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neurologisch - Österreichische Gesellschaft für Neurologie

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P.b.b. 07Z037411M, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien, ISSN 2223-0629<br />

<strong>neurologisch</strong><br />

Fachmagazin für <strong>Neurologie</strong> AUSGABE 3/11<br />

Offizielles Organ<br />

der Österreichischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für<br />

<strong>Neurologie</strong><br />

Schwerpunkt<br />

Multiple Sklerose<br />

MedMedia<br />

Verlags Ges.m.b.H.<br />

Kongresshighlights<br />

MDS, ESC, ICAD,<br />

Jahrestagung der Liga<br />

gegen Epilepsie<br />

<strong>Neurologie</strong> in Österreich<br />

Erste Verlaufsstudie zur optischen<br />

Kohärenztomographie bei MS<br />

Für die Praxis<br />

Neuropathischer Schmerz<br />

und dessen Erfassung


Editorial<br />

Sehr geehrte Frau Kollegin,<br />

sehr geehrter Herr Kollege!<br />

Der Sommer ist kaum vorbei, und der Alltag<br />

hat uns schon wieder fest im Griff. Nichts<br />

mehr zu spüren von Urlaub und Erholung.<br />

Die europäische Finanzkrise schickt ihre Ausläufer<br />

auch bis in das österreichische Gesundheitswesen<br />

– leise, aber doch. Sparen<br />

ist angesagt. Die Vorschläge dazu werden<br />

aus den Schubladen geholt, und die Meinungen<br />

gehen wie immer auseinander. Gut,<br />

dass wir noch immer ruhig weiterarbeiten.<br />

Das neue Heft unserer Zeitschrift <strong>neurologisch</strong><br />

bietet Ihnen wieder die bewährte Informationsvielfalt.<br />

Das Schwerpunktthema<br />

„Multiple Sklerose“ beschäftigt sich mit As -<br />

pekten der symptomatischen Therapie, der<br />

<strong>neurologisch</strong>en Rehabilitation und den sozialmedizinischen<br />

Konsequenzen. Prof. Enzinger<br />

gibt einen Überblick zur Neuroplastizität<br />

und zeigt, welche Bedeutung die funktionelle<br />

Bildgebung für die Forschung in diesem<br />

Bereich hat. Die motorischen Probleme Spas -<br />

tik, Fatigue und Einschränkung der Gehfähigkeit<br />

werden von Prof. Leutmezer behandelt,<br />

die Möglichkeiten der motorischen Rehabilitation<br />

von Prof. Asenbaum-Nan. Zu<br />

wenig Aufmerksamkeit wird oft den kognitiven<br />

und emotionalen Störungen geschenkt,<br />

die Kommunikation mit MS-PatientInnen ist<br />

ein zentraler Punkt. Die entsprechenden Beiträge<br />

von Dr. Zebenholzer, Dr. Pusswald und<br />

Mag. Mildner sowie von Prof. Fuchs sind informativ<br />

und lesenswert. Prof. Berger liefert<br />

einen Überblick über ein weiteres wichtiges,<br />

aber oft vernachlässigtes Gebiet: Blasen- und<br />

Sexualfunktionsstörungen bei MS. Die Mitarbeiterinnen<br />

der MS-<strong>Gesellschaft</strong> Wien<br />

geben einen Einblick in ihre Tätigkeit und die<br />

sozialmedizinischen Konsequenzen der MS.<br />

Daneben gibt es wie immer Kongressberichte,<br />

diesmal z. B. über den Movement Disorders<br />

Congress in Toronto und die International<br />

Conference on Alzheimer’s Disease<br />

(ICAD) in Paris.<br />

Praxisthemen sind der neuropathische<br />

Schmerz und dessen Erfassung sowie die<br />

SniffPD-Studie, eine Praxisstudie zur Riechstörung<br />

bei Parkinson-Patienten. Hinzu kommen<br />

aktuelle Berichte über diverse <strong>neurologisch</strong>e<br />

Themen, die einen fokussierten Einblick<br />

in Forschung und Praxis ermöglichen.<br />

Ihre besondere Aufmerksamkeit möchte ich<br />

auf die Änderung der Ärztinnen-/Ärzte-Ausbildungsordnung<br />

(wirksam mit 1. 7. 2011)<br />

lenken, welche die Kriterien für die Ausbildung<br />

im Additivfach Geriatrie festlegt. Übergangsbestimmungen<br />

wurden speziell für<br />

KollegInnen, die das ÖÄK-Diplom Geriatrie<br />

besitzen, geschaffen. Bitte informieren Sie<br />

sich über die nunmehr geltenden Kriterien<br />

bzw. die exakten Bedingungen der Übergangsbestimmungen.<br />

Ich wünsche Ihnen wie immer viel Freude<br />

bei der Lektüre von <strong>neurologisch</strong>!<br />

Mit kollegialen Grüßen<br />

Ihr<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff<br />

Vorstand der Universitätsklinik für<br />

<strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Wien,<br />

Präsident der ÖGN<br />

Wollen Sie mit uns<br />

in Kontakt treten?<br />

Leserbriefe erwünscht:<br />

<strong>neurologisch</strong>@medmedia.at oder<br />

Seidengasse 9/Top1.1,<br />

1070 Wien<br />

Chefredaktion<br />

<strong>neurologisch</strong><br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />

SMZ Ost, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />

Generalsekretär der ÖGN<br />

FOTO: MEDCOMMUNICATIONS<br />

3


Wissenschaftlicher<br />

Beirat<br />

Bewegungsstörungen<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe, Innsbruck<br />

Epilepsie<br />

Univ.-Prof. DI Dr. Christoph Baumgartner, Wien<br />

Priv.-Doz. Dr. Michael Feichtinger, Graz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, Salzburg<br />

Schlafstörungen<br />

Univ.-Prof. Dr. Birgit Högl, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. DDr. Josef Zeitlhofer, Wien<br />

Neurorehabilitation<br />

Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Wien<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Heinrich Binder, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Leopold Saltuari, Hochzirl<br />

Schlaganfall<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Aichner, Linz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin, Tulln<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang, Wien<br />

Schmerz<br />

Dr. Gerhard Franz, Telfs<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl, Linz<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Vöcklabruck<br />

Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Löscher, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Stefan Quasthoff, Graz<br />

Multiple Sklerose<br />

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Graz<br />

Univ.-Prof. Dr. Karl Vass, Wien<br />

Demenz<br />

Univ.-Prof. Dr. Thomas Benke, Innsbruck<br />

Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt, Graz<br />

Autonome Störungen<br />

DI Dr. Heinz Lahrmann, Wien<br />

Dr. Walter Struhal, Linz<br />

Univ.-Prof. Dr. Gregor Wenning, Innsbruck<br />

Neurogeriatrie<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder, Salzburg<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, Linz<br />

Prim. Univ.-Doz. Dr. Josef Spatt, Wien<br />

Neurochirurgie<br />

Univ.-Prof. Dr. Engelbert Knosp, Wien<br />

Prim. Univ.-Doz. Dr. Manfred Mühlbauer, Wien<br />

Prim. Doz. Dr. Gabriele Wurm, Linz<br />

Neuroimaging<br />

Univ.-Prof. MSc DDr. Susanne Asenbaum-Nan, Wien<br />

Assoz. Prof. Dr. Christian Enzinger, Graz<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller, Villach<br />

Leitmotiv der<br />

aktuellen Ausgabe <strong>neurologisch</strong><br />

Die 1975 in Wien geborene Künstlerin Nora Hofbauer studierte nach einer fotographischen<br />

Ausbildung an der Graphischen Lehr- & Versuchsanstalt seit 2006 in Wien an der Akademie<br />

der bildenden Künste Grafik. Ihre Arbeiten präsentierte sie u. a. heuer gemeinsam mit Gunter<br />

Damisch und seiner Klasse in der Ausstellung „Wem die Stunde schlägt“ in St. Pölten.<br />

Vorliegende Arbeit: „Ohne Titel“, 2011<br />

Technik: Monotypie, nachbearbeitet<br />

„In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit den Möglichkeiten von Systemen zur Selbstregu -<br />

lation. Sie bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Widerstand, Resilienz und Resignation<br />

oder Toleranz, dem einfachen Ertragen von Unterdrückung,<br />

Begrenzung, Zwang und Restriktion. Bei der multiplen Sklerose,<br />

deren Krankheitsbild sich durch eine Abwehrreaktion<br />

des eigenen Immunsystems manifestiert, interessiert mich<br />

eben dieser Aspekt des Angriffs, des Übergriffs, der Fehlleistung<br />

des Immunsystems, also des eigentlich für Schutz<br />

und Widerstand Verantwortlichen.“<br />

Nora Hofbauer<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Österreichische <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong>, Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff, Präsident der ÖGN. Chefredaktion: Univ.-Prof. Dr. Bruno<br />

Mamoli, Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager. Medieninhaber und Verlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31 11-0,<br />

E-Mail: office@medmedia.at. Verlagsleitung: Mag. Gabriele Jerlich. Redaktion: Maria Uhl. Lektorat: onlinelektorat@aon.at. Layout/DTP: Martin Grill. Projektbetreuung: Natascha<br />

Fial. Coverbild: Nora Hofbauer. Print: „agensketterl“ Druckerei GmbH, Mauerbach. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift ist zum Einzelpreis von 9,50 Euro plus MwSt. zu beziehen.<br />

Druckauflage: 8.150 Stück im 1. Halbjahr 2011, geprüft von der Österreichischen Auflagenkontrolle. Grundsätze und Ziele von <strong>neurologisch</strong>: Kontinuierliche medizinische Fortbildung<br />

für Neuro logen, Psychi ater und Allgemeinmediziner. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissenschaftliche Meinung<br />

des jeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungsbereich des Verfassers. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von<br />

pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung übernehmen Medieninhaber<br />

und Herausgeber keinerlei Haftung für drucktechnische und inhaltliche Fehler. Ausgewählte Artikel dieser Ausgabe finden Sie auch unter www.medmedia.at<br />

zum Download. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in<br />

irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer<br />

Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet werden.<br />

4


Inhalt 3/2011<br />

GESELLSCHAFTSNACHRICHTEN<br />

6 Neuigkeiten aus der ÖGN<br />

121 Veranstaltungskalender<br />

SCHWERPUNKT: MULTIPLE SKLEROSE<br />

11 Vorwort<br />

K. Vass, Wien<br />

12 Neuroplastizität bei multipler Sklerose<br />

C. Enzinger, Graz<br />

18 Kommunikation mit MS-Patientinnen<br />

und -Patienten<br />

S. Fuchs, Graz<br />

22 Kognition und multiple Sklerose<br />

G. Pusswald, C. Mildner, Wien<br />

25 Emotionale Störungen<br />

und multiple Sklerose<br />

K. Zebenholzer, Wien<br />

28 (Motorische) Rehabilitation<br />

bei multipler Sklerose<br />

S. Asenbaum-Nan, Wien<br />

32 Spastik, Fatigue und Gehfähigkeit<br />

G. Zulehner, F. Leutmezer, Wien<br />

35 Blasen- und Sexualfunktionsstörungen<br />

bei multipler Sklerose<br />

T. Berger, Innsbruck<br />

40 Sozialmedizinische Konsequenzen<br />

der multiplen Sklerose<br />

K. Schlechter, L. Bauer-Bohle, Wien<br />

NEUROLOGIE IN ÖSTERREICH<br />

52 Anmerkungen zum „publication bias“<br />

F. Aboul-Enein, Wien<br />

54 Hochauflösende SD-OCT bei MS –<br />

erste Verlaufsstudie über 2 Jahre<br />

F. Aboul-Enein, Wien<br />

KONGRESS-HIGHLIGHTS<br />

63 15 th International Congress of Parkinson’s<br />

Disease and Movement Disorders 2011<br />

K. Wenzel, P. Schwingenschuh, Graz<br />

66 20 th European Stroke Conference 2011<br />

T. Gattringer, Graz<br />

69 International Conference<br />

on Alzheimer’s Disease<br />

E. Sieczkowski, P. Dal-Bianco, Wien<br />

72 Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen,<br />

Schweizerischen und Österreichischen Liga<br />

gegen Epilepsie<br />

I. Unterberger, Innsbruck; B. Plecko, Graz<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

80 Neuropathischer Schmerz<br />

und dessen Erfassung<br />

S. Quasthoff, Graz<br />

NEUROLOGIE AKTUELL<br />

86 Bewegungsstörungen<br />

D. Volc, A. Wuschitz, Wien, W. Schimetta, Linz<br />

94 Schlafstörungen<br />

B. Frauscher, B. Högl, Innsbruck<br />

95 Schlaganfall<br />

H.-P. Haring, Linz<br />

96 Schmerz<br />

C. Lampl, Linz<br />

98 Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

J. Wanschitz, Innsbruck; B. Calabek, Wien<br />

100 Multiple Sklerose<br />

F. Aboul-Enein, Wien<br />

105 Demenz<br />

K. Jellinger, Wien<br />

108 Autonome Störungen<br />

J. Casanova-Mollá, J. Valls-Solé, Barcelona<br />

110 Neurogeriatrie<br />

G. Ransmayr, Linz<br />

111 Neuroonkologie<br />

W. Grisold, Wien<br />

112 Neurochirurgie<br />

M. Mühlbauer, Wien<br />

114 Neuroimaging<br />

F. Payer, Graz<br />

117 Pharma-News<br />

5


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

ÖGN-News<br />

UEMS<br />

Die UEMS (European Union of Medical Specialists) repräsentiert die<br />

nationalen Verbände der medizinischen Fachrichtungen in der Europäischen<br />

Union und ihren assoziierten Ländern. Die UEMS entwi -<br />

ckelt Standards und Richtlinien in der postgraduellen Ausbildung,<br />

der ärztlichen Fortbildung und für die berufliche Weiterentwicklung<br />

und Qualitätssicherung in der Facharztpraxis. Ziel ist es, die sichere<br />

medizinische Versorgung in ganz Europa zu gewährleisten. Derzeit<br />

werden Kernpunkte der Facharztausbildung zum Facharzt für <strong>Neurologie</strong><br />

ausgearbeitet. Österreich ist in der UEMS durch Univ.-Prof.<br />

Dr. Wolfgang Grisold und durch Dr. Michael Ackerl als Nachfolger<br />

von Prim. Dr. Wolfgang Soukop in der „Working-Organisation“ vertreten.<br />

Die letzte Sitzung fand im Rahmen der EFNS in Budapest<br />

statt.<br />

Strategische Entwicklungen im<br />

stationären/niedergelassenen Bereich<br />

Analog zum Fragebogen des intramuralen Bereiches sollen Informationen<br />

über die Tätigkeit der niedergelassenen FachärztInnen für<br />

<strong>Neurologie</strong> sowie der niedergelassenen FachärztInnen für <strong>Neurologie</strong><br />

& Psychiatrie und Psychiatrie & <strong>Neurologie</strong> eingeholt werden. Der<br />

Zeitaufwand zum Ausfüllen des Fragebogens wird etwa 5–10 Minuten<br />

betragen. Die Fragebögen können anonym ausgefüllt werden. In<br />

diesem Zusammenhang ersucht die ÖGN um Mitarbeit.<br />

Facharztprüfung<br />

Die Prüfungsfragen werden während der nächsten Monate neu<br />

erstellt bzw. überarbeitet und ergänzt.<br />

Dachverband onkologisch tätiger Fachgesellschaften<br />

Im Rahmen der Sitzung vom 29. 06. 2011 wurde die ÖGN als Mitglied<br />

im Dachverband onkologisch tätiger Fachgesellschaften aufgenommen.<br />

Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli wird als Vertreter der ÖGN an<br />

den Sitzungen teilnehmen.<br />

Fördermitglieder<br />

Die Firma Ratiopharm Arzneimittel VertriebsGmbH wurde als Fördermitglied<br />

neu aufgenommen.<br />

Mobilitäts-/Forschungsstipendium<br />

Der Antrag von Dr. Valeriu Culea (Landeskrankenhaus St. Pölten) um<br />

ein ÖGN-Mobilitätsstipendium wurde angenommen.<br />

6


Zusammengestellt von:<br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />

und Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />

Wichtiges aus der Österreichischen<br />

Ärztekammer und den Bundesministerien<br />

Bundesgesetzblatt (12. August 2011)<br />

259. Verordnung: Änderung der Ärztinnen-/Ärzte-Ausbildungsordnung 2006 (ÄAO 2006)<br />

(2. Novelle der ÄAO 2006)<br />

Additivfach Geriatrie<br />

Das Additivfach Geriatrie umfasst die kurative, palliative, präventive und rehabilitative Betreuung von Patientinnen/Patienten auf dem Gebiet<br />

der <strong>Neurologie</strong>, die insbesondere ein höheres biologisches Alter, meist mehrere eingeschränkte Organfunktionen und/oder Erkrankungen,<br />

funktionelle Defizite und somit eine erhöhte Vulnerabilität aufweisen, unter besonderer Berücksichtigung der somatischen, psychischen und<br />

soziokulturellen Aspekte sowie des multidimensionalen geriatrischen Assessments inklusive Nahtstellenmanagement.<br />

