im Frühjahr 2012 eröffnet<br />
wird. Der Neurologe ist in dieser Funktion für die 100-Betten-Klinik<br />
mit Spezialisierung auf Neurorehabilitation verantwortlich. Pankl<br />
absolvierte nach dem Medizinstudium in Wien seine Ausbildung <strong>Neurologie</strong><br />
und Psychiatrie im Neurologischen Krankenhaus am Rosenhügel.<br />
Seit 1999 ist Pankl mit einer eigenen Praxis in Neusiedl am See<br />
selbständig. Neben zahlreichen Vorträgen und Publikationen vor<br />
allem zu den Themen Depression, Demenz und Parkinson war Pankl<br />
unter anderem als Mitveranstalter der „Brain Days“ in Rust tätig.<br />
Die Rehabilitationsklinik, die auf die Behandlung <strong>neurologisch</strong>er<br />
PatientInnen aller Schweregrade spezialisiert ist, wird vom größten<br />
privaten österreichischen Pflegeheimbetreiber SeneCura errichtet.<br />
Ab März 2012 werden ein hochqualifiziertes, multidisziplinäres ÄrztInnen-,<br />
Pflege- und TherapeutInnenteam sowie moderne Therapiegeräte<br />
für die Rehabilitation bei Schlaganfällen, Rückenmarksverletzungen,<br />
multipler Sklerose oder anderen <strong>neurologisch</strong>en Erkrankungen<br />
zur Verfügung stehen. Einen weiteren Schwerpunkt wird die<br />
Behandlung kognitiver Störungen als Folge <strong>neurologisch</strong>er Erkrankungen<br />
darstellen. Dem Kompetenzzentrum für <strong>neurologisch</strong>e Rehabilitation<br />
wird ein modernes Gesundheitshotel für private Aufenthalte<br />
und Angehörige der Reha-PatientInnen angeschlossen.<br />
10
Wichtiges aus der Österreichischen<br />
Ärztekammer und den Bundesministerien<br />
Sitzung der assoziierten wissenschaftlichen<br />
<strong>Gesellschaft</strong>en am 2. 3. 2011 in der<br />
Österreichischen Ärztekammer<br />
Präsident Niedermoser stellt fest, dass die assoziierten wissenschaftlichen<br />
<strong>Gesellschaft</strong>en vor allem in ausbildungs-/weiterbildungsrelevanten<br />
Angelegenheiten die Ansprechpartner der ÖÄK sind. Er<br />
ersucht die TeilnehmerInnen, darauf zu achten, dass zwischen Muttergesellschaft<br />
zum Hauptfach und Subgesellschaften zu Nebenfächern<br />
untereinander Einigung über ausbildungsrelevante bzw. sonstige<br />
Themen besteht und ausschließlich die Muttergesellschaft als<br />
Ansprechpartnerin der ÖÄK fungiert. Er stellt weiters fest, dass<br />
jeder/jede AbsolventIn einer Facharztausbildung berechtigt ist, die<br />
im Rasterzeugnis geforderten Fertigkeiten auszuüben, unabhängig<br />
von vertiefenden Ausbildungen auf einem bestimmten Gebiet.<br />
12. ÄG-Novelle<br />
In dieser ist eine leichtere Anrechnung ausländischer Ausbildungen<br />
geregelt.<br />
13. ÄG-Novelle<br />
Regelt den Wirkungsbereich zwischen ÖÄK und Bundesministerium<br />
für Gesundheit. Im „eigenen“ (gemeint ist die ÖÄK) Wirkungsbereich<br />
sind keine Weisungen des Bundesministeriums für Gesundheit<br />
gegenüber der Österreichischen Ärztekammer möglich. Dazu<br />
gehört z. B. die Fortbildung. Im „übertragenen“ Bereich ist eine<br />
Weisung des BM für Gesundheit möglich. Dazu gehören z. B. die<br />
Ausbildungsinhalte der Rasterzeugnisse.<br />
Weitere Aktivitäten<br />
Seitens des Bundesministers Stöger wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet,<br />
bestehend aus Vertretern der ÖÄK, des BM für Gesundheit,<br />
des Hauptverbandes und der Länder. Hauptthema wird unter<br />
anderem die Finanzierung der Lehrpraxen sein. Weiters müssen die<br />
Rasterzeugnisse hinsichtlich der Ausbildungsinhalte bis 2014 neu<br />
gestaltet sein.<br />
Ärzteausbildungsordnung<br />
Neu eingeführt wird das Additiv-Fach Geriatrie für die Sonderfächer<br />
Innere Medizin, <strong>Neurologie</strong>, Physikalische Medizin und Allgemeine<br />
Rehabilitation, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Allgemeinmedizin.<br />
Die ÖÄK ist daran interessiert, diese Übergangsbestimmungen<br />
möglichst lange aufrecht zu erhalten. Seitens der ÖÄK wird dies<br />
bis 2013 angedacht, seitens des BM für Gesundheit wird eher das<br />
Jahr 2012 ins Auge gefasst.<br />
Kundmachung 4. Novelle<br />
der KEF- und RZ-Verordnung<br />
Die Österreichische Ärztekammer informiert, dass seit 1. Juli 2011<br />
die 4. Novelle der KEF- und RZ-Verordnung für das Zusatzfach Geriatrie<br />
für die Sonderfächer Innere Medizin, Physikalische Medizin<br />
und allgemeine Rehabilitation, <strong>Neurologie</strong>, Psychiatrie und psychotherapeutische<br />
Medizin sowie für das Fach Allgemeinmedizin veröffentlicht<br />
wurden. Sie finden die Kundmachung, basierend auf den<br />
Beschlüssen des Kammertages, auf der Website der ÖÄK unter<br />
„Kundmachung“. Die neuen Rasterzeugnisformulare sind ebenfalls<br />
schon abrufbar unter „Info/Rasterzeugnisse“ bei den entsprechenden<br />
Fächern.<br />
Die Novelle der Ärzteausbildungsordnung, mit der das Additivfach<br />
Geriatrie geschaffen werden soll, ist leider trotz mehrfacher<br />
Urgenzen der ÖÄK beim BMG noch immer nicht im BGBI kundgemacht.<br />
Ungeachtet dessen hat die ÖÄK beschlossen, die<br />
Beschlüsse des Kammertages umzusetzen und die Verordnung<br />
der ÖÄK zu den Inhalten der Rasterzeugnisse Geriatrie zu publizieren.<br />
11
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Schwerpunktthema Parkinson-Krankheit<br />
Sehr geehrte Leserinnen und Leser!<br />
Obwohl die Parkinson-Krankheit nach wie vor als klassischer Vertreter der sogenannten extrapyramidalen<br />
Bewegungsstörungen gilt, hat sich in den vergangenen Jahren das Interesse der klinischen Erforschung dieser<br />
Erkrankung auch zunehmend auf ihre vielfältigen, nichtmotorischen Symptome konzentriert.<br />
Bedeutung<br />
nichtmotorischer Symptome<br />
Grund hierfür ist zum einen die Erkenntnis,<br />
dass viele der nichtmotorischen Symptome<br />
der Parkinson-Krankheit, wie neuropsychiatrische<br />
Funktionsstörungen, Hyposmie, Obstipation<br />
oder Störungen der Schlaf-wach-Regulation,<br />
bereits vor Beginn der klassischen<br />
motorischen Zeichen auftreten können.<br />
Somit eröffnen sich neue Perspektiven für die<br />
Frühdiagnostik der Erkrankung, gestützt<br />
durch die rezenten neuropathologischen Studien<br />
von Braak und MitarbeiterInnen, die eine<br />
stadienhafte Entwicklung der Neuropathologie<br />
der Erkrankung postulieren, nach welcher<br />
erste Veränderungen außerhalb des nigrostriatalen<br />
Systems auftreten würden. Dies ist<br />
offensichtlich von großer Bedeutung, nicht<br />
zuletzt für die Planung zukünftiger Neuroprotektionsstudien<br />
in der Frühphase des Morbus<br />
Parkinson.<br />
Nichtmotorische Symptome der Erkrankung<br />
werden mit zunehmender Progression und<br />
Krankheitsdauer zu einem zentralen prognostischen<br />
und therapeutischen Faktor des fortgeschrittenen<br />
Morbus Parkinson, sodass auch<br />
von dieser Seite das vermehrte Interesse seine<br />
Berechtigung findet.<br />
In jüngster Zeit ist eine weitere Dimension<br />
der Problematik nichtmotorischer Komplikationen<br />
des Morbus Parkinson in das klinische<br />
Bewusstsein gerückt: Impulskontrollstörungen<br />
und andere repetitive Verhaltensstörungen<br />
können bei Parkinson-PatientInnen unter<br />
dopaminerger Medikation zu einem gravierenden<br />
Problem werden – wobei Impulskontrollstörungen<br />
insbesondere mit Dopaminagonisten<br />
assoziiert sind und bei mehr als<br />
10 % der so behandelten PatientInnen auftreten<br />
können. Regina Katzenschlager gibt in<br />
ihrem Artikel einen aktuellen Überblick über<br />
diese Gruppe komplexer Verhaltensstörungen.<br />
Therapeutisch gehören die nichtmotorischen<br />
Symptome zu den größten Herausforderungen<br />
der modernen Parkinson-Therapie. Der<br />
Artikel von Mahlknecht und Mitarbeitern<br />
fasst die Entwicklungen zusammen, die sich<br />
aus den publizierten Daten rezenter, randomisierter,<br />
kontrollierter Therapiestudien zu<br />
motorischen und nichtmotorischen Aspekten<br />
des Morbus Parkinson ergeben.<br />
Atypische<br />
Präsentationen<br />
Obwohl bei typischer Präsentation und klassisch<br />
ausgeprägter klinischer Symptomatik<br />
die Diagnose einer Parkinson-Krankheit klinisch<br />
mit hoher Verlässlichkeit zu stellen ist,<br />
bereiten atypische Präsentationen, ebenso<br />
wie die Frühstadien anderer neurodegenerativer<br />
Parkinson-Syndrome, wie bei MSA oder<br />
PSP, noch immer diagnostische Schwierigkeit.<br />
Gregor Wenning und Susanne Dürr fassen<br />
in ihrem Beitrag die diagnostischen Probleme<br />
und mögliche Lösungsansätze zusammen.<br />
Ich hoffe, dass der Inhalt der Beiträge für<br />
alle klinisch tätigen KollegInnen nützliche Informationen<br />
liefert!<br />
n<br />
o. Univ.-Prof. Dr.<br />
Werner Poewe<br />
Direktor der Universitätsklinik<br />
für <strong>Neurologie</strong>,<br />
Medizinische Universität<br />
Innsbruck<br />
13
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Morbus Parkinson – nicht immer<br />
leicht zu diagnostizieren<br />
Degenerative Parkinson-Syndrome lassen sich prinzipiell in zwei Hauptgruppen einteilen: idiopathisches<br />
Parkinson-Syndrom (IPS) und die atypischen Parkinson-Syndrome (APS). Letztere umfassen seltenere<br />
Varianten mit einem häufig, jedoch nicht immer L-Dopa-refraktärem Parkinson-Syndrom, wie die Multi -<br />
systematrophie (MSA), progressive supranukleäre Paralyse (PSP), Demenz mit Lewy-Körperchen (DLK),<br />
kortikobasales Syndrom (CBS).<br />
Die Queen-Square-Kriterien eines Parkinson-<br />
Syndroms beinhalten Akinese/Bradykinese (d.<br />
h., eine Verlangsamung und Verarmung von<br />
Bewegungen wie z. B. ein reduzierter Armschwung<br />
beim Gehen oder verminderte<br />
Mimik im Gesicht bzw. auch Schwierigkeiten,<br />
eine Bewegung zu initiieren) sowie eine rigide<br />
Muskeltonuserhöhung und Ruhetremor. Die<br />
Prävalenz der Parkinson-Syndrome steigt mit<br />
dem Alter (14 % der 65–74-Jährigen, 52 %<br />
der über 85-Jährigen 1 .<br />
Eine genaue Differenzierung zwischen IPS<br />
Dr. Susanne Dürr,<br />
Univ.-Prof. Dr. Gregor Wenning, MSc<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />
Medizinische Universität Innsbruck<br />
und APS stellt eine wesentliche Herausforderung<br />
für den Kliniker dar, da abhängig von<br />
der genauen Diagnose große Unterschiede<br />
in Therapie und Prognose bestehen. So ist<br />
bei IPS-PatientInnen von einer normalen Lebenserwartung<br />
auszugehen, während diese<br />
bei APS wesentlich reduziert ist (zumeist weniger/mehr?<br />
als 10 Jahre), außerdem bieten<br />
IPS-PatientInnen nach den Queen-Square-<br />
Parkinson-Kriterien ein sehr gutes nach- u<br />
Tab. 1: „Queen Square IPS“-Diagnose-Kriterien<br />
1. Schritt: Diagnose Parkinson-Syndrom<br />
• Bradykinese (Verlangsamung der Bewegungsinitiierung und<br />
progressive Reduktion von Geschwindigkeit und Amplitude repetitiver<br />
Bewegung) sowie zumindest eines der nachfolgenden Kriterien<br />
• rigide Muskeltonuserhöhung<br />
• Ruhetremor (4–6 Hz)<br />
• posturale Instabilität (nicht verursacht durch primär visuell,<br />
vestibulär, zerebellär, propriozeptive Störungen)<br />
2. Schritt: Ausschlusskriterien für IPS<br />
• multiple Schlaganfälle mit schrittweiser Zunahme der<br />
Parkinson-Symptome<br />
• rezidivierende Schädel-Hirn-Traumen<br />
• Enzephalitis<br />
• okulogyre Krise<br />
• Therapie mit Neuroleptika zu Beginn der Symptomatik<br />
• mehr als ein betroffener Verwandter<br />
• anhaltende Remission<br />
• streng einseitige Symptomatik nach 3 Jahren<br />
• supranukleäre Blickparese<br />
• zerebelläre Zeichen<br />
• früh auftretende autonome Störungen<br />
• früh auftretende Demenz<br />
• positive Babinski-Zeichen<br />
• zerebraler Tumor oder Normdruckhydrocephalus im CT<br />
• fehlendes Ansprechen auf L-Dopa (Malabsorption ausgeschlossen)<br />
• Exposition mit MPTP<br />
3. Schritt: Unterstützende Kriterien für IPS (für definitive<br />
Diagnose IPS werden 3 oder mehr Kriterien gefordert )<br />
• einseitiger Beginn<br />
• Ruhetremor<br />
• progressive Krankheit<br />
• fortbestehende Asymmetrie eine Seite mehr betreffend<br />
• sehr gutes Ansprechen auf L-Dopa (70–100 %)<br />
• schwere L-Dopa-induzierte Chorea<br />
• Ansprechen auf L-Dopa für länger als 5 Jahre<br />
• klinischer Verlauf über länger als 10 Jahre<br />
• Hyposmie<br />
• visuelle Halluzinationen<br />
Übersetzt nach: Lees 2009, Gibb & Lees 1988 3, 4<br />
14
Tab. 2: Klinische Charakteristika hinweisend auf ein APS<br />
Motorische Symptome:<br />
• früh im KH-Verlauf auftretende posturale Instabilität/Stürze<br />
• rasches Fortschreiten der Symptome<br />
• mangelndes Ansprechen auf Levodopa<br />
• positive Pyramidenbahnzeichen<br />
• zerebelläre Symptome<br />
• früh auftretende Dysarthrie/Dysphagie<br />
Okulomotorik:<br />
• supranukleäre Blickparese/verlangsamte Sakkaden<br />
Kognition/Verhalten:<br />
• früh auftretende Demenz<br />
• visuelle Halluzinationen (nicht durch dopaminerge Therapie<br />
induziert)<br />
• Apraxie<br />
• sensorischer/visueller Neglect<br />
Autonome Symptome:<br />
• früh auftretendes autonomes Versagen (unabhängig von<br />
dopaminerger Therapie auftretend), wie orthostatische Hypotension,<br />
Impotenz, Dranginkontinenz/Blasenentleerungsstörungen<br />
Übersetzt nach: Litvan 2000 8<br />
Tab. 3: DLK Diagnosekriterien (übersetzt nach McKeith 2005) 10<br />
1. Zentrales Kriterium „Central feature“ (Voraussetzung<br />
für mögliche oder wahrscheinliche DLK<br />
• Demenz definiert als eine progressive Verschlechterung kognitiver<br />
Funktionen, sodass bei Alltagsaktivitäten Einschränkungen<br />
bestehen.<br />
• Vorherrschendes oder persistierendes Gedächtnisdefizit muss<br />
nicht von Beginn an bestehen, tritt jedoch im Verlauf der<br />
Erkrankung auf.<br />
• Besonders vorherrschen können Defizite bei Aufmerksamkeit,<br />
exekutive Funktionen, visuospatiale Funktionen.<br />
2. Kernkriterien „Core features“ (2 oder mehrere für<br />
„wahrscheinliche DLK“, 1 für „mögliche DLK“)<br />
• Fluktuierende Kognition mit variierenden Defiziten bei<br />
Aufmerksamkeit und Wachheit<br />
• Rezidivierende visuelle Halluzinationen<br />
• Spontan auftretende Parkinson-Symptome<br />
3. Kriterien, die auf die Diagnose „Suggestive features“<br />
hinweisen (1 oder mehr plus 1 Kernkriterium für<br />
„wahrscheinliche DLK“, 1 oder mehr ohne Kernkriterium<br />
für „wahrscheinliche DLK“)<br />
• REM-Schlaf-Verhaltenstörung<br />
• Ausgeprägte Empfindlichkeit auf Neuroleptika<br />
• Herabgesetztes Dopamintransporter-Bindungspotenzial in den<br />
Basalganglien im SPECT oder PET<br />
Übersetzt nach: McKeith 2005 10<br />
4. Unterstützende Kriterien „Supportive features“ (in der<br />
klinischen Routine häufig auftretend, dzt. ohne bewiesene<br />
diagnostische Spezifität)<br />
• Rezidivierende Stürze und Synkopen<br />
• Unklare transiente Bewusstlosigkeit<br />
• Schwere autonome Dysfunktion (OH, Inkontinenz)<br />
• Andere (nicht visuelle) Halluzinationen<br />
• Wahnhafte Störungen<br />
• Depressionen<br />
• Relative Erhaltung des med. Temporallappens im CT/MRT<br />
• Pathologisches myokardiale MIBG-Szintigraphie<br />
• Prominente Verlangsamung im EEG mit temporal eingelagerten<br />
Spitzen<br />
5. Die Diagnose. DLK ist weniger wahrscheinlich bei:<br />
• Zerebrovaskulärer Ursache fokal <strong>neurologisch</strong>er Störungen<br />
• Andere, die klinische Präsentation erklärende zerebrale Pathologie<br />
• Auftreten von Parkinson-Symptomen erst im fortgeschrittenen<br />
Stadium der Demenz<br />
6. Zeitlicher Zusammenhang der Symptome<br />
• Auftreten der Demenz vor oder zeitgleich mit Parkinsonsymptomen<br />
• Der Begriff „Parkinson-Demenz“ sollte verwendet werden, wenn<br />
ein demenzielles Syndrom im Verlauf einer klassischen Parkinson-<br />
Krankheit auftritt<br />
• Die verschiedenen klinischen Phänotypen können unter dem<br />
Oberbegriff „Lewy-Körperchen-Krankheit“ oder „Alpha-Synukleinopathie“<br />
kategorisiert werden.<br />
15
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Tab. 4: PSP Diagnosekriterien (übersetzt nach Litvan 1996) 11<br />
1. Mögliche PSP: progrediente Erkrankung mit Beginn nach<br />
dem 40. Lebensjahr<br />
• Vertikale Blickparese und/oder verlangsamte vertikale Sakkaden<br />
und ausgeprägte posturale Instabilität mit Stürzen im 1. Jahr der<br />
Erkrankung<br />
• Keine andere bestehende Krankheit, die o. g. Kriterien erklären<br />
könnte (s. a. Ausschlusskriterien)<br />
2. Wahrscheinliche PSP: progrediente Erkrankung,<br />
Beginn im 40. Lebensjahr oder später<br />
• Vertikale Blickparese und ausgeprägte posturale Instabilität mit<br />
Stürzen im 1. Jahr der Erkrankung<br />
• Keine andere bestehende Krankheit, die o. g. Kriterien erklären<br />
könnte (s. a. Ausschlusskriterien)<br />
3. Gesicherte PSP<br />
• Klinisch mögliche oder wahrscheinliche PSP und histopathologisch<br />
nachgewiesene PSP-Veränderungen<br />
Übersetzt nach: Litvan 1996 11<br />
4. Ausschlusskriterien<br />
• Enzephalitis<br />
• „Alien-Limb-Syndrom“<br />
• Halluzinationen unabhängig von dopaminerger Therapie<br />
• Typische Symptome für Alzheimer-Demenz<br />
(s. NINCDS-ADRA-Kriterien)<br />
• Ausgeprägte zerebelläre oder autonome Störungen<br />
• Ausgeprägte asymmetrische Parkinson-Symptome<br />
• Neuroradiologisch strukturelle Veränderung<br />
• Mb. Whipple<br />
5. Unterstützende Kriterien<br />
• Symmetrische Akinese oder Rigidität, proximal betont<br />
• Mangelndes oder fehlendes Ansprechen auf L-Dopa<br />
• Früh auftretende Dysphagie oder Dysarthrie<br />
• Früh auftretende kognitive Störungen (inkl. mindestens 2 der<br />
Folgenden: Apathie, abstraktes Denken, reduzierter Wortfluss,<br />
frontale Zeichen)<br />
haltiges Ansprechen auf die dopaminerge<br />
Therapie, während dies bei APS-PatientInnen<br />
zumeist sehr limitiert ist; zudem demaskieren<br />
sich APS-PatientInnen zumeist in den ersten<br />
Jahren nach Krankheitsbeginn durch rasche<br />
Progredienz mit erhöhtem pflegerischem/sozialmedizinischem<br />
Aufwand sowie charakteristischen<br />
Warnsymptomen (Red Flags).<br />
Rezente Studien haben gezeigt, dass sich<br />
selbst für den Spezialisten die genaue Unterscheidung<br />
im Einzelfall sehr schwierig darstellen<br />
kann 2 .<br />
Diagnosestellung IPS<br />
Für die klinische Diagnose eines IPS wurden<br />
verschiedene diagnostische Kriterien vorgeschlagen,<br />
unter denen die Queen-Square-Parkinson-Kriterien<br />
aufgrund hervorragender<br />
Validitätskennzeichen eine führende Rolle<br />
spielen 3, 4 .<br />
Schritt 1 beinhaltet die Feststellung eines Parkinson-Syndroms<br />
durch das obligate Vorhandensein<br />
von Akinese/Bradykinese, assoziiert<br />
mit Rigidität, Ruhetremor (4–6 Hz) oder pos t -<br />
urale Instabilität (Tab. 1). Im zweiten Schritt<br />
sind Exklusionskriterien, die zumeist auf ein<br />
APS hinweisen, zu beachten. Im dritten<br />
Schritt sollten mindestens 3 unterstützende<br />
Kriterien für die Diagnose eines IPS vorliegen,<br />
z. B. ein sehr gutes Ansprechen auf die Therapie<br />
mit Levodopa und ein insgesamt asymmetrischer<br />
bzw. unilateraler Beginn der Parkinson-Symptome.<br />
Hinweisende Kriterien<br />
für das Vorliegen eines APS<br />
Der Terminus „atypisches Parkinson-Syndrom“<br />
umfasst sehr unterschiedliche Krankheitsentitäten<br />
mit z. T. auch sehr variierender<br />
zugrunde liegender Pathophysiologie. Die<br />
häufigsten neurodegenerativen atypischen<br />
Parkinson-Syndrome wurden z. T. schon in<br />
der Einleitung genannt und sollen der Übersicht<br />
halber nur grob umschrieben werden,<br />
vielmehr ist das Ziel des vorliegenden Artikels,<br />
auf mögliche klinische Kriterien, die auf ein<br />
atypisches Parkinson-Syndrom hinweisen,<br />
einzugehen (Tab. 2).<br />
Klinik: So ist die Diagnose IPS eher unwahrscheinlich,<br />
wenn die Krankheit generell schnell<br />
voranschreitet und schon früh eine posturale<br />
Instabilität auftritt. Ein nur mangelndes oder<br />
vorübergehendes Ansprechen auf die dopaminerge<br />
Therapie lässt ebenfalls die Diagnose<br />
IPS anzweifeln, wobei auch bei bis zu 30 %<br />
der MSA-PatientInnen ein zumindest zu Beginn<br />
der Krankheit vorübergehendes Ansprechen<br />
auf die dopaminerge Therapie verzeichnet<br />
werden kann (üblicherweise nimmt dies<br />
schließlich im Krankheitsverlauf ab).<br />
Früh im Krankheitsverlauf auftretende (meist<br />
visuelle) Halluzinationen – unabhängig von<br />
der Therapie oder Vorliegen eines demenziellen<br />
Syndroms – sind nicht typisch für IPS und<br />
eher hinweisend auf eine Demenz mit Lewy-<br />
Körperchen (DLK); prinzipiell ist jedoch derzeit<br />
noch unklar, ob es sich bei DLK und IPS<br />
wirklich um zwei verschiedene Krankheitsentitäten<br />
handelt oder wohl beide zu dem Spektrum<br />
„Lewy-Körperchen-Erkrankung“ zu<br />
zählen sind, wobei per definitionem für eine<br />
DLK das Auftreten des demenziellen Syndroms<br />
in der Anamnese zuvor bzw. zugleich<br />
mit den Parkinson-Symptomen gefordert<br />
wird (Tab. 3).<br />
Eine früh im Krankheitsverlauf auftretende<br />
posturale Instabilität ist ein insgesamt nur seltenes<br />
Charakteristikum der IPS; bei vorherrschenden<br />
Stürzen (zumeist nach hinten) sollte<br />
an eine PSP gedacht werden (Tab. 4), wobei<br />
auch bei MSA-PatientInnen eine posturale Instabilität<br />
bereits früh auftreten kann.<br />
Positive Pyramidenbahnzeichen (wie Babinski-Zeichen)<br />
schließen ein IPS nahezu aus, u<br />
16
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Tab. 5: Diagnosekriterien MSA<br />
1. Wahrscheinliche MSA<br />
Eine sporadische, progressive, im Erwachsenenalter beginnende<br />
Erkrankung, charakterisiert durch:<br />
• autonomes Versagen mit Inkontinenz (mit ED bei Männern) oder<br />
orthostatischen Blutdruckabfall innerhalb 3 min Stehens (zumindest<br />
30 mmHg systolisch oder 15 mmHg diastolisch) und<br />
• ein mangelhaft auf L-Dopa ansprechendes Parkinson-Syndrom<br />
(Bradykinese und Rigidität, Tremor oder posturale Instabilität) oder<br />
• ein zerebelläres Syndrom (Gangataxie und zerebelläre Dysarthrie,<br />
Extremitätenataxie, oder zerebelläre okulomotorische Störung)<br />
2. Mögliche MSA<br />
Eine sporadische, progressive, im Erwachsenenalter beginnende<br />
Erkrankung, charakterisiert durch:<br />
• Parkinson-Syndrom (Bradykinese und Rigidität, Tremor oder<br />
posturale Instabilität) oder<br />
• ein zerebelläres Syndrom (Gangataxie und zerebelläre Dysarthrie,<br />
Extremitätenataxie, oder zerebelläre okulomotorische Störung) und<br />
• zumindest ein Kriterium für autonomes Versagen (anderweitig nicht<br />
erklärbare Drangsymptomatik oder Blasenentleerungsstörung, ED<br />
bei Männern oder signifikanter orthostatischer Blutdruckabfall, der<br />
die Kriterien für „wahrscheinliche MSA“ nicht erfüllt) und<br />
• zumindest eines der zusätzlichen Kriterien (s. 3.)<br />
3. Zusätzliche Kriterien<br />
mögliche MSA-P oder MSA-C<br />
• Babinski-Zeichen und Hyperreflexie<br />
• Stridor<br />
mögliche MSA-P<br />
• rasch fortschreitendes Parkinson-Syndrom<br />
• schlechtes Ansprechen auf L-Dopa<br />
• posturale Instabilität innerhalb von 3 Jahren nach Beginn der<br />
motorischen Symptome<br />
• Gangataxie, zerebelläre Dysarthrie, Extremitätenataxie, zerebelläre<br />
okulomotorische Dysfunktion<br />
• Dysphagie innerhalb von 5 Jahren nach Beginn der motorischen<br />
Symptome<br />
• im MRT Atrophie des Putamens, Kleinhirnstiels, Pons, Cerebellums<br />
• Hypometabolismus im FDG-PET im Bereich des Putamens,<br />
Hirnstamms, Pons, Cerebellums<br />
mögliche MSA-C<br />
• Parkinson-Syndrom (Bradykinese und Rigidität)<br />
• im MRT Atrophie des Putamens, Kleinhirnstiels, Pons<br />
• Hypometabolismus im FDG-PET im Bereich des Putamens<br />
• präsynaptische Denervation im nigrostriatalen Dopaminsystem<br />
im SPECT oder PET<br />
Übersetzt nach: Gilman 2008 9<br />
vielmehr sind diese in ca. ein Drittel bis der<br />
Hälfte der atypischen Parkinson-Syndrome<br />
festzustellen. Zerebelläre Symptome (wie<br />
Stand-/Gangataxie, Dysmetrie) sprechen<br />
ebenfalls gegen die Diagnose IPS, wobei vor<br />
allem im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf<br />
eine klinische Differenzierung zwischen<br />
Gangstörung aufgrund der ausgeprägten posturalen<br />
Instabilität oder (eventuell auch zusätzlich<br />
bestehenden) zerebellären Ataxie<br />
schwierig sein kann.<br />
Ein weiteres für die klassische IPS untypisches<br />
Symptom sind Myoklonien im Bereich der Extremitäten<br />
oder Gesichtsmuskulatur – vielmehr<br />
werden diese bei bis zu 30 % der MSA-<br />
PatientInnen beobachtet und können sogar<br />
noch häufiger bei der CBS oder DLK auftreten.<br />
Das Vorliegen einer vertikalen Blickparese<br />
bzw. Verlangsamung der Sakkaden stellt hingegen<br />
nahezu ein diagnostisches Kriterium<br />
für die PSP dar.<br />
Auch ist sowohl eine ausgeprägte Dysarthrie<br />
FACT-BOX<br />
Die Diagnose der verschiedenen Parkinson-Syndrome<br />
bleibt eine klinische Diagnose,<br />
wobei die endgültige Differenzierung<br />
nur post mortem möglich ist. Jedoch<br />
ist eine frühe und möglichst<br />
akkurate Diagnose wegweisend hinsichtlich<br />
adäquater Führung des/der PatientIn<br />
und reduziert zudem unnötige und womöglich<br />
kostenintensive Zusatzdiagnostik.<br />
Außerdem wirkt sich eine angemessene<br />
Therapie (sowohl medikamentös als<br />
auch physikalisch und neurorehabilitativ)<br />
entscheidend auf die Symptomkontrolle<br />
aus; auch hat sich gezeigt, dass angemessen<br />
therapierte IPS-PatientInnen eine<br />
nahezu normale Lebenserwartung erreichen<br />
können.<br />
und/oder Dysphagie eher untypisch für IPS,<br />
obwohl dies im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf<br />
auch bei IPS-PatientInnen auftreten<br />
kann.<br />
Darüber hinaus sind autonome Symptome<br />
speziell für eine MSA charakteristisch, wie z.<br />
B. eine früh auftretende Dranginkontinenz<br />
oder Blasenentleerungsstörung bzw. erektile<br />
Dysfunktion sowie auch kardiovaskuläre Regulationsstörungen<br />
wie eine ausgeprägte orthostatische<br />
Hypotension (auch mit orthostatisch<br />
bedingten vasovagalen Synkopen); insgesamt<br />
spricht auch hier deren frühes<br />
Auftreten im Krankheitsverlauf eher gegen IPS<br />
und für ein atypisches Parkinson-Syndrom wie<br />
die MSA, jedoch können aufgrund der Beteiligung<br />
autonomer Zentren auch bei der IPS<br />
die autonomen Symptome nicht mit endgültiger<br />
Sicherheit zwischen IPS oder atypischen<br />
Parkinson-Syndrom differenzieren (Tab. 5).<br />
Klinisches Spektrum der Tauopathien:<br />
Während die klinische Präsentation der<br />
Alpha-Synucleinopathien DLK und MSA homogen<br />
erscheint, hat sich in den letzten Jah-<br />
18
en eine zunehmende Heterogenität der Tauopathien PSP und CBS<br />
gezeigt. Neben der klassischen Richardson-Variante der PSP, die oben<br />
beschrieben wurde, existieren offenbar als Ausdruck unterschiedlicher<br />
Tau-Läsionslast und Verteilung mindestens 3 weitere seltenere<br />
Varianten. Diese umfassen eine IPS-ähnliche Präsentation mit passagerem<br />
L-Dopa-Respons und verzögertem Auftreten von Blickparese<br />
und Sturzneigung (PSP-Parkinson-Typ) 5 , die so genannte pure akinesia<br />
and gait freezing (wurde zunächst in Japan beschrieben und<br />
von Williams et al. 2007 6 in westlichen PatientInnenpulationen dokumentiert)<br />
sowie das kortikobasale Syndrom als Kombination eines<br />
therapierefraktären Hemiparkinson/-dystonie-Syndroms mit einer<br />
ideomotorischen Apraxie und progredienten Demenz 7 . Interessanterweise<br />
ist eine kortikobasale Degeneration nur für 30 % der CBS-<br />
Fälle verantwortlich, führend ist dagegen eine PSP-Pathologie. Eine<br />
Überarbeitung der PSP-Diagnosekriterien erscheint angesichts dieser<br />
phänotypischen Erweiterung des klinischen Spektrums als unumgänglich.<br />
Diagnosestellung: Die Diagnose von IPS und APS bleibt primär klinisch,<br />
und der Stellenwert von Zusatzuntersuchungen wie Bildgebung<br />
oder Neuropsychodiagnostik wurde bislang ausschließlich bei<br />
klinisch bereits gesicherten Fällen untersucht. Jeder/jede Parkinson-<br />
PatientIn sollte aber zum Ausschluss von sekundären Ursachen bzw.<br />
zum Nachweis verschiedener APS-spezifischer Veränderungen mittels<br />
zerebralem MRT untersucht werden (MSA: rim sign, hot cross bun<br />
sign, OPCA-Atrophie-Muster; PSP: Mickey Mouse sign, humming<br />
bird sign, Mittelhirn- sowie frontale Atrophie; DLK: relative Verschonung<br />
des mesialen Temporallappens; CBS: einseitig betonte frontoparietale<br />
Atrophie).<br />
Weitere Untersuchungen sind von der klinischen Präsentation abhängig<br />
zu machen (z. B. Kipptischuntersuchung bzw. Urodynamik bei<br />
Verdacht auf autonomes Versagen im Rahmen von MSA oder DLK,<br />
Neuropsychodiagnostik bei Verdacht auf kognitive Einschränkung im<br />
MMSE-Screening, DAT SPECT bei Verdacht auf nichtdegeneratives<br />
Parkinson-Syndrom, FDG PET zum Nachweis von Basalganglien, Hirnstamm<br />
oder Kleinhirnpathologie bei Verdacht auf MSA, DLK oder<br />
PSP/CBS).<br />
n<br />
1 Wenning GK et al., Prevalence of movement disorders in men and women aged<br />
50–89 years (Bruneck Study cohort): a population-based study. Lancet Neurol 2005;<br />
4(12):815–20<br />
2 Hughes AJ et al., The accuracy of diagnosis of parkinsonian syndromes in a specialist<br />
movement disorder service. Brain 2002; 125(Pt 4):861–70<br />
3 Gibb WR, Lees AJ, The relevance of the Lewy body to the pathogenesis of idiopathic<br />
Parkinson's disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1988 Jun; 51(6):745–52<br />
4 Lees AJ, Hardy J, Revesz T, Parkinson’s disease. Lancet. 2009;13; 373(9680):2055–66<br />
5 Williams DR et al., Characteristics of two distinct clinical phenotypes in pathologically<br />
proven progressive supranuclear palsy: Richardson’s syndrome and PSP-parkinsonism.<br />
Brain 2005; 128(Pt 6):1247–58<br />
6 Williams DR et al., Pure akinesia with gait freezing: a third clinical phenotype of<br />
progressive supranuclear palsy. Mov Disord 2007; 15; 22(15):2235–41<br />
7 Wenning GK et al., Natural history and survival of 14 patients with corticobasal<br />
degeneration confirmed at postmortem examination. J Neurol Neurosurg Psychiatry<br />
1998; 64(2):184–9<br />
8 Litvan I et al., Research goals in progressive supranuclear palsy. First International<br />
Brainstorming Conference on PSP. Mov Disord 2000; 15(3):446–58<br />
9 Gilman S, Wenning GK et al., Second consensus statement on the diagnosis of<br />
multiple system atrophy. Neurology 2008 Aug 26; 71(9):670–6<br />
10 McKeith IG et al., Diagnosis and management of dementia with Lewy bodies: third<br />
report of the DLB Consortium. Neurology 2005 27; 65(12):1863–72<br />
11 Litvan I et al., Accuracy of clinical criteria for the diagnosis of progressive supranuclear<br />
palsy (Steele-Richardson-Olszewski syndrome). Neurology 1996; 46(4):922–30
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Nichtmotorische Symptome<br />
der Parkinson-Krankheit<br />
Die Parkinson-Krankheit gilt zu Recht als klassischer Vertreter der Erkrankungsgruppe der extrapyramidalen<br />
Bewegungsstörungen („Movement disorders“) und wird klinisch durch ihre motorischen Kardinalsymptome<br />
Bradykinese, Rigidität und asymmetrischer Ruhetremor definiert. Dennoch sind eine Vielzahl nichtmotorischer<br />
Symptome integraler Bestandteil des klinischen Spektrums dieser neurodegenerativen Erkrankung.<br />
O<br />
Obwohl die klinisch-pathologischen Korrelationen<br />
für viele dieser nichtmotorischen Symptome<br />
nicht exakt etabliert sind, besteht Konsens,<br />
dass sie eine direkte Folge der weit<br />
über das nigrostriatale System hinausgehenden<br />
systemischen Neuropathologie der Erkrankung<br />
sind. Nichtmotorische Symptome<br />
sind bereits am Beginn der Erkrankung häufig<br />
– für manche von ihnen wird sogar postuliert,<br />
dass ihre Manifestation der Präsentation motorischer<br />
Kardinalsymptome vorausgehen<br />
kann – werden aber mit fortschreitender Erkrankung<br />
noch häufiger und dann oft ein<br />
wesentlicher bestimmender Faktor für Progression<br />
von Behinderung, Lebensqualität<br />
und Pflegeheimeinweisung 1–3 . In ihren verschiedenen<br />
Kombinationen stellen nichtmotorische<br />
Symptome eine der größten therapeutischen<br />
Herausforderungen im Management<br />
der fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit<br />
dar.<br />
Klinisches Spektrum<br />
Das Spektrum der nichtmotorischen Symptome<br />
der Parkinson-Krankheit ist breit gefächert<br />
und umfasst Störungen von Kognition<br />