Mindestdauer der Ausbildung und Ausbildungsfächer<br />

1. Zwei Jahre Geriatrie unter besonderer Berücksichtigung der Akutgeriatrie und Remobilisation, wobei eine Ausbildung in der Dauer von<br />

höchstens sechs Monaten im Sonderfach <strong>Neurologie</strong> mit geriatrischem Schwerpunkt anrechenbar ist, sofern eine einschlägige Tätigkeit<br />

mit geriatrischen Patientinnen/Patienten nachgewiesen ist<br />

2. Drei oder vier Monate Psychiatrie, wobei eine einschlägige Tätigkeit mit geriatrischen Patientinnen/Patienten nachzuweisen ist<br />

3. Drei oder vier Monate Innere Medizin, wobei eine einschlägige Tätigkeit mit geriatrischen Patientinnen/Patienten nachzuweisen ist<br />

4. Drei oder vier Monate Physikalische Medizin und Allgemeine Rehabilitation einschließlich der Remobilisation und Nachsorge, wobei<br />

eine einschlägige Tätigkeit mit geriatrischen Patientinnen/Patienten nachzuweisen ist<br />

5. Drei Monate in einem Sonderfach nach Wahl, wobei eine einschlägige Tätigkeit mit geriatrischen Patientinnen/Patienten nachzuweisen<br />

ist, mit Ausnahme des Sonderfaches <strong>Neurologie</strong>, sofern in den Ausbildungsfächern 2., 3. und 4. nicht jeweils vier Monate absolviert<br />

worden sind.<br />

2. Novelle ÄAO – Additivfach Geriatrie<br />

Übergangsbestimmungen – praktische Abwicklung<br />

Die 2. Novelle der Ärztinnen-/Ärzte-Ausbildungsordnung wurde am<br />

12. August 2011 mit BGBI. Nr. II 259/2011 veröffentlicht und damit<br />

die rechtliche Grundlage (rückwirkend mit 1. Juli 2011) für die Ausbildung<br />

im Additivfach Geriatrie geschaffen. Das Additivfach Geriatrie<br />

ist Fachärztinnen/Fachärzten der Sonderfächer Innere Medizin,<br />

<strong>Neurologie</strong>, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Physikalische<br />

Medizin und Allgemeine Rehabilitation sowie den Ärztinnen/Ärzten<br />

für Allgemeinmedizin zugänglich.<br />

Nach § 32 Abs. 2 dieser Novelle sind Personen, die bis zum Ablauf<br />

des 31. Dezember 2012 nachweislich eine zumindest dreijährige<br />

Tätigkeit gemäß der Definition des Aufgabengebietes im Teilgebiet<br />

Geriatrie, wie in den jeweiligen Anlagen zu dieser Verordnung<br />

angeführt, zurückgelegt und ein Diplom „Geriatrie“ der Österreichischen<br />

Ärztekammer oder nachweislich gleichwertige Fortbildungsinhalte<br />

erworben haben, nach Eintragung in die Ärzteliste zur<br />

Führung der auf das betreffende Additivfach hinweisenden Zusatzbezeichnung<br />

berechtigt (Übergangsbestimmung).<br />

Der Bildungsausschuss hat auf Empfehlung des Referates für Geriatrie<br />

folgende Voraussetzungen für den Erwerb des Additivfacharztdiplomes<br />

Geriatrie nach den Übergangsbestimmungen festgelegt:<br />

I. Ausbildung Diplom oder Gleichwertigkeit<br />

ÖÄK-Diplom Geriatrie oder eine als gleichwertig anerkannte inländische<br />

oder ausländische Fortbildung<br />

II. Ärztliche Tätigkeit<br />

Regelmäßige ärztliche Tätigkeit und Betreuung von geriatrischen<br />

Patientinnen<br />

a) in Pflege- oder Seniorenheimen (stationär aufgenommen) oder<br />

Einrichtungen, die der Behandlung oder Pflege und Betreuung<br />

von Personen in höherem Alter dienen, die an Erkrankungen<br />

leiden, bei denen die Kriterien „geriatrische/r Patientln“ zutrifft,<br />

oder<br />

b) an einer Akutgeriatrie oder Rehabilitation oder an einer Krankenhausabteilung,<br />

die im nennenswerten Ausmaß ältere PatientInnen<br />

mit Erkrankungen des akutgeriatrischen Formenkreises<br />

behandelt.<br />

u<br />

7


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Im Sinne des § 4 der Kooperationsvereinbarung zwischen den LÄK<br />

und der ÖÄK wird folgende Verwaltungspraxis bzgl. der Ausstellung<br />

des Additivfacharztdiplomes Geriatrie nach den Übergangsbestimmungen<br />

festgelegt:<br />

1. Der Antrag auf Ausstellung des Additivfacharztdiplomes Geriatrie<br />

ist anhand des in der LÄK aufliegenden Antragsformulars<br />

und der erforderlichen Nachweise über die in Punkt II erwähnten<br />

ärztlichen Tätigkeiten bei der zuständigen LÄK einzubringen.<br />

Die LÄK prüft, ob der Antragsteller das ÖÄK-Diplom<br />

Geriatrie besitzt, und vermerkt dies auf der zweiten Seite des<br />

Antragsformulars.<br />

2. Die LÄK übermittelt den Antrag und die Tätigkeitsnachweise<br />

ohne Abgabe einer Stellungnahme ausschließlich per E-Mail an<br />

die ÖÄK (post@aerztekammer.at). Sollten ergänzende Nach -<br />

weise für die Beurteilung des Antrages notwendig sein, werden<br />

diese direkt beim Antragsteller eingeholt. Aus diesem Grund<br />

muss am Antragsformular die E-Mail-Adresse der Ärztin/des<br />

Arztes vermerkt sein.<br />

3. Die Stellungnahme der vom Referat für Geriatrie eingesetzten<br />

Kommission dient als Grundlage für die Meinungsbildung der<br />

Ausbildungskommission auf Zuerkennung des Additivfaches<br />

Geriatrie.<br />

4. Entsprechend der Verwaltungspraxis wird das Additivfacharztdiplom<br />

über die LÄK der Ärztin/dem Arzt zugestellt. Im negativen<br />

Fall ergeht eine bescheidmäßige Erledigung durch die Aus -<br />

bildungskommission auf Basis der von der Kommission des<br />

Referates für Geriatrie abgegebenen Stellungnahme.<br />

Quelle: ÖÄK-Rundschreiben<br />

EANO NeuroOncology Magazine jetzt online<br />

Die Europäische <strong>Gesellschaft</strong> für Neuroonkologie (EANO, www.eano.eu) freut sich, auf ein neues OPEN<br />

ACESS Journal auf ihrer Website aufmerksam machen zu können. Das Journal ist frei zugänglich und hat<br />

vor allem die Aufgabe, Übersichten, edukative Artikel und auch „Society News“ zu publizieren. Die Artikel<br />

können frei heruntergeladen werden (www.kup.at/journals/eano/index.html).<br />

Das Journal wird als edukativer Beitrag von der EANO finanziert, als Verlag konnten wir Krause und Pachernegg<br />

gewinnen. Im Journal sind keine Werbeeinschaltungen. Herausgeber sind Prof. Riccardo Soffietti und<br />

Prof. Wolfgang Grisold, Doz. Stefan Oberndorfer betreut die Sektion der Fallpublikationen.<br />

Wir möchten auch auf die attraktive Mitgliedschaft hinweisen: Neben ermäßigten Anmeldegebühren für<br />

die Kongresse kann auf der EANO-Website, auch auf das US-amerikanische Journal „Neuro Oncology“ frei<br />

zugegriffen werden (Impact Factor 4,8).<br />

Der nächste Kongress der EANO findet 2016 in September in Marseille statt.<br />

<strong>neurologisch</strong><br />

Aktuelle wissenschaftliche Arbeiten aus Österreich<br />

Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen,<br />

In der Fachzeitschrift <strong>neurologisch</strong> der Österreichischen <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong> werden in der Rubrik „<strong>Neurologie</strong> aus<br />

Österreich“ bereits veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten österreichischer NeurologInnen in Kurzfassung vorgestellt.<br />

Wenn Sie eine deutsche Kurzfassung einer aktuellen, bereits publizierten oder in Druck befindlichen Studie, die Sie durchgeführt<br />

oder an der Sie mitgearbeitet haben, in <strong>neurologisch</strong> veröffentlichen wollen, ersuchen wir Sie um eine kurze Mitteilung an<br />

E-Mail: <strong>neurologisch</strong>@medmedia.at oder<br />

MedMedia Verlag, Natascha Fial, 1070 Wien, Seidengasse 9/Top 1.1<br />

Wir freuen uns auf Ihre Einsendung!<br />

Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager<br />

Chefredaktion <strong>neurologisch</strong><br />

Univ.-Prof. Dr. Bruno Mamoli<br />

8


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Multiple Sklerose<br />

Stellenwert der symptomatischen<br />

Therapien, der <strong>neurologisch</strong>en Rehabilitation<br />

und sozialmedizinische Konsequenzen<br />

W<br />

Wir haben viel über die pathophysiologischen<br />

Abläufe, die zur multiplen Sklerose (MS) führen,<br />

gelernt. Seit Mitte der 1990er Jahre<br />

konnten die neu eingeführten immunmodulatorischen<br />

Medikamente vielen MS-Betroffenen<br />

erstmals berechtigte Hoffnung auf eine<br />

Stabilisierung der Erkrankung auch im Langzeitverlauf<br />

machen. Seit Neuestem wird ja<br />

nicht mehr nur von „Freedom of Disease“<br />

als Therapieziel gesprochen, sondern sogar<br />

von Verbesserung. Trotzdem ist eine Heilung<br />

der MS weiterhin nicht möglich, und trotz<br />

aller Bemühungen leiden viele Betroffene im<br />

Verlauf der Erkrankung an bleibenden Einschränkungen.<br />

Das Erkennen dieser Folgen<br />

der MS und deren gezielte Behandlung ist<br />

trotz aller Erfolge der kausalen Therapien ein<br />

ganz wichtiger Punkt in der Langzeitbetreuung<br />

unserer PatientInnen geblieben. Die vorliegende<br />

Sammlung von Beiträgen ist diesen<br />

Problemen gewidmet, die sich als Folgen der<br />

multiplen Sklerose ergeben.<br />

Der MS-Schwerpunkt wird durch einen Beitrag<br />

von Christian Enzinger, Medizinische<br />

Universität Graz, eingeleitet, der die neuesten<br />

Daten zur Neuroplastizität bei MS zusammenfasst.<br />

Diese Ergebnisse können als<br />

Grundlage für ein besseres Verständnis der<br />

Effekte der <strong>neurologisch</strong>en Rehabilitation dienen.<br />

Symptome der MS können nur erkannt werden,<br />

wenn die Kommunikation zwischen betroffenen<br />

PatientInnen und behandelnden<br />

ÄrztInnen funktioniert. Richtige Kommunikation<br />

ist gerade bei einer chronischen Erkrankung,<br />

die sowohl bei Betroffenen als durchaus<br />

auch bei den BehandlerInnen zu Ängsten<br />

führen kann, nicht einfach. Der Artikel von<br />

Siegrid Fuchs, Medizinische Universität Graz,<br />

versucht Anregungen zur einer Verbesserung<br />

der ärztlichen Kommunikation mit MS-Betroffenen<br />

zu geben.<br />

Die multiple Sklerose führt häufig auch zu<br />

neuropsychologischen Problemen. Oft sind<br />

kognitive Einschränkungen über lange Zeit<br />

sehr subtil und werden häufig von den Betroffenen<br />

und den behandelnden ÄrztInnen<br />

nicht richtig erkannt. Gisela Pusswald, Medizinische<br />

Universität Wien, und Christa Mildner,<br />

Kaiser-Franz-Josef-Spital Wien, geben<br />

einen kurzen Abriss der wichtigsten kognitiven<br />

Einschränkungen, deren neuropsychologischer<br />

Diagnostik und der Behandlungsmöglichkeiten.<br />

Karin Zebenholzer, Medizinische Universität<br />

Wien, fasst in ihrem Beitrag die durch MS<br />

entstehenden affektiven Probleme zusammen,<br />

wobei sie auch auf mögliche Zusammenhänge<br />

zwischen Emotion, Wahrnehmung<br />

von Emotion und Kognition eingeht.<br />

Zwei Beiträge sind der Behandlung motorischer<br />

Einschränkungen bei MS gewidmet: Susanne<br />

Asenbaum-Nan, Medizinische Universität<br />

Wien, stellt die Eckpunkte der multimodalen<br />

<strong>neurologisch</strong>en Rehabilitation dar,<br />

deren Fokus – bedingt durch die sehr häufigen<br />

motorischen Einschränkungen – naturgemäß<br />

primär, aber nicht ausschließlich auf<br />

der Physiotherapie liegt.<br />

Univ.-Prof. Dr. Karl Vass<br />

Universitätsklinik für<br />

<strong>Neurologie</strong>, Medizinische<br />

Universität Wien<br />

Gudrun Zulehner und Fritz Leutmezer, beide<br />

Medizinische Universität Wien, geben eine<br />

Übersicht über die Möglichkeiten der medikamentösen<br />

Behandlung der durch MS entstehenden<br />

motorischen Probleme und der Fatigue.<br />

Thomas Berger, Medizinische Universität Innsbruck,<br />

widmet sich in seinem Beitrag den<br />

Blasen- und Sexualfunktionsstörungen.<br />

Schließlich gehen Katharina Schlechter und<br />

Lucia Bauer-Bohle, beide MS <strong>Gesellschaft</strong><br />

Wien, auf die sozialmedizinischen Konsequenzen<br />

der MS ein. Sie zeigen, dass die Sozialarbeit<br />

für MS-Betroffene auch im Zeitalter<br />

krankheitsmodifizierender Therapien nicht an<br />

Bedeutung verloren hat und dass ExpertInnen,<br />

die professionelle, krankheitsspezifische<br />

Beratungstätigkeiten leisten können, auch in<br />

dem sehr gut funktionierenden österreichischen<br />

Sozialsystem von großer Bedeutung<br />

sind.<br />

n<br />

11


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Neuroplastizität bei multipler Sklerose<br />

Galt das Dogma der fehlenden Regenerations- und Reparaturkapazität von Neuronen lange Zeit als<br />

unumstößlich, unterstreichen neueste Befunde aus der bildgebenden <strong>neurologisch</strong>en Forschung nun die<br />

Bedeutung der Neuroplastizität bei MS.<br />

Assoz.-Prof. Dr.<br />

Christian Enzinger<br />

Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische<br />

Universität Graz<br />

Mechanismen der Schädigung<br />

und Reparatur im ZNS<br />

Mechanismen, die generell bei Schädigungsund<br />

Reparaturprozessen im Zentralnerven -<br />

system (ZNS) bedeutend sind, betreffen Nekrose,<br />

Apoptose, molekulare Faktoren (Schädigung<br />

durch freie Radikale, Ca 2+ -Einstrom,<br />

Mangel an trophischen Faktoren, DNA-Schädigung),<br />

Axotomie, Makrogliazellantwort<br />

(Astrozytenreaktion, Oligodendrozyten-Vorläuferzellen,<br />

extrazelluläre Matrix), metabolische<br />

Faktoren wie Exzitotoxizität und oxidativen<br />

Stress 1 .<br />

Bei autoimmunologisch bedingter ZNS-Schädigung<br />

können folgende Komponenten betroffen<br />

sein: Gliazellen, Neuronen, Endothelzellen.<br />

Bei inflammatorisch-demyelinisierenden<br />

Prozessen wie bei der multiplen Sklerose<br />

(MS) stellen beim klassisch schubförmig-remittierenden<br />

Verlauf inflammatorisch-demyelinisierende<br />

Läsionen das pathologische Substrat<br />

für akute oder subakute <strong>neurologisch</strong>e<br />

fokale Defizite dar 1 .<br />

Inflammation, Demyelinisierung und perivaskulär<br />

umschriebenes Ödem tragen dabei zum<br />

Leitungsblock bei. Im Kontext der Neuroplas -<br />

tizität scheint hier einerseits bedeutsam, dass<br />

zumindest in Anfangsstadien der Erkrankung<br />

das Potenzial zur Remyelinisierung hoch und<br />

die Gewebsschädigung (etwa im Gegensatz<br />

zum ischämischen Insult) oftmals inkomplett<br />

ist, und andererseits, dass substanzielle Heterogenität<br />

in der klinischen Expression der<br />

Erkrankung auch bei morphologisch ausgeprägten<br />

krankheitsbezogenen Veränderungen<br />

bestehen kann (Abb. 1).<br />

Allerdings wird das Studium der Neuroplastizität<br />

durch die Komplexität der Erkrankung<br />

erschwert. Zahlreiche Befunde aus der bildgebenden<br />

Forschung und Histopathologie<br />

deuten darauf hin, dass nahezu alle zerebralen<br />

Kompartimente in den Erkrankungsprozess<br />

involviert sein können, wobei spezifische<br />

Faserverbindungen des Marklagers hierfür<br />

besonders suszeptibel sind.<br />

Der primär T-Zell-getriggerte immunologische<br />

Prozess führt zu Schädigung von Oligodendrozyten<br />

und Myelin. In frühen Erkrankungsphasen<br />

kann die Funktion der Markscheiden<br />

alleine durch den raumfordernden Effekt des<br />

Ödems beeinträchtigt sein. Mit der Restitution<br />

der Blut-Hirn-Schranke kann eine Erholung<br />

der Oligodendrozyten eintreten und die<br />

saltatorische Erregungsleitung durch myelinisierte<br />

Fasern wieder in Gang gebracht werden.<br />

In der Ausrichtung der pathologischen<br />

Immunkaskade scheinen Komplementaktivierung,<br />

Opsonierung für Mikroglia und Makrophagen<br />

und Antikörper gegen Myelinoberflächenkomponenten<br />

eine wesentliche Rolle<br />

zu spielen. Im Verlauf wird zusätzliche Schädigung<br />

durch unspezifische „Bystander“-<br />

Mechanismen wie zytotoxische Zytokine, Enzyme,<br />

Sauerstoffradikale und Proteasen<br />

wahrscheinlicher. Schlussendlich wird die geschädigte<br />

Myelinscheide durch Mikroglia entfernt.<br />

Dies ermöglicht die Einwanderung, Hypertrophie<br />

und Proliferation von Astrozyten,<br />

welche schließlich die charakteristischen namengebenden<br />

sklerotischen oligodendro -<br />

penischen demyelinisierten Plaques bilden.<br />

Axonale Schädigung fixiert schließlich den<br />

<strong>neurologisch</strong>en Schaden 1 . Der prinzipiell stadienhafte<br />

Ablauf dieser Prozesse mit Verschiebung<br />

in Richtung Neurodegeneration im<br />

Erkrankungsverlauf erscheint bedeutsam für<br />

die Interpretation von Studien zur Neuroplas -<br />

tizität mit Vergleich der Befunde aus verschiedenen<br />

Phänotypen der Erkrankung. Aufgrund<br />

der rezidivierenden akut entzündlichen<br />

Attacken auf die Integrität des ZNS, des zumindest<br />

in Anfangsstadien vorhandenen<br />

Potenzials zur vollständigen klinischen Restitution<br />

und des Umstands, dass vorwiegend<br />

Gehirne im frühen Erwachsenenalter ohne<br />

anderweitige Vorschädigung betroffen sind,<br />

stellt die MS eine interessante Modeller -<br />

krankung zur Erforschung der neuronalen<br />

Plastizität dar. Als den Komplexitätsgrad steigernde<br />

Bedingungen sind hierbei jedoch der<br />

multifokale Erkrankungsprozess, parallele degenerative<br />

Prozesse, konkomitante pathologische<br />

Veränderungen des Myelons, Kortex<br />

und diffus im Marklager, mit vermutlich<br />

interindividuell und in verschiedenen Sta -<br />

dien unterschiedlich starker Ausprägung, zu<br />

nennen.<br />

Das Konzept der Neuroplastizität –<br />

Abschied von Cajals Dogma<br />

Bis in die 1990er Jahre übten NeurologInnen<br />

ihre Profession primär unter dem Aspekt einer<br />

Doktrin aus, die der prominente Histologe<br />

Ramón y Cajal im späten 19. und frühen 20.<br />

Jahrhundert nachhaltig etablierte. Im Kern<br />

besagte Cajals Dogma, dass Schäden am ZNS<br />

prinzipiell irreparabel seien. „Mit Abschluss<br />

der Entwicklung des ZNS versiegen die Quellen<br />

für Wachstum und Regeneration von Axonen<br />

und Dendriten unwiederbringlich. Im Er-<br />

12


wachsenengehirn sind alle Faserverbindungen<br />

fixiert und unabänderlich: Alles kann absterben,<br />

nichts aber regenerieren“ (Cajal<br />

1928, „Degeneration and Regeneration of<br />

the Nervous System“ 3 ).<br />

Seither hat ein veritabler Paradigmenwechsel<br />

eingesetzt. Die nunmehr in den Neurowissenschaften<br />

vorherrschende Ansicht einer<br />

enormen Fähigkeit auch des adulten Gehirns<br />

zur Adaption und plastischen Veränderung<br />

als Reaktion auf Schädigung wurde wesentlich<br />

durch bildgebende Techniken geprägt.<br />

So konnte anhand der MRT gezeigt werden,<br />

dass ein Training komplexer motorischer Vorgänge<br />

wie Klavierspielen 4 oder Jonglieren 5<br />

nicht nur die Art und Weise ändern, wie sich<br />

das Gehirn funktionell organisiert, sondern<br />

sogar die Bildung neuer Nervenzellverbände<br />

stimulieren kann. Im therapeutischen Bereich<br />

konnten beim Schlaganfall analoge Hinweise<br />

für neuronale Plastizität, induziert durch aufgabenspezifisches,<br />

repetitives Training, als<br />

Grundlage für Rehabilitationserfolg erbracht<br />

werden 6 . Wie so häufig in der Medizin wird<br />

durch technische Weiterentwicklungen der<br />

objektive Nachweis von schon länger postulierten<br />

Konzepten möglich: Funktionelle Reorganisation<br />

durch Training wurde bereits<br />

1936 von Otfried Förster, einem Professor für<br />

<strong>Neurologie</strong> und Neurochirurgie in Breslau, angenommen<br />

3 .<br />

Im Rahmen des angesprochenen Paradigmenwechsels<br />

wird mit Erweiterung der technischen<br />

Möglichkeiten zum Studium derartiger<br />

Prozesse nun der Begriff „Plastizität“ in<br />

den Neurowissenschaften geradezu inflationär<br />

verwendet. Tatsächlich lässt sich in der<br />

Literatur hierfür keine einheitliche Begriffsdefinition<br />

identifizieren. Eine allgemein gültige<br />

und hinreichend präzise erachtete Definition<br />

geht auf Jacques Paillard zurück (ursprünglich<br />

publiziert 1976, modifiziert von Will et al. 7 ).<br />

In diesem Sinn wird der Terminus „Plastizität“<br />

dann verwendet, wenn eine Erfahrung – ungeachtet<br />

ihrer Natur – in andauernden funktionellen<br />

Modifikationen und Veränderungen<br />

der strukturellen Charakteristika eines Sys -<br />

tems resultiert, unabhängig vom analytischen<br />

Niveau, auf dem diese Veränderungen nachgewiesen<br />

werden.<br />

Diese Definition bildet einen theoretischen<br />

Rahmen, in dem verschiedene Formen der<br />

Abb. 1: Klinisch-radiologisches Paradoxon<br />

Axiale FLAIR-Bilder von MS-Betroffenen mit benigner MS (A) verglichen mit sekundär progredienten MS-PatientInnen<br />

mit hohem Behinderungsgrad (B). Beide Gruppen zeigen sowohl ausgeprägte fokale Gewebsveränderungen als auch<br />

zerebrale Atrophie. Neben anderen Faktoren könnten neuroplastische Prozesse in Gruppe A die klinische Expression<br />

der Pathologie limitieren Quelle: Strasser-Fuchs et al., 2008 2<br />

Plastizität unterschieden werden können: Plas -<br />

tizität während der Entwicklung (prä- oder<br />

postnatal unter Umwelteinflüssen), adaptive<br />

Plastizität (in jungen, adulten oder alten Organismen<br />

unter Lernbedingungen) und restorative<br />

Plastizität (in jungen, adulten oder<br />

alten Individuen mit Hirnschädigung) mit Modifikationen,<br />

die durch die Natur der Läsion<br />

und/oder das Vikariationspotenzial alleine<br />

nicht erklärt werden können 7 .<br />

Techniken zum Studium<br />

der Neuroplastizität – die fMRT<br />

Aus oben genannter Definition lässt sich ableiten,<br />

dass prinzipiell verschiedenste Techniken<br />

zum Studium der Neuroplastizität eingesetzt<br />

werden können – auf der zellulären bis<br />

zur neuronalen Systemebene. In den letztgenannten<br />

Bereich dringt die funktionelle Magnetresonanztomographie<br />

(fMRT) ein. In klinischen<br />

Kohorten wird meist die BOLD-fMRT<br />

(„blood oxygenation level dependent“) eingesetzt,<br />

die geringe Änderungen der magnetischen<br />

Suszeptibilität erfasst, die durch eine<br />

Verschiebung der Ratio zwischen Oxy- zu<br />

Desoxyhämoglobin in aktivierten Hirnarealen<br />

auftritt. Diese Aktivierungen können über<br />

hochaufgelöste strukturelle MRT-Scans anatomisch<br />

zugeordnet werden (siehe auch<br />

fmri.easy via www.oegfmrt.org 8 ).<br />

Das BOLD-Signal resultiert aus drei Komponenten:<br />

Oxygenierung, Blutvolumen und<br />

Blutfluss 9 . Die fMRT misst damit nur indirekt<br />

die Aktivität von Neuronen. Jüngste Forschungsergebnisse<br />

deuten darauf hin, dass<br />

das fMRT-Signal – unabhängig von lokaler<br />

neuronaler Aktivität – auch antizipatorische<br />

hämodynamische Signale in Vorbereitung des<br />

Gehirns auf einen Task oder Erwartung eines<br />

Stimulus widerspiegeln könnte 10 . Dies wird<br />

allerdings kontrovers diskutiert 11 .<br />

Die fMRT hat sich zweifelsfrei als führende<br />

Methode zum Mapping von Hirnfunktionen<br />

etabliert. Abbildung 2 illustriert, warum: So<br />

können etwa die an der Planung, Durchführung<br />

und Überwachung einer Bewegung beteiligten<br />

zentralen Module in einem simplen<br />

fMRT-Experiment dargestellt werden.<br />

Strukturelle Grundlagen<br />

der Neuroplastizität<br />

Beispiel der anatomischen Konnektivität<br />

im sensomotorischen System: In Weiterführung<br />

der konzeptuellen Begriffsdefinition<br />

der neuronalen Plastizität nach Paillard müssen<br />

für effiziente funktionelle Neuverschaltungen<br />

des Gehirns im Kontext von Hirnschädigung<br />

auch strukturelle Verbindungen<br />

zwischen modularen Bestandteilen eines neuronalen<br />

Netzwerkes bestehen. Dass die Konnektivität<br />

im sensomotorischen System tatsächlich<br />

reichhaltig ist, ist aus dem Prima -<br />

tenmodell bekannt und wurde durch<br />

nichtinvasive Techniken auch beim Menschen<br />

nachgewiesen 12 (Abb. 3).<br />

Auf dieser Basis erscheint vorstellbar, dass u<br />

13


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Abb. 2: Motorische Funktion<br />

Die Abbildung illustriert die Hauptstrukturen und -pfade, die in der Planung, Durchführung und Modulation einer<br />

motorischen Aktion involviert sind (SMA: supplementär motorische Area; PMC prämotor. Kortex, MS1 primär sensomotorischer<br />

Kortex, M1 primär motorischer Kortex, S1 primärer sensorischer Kortex, SII sekundär sensorischer Kortex;<br />

adaptiert nach Behan & Barker in Fawcett, Rosser, Dunnett 2002 1 Das Insert demonstriert die Darstellbarkeit sämt -<br />

licher beteiligter supraspinaler Module bei repetitiven Handbewegungen mittels fMRT (FE für neuronale Plastizität<br />

und Reparatur, Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong> Graz).<br />