und Affektivität ebenso wie Symptome gestörter<br />
Schlaf-wach-Regulation, autonome<br />
Dysfunktion oder sensorische Symptome und<br />
Schmerz (Tab. 1).<br />
Neuropsychiatrische Symptome<br />
Bereits am Beginn der Parkinson-Krankheit<br />
lassen sich bei mehr als der Hälfte der PatientInnen<br />
bei gezielter Untersuchung Störungen<br />
der Affektivität und des Antriebs<br />
sowie verschiedene Manifestationen kognitiver<br />
Dysfunktion erfassen, wobei insgesamt<br />
Häufigkeit und Ausmaß der Störung im<br />
Krankheitsverlauf zunehmen. 2<br />
Die dopaminerge Ersatztherapie der Erkrankung<br />
hat darüber hinaus zu neuen Syndromen<br />
komplexer Verhaltensstörungen geführt,<br />
die beim unbehandelten M. Parkinson nicht<br />
beschrieben wurden und in einem eigenen<br />
Beitrag für dieses Schwerpunktthema behandelt<br />
werden.<br />
Depression<br />
Rezente Daten aus klinikbasierten Kollektiven<br />
legen eine Prävalenz von klinisch relevanten<br />
depressiven Symptomen bei 30–40 % der<br />
Parkinson-PatientInnen nahe 1, 2 , weniger als<br />
Tab. 1: Nichtmotorische Symptome der Parkinson-Krankheit<br />
Neuropsychiatrische Störungen<br />
Schlafstörungen<br />
Autonome Dysfunktion<br />
Sensorische Symptome/Schmerzen<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Werner Poewe<br />
Universitätsklinik<br />
für <strong>Neurologie</strong>,<br />
Medizinische Universität<br />
Innsbruck<br />
20 % der PatientInnen erfüllen allerdings<br />
DSM-IV-Kriterien für eine Major Depression. 4<br />
Interesseverlust und Anhedonie sind zentrale<br />
Aspekte des depressiven Syndroms des Morbus<br />
Parkinson, ebenso wie Ängstlichkeit und<br />
Panikattacken, Schlafstörungen und Erschöpfbarkeit,<br />
während traurige Verstimmung<br />
in einer rezenten Studie an über 1000<br />
Parkinson-PatientInnen bei weniger als 20 %<br />
Depression<br />
Apathie, Anhedonie<br />
Frontal exekutive Störung<br />
Demenz<br />
Psychose<br />
Dopaminerges Dysregulationssyndrom<br />
Impulskontrollstörung<br />
Schlaffragmentation, Insomnie<br />
RBD<br />
PLMS/RLS<br />
Pathologische Tagesmüdigkeit<br />
Orthostatische Hypotension<br />
Urogenitale Störungen<br />
Obstipation<br />
Hyposmie<br />
Farbdiskriminationsstörung<br />
Schmerz<br />
20
vorhanden war. 5 Andere klassische Symptome<br />
der Depression bei Nicht-Parkinson-PatientInnen,<br />
wie Selbstanklagen, Schuldgefühle<br />
und Suizidalität sind demgegenüber bei<br />
Parkinson-PatientInnen mit depressiver Symp -<br />
tomatik seltener (Tab. 2). Depressivität, Angst<br />
und Panikattacken sind darüber hinaus Manifestationen<br />
von Off-Phasen bei L-Dopa-behandelten<br />
Parkinson-PatientInnen mit Wirkungsfluktuationen.<br />
6<br />
Depressive Symptome des M. Parkinson dürften<br />
Folge gestörter Neurotransmission in mesokortikalen<br />
bzw. mesolimbischen monoaminergen<br />
Projektionen sein. Hierzu gehören die<br />
mesokortikolimbische Dopaminprojektion<br />
aus der ventralen tegmentalen Area, wobei<br />
insbesondere angenommen wird, dass orbitofrontale<br />
dopaminerge Denervierung eine<br />
Rolle für Apathie und Anhedonie spielen. 7<br />
Zusätzlich dürften für die Parkinson-Depression<br />
kortikolimbische noradrenerge Denervierung<br />
in Folge Zellverlustes im Locus coeruleus<br />
und serotonerge kortikale Denervierung als<br />
Folge von Neuronenverlust im Nucleus dorsalis<br />
raphae von Bedeutung sein.<br />
Medikamentöse Behandlung: Die Pharmakotherapie<br />
der Parkinson-Depression kann<br />
sich nur zum Teil auf gesicherte Daten aus<br />
randomisierten kontrollierten Studien stützen.<br />
8 Die wenigen verfügbaren, placebokontrollierten<br />
Studien wurden ganz überwiegend<br />
in kleinen PatientInnenkollektiven durchgeführt<br />
und haben generell große Placeboeffekte<br />
gezeigt, sodass insgesamt die Evidenzbasis<br />
für die Wirksamkeit von Antidepressiva<br />
bei der Parkinson-Depression unbefriedigend<br />
ist. (Tab. 3). Die größte placebokontrollierte<br />
Therapiestudie zur Parkinson-Depression<br />
wurde mit dem Dopaminagonisten Pramipexol<br />
durchgeführt und zeigte einen signifikanten<br />
antidepressiven Effekt nach 12-wöchiger<br />
Behandlung. 9 Letzteres unterstreicht die Bedeutung<br />
einer Optimierung der dopaminergen<br />
Ersatztherapie als wichtiger Baustein des<br />
antidepressiven Managements der Parkinson-<br />
Krankheit.<br />
Unter den Antidepressiva liegen lediglich für<br />
Nortryptilin, Desipramin und Citalopram<br />
Tab. 2: Klinisches Profil der Depression bei Parkinson<br />
Häufige Symptome<br />
Interesseverlust<br />
Anhedonie<br />
Apathie<br />
Erschöpfung<br />
Insomnie<br />
Pessimismus<br />
Traurige Verstimmung<br />
Ängstlichkeit<br />
Panikattacken<br />
Wirksamkeitsnachweise aus randomisierten<br />
placebokontrollierten Studien vor, während<br />
die Evidenzlage für die im klinischen Alltag<br />
am häufigsten verwendete Medikamentengruppe<br />
der Serotonin- oder dualen serotonergen-noradrenergen<br />
Antidepressiva unbefriedigend<br />
ist.<br />
10, 11<br />
Bei Fehlen ausreichender Daten aus randomisierten<br />
placebokontrollierten Therapie-Studien<br />
zur Parkinson-Depression beruht die u<br />
Tab. 3: Behandlung der Depression bei Morbus Parkinson – Evidenzniveau der<br />
Wirksamkeit aus klinischen Studien<br />
Therapieform Evidenzniveau aus klinischen Studien *<br />
A. Pharmakotherapie<br />
L-Dopa 3 **<br />
Dopaminagonisten<br />
• Bromocriptin 3<br />
• Pergolid 3<br />
• Pramipexol 1 ***<br />
Antidepressiva<br />
• Trizyklika (Nortryptilin, Desipramin) 1<br />
• SSRI (Sertralin, Fluoxetin, Paroxetin, 3<br />
Citalopram)<br />
• Neuere Antidepressiva (Mirtazapin, 3<br />
Venlafaxin, Reboxetin, Nefazodon,<br />
Bupropion)<br />
B. Nichtmedikamentöse Therapie<br />
• Psychotherapie, Verhaltenstherapie 3<br />
• Elektrokrampftherapie 3<br />
• rTMS<br />
- wirksam 3<br />
- unwirksam 1<br />
Seltener im Vergleich zu Major Depression<br />
Traurige Verstimmung<br />
Suizidgedanken<br />
Schuldgefühl<br />
Selbstanklagen<br />
Verlust des Selbstwertgefühls<br />
* Evidenzniveau entsprechend der Datenlage aus klinischen Studien:<br />
1 = randomisierte, kontrollierte Studie; 2 = nicht randomisierte, kontrollierte Studie; 3 = unkontrollierte Studie<br />
** Stimmungsaufhellende und angstlösende Effekte auch in einer kleinen doppelblinden placebokontrollierten<br />
Einzeldosisstudie nachgewiesen<br />
*** Positive Effekte auch in placebokontrollierter randomisierter Studie bei Depression ohne Morbus Parkinson<br />
21
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Tab. 4: Management der Depression bei Morbus Parkinson<br />
• Diagnose sichern und Depressionstyp charakterisieren (Major Depression, Minor<br />
Depression, subsyndromale Depression)<br />
• Optimierung der dopaminergen Ersatztherapie<br />
- Überprüfen der Medikation auf ausreichende Dosierung<br />
- bei „Off-Phasen“ dopaminerge Substitution anpassen (Maximierung der „On-Phasen“<br />
Dauer) bzw. Wirkungsfluktuationen behandeln<br />
• Erlernen von Coping-Strategien/Psychotherapie<br />
• Im Bedarfsfall Kombinationstherapie mit Antidepressiva<br />
• Konsultation eines Psychiaters, insbesondere bei<br />
- Parkinson-Patienten mit schwerer Depression oder wenn die Depression das führende<br />
Symptom ist<br />
- Parkinson-Patienten mit Depression mit Therapieresistenz gegenüber der<br />
medikamentösen Behandlung<br />
Tab. 5: Parkinson-Psychose – diagnostische Kriterien<br />
A) Vorhandensein von mindestens einem Symptom<br />
- illusionäre Verkennung<br />
- falsches Gefühl der Anwesenheit von Personen<br />
- Halluzinationen<br />
- Wahnvorstellungen<br />
B) Diagnose einer Parkinson-Krankheit<br />
C) Auftreten der Symptome unter A) nach Beginn der Parkinson-Krankheit<br />
D) Symptome unter A) sind für mindestens einen Monat rezidivierend oder<br />
anhaltend<br />
E) Ausschluss anderer Gründe für Symptome unter A)<br />
Tab. 6: Therapieprinzipien im Management der Parkinson-Psychose<br />
Kontrolle auslösender Faktoren<br />
Reduktion von Polypharmazie<br />
Gabe von atypischen<br />
Antipsychotika<br />
• Therapie von Infekten (HWI, Pneumonie)<br />
• Ausgleich von gestörtem Flüssigkeitshaushalt<br />
und/oder Elektrolytstörung<br />
• Reduktion/Ausschleichen von Trizyklika,<br />
Anxiolytika, Hypnotika<br />
• Reduktion/Absetzen von Parkinson-Mitteln mit<br />
ungünstiger Nutzen-Risiko-Relation (Anticholinergika,<br />
Amantadin, Dopaminagonisten vor L-Dopa)<br />
• Quetiapin oder Clozapin (Olanzapin, Risperidon<br />
wegen motorischer Verschlechterung<br />
kontraindiziert!)<br />
Gabe von Cholinesterasehemmern • nur bei Patienten mit Parkinson-Demenz<br />
nach Ravina et al., 2007<br />
pragmatische Therapie zum Teil auf unkontrollierten<br />
Studiendaten bzw. der Extrapolation<br />
von Studienergebnissen an PatientInnen<br />
mit primärer Depression (Tab. 4).<br />
Kognitive Dysfunktion<br />
und Parkinson-Demenz<br />
Subtile Zeichen kognitiver Dysfunktion lassen<br />
sich testpsychologisch bei der Mehrzahl der<br />
Parkinson-PatientInnen schon im Frühstadium<br />
nachweisen – hierzu gehören Störungen<br />
von Aufmerksamkeit, der frontal-exekutiven<br />
Funktion und Defizite in visuell-räumlichen<br />
Tests. In letzter Zeit ist vorgeschlagen worden,<br />
diese subklinischen Defizite als „minimale kognitive<br />
Beeinträchtigung bei M. Parkinson“<br />
(MCI-PD) zu operationalisieren – unter anderem,<br />
um eine Basis für prospektive Untersuchungen<br />
zum Demenzrisiko solcher PatientInnen<br />
zu schaffen 12 .<br />
Im Langzeitverlauf entwickelten je nach Serie<br />
und Länge der Nachuntersuchungsperiode<br />
bis zu 80 % der PatientInnen mit Parkinson-<br />
Krankheit eine Demenz. 2 Die Parkinson-Demenz<br />
ist klinisch durch Störungen im Gedächtnisabruf,<br />
der Aufmerksamkeit und frontal-exekutiver<br />
Funktionen mit Defiziten beim<br />
Konzeptwechsel, Planen und Problemlösen<br />
gekennzeichnet. Charakteristisch sind auch<br />
visuell-räumliche Verarbeitungsstörungen,<br />
das Auftreten von visuellen Halluzinationen<br />
sowie oft markante Fluktuationen im Aufmerksamkeits-<br />
und gesamten kognitiven Niveau.<br />
Anders als bei der Alzheimer-Erkrankung bleiben<br />
Sprache und Praxis relativ intakt. Klinisch<br />
beruht die Abgrenzung einer Demenz mit<br />
Lewy-Körpern (DLK) von der Parkinson-Demenz<br />
allein auf dem Zeitkriterium des Auftretens<br />
der Demenz in Relation zur motorischen<br />
Parkinson-Manifestation – vorher oder<br />
innerhalb eines Jahres bei der DLK, später bei<br />
der Parkinson-Demenz, während sich das klinische<br />
Demenzprofil nicht unterscheidet.<br />
Ursächlich für die Parkinson-Demenz sind kortikale<br />
cholinerge Denervierung durch Zellverlust<br />
im Nucleus basalis und Lewy-Körper-Degeneration<br />
im limbischen und im Neokortex.<br />
22
Tab. 7: Praktisches Management der Dysautonomie bei Morbus Parkinson<br />
Orthostatische Hypotonie<br />
Neurogene Blasenstörungen<br />
Erektile Dysfunktion<br />
Obstipation<br />
Therapeutisch sind Cholinesterasehemmer<br />
Therapie der ersten Wahl, wobei die robus -<br />
teste Evidenz zur Wirksamkeit für Rivastigmin<br />
vorliegt, gegebenenfalls in Kombination mit<br />
atypischen Neuroleptika wie Clozapin oder<br />
Quetiapin zur Kontrolle psychotischer Symptome.<br />
13<br />
• elastische Stützstrümpfe<br />
• salzreiche Ernährung<br />
• Fludrokortison 0,1–0,3 mg/Tag<br />
• Etilefrin 15–25 mg/Tag<br />
• Midodrin 2,5–10 mg/Tag (wirksam in RCT)<br />
• Oktreotid 25–50 mg s.c. 30 Minuten vor der<br />
Mahlzeit bei postprandialer Hypotonie<br />
• Detrusorhyperreflexie<br />
- Oxybutynin 5–15 mg/Tag<br />
- Tolterodin 2–4 mg/Tag<br />
- Trospiumchlorid 20–40 mg/Tag<br />
• Retention<br />
- Oxybutynin 5–15 mg/Tag<br />
- Intermitt. Selbstkatheterismus<br />
• Nächtliche Polyurie<br />
- Desmopression<br />
Spray: 10–40 mcg/Nacht<br />
Tablettenform: 100–400 mcg/Nacht)<br />
• Pharmakotherapie nur bei strenger Indikation<br />
(Nebenwirkungen)<br />
• Wirksam in einer kontrollierten Studie:<br />
50 mg Sildenafil<br />
• Keine Studiendaten zu anderen PDE-5-Hemmern<br />
(Tadalafil, Vardenafil), Apomorphin oder<br />
Schwellkörperselbstinjektion<br />
• Ballaststoffreiche Ernährung<br />
• Absetzen von Anticholinergika<br />
• Ausreichende Flüssigkeitszufuhr<br />
• Gabe von prokinetischen Substanzen (Tegaserod)<br />
oder Laxantien (Makrocol = Movicol ® )<br />
Psychose<br />
Psychose wird als Oberbegriff für ein klinisches<br />
Spektrum von verschiedenen kognitiven<br />
und Wahrnehmungsstörungen verwendet<br />
– insbesondere Illusionen, Halluzinationen,<br />
Wahnvorstellungen, Verwirrtheit und<br />
paranoiden Wahrnehmungsverarbeitung. Klinisch-diagnostische<br />
Kriterien für die Parkinson-Psychose<br />
sind in Tabelle 5 zusammengefasst.<br />
Illusionäre Verkennungen und Halluzinationen<br />
sind die häufigsten psychotischen Manifestationen<br />
bei der Parkinson-Erkrankung und sind<br />
in der Regel visueller Natur, während akus -<br />
tische und taktile Halluzinationen seltener vorkommen<br />
und, falls vorhanden, meistens in<br />
Zusammenhang mit visuellen Halluzinationen<br />
auftreten. 14, 15 Visuelle Halluzinationen bei der<br />
Parkinson-Krankheit kommen in geringer<br />
Ausprägung als Gefühl der Anwesenheit oder<br />
des Vorbeigehens von Personen vor oder als<br />
vollständig ausgebildete visuelle Halluzinationen<br />
mit detailreichen und farbigen Wahrnehmungen<br />
von zumeist belebten Objekten, wie<br />
Menschen, Tieren oder Fabelwesen. 16 In weniger<br />
schweren Fällen bleibt die Einsicht in<br />
die halluzinatorische Natur der Wahrnehmungen<br />
zumindest teilweise erhalten, während<br />
diese in schweren Formen verloren geht und<br />
paranoide Deutungen und Angstzustände<br />
hinzutreten können.<br />
Die Häufigkeit von Halluzinationen bei Morbus<br />
Parkinson wird auch durch Querschnittsuntersuchungen<br />
in Klinik-Ambulanzen unterstrichen,<br />
wo Prävalenzen von bis zu 75 %<br />
(einschließlich geringgradiger Formen, wie illusionärer<br />
Verkennungen oder flüchtiger<br />
Sensationen von Anwesenheit von Personen)<br />
berichtet wurden.<br />
15, 17<br />
Ohne gezielte systematische<br />
Befragung wird die Inzidenz psychotischer<br />
Symptome bei M. Parkinson in der<br />
klinischen Routine unterschätzt. 18<br />
Psychose ist wiederholt als wesentlicher Risikofaktor<br />
für die Pflegeheimeinweisung von<br />
Parkinson-PatientInnen hervorgehoben worden.<br />
19 Eine frühzeitige psychotische Reaktion<br />
auf dopaminerge Ersatztherapie in den ersten<br />
Krankheitsjahren wurde als Risikofaktor für<br />
eine nachfolgende Entwicklung von kogni -<br />
tiver Dysfunktion und Demenz identifi ziert. 20<br />
Visuelle Halluzinationen bei Parkinson-PatientInnen<br />
dürften mit neurodegenerativen Veränderungen<br />
im visuo-perzeptiven System des<br />
so genannten ventralen visuellen Verarbeitungsstroms<br />
(kollikulo-thalamo-amygdales<br />
System) zusammenhängen.<br />
21, 22<br />
Auf dieser<br />
Basis können grundsätzlich alle Anti-Parkinson-Medikamentengruppen<br />
Halluzinationen<br />
und andere psychotische Symptome induzieren<br />
oder verschlechtern, einschließlich Dopaminagonisten,<br />
L-Dopa, MAO-B-Hemmer,<br />
COMT-Hemmer, Anticholinergika und Amantadin.<br />
14 Insgesamt ist die medikamentös<br />
induzierte Psychose häufiger unter Dopamin- u<br />
23
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Tab. 8: Störungen der Schlaf-wach-Regulation bei Morbus Parkinson<br />
Primäre Störung der<br />
Schlaf-wach-Regulation<br />
Sekundäre Effekte von<br />
Parkinson-Symptomen<br />
Effekte der<br />
Parkinson-Medikation<br />
Effekte von Komorbiditäten<br />
• Veränderte Schlafmikrostruktur<br />
• Schlaffragmentation<br />
• REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD)<br />
• Exzessive Tagesmüdigkeit<br />
• Nächtliche Akinese, Tremor und Rigidität<br />
• Nächtliche Off-Phase-Dystonie und Schmerzen<br />
• Nykturie und Inkontinenz<br />
• Nächtliche Verwirrtheit und Halluzinose<br />
• Depression<br />
• Medikamentös induzierte Insomnie<br />
(Dopaminergika)<br />
• Medikamentös induzierte Tagesmüdigkeit<br />
(Dopaminagonisten, L-Dopa)<br />
• Medikamentös induzierte Verwirrtheit<br />
• Schlafbezogene Atemregulationsstörung<br />
• RLS/PLMS<br />
agonistenbehandlung im Vergleich zur L-<br />
Dopa-Monotherapie zu finden 23 . Die wesent -<br />
lichsten weiteren Risikofaktoren sind kognitive<br />
Dysfunktion, Demenz und Alter.<br />
Die Behandlung der Parkinson-Psychose ist<br />
in der Regel mehrdimensional und schließt<br />
sowohl die sorgfältige Erhebung und Kontrolle<br />
auslösender oder verschlimmernder Faktoren,<br />
einschließlich einer kritischen Überprüfung<br />
der jeweiligen Anti-Parkinson-Medikamente<br />
und ihrer Dosierung ein. Oft ist die<br />
additive Behandlung mit einem Antipsychotikum<br />
erforderlich, wobei nur für Clozapin ein<br />
eindeutiger Wirksamkeitsnachweis aus kontrollierten<br />
klinischen Studien vorliegt (Tab. 6).<br />
Autonome Dysfunktion<br />
Eine große retrospektive klinische Analyse<br />
von 135 PatientInnen mit pathologisch ge-
sichertem Morbus Parkinson fand eine Prävalenz<br />
von orthostatischer Hypotension<br />
(OH) von mindestens 30 %, von Blasenfunktionsstörungen<br />
bei 32 % und chronischer<br />
Obstipation bei 36 %. Klinische Studien<br />
haben häufig noch höhere Prävalenzen<br />
beschrieben, vor allem in fortgeschrittenen<br />
Fällen mit mehr als 10-jähriger Krankheitsdauer.<br />
1, 2<br />
Orthostatische Hypotension (OH) wird als<br />
Abfall von mindestens 20 mm/Hg des systolischen<br />
oder 10 mm/Hg des diastolischen<br />
Blutdrucks oder beider Werte nach 3-minütigem<br />
Aufstehen aus liegender Position definiert.<br />
Die symptomatische OH bei Morbus<br />
Parkinson manifestiert sich durch Verschwommensehen,<br />
posturale Instabilität,<br />
Schwindelgefühl, Schmerzen im Nacken und<br />
in Schultern („coat hanger pain“) sowie orthostatische<br />
Synkopen. 24 Die symptomatische<br />
OH ist ein wesentlicher Risikofaktor für Stürze<br />
bei Morbus Parkinson.<br />
Neurogene Blasenfunktionsstörungen<br />
belasten vor allem PatientInnen mit fortgeschrittener<br />
Parkinson-Krankheit und umfassen<br />
vermehrten Harndrang mit häufigen<br />
Blasenentleerungen, inkomplette Blasenentleerung<br />
mit Restharnbildung sowie Dranginkontinenz.<br />
In urodynamischen Studien besteht<br />
die häufigste Abnormität bei Morbus<br />
Parkinson in einer Detrusorhyperreflexie.<br />
Sexuelle Funktionsstörungen manifestieren<br />
sich bei Parkinson-Patienten als erektile<br />
und ejakulatorische Dysfunktion, bei Patientinnen<br />
als Verlust von Libido und Orgasmusfähigkeit.<br />
25<br />
Chronische Obstipation wurde bei bis zu<br />
70 % der PatientInnen mit Morbus Parkinson<br />
beschrieben 26 und kann dem Auftreten klassischer<br />
motorischer Symptome vorausgehen.<br />
Ursächlich für die Dysautonomie bei der Parkinson-Krankheit<br />
dürften neurodegenerative<br />
Veränderungen in autonomen Kerngebieten<br />
des unteren Hirnstammes sowie in peripheren<br />
sympathischen Ganglien und sympathischen<br />
und parasympathischen Efferenzen<br />
zum Herzen oder Gastrointestinaltrakt sein.<br />
Ebenso sind das pontine Miktions- und Defäkationszentrum<br />
sowie der für die Sexualfunktion<br />
relevante paraventrikuläre hypothalamische<br />
Nukleus in der Pathologie der Parkinson-Krankheit<br />
eingeschlossen.<br />
Die Behandlung der verschiedenen autonomen<br />
Symptome bei der Parkinson-Krankheit<br />
ist großteils auf pragmatischen Empfehlungen<br />
aufgebaut, die sich nicht aus kontrollierten<br />
Therapie-Studien ableiten lassen.<br />
27, 28<br />
Eine Übersicht findet sich in Tabelle 7. u
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Tab. 9: Pragmatische Therapie von Schlafstörungen bei Morbus Parkinson<br />
RBD: Clonazepam 0,5 mg/Tag<br />
RLS: abendlicher Dopaminagonist<br />
Nykturie: neurourologische Abklärung, evtl. Detrusordämpfung, Oxybutinin, Tolterodin,<br />
Trospiumchlorid, evtl. Desmopressinspray<br />
Nächtliche Verwirrtheit: Quetiapin oder Clozapin zur Nacht<br />
Nächtliche Parkinson-Symptome (Tremor, Akinese, Dystonie): Retard-Präparate<br />
(L-Dopa, DA-Agonisten) zur Nacht, evtl. MAO-B-Hemmer, evtl. COMT-Hemmer<br />
Störungen der<br />
Schlaf-wach-Regulation<br />
Störungen der Schlaf-wach-Regulation bei<br />
der Parkinson-Krankheit umfassen Ein- und<br />
Durchschlafstörungen mit Schlaffragmentation<br />
und reduzierter Schlafeffizienz ebenso wie<br />
pathologische Tagesmüdigkeit. Ein besonderes<br />
Charakteristikum gestörter Schlafarchitektur<br />
bei Morbus Parkinson ist die REM-Schlafassoziierte<br />
Verhaltensstörung (RBD) mit fehlender<br />
Muskelatonie im REM-Schlaf, sodass<br />
es zu traumassoziierten Bewegungsabläufen<br />
mit Verletzungsgefahr für PatientInnen oder<br />
BettpartnerInnen kommt. Neben den intrinsischen<br />
Störungen der Schlaf-wach-Regulation<br />
des Morbus Parkinson beinhalten die<br />
Schlafstörungen dieser Erkrankung auch Effekte<br />
nächtlicher motorischer und nichtmotorischer<br />
Symptome auf den Schlaf sowie<br />
Medikationseffekte auf Wachheit untertags<br />
(Tab. 8). Schließlich wird der Schlaf von Parkinson-PatientInnen<br />
auch durch Komorbiditäten<br />
wie schlafbezogene Atemregulationsstörung<br />
oder komorbides RLS beeinträchtigt.<br />
Verschiedene Formen gestörter Schlaf-wach-<br />
Regulation sind nahezu obligate Symptome<br />
der Parkinson-Krankheit und wurden in einer<br />
Fragebogenumfrage in nahezu 90 % der<br />
Fälle gefunden 29 sowie in einer weiteren, bevölkerungsbasierten<br />
Untersuchung in 70 %<br />
aller Parkinson-PatientInnen. 30 REM-Schlaf-<br />
Verhaltensstörung (RBD) und exzessive Tagesmüdigkeit<br />
31, 32 wurden bei bis zu 50 % der<br />
Parkinson-PatientInnen gefunden, und verschiedene<br />
Studien fanden eine erhöhte Prävalenz<br />
von RLS um 20 %. 33<br />
Auch für die Therapie von Schlaf-wach-Regulationsstörungen<br />
bei Morbus Parkinson<br />
gibt es nur wenige Daten aus kontrollierten<br />
Therapiestudien. Das pragmatische Management<br />
von Schlafstörungen und pathologischer<br />
Tagesmüdigkeit bei Morbus Parkinson<br />
erfordert eine sorgfältige anamnestische (gegebenenfalls<br />
auch polysomnographische) Abklärung<br />
möglicher zugrunde liegender Ursachen.<br />
Tabelle 9 gibt einen Überblick über die<br />
wichtigsten therapeutischen Szenarien.<br />
Sensorische<br />
Funktionsstörungen<br />
Hyposmie: Zahlreiche Untersuchungen<br />
haben mit bemerkenswerter Konsistenz bei<br />
ca. 90 % der Parkinson-PatientInnen eine<br />
Hyp osmie mit verminderter Geruchswahrnehmung<br />
und -identifikation gefunden. 34 Ursächlich<br />
sind Alpha-Synuklein-Pathologie und<br />
Neurodegeneration im olfaktorischen Sys -<br />
tem, insbesondere im Bulbus und Tractus olfactorius<br />
und piriformen Kortex. Viele PatientInnen<br />
beklagen diese Störung nicht spontan,<br />
und sie ist selten mit Leidensdruck verbunden;<br />
Therapien stehen nicht zur Verfügung.<br />
Visuelle Funktionsstörungen in Form von<br />
verminderter Sehschärfe und Kontrastsensitivität<br />
sowie gestörter Farbdiskrimination lassen<br />
sich bei der Mehrzahl der Parkinson-PatientInnen<br />
mit gezielter und aufwendiger ophthalmologischer<br />
Untersuchung nachweisen,<br />
sind aber selten mit subjektiven Beschwerden<br />
verbunden. Ursächlich sind neurodegenerative<br />
Veränderung der Retina, unter anderem<br />
mit morphologischen Veränderungen von dopaminergen<br />
amakrinen Zellen der Netzhaut.<br />
Schmerzen: Im Gegensatz zu Hyposmie und<br />
visuellen Funktionsstörungen sind Schmerzen<br />
eine häufige subjektive Beschwerde von<br />
Parkinson-PatientInnen. Rezente Untersuchungen<br />
haben bei über 60 % der PatientInnen<br />
chronische Schmerzen identifiziert,<br />
wobei bei mehr als der Hälfte keine von der<br />
Parkinson-Krankheit unabhängige Ursache<br />
bestand. 35 Parkinson-Schmerzen sind multifaktoriell<br />
und umfassen unter anderem muskuloskelettale<br />
Schmerzen durch Rigidität,<br />
Dystonie oder chronische Fehlhaltung ebenso<br />
wie Veränderungen der zentralen<br />
Schmerzverarbeitung.<br />
Nichtmotorische Symptome:<br />
erste klinische Zeichen einer<br />
Parkinson-Krankheit?<br />
Viele Parkinson-PatientInnen berichten auf<br />
gezieltes Befragen, dass verschiedene nichtmotorische<br />
Symptome bereits lange vor Beginn<br />
der ersten wahrnehmbaren Störungen<br />
ihrer Motorik bestanden hätten. Hierzu gehören<br />
neben einer gestörten Geruchswahrnehmung<br />
vor allem chronische Obstipation<br />
und Depressivität, Angst oder Antriebsstörung<br />
sowie die meist von BettpartnerInnen<br />
erfragbaren Hinweise auf eine REM-Schlaf-<br />
Verhaltensstörung. Hyposmie oder RBD würden<br />
sich auch aus dem von Braak entwickelten<br />
stadienhaften Modell der zerebralen Ausbreitung<br />
der Parkinson-Pathologie als<br />
mögliche erste Manifestationen der Parkinson-Krankheit<br />
ableiten lassen, da hiernach<br />
die ersten Parkinson-typischen neuropathologischen<br />
Veränderungen im Bulbus und Tractus<br />
olfactorius sowie in der Medulla oblongata<br />
auftreten.<br />
Prämotorische Phase: Tatsächlich unterstützen<br />
zahlreiche Untersuchungen die Existenz<br />
einer „prämotorischen Phase“ der Parkinson-<br />
Krankheit: Hyposmie bei sonst <strong>neurologisch</strong><br />
unauffälligen Menschen ist mit einem 4-fach<br />
erhöhten Parkinson-Risiko innerhalb von nur<br />
4 Jahren verbunden. 36–38 Chronische Obsti-<br />
26
pation erhöht das Parkinson-Risiko um bis zu<br />
3-fach 39 , und Normalpersonen mit chronischer<br />
Obstipation haben bei Post-mortem-<br />
Untersuchung häufiger Zeichen von Neurodegeneration<br />
in der Substantia nigra als Kontrollen.<br />
39 Menschen mit depressiven Episoden<br />
haben ebenfalls ein erhöhtes Parkinson-Risiko,<br />
40 aber der mit Abstand größte positive<br />
Vorhersagewert für eine spätere Parkinson-<br />
Krankheit findet sich bei Nachweis von RBD<br />
– bis zu 60 % der betroffenen PatientInnen<br />
mit so genanntem idiopathischem RBD entwickeln<br />
im Langzeitverlauf einen M. Parkinson.<br />
41 Die beobachteten Latenzen betrugen<br />
in Einzelfällen bis zu 50 Jahre. 42<br />
Konsequenzen: Solche Beobachtungen<br />
haben zwei wesentliche Implikationen: Zum<br />
einen werfen sie die Frage nach einer Neudefinition<br />
der diagnostischen Kriterien der<br />
Parkinson-Krankheit auf, zum anderen eröffnen<br />
sie Perspektiven für ein „Parkinson-Risiko-Screening“.<br />
Nach derzeit gültigen Kriterien<br />
ist die klinische Diagnose einer Parkinson-Krankheit<br />
an das Vorhandensein von<br />
Bradykinese und mindestens einem weiteren<br />
motorischen Symptom gebunden. Damit ist<br />
eine „Frühdiagnose“ ausgeschlossen, wenn<br />
die ersten Krankheitsmanifestationen nur nicht -<br />
motorische Funktionsstörungen umfassen.<br />
Umgekehrt ist die Spezifität der potenziellen<br />
nichtmotorischen Frühsymptome viel zu gering,<br />
um als verlässliche frühdiagnostische<br />
Marker Verwendung zu finden. Dennoch ist<br />
davon auszugehen, dass in Zukunft bestimmte<br />
Konstellationen nichtmotorischer<br />
Symptome in Verbindung mit Familienanamnese,<br />
genetischen oder proteomischen<br />
Markern sowie Bildgebungsbefunden ausreichend<br />
validiert werden können, um zur Diagnose<br />
eines zumindest wahrscheinlichen<br />
„prämotorischen M. Parkinson“ zu führen.<br />
Damit würden die Chancen für progressionsmindernde<br />
Therapien vermutlich deutlich<br />
verbessert.<br />
Verwandt, aber nicht identisch mit dem Konzept<br />
der prämotorischen Parkinson-Krankheit<br />
ist die Definition von Parkinson-Risiko-<br />
Populationen anhand von Risikomarkern.<br />
Auch hierzu zählen nichtmotorische Symptome,<br />
sie sind aber für sich allein zu unspezifisch<br />
für eine brauchbare Risiko-Prädiktion.<br />
Kombinationen verschiedener Marker können<br />
jedoch zu weit höherer Spezifität sowie<br />
verbesserten positiven Vorhersagewerten<br />
führen. Auch hier ist davon auszugehen,<br />
dass es gelingen wird, Markerkombinationen<br />
zu validieren, die letztlich für ein populationsbasiertes<br />
Parkinson-Risiko-Screening<br />
tauglich sind.<br />
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27
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Impulskontrollstörungen und<br />
andere repetitive Verhaltensstörungen<br />
beim M. Parkinson<br />
Eine Reihe neuropsychiatrischer Komplikationen der Parkinson-Erkrankung wie Demenz, Halluzinose oder<br />
Depression sind seit Langem bekannt. Die letzten Jahre haben aber zunehmend Erkenntnisse zu selteneren,<br />
jedoch klinisch wesentlichen Störungen von Verhalten und Kognition erbracht, die als Komplikation der<br />
dopaminergen Therapie bei einem Teil der PatientInnen auftreten. Am häufigsten unter diesen impulsasso -<br />
ziierten, repetitiven Verhaltensstörungen sind die Impulskontrollstörungen, die schon bei der Ersteinstellung<br />
auftreten können. Eher später im Krankheitsverlauf und meist unter höheren Medikamentendosen können<br />
sich die spezifische repetitive Verhaltensstörung „Punding“ sowie das dopaminerge Dysregulationssyndrom<br />
entwickeln. Alle drei Formen können isoliert oder in jeder Kombination auftreten (Abb. 1).<br />
Dopaminerges<br />
Dysregulationssyndrom (DDS)<br />
Aufgrund des progredienten neurodegenerativen<br />
Prozesses beim M. Parkinson und der<br />
daraus resultierenden motorischen Behinderung<br />
steigen im Lauf der Erkrankung die<br />
Dosen dopaminerger Medikamente, die zur<br />
adäquaten Behandlung der Motorik erfor -<br />
derlich sind. Beim Großteil der PatientInnen<br />
entstehen motorische Komplikationen, die<br />
komplexe Einnahmeschemata erforderlich<br />
machen können. Eine Minderheit prädisponierter<br />
PatientInnen steigert jedoch die Dosis<br />
weiter, über das zur Behandlung der Motorik<br />
erforderliche Maß hinaus. Daraus können typische<br />
kognitive und Verhaltensänderungen<br />
entstehen, die das dopaminerge Dysregulationssyndrom<br />
(DDS) ausmachen.<br />
Klinische Charakteristika<br />
DDS kann sich langsam aus verschriebener<br />
Bedarfsmedikation heraus entwickeln. Prädisponierte<br />
PatientInnen mit gutem Ansprechen<br />
auf dopaminerge Substanzen nehmen bereits<br />
einen Bedarf nach der nächsten Einnahme<br />
wahr, wenn sie sich in einem On-Zustand mit<br />
guter Beweglichkeit und oft auch mit Dyskinesien<br />
befinden. Das Aufsuchen mehrerer<br />
VerschreiberInnen und Internetbezug kommen<br />
vor, ebenso Horten und Verstecken von<br />
Medikamentenvorräten.<br />
Die typischen Verhaltensänderungen beim<br />
voll entwickelten DDS sind Beschaffungs- und<br />
Verleugnungsstrategien, Impulsivität, Reizbarkeit,<br />
manipulatives Verhalten und Aggressivität.<br />
Hypomanie kann vorkommen. Es besteht<br />
mangelnde Einsicht im Hinblick auf den<br />
Schaden, der für die PatientInnen selbst und<br />
für andere entsteht. Versuche einer Dosisreduktion<br />
führen meist zu Dysphorie oder Aggression;<br />
negative soziale Konsequenzen sind<br />
häufig 1–3 .<br />
Prävalenz<br />
Derzeit sind keine epidemiologischen Daten<br />
verfügbar. Spezialisierte Zentren berichteten<br />
über ein Auftreten eines DDS bei 3,48 bis<br />
4,1% 9 der Parkinson-PatientInnen.<br />
Prädisponierende<br />
und assoziierte Faktoren<br />
Alter und Persönlichkeit: Das DDS betrifft<br />
vorwiegend PatientInnen mit frühem Erkrankungsbeginn<br />
und nimmt mit zunehmender<br />
Krankheitsdauer zu 2, 6 . Hohe Werte bei Tests<br />
auf „impulsives Sensation-Seeking“ zeigen<br />
Persönlichkeitsmerkmale an, die mit einem<br />
erhöhten Risiko für Dysregulation (und Impulskontrollstörungen<br />
im Allgemeinen) einhergehen.<br />
Dementsprechend haben DDS-PatientInnen<br />
mit höherer Wahrscheinlichkeit als<br />
andere Parkinson-PatientInnen in der Vorgeschichte<br />
Erfahrungen mit oder Abhängigkeit<br />
von illegalen Drogen oder Alkohol 6 . Auch Depression<br />
ist mit höherem DDS-Risiko verbunden;<br />
es bestehen Hinweise auf einen Zusammenhang<br />
mit künstlerischem oder kreativem<br />
beruflichem Hintergrund 19 .<br />
Medikamente: DDS ist mit hohen dopaminergen<br />
und L-Dopa-Äquivalenzdosen assoziiert,<br />
nicht aber mit einer bestimmten Medikamentenklasse<br />
wie etwa Dopaminagonisten.<br />
Dies steht im Gegensatz zu isolierten<br />
Impulskontrollstörungen, bei denen ein enger<br />