(z. T. multifokale und inkomplette) Schädigungen<br />

verschiedener Hübe und Knoten bei<br />

MS restorative Plastizität mit verstärkter kompensatorischer<br />

Aktivierung vitaler Pfade induzieren<br />

könnten.<br />

Evidenz für zerebrale Reorganisation<br />

im motorischen System bei MS<br />

Befunde zur Plastizität im motorischen Sys -<br />

tem sind aufgrund der guten Kenntnis der<br />

zugrunde liegenden Neuroanatomie relativ<br />

gut interpretierbar. Bei MS gelten die nachfolgend<br />

genannten Befunde durch mehrfache<br />

Studien unabhängiger Arbeitsgruppen in<br />

verschiedenen Kollektiven mittlerweile als<br />

weitgehend gesichert 13 .<br />

MS-PatientInnen zeigen ausgeprägtere bihemisphärische<br />

Aktivierungen bei Bewegungen<br />

der oberen Extremität, vereinbar mit einer verstärkten<br />

Rekrutierung ipsilateraler motorischer<br />

Regionen im Sinne einer Demaskierung ungekreuzter<br />

Anteile der Pyramidenbahn oder<br />

auch interhemisphärischer Disinhibierung.<br />

Das Ausmaß der verstärkten ipsilateralen Aktivierung<br />

verstärkt sich mit zunehmender T2-<br />

Läsionslast und scheint damit zumindest zum<br />

Teil eine Reaktion auf Gewebsschädigung<br />

darzustellen. Zudem verschieben sich bei MS<br />

die Koordinaten der Aktivierungsmaxima bei<br />

Bewegungen im Vergleich zu Kontrollen, vereinbar<br />

mit der lokalen Redistribution der Aktivierung<br />

von Pyramidenzellen.<br />

Sofern aus vereinzelten Beobachtungen von<br />

MS-PatientInnen mit akutem Schub mit Beeinträchtigung<br />

der motorischen Funktion extrapolierbar,<br />

können diese Aktivierungsänderungen<br />

dynamisch sein: Über eine Phase verstärkter<br />

(kompensatorischer) Aktivierung<br />

primärer und sekundär somatosensorischer<br />

Areale beider Hemisphären entwickelt sich<br />

bei jenen Individuen, die funktionelle Wiederherstellung<br />

aufweisen, über die Zeit wieder<br />

ein „physiologischeres“ Aktivierungsmus -<br />

ter, das dennoch von gesunden Kontrollen<br />

abweicht.<br />

Diese Fähigkeit zu neuronaler Plastizität<br />

scheint im Verlauf der Erkrankung – im Einklang<br />

mit der Zunahme motorischer Behinderung<br />

– allmählich zu erschöpfen und<br />

schließlich maladaptiv zu werden. Darauf<br />

deuten Ergebnisse einer großen fMRT-Studie,<br />

in der MS-Betroffene mit verschiedenen klinischen<br />

Phänotypen (jedoch ohne Beeinträchtigung<br />

der für die Generierung des Experiments<br />

herangezogenen dominanten<br />

Hand) vergleichend untersucht wurden 14 . Es<br />

zeigten sich unterschiedliche Muster der bewegungsassoziierten<br />

kortikalen Reorganisa -<br />

tion, abhängig vom Erkrankungsstadium.<br />

Während in früheren Stadien der MS vorwiegend<br />

Hirnregionen, die typischerweise in<br />

motorischen Aufgaben involviert sind, rekrutiert<br />

wurden, zeigten sich in fortgeschritteneren<br />

Stadien schon bilaterale Aktivierungen<br />

motorischer Regionen. Später im Erkrankungsverlauf<br />

allerdings wurden bei einfachen<br />

Handbewegungen bei MS-Betroffenen bereits<br />

Hirnregionen aktiviert, die gesunde Individuen<br />

lediglich für die Bewältigung neuer<br />

oder komplexer Aufgaben heranziehen.<br />

Evidenz für zerebrale Reorganisation<br />

in kognitiven Domänen bei MS<br />

Ob ähnlich plastische Mechanismen auch in<br />

kognitiven Bereichen auftreten, war bislang<br />

nicht systematisch untersucht. Wenngleich<br />

die Bedeutung kognitiver Defizite bei MS zunehmend<br />

gewürdigt wird, handelt es sich<br />

hierbei aus Sicht der Plastizitätsforschung<br />

aufgrund der komplexeren beteiligten Netzwerke,<br />

des vermutlichen Impacts von diffuser<br />

Gewebsschädigung sowie der Varianz in der<br />

kognitiven Leistungen (auch bei Gesunden)<br />

um ein methodisch schwieriger zu studierendes<br />

Phänomen.<br />

Unlängst konnte jedoch in einer fMRT-Studie<br />

gezeigt werden, dass bei MS – durchaus analog<br />

zum motorischen System – in verschiedenen<br />

Krankheitsstadien unterschiedliche<br />

funktionelle Reorganisation auch in kognitiven<br />

Bereichen existiert 15 . In einem „Go-Nogo“-Paradigma,<br />

das auch Untersuchungsteilnehmer<br />

mit kognitiven Beeinträchtigungen<br />

absolvieren konnten, bestand die Aufgabe<br />

darin, bei Präsentation eines Zielobjekts im<br />

Scanner (z. B. Kreuz) eine Taste zu drücken<br />

und diesen Impuls bei anderen Objekten<br />

(z. B. Rechteck) zu unterdrücken. Im Verlauf<br />

des Experiments wechselte diese Vorgabe,<br />

was zur Änderung der Strategie zwang. Untersucht<br />

wurden PatientInnen nach einem klinisch<br />

isolierten Syndrom (CIS), mit schubförmig-remittierender<br />

(RR-)MS und sekundär<br />

progredienter (SP-)MS und alters- und geschlechtsangepasste<br />

Kontrollen.<br />

PatientInnen zeigten schlechtere Leistung<br />

hinsichtlich Gedächtnis, Aufmerksamkeit,<br />

Konzentration und Informationsverarbeitung.<br />

14


Abb. 3: Anatomische Verbindungen zwischen somatosensorischem Kortex<br />

(Brodmann-Areale [BA] 1, 2, 3 und 5) und primär motorischem Kortex [BA4]<br />

Kontrollen (Abb. 4). Im Vergleich zu CIS-PatientInnen<br />

und Kontrollen zeigten RRMS-<br />

PatientInnen zusätzliche Aktivierung im<br />

Praecuneus, parietal und im rechten Gyrus<br />

fusiformis und rekrutierten zudem den Hippocampus<br />

bei zunehmender Komplexität.<br />

SPMS-Patientinnen zeigten funktionell weit<br />

reichende Störungen, mit Aktivierung zahlreicher<br />

Areale außerhalb des bei Gesunden<br />

charakterisierten Netzwerks.<br />

Anhand dieser Untersuchung konnten demzufolge<br />

adaptive Änderungen neuronaler Aktivierung<br />

mit Progression der MS in kognitiven<br />

Domänen gezeigt werden, mit zumindest<br />

anfänglich kompensatorischer Natur.<br />

Es besteht hochgradige Konnektivität. Der Thalamus agiert hierbei als Relais-Station für peripheren somatosensorischen<br />

Input Richtung Kortex. Thalamokortikale Verbindungen sind grau („taktile“ Inputs hellgrau, „tiefe“ Inputs dunkelgrau),<br />

kortikokortikale Verbindungen schwarz dargestellt. Quelle: Hummel & Cohen 2005 12<br />

Dies war primär durch SPMS-PatientInnen bedingt.<br />

Die fMRT-Aufgabe war mit Aktivierung<br />

eines weit reichenden funktionellen Netzwerks<br />

assoziiert, das bilaterale mesiale, dorsolateral<br />

frontale, parietale und insuläre Kortexabschnitte<br />

sowie die Basalganglien und<br />

das Cerebellum involvierte. Die Aufgabe im<br />

Scanner konnte von allen PatientInnen bewältigt<br />

werden. Dennoch zeigten sich zunehmende<br />

Abweichungen vom Aktivierungsmuster<br />

der Kontrollen mit Progression der Erkrankung.<br />

PatientInnen benötigten bereits bei leichteren<br />

Aufgaben mehr neuronale Ressourcen als<br />

Abb. 4: Funktionelle Reorganisation in kognitiven Domänen bei MS<br />

Zerebrale Aktivierungsmuster bei Bewältigung eines Inhibitions-/Disinhibitonsparadigmas (Go-No-go-Task). PatientInnen<br />

(untere Reihe) rekrutieren bereits bei Absolvierung leichter Durchgänge mehr Ressourcen als Kontrollen (obere<br />

Reihe) bei leichteren Durchgängen. Aktivierte Regionen sind abhängig von der Stärke der statistischen Signifikanz rotgelb<br />

dargestellt, deaktivierte Regionen bei Patienten blau. Quelle: Loitfelder et al., 2011 15<br />

Das Konzept der<br />

kognitiven Reserve<br />

Einen andere Zielsetzung als jene der Erfassung<br />

adaptiver funktioneller Reorganisation<br />

mit Rekrutierung neuer Hirnareale zur Limitation<br />

von Defiziten bei MS verfolgte eine<br />

weitere fMRT-Studie 16 , die sich primär der<br />

Fragestellung widmete, ob und inwieweit Änderungen<br />

in der funktionellen Interaktion<br />

zwischen Hirnarealen, die auch normalerweise<br />

bei bestimmten Aufgaben rekrutiert werden,<br />

als alternativer adaptiver Mechanismus<br />

im Kontext von MS-Pathologie zum Tragen<br />

kommen.<br />

Hierfür wurde eine fMRT-Version einer „Nback“-Aufgabe<br />

zum Studium des Arbeitsgedächtnisses<br />

bei PatientInnen mit früher MS<br />

implementiert 16 . Anhand funktioneller Konnektivitätsanalysen<br />

wurde auf entsprechende<br />

Unterschiede zu Kontrollen getestet. Interessanterweise<br />

unterschieden sich die beiden<br />

Gruppen nicht hinsichtlich Verhaltensperformanz<br />

oder zerebraler Aktivierungsmuster. Als<br />

Hauptbefund zeigte sich jedoch bei MS-PatientInnen<br />

im Vergleich zu Kontrollen eine<br />

substanziell geringere Zunahme an Hirnaktivierung<br />

mit zunehmender Komplexität der<br />

Aufgabe. Gesunde zeigten korrelierende Aktivierungen<br />

zwischen dem rechten dorsolateralen<br />

präfrontalen Kortex und superior<br />

frontalen/anterior cingulären Arealen. PatientInnen<br />

hingegen zeigten korrelierende Aktivierungen<br />

zwischen rechts- und linkshemisphäriellen<br />

präfrontalen Kortizes – ein Muster,<br />

das bei gesunden Kontrollen nicht zu<br />

beobachten war.<br />

u<br />

15


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Zusammengefasst deutet dies darauf hin,<br />

dass in Frühstadien der MS zwar noch ähnliche<br />

Hirnareale zur Bewältigung einer kognitiven<br />

Aufgabe herangezogen werden, allerdings<br />

bereits subtile Unterschiede im Sinne<br />

einer reduzierten funktionelle Reserve für<br />

komplexere kognitive Prozesse bestehen<br />

dürften. Therapeutische Verstärkung der Kohärenz<br />

der Interaktionen zwischen Hirnregionen,<br />

Rekrutierung alternativer Areale oder<br />

Verwendung komplementärer kognitiver<br />

Strategien erscheinen demnach grundlegend<br />

als zukünftig denkbare Mechanismen zur Reduktion<br />

der Ausprägung kognitiver Beeinträchtigungen<br />

bei MS.<br />

Ein neuer Schwerpunkt der Kognitionsforschung<br />

bei MS bezieht sich folglich auch tatsächlich<br />

auf das Konzept der „kognitiven Reserve“,<br />

welche die nachteiligen Effekte von<br />

MS-Pathologie auf Kognition modulieren<br />

könnte und – wie auch beispielsweise bei<br />

Demenzen – die Dissoziation zwischen Ausmaß<br />

der Hirnschädigung und klinischem Bild<br />

erklären helfen soll.<br />

Hintergrund dieser Überlegungen ist der Umstand,<br />

dass hohe interindividuelle Variabilität<br />

im Muster und Schweregrad kognitiver Defizite<br />

zwischen MS-PatientInnen besteht 17 . Es<br />

verdichtet sich die Evidenz, dass individuelle<br />

Faktoren wie etwa Ausbildungsgrad oder<br />

Ähnliches Betroffene differenziell vor kognitivem<br />

Abbau schützen könnten. So erlitten<br />

z. B. in einer Studie MS-Betroffene mit über<br />

14-jähriger Ausbildungszeit im Längsschnitt<br />

keinen kognitiven Abbau (gemessen anhand<br />

des „Symbol Digit Modalities Test“) im Gegensatz<br />

zu PatientInnen mit einer Ausbildungszeit<br />

unter 14 Jahren. Es bestehen auch<br />

Hinweise, dass über die kognitive Reserve<br />

partiell der negative Effekt zerebraler Atrophie<br />

ausgeglichen werden könnte 17 .<br />

Herausforderungen für<br />

die zukünftige Forschung<br />

Brückenschlag zur klinischen Anwendung:<br />

Fasst man nun die zitierten Befunde zusammen,<br />

so haben Forschungsergebnisse zur<br />

Neuroplastizität bei MS anhand der fMRT in<br />

der letzten Dekade eine bislang ungeahnte<br />

Fähigkeit auch des adulten Gehirns, adaptiv<br />

mit Schädigungen umzugehen, zu Tage gebracht<br />

und Einblicke in beteiligte Mechanismen<br />

ermöglicht. Dies steht im Einklang mit<br />

der klinischen Erfahrung aus der Neurorehabilitation<br />

<strong>neurologisch</strong>er Erkrankungen, dass<br />

erstaunliche Fortschritte auch noch längere<br />

Zeit nach Schädigung des ZNS erzielt werden<br />

können. Allerdings bleibt die funktionelle Restitution<br />

oftmals inkomplett, mit individueller<br />

Variation und schlechter Vorhersehbarkeit im<br />

Ansprechen auf rehabilitative Interventionen.<br />

Auf dem Gebiet der MS konkurrieren und<br />

interagieren in diesem Zusammenhang sehr<br />

wahrscheinlich verschiedenste pathologische<br />

Prozesse, wie etwa fokale Marklagerschädigungen<br />

unterschiedlichen Destruktionsgrades,<br />

diffuse inflammatorische Prozesse, Leitungsunterbrechungen<br />

zu/von und in zentralen<br />

Relaisstationen, kortikale und spinale<br />

Pathologie, globale zerebrale und regional<br />

verstärkte Atrophie oder auch Medikamenteneffekte.<br />

Während einige dieser Prozesse<br />

in schubförmigen Attacken die Integrität des<br />

ZNS bedrohen, ist es wahrscheinlich, dass andere<br />

Prozesse (subklinisch) progredient zu<br />

RESÜMEE<br />

Einblicke aus der fMRT<br />

zur Neuroplastizität bei MS<br />

• Konvergierende Evidenz für kortikale<br />

Reorganisation mit Fortschreiten des<br />

Erkrankungsprozesses bei MS.<br />

• Diese ist bereits vor Manifestation<br />

klinisch fassbarer Defizite oder<br />

psychometrisch erfassbarer<br />

Dysfunktion vorhanden und dürfte<br />

daher in früheren Erkrankungsstadien<br />

zumindest teilweise adaptiv sein.<br />

• Mit Fortschreiten der MS-Pathologie<br />

scheint die funktionelle „zerebrale<br />

Reserve“ zunehmend zu erschöpfen.<br />

• Aufgabenspezifisches Training dürfte<br />

Neuroplastizität bis zu einem<br />

gewissen Ausmaß induzieren, eine<br />

positive Beeinflussung der zerebralen<br />

Reserve im kognitiven Bereich durch<br />

intellektuelle Stimulierung scheint<br />

möglich.<br />

• Die Dynamik der Erkrankung<br />

erschwert das Design und die<br />

Interpretierbarkeit longitudinaler<br />

(Trainings-)Studien bei MS.<br />

nachhaltiger kumulativer Schädigung von zerebralen<br />

Ressourcen führen.<br />

Eine Herausforderung für die zukünftige Plastizitätsforschung<br />

auf dem Gebiet der MS<br />

wird es daher sein, den differenziellen Beitrag<br />

dieser Prozesse zu erfassen bzw. partiell methodisch<br />

zu isolieren. Hilfreich dabei sollte<br />

die hervorragende Eigenschaft der fMRT sein,<br />

Prozesse auf neuronaler Systemebene zu visualisieren<br />

und zu quantifizieren – und damit<br />

Informationen bereitzustellen, welche die klinische<br />

Beobachtung, Skalen und Scores auf<br />

Verhaltensebene oder psychometrische Verfahren<br />

alleine niemals bieten können. Leider<br />

erschwert die dynamische Natur der Erkrankung<br />

die Interpretation und das Design longitudinaler<br />

fMRT-Studien, die jedoch zwingend<br />

nötig wären, um wechselnde Muster<br />

funktionell-adaptiver Veränderungen oder<br />

Effekte spezifischer medikamentöser oder anderwärtiger<br />

Interventionen auf die Funktion<br />

des ZNS zu erfassen.<br />

Im Gegensatz zum Schlaganfall (wo Impact<br />

und Lokalisation der zur Klinik veranlassenden<br />

Läsion besser charakterisierbar sind und<br />

ein einzeitiges Ereignis definiert werden kann)<br />

existieren bislang auf dem Gebiet der MS<br />

keine Studien, die das Ansprechen funktioneller<br />

Netzwerke auf beispielsweise gezieltes<br />

motorisches Training untersuchten. In einer<br />

Gruppe von MS-Betroffenen mit milden motorischen<br />

Beeinträchtigungen der rechten<br />

oberen Extremität konnte allerdings mittels<br />

fMRT im Vergleich zu Kontrollen bereits nach<br />

30-minütigem motorischen Training eine<br />

herab gesetzte Fähigkeit zur Optimierung des<br />

motorischen Netzwerks nach Training beobachtet<br />

werden 18 . Im Gegensatz dazu reduzierte<br />

sich bei Gesunden die Aktivierung im<br />

primären Sensorimotorkortex und parietalen<br />

Assoziationskortex, als Zeichen für gesteigerte<br />

neuronale Effizienz.<br />

Im kognitiven Bereich wiederum deuten erste<br />

Ergebnisse anhand eines ereignisbezogenen<br />

fMRI-Paradigmas mit „Stroop-Interferenz“<br />

darauf hin, dass MS-PatientInnen nach spezifischer<br />

Rehabilitation (im Gegensatz zu<br />

nicht trainierten PatientInnen) vermehrt den<br />

präfrontalen und zingulären Kortex zu rekrutieren<br />

vermögen 19 . Da diesen Hirnarealen<br />

eine bedeutende Rolle bei Prozessen der Entscheidungsfindung<br />

und Informationsverar-<br />

16


eitung zugeschrieben wird, bietet sich als<br />

Interpretation ein trainingsinduzierter, adaptiver,<br />

kompensatorischer Mechanismus an.<br />

Wenngleich diese präliminären Beobachtungen<br />

noch durch weitere Studien bestätigt<br />

werden müssen, geben sie dennoch Hoffnung<br />

auf einen sinnvollen Einsatz der Methode<br />

zum Erreichen eines verbesserten Verständnisses<br />

der funktionellen Korrelate kognitiver<br />

Verbesserung nach Training.<br />

Aufgrund der limitierten Datenlage sind bislang<br />

evidenzbasierte Aussagen zum Effekt<br />

derartiger Strategien nicht möglich. Nichtsdestotrotz<br />

erscheint es auch jetzt schon gerechtfertigt,<br />

MS-PatientInnen – die genannten<br />

Befunde zu den neuroplastischen Fähigkeiten<br />

des Gehirns extrapolierend – den Leitspruch<br />

„Wer rastet, der rostet“ (oder<br />

moderner: „Use it or lose it“) ans Herz zu<br />

legen.<br />

Dies betrifft sowohl das motorische als auch<br />

das kognitive System, könnte die zerebrale<br />

Reserve erhöhen und erfährt weitere Unterstützung<br />

durch eine rezente fMRT-Studie, die<br />

nahelegt, dass intellektuelle Stimulation die<br />

zerebrale Effizienz bei MS erhöhen könnte.<br />

PatientInnen mit weniger intellektuellem Pouvoir<br />

und geringerer Stimulierung („intellectual<br />

enrichment“, gemessen an Ausbildungsgrad<br />

und Vokabular) benötigten vermehrt zerebrale<br />

Ressourcen für die Erledigung einer<br />

Arbeitsgedächtnisaufgabe, im Gegensatz zu<br />

PatientInnen mit hohem intellektuellen Pouvoir,<br />

die zudem den Effekt zerebraler Atrophie<br />

ausgleichen konnten. Derartige Effekte konnten<br />

bei gesunden ProbandInnen interessanterweise<br />

nicht beobachtet werden und scheinen<br />

daher erst im Kontext von MS-Pathologie<br />

schlagend zu werden 20 .<br />

n<br />

1 Fawcett JW, Rosser AE, Dunnett SB, Brain Damage,<br />

Brain Repair. Oxford University Press, USA; 1 edition;<br />

2002; ISBN-10: 0198523378<br />

2 Strasser-Fuchs S, Enzinger C, Ropele S, Wallner M,<br />

Fazekas F, Clinically benign multiple sclerosis despite<br />

large T2 lesion load: can we explain this paradox? Mult<br />

Scler 2008; 14(2):205–11<br />

3 Kesselring J, Neurorehabilitation: a bridge between<br />

basic science and clinical practice. Eur J Neurol 2001;<br />

8(3):221–5<br />

4 Draganski B, Gaser C, Busch V, Schuierer G, Bogdahn<br />

U, May A, Neuroplasticity: changes in grey matter<br />

induced by training. Nature 2004; 427(6972):311–312<br />

5 Scholz J, Klein MC, Behrens TE, Johansen-Berg H,<br />

Training induces changes in white-matter architecture.<br />

Nat Neurosci 2009; 12(11):1370–1371<br />

6 Enzinger C. Dawes H, Johansen-Berg H., Wade D,<br />

Bogdanovic M, Collett J et al., Brain activity changes<br />

associated with treadmill training after stroke. Stroke<br />

2009; 40(7):2460–2467<br />

7 Will B, Dalrymple-Alford J, Wolff M, Cassel JC, The<br />

concept of brain plasticity – Paillard’s systemic analysis<br />

and emphasis on structure and function (followed by<br />

the translation of a seminal paper by Paillard on<br />

plasticity). BehavBrain Res 2008; 192(1):2–7<br />

8 Österreichische <strong>Gesellschaft</strong> für fMRT (Website):<br />

www.oegfmrt.org<br />

9 Logothetis NK, Pfeuffer J, On the nature of the BOLD<br />

fMRI contrast mechanism. Magn Reson Imaging 2004;<br />

22(10):1517–31<br />

10 Sirotin YB, Das A, Anticipatory haemodynamic signals<br />

in sensory cortex not predicted by local neuronal<br />

activity. Nature. 2009; 457(7228):475–9<br />

11 Handwerker DA, Bandettini PA, Hemodynamic signals<br />

not predicted? Not so: a comment on Sirotin and Das<br />

(2009). Neuroimage 2011; 55(4):1409–12<br />

12 Hummel FC, Cohen LG, Drivers of brain plasticity. Curr<br />

Opin Neurol 2005; 18(6):667–74<br />

13 Cifelli A, Matthews PM, Cerebral plasticity in multiple<br />

sclerosis: insights from fMRI. Mult Scler 2002;<br />

8(3):193–9<br />

14 Rocca MA, Colombo B, Falini A, Ghezzi A, Martinelli V,<br />

Scotti G, Comi G, Filippi M, Cortical adaptation in<br />

patients with MS: a cross-sectional functional MRI<br />

study of disease phenotypes. Lancet Neurol 2005;<br />

4(10):618–26<br />

15 Loitfelder M, Fazekas F, Petrovic K, Fuchs S, Ropele S,<br />

Wallner-Blazek M, Jehna M, Aspeck E, Khalil M,<br />

Schmidt R, Neuper C, Enzinger C, Reorganization in<br />

cognitive networks with progression of multiple sclerosis:<br />

insights from fMRI. Neurology 2011; 76(6):526–33<br />

16 Cader S, Cifelli A, Abu-Omar Y, Palace J, Matthews<br />

PM, Reduced brain functional reserve and altered<br />

functional connectivity in patients with multiple<br />

sclerosis. Brain 2006; 129(Pt 2):527–37<br />

17 Langdon DW, Cognition in multiple sclerosis. Curr Opin<br />

Neurol 2011; 24(3):244–9<br />

18 Morgen K, Kadom N, Sawaki L, Tessitore A, Ohayon J,<br />

McFarland H, Frank J, Martin R, Cohen LG, Trainingdependent<br />

plasticity in patients with multiple sclerosis.<br />

Brain 2004; 127(Pt 11):2506–17<br />

19 Mattioli F, Stampatori C, Bellomi F, Capra R, Rocca M,<br />

Filippi M, Neuropsychological rehabilitation in adult<br />

multiple sclerosis. Neurol Sci 2010; 31(Suppl 2):S271–4<br />

20 Sumowski JF, Wylie GR, Deluca J, Chiaravalloti N,<br />

Intellectual enrichment is linked to cerebral efficiency in<br />

multiple sclerosis: functional magnetic resonance imaging<br />

evidence for cognitive reserve. Brain 2010;<br />

133(Pt 2):362–74<br />

17


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Kommunikation mit<br />

MS-Patientinnen und -Patienten<br />

Kommunikation spielt in fast allen Bereichen unseres Lebens eine wichtige Rolle, und die enorme Bedeutung der<br />

„richtigen“ Kommunikation wird auch für den medizinischen Bereich zunehmend erkannt und berücksichtigt.<br />

S<br />

So kann mangelhafte Kommunikation am Arbeitsplatz<br />

nicht nur zu persönlicher Verletzung,<br />

Enttäuschung oder Demotivierung führen,<br />

sondern auch die Gefahr gravierender<br />

Fehler durch fehlende oder fehlerhafte Information<br />

in sich bergen. Denn „Kommunizieren“<br />

beinhaltet immer sowohl die Übermittlung<br />

von Informationsinhalten als auch die<br />

Art und Weise, wie diese Übermittlung stattfindet.<br />

Naturgemäß sind letztendlich beide<br />

Aspekte entscheidend, wie und welche Informationen<br />

dann auch von unserem Gegenüber<br />

„empfangen“ bzw. aufgenommen werden.<br />

Für beide Aspekte der Kommunikation ist im<br />

ärztlichen Umgang mit MS-PatientInnen ein<br />

Wandel feststellbar. Zunehmend wird akzeptiert,<br />

dass die Information von PatientInnen<br />

über ihre Erkrankung nicht nur rechtlich betrachtet,<br />

sondern auch in der Betreuung ein<br />

notwendiges Element darstellt. Aber auch<br />

das Aufbauen einer guten und tragfähigen<br />

zwischenmenschlichen Beziehung wird als<br />

wichtige Basis der therapeutischen Führung<br />

im Rahmen chronischer Erkrankungen und<br />

im Fall der MS auch zur Erhaltung der Therapie-Compliance<br />

bei Langzeittherapien als<br />

unerlässlich akzeptiert. In der täglichen Praxis<br />

und auch im folgenden Artikel sind diese beiden<br />

Ziele nicht klar trennbar und werden<br />

daher in kombinierter Weise dargestellt.<br />

Die Ziele einer positiven Kommunikation betreffen<br />

sowohl sachliche als auch seelische<br />

Bereiche. Es soll über die Krankheit und alle<br />

damit in Zusammenhang stehenden Inhalte<br />

so umfangreich und verständlich informiert<br />

werden, dass der/die PatientIn sich trotz der<br />

Unsicherheit durch die Krankheitssituation<br />

gut und sicher zurechtfindet und auch den<br />

persönlichen Anteil an allen medizinischen<br />

Entscheidungen leisten kann.<br />

Zusätzlich aber soll die Bewältigung der Erkrankung<br />

unterstützt werden und eine Hilfestellung<br />

im Verarbeiten der Lebenssituation<br />

mit MS geboten werden. Außerdem muss<br />

die Kommunikation eine Basis für eine im<br />

Fall chronischer Erkrankungen langjährige Beziehung<br />

darstellen, die auch der Belastung<br />

von eventuellen Verschlechterungen der MS,<br />

wechselnden therapeutischen Aufgaben und<br />

permanenter Forderung durch Informationen<br />

von außen (z. B. Angebote von „Heilungen“)<br />

gewachsen sein muss.<br />

Das ärztliche Gespräch<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Siegrid Fuchs<br />

Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität<br />

Graz<br />

Prinzipiell ist zu beachten, dass die Stimmung<br />

im Rahmen des Gespräches von unterschiedlichen<br />

Faktoren beeinflusst werden kann.<br />

Deshalb ist es ratsam, schon die Rahmenbedingungen<br />

möglichst positiv zu gestalten.<br />

Eine ruhige Atmosphäre und ein angenehmes<br />

Klima im Raum erleichtern die Situation für<br />

die behandelten Menschen wie auch für<br />

den/die Arzt/Ärztin und sollten schon in der<br />

Auswahl und Adaptierung des Raumes beachtet<br />

werden. Wenn der Raum in seiner<br />

Ausstattung vorgegeben ist, so kann zumindest<br />

für ein Minimieren von Unterbrechungen,<br />

z. B durch Abstellen des Telefons, gesorgt<br />

werden und – als einfache Maßnahme<br />

– z. B. die Sitzgelegenheit des/der PatientIn<br />

gegen ein bequemeres Modell ausgetauscht<br />

werden.<br />

Sachinhalte vermitteln wir ohne Zweifel vorwiegend<br />

verbal, aber auch nonverbale Mitteilungen<br />

beeinflussen die Verständigung mit<br />

unseren PatientInnen intensiv und nachhaltig.<br />

Wenn wir einen/eine Patienten/-in kennen<br />

lernen, müssen die ersten Botschaften kurz<br />

zusammengefasst lauten: „Sie sind willkommen,<br />

Sie sind hier die Hauptperson, Sie werden<br />

in Ihren Bedürfnissen respektiert, und<br />

Ihre Anliegen sind mir wichtig.“<br />

Im Allgemeinen können diese Botschaften<br />

nicht oder maximal zu einem kleinen Teil einfach<br />

verbal mitgeteilt werden. Deshalb ist<br />

schon bei der Begrüßung und im gesamten<br />

Gesprächsverlauf auch auf nonverbale Mitteilungen<br />

zu achten. Das beginnt mit freundlicher<br />

Mimik, der Begrüßung und nament -<br />

lichen Vorstellung und dem Halten von<br />

Blickkontakt. Für die Teilnahme einer Begleitperson<br />

kann nur der/die PatientIn die Erlaubnis<br />

erteilen. Das wird meist von Seiten<br />

der Betroffenen nicht erwartet und die Erlaubnis<br />

oft vom Arzt/Ärztin erbeten! Daher<br />

sollte die Erlaubnis für das Einbeziehen einer<br />

Begleitperson von Seiten des/der PatientIn explizit<br />

erfragt und die Berechtigung für die<br />

Entscheidung erklärt werden.<br />

Im Gesprächsverlauf sollte durch Haltung und<br />

Gesichtsausdruck Interesse und Sensibilität<br />

vermittelt werden. Dass ausreichend Zeit für<br />

Fragen zur Verfügung steht, muss verbalisiert<br />

werden – denn dass von ärztlicher Seite die<br />

Bereitschaft für Zeitinvestition besteht, wird<br />

18


oft nicht erwartet! Es ist hilfreich, auch selbst<br />

direkt darauf hinzuweisen, dass die Schwierigkeit<br />

des Themas eventuelle Widerholungen<br />

und vor allem Rückfragen rechtfertigt. Zum<br />

Fragen muss im Verlauf auch mehrfach ermuntert<br />

werden und durch Nachfrage die<br />

Verständlichkeit der Mitteilungen kontrolliert<br />

werden. („Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“,<br />

„Bitte machen Sie mich aufmerksam,<br />

wenn ich medizinische Ausdrücke<br />

verwende, die Ihnen nicht geläufig sind“<br />

usw.)<br />

Letztendlich ist natürlich zu beachten, dass<br />

Gespräche über MS durchaus emotionsbeladen<br />

verlaufen. Die Sicherheit, dass Emotionen<br />

akzeptiert und verstanden werden, sollte den<br />

PatientInnen sowohl verbal als auch nonverbal<br />

vermittelt werden (Taschentücher am<br />

Schreibtisch sind praktisch).<br />

Das MS-Aufklärungsgespräch<br />

Lange Zeit wurde die sofortige und umfassende<br />

Aufklärung über das Vorliegen einer<br />

MS in Zweifel gestellt und manchmal sogar<br />

als nicht vertretbar abgelehnt oder der „Kompromiss“<br />

angeboten, schon aufzuklären, aber<br />

dabei den Namen „MS“ nicht zu nennen.<br />

Gesetzlich ist die Frage völlig klar und eindeutig<br />

geregelt. Die Aufklärung über Befunde<br />

und Erkrankung stellt eine klare und definierte<br />

ärztliche Pflicht dar. Dabei ist natürlich<br />

umfassend über Diagnostik und Befundergebnisse,<br />

über die Erkrankung allgemein,<br />

über alle infrage kommenden Behandlungsmethoden,<br />

deren Wirkungsausmaß sowie Risiken<br />

und Nebenwirkungen und sogar über<br />

eventuell notwendige Lebensführungsmaßnahmen<br />

zu informieren. Die Aufklärung wird<br />

auch in den Behandlungsunterlagen dokumentiert.<br />

Unabhängig von der rechtlichen Verpflichtung<br />

zur Aufklärung ergibt sich aber speziell<br />

bei chronischen Erkrankungen noch eine zusätzliche<br />

Motivation, nämlich die Hoffnung,<br />

mit umfassender Information für die erkrankte<br />

Person auch Wege der Bewältigung zu<br />

finden und den Umgang mit der Erkrankung<br />

zu erleichtern. Deshalb ist es sinnvoll, neben<br />

dem Erfüllen der Aufklärungspflicht, die Situation<br />

auch für den Beginn einer therapeutischen<br />

Führung und Unterstützung zu nutzen.<br />

Dass die Aufklärung bei MS oft die Basis<br />

für eine langjährige Partnerschaft legt, ist ein<br />

Grund mehr, sich diesem Thema intensiv zu<br />

widmen.<br />

Das Aufklärungsgespräch enthält natürlich<br />

eine Reihe von rein sachlichen Informationen,<br />

die als Erstinformation zu vermitteln sind,<br />

aber auch emotionale Botschaften, die den<br />

späteren Umgang mit der Erkrankung bestimmen.<br />

Beides ist von großer Bedeutung<br />

und eine klare ärztliche Aufgabe. Das Delegieren<br />

dieser Aufgabe an „Andere“ ist weder<br />

im sachlichen Bereich (z. B. an Aufklärungsbroschüren)<br />

noch im emotionalen Bereich (z.<br />

B. an PsychotherapeutInnen) zu akzeptieren.<br />

Sachinhalte des<br />

MS-Aufklärungsgespräches<br />

Das Informationsgespräch beginnt mit einer<br />

Zusammenfassung der relevanten Punkte aus<br />

der Anamnese, dem Erklären der Befunde<br />

mit Besprechen ihrer Wertigkeit (was ist normal,<br />

was weicht ab, was bedeutet das) sowie<br />

mit dem Sichten und eventuellen Zeigen der<br />

MRT-Bilder. Anhand dieser Informationen<br />

wird die Diagnose MS abgeleitet und erklärt,<br />

auf welchen Informationen sie beruht und<br />

wie stabil die Abstützung dieser Diagnose<br />

durch die vorliegenden Befunde ist. Dabei erfordert<br />

speziell die Diagnose „mögliche MS“<br />

besondere Beachtung, da dieser Ausdruck oft<br />

dazu führt, dass aus einem Gefühl mangelnder<br />

Absicherung die Bewältigung der Erkrankung<br />

beiseitegeschoben wird und bei einem<br />

Zweitschub massive psychische Probleme riskiert<br />

werden. Andererseits muss man noch<br />

bestehende diagnostische Unsicherheiten<br />

auch klar ansprechen, um eventuell notwendige<br />

Verlaufskontrollen zu begründen und<br />

die Motivation dazu zu schaffen.<br />

Bei Durchsicht der MRT-Bilder muss auch beachtet<br />

werden, dass normale Strukturen gezeigt<br />

und benannt werden sollen (ein in der<br />

T 2 -Sequenz heller Ventrikel erzeugt als vermeintliche<br />

„große Läsion“ Ängste, wenn<br />

helle Veränderungen als pathologisch erklärt<br />

werden). Auch das Ausmaß der Veränderungen<br />

ist meist zu diskutieren und auch eventuell<br />

eine klinisch-radiologische Dissoziation<br />

zu besprechen bzw. ist die jeweilige Bedeutung<br />

der MRT für Prognoseeinstufung und<br />

Therapieentscheidungen mit zu erklären.<br />

Nach der Erklärung der persönlichen Befunde<br />

und Nennung der Diagnose ist die Frage an<br />

den/die Patienten/-in sinnvoll, wie die jeweils<br />

eigene Vorstellung von der Erkrankung MS<br />

aussieht, um schon zu diesem Zeitpunkt Fehlvorstellungen<br />

ausräumen zu können. Auch<br />

der „schlechte Ruf“ der Erkrankung kann angesprochen<br />

und im Hinblick auf seine Berechtigung<br />

diskutiert werden.<br />

In der Praxis hat es sich bewährt, das erste<br />

Aufklärungsgespräch in zwei große „Blöcke“<br />

zu teilen, nämlich in „Allgemeines“ und<br />

„Therapie“, wobei den Betroffenen diese Art<br />

der Strukturierung auch vorab kurz vermittelt<br />

wird. („Wir besprechen zuerst alles Wissenswerte<br />

über die Krankheit und dann erst die<br />

Behandlungsmöglichkeiten.“) Dies hilft bei<br />

der Fokussierung der Gesprächsinhalte.<br />

Allgemeine Informationen über MS, Häufigkeit,<br />

Verläufe, Entstehung, betroffene Altersgruppen,<br />

Symptome usw. erfordern meist<br />

einen längeren Monolog, der zumindest begleitet<br />

sein sollte von der Aufforderung:<br />

„Bitte unterbrechen Sie mich, wenn zu viel<br />

Information auf einmal nicht mehr erfassbar<br />

ist oder Fragen auftauchen.“ Kurze Pausen<br />

nach einzelnen Themengruppen mit der<br />

Rückfrage, ob alles verständlich war, sind<br />

sinnvoll.<br />

Thema Therapie: Nach Besprechung der allgemeinen<br />

Informationen ist die Therapie das<br />

nächste große Thema. Vorausgeschickt sollte<br />

die Bemerkung werden, dass man MS zwar<br />

noch immer nicht heilen kann, aber gute<br />

Möglichkeiten zur Verminderung der Aktivität<br />

der Erkrankung zur Verfügung stehen, die<br />

helfen, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.<br />

Als nächster Schritt ist die individuelle<br />

Situation im Hinblick auf die Indikationsstellung<br />

für eine Behandlung zu bewerten<br />

und zu erklären.<br />

Bei vorhandener Therapieindikation sollten u<br />

19


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

vorwiegend die infrage kommenden Medikamente<br />

besprochen und andere Möglichkeiten<br />

nur der Vollständigkeit halber kurz erwähnt<br />

– und dieses Vorgehen erklärt – werden.<br />

(Dass es noch mehr Möglichkeiten gibt,<br />

erzeugt oft Beruhigung. Wenn später über<br />

nicht erwähnte Medikamente gelesen wird,<br />

entsteht eventuell das Gefühl, dass Information<br />

absichtlich „unterschlagen“ wurde.)<br />

Die einsetzbaren Medikamente sollten bezüglich<br />

Wirkung und Nebenwirkungen bewertet<br />

werden. Applikationsformen und Dosierungen<br />

sowie deren Vor- und Nachteile<br />

werden besprochen und erklärt und auf die<br />

Möglichkeit von Injektionshilfen wird hingewiesen.<br />

Nach Schilderung der vorhandenen<br />

Möglichkeiten sind persönliche Probleme zu<br />

besprechen (Spritzenängste, Hautsituation<br />

usw.) und die Methode der Integration der<br />

Therapie in das Alltagsleben ist zu überlegen.<br />

Dass dieses erste Gespräch nur der Information<br />

dient und eine Entscheidung erst nach<br />

entsprechender Überlegung getroffen werden<br />

soll, ist explizit zu erwähnen.<br />

Nach Vermittlung der vorher angeführten Inhalte<br />

ist ein großer Teil der „basalen“ Informationsaufgabe<br />

erfüllt. Trotzdem sollte den<br />

Betroffenen noch die Frage gestellt werden,<br />

ob sie spezielle zusätzliche Informationen<br />

wünschen. Häufig kommen dabei Fragen zu<br />

Lebensstilmodifikationen (Diät, Sport), oft<br />

auch die Frage nach der Vermeidung von<br />

Stress und nach Umgang mit der Krankheit<br />

in Alltag und Beruf. Fragen betreffend<br />

Schwangerschaft sollten bei jungen Frauen<br />

angesprochen werden, die Frage nach Vererbbarkeit<br />

wird von Männern und Frauen<br />

häufig gestellt.<br />

Im letzten Teil des Gespräches sollte darauf<br />

geachtet werden, dass auch die ganz persönlich<br />

wichtigen Anliegen noch einen Platz<br />

zur Besprechung finden. Auch ein Hinweis<br />

auf andere Informationsmöglichkeiten (Broschüren,<br />

Bücher) kann gegeben werden bzw.<br />

können diese mitgegeben werden, wenn ein<br />

grundlegendes Verständnis bereits geschaffen<br />

wurde. Da beim ersten Gespräch eine<br />

Fülle von Informationen vermittelt werden<br />

muss, tauchen Fragen meist erst nach dem<br />

Gespräch auf. Deshalb ist das Angebot, beim<br />

nächsten Termin eventuelle Unklarheiten<br />

noch einmal zu besprechen, sinnvoll.<br />

Emotionale Inhalte<br />

des Aufklärungsgesprächs<br />

Für beide Seiten ist das Aufklärungsgespräch<br />

eine immens wichtige Situation. Für den/die<br />

PatientIn ist dieses Gespräch ein Einschnitt,<br />

der die gesamte Lebenssituation verändert<br />

und die bestehende Ordnung völlig zerstört.<br />

Für den/die Arzt/Ärztin dient das erste Gespräch<br />

sowohl einer Positionierung der eigenen<br />

Person zur Präsentation der fachlichen<br />

Kompetenz als auch der Vermittlung der Bereitschaft<br />

zur ehrlichen und offenen Kommunikation<br />

und nicht zuletzt der Fähigkeit, sich<br />

verständnisvoll, unterstützend und helfend<br />

auf die neu anvertraute Person einzulassen.<br />

Entsprechend der emotional aufwühlenden<br />

Situation muss in Betracht gezogen werden,<br />

dass die Betroffenen unglaublich sensibel auf<br />

alle Botschaften – verbale wie nonverbale –<br />

reagieren. Deshalb ist es in dieser Situation<br />

besonders wichtig, die Präsentation der eigenen<br />

Person und Aussagen im Hinblick auf<br />

nonverbale Botschaften und Metamitteilungen<br />

einer genauen Kontrolle zu unterziehen.<br />

Besondere Beachtung jeder Reaktion und<br />

sensibles Eingehen auf alle Äußerungen<br />

des/der PatientIn ist unerlässlich. Auf Emotionen<br />

muss mit Verständnis und Unterstützung<br />

reagiert werden, im Gespräch anklingende<br />

persönlichkeitsbezogene Strategien<br />

zur Bewältigung sollten angesprochen und<br />

positiv hervorgehoben werden. Persönliche<br />

Wege des Umgehens mit der Erkrankung<br />

müssen gefunden werden. Ansätze dazu<br />

schimmern oft schon beim ersten Gespräch<br />

durch, und schon zu diesem Zeitpunkt kann<br />

das Erkennen dieses Weges unterstützt werden.<br />

Auch von Seiten des/der Arztes/Ärztin findet<br />

natürlich nonverbale Vermittlung von Einstellungen<br />

statt. Die Bezeichnung „MS“ aus<br />

einem Informationsgespräch auszuklammern,<br />

wie das früher oft der Fall war, bedeutet<br />

zum Beispiel die nonverbale Mitteilung:<br />

„Diese Krankheit ist so schrecklich,<br />

dass ich sie nicht einmal beim Namen nennen<br />

will, das würde Sie zu sehr belasten.“<br />

Deshalb ist es auch Teil einer guten Qualität<br />

der Kommunikation mit MS-Betroffenen,<br />

dass die behandelnden ÄrztInnen sich selbst<br />

immer wieder ihre eigene Einstellung zur Erkrankung<br />

sorgfältig bewusst machen und<br />

bedenken sowie den eigenen psychischen<br />

Hintergrund in Bezug auf den Umgang mit<br />

PatientInnen einer regelmäßigen Beobachtung<br />

unterziehen. Nur auf diese Weise ist<br />

das unbewusste Vermitteln ungewollter Einschätzungen<br />

und Wertungen weitgehend<br />

vermeidbar.<br />

Die Fortsetzung der Betreuung<br />

MS ist eine chronische Erkrankung und dauert<br />

„lebenslänglich“. Deshalb ist natürlich<br />

auch die Betreuung und Behandlung ein<br />

langjähriger Prozess, der auch immer wieder<br />

Adaptierung erfordert. Auch private Partnerschaften<br />

unterliegen ja – wenn sie Bestand<br />

haben sollen – einem ständigen Entwicklungsprozess<br />

und erfordern „Beziehungsarbeit“.<br />

Menschen ändern und entwickeln sich<br />

in ihrem Verhalten und in ihren Einstellungen,<br />

besonders wenn sie mit einer Lebenssituation<br />

umgehen müssen, die von einer Erkrankung<br />

mitbestimmt wird.<br />

Eine über viele Jahre notwendige Betreuung<br />

von MS-Betroffenen mit ihren wechselnden<br />

Anforderungen erfordert ein hohes Ausmaß<br />

an Flexibilität im Umgang mit der Erkrankung,<br />

eventuell wechselnden Therapien und<br />

Lebenssituationen der PatientInnen. Die Prinzipien<br />

der Kommunikation in Bezug auf Respekt<br />

und Wertschätzung, Klarheit, Offenheit<br />

und Unterstützung bleiben allerdings die gleichen<br />

und sind natürlich im gesamten Verlauf<br />

der Betreuung in analoger Weise zu beachten<br />

und weiterzuführen.<br />

n<br />

20


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Kognition und multiple Sklerose<br />

Obwohl schon Charcot im 19. Jahrhundert in seiner ersten Krankenbeschreibung der multiplen Sklerose<br />

psychologische Begleiterscheinungen dokumentierte, begannen systematische Untersuchungen zu kognitiven<br />

Defiziten bei MS erst Mitte des letzten Jahrhunderts. Mittlerweile wurde eine Vielzahl von Studien publiziert,<br />

die neben motorischen Defiziten auch kognitive Beeinträchtigungen, Persönlichkeitsveränderungen, affektive<br />

Störungen und vermehrte chronische Ermüdung (chronic fatigue) bei MS-PatientInnen analysieren.<br />

Die pathophysiologische Ursache kognitiver<br />

Beeinträchtigungen bei MS wird in der Unterbrechung<br />

kortiko-subkortikaler Bahnen<br />

durch Demyelinisierung und Axonverluste angenommen.<br />

Die morphologischen Veränderungen,<br />

die besonders mit kognitiven Einschränkungen<br />

assoziiert werden, sind vor<br />

allem im erweiterten 3. Ventrikel, in periventrikulären<br />

Arealen, im Corpus callosum und<br />

im Parenchym zu finden 1, 2 .<br />

Calabrese et al. betonen 3 , dass aber nicht so<br />

sehr das Läsionsvolumen in den besagten<br />

Arealen ausschlaggebend für das Vorhandensein<br />

kognitiver Störungen ist, sondern die Läsionsverteilung.<br />

Das von ihnen beschriebene<br />

Schwellenmodell versucht individuell variierende<br />

kognitive Leistungsmuster zu erklären.<br />

Sie postulieren drei Prägnanztypen: großflächig<br />

periventrikuläre konfluierende Läsionsmuster,<br />

vereinzelte Läsionen und gleichzeitiges<br />

Auftreten konfluierender Demyelinisierungs-<br />

und lokalisierter Herde.<br />

So unterschiedlich die Befallmuster der entzündlichen<br />

Erkrankung sind, so unterschiedlich<br />

sind auch die interindividuellen Variabilitäten<br />

in den kognitiven Leistungsprofilen.<br />

Beim Großteil der MS-PatientInnen lässt sich<br />

aber trotzdem ein charakteristisches Störungsprofil<br />

beschreiben:<br />

• Aufmerksamkeitsfunktionen,<br />

• Lern- und Gedächtnisleistung,<br />

• exekutive Funktionen,<br />

• affektive Funktionen und Persönlichkeit<br />

1 2<br />

Eine Studie aus dem Jahre 2009 4 versuchte<br />

Korrelationen zwischen zerebralen Läsionsverteilungen<br />

und unterschiedlichen kognitiven<br />

Leistungsprofilen zu finden: PatientInnen<br />

mit großflächigen periventrikulären Läsionsmustern<br />

fielen durch mnestische Störungen<br />

und affektive Veränderungen auf. Vereinzelte<br />

Läsionen führten zu eng umschriebenen kognitiven<br />

Funktionsdefiziten, die dann dekompensierten,<br />

wenn eine bestimmte qualitative<br />

Schwelle erreicht war. PatientInnen mit Demyelinisierungen<br />

und lokalisierten Herden<br />

waren durch Einbußen in mehreren kognitiven<br />

Funktionen charakterisiert und wurden<br />

als RisikopatientInnen gesehen, rascher im<br />

Lauf der Jahre demenzielle Symptome zu entwickeln.<br />

Klinische Charakteristika<br />

Wenn man die kognitiven Funktionen, die<br />

bei MS besonders betroffen sind, genauer<br />

analysiert, haben MS-PatientInnen in den Dimensionen<br />

Aufmerksamkeit Probleme bei der<br />

Alertness (Aktivierung von Aufmerksamkeitsressourcen)<br />

und auch bei der geteilten Aufmerksamkeit<br />

(Steuerung der Aufmerksamkeit<br />

auf mehrere Reize gleichzeitig). Ebenso schildern<br />

die Betroffenen Beeinträchtigungen<br />

beim Arbeitsgedächtnis, das eine wichtige<br />

Funktion beim Lesen, Fernsehen, Gespräche<br />

führen etc. hat. Auch das Tip-of-the-Tongue-<br />

Phänomen (das Wort liegt mir auf der Zunge,<br />

aber die Wiedergabe fällt schwer), ein von<br />

MS-Erkrankten häufig geschildertes Problem,<br />

Mag. Dr. Gisela Pusswald 1<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Wien<br />