Zusammenhang mit Agonisten besteht 2, 3, 5 .<br />
Impulskontrollstörungen<br />
Priv. Doz. Dr.<br />
Regina Katzenschlager<br />
Neurologische Abteilung,<br />
SMZ Ost/Donauspital Wien<br />
Diese sind laut DSM-IV durch das Unvermögen<br />
definiert, einem Impuls zu widerstehen,<br />
der für einen selbst oder für andere schädlich<br />
ist 4 . Bei Parkinson-PatientInnen finden sich<br />
am häufigsten pathologisches Glücksspiel,<br />
Hypersexualität (einschließlich forensisch relevanter<br />
Handlungen) und impulsives Kaufen<br />
28
(auch für andere im Sinn einer „reckless generosity“,<br />
also einer unvorsichtigen Großzügigkeit<br />
20 ) oder impulsives Essen. Letzteres besteht<br />
in neu auftretendem oder verstärktem,<br />
oft nächtlichem Verlangen nach Essen oder<br />
nach Süßem, manchmal mit unerwünschter<br />
Gewichtszunahme.<br />
Impulskontrollstörungen können zu schwerwiegenden<br />
sozialen, persönlichen, beruflichen,<br />
finanziellen oder forensischen Konsequenzen<br />
führen; am häufigsten ist isoliertes<br />
Auftreten, sie können aber auch zusammen<br />
mit Punding oder als Teil des DDS auftreten.<br />
Prävalenz<br />
Eine Querschnittstudie mit über 3000 PatientInnen<br />
zeigte eine Prävalenz von 13,6 %,<br />
wobei alle oben angeführte Formen der Impulskontrollstörungen<br />
etwa gleich häufig<br />
waren. Glücksspiel und Hypersexualität<br />
waren häufiger bei Männern, impulsives Kaufen<br />
und Essen bei Frauen anzutreffen 5 .<br />
Assoziierte Faktoren<br />
Es besteht eine starke Assoziation mit Dopaminagonistentherapie,<br />
ein Auftreten unter L-<br />
Dopa-Monotherapie ist selten 5, 7 . Zwar besteht<br />
eine gewisse Dosisabhängigkeit, allerdings<br />
ist es von großer klinischer Bedeutung,<br />
dass sich Impulskontrollstörungen auch unter<br />
niedrigen Dosierungen entwickeln können,<br />
wie sie etwa beim frühen M. Parkinson und<br />
auch bei der Ersteinstellung eingesetzt werden.<br />
Das wird auch durch Berichte über Auftreten<br />
bei Restless-Legs-Syndrom verdeutlicht<br />
21, 22 .<br />
Bei PatientInnen mit Impulskontrollstörungen<br />
zeigten sich in einer großen Case-Control-<br />
Studie vermehrt funktionelle Behinderung,<br />
Depression, Ängstlichkeit, Zwanghaftigkeit,<br />
mit Risikofreude assoziierte Persönlichkeitsmerkmale<br />
und Impulsivität. PatientInnen mit<br />
mehreren Impulskontrollstörungen zeigten<br />
häufiger Dyskinesien 23 .<br />
Punding<br />
Dabei handelt es sich um eine spezifische<br />
Verhaltensstörung mit repetitiven, zwecklosen<br />
und lang andauernden Tätigkeiten, die<br />
Abb. 1: Zusammenhang zwischen den Syndromen: die Störungen können<br />
isoliert oder in jeder beliebigen Kombination auftreten<br />
Dopaminerges<br />
Dysregulationssyndrom<br />
Unkontrollierte<br />
Dosissteigerung mit<br />
Verhaltensstörungen<br />
sich aus vorbestehenden Gewohnheiten entwickeln<br />
und einen engen Zusammenhang mit<br />
dem Geschlecht und mit der beruflichen und<br />
persönlichen Vorgeschichte aufweisen 6 (Tab.).<br />
Tab.: Beispiele für Punding<br />
Impulskontrollstörungen<br />
Spielsucht, Hypersexualität,<br />
Impulsive Geldausgaben/Essen<br />
Punding<br />
Spezifische<br />
Verhaltensstörung<br />
mit repetitiven,<br />
stereotypen Tätigkeiten<br />
Diese Verhaltensweisen wurden erstmals bei<br />
Psychostimulanzienabhängigen beschrieben,<br />
die Bezeichnung stammt von Betroffenen<br />
und leitet sich von einem skandinavischen u<br />
70 M Ingenieur ordnet Steinesammlung.<br />
70 M Elektriker exzessives Fotografieren, zerlegt Kameras.<br />
65 M Geschäftsmann lang dauerndes Ordnen von und Herumkramen in Papieren.<br />
62 M Pfarrer andauerndes Verfassen von Gedichten, sammelt<br />
Gegenstände in Taschen.<br />
61 M Biologe stundenlanges Beobachten von Fischen und Vögeln,<br />
entfernt Batterien, hortet Nahrung<br />
60 M Fabriksarbeiter Wohnungsbasteleien, zerlegt Bohrmaschinen<br />
59M Buchhalter Modelleisenbahn, zerlegt Kühlschrank und<br />
Apomorphinpumpe<br />
58 M Architekt Computer, zerlegt Bestandteile<br />
57 M Buchhalter Gartenarbeit, Computer, zerlegt Fahrrad<br />
53 M Sachbearbeiter Papierordnen<br />
50 M Tischler sammelt Werkzeug, exzessives Basteln, fällt Baum<br />
46 M EDV-Spezialist sinnlose Manipulation von Grafik-Software<br />
76 F Hausfrau Gartenarbeit.<br />
58 F Schneiderin andauerndes „Aufräumen“, ordnet Knöpfe<br />
57 F Musikerin Zeichnen, Aufräumen<br />
56 F Musikerin Kämmen, Singen<br />
54 F Hausfrau Sammeln und Ordnen von Nägeln, Gummibändern,<br />
Beschriften, Aufräumen.<br />
Quelle: Evans AH, Katzenschlager R et al., Punding in Parkinson’s disease:<br />
its relation to the dopamine dysregulation syndrome. Mov Disord 2004; 19:397–405<br />
29
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Abb. 2: Racloprid-PET/volumetrisches MRI<br />
Ausdruck für „blockierter Kopf“ ab. Es gibt<br />
Analogien mit amphetamininduzierten Stereotypien<br />
bei Tieren.<br />
Klinische Charakteristika<br />
Die PatientInnen sind von repetitiven Tätigkeiten<br />
gefesselt, die sich auch auf die Nachtstunden<br />
erstrecken oder einen Großteil des<br />
Tages ausfüllen können. Behinderung kann<br />
entstehen, wenn soziale, familiäre oder berufliche<br />
Interaktionen und Verpflichtungen<br />
oder Hygiene und Nahrungsaufnahme vernachlässigt<br />
werden und Schlafmangel eintritt.<br />
Versuche von außen, die Tätigkeit zu<br />
unterbrechen, führen zu Dysphorie. Auf Befragen<br />
geben die PatientInnen an, ihre Aktivitäten<br />
als unwiderstehlich und manchmal<br />
entspannend zu erleben, obwohl oft durchaus<br />
Einsicht für deren störenden und unproduktiven<br />
Charakter besteht. Spontan wird<br />
Punding von den betroffenen PatientInnen<br />
fast nie berichtet.<br />
Im Gegensatz zu Zwangsverhalten dient Punding<br />
nicht zur Lösung von innerer Spannung<br />
oder Angst. Typische Zwangsinhalte fehlen,<br />
und Punding spricht nicht auf Serotoninwiederaufnahmehemmer<br />
(SSRI) an. 6, 2<br />
Prävalenz<br />
Zur Prävalenz von Punding gibt es derzeit unzureichend<br />
Daten, was zum Teil mit unterschiedlichen<br />
Erfassungsmethoden zusammenhängen<br />
dürfte. Es existiert keine DSM-<br />
IV-Definition von Punding. Zahlen aus spezialisierten<br />
Zentren reichen von 1,4 (bei unselektionierten<br />
PatientInnen) 7 bis 14 % (unter<br />
hohen dopaminergen Dosen) 6 und sind nur<br />
begrenzt generalisierbar. Punding ist deutlich<br />
mit der dopaminergen Gesamtdosis und mit<br />
der Anzahl der Bedarfsmedikation assoziiert.<br />
Ob ein Zusammenhang mit einer bestimmten<br />
Substanzgruppe wie Dopaminagonisten oder<br />
L-Dopa besteht, lässt sich aus den bisher vorhandenen<br />
Daten nicht beantworten.<br />
Pathophysiologie<br />
Orange Bereiche<br />
(ventrales Striatum)<br />
zeigen signifikante<br />
Unterschiede im<br />
Tracer-Uptake zwischen<br />
Patienten mit<br />
und ohne DDS nach<br />
L-Dopa-Gabe<br />
Quelle: Evans AH, Pavese N,<br />
Lawrence AD, O’Sullivan JD,<br />
Appel S, Lawrence AD, Lees<br />
AJ, Compulsive drug use<br />
linked to sensitized ventral<br />
striatal dopamine transmis -<br />
sion. Ann Neurol 2006;<br />
59:852–858<br />
Diese ist nicht vollständig geklärt. Die medikamenteninduzierten<br />
impulsassoziierten Störungen<br />
beim M. Parkinson haben wahrscheinlich<br />
überlappende Entstehungsmechanismen,<br />
wobei das ventrale Striatum eine<br />
zentrale Rolle spielen dürfte. Die folgenden<br />
Hypothesen beziehen sich in erster Linie auf<br />
das bisher am besten untersuchte DDS, viele<br />
spielen aber auch bei den anderen impulsassoziierten<br />
Problemen eine Rolle.<br />
Negative Verstärkung durch unangenehme<br />
Off-Symptome: PatientInnen mit DDS<br />
geben unangenehme Off-Symptome als<br />
Grund für weitere Medikamenteneinnahmen<br />
und steigende Dosen an. Medikamentenentzug<br />
bei DDS-PatientInnen ist mit vermindertem<br />
positivem Affekt, vermehrtem negativem<br />
Affekt und schlechterer motorischer<br />
Funktion verbunden 10 . Im Suchtmodell der<br />
negativen Verstärkung werden Abhängige<br />
nicht durch die erwarteten angenehmen Effekte<br />
zur Drogeneinnahme motiviert, sondern<br />
durch das Bestreben, Entzugssymptome<br />
zu vermeiden. Höhere Depressions-Scores<br />
wurden bei DDS-PatientInnen im Vergleich<br />
zu PatientInnen ohne DDS mit vergleichbarer<br />
motorischer Beeinträchtigung gefunden. Bei<br />
Parkinson-PatientInnen könnten wiederholte<br />
negative Erfahrungen mit Wearing-off am<br />
Dosisende bei gleichzeitig bestehender Depression<br />
den subjektiven Wert der Medikation<br />
erhöhen.<br />
Allerdings reichen Wearing-off-Symptome allein<br />
nicht aus, um die Entwicklung einer dopaminergen<br />
Dysregulation zu erklären: Der<br />
Großteil der Parkinson-PatientInnen erlebt im<br />
Krankheitsverlauf Wirkungsschwankungen,<br />
die oft mit nichtmotorischen und unangenehmen<br />
Symptomen im Off einhergehen,<br />
aber nur ein kleiner Teil der PatientInnen steigert<br />
daraufhin die Dosis in unkontrollierter<br />
Weise.<br />
Gewohnheit: DDS beginnt mit Medikamenteinnahme<br />
als zielgerichteter Handlung,<br />
wobei die PatientInnen die resultierenden angenehmen<br />
Effekte anstreben. In weiterer<br />
Folge kommt es zu automatisierten Abläufen<br />
oder Gewohnheitsentwicklung. Zudem werden<br />
Umgebungsstimuli mit der Medikamentenwirkung<br />
assoziiert und können zu Rückfällen<br />
über assoziative Lernmechanismen führen.<br />
Die stereotypen Verhaltensweisen beim Punding<br />
sind ebenfalls teilweise mit der Gewohnheitstheorie<br />
erklärbar; die ausgeführten Tätigkeiten<br />
beinhalten typischerweise Routine -<br />
elemente.<br />
„Incentive Sensitisation“ (Sensibilisierung<br />
auf Belohnungseffekte durch wiederholte<br />
Verabreichung): Impulsive Medikamenteneinnahme<br />
könnte auf Neuroadaptationen im<br />
Nucleus-accumbens-Kreislauf zurückzufüh-<br />
30
en sein, z. B. in der dopaminergen und<br />
GABAergen Neurotransmission. Diese Systeme<br />
werden hypersensitiv auf die belohnenden<br />
Effekte wiederholt eingenommener Medikamente.<br />
In der Folge werden den dopaminergen<br />
Medikamenten selbst angenehme<br />
Eigenschaften zugeschrieben, das heißt,<br />
diese gewinnen „incentive salience“ oder in<br />
sich erstrebenswerte Eigenschaften. Dieses<br />
pathologische Verlangen („wanting“, craving)<br />
unterscheidet sich von „liking“, also dem angenehmen<br />
Effekt der Medikamente.<br />
In Einklang mit diesem Konzept steht, dass<br />
in einer PET-Studie bei Parkinson-PatientInnen<br />
mit DDS nach L-Dopa-Gabe die Dopamin-Freisetzung<br />
im ventralen Striatum im<br />
Vergleich zu gematchten PatientInnen ohne<br />
DDS erhöht war 11 (Abb. 2). Die Freisetzung<br />
korrelierte mit pathologischem Verlangen<br />
(„wanting“) aber nicht mit der subjektiven<br />
Qualität des Effektes („liking“) 11 . Daraus<br />
könnte sich erklären, warum DDS-PatientInnen<br />
im On mehr Verlangen nach weiteren<br />
Einnahmen verspüren im Vergleich zu<br />
nicht dysregulierenden PatientInnen 10 , trotz<br />
vermehrter Dyskinesien im On (aber vergleichbarer<br />
motorischer Beeinträchtigung<br />
im Off).<br />
Genetische Faktoren sind sehr wahrscheinlich<br />
beteiligt, allerdings stammen die derzeit<br />
dazu verfügbaren Daten aus der Literatur zu<br />
Suchtkranken ohne M. Parkinson. Weitere<br />
Forschungsarbeit ist erforderlich 12 .<br />
Orbitofrontale und kognitive Dysfunktion:<br />
Diese spielt mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
eine zentrale Rolle bei der Entstehung von<br />
Kontrollverlust über die Medikamenteneinnahme<br />
und anderer repetitiver und impulsiver<br />
Verhaltensstörungen. Orbitofrontale Funktionen<br />
sind an zahlreichen mentalen Strategien<br />
beteiligt, darunter Impulskontrolle, Risikoverhalten<br />
sowie die Fähigkeit, eine unmittelbare<br />
Belohnung zum Erreichen einer späteren aufzuschieben,<br />
Unterbrechen von begonnenen<br />
Aktivitäten und Hemmung von erlerntem Verhalten.<br />
Verminderte Aktivität im orbitofrontalen Kortex<br />
wurde bei Drogenabhängigen und bei<br />
Parkinson-PatientInnen mit pathologischem<br />
Glücksspiel gezeigt 13 . Unbehandelte Parkinson-PatientInnen<br />
zeigen veränderte frontostriatale<br />
Konnektivität 14 , andererseits können<br />
sich auch die dopaminergen Medikamente<br />
negativ auswirken: Unter Medikation wurde<br />
ein Zusammenhang mit verstärktem Lernen<br />
aus positivem Feedback gezeigt, zudem ist<br />
Dopaminagonisten-Therapie mit verändertem<br />
frontalem Blutfluss und vermindertem<br />
Lernen aus negativem Feedback assozi iert 14, 15 .<br />
Parkinson-PatientInnen mit impulsiven Verhaltensstörungen<br />
zeigen vermindertes Lernen<br />
aus negativem Feedback und ein schlechteres<br />
Arbeitsgedächtnis im Vergleich zu gematchten<br />
KontrollpatientInnen 16 . Bei Parkinson-PatientInnen<br />
mit pathologischem Glücksspiel<br />
fanden sich Beeinträchtigungen von Exekutivfunktionen<br />
17 und Entscheidungen 18 , und<br />
eine rezente Studie fand präfrontale Funktionsstörungen<br />
bei Hypersexualität und pathologischem<br />
Spielen, zusätzliche kognitive Einbußen<br />
aber nur bei Hypersexualität 24 .<br />
Management<br />
DDS<br />
Bisher wurden keine kontrollierten Studien<br />
zu medikamentösen oder anderen Behandlungsstrategien<br />
publiziert. Versuche einer Dosisreduktion<br />
werden als der wesentliche<br />
Schritt gesehen, allerdings besteht dagegen<br />
von Seiten der betroffenen PatientInnen<br />
meist erheblicher Widerstand. Das Management<br />
wird weiter erschwert durch mangelnde<br />
Krankheitseinsicht, Entzugssymptome und<br />
Verlangen nach weiteren Dosen, analog zu<br />
anderen Arten der Substanzabhängigkeit. Die<br />
Supervision von Vorräten, Bezugsquellen und<br />
Medikamenteneinnahme kann sinnvoll sein.<br />
In manchen Fällen, in denen eine Dosisreduktion<br />
gelingt, können Besserungen eintreten.<br />
Dennoch ist wie bei anderen Substanzabhängigkeiten<br />
von einem relevanten Rückfallrisiko<br />
auszugehen. Es gibt derzeit keine<br />
Daten zum Langzeit-Outcome dieser PatientInnen<br />
oder zur Bedeutung von Psycho-/Verhaltenstherapie<br />
oder der Teilnahme an Drogenprogrammen.<br />
Zu den derzeit in randomisierten<br />
Studien untersuchten Substanzen<br />
zählt der Opioidantagonist Naltrexon. Ansprechen<br />
auf atypische Neuroleptika wurde<br />
vereinzelt beobachtet 6 ; in einer Einzelfallbeobachtung<br />
war der Mood-Stabiliser Lithium<br />
nicht wirksam 25 .<br />
Die bisher publizierten Effekte der tiefen Hirnstimulation<br />
sind zum Teil widersprüchlich: In<br />
einem rezenten Review besserten sich 60 %<br />
der DDS-PatientInnen postoperativ, bei<br />
gleichzeitiger Medikamentenreduktion. Andererseits<br />
kann tiefe Hirnstimulation auch<br />
zum Neuauftreten eines Dysregulationssyndroms<br />
führen 26 . Darüber hinaus gibt es Hinweise<br />
darauf, dass ein bestehendes Dysregulationssyndrom<br />
einen Risikofaktor für postoperative<br />
Selbstmordversuche darstellt 27 .<br />
Impulskontrollstörungen<br />
Die derzeitige Praxis besteht in einer Umstellung<br />
vom Dopaminagonisten auf L-Dopa,<br />
entweder als L-Dopa-Monotherapie oder, in<br />
ausgewählten Fällen, als Kombination von L-<br />
Dopa und einem niedriger dosierten Agonisten.<br />
Allerdings ist dieses Vorgehen auch bei<br />
isolierten Impulskontrollstörungen, die üblicherweise<br />
besser therapierbar sind als ein<br />
Dysregulationssyndrom, nicht immer erfolgreich.<br />
Bisher wurde eine einzige, unkontrollierte<br />
prospektive Studie publiziert, die dieses<br />
Vorgehen unterstützt: 15 PatientInnen wurden<br />
entweder auf L-Dopa oder auf L-Dopa<br />
mit niedriger dosiertem Agonisten (bei gleicher<br />
L-Dopa-Äquivalenzdosis) umgestellt und<br />
über ca. 2 Jahre telefonisch verfolgt; es zeigte<br />
sich ein anhaltender Erfolg bei über 80 %<br />
in dieser kleinen PatientInnengruppe 28 . Eine<br />
Besserung von isolierten Impulskontrollstörungen<br />
auf Bupropion wurde berichtet 29 ; die<br />
Rolle der SSRI ist derzeit nicht geklärt. Eine<br />
kleine offene, aber randomisierte Studie berichtete<br />
Ansprechen auf Amantadin 30 , im Gegensatz<br />
dazu zeigte allerdings eine große<br />
Querschnittsstudie eine Assoziation von Amantadin<br />
mit Impulskontrollstörungen 31 . u<br />
31
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Punding<br />
Es gibt derzeit keine kontrollierten Therapiestudien<br />
zu Punding und wenige Daten aus<br />
Beobachtungsstudien. Reduktionen der dopaminergen<br />
Gesamtdosis können zu Besserungen<br />
führen, wobei auf eventuelle motorische<br />
Verschlechterungen geachtet werden<br />
muss. Die Literatur zeigt einen möglichen,<br />
aber keineswegs bewiesenen Zusammenhang<br />
zwischen Agonistentherapie und Punding.<br />
Besserungen wurden auf Quetiapin 32 ,<br />
Amantadin 32, 33 und eine Reduktion der Dopaminagonisten<br />
beobachtet 32 . Im Zusammenhang<br />
mit tiefer Hirnstimulation wurden<br />
Besserungen, Gleichbleiben oder auch Neuauftreten<br />
von Punding beobachtet 26 . Es besteht<br />
Bedarf an kontrollierten Studien zu diesen<br />
Maßnahmen.<br />
Prävention und Früherkennung<br />
Die begrenzten therapeutischen Möglichkeiten,<br />
vor allem beim Dysregulationssyndrom,<br />
machen es umso wichtiger, sich der<br />
möglichen medikamenteninduzierten Verhaltensauffälligkeiten<br />
bei Parkinson-PatientInnen<br />
bewusst zu sein und sie gegebenenfalls<br />
früh zu entdecken. Zur Risikoeinschätzung<br />
ist es wichtig, prädisponierende<br />
Faktoren zu kennen, wie das Alter bei<br />
Krankheitsbeginn. Beruf, Freizeitverhalten<br />
und persönliche Geschichte eines/einer PatientIn<br />
können Hinweise auf impulsive oder<br />
risikofreudige Persönlichkeitsmerkmale ergeben.<br />
Während des gesamten Krankheitsverlaufes<br />
sollte der/die BehandlerIn auf die mögliche<br />
Entstehung impulsiver Verhaltensweisen achten.<br />
Bereits auf niedrig dosierte Ersteinstellungen<br />
mit einem Agonisten können Impulskontrollprobleme<br />
auftreten.<br />
Eine Aufklärung über mögliche Impulskontrollstörungen<br />
als unerwünschte Wirkung<br />
muss bei allen PatientInnen vor einer Neueinstellung<br />
auf einen Dopaminagonisten<br />
Standard sein und sollte dokumentiert werden.<br />
Das Thema sollte aber auch bei Dosiserhöhungen<br />
oder Umstellungen angesprochen<br />
werden.<br />
Wenn Depression oder Substanzgebrauch in<br />
der Anamnese vorliegen, kann es sinnvoll<br />
sein, nur die zur Einstellung der Motorik erforderlichen<br />
Dosen einzusetzen und Bedarfsmedikation<br />
zu vermeiden. An ein beginnendes<br />
Dysregulationssyndrom sollte gedacht<br />
werden, wenn der/die PatientIn Bedarf an<br />
weiteren Dosen äußert oder wahrnimmt,<br />
während er/sie noch im On ist.<br />
Nach prolongierten repetitiven Tätigkeiten<br />
sollte aktiv gefragt werden, z. B. nach nächtlichen<br />
Aktivitäten bei PatientInnen, die über<br />
Insomnie klagen.<br />
Bei der frühen Erkennung dieser Verhaltensänderungen<br />
ist es oft sinnvoll und notwendig,<br />
Angehörige und BetreuerInnen einzubeziehen,<br />
damit Maßnahmen ergriffen werden<br />
können, bevor es zu irreversiblen persönlichen,<br />
finanziellen, beruflichen oder forensischen<br />
Schäden kommt.<br />
n<br />
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32 Fasano A et al., Management of punding in Parkinson’s<br />
disease: an open-label prospective study. J Neurol.<br />
2010<br />
33 Kashihara K, Imamura T, Amantadine may reverse<br />
punding in Parkinson’s disease – observation in a<br />
patient. Mov Disord 2008; 23:129–130.<br />
32
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Praxisrelevantes aus klinischen Studien 2009–2010<br />
Neues zur medikamentösen<br />
Parkinson-Therapie<br />
Allein in den letzten beiden Jahren wurden wieder über 30 randomisierte klinische Studien zur Parkinson-<br />
Therapie veröffentlicht – 18 davon mit Fokus auf der Therapie motorischer Symptome der Erkrankung, aber<br />
fast genauso viele (14) mit nichtmotorischen Symptomen als primäre Studienendpunkte 1, 2 . Insgesamt war aber<br />
die Zahl der PatientInnen in motorischen Therapie-Studien mit insgesamt 4.819 PatientInnen mehr als viermal<br />
so groß wie jene in Studien zu nichtmotorischen Symptomen (n = 1.113), bedingt durch die noch immer<br />
überwiegend kleinen Fallzahlen in Letzteren. In der folgenden kurzen Übersicht sollen jene Studien vorgestellt<br />
werden, deren Ergebnisse unmittelbar praxisrelevant sind. Zumeist handelt es sich dabei um Absicherungen<br />
schon etablierter Therapien durch zusätzliche robuste Daten oder zumindest vorläufige Antworten auf offene<br />
Fragen zum Einsatz etablierter Medikamente.<br />
Neue Daten<br />
zu Dopaminagonisten<br />
Mehrere Studien haben neue und praxisrelevante<br />
Daten zur Parkinson-Therapie mit Dopaminagonisten<br />
vorgestellt: zur Wirksamkeit<br />
und Verträglichkeit der seit 2010 in Österreich<br />
zugelassenen Retardformulierung von<br />
Pramipexol, zur Wirksamkeit von transdermalem<br />
Rotigotin auf nächtliche und frühmorgendliche<br />
Behinderung sowie zur Dyskinesieprävention<br />
durch Add-on-Therapie mit Ropinirol<br />
Retard (Tab. 1).<br />
1 2<br />
Pramipexol: Eine placebokontrollierte, doppelblinde<br />
Vergleichsstudie zwischen Pramipexol-Standardtherapie<br />
dreimal täglich und Pramipexol<br />
Retard einmal täglich konnte die<br />
Überlegenheit beider Therapiearme gegenüber<br />
Placebo zeigen. Außerdem war die<br />
Verbesserung gemessen an der UPDRS-II und<br />
-III zwischen den Therapiearmen in einem<br />
„Non-Inferiority“-Design nicht unterschiedlich,<br />
womit die Gleichwertigkeit der symptomatischen<br />
Wirkung des Retard-Präparats bei<br />
vergleichbarer Verträglichkeit belegt ist 3 . Eine<br />
weitere Studie belegt die Möglichkeit einer<br />
erfolgreichen 1:1-Umstellung über Nacht von<br />
Pramipexol dreimal täglich auf Pramipexol Retard<br />
einmal täglich: Über 80 % der PatientInnen<br />
erreichten gleiche Wirkung und Verträglichkeit<br />
ohne Erfordernis einer Dosisanpassung<br />
4 . Somit kann für die klinische Routine<br />
eine Umstellung vom Standard auf das<br />
Retard-Präparat von einem Tag auf den anderen<br />
in gleichbleibender Tagesdosis als Standardvorgehen<br />
empfohlen werden.<br />
Rotigotin: Die transdermale Applikation von<br />
Rotigotin gewährleistet eine kontinuierliche<br />
Wirkstoffzufuhr dieses Dopaminagonisten<br />
über 24 Stunden. In einer doppelblinden placebokontrollierten<br />
Studie wurde der Einfluss<br />
von Rotigotin auf morgendliche Beweglichkeit<br />
und Schlafqualität untersucht 5 . Sowohl<br />
die morgendliche Beweglichkeit gemessen an<br />
der UPDRS-III als auch die Schlafqualität gemessen<br />
an einer modifizierten Version der<br />
Parkinson’s Disease Sleep Scale (PDSS-2) verbesserten<br />
sich unter Rotigotin signifikant. Gestörter<br />
Schlaf, nächtliche Unbeweglichkeit<br />
sowie morgendliche Akinesie sind häufige<br />
Probleme bei Parkinson-PatientInnen in fortgeschrittenen<br />
Stadien mit Wirkfluktuationen<br />
und die Anwendung eines Dopaminagonis -<br />
Dr. Philipp Mahlknecht,<br />
Univ.-Prof. Dr. Klaus Seppi 1 ,<br />
Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe 2<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />
Medizinische Universität Innsbruck<br />
ten mit 24-stündiger Wirkung ist eine somit<br />
eine nützliche Option speziell für diese PatientInnen.<br />
Ropinirol PR: Die retardierte Formulierung<br />
von Ropinirol (PR = prolonged release) ist in<br />
Österreich schon seit 2008 zugelassen. Erst<br />
im letzten Jahr sind interessante Ergebnisse<br />
einer Studie veröffentlicht worden, bei der<br />
bei PatientInnen mit geringgradigen Wirkfluktuationen<br />
und Bedarf einer Erhöhung der<br />
dopaminergen Medikation unter laufender<br />
L-Dopa-Monotherapie das Auftreten von<br />
Dyskinesien innerhalb von 2 Jahren nach Aufdosierung<br />
von L-Dopa im Vergleich zur Addition<br />
von Ropinirol PR bei stabiler L-Dopa-<br />
Dosis untersucht wurde 6 .<br />
Unter zusätzlichem Ropinirol PR (mittlere Tagesdosis<br />
von 10 mg) im Vergleich zu zusätzlichem<br />
L-Dopa (mittlere Tagesdosiserhöhung<br />
von 284 mg) entwickelten sich bis zum Studienende<br />
nach 24 Monaten bei 3 % der mit<br />
additivem Ropinirol PR behandelten Patien-<br />
34
Tab. 1: Neues zu Dopamin-Agonisten 2009/2010 3–6<br />
Pramipexol Retard:<br />
gleich wirksam und verträglich wie Standard PPX<br />
- Vereinfachung<br />
- Compliance-Verbesserung?<br />
Rotigotin-Pflaster:<br />
verbessert nächtliche und frühmorgendliche Symptomkontrolle<br />
- verbesserte Schlafqualität<br />
Ropinirol Retard:<br />
Addition zu LD erzeugt weniger Dyskinesien als LD-Aufdosierung<br />
- „Add-on“-Agonisten-Therapie zur Dyskinesieprävention<br />
tInnen Dyskinesien im Unterschied zu 17 %<br />
der mit L-Dopa aufdosierten PatientInnen. Die<br />
motorische Verbesserung, gemessen anhand<br />
der Abnahme des UPDRS Motor Scores, war<br />
in beiden Gruppen vergleichbar (–3,7 vs. –<br />
3,3 Punkte), ebenso die Medikamentenverträglichkeit.<br />
Damit zeigt diese Studie, dass<br />
auch die spätere Addition eines Dopaminagonisten<br />
bei primär mit L-Dopa behandelten Patienten<br />
eine sinnvolle Strategie zur Umgehung<br />
weiterer L-Dopa-Erhöhungen und damit zur<br />
Minderung des Dyskinesie-Risikos sein kann,<br />
ohne dass dafür Wirksamkeitsnachteile in<br />
Kauf genommen werden müssten.<br />
Neues zur COMT-Hemmung<br />
Die kombinierte Behandlung mit L-Dopa und<br />
dem peripheren COMT-Inhibitor Entacapon<br />
ist eine seit vielen Jahren etablierte Strategie<br />
zur Therapie von Wirkungsfluktuationen vom<br />
Wearing-off-Typ. Das Wirkprinzip beruht auf<br />
einem verzögerten Abbau von L-Dopa mit<br />
längerer L-Dopa-Halbwertszeit und höherer<br />
Bioverfügbarkeit. Aufgrund von Tierexperimenten<br />
wurde postuliert, dass diese Kombination<br />
durch eine kontinuierlichere Stimulation<br />
striataler Dopaminrezeptoren mit einem<br />
geringeren Dyskinesie-Risiko verbunden sein<br />
könnte als die klassische L-Dopa-Therapie.<br />
Die so genannte STRIDE-PD-Studie hat an<br />
über 700 PatientInnen in einem doppelblinden<br />
randomisierten Design diese Hypothese<br />
überprüft, um zu entscheiden, ob L-Dopa,<br />
am besten schon von Therapiebeginn an als<br />
Kombination mit einem COMT-Hemmer gegeben<br />
werden sollte. In dieser sehr aufwendigen<br />
Studie wurden Parkinson-PatientInnen,<br />
die noch nicht mit L-Dopa behandelt worden<br />
waren, aber inzwischen hierfür einen Bedarf<br />
hatten, im 1:1-Verhältnis zu einer doppelblinden<br />
Langzeittherapie mit L-Dopa+Carbidopa<br />
oder L-Dopa+Carbidopa+Entacapon in Form<br />
des Kombinationspräparates Stalevo ® randomisiert<br />
7 .<br />
Nach einer mittleren Behandlungsdauer von<br />
37 Monaten zeigten sich entgegen der Ausgangshypothese<br />
im Stalevo ® -Arm der Studie<br />
eine höhere Dyskinesie-Rate und kürzere Latenz<br />
bis zum ersten Auftreten von Dyskinesien<br />
als in der konventionellen Therapiegruppe<br />
(42 % vs. 32 %), Eine mögliche Erklärung<br />
für dieses Ergebnis ist, dass die Stalevo ® -<br />
Gruppe bei gleicher L-Dopa-Dosis durch die<br />
COMT-Hemmung einer 1,3-fach höheren<br />
L-Dopa-Äquivalenzdosis ausgesetzt war als<br />
die Kontrollgruppe. Außerdem zeigen neuere<br />
pharmakokinetische Studien, dass auch bei<br />
einem Dosierungsintervall von 3,5 Stunden<br />
die Gabe von 4 Einzeldosen Stalevo ® mit ähnlichen<br />
Blutspiegelschwankungen verbunden<br />
ist wie die Verabreichung von klassischem<br />
L-Dopa, wenngleich mit weniger tiefen Blutspiegelminima<br />
8 . Eine wirklich „kontinuierliche“<br />
dopaminerge Stimulation dürfte also im<br />
Stalevo ® -Arm dieser Studie nicht erreicht<br />
worden sein.<br />
Für die klinische Praxis bedeuten die Ergebnisse<br />
von STRIDE-PD, dass eine Indikation für<br />
den Einsatz von Stalevo ® unverändert nur bei<br />
PatientInnen mit Wirkfluktuationen besteht.<br />
Neues zu Amantadin<br />
Amantadin ist ein NMDA-Rezeptor-Antagonist<br />
und bislang das einzige Medikament mit<br />
erwiesener Wirkung auf L-Dopa-induzierte<br />
Dyskinesien. Der antidyskinetische Effekt ist<br />
durch mehrere Kurzzeitstudien mit kleinen<br />
Fallzahlen belegt, allerdings hat eine kleine<br />
italienische Studie Hinweise ergeben, dass die<br />
antidyskinetische Wirkung von Amantadin<br />
nach 9 Monaten wieder verschwunden sei 9 .<br />
Letzteres wurde in einer rezenten multizentrischen<br />
österreichischen Studie widerlegt,<br />
wo 32 Parkinson-PatientInnen mit Dys -<br />
kinesien unter einer mindestens einjährigen<br />
Amantadin-Therapie (im Mittel 4,8 Jahre),<br />
doppelblind entweder weiterhin Amantadin<br />
oder aber Placebo für 3 Wochen erhielten 10 .<br />
In der Placebogruppe kam es zu Studienende<br />
zu einem signifikanten Anstieg in den Dyskinesie-Ratings,<br />
in der Amantadingruppe<br />
zeigte sich keine Veränderung. Für den klinischen<br />
Alltag bedeutet dies, dass eine antidyskinetische<br />
Therapie mit Amantadin auch<br />
langfristig als wirksam angesehen werden<br />
kann.<br />
Nichtmotorische Symptome<br />
Insgesamt bleiben Daten aus randomisierten,<br />
kontrollierten Studien zur Therapie nichtmotorischer<br />
Symptome der Parkinson-Krankheit<br />
gemessen an der Vielzahl der unterschiedlichen<br />
Behandlungserfordernisse ungenü- u<br />
Tab. 2: Wirksame Therapie für nichtmotorische Symptome – EBM-Review der<br />
Movement Disorder Society 2<br />
Depression<br />
Pramipexol * , Nortriptylin * , Desipramin<br />
Demenz<br />
Rivastigmin<br />
Psychose<br />
Clozapin<br />
Erektile Dysfunktion (Sildenafil * )<br />
Obstipation<br />
Macrogol<br />
Sialorrhoe<br />
Glycopyrrolat * , Btx A * , B<br />
* untermauert durch Daten aus RCT der letzten beiden Jahre<br />
Ungenügende Evidenz für Therapie von: OH, neurogene Blasenstörung, Fatigue, Insomnie, pathologische Tagesmüdigkeit<br />
35
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
gend. Tatsächlich sind in den letzten beiden<br />
Jahren lediglich für die Therapie der Depression<br />
und der Demenz große Studien veröffentlicht<br />
worden. Eine weitere zur Behandlung<br />
der erektilen Dysfunktion mit Sildenafil<br />
hatte 236 PatientInnen eingeschlossen, und<br />
die AutorInnen hatten positive Evidenz für<br />
die Wirksamkeit berichtet, aber zwischenzeitlich<br />
die Publikation zurückgezogen. Tabelle 2<br />
fasst die therapeutischen Optionen für nichtmotorische<br />
Symptome zusammen, welche in<br />
einem rezenten EBM-Review der Movement<br />
Disorder Society als wirksam eingestuft wurden.<br />
Therapie der Parkinson-Depression<br />
Seit Jahren sind selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />
(SSRI) die am häufigsten<br />
eingesetzten Medikamente zur Depressionsbehandlung<br />
bei M. Parkinson 11 . Dennoch existiert<br />
bislang kein positiver Beleg für deren<br />
Wirksamkeit aus placebokontrollierten, randomisierten,<br />
doppelblinden Studien 12 . Inzwischen<br />
liegen zwei neue Studien vor, bei<br />
denen jeweils ein SSRI und ein Trizyklikum<br />
untereinander und mit Placebo verglichen<br />
wurden<br />
Nortriptylin/Paroxetin: In einer placebokontrollierten<br />
doppelblinden Studie wurde<br />
Nortriptylin als Trizyklikum mit dem Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />
Paroxetin bei<br />
nichtdementen Parkinson-PatientInnen mit<br />
depressiven Symptomen verglichen 13 . Nach<br />
der Studiendauer von 8 Wochen kam es nur<br />
in der Nortriptylingruppe zu einer signifikanten<br />
Besserung in der primären Zielvariable<br />
(Hamilton Rating Scale for Depression/HAM-<br />
D). 53 % der mit Nortriptylin behandelten<br />
PatientInnen wiesen eine über 50%-ige Verbesserung<br />
der HAM-D auf im Unterschied zu<br />
lediglich 11 % der mit Paroxetin behandelten<br />
PatientInnen und 24 % der PatientInnen<br />
unter Placebo. Trockener Mund und Verstopfung<br />
waren die häufigsten Nebenwirkungen<br />
unter Nortriptylin und Fatigue unter Paroxetin.<br />
Auch frühere Vergleichsstudien lassen<br />
vermuten, dass TCA wie Amitriptylin 14 oder<br />
Desipramine 15 den SSRI in der Behandlung<br />
von depressiven Symptomen bei Parkinson-<br />
Tab. 3: Evidenzbasis antidementiver Pharmaka bei der Parkinson-Demenz 2<br />
Substanz<br />
Donepezil<br />
Rivastigmin<br />
Galantamin<br />
Memantin<br />
PatientInnen überlegen sind. Allerdings muss<br />