Mag. Christa Mildner 2<br />

Sozialmedizinisches Zentrum Süd,<br />

Kaiser-Franz-Josef-Spital, <strong>Neurologie</strong><br />

kann als Ursache Defizite im Arbeitsgedächtnis<br />

haben.<br />

Die Probleme bei der Gedächtnisleistung beziehen<br />

sich vor allem auf die verzögerte Abrufleistung.<br />

PatientInnen berichten, dass sie<br />

Texte oder Inhalte, die sie vor einiger Zeit gehört<br />

haben, nur mit Hilfe z. B. von Cues abrufen<br />

können, die Abrufleistung von unzusammenhängendem<br />

Material ist reduziert.<br />

Dysexekutive Syndrome sind charakterisiert<br />

durch einen verzögerten Wortfluss, reduzierte<br />

Ideenproduktion, Beeinträchtigungen<br />

beim Planen, Monitoring, Ausführen von<br />

Handlungen und bei der Kontrolle von Handlungsschritten.<br />

PatientInnen haben im Alltag<br />

Probleme, da sie Termine vergessen, zu spät<br />

kommen, über Stress klagen etc.<br />

Ein oft vernachlässigtes Symptom, das aber<br />

für die Betroffenen mit großen Problemen im<br />

Alltag verbunden ist, sind Defizite der basalen<br />

visuellen Wahrnehmung wie z. B. Gesichtsfeldeinschränkungen<br />

sowie Skotome oder<br />

Defizite bei der kognitiven Verarbeitung visueller<br />

Reize. Im Alltag wirkt sich diese Beeinträchtigung<br />

durch frühzeitige Ermüdung<br />

beim Lesen, Autofahren, bei Computerarbeit<br />

oder z. B. beim Fernsehen aus. Kopfschmerzen,<br />

Nervosität, reduzierte Belastbarkeit und<br />

Unkonzentriertheit können die Sekundärfolgen<br />

sein.<br />

22


Auswirkungen<br />

auf die Lebensqualität<br />

MS tritt meist im Alter zwischen 20 und 40<br />

Jahren auf – ein Lebensabschnitt, in dem<br />

meist der Höhepunkt der beruflichen Karriere<br />

erreicht wird und die Familiengründung aktuell<br />

ist. Kognitive Defizite, begleitet von affektiven<br />

Störungen und Fatigue, sind häufig<br />

die Hauptgründe, warum die Betroffenen<br />

nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen können,<br />

sich von Freizeitaktivitäten oder dem Freundeskreis<br />

zurückziehen. Studien zeigen, dass<br />

MS-PatientInnen mit kognitiven Defiziten seltener<br />

berufstätig sind, Probleme in der Partnerschaft<br />

und sexuelle Dysfunktionen häufiger<br />

angeben, mit Problemen am Arbeitsplatz<br />

kämpfen und an mehr Verkehrsunfällen beteiligt<br />

sind. Unumstritten sind kognitive Defizite<br />

der Betroffenen und Veränderungen des<br />

psychischen Zustandes – Faktoren, die die Lebensqualität<br />

negativ beeinflussen. Dieses Faktum<br />

muss im Bereich der <strong>neurologisch</strong>en Rehabilitation<br />

berücksichtigt werden und entsprechende<br />

Rehabilitationsprogramme, die<br />

neben Training der körperlichen Defizite, neuropsychologische<br />

Therapie, wie kognitives<br />

Training und psychologische Behandlung anbieten,<br />

Rechnung getragen werden.<br />

Neuropsychologische<br />

Therapie bei MS<br />

Neuropsychologische Therapie beinhaltet<br />

Aspekte der Restitution, Kompensation sowie<br />

Adaption. Studien zeigen, dass manche kognitive<br />

Funktionen durch Restitutionstraining,<br />

andere Funktionen durch Kompensationsstrategien<br />

verbesserbar sind. Die Möglichkeiten<br />

der Adaption der Umwelt sowie des eigenen<br />

Heimes an die Beeinträchtigungen stellen<br />

immer einen wesentlichen Bestandteil in der<br />

Behandlung dar.<br />

Aufmerksamkeitstraining: Dimensionen<br />

der Aufmerksamkeit lassen sich durch gezieltes<br />

intensives funktionelles Training verbessern.<br />

Bewährt haben sich computerunterstützte<br />

Therapieverfahren, die spezifische<br />

Aufmerksamkeitsfunktionen in alltagsnahen<br />

Situationen trainieren. Studien (z. B. 5 ) zeigen<br />

die Effektivität eines spezifischen, auf das jeweilige<br />

Defizit zugeschnittenen Trainings.<br />

In der Arbeit von Plohmann 6 wurden unterschiedliche<br />

Dimensionen von Aufmerksamkeitsdefiziten<br />

bei MS-PatientInnen mit einem<br />

spezifischen Programm der PC-Software AIX-<br />

TENT trainiert. Die Resultate zeigen, dass eine<br />

spezifische, individuell abgestimmte Intervention<br />

einen positiveren Effekt erzielt als ein<br />

unspezifisches Training. Andererseits konnte<br />

gezeigt werden, dass das Training einer<br />

grundlegenden Aufmerksamkeitsfunktion,<br />

wie der Alertness, auch eine Wirkung auf<br />

komplexe und höhere Aufmerksamkeitsfunktionen<br />

wie die selektive Aufmerksamkeit erzielen<br />

kann. Weiters konnte ein Transfereffekt<br />

des funktionellen Aufmerksamkeitstrainings<br />

auf Alltagsleistungen erhoben werden, ein<br />

Effekt, der Ziel jeglicher Trainingsansätze in<br />

der Rehabilitation sein sollte.<br />

Arbeitsgedächtnis: Vielversprechende Ergebnisse<br />

zeigt auch eine Studie von Vogt et<br />

al. 7 über die Wirksamkeit eines Trainings spezifischer<br />

Aspekte des Arbeitsgedächtnisses<br />

mittels „BrainStim“. Die Resultate zeigten bei<br />

PatientInnen und Gesunden während des<br />

Trainings eine konstante Leistungsverbes -<br />

serung. Bei einer neuropsychologischen<br />

Nachuntersuchung wurden bedeutsame<br />

Leis tungsverbesserungen beim Item „Arbeitsgedächtnis“<br />

und bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit<br />

nachgewiesen, zudem zeigte<br />

sich eine deutliche Reduktion der Fatigue-<br />

Werte.<br />

Diese stimulierenden und aktivierenden Verfahren<br />

sollten falls nötig durch lerntheoretisch<br />

fundierte Methoden (Selbstinstruktionstraining)<br />

oder Kompensationstechniken wie<br />

Organisation des Alltages oder Adaptation<br />

an die Umwelt ergänzt werden.<br />

Lerngedächtnistraining und Abrufleis -<br />

tung: Es wird empfohlen, Beeinträchtigungen<br />

der Abrufleistungen von gespeichertem<br />

verbalem oder spatialem Material durch auf<br />

den individuellen Alltag des Betroffenen abgestimmte<br />

Strategien und Hilfen zu verbessern.<br />

Das Erlernen von Memotechniken oder<br />

der Einsatz von Hilfsmitteln wie z. B. Notizbüchern,<br />

Tagebüchern, Erinnerungsfunktionen<br />

des Handys etc. stellen für den Betroffenen<br />

die beste Unterstützung dar.<br />

Exekutivfunktionen: Die Therapie dysexekutiver<br />

Funktionen sollte störungsspezifisch<br />

sein. Ausgerichtet auf das jeweilige Defizit<br />

kann einerseits Restitution (z. B. bei Reduktion<br />

der verbalen Flüssigkeit oder des Ideenreichtums)<br />

und andererseits ein kompensatorischer<br />

Trainingsansatz (z. B. zur Verbesserung<br />

der Aufgaben- und Problemanalysen<br />

oder Entwicklung von Handlungsalternativen)<br />

eingesetzt werden. Behaviorale und lerntheoretische<br />

Methoden werden bei Verhaltenauffälligkeiten<br />

wie Kontrollverlust, Distanzlosigkeit<br />

etc. empfohlen. Kognitiv-verhaltentherapeutische<br />

Verfahren können auch im<br />

Gruppensetting bei Problemen der sozialen<br />

Kompetenz, der Kommunikation oder bei impulsivem,<br />

unkontrolliertem Verhalten angewendet<br />

werden.<br />

Visuell-räumliche Störungen: Der Behandlung<br />

visuell-räumlicher Störungen bei MS-PatientInnen<br />

wurde noch wenig Aufmerksamkeit<br />

geschenkt, Studien dazu fehlen gänzlich.<br />

Im Einzelfall werden interdisziplinäre Methoden<br />

(in Zusammenarbeit mit OrthoptistInnen<br />

und ErgotherapeutInnen) empfohlen, die sich<br />

bei den entsprechenden Störungen (wie Gesichtsfeldeinschränkungen,<br />

Skotome etc.) als<br />

wirksam erwiesen haben (Explorationstraining,<br />

Blicktraining, Lesetraining, Fusionstraining<br />

etc.).<br />

Frühzeitiger Therapiebeginn: Bei allen<br />

Trainingsansätzen darf nicht vergessen werden,<br />

dass das Erlernte in den Alltag, in die<br />

soziale, persönliche, berufliche Realität jedes<br />

einzelnen Betroffenen transferiert werden<br />

muss. Zudem sind stets sämtliche Aspekte zu<br />

beachten, die begünstigend oder auch negativ<br />

auf die kognitiven Fähigkeiten wirken<br />

können. Erwähnt seien an dieser Stelle Einflussfaktoren<br />

wie Stimmung (Depression)<br />

oder auch Auswirkungen von Stress.<br />

Begleitende klinisch psychologische Behandlungen<br />

– Erlernen von Entspannungstechniken,<br />

Stresspräventions- bzw. -verarbeitungsstrategien,<br />

Burn-out-Prophylaxe, Kriseninterventionen<br />

etc. – sind ein wichtiger Bestand- u<br />

23


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

teil des neuropsychologischen Rehabilitationskonzeptes.<br />

Genauso unverzichtbar ist die<br />

Edukation der Angehörigen, sei es die Übermittlung<br />

von krankheitsspezifischen Informationen<br />

oder die Einschulung der Angehörigen<br />

als Co-TherapeutInnen.<br />

Generell sollte die neuropsychologische Behandlung<br />

so früh wie möglich nach Erstdiagnose<br />

von kognitiven Defiziten begonnen<br />

werden. Je früher der/die MS-PatientIn<br />

seine/ihre wahrgenommenen Defizite zuordnen<br />

kann, diese trainiert und lernt, damit umzugehen,<br />

desto stabiler kann er/sie die Lebensqualität<br />

erhalten. Der Behandlung muss<br />

wie bei jeder klinischen Intervention eine Diagnostik<br />

vorangestellt werden. Neuropsychologisches<br />

Funktionstraining sollte mehrmals<br />

die Woche empfohlen werden, abhängig von<br />

der Art des Defizites mindestens 3-mal à 30<br />

Minuten lang durchgeführt werden kompensatorische<br />

Techniken können mit dem/der PatientIn<br />

erarbeitet und unter Supervision<br />

des/der TherapeutIn als auch mit Unterstützung<br />

eingeschulter Angehöriger durchgeführt<br />

werden.<br />

In Österreich wird neuropsychologische Diagnostik<br />

von klinischen PsychologInnen (bzw.<br />

RESÜMEE<br />

Neuropsychologische Defizite bei MS-PatientInnen<br />

sind kein seltenes Phänomen,<br />

sondern bei 40–60 % der Betroffenen<br />

vorhanden. Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit,<br />

des Gedächtnisses, der visuellen<br />

Wahrnehmung sowie exekutive<br />

Defizite werden am häufigsten diagnostiziert.<br />

Psychologische Probleme wie<br />

chronische Müdigkeit, Depressionen,<br />

Ängste und Veränderungen der Persönlichkeit<br />

sind Begleiterscheinungen, die<br />

vor allem die Angehörigen belasten.<br />

Neuropsychologische Diagnostik mit<br />

konsekutiver neuropsychologischer Behandlung<br />

sollte ein Standardangebot im<br />

<strong>neurologisch</strong>en Rehabilitationssetting<br />

von PatientInnen mit MS sein.<br />

In Österreich werden sowohl die Diagnos -<br />

tik als auch die Behandlung von klinischen<br />

NeuropsychologInnen angeboten<br />

(BehandlerInnenliste unter www.gnpoe.at).<br />

klinischen PsychologInnen mit der Zusatz -<br />

qualifikation „Neuropsychologe“: Adressen<br />

dazu werden unter www.gnpoe.at) angeboten<br />

und auf ärztliche Zuweisung von den<br />

Krankenkassen refundiert. Therapeutische<br />

Interventionen bieten sowohl klinische NeuropsychologInnen<br />

als auch Ergotherapeu -<br />

tInnen an.<br />

n<br />

1 Lensch E et al., Identification and management of cognitive<br />

disorders in multiple sclerosis – a consensus<br />

approach. J Neurol 2006; 253 Suppl 1:I29–31<br />

2 Pozzilli C et al., SPECT, MRI and cognitive functions in<br />

multiple sclerosis. J Neurol Neurosurg Psych 1991;<br />

54(2):110–5<br />

3 Calabrese P (Hrsg.), Multiple Sklerose und Kognition<br />

2007 Georg Thieme Verlag<br />

4 Tiemann L. et al., Cognitive decline in multiple sclerosis:<br />

impact of topographic lesion distribution on differential<br />

cognitive deficit patterns. Multiple Sclerosis 2009;<br />

15(10):1164–1174<br />

5 Sturm W et al., Network for auditory intrinsic alertness:<br />

a PET study. Neuropsychologia 2004; 42:563–568<br />

6 Plohmann AM et al., Computer-assisted retraining of<br />

attentional impairments in patients with multiple sclerosis.<br />

J Neurology Neurosurgery and Psychiatry 1998;<br />

64:455–462<br />

7 Vogt A et al., Brain Stim – Wirksamkeit eines neu entwickelten<br />

kognitiven Trainingsprogramms bei MS; Neurological<br />

Rehabilitation 2008; 14(2):93–101<br />

Weitere Literatur:<br />

- Cicerone KD et al., Evidence-based cognitive rehabilitation:<br />

Updated review of the literature from 1998 through<br />

2002. Arch Phys Med Rehab 2005; 86(8):1681–1692<br />

- Pusswald G, Vass K, Multiple Sklerose. Lehrner et al.,<br />

(Hrsg.), Lehrbuch Klinische Neuropsychologie. Springer<br />

Verlag, Wien 2010<br />

- Vorstand der GNP et al., Leitlinien der <strong>Gesellschaft</strong> für<br />

Neuropsychologie (GNP) für neuropsychologische Diagnostik<br />

und Therapie. Zeitschrift für Neuropsychologie<br />

2005; 16(4):175–201<br />

24


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Emotionale Störungen und multiple Sklerose<br />

PatientInnen, die an multipler Sklerose erkrankt sind, leiden nicht nur an körperlichen Symptomen und<br />

Beeinträchtigungen. Zusätzlich treten häufig affektive Störungen auf, wie Depression oder eine bipolare<br />