bei dieser Therapieentscheidung das größere<br />
Nebenwirkungsprofil der TCA mitbedacht<br />
werden.<br />
Pramipexol: Die bisher größten Studie zur<br />
Behandlung depressiver Symptome bei M.<br />
Parkinson untersuchte, ob der Dopaminagonist<br />
Pramipexol trotz gegebener optimaler<br />
Kontrolle der motorischen Symptome Depressivität<br />
bei Parkinson-PatientInnen bessern<br />
kann 16 . In einem 12-wöchigen doppel -<br />
blinden, placebokontrollierten Studiendesign<br />
wurden 296 nichtfluktuierende Parkinson-PatientInnen<br />
eingeschlossen, die eine eindeutige<br />
depressive Symptomatik (15-item Geriatric<br />
Depression Scale Score 5) aufwiesen. Die<br />
primäre Zielvariable war eine Änderung im<br />
Beck Depression Inventar (BDI). Der BDI-Score<br />
fiel im Mittel um 5,9 Punkte in der Pramipexol-Gruppe<br />
und 4,0 Punkte in der Placebo-Gruppe<br />
mit einer signifikanten Differenz<br />
zwischen den Gruppen von 1,9 Punkten. 27 %<br />
der mit Pramipexol behandelten PatientInnen<br />
wiesen eine über 50%-ige Verbesserung im<br />
BDI auf, unter Placebo waren es 18 %.<br />
Der UPDRS Motor-Score fiel um 4,4 Punkte<br />
in der Pramipexol-Gruppe und 2,2 Punkte in<br />
der Placebo-Gruppe mit einer signifikanten<br />
Differenz von 2,2 Punkten. Durch eine komplexe<br />
statistische Analyse konnte ein Einfluss<br />
der Besserung der motorischen Symptome<br />
auf die günstigen Effekte von Pramipexol auf<br />
die depressiven Symptome ausgeschlossen<br />
werden. Tatsächlich stellte der direkte Effekt<br />
von Pramipexol auf die depressiven Symptome<br />
80 % des gesamten Behandlungseffektes<br />
dar. Da der Vergleich gegen Placebo durchgeführt<br />
wurde, bleibt ungewiss, inwieweit<br />
dieser Effekt spezifisch für Pramipexol ist oder<br />
eine generelle Wirkung der Dopaminergika<br />
darstellt.<br />
Evidenz für Wirkung<br />
ungenügend<br />
wirksam<br />
ungenügend<br />
ungenügend<br />
Therapie der Parkinson-Demenz<br />
Bislang ist der Cholinesterasehemmer Riva -<br />
stigmin das einzige Medikament mit robuster<br />
publizierter Datenlage zur Effektivität in der<br />
Behandlung der Parkinson-Demenz. Für die<br />
Therapie der Alzheimer-Demenz hat sich<br />
auch der NMDA-Rezeptor-Antagonist Memantin<br />
in fortgeschrittenen Stadien als wirksam<br />
erwiesen.<br />
Memantin wurde in zwei rezenten doppelblinden<br />
placebokontrollierten Studien bei<br />
PatientInnen mit Parkinson-Demenz (PDD) und<br />
Lewy-Body-Demenz (DLB) getestet. Beide Studien<br />
gingen über 24 Wochen mit einer Memantin-Zieldosis<br />
von 20 mg/Tag. In der ersten<br />
norwegischen Studie hatten zu Studienende<br />
die Memantin-behandelten PatientInnen im<br />
CGIC (Clinical Global Impression of Change;<br />
Range –7 Punkte) im Mittel um 0,7 Punkte<br />
bessere Scores als die Placebo-Gruppe 17 .<br />
In der zweiten internationalen Studie zeigten<br />
nach den 24 Wochen nur die PatientInnen<br />
mit DLB in der Memantin-Gruppe eine im<br />
Mittel um 0,7 Punkten größere Verbesserung<br />
nach der CGIC als die Placebobehandelten 18 .<br />
Bei den PatientInnen mit PDD konnten keine<br />
signifikanten Unterschiede festgestellt werden.<br />
In beiden Studien wurde Memantin ähnlich<br />
gut wie Placebo vertragen. Kürzlich publizierte<br />
Follow-up-Daten der norwegischen<br />
Studie zeigen, dass der Therapieeffekt im<br />
„Auslassversuch“ nach 4 Wochen verloren<br />
ist und die ursprünglich Memantin-Behandelten<br />
im CGIC gleich abschneiden wie die ursprünglich<br />
Placebobehandelten 19 .<br />
Insgesamt sind die Ergebnisse bei heterogenen<br />
Studienpopulationen nicht eindeutig interpretierbar<br />
(z. B. waren in der norwegischen<br />
Studie Cholinesterasehemmer als Komedikation<br />
erlaubt), weshalb Memantin im Moment<br />
keine erwiesen wirksame Behandlungsoption<br />
36
für PatientInnen mit M. Parkinson und Demenz<br />
darstellt (Tab. 3).<br />
Therapie der Sialorrhoe<br />
Neue Daten existieren darüber hinaus zur Therapie<br />
der Sialorrhoe, ein sehr häufiges Problem<br />
bei Parkinson-PatientInnen. Eine kleine Studie<br />
konnte einen milden Effekt von Glycopyrrolat,<br />
einem nicht ZNS-gängigen Anticholinergikum,<br />
nachweisen 20 . Bei 39 % der StudienpatientInnen<br />
kam es unter 3-mal 1 mg Glycopyrrolat<br />
zu einer 30%igen Symptomreduktion.<br />
Daneben scheint die Injektion von Botulinumtoxin<br />
Typ B in die Parotis in der Behandlung<br />
der Sialorrhoe wirksam zu sein. Hier gaben<br />
78 % der behandelten PatientInnen mit später<br />
Parkinson-Erkrankung und behindernder<br />
Sialorrhoe eine moderate bis drastische Symptomlinderung<br />
an, die im Mittel für 19 Wochen<br />
anhielt 21 . In einer früheren Studie hatten<br />
die AutorInnen bereits die Wirksamkeit<br />
von Botulinumtoxin Typ A in die Parotis aufgezeigt<br />
22 .<br />
Progressionsminderung<br />
Trotz aller Fortschritte und Erweiterungen der<br />
medikamentösen Parkinson-Therapie handelt<br />
es sich noch immer um eine unaufhaltsam<br />
fortschreitende Erkrankung. Progressionsminderung<br />
bleibt damit das unerreichte Therapieziel<br />
mit der höchsten Priorität.<br />
Eine vieldiskutierte Studie aus dem Jahr 2009<br />
hat zum Teil widersprüchliche Evidenz für<br />
progressionsmindernde Effekte des MAO-B-<br />
Hemmers Rasagilin erbracht. Schon zuvor<br />
hatte die TEMPO-Studie in einem Delayed-<br />
Start-Design gezeigt, dass bei frühem Parkinson<br />
unter 1 und 2 mg Rasagilin über ein Jahr<br />
eine signifikant geringere Verschlechterung<br />
der klinischen Scores gemessen am UPDRS-<br />
Gesamtscore eintrat als bei PatientInnen, die<br />
2 mg Rasagilin verzögert nach 6-monatiger<br />
Placebo-Behandlung bekamen 23 .<br />
Die wesentlich größere und mit einem rigorosen<br />
statistischen Analyseplan angelegte<br />
ADAGIO-Studie hatte eine placebokontrollierte<br />
Phase von 9 Monaten, gefolgt von einer<br />
ebenfalls 9-monatigen aktiven Therapiephase<br />
mit delayed start von Rasagilin in der ursprünglichen<br />
Placebo-Gruppe. Insgesamt<br />
wurden über 1000 PatientInnen mit frühem<br />
M. Parkinson (mittlere Dauer seit Diagnose<br />
unter 5 Monaten) eingeschlossen und zu 2<br />
Dosierungsarmen (1 und 2 mg) bzw. Placebo<br />
randomisiert. Das Ergebnis nach 18 Monaten<br />
zeigte für den 1-mg-Arm eine geringere Neigung<br />
der Progressionsgeraden durch den Anstieg<br />
der UPDRS-Scores in der placebokontrollierten<br />
Phase der ersten 9 Monate, einen<br />
geringeren UPDRS-Score nach weiterer 9-monatiger<br />
aktiver Behandlung mit 1 mg zu -<br />
gunsten der Gruppe mit früherem Behandlungsbeginn<br />
sowie parallel verlaufende<br />
Progressionsgeraden über die zweite 9-Monats-Periode<br />
für beide Gruppen 24 . Insgesamt<br />
betrug der Unterschied zwischen den Gruppen<br />
im Mittel 1,7 Punkte im gesamten UPDRS.<br />
Dieser Effekt konnte mit einer Tagesdosis von<br />
2 mg Rasagilin nicht gezeigt werden.<br />
In der Extension der TEMPO-Studie zeigte<br />
sich ein anhaltender positiver Unterschied zugunsten<br />
der sofortigen Behandlung mit Rasagilin<br />
über 5,5 Jahre 3 . Diese Daten können<br />
insgesamt als krankheitsmodifizierender Effekt<br />
gewertet werden. Dagegen spricht die<br />
Tatsache, dass in der ADAGIO-Studie die 2-<br />
mg-Dosis nicht eine ähnliche Wirkung erzielte<br />
wie die 1-mg-Dosis, was auch die AutorInnen<br />
der Studie zur kritischen Betrachtung der Ergebnisse<br />
veranlasste.<br />
Da aber auch die kürzlich beendete Pramipexol-Studie<br />
im Delayed-Start-Design negativ<br />
ausgegangen ist (Baseline-Daten 25 ), erscheint<br />
es möglich, dass der positive Effekt mit 1 mg<br />
Rasagilin möglicherweise doch einen krankheitsmodifizierenden<br />
Effekt nachweist. n<br />
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Medicine Review Update: Treatments for the Motor<br />
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dementia and dementia with Lewy bodies: different<br />
aspects of one entity. International psychogeriatrics/<br />
IPA 2009; 21(2):216–219.<br />
18 Emre M, Tsolaki M, Bonuccelli U et al., Memantine for<br />
patients with Parkinson's disease dementia or dementia<br />
with Lewy bodies: a randomised, double-blind,<br />
placebo-controlled trial. Lancet Neurol; 9(10):969–977.<br />
19 Johansson C, Ballard C, Hansson O et al., Efficacy of<br />
memantine in PDD and DLB: an extension study including<br />
washout and open-label treatment. International<br />
journal of geriatric psychiatry; 26(2):206–213.<br />
20 Arbouw ME, Movig KL, Koopmann M et al., Glycopyrrolate<br />
for sialorrhea in Parkinson disease: a randomized,<br />
double-blind, crossover trial. Neurology;<br />
74(15):1203–1207.<br />
21 Lagalla G, Millevolte M, Capecci M, Provinciali L,<br />
Ceravolo MG, Long-lasting benefits of botulinum toxin<br />
type B in Parkinson's disease-related drooling. J Neurol<br />
2009; 256(4):563–567.<br />
22 Lagalla G, Millevolte M, Capecci M, Provinciali L,<br />
Ceravolo MG, Botulinum toxin type A for drooling in<br />
Parkinson’s disease: a double-blind, randomized, placebocontrolled<br />
study. Mov Disord 2006; 21(5):704–707.<br />
23 A controlled, randomized, delayed-start study of<br />
rasagiline in early Parkinson disease. Arch Neurol 2004;<br />
61(4):561–566.<br />
24 Olanow CW, Rascol O, Hauser R et al., A double-blind,<br />
delayed-start trial of rasagiline in Parkinson’s disease.<br />
The New England journal of medicine 2009;<br />
361(13):1268–1278.<br />
25 Schapira AH, Albrecht S, Barone P et al., Rationale for<br />
delayed-start study of pramipexole in Parkinson’s disease:<br />
the PROUD study. Mov Disord;25(11):1627–1632.<br />
37
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
11. Austrian Neuroscience<br />
Wintermeeting 2011<br />
Mit 150 TeilnehmerInnen wies das 11. Austrian Neuroscience Wintermeeting, das Anfang April im Schlosshotel<br />
Lebenberg in Kitzbühel stattfand, einen Besucherrekord seit seiner Gründung vor 22 Jahren auf.<br />
AAmyloidose: Die erste wissenschaftliche Sitzung<br />
war dem heterogenen Krankheitsbild<br />
der Amyloidose gewidmet. Prof. Grisold,<br />
Wien, gab einen Überblick über die <strong>neurologisch</strong>en<br />
Grundlagen dieser Erkrankung, die<br />
in primäre und sekundäre sowie genetisch<br />
bedingte Amyloidose differenziert werden<br />
kann. Klinisch finden sich verschiedene Erscheinungsbilder<br />
wie z. B. autonome Störungen<br />
mit schmerzhaften Polyneuropathien<br />
oder autonome Störungen mit schmerzlosen<br />
Neuropathien und autonome Störungen<br />
ohne weiteres <strong>neurologisch</strong>es Symptom. Zusätzlich<br />
findet man Polyneuropathien ohne<br />
autonome Störungen und generalisierte autonome<br />
Störungen mit Kleinfaserneuropathien.<br />
Prof. Kyriakides aus Zypern gab einen großartigen,<br />
historisch sehr interessanten Überblick<br />
über eine Sonderform der Amyloidose,<br />
die familiäre Amyloidneuropathie, die über<br />
den Reiseweg der ehemaligen Kreuzritter ihre<br />
Ausbreitung fand. Molekularbiologische Ursache<br />
ist eine Transthyretin-Mutation (Val-30-<br />
Met-TTR), die eine veränderte Struktur des<br />
Amyloids als Beta-Faltblatt-Struktur bedingt.<br />
Interessant an dieser Form der Polyneuropathie<br />
ist die unterschiedliche Penetranz in verschiedenen<br />
Ländern, vermutlich aufgrund der<br />
unterschiedlichen genetischen Muster, die in<br />
den Ländern Zypern, Portugal und Schweden<br />
vorliegen, wo diese Erkrankung derzeit zu<br />
finden ist.<br />
Klinisch isoliertes Syndrom bei MS: Die<br />
wissenschaftliche Sitzung, welche sich mit<br />
den verschiedenen Formen des klinisch isolierten<br />
Syndroms (CIS) beschäftigte, wurde<br />
von Doz. Kristoferitsch eingeleitet, der die<br />
differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten<br />
bei Diagnose eines CIS beschrieb und die<br />
weitere Differenzierung darlegte. Neben<br />
Dr. Sabine Urbanits, MSc<br />
Neurologische Abteilung,<br />
Kaiser-Franz-Josef-Spital,<br />
Wien<br />
FOTO: 8UHR19 - FOTOLIA.COM<br />
44
Übergängen in eine schubförmige multiple<br />
Sklerose müssen die Verlaufsformen herausgefunden<br />
werden, die einen anderen Verlauf<br />
nehmen und damit mit einer anderen Therapie<br />
versorgt werden sollten. Dazu gehört<br />
die Neuromyelitis optica (NMO), die heute<br />
relativ leicht durch das Fehlen von oligoklonalen<br />
Banden und den Nachweis von Aquaporin-Antikörpern<br />
gezeigt werden kann,<br />
sowie andere bösartiger verlaufende Varianten<br />
(Marburg, Baló).<br />
Das radiologisch isolierte Syndrom (RIS)<br />
wurde von Prof. Gass diskutiert, der vor allem<br />
auf die Darstellung nicht aktiver Herde ohne<br />
klinische Symptomatik einging und darauf<br />
hinwies, dass eine Erweiterung der primären<br />
Radiodiagnostik auf die gesamte Neuraxis im<br />
Falle eines RIS sowie der Einsatz von 3-Tesla-<br />
Geräten einen besseren Überblick über die<br />
vorliegende Erkrankung geben können. Angerissen<br />
wurde von ihm auch eine eventuelle<br />
Therapieoption bei RIS mit aktiven Herden.<br />
Prof. Dr. Reindl von der Universitätsklinik Innsbruck<br />
ging auf die biologischen Marker als<br />
Hilfestellung der klinischen Wertigkeit und<br />
der Prognose des weiteren Verlaufes eines<br />
CIS ein. Er zeigte auf, dass mit Hilfe von<br />
Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein und<br />
IgG-Autoantikörper gegen Aquaporin-4 ein<br />
Schema zur besseren Differenzierung der CIS<br />
eingeführt werden kann. Abgeschlossen<br />
wurde die Sitzung von Prof. Berger, Innsbruck,<br />
der nochmals die Differenzialdiagnosen<br />
des CIS diskutierte und auch die Wichtigkeit<br />
der frühen Erkennung von ADEMS<br />
und NMO betonte. Hier ist vor allem die<br />
frühe therapeutische Intervention von größter<br />
Bedeutung.<br />
Zerebrovaskuläre Bildgebung: Die Sitzung<br />
zur zerebrovaskulären Bildgebung für Diagnostik<br />
und Therapie zeigte sehr spannende<br />
Projekte, die derzeit im Laufen sind. Prof. Fiebach,<br />
Berlin, stellte ein innovatives Modell<br />
vor, bei dem mit einem umgebauten Feuerwehrauto<br />
das CCT zur Erstdiagnostik vor Ort<br />
gebracht wird. Die CCT-Diagnostik wird so<br />
am Abholort des/der SchlaganfallpatientIn<br />
durchgeführt. Gleichzeitig wird eine Labordiagnostik<br />
vor Ort gemacht, und diese Daten<br />
werden an die Stroke Unit übermittelt, in<br />
welche der/die PatientIn gebracht werden<br />
soll. Die weitere Intervention kann bereits<br />
vorbereitet werden, während der/die PatientIn<br />
noch auf dem Transportweg ist. Dieses<br />
Projekt der Charité Berlin soll zeigen, dass<br />
bei einem solchen Vorgehen ein vermehrter<br />
Schutz der Penumbra und ein besseres Outcome<br />
für die PatientInnen erzielt wird. Prof.<br />
Deutschmann stellte verschiedene Retractor-<br />
Systeme zur mechanischen Rekanalisation bei<br />
Gefäßverschluss bei ischämischen Insulten<br />
sowie verschiedenen Stent-Varianten vor.<br />
Lymphome und Glioblastome: In der Sitzung<br />
über die Immunologie von Lymphomen<br />
und Glioblastomen wurde von Prof. Felzmann<br />
ein Überblick über die immunologischen<br />
Aspekte von Glioblastomen gebracht, der<br />
einen Einblick in die auf dendritischen<br />
Stammzellen basierende Immuntherapie gab<br />
und die geplante Etablierung dieser Therapie<br />
in die klinische Anwendung darstellte.<br />
Prof. Schlegel gab einen Überblick über die<br />
Anwendung des Anti-CD20-Antikörpers Rituximab<br />
bei primären ZNS-Lymphomen und<br />
sprach auch über die Effizienz von intraventrikulären<br />
Anwendungen. Aufgrund des<br />
Nachweises von Tumorzellen in der Peripherie<br />
im Verlauf wird angenommen, dass einige<br />
als primäre ZNS-Lymphome diagnostizierte<br />
Lymphome eigentlich Metastasen von okkulten<br />
Non-Hodgkin-Lymphomen entsprechen.<br />
Zusätzlich dachte er noch sehr innovative,<br />
nicht etablierte Therapien an, wie z. B. mit<br />
radioaktiven Strahlen konjugierte CD-20-Antikörper:<br />
Ibritumomab und Tositumomab.<br />
Prof. Giometto diskutierte die immunologischen<br />
Aspekte der limbischen Enzephalitis,<br />
FAZIT<br />
Insgesamt war die Teilnahme an den Sitzungen<br />
eine rege und interessierte, und<br />
es kam zu zahlreichen interessanten Diskussionen.<br />
Der ressortartige Charakter<br />
des Tagungsortes gab dem Meeting<br />
einen abgeschlossenen Rahmen, der eine<br />
Fortsetzung vieler wissenschaftlicher Diskussionen<br />
in die Freizeit hinein möglich<br />
machte.<br />
die häufig als paraneoplastisches Syndrom<br />
auftritt. Er beschrieb die Klinik und die Neuropathologie<br />
und betonte die Wichtigkeit der<br />
Bestimmung von antineuronalen Antikörpern<br />
aus dem Serum zur Diagnosestellung. Eine<br />
rasche Diagnose, gefolgt von einer raschen<br />
immunmodulierenden Therapie, kann das klinische<br />
Outcome mit deutlichen kognitiven<br />
Defiziten verbessern.<br />
Sarkopenie und Kachexie: In der Sitzung<br />
über die Sarkopenie und Kachexie bei degenerativen<br />
und tumorösen Erkrankungen stellte<br />
Dr. Kaiser seine Untersuchungen bei demenziellen<br />
Erkrankungen vor. Hier ging er<br />
vor allem auf die Sarkopenie als Ursache des<br />
Gewichtsverlustes bei demenziellen, fortgeschrittenen<br />
Erkrankungen ein und beschrieb<br />
auch, dass diese Sarkopenie mit zunehmender<br />
Immobilität einhergeht. Neben einer diätetischen<br />
Verbesserung wird auf die Wichtigkeit<br />
remobilisierender Maßnahmen und einer<br />
Früherkennung bzw. einer frühen Prävention<br />
dieser Sarkopenie hingewiesen. Prof. Attems<br />
stellt eine neuropathologische Post-mortem-<br />
Studie vor, die bei dementen PatientInnen im<br />
Vergleich mit nicht dementen PatientInnen<br />
eine deutlich höhere Kachexie nachgewiesen<br />
hat. Neben der Differenzialdiagnose der demenziellen<br />
Syndrome wurde auch die Alimentationshilfe<br />
PEG-Sonde bei dementen PatientInnen<br />
diskutiert.<br />
Dr. Zampieri stellt ihre Studien an KrebspatientInnen<br />
vor, in der sie die Skelettmuskulatur<br />
dieser PatientInnen untersucht hat: Ihre<br />
Ergebnisse zeigen eine subklinische neuropathologisch<br />
darstellbare Myopathie an einer<br />
Gruppe von PatientInnen mit kolorektalen<br />
Krebserkrankungen. Prof. Griesmacher<br />
schloss die Sitzung mit einer Diskussion über<br />
eine mögliche Früherkennung von kachektischen<br />
oder sarkopenischen Erkrankungen aus<br />
Sicht des Labormediziners ab. Sie beleuchtete<br />
die Diagnostik verschiedener Entzündungsmarker<br />
sowie Laborwerte des Glukose- und<br />
Fettstoffwechsels. Insgesamt kommt sie zu<br />
der Schlussfolgerung, dass die derzeitigen Laborwerte<br />
eher für die Aussage des Ist-Zustandes<br />
als zur Vorhersage einer sich ankündigenden<br />
Kachexie oder Sarkopenie genutzt<br />
werden können.<br />
n<br />
45
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
Einfluss von Ernährung und Umwelt auf die Pathogenese der MS<br />
Neue Aspekte zu „alten Bekannten“<br />
Beim Symposium der Europäischen Charcot-Foundation, das Anfang Dezember 2010 im italienischen Fiuggi<br />
stattfand, konnten sich die rund 300 TeilnehmerInnen, darunter etwa 25 österreichische MS-SpezialistInnen, von<br />
ausgewiesenen internationalen ExpertInnen einen Überblick über das kontroverse Thema von Ernährung und<br />
Umweltfaktoren bei multipler Sklerose (MS) verschaffen.<br />
NNeben der Entwicklung neuer Therapie -<br />
formen entstand in den letzten Jahren vor<br />
allem in Nordamerika und in den englischsprachigen<br />
Ländern eine zunehmende Fokussierung<br />
auf Umweltfaktoren bei multipler<br />
Sklerose, insbesondere auf den Einfluss von<br />
Vitamin-D-Mangel in der Pathogenese der<br />
MS und auf einen möglichen Therapieansatz<br />
durch Vitamin-D-Substitution. Daher widmete<br />
die European Charcot-Foundation diesem<br />
Thema ihr jährliches Symposium, das im<br />
Dezember 2010 im alterwürdigen Thermalbadeort<br />
Fiuggi in den Hügeln nahe Roms<br />
stattfand. Hochkarätige ExpertInnen aus allen<br />
5 Erdteilen stellten dabei die neuesten<br />
Forschungsergebnisse dar, die zum Teil sehr<br />
kontrovers diskutiert wurden.<br />
In der Eröffnungsrede sprach Prof. A. Ascherio<br />
aus Boston über geografische Faktoren<br />
und Umwelteinflüsse, die eine Rolle in der<br />
Entstehung und Inzidenz der MS haben. Insbesondere<br />
warf er die Frage auf, ob man<br />
durch Beeinflussung von Umweltfaktoren die<br />
Entstehung der MS verhindern könne. Er wies<br />
auf modifizierbare Risikofaktoren wie den<br />
Wohnort (Nord-Süd-Gefälle in den USA und<br />
Europa), Rauchen und Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus<br />
hin. Vor allem hob er die<br />
niedrige Prävalenz von MS bei negativer EBV-<br />
Serologie hervor. Auch ein Wohnortwechsel<br />
in südliche US-Bundesstaaten könne das Risiko,<br />
an MS zu erkranken, senken.<br />
1<br />
Genetische Aspekte: Prof. G. Ebers aus Oxford<br />
präsentierte Daten, die die genetische<br />
Assoziation, insbesondere von HLA-DRB1,<br />
zum Erkrankungsrisiko für MS untermauerten.<br />
Insbesondere der Major Histocompatibility<br />
Complex (MHC) sei hierbei der dominierende<br />
Genlocus. Ebers sprach von einem epigenetischen<br />
Effekt, der durch eine Interaktion<br />
von Umweltfaktoren mit Genen zustande<br />
kommt, die durch Umwelteinflüsse selektiert<br />
werden. Zusätzlich erläuterte er epidemiologische<br />
Daten, die belegen, dass verschiedene<br />
Geburtsmonate auch unterschiedliche Inzidenzraten<br />
von MS-erkrankten PatientInnen<br />
haben. Dabei fanden sich in der nördlichen<br />
Hemisphäre erhöhte Inzidenzraten im Frühsommer<br />
und erniedrigte im Spätherbst.<br />
E. Jakkula aus Finnland präsentierte epidemiologische<br />
Daten, die bis ins 17. Jahrhundert<br />
reichten und die in bestimmten finnischen<br />
Regionen die Abstammung vieler MS-<br />
Kranker aus einigen wenigen Familien<br />
bewies. Auch im Rahmen genetischer Studien<br />
konnte unter anderem das STAT-3-Gen identifiziert<br />
werden, das die Entwicklung von<br />
TH17-Zellen reguliert. Diese CD4+-Th-Zellen<br />
produzieren Interleukin-17 (IL-17), das eine<br />
wichtige Rolle in der Entwicklung von Autoimmunerkrankungen<br />
spielt.<br />
2<br />
Dr. Georg Hruby 1 ,<br />
Priv.-Doz. Dr. Jörg Kraus 2<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />
Paracelsus Medizinische Privatuniversität<br />
Christian-Doppler-Klinik, Salzburg<br />
MS-bedingte Hirnatrophie: A. Achiron aus<br />
Israel stellte eine innovative MR-Technik vor,<br />
wobei er im Rahmen von MRI-Studien mittels<br />
der SIENA-Technik strukturelle Hirnveränderungen,<br />
insbesondere die Hirnatrophie untersuchte.<br />
Er konnte die raschere Abnahme von<br />
Gehirnmasse bei MS-PatientInnen (0,5 %/<br />
Jahr) im Vergleich zur Normalbevölkerung<br />
(0,15 %/Jahr) nachweisen. Die präsentierten<br />
Daten zeigten auch, dass unter immunmodulatorischen<br />
Therapien (DMT) im ersten Jahr<br />
nach Therapiebeginn überraschenderweise<br />
das Ausmaß der Atrophie beschleunigt war,<br />
jedoch in den 2–3 darauf folgenden Jahren<br />
unter der Therapie vermindert. Dies lässt vermuten,<br />
dass durch DMT die raschere Atrophie<br />
bei MS-PatientInnen insgesamt verlangsamt<br />
werden könnte.<br />
Abgerundet wurde der erste Kongresstag<br />
durch ein Satellitensymposium der Firma Novartis,<br />
in welchem R. Hohlfeld aus München,<br />
D. Arnold aus Montreal und B.C. Kieseier aus<br />
Düsseldorf einen Überblick über das oral verfügbare<br />
Medikament Fingolimod gaben.<br />
Dabei wurde einerseits der exakte Wirkmechanismus<br />
des Sphingosin-Analagons Fingolimod<br />
dargestellt, andererseits wurde mittels<br />
MR-Daten dargelegt, dass Fingolimod auch<br />
die MS-bedingte Hirnatrophie abmildern<br />
kann.<br />
Vitamin-D-Mangel und manifeste MS: E.<br />
Mowry aus San Francisco präsentierte Studi-<br />
46
en, die belegen, dass Vitamin-D-Mangel mit<br />
einer erhöhten Suszeptibilität, an MS zu erkranken,<br />
einhergeht. Es ist jedoch noch unklar,<br />
ob ein veränderter Vitamin-D-Spiegel<br />
einen Einfluss auf die Prognose der bereits<br />
manifesten MS hat. Sie beschrieb auch ethnische<br />
Unterschiede, da Dunkelhäutige einen<br />
niedrigeren Vitamin-D-Spiegel als Weiße<br />
haben. Bisher konnte kein sicherer Zusammenhang<br />
des HLA-DRB1-Status zum Vitamin-<br />
D-Spiegel gefunden werden.<br />
Eine Vitamin-D-Insuffizienz lässt ein erhöhtes<br />
Risiko für Schubereignisse vermuten, jedoch<br />
konnten die bisher erhobenen Daten keinen<br />
sicheren Anhalt geben, dass eine Substitution<br />
von Vitamin D die Schubrate signifikant reduzieren<br />
kann.<br />
Mowry beleuchtete den Zusammenhang des<br />
Vitamin-D-Spiegels mit dem EDSS-Score. Bei<br />
einem höheren EDSS-Score als 4 finden sich<br />
signifikant niedrigere Vitamin-D-Spiegel. Unklar<br />
ist, ob dabei möglicherweise auch die<br />
verminderte Sonnenexposition aufgrund des<br />
höheren Behinderungsgrades und dem damit<br />
verbundenen vermehrtem Aufenthalt in Räumen<br />
eine Rolle spielt.<br />
Immunmodulatorischer Effekt: Dr. J. Correale<br />
aus Buenos Aires sprach über einen<br />
möglichen immunmodulatorischen Effekt<br />
von Vitamin D im Rahmen der MS. Der krankheitsmodifizierende<br />
Effekt komme möglicherweise<br />
dadurch zustande, dass CD4+-Zellen<br />
und autoreaktive T-Zellen Vitamin D metabolisieren<br />
können. Dies könne zu vermehrter<br />
Bildung von IL-10 führen, bei gleichzeitiger<br />
Verminderung von IL-6 und IL-17, was wiederum<br />
einen hemmenden Einfluss auf die<br />
CD4+T-Zell-Proliferation hat.<br />
J. Killestein aus Amsterdam erläuterte geschlechtsspezifische<br />
Unterschiede bei MS-<br />
PatientInnen in Bezug auf Vitamin-D-Spiegel.<br />
Es gebe eine negative Korrelation von<br />
erniedrigten Vitamin-D-Spiegeln und EDSS<br />
bei Frauen, nicht aber bei Männern. Experimentelle<br />
Studien lassen eine direkte Interaktion<br />
zwischen HLA-DRB1 und dem Vitamin-D-Metabolismus<br />
vermuten. Da Vitamin<br />
D an den HLA-DRB1-Promotor bindet<br />
und dieser Genotyp (insbesondere DRB1*<br />
1501) als Risikoallel für MS angesehen<br />
wird, vermutet man hier einen Zusammenhang.<br />
S. Ramagopalan, Oxford, ging darauf ein,<br />
dass bei Vorliegen einer gewissen genetischen<br />
Suszeptibilität insbesondere betreffend<br />
den HLA-DRB1*1501-Genotyp über einen<br />
durch verminderte Sonnenlichtexposition vermittelten<br />
Vitamin-D-Mangel eine Veränderung<br />
der Immunantwort auftreten kann.<br />
Vitamin-D-Gabe: P. Calabresi aus Baltimore<br />
stellte dar, dass bei einer Vielzahl von Vitamin-D-Präparaten<br />
die vom Hersteller angegebene<br />
Dosis deutlich von der tatsächlich<br />
nachweisbaren Vitamin-Dosis abwich. Dies<br />
war insbesondere bei Hochdosispräparaten<br />
der Fall. Bei einem Präparat konnten tatsächlich<br />
nur 0,24 % der angegebenen Dosis nachgewiesen<br />
werden.<br />
T. Holmoy, Oslo, referierte über Daten aus<br />
dem Tiermodell, wonach nach oraler Gabe<br />
von Vitamin D bei den Versuchstieren nur<br />
etwa 5 % der Konzentrationen im Gehirn<br />
nachweisbar war. Insbesondere ist dabei die<br />
im ZNS nachweisbare Vitamin-D-Konzentration<br />
von der Integrität der Blut-Hirn-Schranke<br />
abhängig.<br />
In einem Satellitensymposium der Firma<br />
MerckSerono wurden durch J. Killestein und<br />
J. Smolders, Sittard, Niederlande, die wissenschaftliche<br />
Grundlage sowie das Design der<br />
FAZIT<br />
Zusammenfassend schaffte es O. Hommes,<br />
Vorsitzender der European Charcot-Foundation,<br />
erneut, in sehr angenehmer<br />
Atmosphäre ein für die tägliche Praxis<br />
wichtiges und interessantes Thema<br />
aufzugreifen. Durch die Auswahl der Vortragenden<br />
gelang es, den TeilnehmerInnen<br />
einen umfassenden Einblick in die<br />
Thematik zu ermöglichen. Allerdings ist<br />
es derzeit so, dass die präsentierten<br />
Daten noch nicht ausreichend sind, um<br />
die beobachteten Effekte abschließend<br />
zu interpretieren, und insbesondere auch<br />
nicht, um eine breite Behandlungsempfehlung<br />
für die Durchführung einer Vitamin-D-Substitution<br />
auszusprechen.<br />
so genannten „SOLAR-Studie“ dargestellt,<br />
bei der untersucht werden soll, ob ein Vitamin-D-Präparat<br />
als Add-on-Gabe zu Interferon-Beta-1a<br />
einen zusätzlichen Effekt auf<br />
die Krankheitsaktivität erreichen kann. M.<br />
Freedman, Toronto präsentierte Ergebnisse<br />
der Studien über die Wirksamkeit von Cladribin<br />
bei MS. Er berichtete über Wirkmechanismen<br />
(Verminderung der Anzahl von<br />
B- und T-Lymphozyten im peripheren Blut)<br />
sowie über die ca. 50%-ige Reduktion der<br />
jährlichen Schubrate unter Cladribin im Vergleich<br />
zu Placebo.<br />
Kontroverse Daten über Umweltfaktoren:<br />
J. Boström, Kristinehamn, stellte sehr<br />
umfassende Daten aus der schwedischen Region<br />
Värmland dar. Dabei ging sie darauf ein,<br />
dass Vitamin-D-Mangel bzw. Sonnenexposition<br />
in dieser Region keine Korrelation zur<br />
MS-Häufigkeit zeigte, wohingegen ein möglicher<br />
Risikofaktor ein Wohnort in der Nähe<br />
von holzverarbeitenden Industriebetrieben<br />
war.<br />
Gleichsam interessante wie auch provokative<br />
Daten wurden von D. Sadovnick, Vancouver,<br />
präsentiert, wonach sich das Nord-Süd-Gefälle<br />
der MS-Prävalenz in der nördlichen Hemisphäre<br />
in den vergangenen Jahrzehnten<br />
deutlich abgeschwächt hat. Entsprechend<br />
diesen Ergebnissen hat die MS-Prävalenz in<br />
südlichen Ländern zuletzt deutlich zugenommen.<br />
Als mögliche Faktoren wurden neben<br />
einer verbesserten medizinischen Versorgung<br />
mit verbesserter Diagnostik der Erkrankung<br />
vor allem auch Lifestyle-Faktoren wie etwa<br />
eine zunehmende Industrialisierung und Änderung<br />
der Ernährungsgewohnheiten diskutiert.<br />
Demgegenüber zeigten Daten von J. Van der<br />
Mei, Hobart, Australien, dass zumindest dort<br />
die Prävalenz der MS deutlich vom Breitengrad<br />
abhängt. In einer sehr angeregten Diskussion<br />
wurden die widersprüchlichen Daten<br />
aus der nördlichen und südlichen Hemisphäre<br />
kontroversiell besprochen.<br />
Eine abschließende Erklärung für dieses Phänomen<br />
eines anscheinend unterschiedlichen<br />
Einflusses des Breitengrades auf beiden Hemisphären<br />
in Bezug auf die MS-Prävalenz erscheint<br />
derzeit jedoch nicht möglich. n<br />
47
GESELLSCHAFTS-<br />
NACHRICHTEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
NEUROLOGIE IN<br />
ÖSTERREICH<br />
KONGRESS-<br />
HIGHLIGHTS<br />
FÜR DIE PRAXIS<br />
63. Annual Meeting of the AAN 2011,<br />
Honolulu<br />
Dieses Jahr fand das 63. Treffen der American Academy on Neurology (AAN) in Honolulu, Hawaii statt.<br />
Mit ca. 9000 TeilnehmerInnen aus 93 Ländern ist der AAN-Kongress einer der populärsten und wichtigsten<br />
Kongresse im Bereich der <strong>Neurologie</strong>. Von den mehr als 3000 eingereichten Abstracts wurden 2500 ange -<br />
nommen. Neueste Forschungsergebnisse aus den Gebieten Schlaganfall, Demenz, multiple Sklerose,<br />
Parkinson-Erkrankung, Schädel-Hirn-Traumen, Neuroonkologie, Epilepsie, Kopfschmerzen und Epidemiologie<br />
wurden diskutiert.<br />
IIm Rahmen von Seminaren über Schlaganfälle<br />
wurde im Zusammenhang mit der klinischen<br />
Forschung speziell auf Designfehler<br />
bei Studien im Sinne sogenannter Bias und<br />
Confounder eingegangen. Weiters erfolgte<br />
eine zusammenfassende Erklärung der einzelnen<br />
klinischen Studienphasen und ihrer<br />
Besonderheiten bis hin zur Medikamententestung.<br />
Der juvenile Stroke wurde, ausgehend<br />
von den wahrscheinlichen Ursachen bis<br />
hin zu seltenen Syndromen, die sich durch<br />
begleitende Erkrankungen anderer Organ -<br />
systeme schon bei der Statuserhebung vermuten<br />
lassen, präsentiert. Weiterhin kontroversiell<br />
wurde die Frage diskutiert, wann ein<br />
offenes Foramen ovale verschlossen werden<br />
sollte, wobei gegenwärtig wieder zunehmende<br />
Zurückhaltung bezüglich einer solchen Intervention<br />
besteht. In diesem Zusammenhang<br />
wurde auch noch einmal an die akuten<br />
Komplikationen des Eingriffs, vor allem aber<br />
an die Möglichkeit des Entstehens von Vorhofflimmern<br />
erinnert.<br />
Neuroonkologie<br />
In den neuroonkologischen Seminaren wurde<br />
bei primären Hirntumoren und zerebralen<br />
Metastasen das interdisziplinäre und an<br />
den/die PatientIn angepasste Management in<br />
Form von exemplarischen Fallpräsentationen<br />
dargestellt. Aufgrund der Komplexität neuroonkologischer<br />
Erkrankungen ist ein evidenzbasiertes<br />
diagnostisches und therapeutisches<br />
Vorgehen eingeschränkt möglich.<br />
Nicht zuletzt aus diesem Grund kommt dem<br />
1<br />
2<br />
Dr. Alexander Tinchon 1 ,<br />
Priv.-Doz. Dr. Stefan Oberndorfer 2<br />
Neurologische Abteilung,<br />
Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien<br />
individualisierten Patientenmanagement inklusive<br />
palliativer Aspekte besondere Bedeutung<br />
zu. Ein weiteres wichtiges Feld in der<br />
Neuroonkologie stellte Lisa de Angelis vom<br />
MSCCC in New York vor. In der von ihr organisierten<br />
Session wurde die Wichtigkeit der<br />
<strong>neurologisch</strong>en Expertise bei Neurotoxizität<br />
von onkologischen Therapien, bei <strong>neurologisch</strong>en<br />
Komplikationen von hämatologischen<br />
Erkrankungen, malignen Querschnitter -<br />
krankungen, neoplastischer Meningitis und<br />
symptomatischen Therapien <strong>neurologisch</strong>er<br />
Komplikationen bei Hirntumoren hervorgehoben.<br />
So wurden z. B. die diagnostischen Kriterien<br />
der neoplastischen Meningitis hinterfragt.<br />
Laut Expertenmeinung reicht zur Diagnosesicherung<br />
bereits ein eindeutiges MRT der<br />
Neuroaxis, bei unauffälliger Liquorzellanalyse.<br />
Die Wahrscheinlichkeit, maligne Zellen im Liquor<br />
zu finden, liegt nach der ersten Lumbalpunktion<br />
ohnedies nur bei ca. 60 %. In<br />
Europa ist die Diagnosesicherung üblicherweise,<br />
neben dem MRT, mit einer typischen<br />
<strong>neurologisch</strong>en Klinik und/oder dem Vorliegen<br />
von malignen Zellen im Liquor verknüpft.<br />
Bei malignen Querschnittsyndromen wurden<br />
rezente Daten vorgelegt, welche die Bedeutung<br />
einer akuten interdisziplinären Behandlungsstrategie<br />
für das positive Outcome der<br />
PatientInnen bestätigten. Bei klinischen Symptomen<br />
einer Myelonkompression wird die<br />
perakute Dexamethasongabe und eine sofortige<br />
lokale Strahlentherapie empfohlen, es sei<br />
denn, es bestehen Indikationen für ein akutes<br />
chirurgischen Vorgehen wie knöcherne Myelonkompression,<br />
unklare Dignität, oder z. B.<br />
Progression unter akuter Strahlentherapie.<br />
Auch moderne onkologische Therapien, sogenannte<br />
„zielgerichtete Therapien“, können<br />
zu einer erheblichen Neurotoxizität im Bereich<br />
des zentralen und peripheren Nervensystems<br />
führen. Beispiele sind verschiedene<br />
monoklonale Antikörper wie z. B. Rituximab<br />
oder Bevacizumab und die progressive multifokale<br />
Leukenzephalopathie, oder das Thalidomid-Analogon<br />
Lenalidomid oder Bortezomib<br />
und Polyneuropathien.<br />
Aufgrund der diagnostischen und therapeutischen<br />
Komplexität auf diesem Gebiet wird<br />
international ein interdisziplinäres Ausbildungscurriculum<br />
für den Bereich Neuroonkologie<br />
forciert. Die fächerübergreifende<br />
Expertise und die Etablierung neuroonkologischer<br />
Tumorboards kann zu einer wesentlichen<br />
Qualitätssteigerung in der Betreuung<br />
von neuroonkologischen PatientInnen führen.<br />
n<br />
48
FÜR DIE GUTACHTERLICHE PRAXIS<br />
Epilepsie und Arbeits(un)fähigkeit –<br />
Rechtsprechung versus <strong>neurologisch</strong>e<br />
(psychiatrische) Aspekte<br />
Die Rechtsprechung nimmt in der Frage, ab wann in Pensionsverfahren bei an Epilepsie leidenden Pensions -<br />
werberInnen von Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden kann, einen strengen Standpunkt ein. Aus vielen<br />
obergerichtlichen Entscheidungen ist ersichtlich, dass auch bei einer völlig unbefriedigenden Einstellung von<br />
Anfällen ein Verlust der Arbeitsfähigkeit in der Regel nicht angenommen wird. Aus <strong>neurologisch</strong>-psychiatrischer<br />
Sicht fällt allerdings auf, dass in keiner dieser Entscheidungen auf Probleme wie hirnorganisches Psycho -<br />
syndrom, allenfalls sogar beginnende Demenz, eingegangen wird. Freilich könnte dies auch daran liegen, dass<br />
die vom Gericht beigezogenen <strong>neurologisch</strong>en Sachverständigen (SV) diesem Problemkreis zu wenig Beachtung<br />
schenken. In der Folge werden eine Reihe obergerichtlicher Entscheidungen vorgestellt und Vorschläge zur<br />
<strong>neurologisch</strong>en Begutachtung von AnfallspatientInnen für das Sozialgericht zur Diskussion gestellt.<br />
Rechtliche Grundlagen<br />
Epilepsie ist eine in Pensionsverfahren vor den<br />
Arbeits- und Sozialgerichten häufig gestellte<br />
Diagnose. Aufgrund der unterschiedlichen Erscheinungsformen<br />
gestaltet sich die Beurteilung,<br />
inwieweit durch dieses Leiden das medizinische<br />
Leistungskalkül bzw. in der Folge<br />
die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt sind, oft<br />
schwierig. Grundsätzlich wird ein Ausschluss<br />
vom Arbeitsmarkt dann angenommen, wenn<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer<br />
Krankenbehandlung zu erwartende<br />
leidensbedingte Krankenstände (einschließlich<br />
Kuraufenthalte) von jährlich 7 Wochen<br />
und darüber oder krankheitsbedingte zusätzliche<br />
notwendige Arbeitspausen in erheblichem<br />
Umfang festgestellt werden. Epilepsie<br />
stellt somit grundsätzlich kein absolutes Hindernis<br />
für eine geregelte Beschäftigung dar.<br />
Maßgebend dafür, ob eine Epilepsie im Einzelfall<br />
nach der Rechtsprechung tatsächlich<br />
Invalidität begründet, sind der Grad der Erkrankung,<br />
die dadurch bewirkte Art und Häufigkeit<br />
der Anfälle sowie deren allfällige<br />
Folgeerscheinungen und die dadurch bedingten<br />
Auswirkungen auf die Eingliederbarkeit<br />
ins Berufsleben.<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Werner Laubichler<br />
Facharzt für <strong>Neurologie</strong><br />
und Psychiatrie,<br />
Gerichtssachverständiger,<br />
Salzburg<br />
Mag. a Petra Smutny<br />
Richterin des OLG Wien<br />
Wohl sehr maßgeblich beeinflusst von Scherzer<br />
1 galt im vorigen Jahrhundert die Faustregel,<br />
dass ein tageszeitlich ungebundener<br />
Grand-Mal-Anfall pro Monat bzw. ein partieller<br />
Anfall pro Woche mit Arbeitsunfähigkeit<br />
verbunden sei, weil sich niemand mit<br />
einer solchen Anfallfrequenz am Arbeitsmarkt<br />
halten könne. Bezogen auf die posttraumatische<br />
Epilepsie galt dies auch als der<br />
offizielle Standpunkt in der AUVA. Ende der<br />
1990er Jahre hat sich die Rechtsprechung jedoch<br />
erheblich verschärft und mit ihr auch<br />
die Grundlagen für die <strong>neurologisch</strong>-psychia -<br />
trischen Sachverständigen.<br />
Die Gerichte haben sich auch seither mit epileptischen<br />
Zustandsbildern unterschiedlichster<br />
Ausprägung und Ursache und der daraus<br />
resultierenden Frage des Ausschlusses vom<br />
Arbeitsmarkt in einer Vielzahl von Entscheidungen<br />
zu befassen gehabt. In der Judikatur<br />
wird dabei sehr zurückhaltend agiert und<br />
selbst bei relativ massiven Beeinträchtigungen<br />
zumeist kein Ausschluss vom Arbeitsmarkt<br />
angenommen. So wurden beispielsweise<br />
nicht nur epileptische Anfälle ca. alle<br />
4 bis 5 Monate (RIS-Justiz RS0085011) bzw.<br />
alle 6 Monate (OLG Wien 7 Rs 95/09f), sondern<br />
auch das Auftreten eines großen epileptischen<br />
Anfalls nur einmal (SVSlg 38.024),<br />
ein- bis zweimal pro Monat (SVSlg 38.035),<br />
durchschnittlich zweimal pro Monat (SVSlg<br />
48.944, 46.007), bis zu zweimal monatlich<br />
unerwartet auftretende epileptische Anfälle,<br />
die mit einer Arbeitsunfähigkeit von jeweils<br />
4 Stunden verbunden sind (SSV-NF 4/168),<br />
durchschnittlich zwei epileptische GM-Anfälle<br />
pro Monat, die einen höchstens einige<br />
Stunden währenden Dämmer- oder Schläfrigkeitszustand<br />
zur Folge haben (SSV-NF<br />
5/82), aber auch bis zu zweimal monatlich<br />
54
(große) epileptische Anfälle mit Arbeitsunfähigkeit<br />
bis zu zwei Tagen (SSV-NF 10/69),<br />
zwei bis drei große Anfälle mit einer damit<br />
verbundenen Arbeitsunfähigkeit von jeweils<br />
ca. zwei Stunden sowie 5 mittlere und 3 bis<br />
4 kleine Anfälle mit einer daraus resultierenden<br />
Arbeitsunfähigkeit von jeweils ca. 15 Minuten<br />
(10 ObS 165/03t), drei epileptische Anfälle<br />
monatlich, die jeweils rund 5 Minuten<br />
dauern und teilweise mit einer anschließenden<br />
Arbeitsunfähigkeit (Dämmerzustand) von<br />
bis zu zwei Stunden (OLG Wien 10 Rs<br />
60/09f), 4 epileptische Anfälle im Monat, die<br />
überwiegend nachts auftreten und eine Arbeitsunfähigkeit<br />
von ein bis zweimal monatlich<br />
für jeweils einige Stunden mit sich bringen<br />
(SVSlg 40.574), nicht als für den Arbeitsmarkt<br />
ausschlussbegründend erachtet.<br />
Anmerkungen zur Judikatur<br />
aus <strong>neurologisch</strong>-psychiatrischer<br />
Sicht<br />
Eine umfassendere Zusammenstellung obergerichtlicher<br />
Entscheidungen mit eingehender<br />
Besprechung wurde anderen Orts publiziert.<br />
2<br />
Zur Diskussion werden in der Folge an dieser<br />
Stelle jedoch einige Entscheidungen herausgegriffen<br />
und dabei wesentliche Ablehnungsgründe<br />
bzw. Umstände, die nicht für einen<br />
Ausschluss vom Arbeitsmarkt ausreichend erachtet<br />
wurden, unter Bezugnahme auf das<br />
jeweilige Ausmaß des Epilepsieleidens zusammengefasst.<br />
OGH 26. 5. 1992, 10 ObS 72/92 = SVSlg<br />
38.024: Es besteht Alkoholmissbrauch, aber<br />
keine Polyneuropathie; einmal monatlich ein<br />
GM-Anfall, möglicherweise auch auf dem<br />
Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte,<br />
mit nachfolgender Arbeitsunfähigkeit für diesen<br />
Tag; wegen dieser Anfälle kommt es zu<br />
höchstens zwölf Krankenstandstagen im Jahr.<br />
Dass ein Epileptiker insbesondere wegen der<br />
bei Arbeitgebern und Arbeitskollegen negative<br />
Gefühle auslösenden Begleitumstände<br />
der (großen) Anfälle vom allgemeinen Arbeitsmarkt<br />
ausgeschlossen wäre, ist weder<br />
festgestellt noch offenkundig. Es besteht<br />
auch kein diesbezüglicher allgemeiner Erfahrungssatz.<br />
Der Versicherte wurde (daher) auch nicht vom<br />
allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen<br />
und somit nicht als invalid erachtet.<br />
Der hier ausgewiesene Fall wirkt gemessen<br />
an vergleichsweise weit verbreiteten Vorurteilen<br />
gegenüber EpileptikerInnen weltfern.<br />
Zu verweisen ist auf eine Umfrage durch die<br />
deutsche Sektion der internationalen Liga<br />
gegen Epilepsie 1996. 3 Demnach halten 20 %<br />
der Befragten die Epilepsie für eine Geisteskrankheit;<br />
21 % meinen, EpileptikerInnen<br />
sollen nicht heiraten; 15 % wollen nicht, dass<br />
die eigenen Kinder Kontakt mit EpileptikerInnen<br />
haben; 11 % waren gegen eine berufliche<br />
oder soziale Integration von anfallskranken<br />
Personen. Diese Einstellung gegenüber<br />
EpileptikerInnen ist zwar jüngeren<br />
Umfragen zufolge tendenziell weniger negativ.<br />
4 2008 waren aber in Deutschland immer<br />
noch 13 % gegen eine berufliche Integration<br />
von EpileptikerInnen. Bemerkenswert ist hierzu<br />
auch eine Studie des Epilepsiezentrums<br />
Bethel/Bielefeld aus 1992/93. 5 Danach standen<br />
29 % arbeitslose Anfallskranke (mit einer<br />
durchschnittlichen Dauer von 27,4 Monaten)<br />
13 % arbeitslosen schwerbehinderten Personen<br />
aus anderen Gründen (mit einer durchschnittlichen<br />
Dauer von 20 Monaten) und<br />
7,4 % arbeitslosen Personen in der Allgemeinbevölkerung<br />
(mit einer durchschnittlichen<br />
Dauer von 12 Monaten) gegenüber. Der<br />
Begriff „schwerbehindert“ in Deutschland<br />
entspricht einer Einstufung von mindestens<br />
50 % GdB durch unser Bundessozialamt.<br />
OGH 16. 7. 1996, 10 ObS 2182/96x = SSV-<br />
NF 10/69: Die 48-jährige Klägerin leidet seit<br />
dem 14. Lebensjahr an Anfällen, derzeit an<br />
Leberzirrhose und ein bis zwei GM-Anfällen<br />
monatlich – nahezu immer tagsüber – mit<br />
ein- bis zweitägigem Krankenstand; sieben<br />
Wochen Krankenstand oder mehr jährlich<br />
nicht ableitbar, sondern bloß max. 48 Tage<br />
(= 6,85 Wochen!).<br />
Es ist nicht auszuschließen, dass es bei vielen<br />
hart wirkenden Entscheidungen bezüglich<br />
Epilepsie, Anfallsfrequenz und Arbeitsfähigkeit<br />
letztlich das Gericht nur das Gutachten<br />
eines <strong>neurologisch</strong>en SV umgesetzt hat.<br />
Wenn es bei Tagungen zu Diskussionen von<br />
RichterInnen und medizinischen SV kommt,<br />
wird von Ersteren öfter behauptet, dass bei<br />
Entscheidungen, die für Ärzte nicht immer<br />
verständlich sind, das Gutachten eines medizinischen<br />
SV ausschlaggebend war. Die vorstehende,<br />
aus <strong>neurologisch</strong>er Sicht verwunderliche<br />
Entscheidung kann daher eventuell<br />
auch das Produkt einer extremen Meinung<br />
eines <strong>neurologisch</strong>en SV sein, es ist nicht ausschließbar,<br />
dass derselbe Fall vielleicht ganz<br />
anders verlaufen wäre, wenn er von einem<br />
anderen <strong>neurologisch</strong>en SV begutachtet worden<br />
wäre. Bekanntlich bedeuten sieben Wochen<br />
„leidensbedingter“ Krankenstand pro<br />
Jahr Arbeitsunfähigkeit. Dass bei diesem Beispiel<br />
wegen einem Tag weniger die Pension<br />
verweigert wurde, obwohl auch eine Leberzirrhose<br />
bestand, ist merkwürdig. Wahrscheinlich<br />
hat der internistische Gutachter<br />
diese als (noch) irrelevant bezeichnet.<br />
OGH 5. 10. 1999, 10 ObS 88/99k = SSV-<br />
NF 13/93: Beim Kläger besteht ein neurasthenisch-depressiver<br />
Verstimmungszustand<br />
mit vegetativer Labilität. Es liegt ein Anfallsleiden<br />
aufgrund einer Gehirnhautentzündung<br />
in der Kindheit vor, welches sich in Absencen<br />
äußert, wobei der Kläger in seinem<br />
Bewegungsablauf innehält, einige Sekunden<br />
abwesend ist und dann in seinem Handlungsablauf<br />
fortfährt. Diese Absencen sind nicht<br />
mit Stürzen, Vergesslichkeit oder Gedächtnislücken<br />
verbunden. Dieses Anfallsleiden liegt<br />
unverändert seit der Kindheit vor. Mit derartigen<br />
Absencen ist bei medikamentöser Einstellung<br />
höchstens ein bis zweimal monatlich<br />
zu rechnen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt<br />
könnte der Kläger unter Außerachtlassung<br />
des Anfallsleidens und den damit verbundenen<br />
Absencen noch primär technische<br />
Kundenberater-Berufstätigkeiten ausüben.<br />
Das vorhandene Anfallsleiden und die damit<br />
verbundenen Absencen schließen diese Tätigkeiten<br />
zwar aus. Es handelt sich dabei jedoch<br />
um einen in das Erwerbsleben eingebrachten<br />
und im Wesentlichen unverändert<br />
bestehenden Zustand, der bei der Prüfung<br />
der Berufsunfähigkeit außer Betracht zu bleiben<br />
hat.<br />
Auch dieser Fall ist eine Diskussion wert. Offenbar<br />
nahm die Justiz an, dass von Anfang<br />
an keine wirkliche Arbeitsfähigkeit vorlag.<br />
Früher war es nicht unüblich, dass behinderte<br />
Personen angestellt wurden, eventuell im u<br />
55
FÜR DIE GUTACHTERLICHE PRAXIS<br />
Familienbetrieb, ohne dass sie wirklich eine<br />
Leistungsfähigkeit, wie am „allgemeinen<br />
Arbeitsmarkt“ verlangt, erbringen konnten.<br />
Eine solche Einschleusung in die Sozialversicherung<br />
wurde durch Gesetzgebung und<br />
Rechtsprechung schließlich unterbunden. In<br />
diesem Fall ist allerdings offen, ob anfänglich<br />
doch – gerade noch – Arbeitsfähigkeit vorlag<br />
und durch einen weiteren vorzeitigen Abbau<br />
Arbeitsunfähigkeit eintrat, wie dies bei behinderten<br />
Personen häufig zu beobachten ist.<br />
Sollte dies doch so der Fall gewesen sein,<br />
dann lag ein Versäumnis des Gutachters vor,<br />
der nicht darauf verwies, dass ein vorliegendes<br />
hirnorganisches Psychosyndrom sich erheblich<br />
verschlechtert habe. Ähnliche Überlegungen<br />
treffen auch auf die beiden nachstehenden<br />
Beispielsfälle zu.<br />
OGH 14. 1. 2003, 10 ObS 334/02 v = SSV-<br />
NF 17/2: Während ihrer Lehrzeit zur Tierpflegerin<br />
und der nachfolgenden Beschäftigung<br />
während der Behaltepflicht erlitt die<br />
Klägerin fast täglich epileptische Anfälle.<br />
Diese Anfälle kündigten sich einerseits durch<br />
eine Veränderung der Gesichtsfarbe, andererseits<br />
durch ein Zucken an. In weiterer Folge<br />
wäre die Klägerin umgefallen, wenn sie nicht<br />
von einer Arbeitskollegin „aufgefangen“ worden<br />
wäre. Ein Anfall dauert ein bis zwei Minuten.<br />
Die Klägerin nahm dann eine Tablette<br />
und arbeitete weiter. Die Arbeitskollegin arbeitete<br />
räumlich so nahe bei der Klägerin,<br />
dass sie mit Ausnahme eines einzigen Falles<br />
immer in der Lage war, die Klägerin aufzufangen,<br />
wenn sich ein epileptischer Anfall<br />
ankündigte. Die Arbeitskollegin war vom<br />
Dienstgeber unter Hinweis auf die epileptischen<br />
Anfälle dazu aufgefordert worden, auf<br />
die Klägerin aufzupassen. Im Betrieb wurde<br />
auf diese Weise auf die Erkrankung der Klägerin<br />
Rücksicht genommen. Das Krankheitsbild<br />
besteht seit dem 5. Lebensjahr mit häufigen<br />
echten epileptischen Anfällen. Im Laufe<br />
des Lebens wurde das Zustandsbild noch<br />
durch dissoziative Anfälle verschlechtert. Ein<br />
Zeitpunkt, an dem diese Verschlechterung<br />
eingetreten ist, ist nicht mit Sicherheit festzustellen.<br />
Wegen hoher Verletzungsgefahr ist<br />
eine Tätigkeit, die nicht ununterbrochen beaufsichtigt<br />
wird, nicht verantwortbar. Zum<br />
Zeitpunkt des Eintritts in das Erwerbsleben<br />
bestand keine Fähigkeit, ohne Entgegenkommen<br />
des Dienstgebers Arbeiten am allgemeinen<br />
Arbeitsmarkt zu verrichten.<br />
OGH 1. 7. 2003, 10 ObS 165/03 t: Der 40-<br />
jährige Kläger leidet an epileptischen An -<br />
fällen, deren Ursache in einem zurückliegenden<br />
Alkoholkonsum und einem Schädel-Hirn-<br />
Trauma liegt. Es treten drei Typen von<br />
Anfällen auf: durchschnittlich zwei bis drei<br />
große Anfälle monatlich, verbunden mit Bewusstlosigkeit<br />
mit anschließender Orientierungslosigkeit<br />
und in der Folge Arbeitsunfähigkeit<br />
von jeweils ca. zwei Stunden. Beim<br />
zweiten Anfallstyp ist der Kläger kurz weggetreten<br />
und hat Erinnerungslücken, dies ca.<br />
fünfmal pro Monat. Daraus resultiert eine Arbeitsunfähigkeit<br />
von etwa 15 Minuten. Der<br />
dritte, leichte Anfallstyp (epigastrische Auren)<br />
äußert sich in einem unguten Gefühl in der<br />
Magengegend, dies zwischen drei- und viermal<br />
monatlich, wobei die Dauer der Arbeitsunfähigkeit<br />
ebenfalls etwa 15 Minuten beträgt.<br />
Die Anfälle ereignen sich zu keinen bestimmten<br />
Tageszeiten, treten an jedem<br />
Wochentag auf, unabhängig davon, ob der<br />
Kläger arbeitet oder nicht. Von Februar bis<br />
August 2002 erlitt der Kläger insgesamt 77<br />
Anfälle. Die schweren Anfälle nehmen zu.<br />
Diskussion<br />
Völlige Übereinstimmung aller <strong>neurologisch</strong>en<br />
GutachterInnen wird grundsätzlich nicht erreichbar<br />
sein. Nach Möglichkeit sollten aber<br />
alle <strong>neurologisch</strong>en GutachterInnen die gleichen<br />
in Betracht kommenden Behinderungen<br />
oder Störungen berücksichtigen und sich von<br />
der Ansicht trennen, dass allein der Anfallstyp<br />
und die Frequenz der Anfälle von Bedeutung<br />
sind. Die Problematik sollte nach folgenden<br />
Richtlinien bearbeitet werden:<br />
1. Anfallstyp (Praktisch nur tageszeitlich<br />
ungebundene Anfälle sind bedeutsam.)<br />
2. Frequenz<br />
3. Länge der postiktischen Beeinträchtigung;<br />
Ausfall über einen Tag? Ausfall<br />
nur kurz?<br />
4. Verletzungsrisiko bzw. Voraussehbarkeit<br />
des drohenden Anfalles? (Aura?)<br />
Commotio cerebri durch Sturz?<br />
5. Hirnorganisches Psychosyndrom und/oder<br />
medikamentöse Beeinträchtigung<br />
6. Komorbitäten<br />
7. Leidensbedingte Krankenstandszeiten<br />
durch Komorbitäten werden durch<br />
Anfälle meist negativ beeinflusst.<br />
8. Berufsschutz (Bestimmte Berufe sind mit<br />
Anfällen nicht vereinbar.)<br />
Zu Punkt 1. ist festzuhalten, dass die Schlaf -<br />
epilepsie und Aufwachepilepsie für sich alleine<br />
in der Regel keinen Ausschluss von der<br />
Arbeitsfähigkeit darstellen, allerdings wird<br />
eine Schlafepilepsie mit hoher Frequenz<br />
ebenfalls zu einem organischen Psychosyndrom<br />
führen. Auch die Frequenz (Punkt 2.)<br />
ist für sich alleine in vielen Fällen, selbst bei<br />
völlig unbefriedigender Einstellung, nicht entscheidend,<br />
wie aus den zitierten oberstgerichtlichen<br />
Entscheidungen hervorgeht.<br />
Wichtiger ist hingegen Punkt 3., die Länge<br />
der postiktischen Beeinträchtigung, die<br />
manchmal nur kurz ist, sich hin und wieder<br />
aber doch länger als über einen Tag erstreckt.<br />
Wichtig erscheint schließlich vor allem Punkt<br />
4., die Voraussehbarkeit des drohenden Anfalles,<br />
weil davon entscheidend das Verletzungsrisiko<br />
bestimmt wird. Wird der/die PatientIn<br />
vom Anfall völlig überrascht, sind<br />
Sturzverletzungen häufig. Es kann auch zu<br />
Knochenbrüchen kommen. Zu bedenken ist,<br />
dass auch im Anfall durch den Sturz eine<br />
Commotio cerebri zugefügt werden kann.<br />
Praktisch jeder GM-Anfall stellt durch die Zyanose<br />
eine minimale Hirnschädigung dar, die<br />
sich allmählich summiert. Werden immer wieder<br />
durch den Sturz zusätzliche Commotiones<br />
zugefügt, dann beschleunigt dies das<br />
Auftreten eines Psychosyndroms und verlängert<br />
Krankenstandszeiten möglicherweise<br />
drastisch. Daher ist (Punkt 5.) bei unbefriedigendem<br />
Anfallsverlauf im besonderen<br />
Maße auf ein allfälliges hirnorganisches Psychosyndrom<br />
zu achten, das mitunter die Arbeitsfähigkeit<br />
in höherem Ausmaß beeinträchtigt<br />
als die Anfälle selbst. Die modernen<br />
Antikonvulsiva sind nebenwirkungsarm, d. h.<br />
kaum sedierend, doch ist an Interaktionen<br />
mit Medikamenten zu denken, die aus anderen<br />
Gründen verordnet werden.<br />
Bedeutsam ist auch Punkt 6., die Komorbitäten,<br />
die durch gleichzeitige zerebrale Anfälle<br />
negativ beeinflusst werden können. In<br />
56
der Praxis wird gehandhabt, dass voraussehbare<br />
leidensbedingte Krankenstandszeiten<br />
aus verschiedenen Fachgebieten nicht addiert,<br />
sondern durch „Überschneidungen“<br />
gerafft werden. Zu bedenken ist dabei, dass<br />
Anfälle die leidensbedingten Krankenstandszeiten<br />
aus Komorbitäten vermehren können<br />
(Punkt 7.). Bekanntlich kann bisweilen ein<br />
GM-Anfall zu einem Kompressionsbruch von<br />
Wirbelkörpern führen. Dies ist zwar selten,<br />
wenn aber das orthopädische Gutachten aus<br />
einer Erkrankung der Wirbelsäule gewisse<br />
Krankenstandszeiten als wahrscheinlich hinstellt,<br />
dann können zusätzliche zerebrale Anfälle<br />
diese Krankenstandszeiten in die Höhe<br />
schnellen lassen. Wenn z. B. das orthopädische<br />
Gutachten leidensbedingte Krankenstandszeiten<br />
von vier bis fünf Wochen als<br />
wahrscheinlich voraussagt, dann können<br />
häufige GM-Anfälle die Krankenstandszeit<br />
über die Sieben-Wochen-Grenze anheben.<br />
Zuletzt ist auf den Berufsschutz zu verweisen<br />
(Punkt 8.). Manche Berufe sind mit zerebralen<br />
Anfällen unvereinbar. Hierzu ist vor allem auf<br />
das Beispiel des/der FlugzeugpilotIn zu verweisen,<br />
der/die wohl aufgrund eines einzigen<br />
Anfalles die Fähigkeit zu dieser Berufsausübung<br />
verliert. Allerdings verschiebt sich bei<br />
diesen Fällen die Problematik aus dem <strong>neurologisch</strong>-medizinischen<br />
Fachbereich hin zur<br />
Berufskunde bzw. wird sie zu einer reinen<br />
Rechtsfrage, weil die Verweisbarkeit in einen<br />
allfällig zumutbaren anderen Beruf den <strong>neurologisch</strong>en<br />
SV nur am Rande berührt.<br />
Abschließend ist nochmals auf das hirnorganische<br />
Psychosyndrom zu verweisen, das oftmals<br />
in höherem Ausmaß die rechtliche Voraussetzung<br />
zur Pensionierung begründet als<br />
die Anfälle selbst. Insofern erscheint es bedauerlich,<br />
dass Testuntersuchungen in der<br />
Mitte des vorigen Jahrhunderts gänzlich den<br />
PsychologInnen überlassen wurden und<br />
heute in der Fachausbildung kaum mehr die<br />
Möglichkeit besteht, Testverfahren zu erlernen.<br />
Jede/r gutachterlich tätige Neurologe/-in<br />
sollte doch zumindest einige Tests für Screeninguntersuchungen<br />
erwerben (es soll nicht<br />
unerwähnt bleiben, dass durch die Entscheidung<br />
des OGH vom 6. 5. 2010 – 12 Os<br />
22/10t, 12 Os 23/10i – diese Testuntersuchungen<br />
durch ÄrztInnen auch verrechenbar<br />
sind). Allenfalls haben <strong>neurologisch</strong>e SV auf<br />
die Notwendigkeit einer psychologischen<br />
bzw. arbeitspsychologischen Untersuchung<br />
zu verweisen. Möglich wäre, dass der <strong>neurologisch</strong>e<br />
SV ein psychologisches Subgutachten<br />
ausarbeiten lässt, was von den Gerichten<br />
regelmäßig bewilligt wird.<br />
Auffällig ist, dass in keiner Entscheidung die<br />
Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms<br />
enthalten ist, was nur an den <strong>neurologisch</strong>en<br />
SV liegen kann, die eine solche<br />
Diagnose offenbar kaum stellen und zu<br />
wenig auf die daraus resultierenden Behinderungen<br />
verweisen. Dass in der Rechtsprechung<br />
organische Psychosyndrome nicht aufscheinen,<br />
kann nur daran liegen, dass die<br />
<strong>neurologisch</strong>en SV diesen ganzen Problemkreis<br />
zu wenig berücksichtigen. In vielen Fällen<br />
einer unbefriedigenden Einstellung einer<br />
seit Kindheit bestehenden Epilepsie ist der<br />
fortschreitende Abbau kognitiver Leistungen<br />
entscheidender als die Anfallsfrequenz. n<br />
1 Scherzer, Krösl: Handbuch der chirurgischen und<br />
<strong>neurologisch</strong>en Unfallbegutachtung in der Privatunfallversicherung.<br />
Maudrich, Wien-München-Berlin 1994,<br />
S 526<br />
2 Smutny, Laubichler: Epilepsie und geminderte Arbeits -<br />
fähigkeit. ZAS 03/2011;169<br />
3 Thorbeck, Rating: Was denkt man über Epilepsie?<br />
Epilepsie-Blätter 1996; 9:71–95<br />
4 Brandt: Meinungen und Einstellungen zur Epilepsie,<br />
Informationszentrum Epilepsie (ize) der Dt. <strong>Gesellschaft</strong><br />
für Epileptologie e.V. 2010;<br />
www.izepilepsie.de/home/showdoc, ici, 387, aid, 3092,<br />
htme; Thorbeck, Pfäffling, May, Cobin, Stephani, Balsmeier:<br />
Einstellung zur Epilespsie in Deutschland 1967 –<br />
2008. Zeitschr. f. Epileptologie 2010:82–97<br />
5 Kempen, Elmer, Göcke: Handbuch Epilepsie u. Arbeit,<br />
Verlag Einfälle Berlin 2002<br />
<strong>neurologisch</strong><br />
Aktuelle wissenschaftliche Arbeiten aus Österreich<br />
Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen,<br />
In der Fachzeitschrift <strong>neurologisch</strong> der Österreichischen <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong> werden in der Rubrik „<strong>Neurologie</strong> aus<br />
Österreich“ bereits veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten österreichischer NeurologInnen in Kurzfassung vorgestellt.<br />
Wenn Sie eine deutsche Kurzfassung einer aktuellen, bereits publizierten oder in Druck befindlichen Studie, die Sie durchgeführt<br />
oder an der Sie mitgearbeitet haben, in <strong>neurologisch</strong> veröffentlichen wollen, ersuchen wir Sie um eine kurze Mitteilung an<br />
E-Mail: <strong>neurologisch</strong>@medmedia.at oder<br />
MedMedia Verlag, Natascha Fial, 1070 Wien, Seidengasse 9/Top 1.1<br />
Wir freuen uns auf Ihre Einsendung!<br />
Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />
Chefredaktion <strong>neurologisch</strong><br />
Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />
57
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Bewegungsstörungen<br />
Unterscheidung von psychogener<br />
und organischer Dystonie<br />
Zirka 2–3 % der PatientInnen in Bewegungsstörungskliniken<br />
leiden an einer psychogenen<br />
Bewegungsstörung. Die frühe Diagnosestellung<br />
gilt als modifizierender Faktor hinsichtlich<br />
Prognose und Langzeit-Outcome und ist<br />
entscheidend zur Vermeidung unnötiger und<br />
potenziell schädigender diagnostischer und<br />
therapeutischer Maßnahmen. Die Diagnose<br />
einer psychogenen Bewegungsstörung soll<br />
keinesfalls als reine Ausschlussdiagnose organischer<br />
Erkrankungen erfolgen, sondern<br />
anhand positiver klinischer und anamnestischer<br />
Kriterien. 1 Dennoch stellt die Diagnos -<br />
tik psychogener Bewegungsstörungen KlinikerInnen<br />
oft vor eine große Herausforderung,<br />
und apparative Hilfsmittel wären wünschenswert.<br />
Zur Unterscheidung von psychogenem<br />
versus organischem Tremor und Myoklonus<br />
wurden verschiedene elektrophysiologische<br />
Tests vorgeschlagen, und in der Differenzialdiagnose<br />
organischer versus psychogener<br />
Parkinsonismus kann ein Dopamintransporter<br />
SPECT hilfreich sein.<br />
psychogener und organischer Dystonie<br />
gewidmet. Überraschenderweise zeigten<br />
PatientInnen mit psychogener Dystonie dieselbe<br />
verminderte kortikale und spinale Inhibierung<br />
wie organische Dystonien. 3, 4 Dies<br />
könnte durch sekundäre zentrale Veränderungen<br />
bei chronischer abnormaler Körperhaltung,<br />
zentrale Prädisposition für die Entwicklung<br />
einer Dystonie oder aber durch eine<br />
zugrunde liegende psychiatrische Erkrankung<br />
bedingt sein. Einen „ersten Lichtblick“ für<br />
eine mögliche apparative Unterscheidung<br />
beider Gruppen ergab eine Studie von Quartarone<br />
et al., welche – zumindest auf Gruppenebene<br />
– abnorme kortikale Plastizität<br />
anhand eines TMS-Protokolls (PAS – paired<br />
associative stimulation) nur bei organischer<br />
Abb. 1: Doppelblinkreflex einer gesunden Kontrollperson<br />
Dystonie und nicht bei PatientInnen mit psychogener<br />
fixierter Extremitätendystonie<br />
fand. 5<br />
Studie bei Blepharospasmus<br />
Wir führten kürzlich eine Studie zur Unterscheidung<br />
von psychogenem und organischem<br />
Blepharospasmus durch. 6 Blepharospasmus<br />
ist eine fokale Dystonie mit spätem<br />
Beginn, gekennzeichnet durch exzessives<br />
unwillkürliches Schließen der Augen. Auch<br />
organischer Blepharospasmus kann mit<br />
„ungewöhnlichen“ Merkmalen assoziiert<br />
sein, indem er intermittierend, variabel und<br />
ablenkbar erscheint oder sich unter Umständen<br />
durch Konzentration und Anspannung<br />
Differenzialdiagnose bei Dystonie: Unsicherheiten<br />
bestehen häufig auch bei der<br />
Unterscheidung von psychogener und organischer<br />
Dystonie, was nicht zuletzt daran<br />
liegt, dass die Dystonie sehr lange fälschlicherweise<br />
generell als psychogene Störung<br />
erachtet wurde. Klinische Hinweise für das<br />
Vorliegen einer psychogenen Dystonie sind<br />
unter anderem plötzlicher Beginn, paroxysmales<br />
Auftreten und von Beginn an bestehende<br />
fixierte Körperfehlhaltungen, im<br />
Gegensatz zur mobilen und klassischerweise<br />
bei bestimmten Tätigkeiten verstärkten Ausprägung<br />
organischer Dystonien. 2<br />
Nur wenige elektrophysiologische Studien<br />
haben sich bisher der Unterscheidung von<br />
Applikation eines elektrischen Doppelreizes über dem Nervus supraorbitalis mit einem Interstimulus -<br />
intervall (ISI) von 200 ms und Ableitung mittels Oberfächen-EMG vom ipsilateralen M. orbicularis oculi<br />
zeigt eine signifikante Amplitudenabnahme im Vergleich der ersten (lila) unkonditionierten zur zweiten<br />
(grün) konditionierten R2-Antwort.<br />
Quelle: Schwingenschuh P<br />
58
-<br />
-<br />
-<br />
-<br />
-<br />
Zusammengestellt für den Beirat „Bewegungsstörungen“:<br />
Dr. Petra Schwingenschuh<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Graz<br />
Abb. 2: Vergleich der R2-Blinkreflex-Erholungskurven<br />
R2-konditioniert/R2-unkonditioniert (%)<br />
120 -<br />
100 -<br />
80 -<br />
60 -<br />
40 -<br />
20 -<br />
0<br />
*<br />
0,2 0,3 0,5 1,0 3,0<br />
bessert. Obwohl gewisse Merkmale wie zum<br />
Beispiel konstanter Lidschluss, früher und<br />
plötzlicher Beginn, Besserung mittels ungewöhnlicher<br />
Tricks eher typisch für psychogenen<br />
Blepharospasmus sind, ist dieser klinisch<br />
oft schwer von der organischen Erkrankung<br />
zu unterscheiden.<br />
Der Doppelblinkreflex ist eine Variante des<br />
Blinkreflexes, bei dem der natürliche Effekt<br />
der Habituation ausgenutzt wird. Elektrophysiologisch<br />
erfolgt ein kurz hintereinander<br />
abgegebener elektrischer Doppelreiz im<br />
*<br />
ISI (Sekunden)<br />
Dieser ergab einen signifikanten Gruppenunterschied, verursacht durch eine abnorm beschleunigte<br />
Erholungskurve der organischen Blepharospasmus-Gruppe (rot) im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe<br />
(blau) (p < 0,001) und zum psychogenen Blepharospasmus (grün) (p < 0.001). Die Amplitu -<br />
denreduktion der konditionierten im Vergleich zur unkonditionierten R2-Antwort in der psychogenen<br />
Blepharospasmus-Gruppe war signifikant bei ISI von 0,2, 0,3, 0,5 und 1 Sekunde, nicht jedoch bei<br />
3 Sekunden. Fehlerbalken entsprechen Standardfehlern des Mittelwertes. Sterne entsprechen einem<br />
Signifikanzlevel von 5 %.<br />
Quelle: Schwingenschuh P et al., Neurology 2011; 76(7):610–614<br />
*<br />
*<br />
Abstand von ca. 150–200 ms Interstimulus-<br />
Intervall (ISI). Dabei sollte es physiologischerweise<br />
zu einer Amplitudenabnahme um<br />
mehr als 30 % nach dem zweiten (= konditionierten)<br />
Reiz kommen (Abb. 1). Bei länger<br />
werdenden ISI normalisiert sich die Amplitude<br />
der konditionierten R2-Antwort wieder.<br />
Durch Aufzeichnen des Doppelblinkreflexes<br />
mit aufsteigenden ISI erhält man eine so<br />
genannte R2-Blinkreflex-Erholungskurve,<br />
welche die Erregbarkeit der Hirnstamm-Interneurone<br />
repräsentiert.<br />
Ergebnis: Wir bestätigten, dass die R2-Blink -<br />
reflex-Erholungskurve bei organischem Blepharospasmus<br />
im Sinne einer verminderten<br />
Inhibition verändert ist. Im Gegensatz dazu<br />
zeigten PatientInnen mit psychogenem Blepharospasmus<br />
eine normale Blinkreflex-Erholungskurve,<br />
was für eine normale Erregbarkeit<br />
der Hirnstamm-Interneurone und somit<br />
für eine andere Pathogenese als beim organischen<br />
Blepharospasmus spricht (Abb. 2).<br />
Die Test-Spezifität lag dabei bei 90 % und die<br />
Sensitivität bei 100 %. Die Aufzeichnung der<br />
R2-Blinkreflex-Erholungskurve erscheint<br />
daher als nützliches Hilfsmittel in der Differenzialdiagnose<br />
zwischen organischem und<br />
psychogenem Blepharospasmus. Weitere<br />
Studien sollten untersuchen, ob dieser Test<br />
auch zur Abgrenzung anderer psychogener<br />
Dystonieformen hilfreich ist.<br />
1 Fahn S and Williams D (1988), Psychogenic dystonia.<br />
Adv Neurol 50:431–455<br />
2 Hallett M (2010), Physiology of psychogenic movement<br />
disorders. J Clin Neurosci 17(8):959–965<br />
3 Espay AJ, Morgante F, Purzner J et al. (2006), Cortical<br />
and spinal abnormalities in psychogenic dystonia. Ann<br />
Neurol 59:825–834<br />
4 Avanzino L, Martino D, van de Warrenburg BP et al.<br />
(2008), Cortical excitability is abnormal in patients with<br />
the “fixed dystonia” syndrome. Mov Disord 23:646–652<br />
5 Quartarone A, Rizzo V, Terranova C et al. (2009), Abnormal<br />
sensorimotor plasticity in organic but not in psychogenic<br />
dystonia. Brain 132:2871–2877<br />
6 Schwingenschuh P, Katschnig P, Edwards MJ et al.<br />
(2011), The blink reflex recovery cycle differs between<br />
essential and presumed psychogenic blepharospasm.<br />
Neurology 76(7):610–614<br />
59
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Epilepsie<br />
Zusammengestellt im Namen des Beirats „Epilepsie“:<br />
Univ.-Prof. DI Dr. Christoph Baumgartner<br />
2. Neurologische Abteilung, Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel, Wien<br />
Neue Definition der medikamentösen<br />
Therapieresistenz bei Epilepsie<br />
Tab.: Outcome-Dimensionen<br />
Die Internationale Liga gegen Epilepsie hat<br />
kürzlich eine neue Definition für medikamentös<br />
therapieresistente Epilepsien vorgestellt 1 .<br />
Diese Definition soll in der täglichen klinischen<br />
Praxis anwendbar sein und so dem/der<br />
primär versorgenden Arzt/Ärztin (AllgemeinmedizinerIn,<br />
NeurologIn, EpileptologIn) ein<br />
Werkzeug in die Hand geben, um PatientInnen<br />
mit medikamentös therapieresistenten<br />
Epilepsien rasch zu erkennen und eine rasche<br />
Zuweisung an ein entsprechend spezialisiertes<br />
Zentrum zu ermöglichen.<br />
Anfallskontrolle Auftreten von Nebenwirkungen Outcome-Kategorie<br />
1. Anfallsfrei A. Nein 1A<br />
B. Ja 1B<br />
C. Unbestimmt 1C<br />
2. Therapieversagen A. Nein 2A<br />
B. Ja 2B<br />
C. Unbestimmt 2C<br />
3. Unbestimmt A. Nein 3A<br />
B. Ja 3B<br />
C. Unbestimmt 3C<br />
Die Definition umfasst<br />
2 „hierarchische“ Ebenen („Level“):<br />
In Ebene 1 (Level 1) wird das Ergebnis (Outcome)<br />
einer therapeutischen Intervention<br />
klassifiziert. Dabei werden einerseits die<br />
Anfallskontrolle (Kategorie 1: anfallsfrei; Kategorie<br />
2: nicht anfallsfrei bzw. Therapie -<br />
versagen; Kategorie 3: unbestimmt) sowie<br />
anderseits die Nebenwirkungen (A: keine<br />
Neben wirkungen; B: Nebenwirkungen; C:<br />
unbestimmt) beurteilt.<br />
Das Wesentliche der neuen Definition ist<br />
dabei, dass das Ergebnis (Outcome) einer therapeutischen<br />
Intervention nur dann in eine<br />
der genannten Kategorien klassifiziert werden<br />
kann, wenn diese Intervention passend<br />
(„appropriate“) und adäquat („adequate“)<br />
war. Eine Intervention ist dann passend („appropriate“),<br />
wenn für die vorliegenden Anfallstypen<br />
bzw. für das vorliegende Epilepsiesyndrom<br />
ein passendes Medikament gewählt<br />
wurde, d. h. die Wirksamkeit wurde bereits<br />
gezeigt, am besten in einer randomisierten<br />
kontrollierten Studie. Eine Intervention ist<br />
dann adäquat („adequate“), wenn die Therapie<br />
in einer ausreichenden Dosierung für<br />
eine ausreichend lange Zeit erfolgte.<br />
Das Ergebnis (Outcome) einer Intervention<br />
wird als unbestimmt definiert, wenn sie nicht<br />
adäquat war, d. h. die Therapie wurde auf<br />
Grund von Nebenwirkungen bei unzureichender<br />
Dosierung abgebrochen (z. B. auf Grund<br />
einer allergischen Reaktion) oder der/die PatientIn<br />
wurde im Follow-up verloren.<br />
Die Dauer der Anfallsfreiheit wird festgesetzt<br />
als entweder 12 Monate oder 3-mal das<br />
längs te anfallsfreie Intervall vor der Intervention,<br />
was immer länger ist. Wenn ein(e) PatientIn<br />
weniger als 12 Monate, aber länger<br />
als 3-mal das längste anfallsfreie Intervall vor<br />
der Intervention anfallsfrei geblieben ist, wird<br />
sein/ihr Outcome als „unbestimmt“ klassifiziert,<br />
erleidet er/sie einen erneuten Anfall innerhalb<br />
von 12 Monaten, wird er/sie als<br />
„nicht anfallsfrei“ bzw. „Therapieversagen“<br />
klassifiziert.<br />
Nebenwirkungen werden entsprechend der<br />
World Health Organization 2 (1972) definiert<br />
als „any response to an intervention which<br />
is noxious and unintended, and which occurs<br />
when the intervention is applied with modalities<br />
normally used in humans for the<br />
treatment of epilepsy“, also jegliche Reaktion<br />
auf eine Intervention, die schädlich und unbeabsichtigt<br />
ist und die bei einer Intervention<br />
unter Modalitäten auftritt, die normalerweise<br />
für die Behandlung von Epilepsien angewendet<br />
werden.<br />
In Ebene 2 (Level 2) erfolgt dann die Definition<br />
der therapieresistenten Epilepsie.<br />
„Drug resistant epilepsy may be defined as<br />
failure of adequate trials of two tolerated<br />
and appropriately chosen and used AED schedules<br />
(whether as monotherapies or in combination)<br />
to achieve sustained seizure freedom“,<br />
d. h. eine therapieresistente Epilepsie<br />
wird definiert als das Versagen von adäquaten<br />
Versuchen mit 2 tolerierten und passend<br />
gewählten und verwendeten Antiepileptika-<br />
Therapieplänen (entweder als Monotherapie<br />
oder als Kombinationstherapie), um anhaltende<br />
Anfallsfreiheit zu erreichen.<br />
In anderen Worten entspricht eine Therapieresistenz<br />
einem Ergebnis (Outcome) der Kategorie<br />
2 für mindestens 2 Therapiepläne,<br />
wobei für die derzeitige Therapie kein Ergebnis<br />
(Outcome) der Kategorie 1 gegeben sein<br />
darf. Dabei ist zu beachten, dass die Epilepsie<br />
eines/einer Patienten/-in als dynamischer und<br />
nicht als statischer Prozess anzusehen ist und<br />
die Einstufung als therapieresistent nur für<br />
einen gegebenen Zeitpunkt gültig ist und<br />
nicht bedeutet, dass der/die PatientIn niemals<br />
anfallsfrei werden kann. Zudem ist es möglich,<br />
dass ein(e) PatientIn zu einem gegebenen<br />
Zeitpunkt weder die Definition von Anfallsfreiheit<br />
noch von Therapieversagen erfüllt,<br />
das Ansprechen auf die Therapie wird<br />
dann vorübergehend als „unbestimmt“ klassifiziert.<br />
1 Kwan P, Arzimanoglou A, Berg AT, Brodie MJ, Allen<br />
Hauser W, Mathern G, MosheSL, Perucca E, Wiebe S,<br />
French J, Definition of drug resistant epilepsy: Consensus<br />
proposal by the ad hoc Task Force of the ILAE<br />
Commission on Therapeutic Strategies. Epilepsia 2010;<br />
51:1069–77<br />
2 World Health Organization.International Drug Monitoring:<br />
the Role of National Centres. Techn Rep Series WHO,<br />
Geneva, 1972, p. 498<br />
60
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Schlafstörungen<br />
Zusammengestellt im Namen des Beirats „Schlafstörungen“:<br />
Univ.-Prof. Dr. Birgit Högl<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Innsbruck<br />
KOGGE - FOTOLIA.COM<br />
RLS und Friedreich-<br />
Ataxie – interessante<br />
Zusammenhänge<br />
Ein aktuell in Movement Disorders publizierter<br />
Artikel 1 zeigt, dass 8 von 16 PatientInnen<br />
mit genetisch gesicherter<br />
Friedreich-Ataxie auch ein Restless-Legs-<br />
Syndrom hatten. Interessanterweise hatten<br />
Friedreich-PatientInnen mit RLS signifikant<br />
niedrigeres Ferritin als solche ohne<br />
(76 vs. 176 µg/l). Die PatientInnen mit<br />
RLS hatten zudem mehr periodische<br />
Beinbewegungen im Wachzustand, und<br />
diese korrelierten invers mit dem Ferritinspiegel.<br />
Diese Befunde sind gut vereinbar mit<br />
dem pathophysiologischen Konzept einer<br />
gestörten spinalen sensomotorischen Integration<br />
beim RLS. In der Pathophysiologie<br />
der Friedreich-Ataxie spielen Neuronenverlust<br />
und -schrumpfung in den<br />
Hinterhornzellen und der Clarke-Säule<br />
des Myelons eine Rolle, und interessanterweise<br />
haben genomweite Assoziationsstudien<br />
des RLS häufige Varianten im<br />
SCOR1-1-Gen auf Chromosom 15q gezeigt,<br />
welches eine wichtige Rolle in der<br />
Entwicklung von sensorischen Bahnen im<br />
Rückenmark hat 2 .<br />
Die Assoziation mit niedrigen Serumferritin<br />
ist erstmalig beschrieben und im Hinblick<br />
auf die pathophysiologischen Hinweise<br />
für abnorme intrazelluläre Eisenverteilung<br />
sowohl bei Friedreich-Ataxie<br />
als auch bei RLS äußerst interessant und<br />
weiter zu untersuchen.<br />
1<br />
Frauscher B, Hering S, Högl B, Gschliesser V, Ulmer<br />
H, Poewe W, Boesch SM, Restless legs syndrome in<br />
Friedreich ataxia: A polysomnographic study. Mov<br />
Disord. 2011; 26:302–6.<br />
2<br />
Winkelmann J Genome-wide association study of<br />
restless legs syndrome identifies common variants<br />
in three genomic regions Nat Gen 2007<br />
Pramipexol in der Behandlung des Restless-Legs-Syndroms:<br />
Wirksamkeit und Augmentation<br />
Im April 2011 erschien in Sleep Medicine eine<br />
Studie zur Wirksamkeit und zur Augmentation<br />
mit Pramipexol bei Behandlung des Restless-Legs-Syndroms<br />
1 .<br />
Studiendesign: Untersucht wurde in einem<br />
doppelblinden Design Pramipexol im Vergleich<br />
zu Placebo, wobei die Pramipexol-Dosis<br />
nach Bedarf bis auf 0,54 mg pro Tag gesteigert<br />
werden konnte. Die Behandlung wurde<br />
über ein halbes Jahr durchgeführt. Der Haupt -<br />
endpunkt dieser Langzeitstudie war die Veränderung<br />
in der Schwereskala der Internationalen<br />
RLS Study Group (IRLS). Die Besonderheit<br />
bei dieser Studie war dass bei allen<br />
PatienInnnen, die vordefinierte Hinweise auf<br />
mögliche Augmentation zeigten, von einem<br />
geblindeten Expertenpanel nach einem festgelegten<br />
Algorithmus untersucht wurde, ob<br />
Augmentation vorlag oder nicht. 321 PatientInnen<br />
wurden eingeschlossen, 234 kamen<br />
bis zum Ende der Studie.<br />
Ergebnisse: Wie erwartet, zeigte Pramipexol<br />
im Vergleich zur Placebo eine überlegene<br />
Wirksamkeit in der Behandlung des RLS.<br />
Das Hauptinteresse lag auf den Augmenta -<br />
tionsdaten: So betrug die Inzidenz für vom<br />
ExpertInnenpanel bestätigte Augmentation<br />
9,2 % für Pramipexol und 6 % für Placebo.<br />
Die Rate an Augmentation oder die Häufigkeit<br />
von Augmentation nahm mit zunehmender<br />
Behandlungsdauer zu, aber nur in der<br />
Pramipexol-Gruppe und nicht in der Placebo-<br />
Gruppe. Insgesamt zeigte diese Studie, dass<br />
Pramipexol über 6 Monate eine sichere und<br />
effektive Behandlung des RLS ist und gut vertragen<br />
wird. Die hohe Variabilität der Wirksamkeit<br />
in den verschiedenen Ländern ist<br />
auch ein Hinweis darauf, dass die Datenqualität<br />
von Land zu Land bzw. von Zentrum zu<br />
Zentrum in so einer Studie deutlich variieren<br />
kann.<br />
Kommentar: Das mit längerer Behandlungsdauer<br />
ansteigende Risiko für Augmentation<br />
zeigt jedoch ganz klar, dass wesentlich längere<br />
Studien als 6 Monate erforderlich sind.<br />
Außerdem zeigte sich auch, dass beginnende<br />
oder milde Augmentation für ein externes ExpertInnenpanel,<br />
das keinen direkten Kontakt<br />
zu den PatientInnen hat, sehr schwer von<br />
spontanen Fluktuationen der RLS-Schwere zu<br />
unterscheiden ist. Die vergleichsweise geringe<br />
und niedrige Augmentationsrate in der vorliegenden<br />
Studie liegt jedoch möglicherweise<br />
auch daran, dass nur PatientInnen mit nicht<br />
depletierten Eisenspeichern eingeschlossen<br />
wurden (Ferritin > 30 µg/l war Einschlusskriterium).<br />
1 Högl B, Garcia-Borreguero D, Trenkwalder C, Ferini-<br />
Strambi L, Hening W, Poewe W, Brenner SS, Fraessdorf<br />
M, Busse M, Albrecht S, Allen RP, Efficacy and augmentation<br />
during 6 months of double-blind pramipexole for<br />
restless legs syndrome. Sleep Med. 2011; 12(4):351–60<br />
63
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Schlafstörungen<br />
Workshop der internationalen RBD Study Group (IRBDSG)<br />
In Marburg, Deutschland, fand von 29. 4. bis<br />
1. 5. 2011 ein Workshop der internationalen<br />
RBD (REM Sleep Behavior Disorder) Study<br />
Group statt, das von der National Parkinson<br />
Foundation (NPF) unterstützt wurde.<br />
Das Programm begann mit einem Update<br />
über die RBD-Forschung und intensiver Diskussion<br />
über neue Ergebnisse aus der Grundlagenforschung<br />
im Bereich der RBD, vor allem<br />
Muskelaktivität bei RBD und deren Messung<br />
im Tierversuch. Pierre-Hervé Luppi aus Lyon,<br />
Martina Krenzer aus Zürich und Yuan-Yang<br />
Lai aus Los Angeles berichteten über ihre Methoden<br />
und Ergebnisse.<br />
Eine weitere Sitzung war der Fragestellung<br />
gewidmet, wie man EMG-Aktivität bei RBD<br />
im klinischen Setting am besten untersucht.<br />
Verschiedene Modelle wurden vorgestellt:<br />
Luigi Ferini-Strambi aus Mailand berichtete<br />
über den italienischen Ansatz zur computergestützten<br />
Auswertung der Kinnmuskelaktivität,<br />
Geert Mayer aus Schwalmstadt-Treysa,<br />
Deutschland, stellte einen anderen computergestützten<br />
Ansatz vor und Ronald Postuma<br />
aus Montreal einen manuellen polysomnographiegestützten<br />
Ansatz zur Quantifikation<br />
von Muskelaktivität im REM-Schlaf bei RBD-<br />
PatientInnen<br />
Neue Daten zur Muskelaktivität: Birgit<br />
Frauscher aus Innsbruck stellte schließlich<br />
neue und noch unpublizierte Daten zur Quantifikation<br />
von Muskelaktivität im REM-Schlaf<br />
bei PatientInnen mit RBD vor, die aus der SIN-<br />
BAR-Koooperation (Sleep Innsbruck-Barcelona)<br />
entstanden sind. Die SINBAR-Gruppe<br />
quantifizierte erstmals an einer großen Zahl<br />
von 30 RBD-PatientInnen und 30 Kontrollpersonen<br />
ohne RBD systematisch tonische, phasische<br />
und jegliche Muskelaktivität in insgesamt<br />
11 verschiedenen Muskeln.<br />
Damit wurde ein sehr großer Datenpool bei<br />
RBD-PatientInnen und Kontrollen gewonnen,<br />
der zum allerersten Mal in der RBD-Forschung<br />
die Angabe von Normwerten und Cut-off-<br />
Werten erlaubt, d. h. ab wann erhöhte Muskelaktivität<br />
im REM-Schlaf tatsächlich pathologisch<br />
ist.<br />
Dies ist für die Diagnose der RBD von entscheidender<br />
Bedeutung, da eine geringe<br />
phasische Muskelaktivität in Zusammenhang<br />
mit REM-Schlaf auch bei gesunden SchläferInnen<br />
ohne RBD zu finden und bei diesen<br />
als physiologisch zu werten ist. Die TeilnehmerInnen<br />
des Workshops entschieden, diese<br />
Methode der SINBAR-Gruppe für die weitere<br />
RBD-Forschung der IRBDSG zu verwenden.<br />
Von der IRBDSG ist eine doppelblinde Studie<br />
zur symptomatischen Behandlung der RBD<br />
geplant.<br />
Die besondere Bedeutung der RBD, welche<br />
auch das große Interesse von NeurologInnen<br />
an dieser Schlafstörung erklärt, liegt<br />
darin, dass nach übereinstimmenden Ergebnissen<br />
mittlerweile mehrerer Studien beeindruckend<br />
gezeigt werden konnte, dass im<br />
Verlauf ein großer Teil der RBD-PatientInnen<br />
eine neurodegenerative Erkrankung, am häufigsten<br />
ein Parkinson-Syndrom, entwickeln.<br />
Eine rechtzeitige und zuverlässige Diagnose<br />
der RBD ist daher notwendig. Nach den allgemein<br />
akzeptierten Kriterien ist diese Diagnose<br />
nur mittels Schlaflabor möglich, wobei<br />
die Aufzeichnung und Auswertung der Muskelaktivität<br />
im Schlaf spezielle Kenntnisse erfordern,<br />
die nur in <strong>neurologisch</strong>en Schlaflaboren<br />
erbracht werden können.<br />
Sehr geehrte Leserinnen und Leser!<br />
Der vorliegenden Ausgabe von <strong>neurologisch</strong> liegen die aktuellen<br />
„die PUNKTE“ <strong>Neurologie</strong> bei.<br />
Der DFP-Beitrag von Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Innsbruck, widmet<br />
sich der multiplen Sklerose. In den letzten Jahren gab es erhebliche<br />
Fortschritte in der Diagnostik und Therapie der MS. Praxisgerecht<br />
aufbereitet fasst der Artikel den aktuellen Wissensstand<br />
zur Immunpathogenese, Neuropathologie, Klinik, Diagnose und Differenzialdiagnosen<br />
sowie zu den zur Verfügung stehenden Therapien<br />
zusammen.<br />
Nicht weniger praxisrelevant ist der DFP-Beitrag von Univ.-Prof. DDr.<br />
Josef Zeitlhofer, Wien. Wie verbreitet Schlafstörungen sind, zeigen<br />
epidemiologischen Studien, die eine Prävalenz von 20–30 % angeben.<br />
Der Artikel befasst sich mit den häufigsten <strong>neurologisch</strong>en<br />
Schlafstörungen und stellt das praktische Management in Diagnose<br />
und Therapie dar.<br />
Sollte Ihrer <strong>neurologisch</strong>-Ausgabe keine aktuelle Ausgabe von<br />
„die PUNKTE“ beiliegen, besteht die Möglichkeit, diese unter<br />
<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at anzufordern.<br />
Diese Möglichkeit besteht ebenso<br />
für bereits erschienene Ausgaben:<br />
die PUNKTE NEUROLOGIE 1/09<br />
- Demenzen: Diagnostik und<br />
Therapie<br />
die PUNKTE NEUROLOGIE 1/10<br />
- Diagnose und Therapie<br />
der Epilepsie<br />
- Karpaltunnelsyndrom und andere Engpasssyndrome<br />
des Nervus medianus<br />
die PUNKTE NEUROLOGIE 2/10<br />
- Morbus Parkinson: Diagnose und Therapie<br />
- Neuroborreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis<br />
die PUNKTE NEUROLOGIE 1/11<br />
- Migräne – Klinik, Diagnostik, Akuttherapie und Prophylaxe<br />
64
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Schlaganfall<br />
Zusammengestellt im Namen<br />
des Beirats „Schlaganfall“:<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Michaela M. Pinter 1<br />
Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c.<br />
Michael Brainin 1, 2<br />
1 Zentrum für klinische Neurowissenschaften, Donau-Universität Krems;<br />
2 Neurologische Abteilung, Landesklinikum Tulln<br />
Interdiziplinäre Krems-Konferenzen<br />
Funktionelle elektrische Stimulation<br />
Im Juni 2010 startete das Zentrum für Klinische<br />
Neurowissenschaften an der Donau-<br />
Universität Krems eine Serie von „Krems-Konferenzen“,<br />
bei denen aktuelle Themen der<br />
Neurorehabilitation, die für die interdisziplinäre<br />
Praxis und Forschung relevant sind, behandelt<br />
werden. Hervorstechendes Merkmal<br />
der Krems-Konferenzen ist eine Kombination<br />
von Vortragsserien und themenbezogenen<br />
Workshops sowie der interdisziplinäre Charakter,<br />
angesprochen werden sowohl ÄrztInnen<br />
als auch TherapeutInnen.<br />
Ein Schwerpunkt von 3 Krems-Konferenzen<br />
ist die funktionelle elektrische Stimulation<br />
(FES) bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems<br />
(Upper Motor Neuron Diseases).<br />
Ziel der ersten interdisziplinären Tagung, die<br />
am 1. April 2011 stattfand, war es, Basiswissen<br />
der elektrischen Stimulation in der<br />
Applikation und Indikationsstellung zu vermitteln.<br />
Die weiteren Tagungen am 11. Oktober<br />
2011 und am 24. Februar 2012 beschäftigen<br />
sich mit Indikationen und speziellen<br />
Einstellungen bei der FES der unteren<br />
sowie der oberen Extremitäten.<br />
Das Konzept der FES wurde bereits in den<br />
1960er Jahren von Liberson eingeführt 1 . Prinzip<br />
der FES ist, dass durch die Applikation der<br />
elektrischen Stimulation die Bewegung eines<br />
oder mehrerer gelähmter Muskeln in der<br />
Funktion unterstützt und aktiviert wird. Angewandt<br />
wird diese Therapiemethode bei<br />
zentral bedingter Vorfußheberschwäche (Fallfuß)<br />
nach Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma,<br />
Rückenmarkverletzung und bei multipler Sklerose.<br />
Durch Innovationen in der biomedizinischen<br />
Technologie hat sich im Laufe der Jahre<br />
das Therapiefeld der FES sowohl in Bezug der<br />
Indikationsstellung als auch hinsichtlich des<br />
Spektrums der Modalitäten geändert – ein<br />
rezentes Update wird im Rahmen der Krems-<br />
Konferenzen zum Thema FES vermittelt.<br />
Funktionelle elektrische Stimulation<br />
(FES) – mit Oberflächenelektroden<br />
bzw. mit intramuskulären<br />
Elektroden<br />
Die Indikation zur FES hat sich gegenüber den<br />
1960er Jahren nicht geändert. Die funktionelle<br />
elektrische Stimulation dient der aktiven<br />
Unterstützung einer Bewegungssequenz in<br />
ACTIGAIT DER FA. OTTO BOCK<br />
der Funktion. Je nach Bewegungssequenz<br />
werden Einkanalstimulatoren, Zweikanalstimulatoren<br />
oder Dreikanalstimulatoren bzw.<br />
Mehrkanalstimulatoren verwendet.<br />
Als Beispiel soll hier die Einkanalstimulation<br />
bei Vorfußheberschwäche bei zentralen Paresen<br />
(Drop Foot) angeführt werden: Prinzipiell<br />
ausgelöst wird die Stimulation durch<br />
einen Fußschalter, der an der Ferse der betroffenen<br />
Seite platziert ist. Die aktive Elektrode<br />
wird über den N. peronaeus (direkt u<br />
Abb.: Implantierbares System zur funktionellen Peronaeusstimulation<br />
65
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Schlaganfall<br />
hinter dem Caput fibulae) angebracht, die<br />
indifferente Elektrode über dem M. tibialis<br />
anterior. Das Prinzip ist, dass in der Schwungphase<br />
des Gehens die Hebung des Vorfußes<br />
durch die Stimulation aktiv unterstützt wird.<br />
Ausgelöst wird die Stimulation durch einen<br />
an der Ferse angebrachten Fußschalter, der<br />
durch Abheben der Ferse vom Boden die<br />
elektrische Stimulation des Nervus peronaeus<br />
und konsekutiv des Vorfußhebers (M. tibialis<br />
anterior) initiiert.<br />
Effekte der kontinuierlichen FES sind eine Verbesserung<br />
der Vorfußhebung, eine Kräftigung<br />
der stimulierten Muskeln, eine Abnahme<br />
der Spastizität sowie eine Zunahme der<br />
Schrittlänge, der Gehgeschwindigkeit und<br />
der Ausdauer beim Gehen – insgesamt eine<br />
Verbesserung der Gangökonomie und damit<br />
der Lebensqualität 2, 3 . In einem systematischen<br />
Review konnte gezeigt werden, dass<br />
FES bei SchlaganfallpatientInnen mit Vorfußheberschwäche<br />
zu einer Erhöhung der Gehgeschwindigkeit<br />
um 0,13 m/s (Range 0,07–<br />
0,2 m/s) bzw. um 38 % (Range 22,18 bis<br />
53,8 %) führt 4 . Der therapeutische Effekt der<br />
FES wird noch durch eine Meta-Analyse untermauert,<br />
in der eine signifikante Erhöhung<br />
der Gehgeschwindigkeit um 0,18 m/s dokumentiert<br />
werden konnte 5 .<br />
In einer rezenten randomisierten kontrollierten<br />
Studie wurde bei 53 chronischen SchlaganfallpatientInnen<br />
der Effekt von FES mit intramuskulären<br />
Elektroden kombiniert mit<br />
Laufband- und Gangtraining untersucht. Im<br />
primären Gang-Outcome-Parameter dem<br />
„Gait Assessment and Intervention Tool“<br />
(G.A.I.T.) zeigte sich bei der FES-Gruppe<br />
verglichen mit der No-FES-Gruppe eine additive<br />
Verbesserung auf Signifikanzniveau<br />
(p = 0,045), diese Verbesserung war auch<br />
noch 6 Monate nach Abschluss des Trainings<br />
nachweisbar 6 .<br />
Funktionelle Elektrostimulation<br />
(FES) – implantierbares System<br />
Wird die FES mittels Oberflächenelektroden<br />
quasi zu einer „Dauerlösung“, ist die Indikation<br />
gegeben, eine vierpolige Ringelektrode<br />
direkt über den N. peronaeus (motorischer<br />
Anteil) zu implantieren. Über eine Antenne<br />
wird die Stimulation des N. peronaeus – getriggert<br />
über einen Fersenschalter – von der<br />
extern getragenen Kontrolleinheit ausgelöst.<br />
Durch Feinabstimmung der Stimulationsparameter<br />
der 4-poligen Ringeleltrode kann je<br />
nach Bedarf die Dorsalflexion bzw. Eversion<br />
des Vorfußes forciert werden. Voraussetzung<br />
für die Implantation der 4-poligen Ring -<br />
elektrode sind eine FES mit Oberflächenelektroden<br />
über einen Zeitraum von mindestens<br />
3 Monaten. Effekt der kontinuierlichen FES<br />
ist – wie bei der FES mit Oberflächenelektroden<br />
– eine Verbesserung der Gangökonomie<br />
4, 7 .<br />
1 Liberson WT, Holmquest HJ, Scot D, Dow M, Functional<br />
electrotherapy: stimulation of the peroneal nerve<br />
synchronized with the swing phase of the gait of<br />
hemiplegic patients. Arch Phys Med Rehabil 1961;<br />
42:101–5<br />
2 Taylor PN, Burridge JH, Dunkerley AL, Wood DE, Norton<br />
JA, Singleton C, Swain ID, Clinical use of the Odstock<br />
dropped foot stimulator: its effect on the speed an<br />
effort of walking. Arch Phys Med Rehabil. 1999;<br />
80(12):1577–83<br />
3 Esnouf JE, Taylor PN, Mann GE, Barrett CL, Impact on<br />
activities of daily living using a functional electrical<br />
stimulation device to improve dropped foot in people<br />
with multiple sclerosis, measured by the Canadian<br />
Occupation Performance Measure. Mult Scler 2010;<br />
16(9):1141–7<br />
4 Kottink AI, Oostendorp LJ, Buurke JH, Nene AV,<br />
Hermens HJ, IJzerman MJ, The orthotic effect of<br />
functional electrical stimulation on the improvement of<br />
walking in stroke patients with a dropped foot: a<br />
systematic review. Artif Organs 2004; 28:577–86.<br />
5 Robbins SM, Houghton PE, Woodbury MG, Brown JL,<br />
The therapeutic effect of functional and transcutaneous<br />
electric stimulation on improving gait speed in stroke<br />
patients: a meta- analysis. Arch Phys Med Rehabil 2006;<br />
87:853–9<br />
6 Daly JJ, Zimbelman J, Roenigk KL, McCabe JP, Rogers<br />
JM, Butler K, Burdsal R, Holcomb JP, Marsolais EB, Ruff<br />
RL, Recovery of coordinated gait: randomized controlled<br />
stroke trial of functional electrical stimulation (FES)<br />
versus no FES, with weight-supported treadmill and<br />
over-ground training. Neurorehabil Neural Repair 2011<br />
Apr 22<br />
7 Burridge J, Haugland M, Larsen B, Pickering RM,<br />
Svaneborg N, Iversen HK, Christensen B, Haase J,<br />
Brennum J, Sinkjaer T, Phase II trial to evaluate the<br />
ActiGait implanted drop-foot stimulator in established<br />
hemiplegia. J Rehabil Med 2007; 39:212–218<br />
66
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neurorehabilitation<br />
Zusammengestellt für den Beirat „Neurorehabilitation“:<br />
Univ.-Prof. Dr. Bernhard Voller<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien<br />
Pharmakotherapie in der<br />
motorischen Rehabilitation<br />
Fluoxetin bei Schlaganfall<br />
In einer doppelblinden Studie an 9 französischen<br />
Zentren wurden 118 PatientInnen<br />
im Alter von 18–85 Jahren mit ischämischem<br />
Insult und Hemiparese und<br />
einem Wert von 55 in der motorischen<br />
Fugl-Meyer-Skala (FMMA) eingeschlossen<br />
1 . Die PatientInnen erhielten beginnend<br />
zwischen dem 5. und 10. Tag für<br />
3 Monate entweder 20 mg Fluoxetin oder<br />
Placebo einmal täglich sowie den gleichen<br />
Anteil an Physiotherapie. Die Besserung<br />
gemessen am FMMS war größer in der<br />
Fluoxetin-Gruppe (34 Punkte, 95%-CI<br />
29,7–38,4) als in der Placebogruppe (24,3<br />
Punkte, 95%-CI 19,9–28,7; p = 0,003).<br />
Neben der signifikanten Besserung der<br />
Funktion der oberen Extremität kam es<br />
auch zu einer Vorbeugung von Depressionen<br />
(p = 0,002). Auch nach Berücksichtigung<br />
des Faktors Depression in der<br />
Analyse blieb die motorische Funktion signifikant<br />
gebessert. Die Nebenwirkungen<br />
waren in beiden Gruppen vergleichbar bis<br />
auf eine leichte Häufung von Störungen<br />
des Verdauungstrakts in der Fluoxetin-<br />
Gruppe.<br />
Kommentar: Der eindeutige neurorehabilitative<br />
Effekt legt nahe, dass Fluoxetin<br />
neuroplastische Vorgänge in der Akut-<br />
Subakut-Phase nach einem Schlaganfall<br />
fördert. Es wurde jedoch nicht überprüft,<br />
ob die motorischen Fortschritte über längere<br />
Zeit erhalten blieben. Eine Empfehlung<br />
zum generellen klinischen Einsatz<br />
kann derzeit aufgrund dieser Daten noch<br />
nicht ausgesprochen werden. Weitere<br />
Studien zu serotonergen Substanzen erscheinen<br />
sinnvoll, insbesondere auch aufgrund<br />
der hohen Sicherheit in der Behandlung.<br />
1 Chollet F et al., Fluoxetine for motor recovery after<br />
acute ischaemic stroke (FLAME): a randomised<br />
placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2011;<br />
10:123–30<br />
Schädel-Hirn-Trauma<br />
Kraniektomie bei diffuser Hirnschädigung<br />
Nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma (SHT)<br />
kommt es häufig zu einer sekundären Hirnschädigung,<br />
welche durch einen erhöhten intrakraniellen<br />
Druck, ausgelöst durch ein Hirnödem,<br />
hervorgerufen wird. In der vorliegenden<br />
Studie wurden 155 australische und<br />
neuseeländische PatientInnen mit schwerer<br />
diffuser Hirnschädigung nach SHT und therapierefraktärem<br />
Hirndruck, definiert als<br />
20 mmHg mit einer Dauer von über 15 Minuten<br />
trotz medikamentöser Therapie, in zwei<br />
Gruppen randomisiert 1 . PatientInnen der<br />
einen Gruppe erhielten die Standardbehandlung,<br />
die anderen wurden zusätzlich großflächig<br />
bilateral kraniektomiert. Primärer Zielparameter<br />
war der Wert in der erweiterten Glasgow<br />
Outcome Scale (eGOS) nach 6 Monaten.<br />
In der Kraniektomiegruppe hatten die PatientInnen<br />
nachweislich einen niedrigeren Druck,<br />
verbrachten eine kürzere Zeit auf der Intensivstation,<br />
zeigten jedoch überraschend<br />
schlechtere Werte in der eGOS (OR 1,84;<br />
95%-CI 1,05–3,24; p = 0,03) und ein größeres<br />
Akutrehabilitation bei Schlaganfall<br />
Frühmobilisation nichtgehfähiger PatientInnen<br />
In einer australischen Studie wurde untersucht,<br />
ob eine intensivierte Mobilisierung<br />
außerhalb des Krankenbetts für die PatientInnen<br />
die Zeit zum selbständigen Gehen<br />
verkürzt 1 . Nach randomisierter Zuteilung<br />
von 71 PatientInnen wurde die Therapie in<br />
der Behandlungsgruppe innerhalb von 24<br />
Stunden nach dem Akutereignis begonnen.<br />
Die PatientInnen der Kontrollgruppe erhielten<br />
die konventionelle Behandlung einer<br />
Schlaganfalleinheit. In Bezug auf das primäre<br />
Untersuchungsziel, der Zeit gemessen in<br />
Tagen bis zur Bewältigung einer 50-m-Gehstrecke<br />
ohne Unterstützung, erreichten die<br />
früh rehabilitierten nichtgehfähigen SchlaganfallpatientInnen<br />
schneller die unabhängige<br />
Gehfähigkeit (3,5 vs. 7 Tage, p = 0,032).<br />
Die Werte des Barthel-Index als sekundärer<br />
Risiko für ein schlechteres Ergebnis (OR 2,21;<br />
95%-CI 1,12–4,26; p = 0,02). In beiden Gruppen<br />
war die Sterblichkeit vergleichbar.<br />
Kommentar: Im begleitenden Editorial 2 wur -<br />
de angemerkt, dass durch das Patientenauswahlverfahren<br />
nur ein kleiner Teil (ca. 5 %)<br />
der PatientInnen eingeschlossen werden<br />
konnte, was die klinische Aussagekraft mindert.<br />
Bei vielen der nicht eingeschlossenen<br />
PatientInnen waren andere übliche neurochirurgische<br />
Maßnahmen erforderlich, wie z. B.<br />
eine Hämatomausräumung oder unilaterale<br />
Dekompressionen. Diese Studie zeigt unter<br />
anderem auch, dass eine chirurgische Dekompression<br />
mit nachgewiesener Reduktion des<br />
Drucks nicht zwangsläufig zu einem besseren<br />
klinischen Ergebnis führen muss und sogar in<br />
mancher Hinsicht nachteilig sein kann.<br />
1 Cooper DJ et al., Decompressive craniectomy in diffuse<br />
traumatic brain injury (DECRA). N Engl J Med 2011;<br />
364:1493–502<br />
2 Servadei F, Clinical value of decompressive craniectomy.<br />
N Engl J Med 2011; 364:16<br />
Parameter waren nach 3 Monaten und die<br />
des Rivermead-Motor-Assessments nach<br />
3 und 12 Monaten signifikant besser.<br />
Kommentar: In dieser kontrollierten Phase-<br />
II-Studie erreichten nichtgehfähige SchlaganfallpatientInnen<br />
doppelt so schnell die<br />
unabhängige Gehfähigkeit wie konventionell<br />
behandelte PatientInnen. Die Wirksamkeit<br />
des aufgabenspezifischen, repetitiven<br />
Konzepts in der motorischen Rehabilitation<br />
bestätigte sich. Eine frühere und intensivere<br />
Therapie außerhalb des Krankenbetts<br />
scheint die Wiedererlangung des selbständigen<br />
Gehens wesentlich zu beschleunigen.<br />
1<br />
Cumming TB et al., Very early mobilization after<br />
stroke fast-tracks return to walking: further results<br />
from the phase II AVERT randomized controlled trial.<br />
Stroke 2011; 42:153–8<br />
68
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neuromuskuläre Erkrankungen<br />
Nichtdystrophe Myotonien und<br />
periodische Paralysen<br />
Chloridkanalmyotonie<br />
Das klinische Symptom Myotonie bezeichnet<br />
eine Steifigkeit der Muskulatur, die durch eine<br />
verlangsamte Entspannung nach einer willkürlichen<br />
Kontraktion oder nach mechanischer<br />
Stimulation auftritt. Die erste Form der<br />
Myotonie wurde von Thomsen 1876 an sich<br />
selbst und seiner Familie beschrieben, sie<br />
hatte einen dominanten Erbgang. Vor ca. 50<br />
Jahren entdeckte Becker, dass es auch eine<br />
rezessiv erbliche Form der Myotonie gibt. Die<br />
Erkrankungen werden nach den Erstbeschreibern<br />
Myotonia congenita Thomsen (dominant)<br />
und Becker (rezessiv) genannt. Es gibt<br />
darüber hinaus Tiermodelle für die Myotonie,<br />
z. B. die myotone Ziege.<br />
Elektrophysiologische In-vitro-Untersuchungen<br />
an tierischen und menschlichen Muskelpräparaten<br />
zeigten, dass der Myotonie eine<br />
reduzierte Chloridleitfähigkeit der Muskelfasermembran<br />
zugrunde liegt. Später konnte<br />
gezeigt werden, dass bei den genannten Erkrankungen<br />
Mutationen in dem Gen vorliegen,<br />
das für den muskulären Chloridkanal<br />
kodiert (CLCN1). Die beiden Formen der<br />
Myotonia congenita werden dementsprechend<br />
als muskuläre Chloridkanalkrankheiten<br />
bezeichnet. Durch heterologe Expression und<br />
elektrophysiologische Charakterisierung von<br />
krankheitsverursachenden Mutationen konnte<br />
man den pathophysiologischen Mechanismus<br />
auf der molekularen Ebene aufklären.<br />
Klinik: Die Chloridkanalmyotonien sind klinisch<br />
durch eine generalisierte Myotonie<br />
sowie durch das so genannte „Warm-up-Phänomen“<br />
charakterisiert: Die Muskelsteifigkeit<br />
nimmt mit einer zunehmenden Anzahl von<br />
Kontraktionen ab. PatientInnen zeichnet meistens<br />
eine Muskelhypertrophie aus, die Muskeln<br />
sind jedoch funktionell, durch extreme<br />
Steifigkeit, deutlich beeinträchtigt. Die Myotonie<br />
macht sich beim festen Händedruck bemerkbar<br />
(so genannte „grip“ myotonia);<br />
der/die PatientIn ist dann nicht in der Lage,<br />
die Hand loszulassen. Das Beklopfen der<br />
Muskulatur (u. a. auch an der Zunge) löst<br />
eine myotone Reaktion aus, dies wird Perkussionsmyotonie<br />
genannt. Auf Grund der<br />
ausgeprägten Myotonie können Muskelverkürzungen<br />
mit der Folge eines Spitzfußes<br />
oder Einschränkungen im Bereich der anderen<br />
Gelenke z. B. Ellbogen oder Handgelenk<br />
auftreten. Becker-PatientInnen können eine<br />
transiente Muskelschwäche aufweisen. Diese<br />
tritt meist bei Beginn der Muskelaktivität auf<br />
und bildet sich nach wiederholten Kontraktionen<br />
langsam zurück.<br />
Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />
klinisches Bild, myotone „runs“ im<br />
EMG sowie molekulargenetische Untersuchung.<br />
Natriumkanalmyotonie<br />
Elektrophysiologische Untersuchungen an<br />
Muskelbiopsaten einiger PatientInnen mit<br />
Myotonie zeigten eine normale Chloridleitfähigkeit,<br />
jedoch eine erhöhte Natriumleitfähigkeit<br />
der Muskelfasermembran. Daraufhin<br />
gelang durch einen Kandidatengenansatz die<br />
Kopplung dieser Krankheiten zum Gen der<br />
-Untereinheit des muskulären Natriumkanals,<br />
SCN4A. Bis heute sind verschiedene<br />
Punktmutationen in diesem Gen gefunden<br />
worden, die diese so genannte kaliumsensitive<br />
Myotonie (Potassium-aggravated Myotonia<br />
= PAM) verursachen.<br />
Die Myotonie bei PAM wird durch Verabreichung<br />
von depolarisierenden Substanzen induziert<br />
oder verschlimmert (z. B. Kalium, Suxamethonium).<br />
Pathophysiologisch kann die<br />
Myotonie durch einen vermehrten Natriumeinstrom<br />
in die Muskelzelle erklärt werden.<br />
Die positiven Natriumionen führen zu einer<br />
leichten Membrandepolarisation, diese wiederum<br />
zu Serien von Aktionspotenzialen, die<br />
klinisch einer verlangsamten Muskelrelaxation<br />
– sprich Myotonie – entsprechen.<br />
Klinik: PAM tritt häufig nach körperlicher Tätigkeit<br />
auf, PatientInnen klagen auch über<br />
Muskelkrämpfe. Der Schweregrad der Myotonie<br />
kann zwischen einer leichten Form (der<br />
so genannten Myotonia fluctuans) und einer<br />
sehr schweren Form (Myotonia permanens)<br />
variieren. Bei der fluktuierenden Myotonie<br />
sind PatientInnen manchmal leicht und an<br />
vielen Tagen überhaupt nicht beeinträchtigt.<br />
Im Gegensatz dazu führt die Myotonia permanens<br />
zu einer massiven Muskelsteifigkeit,<br />
die gelegentlich sogar die Atemmuskulatur<br />
so stark beeinflusst, dass keine ausreichende<br />
Lungenventilation möglich ist.<br />
Im Gegensatz zu Myotonia Becker und Thomsen<br />
zeigen diese PatientInnen weder transiente<br />
Muskelschwäche noch eine besondere<br />
Kälteempfindlichkeit. Das Krankheitsbild ähnelt<br />
der Myotonia congenita Thomsen, von<br />
der es sich allerdings durch die Verstärkung<br />
der myotonen Symptomatik nach oraler Kaliumaufnahme<br />
unterscheidet, was diagnostisch<br />
verwendet werden kann. Ein weiteres<br />
Merkmal der PAM ist die so genannte paradoxe<br />
Myotonie (s. u.), die nur im Bereich der<br />
Lidmuskeln zu beobachten ist.<br />
Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />
klinisches Bild, Belastungstests mit<br />
oralem Kalium (nicht bei der Myotonia permanens<br />
testen!), myotone „runs“ im EMG<br />
sowie molekulargenetische Untersuchung.<br />
Paramyotonia congenita<br />
Im Gegensatz zum Warm-up-Phänomen, das<br />
bei der MC Thomsen und Becker auftritt,<br />
72
Zusammengestellt für den Beirat „Neuromuskuläre Erkrankungen“:<br />
Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic<br />
Abteilung für <strong>Neurologie</strong>, Landeskrankenhaus Vöcklabruck<br />
nimmt bei einer anderen myotonen Erkrankung<br />
die Muskelsteifigkeit mit repetitiver Reizung<br />
zu, ein Phänomen, das als „paradoxe<br />
Myotonie“ bezeichnet wird. Die Krankheit<br />
wurde deshalb Paramyotonia congenita (PC)<br />
genannt. Sie wurde zuerst von Eulenburg beschrieben<br />
(1896) und ist klinisch neben der<br />
paradoxen Myotonie durch eine kälteinduzierte<br />
Muskelsteifigkeit mit einer oft darauf<br />
folgenden Lähmungsphase charakterisiert,<br />
die Minuten bis Stunden anhalten kann. PC<br />
ist auch durch Mutationen im muskulären<br />
Natriumkanal verursacht, somit ist PC auch<br />
eine Natriumkanalerkrankung. Selten können<br />
bei einigen PC-Mutationen spontane Muskelschwächeepisoden<br />
auftreten. Solche<br />
spontan auftretende Attacken sind eigentlich<br />
bei periodischen Paralysen zu erwarten und<br />
können manchmal diagnostische Schwierigkeiten<br />
verursachen.<br />
Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />
klinisches Bild, Belastungstests mit<br />
Kälte (z.B. 15 Minuten Handkühlen bei 15° C),<br />
deutliche CK-Erhöhung, myotone „runs“ im<br />
EMG sowie molekulargenetische Untersuchung.<br />
Therapie<br />
Viele MyotoniepatientInnen benötigen keine<br />
Therapie, ausgenommen sind stark betroffene<br />
PatientInnen mit z. B. Myotonia permanens.<br />
Einige PatientInnen bevorzugen eine<br />
Prophylaxe vor der Trigger-Exposition (z. B.<br />
Paramyotonia-congenita-Patienten vor Kälteexposition,<br />
z. B. Schwimmengehen).<br />
Die therapeutischen Empfehlungen sind rein<br />
empirisch:<br />
Prophylaxe: Vermeidung von Kälte sowohl bei<br />
der Myotonie als auch bei der Paramyotonie;<br />
Vermeidung von kaliumreicher Ernährung und<br />
extensiver körperlicher Aktivität bei PAM.<br />
Medikamente: 1. Wahl: Flecainid 2-mal<br />
50–100 mg/d, Propafenon 2-mal 150–300<br />
mg/d (Vorsicht bei PatientInnen mit kardialen<br />
Vorerkrankungen, z. B. KHK oder Herzrhythmusstörungen);<br />
2. Wahl: Lamotrigin 2-mal<br />
50–300 mg/d, Oxcarbazepin 2-mal 300–900<br />
mg/d; 3. Wahl: Carbamazepin 2-mal 200–<br />
600 mg/d, Phenytoin 3-mal 100 mg/d; Lidocain<br />
oder Dantrolen i.v. bei Masseterspasmus.<br />
Periodische Paralysen<br />
Hyperkaliämische<br />
periodische Paralyse (HyperPP)<br />
Episodisch auftretende Lähmungsphasen, die<br />
typischerweise von einer Erhöhung des Serumkaliums<br />
begleitet werden, sind das Leitsymptom<br />
der hyperkaliämischen periodischen<br />
Paralyse (HyperPP). Die Lähmungen treten oft<br />
in der Erholungsphase nach starker Muskelaktivität<br />
auf und können durch Einnahme von<br />
Kalium oder kaliumreiche Speisen provoziert<br />
werden. Manchmal tritt eine Myotonie als Begleitsymptom<br />
der HyperPP kurz vor der Lähmung<br />
auf. Die Symptome können zwischen<br />
leichten, beinbetonten, proximalen Schwächen<br />
und schweren generalisierten Lähmungen<br />
variieren. Die Attacken dauern typischerweise<br />
wenige Minuten bis einige Stunden an.<br />
Sie treten meistens in der Früh, nach körperlicher<br />
Belastung, Nahrungskarenz oder nach<br />
Einnahme kaliumreicher Nahrung auf.<br />
HyperPP ist auch eine Natriumkanalerkrankung.<br />
Pathophysiologisch führt der Natriumeinstrom<br />
zu einer beträchtlichen Membrandepolarisation,<br />
Aktionspotenziale können<br />
nicht mehr ausgelöst werden, die Muskelfasern<br />
sind gelähmt.<br />
Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />
klinisches Bild, Belastungstests mit<br />
Kalium, iktales und interiktales Kalium, häufig<br />
myotone „runs“ im EMG sowie molekulargenetische<br />
Untersuchung.<br />
Die Körperliche Belastung führt auch bei gesunden<br />
Menschen zu einem vorübergehenden<br />
Kaliumspiegelanstieg. Während sich bei<br />
Gesunden die Kaliumwerte nach kurzer Zeit<br />
wieder normalisieren, steigen sie bei den HyperPP-PatientInnen<br />
nach ca. 45 Minuten erneut<br />
an. Dieser zweite Kaliumanstieg führt<br />
dann zu einer Lähmungsepisode. Die Kaliumwerte<br />
am Ende einer Lähmungsepisode<br />
können stark variieren, es können sogar hypokaliämische<br />
Spiegel vorliegen. Somit kann<br />
fälschlicherweise eine hypokaliämische periodische<br />
Paralyse (HypoPP) diagnostiziert werden,<br />
wenn die Kaliumspiegelbestimmung zu<br />
einem späten Zeitpunkt vorgenommen wird!<br />
Hypokaliämische<br />
periodische Paralyse (HypoPP)<br />
Im Gegensatz zu HyperPP findet man während<br />
der Lähmungsphase bei der hypokaliämischen<br />
periodischen Paralyse eine Senkung<br />
des Serumkaliums. Die Lähmungsepisoden<br />
dauern mehrere Stunden bis Tage an, treten<br />
nach körperlicher Belastung oder Einnahme<br />
glukosereicher Nahrung auf. Viele PatientInnen<br />
erleiden im Verlauf eine progressive Muskeldegeneration.<br />
Bei der HypoPP wurden Mutationen<br />
in Natrium-, Kalzium- und einem<br />
Kaliumkanal gefunden. Pathophysiologisch<br />
ist die Erkrankung noch nicht vollständig geklärt.<br />
Myotone Serien im EMG schließen die<br />
Diagnose einer HypoPP aus.<br />
Diagnosestellung: Anamnese, Familienanamnese,<br />
klinisches Bild, Belastungstests mit<br />
Kalium, iktales und interiktales Kalium, keine<br />
„myotonen ,runs‘“ im EMG sowie mole -<br />
kulargenetische Untersuchung (SCN4A,<br />
CACN1AS, KCNJ18).<br />
Andere Formen<br />
Bei einigen PatientInnen werden während der<br />
Lähmungsepisoden immer normale Kaliumwerte<br />
gemessen. Diese Form wird normokaliämische<br />
periodische Paralyse genannt und<br />
unterscheidet sich rein klinisch nicht von den<br />
anderen beiden Formen.<br />
Die thyreotoxische hypokaliämische Lähmung<br />
tritt im Rahmen einer Hyperthyreose auf, die<br />
Symptome und die Trigger entsprechen<br />
denen der HypoPP. Eine sehr seltene Form<br />
der episodischen Paralyse ist das Andersen-<br />
Tawil-Syndrom. Die Kaliumwerte können bei u<br />
73
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neuromuskuläre Erkrankungen<br />
diesem Syndrom während der Lähmungsattacken<br />
stark variieren, des Weiteren können<br />
Herzrhythmusstörungen auftreten.<br />
Therapie<br />
Akuttherapie: HyperPP: Glukose 2 g/kg/KG<br />
oder Salbutamol 1–2 Hübe ggf. Kalziumglukonat<br />
0,5–2,0 g i.v. langsam;<br />
HypoPP: 2–10 g KCl oral, z. B. 2-3 Beutel<br />
Kalioral ® (117 mmol), bei niedrigen Kaliumwerten<br />
20 mmol KCl in 50 ml 5%iger Mannitollösung<br />
Prophylaxe: HyperPP: regelmäßige kohlenhydratreiche<br />
Mahlzeiten, Vermeiden von kaliumreicher<br />
Nahrung und Fasten sowie exzessiver<br />
körperlicher Tätigkeit. „Working-off“:<br />
die körperliche Aktivität nicht abrupt beenden.<br />
Lange Ruhephasen meiden, „ständig in<br />
Bewegung bleiben“.<br />
HypoPP: kaliumreiche Nahrung, Vermeidung<br />
von Kohlenhydraten und exzessiver körperlicher<br />
Tätigkeit. „Working-off“: die körperliche<br />
Aktivität nicht abrupt beenden. Lange Ruhephasen<br />
meiden, „ständig in Bewegung bleiben“.<br />
Medikamente: HyperPP: 1. Wahl: Hydrochlorothiazid<br />
25–75 mg/d, Kalium-Zielwert<br />
3–3,5 mmol/l (Cave Hypokaliämie!); 2. Wahl:<br />
Acetazolamid 125–1000 mg/d, Dichlorphenamid<br />
25–75 mg/d (noch nicht erhältlich); 3.<br />
Wahl: Fludrocortison 0,1 mg/d<br />
HypoPP: 1. Wahl: Acetazolamid 125–1000<br />
mg/d mit Kalium retard, Kalium-Zielwert 4,5–<br />
5,2 mmol/l (cave: Hyperkaliämie!); Dichlorphenamid<br />
25–75 mg/d; 2. Wahl: Eplerenon<br />
25–50 mg/d mit Kalium retard; 3. Wahl: kaliumsparende<br />
Diuretika wie z. B. Triamteren<br />
150 mg/d.<br />
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Multiple Sklerose<br />
Zusammengestellt von:<br />
Prim. Dr. Ulf Baumhackl<br />
Neurologisch-psychiatrisches Zentrum Belvedere, Wien<br />
ÖMSG-Erhebung<br />
Prävalenz der multiplen Sklerose 2010<br />
Nach 10 Jahren wurde von der Österreichischen<br />
Multiplen Sklerose <strong>Gesellschaft</strong><br />
(ÖMSG) 2010/2011 in Zusammenarbeit mit<br />
GfK wieder eine Untersuchung zur Prävalenz<br />
der multiplen Sklerose durchgeführt, an der<br />
sich insgesamt 1.303 MS-PatientInnen und<br />
28 MS-Ambulanzen in ganz Österreich beteiligten.<br />
Wie die Aggregation und Hochrechnung der<br />
Ergebnisse zeigt, gibt es aktuell in Österreich<br />
rund 12.500 MS-Patientinnen, deutlich mehr<br />
als in der Untersuchung von 1999. Die Prävalenz<br />
der MS beträgt 148 pro 100.000 EinwohnerInnen.<br />
Dies dürfte auch mit der verbesserten<br />
Diagnostik und einer zunehmenden<br />
Lebenserwartung in Zusammenhang<br />
stehen. Eine Monatsauszählung in den MS-<br />
Ambulanzen ergab, dass innerhalb von 4 Wochen<br />
1.497 PatientInnen betreut wurden. Insgesamt<br />
gaben 40 % der PatientInnen an, innerhalb<br />
der letzten 12 Monate nicht in MS-<br />
Ambulanzen betreut worden zu sein.<br />
Der Zeitraum zwischen der ersten Verdachtsdiagnose<br />
auf MS und der endgültigen Diagnose<br />
liegt im Durchschnitt bei weniger als<br />
einem Jahr. 22 % der MS-PatientInnen leiden<br />
unter einer Verlaufsform, die die PatientInnen<br />
nur leicht behindert, 33 % haben subjektiv<br />
keine Beschwerden oder Behinderung, 10 %<br />
benötigen zeitweise oder ständig einen Rollstuhl.<br />
Bei 2 Drittel der MS-Betroffenen liegt<br />
eine schubförmige Verlaufsform vor. Im Allgemeinen<br />
sind MS-PatientInnen sehr gut<br />
über ihre Erkrankung informiert (44 %), lediglich<br />
4 % fühlen sich schlecht informiert.<br />
Als besonders wichtig werden die Informationen<br />
der NeurologInnen in MS-Ambulanzen<br />
und im stationären Bereich bei Diagnosestellung<br />
sowie der niedergelassenen NeurologInnen<br />
erachtet.<br />
Die definitive Diagnose wird vor allem stationär<br />
im Krankenhaus gestellt, und 45 % der PatientInnen<br />
werden hauptsächlich in MS-Spezialambulanzen<br />
betreut. Die überwiegende<br />
Mehrheit (95 %) ist zufrieden mit der medizinischen<br />
Versorgung. Die größten Mankos bestehen<br />
aus PatientInnensicht bei der Erstattung<br />
der Kosten für Heilbehelfe, bei der finanziellen<br />
Unterstützung bei Verlust des Arbeitsplatzes<br />
sowie bei der Höhe des Pflegegeldes. Viele<br />
MS-PatientInnen sind aber noch erwerbstätig<br />
(32 % voll, 13 % teilweise berufstätig), und<br />
nur 30 % sind Pflegegeldbezieher.<br />
Im Vergleich zu 1999 hat sich in der subjektiven<br />
Beurteilung die Lebensqualität verbessert.<br />
46 % bezeichnen diese als gut, weitere<br />
37 % als eher gut und nur 14 % als (eher)<br />
schlecht. 1999 sagten noch 29 % der MS-<br />
PatientInnen, dass ihre Lebensqualität<br />
schlecht sei.<br />
74
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Multiple Sklerose<br />
Zusammengestellt für den<br />
Beirat „Multiple Sklerose“:<br />
Dr.<br />
Harald Hegen<br />
Univ.-Prof. Dr. Florian<br />
Deisenhammer<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Innsbruck<br />
Kongress der American Academy of Neurology 2011<br />
Highlights zur multiplen Sklerose<br />
Der diesjährige Kongress der American Academy<br />
of Neurology (AAN) fand im April in<br />
Honolulu statt und bot den rund 8000 TeilnehmerInnen<br />
mit einem breiten wissenschaftlichen<br />
Programm und knapp über<br />
2000 Posterbeiträgen einen guten Überblick<br />
über die aktuelle Studienlage in den verschiedenen<br />
<strong>neurologisch</strong>en Teilbereichen. Im<br />
Bereich der multiplen Sklerose (MS) wurden<br />
nur wenige neue randomisiert-kontrollierte<br />
klinische Studien präsentiert. Wesentliche<br />
Neuigkeiten stellten aber insbesondere die<br />
revidierten McDonalds-Kriterien 2010 für<br />
die Diagnose der MS sowie die aktuellen<br />
Daten zur Risikostratifizierung für die progressive<br />
multifokale Leukenzephalopathie<br />
(PML) unter einer Therapie mit Natalizumab<br />
dar. Zudem gab es eine Reihe von interessanten<br />
experimentellen Arbeiten, deren Relevanz<br />
allerdings oft hinterfragt werden<br />
darf.<br />
Randomisierte, kontrollierte,<br />
doppelblinde Therapie-Studien<br />
TEMSO: In dieser Phase-III-Studie wurde die<br />
orale Therapie mit Teriflunomid in den Dosierungen<br />
7 mg und 14 mg täglich mit Placebo<br />
an insgesamt 1088 schubförmigen MS-<br />
PatientInnen über einen Zeitraum von 108<br />
Wochen verglichen. Primärer Endpunkt war<br />
die jährliche Schubrate.<br />
Ergebnisse: Die jährliche Schubrate in der Placebo-Gruppe<br />
betrug 0,54 und in den beiden<br />
Therapiearmen jeweils 0,37. Dies entspricht<br />
einer relativen Risikoreduktion von 31 %.<br />
Eine signifikante Risikoreduktion (30 %) für<br />
eine nach 12 Wochen bestätigte EDSS-Progression<br />
konnte nur für PatientInnen in der<br />
14-mg-Dosis-Gruppe gezeigt werden. Ein<br />
klarer Dosiseffekt von Teriflunomid wurde<br />
auch in Bezug auf Reduktion der MRT-Aktivität<br />
beobachtet.<br />
Nebenwirkungen: Diarrhoe, Nausea, Erhöhung<br />
der ALT sowie milde Alopezie wurden<br />
häufiger in der Teriflunomid- als in der Placebo-Gruppe<br />
beobachtet. Die Rate an Infektionen<br />
war zwischen den Gruppen etwa<br />
gleich verteilt.<br />
Ocrelizumab in RRMS (relapsing remitting<br />
MS): Diese laufende vierarmige Phase-<br />
II-Studie untersucht Ocrelizumab (OCR),<br />
einen humanisierten Anti-CD20-monoklonalen<br />
Antikörper, an insgesamt 220 schubförmigen<br />
MS-PatientInnen. Das Studiendesign<br />
ist in Abbildung 1 dargestellt. Primärer Endpunkt<br />
ist die Anzahl Gadolinium-anreichender<br />
(Gd + -)Läsionen.<br />
Ergebnisse: Die Anzahl der Gd + -MRI-Läsionen<br />
konnte um 96 % bzw. 89 % reduziert werden<br />
(hoch- vs. niedrige OCR-Dosis). Die jährliche<br />
Schubrate betrug für die OCR-600-mg-<br />
Gruppe 0,11 und die OCR-2000-/1000-mg-<br />
Gruppe 0,26. Nach 48 Wochen waren in<br />
diesen beiden Gruppen 80 % bzw. 73 %<br />
der PatientInnen schubfrei.<br />
Nebenwirkungen: Schwere Nebenwirkungen<br />
Abb. 1: Studiendesign Ocrelizumab in RRMS<br />
Randomisierung (n = 220)<br />
Placebo<br />
Ocrelizumab 600 mg<br />
Ocrelizumab 2000 mg<br />
IFN-1a 30 µg i.m. 1-mal/Wo<br />
und Infektionen wurden in allen 4 Gruppen<br />
mit ähnlicher Häufigkeit beobachtet. Es traten<br />
bisher keine opportunistischen Infektionen<br />
auf. In ca. 35 % der Fälle kam es zu<br />
infusionsassoziierten Nebenwirkungen. Ein<br />
Todesfall ereignete sich in der OCR-2000/-<br />
1000-mg-Gruppe aufgrund eines Systemic<br />
Inflammatory Response Syndrome.<br />
Ginkgo biloba for Cognition: Die orale Medikation<br />
von täglich 120 mg Ginkgo biloba<br />
wurde mit Placebo über einen Zeitraum von<br />
12 Wochen an 122 MS-PatientInnen verglichen.<br />
Der primäre Endpunkt inkludierte verschiedene<br />
neuropsychologische Tests (Stroop,<br />
Pasat, California Verbal Learning Test II, Controlled<br />
Oral Word Association Test).<br />
Ergebnisse: Für keinen der Endpunkte konnte<br />
eine signifikante Verbesserung durch die Medikation<br />
mit Ginkgo biloba gezeigt werden.<br />
Transdermal Myelin Peptides in RRMS: In<br />
dieser placebokontrollierten Studie wurde die<br />
transdermale Applikation eines Myelin-Peptid-<br />
Gemisches (MBP 85-99, PLP 139-151 and<br />
MOG 35-55) an 30 schubförmigen MS-PatientInnen<br />
über einen Zeitraum von einem u<br />
Re-Allokation Woche 24<br />
Ocrelizumab 600 mg<br />
Ocrelizumab 600 mg<br />
Ocrelizumab 1000 mg<br />
Ocrelizumab 600 mg<br />
75
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Multiple Sklerose<br />
Jahr untersucht. Insgesamt gab es 3 Therapiearme:<br />
10-mg-Peptid- (n = 4), 1-mg-Peptid-<br />
(n = 16) und Placebo-Gruppe (n = 10). Das<br />
transdermale Pflaster wurde im ersten Monat<br />
wöchentlich, danach monatlich gewechselt.<br />
Primärer Endpunkt war die Anzahl Gd + -Läsionen.<br />
Ergebnisse: In der 1-mg-Peptid-Gruppe wur -<br />
de eine signifikante Reduktion des Volumens<br />
von T2- und Gd + -Läsionen, der EDSS-Progression<br />
als auch der jährlichen Schubrate um<br />
65 % verglichen mit Placebo beobachtet.<br />
Nebenwirkungen: Insgesamt wurden keine<br />
wesentlichen Nebenwirkungen berichtet.<br />
SIMCOMBIN: Die Effektivität und Sicherheit<br />
von Simvastatin als Add-on-Therapie zu intramuskulärem<br />
Interferon- (IFN)-1a wurde<br />
an 156 schubförmigen MS-PatientInnen untersucht.<br />
Patienten erhielten entweder IFN<br />
und Simvastatin 80 mg täglich ODER IFN<br />
und Placebo. Primärer Endpunkt war die jährliche<br />
Schubrate.<br />
Ergebnisse: Es wurden keine signifikanten<br />
Unterschiede hinsichtlich jährlicher Schubrate,<br />
Zeit bis zum ersten Schub, neuer und/oder<br />
zunehmender T2-Läsionen oder Anzahl der<br />
PatientInnen ohne Krankheitsaktivität festgestellt.<br />
Effects of Fingolimod on Cardiovascular<br />
Parameters: Die kardiovaskulären Daten von<br />
2552 MS-PatientInnen aus den beiden Phase-<br />
III-Studien FREEDOMS und TRANSFORMS<br />
wurden analysiert.<br />
Ergebnisse: Der Therapiebeginn mit Fingolimod<br />
resultierte in einer dosisabhängigen Abnahme<br />
der Herzfrequenz, die den Nadir nach<br />
5 Stunden erreichte und in der 0,5-mg-Dosis-<br />
Gruppe 8 Schläge pro Minute betrug. Atrioventrikuläre<br />
Überleitungsstörungen waren<br />
meist asymptomatisch, nur 1 Patient in der<br />
0,5-mg-Dosis-Gruppe erhielt eine medikamentöse<br />
Therapie aufgrund einer Bradykardie.<br />
Insgesamt normalisierten sich Herzfrequenz<br />
und atrioventrikuläre Überleitung innerhalb<br />
eines Monats. In FREEDOMS wurde<br />
zudem ein geringer Anstieg des Blutdrucks<br />
um durchschnittlich 1,1 mmHg verzeichnet.<br />
Echokardiographische Untersuchungen in<br />
TRANSFORMS an einem kleinen Teil der PatientInnen<br />
(n = 33) zeigten keine Veränderungen<br />
der Linksventrikelfunktion.<br />
Tab.: MRI-Kriterien für zeitliche und örtliche Dissemination 2005 vs. 2010<br />
McDonalds-Kriterien 2005 McDonalds-Kriterien 2010<br />
RRMS<br />
Zeitliche Disseminierung 1 Gd + -Läsion zumindest drei 1 neue T2- und/oder<br />
Monate nach dem initialen Gd + -Läsion verglichen mit<br />
klinischen Ereignis a<br />
Baselinescan c<br />
oder<br />
oder<br />
1 neue T2-Läsion verglichen Simultaner Nachweis einer<br />
mit einem Referenzscan b asymptomatishen Gd + - und<br />
Gd – -Läsion zu jedem Zeitpunkt<br />
Räumliche 3 von 4 Kriterien erfüllt: 1 T2-Läsion in 2 von 4<br />
Disseminierung • 1 Gd + - oder Regionen:<br />
9 T2-Läsionen<br />
• periventrikulär<br />
• 1 infratentorielle Läsion • juxtakortikal<br />
• 1 juxtakortikale Läsion • infratentoriell<br />
• 3 periventrikuläre Läsionen • spinal<br />
PPMS<br />
Diagnostische Kriterien 1 Jahr Krankheitsprogression d 1 Jahr Krankheitsund<br />
progression d<br />
2 von 3 Kriterien erfüllt: und<br />
• 9 T2-Läsionen oder 2 von 3 Kriterien erfüllt:<br />
4 T2-Läsionen und • 1 T2-Läsionen in 1 MSpositive<br />
VEP<br />
typischen Region (periven-<br />
• 2 spinale Läsionen<br />
trikulär, juxtakortikal,<br />
• erhöhter IgG-Index oder infratentoriell)<br />
OCB +<br />
• 2 spinale Läsionen<br />
• erhöhter IgG-Index<br />
oder OCB +<br />
a in einer Lokalisation, die nicht mit dem initialen klinischen Ereignis korrespondiert.<br />
b durchgeführt zumindest 30 Tage nach Beginn des initialen klinischen Ereignisses.<br />
c durchgeführt zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem initialen klinischen Ereignis.<br />
d retro- oder prospektiv.<br />
Revidierte<br />
McDonalds-Kriterien 2010<br />
Im Zuge der letzten Revision der McDonalds-<br />
Kriterien für die Diagnose der MS wurden in<br />
erster Linie die MRT-Kriterien für die zeitliche<br />
und räumliche Disseminierung geändert. Dadurch<br />
wird die Diagnosestellung bereits bei<br />
PatientInnen mit nur einem klinischen Ereignis<br />
(CIS) und einem MRT-Scan möglich.<br />
Zudem ist die Liquordiagnostik zum Nachweis<br />
einer intrathekalen Immunglobulinsynthese<br />
durch einen erhöhten IgG-Index oder positiven<br />
oligoklonalen Banden für die Diagnose<br />
einer schubförmigen MS nicht mehr notwendig,<br />
sondern nur mehr zum Ausschluss relevanter<br />
Differenzialdiagnosen sowie für die<br />
Diagnose der primär progredienten Verlaufsform.<br />
Pathologische visuell evozierte Potenziale<br />
sind nicht mehr Bestandteil der diagnos -<br />
tischen Kriterien für die PPMS.<br />
Die Tabelle zeigt eine Gegenüberstellung der<br />
wesentlichen Änderungen.<br />
Anti-JCV-Antikörper<br />
und PML-Risiko<br />
Anti-JCV-Antikörper (Anti-JCV-AK) kommen<br />
bei knapp über 50 % der mit Natalizumab<br />
behandelten MS-PatientInnen vor. Die Tes -<br />
tung erfolgt mit einem vom Biogen Idec zur<br />
Verfügung gestellten 2-Stufen-ELISA. In einer<br />
Studie an 376 PatientInnen wurde eine Anti-<br />
JCV-AK-Prävalenz von 57 % sowie eine signi -<br />
fikant niedrigere Prävalenz bei Frauen (52 %<br />
vs. 68 %) beobachtet. Frühere Immunsup-<br />
76
pression sowie Therapiedauer mit Natalizumab<br />
hatten keinen Einfluss auf die AK-Prävalenz.<br />
Bis dato wurden Anti-JCV-AK in allen Blutproben<br />
nachgewiesen, die vor, zum Zeitpunkt<br />
und nach einer PML-Diagnose entnommen<br />
wurden. Somit besteht nach der aktuellen<br />
Datenlage kaum ein PML-Risiko bei einem<br />
negativem Anti-JCV-AK-Test, wobei eine jährliche<br />
Serokonversionrate zur AK-Positivität<br />
von 2–3 % zu berücksichtigen ist. Die Abbildung<br />
2 zeigt die am Kongress erstmals präsentierten<br />
aktuellen PML-Inzidenzen unter<br />
Berücksichtigung der bekannten 3 Risikofaktoren.<br />
Eine weitere Studie untersuchte das Outcome<br />
von Natalizumab-assoziierter PML und zeigte<br />
höheres Patientenalter, höheren EDSS vor<br />
PML, längeren Zeitabstand von Beginn der<br />
PML-Symptomatik bis zur Diagnosestellung<br />
und ausgedehnte PML-Läsionen im MRT als<br />
ungünstige prognostische Faktoren. Nach<br />
Therapiebeginn mit Plasmapherese oder Immunoadsorption<br />
wurde ein Immune-Reconstitution-Inflammatory-Response-Syndrom<br />
(IRIS-Syndrom) bei ca. 90 % berichtet. Die<br />
Überlebensrate betrug ca. 80 %.<br />
Auswahl von Beobachtungsund<br />
explorativen Studien<br />
• Chronic cerebro-spinal venous insuffi -<br />
ciency (CCSVI) – eine von einer For -<br />
schungsgruppe berichtete Abflussstörung<br />
insbesondere im Bereich der Vv.<br />
jugulares internae – wurde in mehreren<br />
Studien untersucht. Weder mit extranoch<br />
mit transkranieller Doppler-Sonographie<br />
noch mit MR-Venographie<br />
konnte an insgesamt 181 MS-Patien -<br />
t Innen ein signifikanter Unterschied in<br />
Bezug auf retrograden Blutfluss oder<br />
Stenosen der Vv. jugulares internae, ver -<br />
tebrales sowie intrakranieller Venen und<br />
zerebralen Sinus verglichen mit 40 Kon -<br />
trollpersonen beobachtet werden. Insge -<br />
samt besteht somit nach wie vor keine<br />
Evidenz für eine venöse Insuffizienz in<br />
der Pathogenese der MS.<br />
• Mit Hilfe der optischen Koheränztomographie<br />
wurde eine signifikant geringere<br />
Abb. 2: Stratifizierung des PML-Risikos unter Therapie mit Natalizumab<br />
Therapiedauer<br />
Negativ a<br />
Anti-JCV-AKnegativ<br />
Anti-JCV-Antikörper-Status<br />
a PML-Inzidenz basiert auf der hypothetischen Annahme eines Anti-JCV-AK-negativen PML-Patienten.<br />
b PML-Inzidenz wurde basierend auf einer Anti-JCV-AK-Prävalenz von 55 %, einer 20%-igen Rate vorangegangener<br />
Immunsuppression (TYGRIS) und einer 100%-igen Anti-JCV-AK-Positivität vor Beginn und zum Zeitpunkt der<br />
Diagnose der PML berechnet.<br />
Ganglienzellschicht-Dicke der Retina bei<br />
MS-PatientInnen verglichen mit gesun -<br />
den Kontrollpersonen – mit den niedrigs -<br />
ten Werten bei MS-PatientInnen mit<br />
sekundär progredientem Verlauf – sowie<br />
eine inverse Korrelation mit früheren<br />
Opticusneuritiden, Seh vermögen und<br />
EDSS-Score festgestellt.<br />
• Höheres Patientenalter bei<br />
Schwangerschaft, höhere Schubrate im<br />
Jahr vor sowie in der Schwangerschaft,<br />
längere MS-Erkrankungsdauer, höherer<br />
EDSS-Score, das Fehlen früherer<br />
immuno modulatorischer Therapie waren<br />
Prädiktoren für das Auftreten postpar -<br />
taler Schübe. Insgesamt hatten von 44 %<br />
der 298 Patientinnen 1 oder mehr<br />
Schübe innerhalb eines Jahres nach der<br />
Entbindung.<br />
• Bei 54 MS-PatientInnen wurde beobach -<br />
tet, dass ausschließliches Stillen zu einer<br />
signifikant reduzierten Schubrate in den<br />
ersten 6 Monaten nach der Entbindung<br />
führte, verglichen mit nicht ausschließ -<br />
lichem Stillen.<br />
• Longitudinale Messungen der Lympho -<br />
zytenzahl im peripheren Blut unter der<br />
Therapie mit Fingolimod, das über die<br />
Blockade von S1P-Rezeptor den Egress<br />
von Lymphozyten aus Lymph knoten<br />
Anti-JCV-AK-positiv ohne<br />
frühere Immunsuppression<br />
0,35/1000<br />
0–2 Jahre 0,11/1000 (95%-CI: 0,19–0,60)<br />
(95%-CI:<br />
0–0,59)<br />
> 2 Jahre 2,8/1000<br />
(95%-CI: 2,0–3,8)<br />
Positiv b<br />
Frühere Immunsuppression<br />
Nein<br />
Ja<br />
Anti-JCV-AK-positiv mit<br />
früherer Immunsuppression<br />
1,2/1000<br />
(95%-CI: 0,58–2,2)<br />
8,1/1000<br />
(95%-CI: 5,4–11,6)<br />
reduziert, zeigten, dass die Lympho -<br />
zytenzahl nach Therapiebeginn innerhalb<br />
von Stunden abnahm, einen Steady<br />
State nach 2–4 Wochen erreichte und<br />
die Reduktion in der 0,5-mg-Dosis-Gruppe<br />
ca. 73 % betrug. Nach Beendi gung<br />
der Therapie wurde nach 45 Tagen<br />
wieder eine normale Lymphozytenzahl<br />
erreicht, die 78 % des Ausgangswertes<br />
vor Therapie betrug.<br />
• Ergebnisse aus der REFLEX-Studie zeig -<br />
ten, dass die frühe Therapie mit sub -<br />
kutanem IFN-1a in einer ca. 50%-<br />
Risikoreduktion für die Konversion zur<br />
klinisch-definitiven MS im Beobachtungs -<br />
zeitraum von 2 Jahren resultierte.<br />
• Die 5-Jahres-Daten der PreCISe-Studie<br />
zeigten nach wie vor einen Nutzen von<br />
einer frühen Therapie mit Glatiramer -<br />
a cetat.<br />
• Die Impfantwort (Tetanustoxoid und<br />
Keyhole Limpet Hemocyanin) wird durch<br />
eine laufende Therapie mit Natalizumab<br />
nicht beeinflusst.<br />
• Eine 21-Jahres-Analyse der originalen<br />
Betaferon-Studie zeigte eine niedrigere<br />
Mortalität in der Gruppe der ursprüng -<br />
lich zu Betaferon randomisierten Pa -<br />
tienten im Vergleich zu der ursprüng -<br />
lichen Placebo-Gruppe.<br />
77
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Autonome Störungen<br />
Droxidopa zur Therapie der symptomatischen<br />
neurogenen orthostatischen Hypotension –<br />
ein Überblick<br />
Für die Behandlung der neurogenen orthostatischen Hypotonie bei PatientInnen mit Mb. Parkinson, MSA und<br />
PAF stellt Droxidopa als Vorläufersubstanz von Noradrenalin einen hoffnungsvollen neuen Kandidaten dar.<br />
Der Begriff „orthostatische Hypotension“<br />
wird definiert als ein orthostatisch bedingter<br />
Blutdruckabfall (d. h. ausgelöst durch den<br />
Wechsel aus liegender in stehende Position)<br />
von 20 mmHg systolisch bzw. 10 mmHg<br />
diastolisch. Die neurogene orthostatische<br />
Hypotension (NOH) stellt ein wesentliches<br />
Symptom autonomen Versagens bei verschiedenen<br />
neurodegenerativen Erkrankungen<br />
dar. So kann sie sowohl bei PatientInnen<br />
mit der klassischen Parkinson-Krankheit ein<br />
herausragendes Symptom autonomer Dysfunktion<br />
als auch bei PatientInnen mit der<br />
Parkinson-Variante der Multisystematrophie<br />
(MSA) vornehmlich auftreten; bei beiden<br />
Krankheiten hat sich gezeigt, dass die symptomatische<br />
orthostatische Hypotonie einen<br />
wesentlicher Faktor zur Einschränkung der<br />
Lebensqualität darstellt. Darüber hinaus gibt<br />
es weitere neurodegenerative Krankheiten,<br />
im Rahmen derer eine NOH auftritt und wo<br />
sie sogar das Leitsymptom darstellen kann<br />
(insgesamt handelt es sich hierbei jedoch<br />
um eher seltener auftretende Krankheiten:<br />
primär autonomes Versagen, familiäre Dysautonomie,<br />
Beta-Hydroxylase-Mangel, außerdem<br />
kann eine neurogene orthostatische<br />
Dysregulation auch bei anderen (nichtdiabetischen)<br />
autonomen Neuropathien auftreten).<br />
Ätiologisch werden entsprechend verschiedenen<br />
zugrunde liegenden Pathomechanismen<br />
der oben erwähnten Krankheiten auch verschiedene<br />
pathophysiologische Mechanismen<br />
der NOH diskutiert. So scheint zum<br />
einen bei der Parkinson-Krankheit eher ein<br />
peripheres Problem vorzuliegen, entsprechend<br />
den Ergebnissen neuropathologischer<br />
und funktionell-bildgebender Untersuchungen<br />
(Untergang peripherer Neurone des Sympathikus);<br />
und zum anderen scheint bei Multisystematrophie,<br />
primär autonomen Ver -<br />
sagen und familiärer Dysautonomie eher eine<br />
zentrale Ursache zugrunde zu liegen (Degeneration<br />
zentraler Sympathikusanteile),<br />
wobei speziell bei der Multisystematrophie<br />
auch eine Kombination aus beidem beschrieben<br />
wurde.<br />
Abb. 1: Metabolismus von Droxidopa<br />
Abb. 2: Wirkmechanismus von Droxidopa<br />
Kaufmann, 2008<br />
Kaufmann, 2008<br />
82
Zusammengestellt im Namen des<br />
Beirats „Autonome Störungen“:<br />
Dr. Susanne<br />
Dürr<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Gregor Wenning,<br />
MSc<br />
Dr. Roberta Granata<br />
Abteilung für klinische Neurobiologie, Universitätsklinik<br />
für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Innsbruck<br />
Therapie<br />
Zum jetzigen Zeitpunkt stehen uns keine ursächlich<br />
die Pathophysiologie der jeweiligen<br />
neurodegenerativen Erkrankungen beeinflussenden<br />
Wirkstoffe zur Verfügung, und die<br />
Behandlung der orthostatischen Hypotonie<br />
stützt sich vor allem auf eine symptomatisch<br />
orientierte Gabe der fehlenden Neurotransmitter<br />
– vergleichbar mit einer Dopamin-Therapie<br />
zur Behandlung der motorischen Symptome<br />
bei Parkinson-PatientInnen.<br />
Etabliert haben sich hier – neben allgemeinen<br />
physikalischen Behandlungsansätzen (Tragen<br />
von Stützstrümpfen/-mieder, ausreichend<br />
Flüssigkeitszufuhr, mehrere kleine Mahlzeiten<br />
am Tag statt wenige große, Schlafen mit erhöhtem<br />
Bettkopfende) – vor allem zwei in<br />
der klinischen Routine häufig verwendete<br />
Wirkstoffe: das Sympathomimetikum Midodrin<br />
(Gutron ® ) und das Mineralokortikoid Fludrocortison<br />
(Astonin H ® ).<br />
Insgesamt können damit zumeist gute Verbesserungen<br />
erreicht werden, sowohl des<br />
messbaren orthostatischen Blutdruckabfalls<br />
als auch der häufigen Begleitsymptome (wie<br />
Schwindel, Verschwommensehen, Übelkeit,<br />
Müdigkeit, Nackenschmerzen, Konzentrationsstörungen,<br />
Stürze). Trotzdem stellen sowohl<br />
häufige Nebenwirkungen (zu starker<br />
Blutdruckanstieg im Liegen, hypertone Entgleisungen<br />
und deren Folgen) als auch manch<br />
therapieresistenter Patient limitierende Faktoren<br />
dar, weshalb die Forschung nach weiteren<br />
Substanzen zur Behandlung der orthostatischen<br />
Hypotonie sucht.<br />
Wirkstoff Droxidopa<br />
„L-Threo-3,4-Dihydroxy-Phenylserin“, kurz<br />
Droxidopa, ist eine synthetisch hergestellte<br />
Vorläufersubstanz des körpereigenen Neurotransmitters<br />
Noradrenalin. Droxidopa selbst<br />
unterscheidet sich von Levodopa lediglich<br />
durch eine zusätzliche Carboxyl-Gruppe, ist<br />
noch unverstoffwechselt biologisch inaktiv<br />
und durchläuft die Blut-Hirn-Schranke. Weiter<br />
wird es sowohl im zentralen als auch im<br />
peripheren Nervensystem in den natürlichen<br />
Stoffwechsel eingeschleust (Enzym = Dopa-<br />
Decarboxylase) und im Neuron zu Noradrenalin<br />
umgewandelt. Hierbei wird der Syntheseschritt<br />
Dopamin Noradrenalin umgangen,<br />
was z. B. zur Behandlung der Krankheit<br />
mit Dopamin-Beta-Hydroxylasemangel ausgenutzt<br />
wird.<br />
Das nun zu dem körpereigenen Hormon Noradrenalin<br />
verstoffwechselte Droxidopa hat<br />
prinzipiell einen sympathomimetischen Effekt,<br />
wobei sowohl zentralautonome als auch<br />
periphere Mechanismen diskutiert werden;<br />
außerdem ist auch ein hormonähnlicher Effekt<br />
in inneren Organen möglich.<br />
Präklinische Daten zeigten eine gute Bioverfügbarkeit<br />
der oral administrierten Substanz (ca.<br />
90 %), bei einer mittleren Halbwertszeit von<br />
2–3 Stunden. Dies führt dazu, dass Droxidopa<br />
Abb. 3: Design der Phase-III-Studie mit Droxidopa<br />
– ähnlich dem Levodopa – mehrmals täglich<br />
eingenommen werden muss (wobei sich eine<br />
3-mal tägliche Gabe als effektiv erwiesen hat).<br />
Erfahrungen aus<br />
Phase-II- und -III-Studien<br />
Nach präklinischen Untersuchungen zur<br />
Wirksamkeit und Sicherheit von Droxidopa<br />
wurde die Substanz in verschiedenen Phase-<br />
II-Studien getestet, mit besonderem Augenmerk<br />
auf den symptomatischen Effekt auf<br />
orthostatisch hervorgerufene Beschwerden<br />
anhand verschiedener Skalen zur Erfassung<br />
klinischer Symptome (OHSA = orthostatic hypotension<br />
symptom scale, OHDAS = orthostatic<br />
hypotension daily activity scale, GCI-I<br />
= global clinical impression-improvement).<br />
Hier zeigte sich sowohl ein zumeist moderater<br />
blutdrucksteigernder Effekt in Ruhe, bei<br />
guter Verbesserung des orthostatischen Blutdruckabfalls,<br />
als auch eine signifikante Verbesserung<br />
der OH-begleitenden Symptome,<br />
getestet an MSA- und PAF-PatientInnen.<br />
Das Ergebnis einer europaweiten Studie (30<br />
Zentren, 125 PatientInnen, doppelblind und u<br />
83
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Autonome Störungen<br />
placebokontrolliert) zur Dosisfindung von<br />
Droxidopa bei PatientInnen mit NOH bei Mb.<br />
Parkinson und MSA zeigte, dass die optimale<br />
Dosierung bei 3-mal 300 mg/d liegt und<br />
dabei eine signifikante Reduktion des systolischen<br />
Blutdruckabfalls erreicht werden kann<br />
(im Mittel um 11,4 mmHg).<br />
Basierend auf diesen Ergebnissen wurde die<br />
Phase-III-Studie designt und kürzlich fertig<br />
gestellt (multicenter, randomisiert, placebokontrolliert<br />
mit einer offenen Titrationsphase<br />
gefolgt von einer 7-tägigen Auswaschphase<br />
und anschließenden 7-tägigen Therapiephase).<br />
Insgesamt wurden hier 263 PatientInnen<br />
als „Responder“ eingestuft, d. h., dass ein<br />
definiertes Ansprechen auf Droxidopa gegeben<br />
war, und schließlich 168 PatientInnen in<br />
die Studie randomisiert.<br />
In diese Studie wurden PatientInnen mit Mb.<br />
Parkinson, MSA und PAF eingeschlossen. Das<br />
Ergebnis ist zum jetzigen Zeitpunkt noch<br />
nicht veröffentlicht, aber aufgrund der sehr<br />
ermutigenden Daten aus Phase-II-Studien<br />
wird derzeit eine Zulassung in Europa und<br />
USA angestrebt.<br />
Indikation und Dosierung<br />
Die Indikation von Droxidopa soll für folgende<br />
Konstellationen gestellt werden: symptomatische<br />
NOH bei Patienten mit Mb. Parkinson,<br />
Multisystematrophie, primär autonomes<br />
Versagen, familiäre Dysautonomie, Beta-Hydroxylase-Mangel,<br />
nichtdiabetische autonome<br />
Neuropathie.<br />
Entsprechend den oben angeführten pharmakokinetischen<br />
Erfahrungen wird Droxidopa<br />
3-mal täglich eingenommen, die Startdosis<br />
wird bei 3-mal 100 mg empfohlen, anschließend<br />
wird eine Steigerung um 100 mg<br />
bis zu einer Maximaldosis von 3-mal 600 mg<br />
täglich empfohlen.<br />
Resümee<br />
Droxidopa stellt als Vorläufersubstanz des<br />
Noradrenalins einen hoffnungsvollen neuen<br />
Kandidaten für die Behandlung der neurogenen<br />
orthostatischen Hypotonie bei PatientInnen<br />
mit Mb.Parkinson, MSA und PAF dar,<br />
dessen Wirksamkeit und Sicherheit gezeigt<br />
werden konnte. Eine baldige Zulassung in<br />
europäischen und amerikanischen Ländern<br />
wird derzeit angestrebt.<br />
Literatur:<br />
- Mathias CJ et al., L-dihydroxyphenylserine (Droxidopa)<br />
in the treatment of orthostatic hypotension. The<br />
European experience. Clin Auton Res 2008;<br />
Suppl 1:25–29<br />
- Kaufmann H et al., L-dihydroxyphenylserine (Droxidopa):<br />
a new therapy for neurogenic orthostatic hypotension.<br />
The US experience. Clin Auton Res 2008;<br />
Suppl 1:19–24<br />
- Mathias CJ et al., A double-blind, randomized,<br />
placebo-controlled study to determine the efficacy<br />
and safety of droxidopa in the treatment of<br />
orthostatic hypotension associated with multiple system<br />
atrophy or Parkinson’s disease. Clin Auton Res 2007;<br />
17:272(Abstract)<br />
- Goldstein DS et al. 2004, Clinical pharmacokinetics of<br />
the norepinephrine precursor L-threo-DOPS in primary<br />
chronic autonomic failure. Clin Auton Res 2004;<br />
14(6):363–68<br />
- Esler et al., An explanation of the unexpected efficacy of<br />
L-DOPS in pure autonomic failure. Clin Auton Res 2004;<br />
14:356–357<br />
- Droxidopa 301 study protocol (Chelsea© therapeutics)<br />
84
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neurogeriatrie<br />
Zusammengestellt für den Beirat „Neurogeriatrie“:<br />
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder<br />
Universitätsklinik für Geriatrie, Christian-Doppler-Klinik, Salzburg<br />
Ideale Lipidstoffwechselprofile für ein langes Leben<br />
Ein aktueller Review-Artikel 1 in Current Opinion in Cardiology beschäftigt sich mit den Zusammenhängen<br />
zwischen Lipidprofil, genetischen Einflussfaktoren und Langlebigkeit. Der nachfolgende Text versucht eine<br />
Zusammenfassung.<br />
Während für das jüngere und mittlere Lebensalter<br />
der Zusammenhang zwischen Fettstoffwechsel,<br />
kardiovaskulären und zerebrovaskulären<br />
Erkrankungen klar ist, fehlt es an<br />
Wissen über diese Zusammenhänge bei<br />
hochaltrigen (80+) Personen. Dies ist bedeutsam,<br />
da die Zahl der alten und ältesten Menschen<br />
weltweit zunimmt und in den westlichen<br />
Industrieländern bis zur Mitte dieses<br />
Jahrhunderts auf bis zu 10 % der Gesamtbevölkerung<br />
anwachsen wird. Typischerweise<br />
finden sich bei hochaltrigen Menschen – insbesondere<br />
bei 100-Jährigen – Cholesterinprofile,<br />
die ein niedriges Risiko für atherosklerotische<br />
Erkrankungen definieren: hohe<br />
HDL, niedrige LDL und niedrige Gesamtcholesterinspiegel.<br />
Lipidprofile im Alternsprozess<br />
Bei Männern führen im Alterungsprozess hormonelle<br />
Veränderungen und eine Zunahme<br />
der abdominellen Fettverteilung zu ungünstigen<br />
Auswirkungen auf den Lipidmetabolismus,<br />
durch die Abnahme der Androgenspiegel<br />
kommt es allerdings auch zu einer Erhöhung<br />
der HDL-Cholesterinspiegel im Ver gleich<br />
zum mittleren Lebensalter.<br />
Frauen zeigen im Alter eine stärkere Zunahme<br />
der Gesamtcholesterinspiegel, so finden<br />
sich die höchsten Cholesterinwerte bei Frauen<br />
in der 6. Dekade, bei Männern in der 5.<br />
Dekade. Postmenopausal finden sich bei<br />
Frauen höhere Werte für Gesamtcholesterin,<br />
LDL und Triglyzeride, während die HDL-Cholesterinspiegel<br />
im Vergleich zu prämenopausalen<br />
Frauen absinken. Für den Anstieg der<br />
Triglyzeride (bis zu 16 %) wird besonders die<br />
Reduktion der Östrogenspiegel in der Postmenopause<br />
verantwortlich gemacht, dazu<br />
kommt der Faktor der Zunahme der abdominellen<br />
Fettverteilung, der sich auch ungüns -<br />
tig auf HDL-Cholesterinspiegel und Triglyzeride<br />
auswirkt.<br />
Genetische Faktoren<br />
Große multinationale Forschungsprogramme<br />
(GEHA – GEnetics of Healty Aging; LLFS –<br />
Long Life Family Study) stellen sich aktuell<br />
der Frage nach genetischen Determinanten<br />
für extreme Langlebigkeit, zahlreiche Kohortenstudien<br />
gewichten die genetische Komponente<br />
für Langlebigkeit mit 15–30 %. So<br />
haben Zwillinge von 100-Jährigen eine 8 bis<br />
18-fach höhere Wahrscheinlichkeit, ebenfalls<br />
100 Jahre zu werden. Der zentrale Faktor der<br />
extremen Langlebigkeit ist die Resistenz gegenüber<br />
Krankheiten, die zu frühem Tod führen<br />
– extrem langlebige Menschen bleiben<br />
in der Regel von kardio- und zerebrovaskulären<br />
Erkrankungen, Diabetes, Alzheimer und<br />
Krebs verschont.<br />
Aktuell werden etwa 100 Kandidatengene<br />
für menschliche Langlebigkeit diskutiert, einige<br />
betreffen den Lipidstoffwechsel:<br />
• Die physiologische Rolle des Apolipo -<br />
protein E liegt in der Regelung der<br />
Interaktion von Lipoproteinen mit den<br />
jeweiligen Rezeptoren, z. B. für LDL und<br />
Chylomikronen. Apolipoprotein,<br />
E-Genpolymorphismen beeinflussen<br />
etwa 4–15 % der Variabilität der LDL-<br />
Cholesterinspiegel. Zahlreiche Studien<br />
belegen einen Zusammenhang zwischen<br />
dem ε4-Allel, Atherosklerose und der<br />
Alzheimer-Erkrankung, während eine<br />
signifikant höhere Frequenz des ε2-Allels<br />
bei Hochaltrigen gefunden werden<br />
konnte.<br />
• Hohe Spiegel von Adiponektin konnten<br />
in mehreren Untersuchungen von<br />
Hochaltrigen gezeigt werden, wobei hier<br />
auch genetische Varianten des ADIPOQ-<br />
Gens eine Rolle spielen dürften, be son -<br />
ders bei Männern.<br />
• Für Leptin konnten genetische Varianten<br />
im LEP-Gen gezeigt werden, die mit<br />
Langlebigkeit bei Männern assoziiert<br />
sind. Hier kann ähnlich wie für ADIPOQ<br />
eine geschlechtsspezifische Variabilität<br />
der Langlebigkeit angenommen werden.<br />
• Auch genetische Varianten im Angio -<br />
tensin Converting Enzyme-Gen und im<br />
Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptor wurden mit<br />
Langlebigkeit assoziiert.<br />
• CETP-Genpolymorphismen (Cholesterol<br />
Ester Transfer Protein) spielen ebenfalls<br />
eine interessante Rolle, da CETP den<br />
Austausch von Cholesterinestern für<br />
Triglyzeride zwischen HDL-Partikeln und<br />
triglyzeridreichen Lipoproteinen – und<br />
damit die Plasma-HDL-Spiegel – beein -<br />
flusst. Hier wurden genetische Varianten<br />
beschrieben, die mit außergewöhnlicher u<br />
85
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neurogeriatrie<br />
Langlebigkeit – aber auch mit sehr hohen<br />
HDL-Cholesterinspiegeln (> 70 mg/dl) –<br />
assoziiert sind.<br />
• Im Interesse aktueller Forschung stehen<br />
auch die Paraoxonase 1 (PON-1), die als<br />
protektiver Faktor gegen die oxidative<br />
Modifikation von LDL- Partikeln ange -<br />
sehen wird, sowie der Peroxisome Pro -<br />
liferator Activated Receptor -2 (PPARG),<br />
der Fettstoffwechsel, Insulinsensitivität<br />
und inflammatorische Response beein -<br />
flusst.<br />
Klinische Konsequenz: Therapie<br />
der Hyperlipidämie im Alter<br />
Klinische Endpunktdaten sind rar, zeigen<br />
aber, dass eine Statintherapie das Risiko für<br />
atheroskleroseassoziierte Erkrankungen auch<br />
im Alter senkt, zumindest für Menschen in<br />
gutem Allgemeinzustand mit einer Lebenserwartung<br />
von wenigstens 3 Jahren.<br />
Im Alter müssen insbesondere die verminderten<br />
Eliminationsfähigkeiten von Nieren und<br />
Leber sowie mögliche Interaktionen mit anderen<br />
Pharmaka (Stichwort Polypharmazie)<br />
beachtet werden. Eine gute Verträglichkeit<br />
von Statinen im höheren Lebensalter gilt mittlerweile<br />
als gesichert, und mehrere Studien<br />
(J- LIT, 4S, SAGE, TNT, IDEAL) belegen positive<br />
Effekte einer Statintherapie hinsichtlich kardiovaskulärer<br />
Endpunkte auch bei älteren<br />
Menschen: So wurde gezeigt, dass in einer<br />
älteren Population 13 PatientInnen behandelt<br />
werden müssen, um ein kardiovaskuläres Ereignis<br />
zu verhindern, während diese Zahl bei<br />
jüngeren Kollektiven mit 43 angegeben wird.<br />
Auch die Ergebnisse der Heart Protection<br />
Study (HPS), die mehr als 5000 PatientInnen<br />
in der Altersgruppe von über 70 Jahren eingeschlossen<br />
hat, zeigen keine unterschiedlichen<br />
Auswirkungen auf Endpunkte in Bezug<br />
auf die verschiedenen Altersklassen. Prospektive<br />
Studien an Alterskollektiven, wie sie beispielsweise<br />
in der HYVET-Studie für die arterielle<br />
Hypertonie vorliegen, fehlen allerdings<br />
für die Therapie der Dyslipidämie.<br />
Fazit<br />
Zusammenfassend kann man feststellen, dass<br />
das ideale Lipidprofil für gesundes Altern und<br />
Langlebigkeit demjenigen entspricht, das<br />
charakteristisch für ein niedriges Risiko für<br />
atherosklerosebezogene Erkrankungen ist,<br />
daneben spielen genetische Varianten eine<br />
wesentliche Rolle. Auch die Therapie der Hyperlipidämie<br />
im Alter ist gut verträglich und<br />
zeigt ähnlich positive Effekte wie in Populationen<br />
mittleren Alters; Ergebnisse prospektiver<br />
Studien liegen allerdings nicht vor.<br />
1 Kolovou G, Kolovou V, Vasiliadis I, Wierzbicki AS,<br />
Mikhailidis DP, Ideal lipid profile and genes for an<br />
extended life span. Curr Opin Cardiol 2011 Apr 8,<br />
[Epub ahead of print] PMID:21478743<br />
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neurochirurgie<br />
Zusammengestellt im Namen des<br />
Beirats „Neurochirurgie“:<br />
Buchrezension<br />
M. Forsting, I. Wanke (Eds.): Intracranial<br />
Vascular Malformations and Aneurysms<br />
Dr. Michael Prim. Priv.-Doz. Dr.<br />
Lehner Gabriele Wurm<br />
Abteilung für Neurochirurgie<br />
Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, Linz<br />
Die Behandlung intrakranieller Aneurysmen<br />
und vaskulärer Malformationen stellt eine<br />
Herausforderung für NeurochirurgInnen und<br />
in zunehmendem Ausmaß auch für interventionell<br />
tätige NeuroradiologInnen dar. Die rasante<br />
Entwicklung speziell auf dem Gebiet<br />
der endovaskulären Behandlung dieser Pathologien<br />
erfordert eine intensive Auseinandersetzung<br />
mit diesem komplexen Thema<br />
und die Förderung einer gut funktionierenden,<br />
interdisziplinären Zusammenarbeit der<br />
mit der Behandlung dieser komplexen Erkrankungen<br />
beschäftigten Disziplinen.<br />
Das vorliegende Buch beschreibt in 5 illus -<br />
trierten Kapiteln die Pathologie, Klinik, Bild-<br />
86
NEUROLOGIE AKTUELL<br />
Neurochirurgie<br />
gebung und Therapie der verschiedenen intrakraniellen<br />
vaskulären Malformationen und<br />
Aneurysmen.<br />
DVA (developmental venous anomalies)<br />
werden im ersten Kapitel behandelt. Bei diesen<br />
handelt es sich um rein venöse Missbildungen,<br />
die häufig als Zufallsbefund im Rahmen<br />
von MRT-Untersuchungen gefunden<br />
werden. Isolierte DVA zeigen kein Blutungsrisiko<br />
und bedürfen keiner weiteren Diagnostik<br />
oder Therapie. Es wird gezeigt, dass DVA<br />
in bis zu einem Drittel der Fälle mit Kavernomen<br />
assoziiert sind und sich die Therapieentscheidung<br />
dann an der Behandlung der<br />
assoziierten Kavernome orientiert.<br />
Kavernome und kapilläre Teleangiektasien<br />
sind der Inhalt des zweiten Kapitels.<br />
Zu Beginn erfolgen histopathologische Darstellungen<br />
und pathogenetische Überlegungen<br />
zur Entstehung von Kavernomen. Diese<br />
können sporadisch, nach Radiotherapie<br />
sowie familiär (multiple Kavernome) auftreten.<br />
Das Blutungsrisiko wird mit 0,25–0,7 %<br />
angegeben; epileptische Anfälle sind das<br />
häufigste Initialsymptom von Kavernomen.<br />
Die MRT wird als Untersuchung der Wahl angeführt,<br />
es können Aussagen zu Morphologie,<br />
stattgehabten Blutungen sowie assoziierten<br />
Malformationen (DVA) gemacht werden.<br />
Zum Schluss des Kapitels wird die<br />
Literatur zur Therapie der Kavernome, die in<br />
erster Linie in der neurochirurgischen Exzision<br />
besteht, diskutiert.<br />
M. Forsting, I. Wanke (Eds): Intracranial<br />
Vascular Malformations and Aneurysms,<br />
Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2008<br />
Piale arteriovenöse Malformationen<br />
(AVM) werden im dritten Kapitel beschrieben.<br />
Hierbei handelt es sich um kongenitale<br />
zerebrovaskuläre Missbildungen, bei denen<br />
ein Netzwerk aus abnormalen Gefäßen<br />
(Nidus) zwischen speisenden Arterien und arterialisierten<br />
Venen liegt. Es folgt eine genaue<br />
klinische Darstellung der AVM, insbesondere<br />
werden das Blutungsrisiko sowie Faktoren,<br />
die dieses beeinflussen, diskutiert. Für die<br />
komplexe Therapieentscheidung (Embolisation,<br />
mikroneurochirurgische Exzision, Radiochirurgie<br />
oder kombinierte Therapieoptionen)<br />
wird speziell auf die Wichtigkeit einer Zusammenarbeit<br />
eines erfahrenen, multidisziplinären<br />
Teams, bestehend aus NeuroradiologInnen,<br />
RadiochirurgInnen und NeurochirurgInnen,<br />
hingewiesen. Nach Meinung der Autoren<br />
ist immer die komplette Ausschaltung<br />
der AVM Ziel der Therapie, da eine Teilbehandlung<br />
das Blutungsrisiko nicht senkt und<br />
lediglich zur Symptomkontrolle (progressives<br />
<strong>neurologisch</strong>es Defizit bei Steal-Phänomen)<br />
bzw. zur Ausschaltung Flow-bezogener<br />
Aneurysmen („Schwachpunkt“ einer AVM)<br />
indiziert ist.<br />
Durale arteriovenöse Malformationen<br />
(DAVM), die vielerorts auch als durale AV-<br />
Fisteln bezeichnet werden, sind der Inhalt des<br />
nächsten, sehr gut illustrierten Kapitels.<br />
DAVM sind abnormale Shunts zwischen arteriellen<br />
und venösen Gefäßen, die in der<br />
Dura liegen, am häufigsten in der Nähe der<br />
venösen Sinus. Es erfolgt eine ätiologische<br />
und pathogenetische Darstellung dieser relativ<br />
seltenen Läsionen, die nicht alle kongenital,<br />
wie früher vermutet, sondern häufig<br />
auch nach Traumen, venöser Thrombose oder<br />
transkranieller Chirurgie erworben sind. Symptomatisch<br />
werden diese Läsionen entweder<br />
durch Blutungen oder durch Symptome wie<br />
pulsatilen Tinnitus, Kopfschmerzen, Anfälle<br />
oder Hirnnervenausfälle. Danach wird die<br />
Klassifizierung von DAVM dargestellt, die im<br />
Wesentlichen auf dem venösen Drainagemus -<br />
ter basiert und die Aggressivität des klinischen<br />
Verlaufs gut vorhersehen lässt.<br />
Hinsichtlich bildgebender Darstellung dieser<br />
Läsionen bleibt die digitale Subtraktionsangiographie<br />
(DSA) zu exakten Darstellung,<br />
Klassifikation und Therapieplanung notwendig.<br />
Als Therapieoptionen werden die manuelle<br />
Kompressionstherapie, transarterielle und<br />
transvenöse Embolisation, neurochirurgischer<br />
Verschluss, stereotaktisch-radiochirurgische<br />
Bestrahlung bzw. kombinierte Strategien angeführt.<br />
Ein konservativ-observierendes Vorgehen<br />
ist bei asymptomatischen PatientInnen<br />
mit angiographisch „benignen“ Läsionen<br />
möglich.<br />
Intrakranielle Aneurysmen: Das letzte Kapitel<br />
widmet sich den intrakraniellen Aneurysmen.<br />
Zu Beginn erfolgt eine ausführliche<br />
pathologische bzw. pathogenetische Beschreibung<br />
zerebraler Aneurysmen, gefolgt<br />
von Angaben zur klinischen Präsentation, Epidemiologie<br />
und Verlauf der Subarachnoidalblutung<br />
(SAB). Zur Diagnose der SAB und<br />
zerebraler Aneurysmen werden die Vor- und<br />
Nachteile der verschiedenen Untersuchungsmodalitäten<br />
CT und CT-Angiographie, MR-<br />
Angiographie und DSA diskutiert. Die konventionelle<br />
zerebrale 4-Gefäße-Angiographie<br />
mit 3-D-Rotationsangiographie bleibt der<br />
Goldstandard zur definitiven Diagnose und<br />
Therapieplanung.<br />
Die Therapie hat sich in den letzten Jahren,<br />
insbesondere seit der Publikation der ISAT-<br />
Studie 2002, dramatisch dahingehend verändert,<br />
als der Anteil der endovaskulär versorgten<br />
im Vergleich zu den mikrochirurgisch geklippten<br />
Aneurysmen deutlich zugenommen<br />
hat. Dies ist eine Folge der sich rasant entwickelnden,<br />
modernen endovaskulären Therapieoptionen<br />
mittels Coils, Stents, Remodelling-Techniken<br />
usw., die im Detail erläutert<br />
werden. Die „verbleibenden“, interventionell<br />
neuroradiologisch nicht versorgbaren Aneurysmen<br />
sind in der Regel komplex und benötigen<br />
eine hohe neurochirurgische Expertise,<br />
die aufgrund sinkender Klippungsoperationen<br />
schwierig zu erhalten ist und auch<br />
für die Ausbildung zukünftiger AneurysmenchirurgInnen<br />
ein Problem darstellt.<br />
87
Service –Veranstaltungstermine<br />
43 rd International Danube Neurology Symposium<br />
6.–8. Oktober<br />
Carl Gustav Carus, Technical University of Dresden<br />
D-01307 Dresden, Fiedlerstraße 42/House 91 (MTZ)/<br />
House 40(DEK)<br />
Information:<br />
E-Mail: danube2011@cpo-hanser.de<br />
Webinfo: www.danube2011.org<br />
3 rd Scientific Meeting of the ESN<br />
7.–9. September<br />
Congress Center, Basel<br />
Webinfo: www.esn2011.org<br />
15 th EFNS Congress<br />
10.–13. September<br />
Budapest, Hungary<br />
Information:<br />
E-Mail: budapest2011@efns.org<br />
Webinfo: www.efns.org/efns2011<br />
24. Jahrestagung der Österreichischen<br />
Alzheimergesellschaft<br />
16.–17. September<br />
Renaissanceschloss Rosenburg, Waldviertel<br />
Information: christian.bancher@horn.lknoe.at<br />
84. Kongress der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />
für <strong>Neurologie</strong> mit Fortbildungsakademie<br />
28. September bis 1. Oktober<br />
Rhein-Main-Hallen, Wiesbaden<br />
Information: Prof. Dr. Jan Kassubek,<br />
Neurologische Universitätsklinik Ulm<br />
D-89081 Ulm, Oberer Eselsberg 45<br />
Tel.: +49 (0)731/177 12 06<br />
E-Mail: jan.kassubek@uni-ulm.de<br />
Webinfo: www.dgn2011.de<br />
Neuroimaging-Akademie<br />
30. September bis 1. Oktober<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Wien<br />
Information: ÖGN-Sekretariat<br />
BRAINdays 2011<br />
30. September bis 1. Oktober<br />
NH Danube City, 1220 Wien, Wagramer Straße 21<br />
Webinfo: www.braindays.com<br />
Anmeldung: office@medizin-akademie.at<br />
7. Neurologische Fortbildungstage<br />
30. September bis 1. Oktober<br />
NH Danube City<br />
Wagramer Staße 21, 1220 Wien<br />
E-Mail: preisinger@medizin-akademie.at<br />
Jahrestagung der<br />
Österreichischen Parkinsongesellschaft<br />
13.–15.Oktober<br />
Congress Center, Villach<br />
Information: pco tyrol congress<br />
Rennweg 3, 6020 Innsbruck<br />
5 th World Congress on Controversies in Neurology<br />
13.–16. Oktober<br />
Beijing, China<br />
Webinfo: comtecmed.com/cony/2011/<br />
Innsbrucker Neurosonokurse „Kurs 1“<br />
15.–16. Oktober<br />
Information: Dr. Christoph Schmidauer<br />
E-Mail: christoph.schmidauer@uki.at<br />
Facharztausbildungsseminar WS 2011<br />
20.–22. Oktober<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Innsbruck<br />
Information: ÖGN-Sekretariat<br />
7 th International Congress on Vascular Dementia<br />
20.–23. Oktober<br />
Riga, Latvia<br />
Information: Congress Secretariat<br />
Tel.: +41 (0)22/908 0488<br />
Fax: +41 (0)22/906 9140<br />
E-Mail: vascular@kenes.com<br />
Webinfo:<br />
www.kenes.com/vascular2011/mailshots/ms5.htm?ref5=db1<br />
1 st European NeuroRehabiliation Congress<br />
20.–22. Oktober<br />
Kurhaus Meran<br />
I-39012 Meran, Freiheitsstraße 33 Corso Libertà<br />
Information:<br />
E-Mail: enrc2011@come-innsbruck.at<br />
Webinfo: www.enrc2011.eu<br />
2. Grazer Neurogeriatrisches Symposium<br />
22. Oktober<br />
Albert-Schweitzer-Klinik<br />
8020 Graz, Albert-Schweitzer-G. 36<br />
Information: OA Dr. Ronald Saurugg, Abteilung für <strong>Neurologie</strong><br />
Fax: +43 (0)316/70 60-1319<br />
E-Mail: ronald.saurugg@stadt.graz.at<br />
94
ÖGN-Sekretariat: Tanja Weinhart<br />
Garnisongasse 7/22, 1090 Wien<br />
Tel.: +43 (0)1/512 80 91-19<br />
E-Mail: weinhart@admicos.com<br />
Schmerzakademie Modul 1<br />
28.–30. Oktober<br />
Hotel Friesacher, Anif<br />
Information: ÖGN-Sekretariat<br />
9. Südtiroler Neurophysiologisches Wochenende<br />
28.–30. Oktober<br />
Sand in Taufers/Campo Tures<br />
Information: Frau Schleyer<br />
Care Fusion Germany 234 Training Center<br />
97204 Höchberg, Leibnizstraße 7<br />
MS-Usermeeting<br />
4. November<br />
Hotel Gut Brandlhof, Saalfelden<br />
Information: ÖGN-Sekretariat<br />
Plattform Niedergelassene NeurologInnen<br />
4.–5. November<br />
Hotel Gut Brandlhof, Saalfelden<br />
Information: ÖGN-Sekretariat<br />
19. Jahrestagung der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> für<br />
Schlafforschung und Schlafmedizin<br />
10.–12. November<br />
Mannheim<br />
Information: Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> für Schlafforschung<br />
und Schlafmedizin<br />
E-Mail: dgsm@conventus.de<br />
Webinfo: www.dgsm2011.de<br />
XX th World Congress of Neurology<br />
12.–17. November<br />
Marrakesh, Morocco<br />
Information: Kenes International<br />
CH-1211 Geneva 1 Switzerland,<br />
1-3 rue de Chantepoulet, P.O. Box 1726<br />
Tel: +41 (0)22/908 04 88<br />
Fax: +41 (0)22/906 91 40<br />
E-Mail: wcn@kenes.com<br />
Webinfo: www.kenes.com/404a.htm<br />
Curriculum Neurorehabilitation – Modul 4<br />
25. November<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong> Graz<br />
Information: ÖGN-Sekretariat<br />
ÖGN-Schmerzakademie Modul 2<br />
25.–27. November<br />
Hotel Friesacher, Anif<br />
Information: ÖGN-Sekretariat<br />
Jahrestagung der Österreichischen <strong>Gesellschaft</strong><br />
für Neurorehabilitation<br />
26. November<br />
Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Graz<br />
Information: Univ.-Doz. Dr. Christian Enzinger<br />
E-Mail: chris.enzinger@medunigraz.at<br />
Innere Medizin Update – Refresher<br />
30. November bis 4. Dezember<br />
Aula der Wissenschaften, Wien<br />
Information: Forum für medizinische Fortbildung<br />
Tel.: +43 (0)2252/263 263-10<br />
Fax: +43 (0)2252/263 263-40<br />
E-Mail: info@fomf.at<br />
Webinfo: www.fomf.at<br />
6. Deutscher Wirbelsäulenkongress<br />
8.–10. Dezember<br />
Congress Centrum Hamburg<br />
Information: Justus G. Appelt<br />
Tel.: +49 (0)3641/311 63 11<br />
Fax: +49 (0)3641/311 62 40<br />
E-Mail: dwg@conventus.de<br />
Webinfo: www.dwg2011.de<br />
MS-Akademie<br />
9.–10. Dezember<br />
Seminarhotel Lengbachhof, Steinhäusl 8, 3033 Altlengbach<br />
Information: ÖGN-Sekretariat<br />
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