Erkrankung, aber auch Psychosen. Möglicherweise können Beeinträchtigungen im Alltag auch durch Störungen<br />

der Emotionswahrnehmung und Emotionsverarbeitung bedingt sein.<br />

Depression,<br />

bipolare Störung, Psychosen<br />

Mehrere klinikbasierte, aber vor allem auch<br />

populationsbasierte epidemiologische Studien<br />

zeigten, dass die 12-Monats-Prävalenz der<br />

Major Depression bei MS-PatientInnen mit<br />

15,7 % doppelt so hoch ist wie in der Allgemeinbevölkerung.<br />

Die Lebenszeitprävalenz<br />

reicht nahe an 50 % heran. MS-PatientInnen<br />

haben auch ein signifikant höheres Suizidrisiko.<br />

Risikoerhöhend wirken männliches Geschlecht,<br />

soziale Isolation, Substanzmissbrauch,<br />

Diagnose einer Major Depression und<br />

jüngeres Alter bei MS-Beginn. Als ursächlich<br />

für die erhöhte Prävalenz der Depression können<br />

sowohl eine genetische Veranlagung als<br />

auch psychosoziale Risikofaktoren, wie sie bei<br />

depressiven PatientInnen ohne MS vorkommen,<br />

wirken. Weiters kann die Depression<br />

auch als Reaktion auf die Erkrankung und<br />

die Auseinandersetzung mit der Erkrankung<br />

entstehen.<br />

Zum Teil wird diese Risikoerhöhung auch<br />

durch Läsionen im Fasciculus arcuatus der<br />

dominanten Hemisphäre sowie durch Läsionen<br />

frontal und parietal oder durch eine kortikale<br />

Atrophie erklärt. Weiters wurden Hinweise<br />

gefunden, dass depressive MS-PatientInnen<br />

im Vergleich zu nicht depressiven<br />

häufiger Läsionen im medialen inferioren präfrontalen<br />

Kortex und im anterioren Temporallappen<br />

der dominanten Hemisphäre<br />

haben.<br />

Bei der klinischen Symptomatik stehen Reizbarkeit,<br />

Frustration, Mutlosigkeit und neurovegetative<br />

Symptome (Schlafstörung, Appetitminderung,<br />

Ermüdbarkeit) im Vordergrund.<br />

MS-PatientInnen weisen aber weniger oft<br />

Schuldgefühle und niedrigen Selbstwert auf<br />

als depressive PatientInnen ohne MS 1, 2 .<br />

Auch die Prävalenz der bipolar affektiven Störung<br />

ist zweimal so hoch wie in der Normalbevölkerung.<br />

Es gibt keine ausreichenden<br />

bildgebenden Studien, welche die Pathogenese<br />

bei MS-PatientInnen untersuchten. Die<br />

Prävalenz der Angststörungen wird auf 14–<br />

41 % bei MS-PatientInnen geschätzt. Angststörungen<br />

kommen häufig gemeinsam mit<br />

Depressionen vor und gehen mit einer erhöhten<br />

Rate von suizidalen Ideen, mehr körperlichen<br />

Beschwerden, häufigeren sozialen<br />

Dysfunktionen und erhöhtem Alkoholkonsum<br />

einher.<br />

Die Prävalenz von Psychosen bei MS-PatientInnen<br />

wurde lange Zeit als gering eingeschätzt.<br />

Es gibt zwar nach wie vor wenige<br />

Daten, aber eine populationsbasierte Untersuchung<br />

weist darauf hin, dass die Prävalenz<br />

mit 2–3 % bis zu dreimal höher sein könnte<br />

als in der Allgemeinbevölkerung. Aufgrund<br />

der mangelnden Datenlage kann derzeit<br />

keine Aussage getroffen werden, ob diese<br />

mögliche Risikoerhöhung mit den MS-typischen<br />

Läsionen zusammenhängt oder ob andere<br />

Risikofaktoren eine Rolle spielen 1, 2 .<br />

Therapeutisch sind die psychiatrischen Erkrankungen<br />

bei MS-PatientInnen so zu behandeln<br />

wie bei psychiatrisch Erkrankten<br />

ohne MS. Insbesondere sind neben der medikamentösen<br />

Therapie die Psychotherapie<br />

und stützende Gespräche wichtige Stütz -<br />

pfeiler.<br />

Emotionswahrnehmung<br />

und Emotionsverarbeitung<br />

Dr. Karin Zebenholzer<br />

Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität<br />

Wien<br />

Unter den PatientInnen mit multipler Sklerose<br />

leiden 40–70 % an kognitiven Defiziten.<br />

Dabei sind die Aufmerksamkeit, die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit,<br />

exekutive<br />

Funktionen, das Gedächtnis, visuelles Lernen<br />

und visuelles Gedächtnis am häufigsten betroffen<br />

3 . Diesen kognitiven Störungen liegen<br />

die MS-typischen Veränderungen in der weißen<br />

Substanz wie auch die dadurch bedingten<br />

Unterbrechungen der frontal-subkortikalen<br />

Netzwerke zu Grunde. Wegen dieser Veränderungen<br />

wird vermutet, dass auch Probleme<br />

beim Erkennen und Verarbeiten von<br />

Emotionen auftreten können, denn das Erkennen<br />

von Emotionen ist ein komplexer kognitiver<br />

Prozess, der vor allem die Aufmerksamkeit,<br />

das Arbeitsgedächtnis, die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit,<br />

das<br />

Lernen, das Abrufen von Gedächtnisinhalten<br />

und semantische und exekutive Funktionen<br />

involviert. Erst seit relativ kurzer Zeit wird der<br />

Emotionswahrnehmung und Emotionsverarbeitung<br />

bei PatientInnen mit multipler Sklerose<br />

mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit<br />

zuteil.<br />

Das Erkennen von Emotionen – unter anderem<br />

die Interpretation emotionaler Ausdrücke<br />

in Gesichtern und Körpersprache – ist wichtig,<br />

um im sozialen Umfeld adäquat interagieren<br />

zu können. Für die Interaktion mit<br />

anderen spielt auch die Theory of Mind eine<br />

große Rolle: Theory of Mind beschreibt die<br />

Fähigkeit, Annahmen über Bewusstseinsvorgänge<br />

in anderen Personen vorzunehmen<br />

und diese in der eigenen Person zu erkennen,<br />

also Gefühle, Bedürfnisse, Ideen, Absichten,<br />

Erwartungen und Meinungen zu vermuten.<br />

Dafür ist die Integration kognitiver und emotionaler<br />

Prozesse notwendig.<br />

Basierend auf diesen Annahmen wurden in<br />

den letzten Jahren einige Studien zur Emotionswahrnehmung<br />

und -verarbeitung bei PatientInnen<br />

mit multipler Sklerose durchgeführt.<br />

In erster Linie wurde dabei das Erkennen<br />

von Emotionen in Gesichtern untersucht. u<br />

25


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Zusätzlich wurde mit Hilfe von MRT und fMRT<br />

versucht, die zu Grunde liegenden pathologischen<br />

Vorgänge zu erfassen.<br />

Defizite in der Emotionswahrnehmung<br />

bei MS-PatientInnen<br />

In einer der ersten Untersuchungen zur Emotionserkennung<br />

bei MS-PatientInnen fanden<br />

Beatty et al. 4 nicht nur kognitive Defizite bei<br />

MS-PatientInnen, sondern auch, im Vergleich<br />

zu gesunden Kontrollpersonen, niedrigere<br />

Scores in Gesichtererkennungstests. Jehna et<br />

al. 5 fanden zwar Hinweise für kognitive Defizite<br />

bei MS-PatientInnen im Vergleich zu gesunden<br />

Kontrollen und eine längere Reaktionszeit,<br />

um die Emotionen in Gesichtern zu<br />

erkennen, aber die PatientInnen erkannten<br />

die Emotionen in Gesichtern gleich gut wie<br />

die Kontrollpersonen.<br />

Theory of Mind wurde von Henry et al. 6 mittels<br />

des Mind-in-the-Eye-Tests untersucht.<br />

MS-PatientInnen hatten signifikant schlechtere<br />

Ergebnisse als Kontrollpersonen. Zusätzlich<br />

korrelierten bei den MS-PatientInnen<br />

schlechtere Scores bei der verbalen Flüssigkeit<br />

mit schlechteren Mind-in-the-Eye-Ergebnissen<br />

und eine langsamere Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit<br />

bei der Affekterkennung<br />

in Gesichtern. Die MS-PatientInnen<br />

wiesen keine generellen Defizite bei der Emotionserkennung<br />

in Gesichtern auf, erkannten<br />

aber Zorn und Angst schlechter. In einer Studie<br />

von Ouellet et al. 7 konnte gezeigt werden,<br />

dass MS-PatientInnen mit kognitiven Defiziten<br />

im Gegensatz zu den PatientInnen ohne<br />

kognitive Defizite auch mehr Probleme hatten,<br />

den mentalen Status anderer Personen<br />

einzuschätzen. Diese schlechteren Theory-of-<br />

Mind-Fähigkeiten wurden somit nicht der MS<br />

per se zugeordnet, sondern durch die kognitiven<br />

Defizite erklärt.<br />

Eine Studie von Phillips et al. 8 konnte zeigen,<br />

dass MS-PatientInnen spezifische Defizite<br />

beim Dekodieren von statischen und dynamischen<br />

Informationen über Emotionen<br />

haben. Es fanden sich auch Hinweise darauf,<br />

dass soziale und psychologische Aspekte der<br />

Lebensqualität mit diesen Defiziten zusammenhängen.<br />

Weiters fanden auch Prochnow<br />

et al. 9 bei MS-PatientInnen Defizite in der Affekterkennung<br />

in Gesichtern und zusätzlich<br />

höhere Alexithymie-Scores als bei gesunden<br />

Kontrollpersonen. Diese höheren Alexithymie-Scores<br />

korrelierten auch mit den Defiziten<br />

in der Emotionswahrnehmung.<br />

Funktionelle Bildgebung<br />

und Emotionswahrnehmung<br />

Mehrere Arbeitsgruppen untersuchten Störungen<br />

der Emotionswahrnehmung bei MS-<br />

PatientInnen mittels fMRT. Zielregionen, die<br />

eine wesentliche Rolle bei der Erkennung von<br />

Emotionen in Gesichtern spielen, sind die<br />

RESÜMEE<br />

Es gibt Hinweise darauf, dass MS-PatientInnen<br />

Defizite bei der Emotionserkennung<br />

in Gesichtern haben. Vor allem<br />

scheint das Erkennen negativer Emotionen<br />

erschwert zu sein. Es ist aber aufgrund<br />

der bisherigen Studien nicht differenzierbar,<br />

ob diese Ergebnisse eine<br />

statistische Assoziation zwischen Läsionen<br />

in jenen Regionen der weißen Substanz,<br />

die in die Emotionsverarbeitung<br />

involviert sind, und kognitiven Prozessen<br />

widerspiegeln, oder ob die kognitiven<br />

Defizite selbst die Ursache für die Probleme<br />

bei der Emotionserkennung sind.<br />

Wenn Defizite bei der Emotionserkennung<br />

vorhanden sind, so scheinen diese<br />

sehr subtil zu sein. Inwieweit sie eine<br />

Rolle im Alltag der Patienten spielen, insbesondere<br />

in den sozialen Beziehungen<br />

oder am Arbeitsplatz, muss erst detaillierter<br />

untersucht werden.<br />

Der Zusammenhang zwischen affektiven<br />

Störungen und der Emotionswahrnehmung<br />

ist bisher nicht ausreichend untersucht.<br />

Gesichert ist, dass viele MS-PatientInnen<br />

durch Depressionen, bipolare<br />

Erkrankungen und auch durch Psychosen<br />

beeinträchtigt sind. Daher ist bei der Anamnese<br />

und in der regelmäßigen Betreuung<br />

der PatientInnen darauf besondere<br />

Aufmerksamkeit zu legen. Diese Erkrankungen<br />

sind mit bewährten Medikamenten<br />

und psychotherapeutischer Unterstützung<br />

gut behandelbar, und es können<br />

somit der Leidensdruck für die<br />

PatientInnen und die Beeinträchtigung<br />

im Alltag deutlich gemindert werden.<br />

Amygdala und der orbitofrontale Kortex. Zum<br />

Teil wurden jedoch widersprüchliche Aktivierungsmuster<br />

gefunden. Krause et al. 10 fanden<br />

bei PatientInnen, die Defizite beim Erkennen<br />

von Emotionen in Gesichtern hatten, eine verminderte<br />

Aktivierung in frontalen Kortexregionen<br />

und in der anterioren Inselregion, aber<br />

eine normale Aktivierung bei PatientInnen<br />

ohne solche Defizite. Allerdings fanden sich<br />

diese Unterschiede nur für die Dimensionen<br />

Angst, Trauer und Zorn und nicht bei glücklichen<br />

Gesichtern. Bemerkenswert scheint jedoch,<br />

dass sich die PatientInnen mit Defiziten<br />

in der Emotionswahrnehmung hinsichtlich des<br />

T2-Läsionsvolumens nicht von jenen ohne<br />

diese Defizite unterschieden, und dass auch<br />

die Läsionslast nicht mit den Aktivierungsmus -<br />

tern während des Tests korrelierte 11 . Während<br />

der Beurteilung negativer Emotionen in Gesichtern<br />

im fMRT wurden bei MS-PatientInnen<br />

der ventrolaterale präfrontale Kortex und der<br />

superiore parietale Kortex deutlicher aktiviert<br />

als bei Gesunden. Zusätzlich zeigte sich eine<br />

verminderte funktionale Konnektivität zwischen<br />

ventrolateralem sowie medialem präfrontalen<br />

Kortex und linker Amygdala. Dies<br />

könnte die Demyelinisierung dieser Verbindungen<br />

widerspiegeln 11 .<br />

n<br />

1 Feinstein A, Neuropsychiatric syndromes associated<br />

with multiple sclerosis. J Neurol 2007;<br />

254(Suppl 2);II/73–II/76<br />

2 Paparrigopoulos T, Ferentinos P, Kouzoupis A, Koutsis<br />

G, Papadimitriou GN, The neuropsychiatry of multiple<br />

sclerosis: focus on disorders of mood, affect and<br />

behaviour. Int Rev Psychiatry 2010; 22(1):14–21<br />

3 Chiaravalloti ND, DeLuca J, Cognitive impairment in<br />

multiple sclerosis. Lancet Neurol 2008; 7:1139–1151<br />

4 Beatty WW, Goodkin DE, Monson N, Beatty PA, Cognitive<br />

disturbances in patients with relapsing remitting<br />

multiple sclerosis. Arch Neurol 1989; 46:1113–1119<br />

5 Jehna M, Neuper C, Petrovic K, Wallner-Blazek M,<br />

Schmidt R, Fuchs S, Fazekas F, Enzinger C, An ex -<br />

ploratory study on emotion recognition in patients with<br />

clinically isolated syndrome and multiple sclerosis. Clin<br />

Neurol Neurosurg 2010:482–484<br />

6 Henry JD; Phillips LH, Beatty WW, McDonald S, Longley<br />

WA, Joscelyne A, Rendell PG, Evidence for deficits in<br />

facial affect recognition and theory of mind in multiple<br />

sclerosis. JINS 2009; 15:277–285<br />

7 Ouellet J, Scherzer PB, Rouleau I, Metras P, Bertrand-<br />

Gauvin C, Djerroud N, Blisseau E, Duquette P,<br />

Assessment of social cognition in patients with multiple<br />

sclerosis. JINS 2010; 16:287–296<br />

8 Phillips LH, Henry JD, Scott C, Summers F, Whyte M,<br />

Cook M, Specific impairments of emotion perception in<br />

multiple sclerosis. Neuropsychology 2011; 25(1):131–136<br />

9 Prochnow D, Donell J, Schäfer R, Jörgens S, Hartung<br />

HP, Franz M, Seitz RJ, Alexithymia and impaired facial<br />

affect recognition in multiple sclerosis. J Neurol<br />

2011:doi10.1007/s00415-011-6002-4<br />

10 Krause M, Wendt J, Dressel A, Berneiser J, Kessler C,<br />

Hamm AO, Lotze M, Prefrontal function associated<br />

with impaired emotion recognition in patients with<br />

multiple sclerosis. Behav Brain Res 2009; 205(1):280–285<br />

11 Passamonti L, Cerasa A, Liguori M, Gioia MC, Valentino<br />

P, Nistico R, Quattrone A, Fera F, Neurobiological<br />

mechanisms underlying emotional processing in<br />

relapsing-remitting multiple sclerosis. Brain 2009;<br />

132:3380–3391<br />

26


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

(Motorische) Rehabilitation<br />

bei multipler Sklerose<br />

Es dürfte die wohl häufigste Zuweisung in der Betreuung von PatientInnen mit multipler Sklerose (MS) sein: das<br />

leger hingeworfene „Wie wäre es mit Physiotherapie?“ als Synonym für motorische Rehabilitation. PatientInnen<br />

erwarten Wunder, ÄrztInnen sind von der Notwendigkeit überzeugt. Dass eigentlich die Rehabilitation<br />

multimodal (z. B. Physio- und Ergotherapie) sein sollte, sei nur nebenbei erwähnt. Welche Grundlagen<br />

und welche Evidenz zur Wirksamkeit der motorischen Rehabilitation gibt es aber tatsächlich?<br />

Definition<br />

Rehabilitation bedeutet in Anlehnung an die<br />

WHO das Erzielen und Erhalten der optimalen<br />

physischen, psychischen, sensorischen, intellektuellen<br />

und sozialen Funktionen, vor allem<br />

auch im Hinblick auf Selbstbestimmung und<br />

Unabhängigkeit. Definitionsgemäß ist auch<br />

von der Wiederherstellung dieser Funktionen<br />

die Rede; allerdings ist es in der <strong>Neurologie</strong><br />

oft unrealistisch, ein solches absolutes Ziel<br />

anzustreben.<br />

Speziell bei MS ist es wichtig, Rehabilitation<br />

als einen Prozess zu sehen, der den Betroffenen<br />

hilft, die optimal mögliche Funktion zu<br />

erreichen und zu erhalten, und dabei unter<br />

Berücksichtigung der Behinderung Umwelt<br />

und Lebensziele auch Beruf und Lebensqualität<br />

nicht zu vergessen.<br />

Auch wenn der Krankheitsverlauf nicht (eindeutig?)<br />

beeinflusst werden kann, so sollte<br />

ein gezieltes individuelles Rehabilitationsprogramm<br />

eine Verbesserung der Mobilität, der<br />

Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) und<br />

der Lebensqualität (QoL) bewirken. Anzustreben<br />

ist ebenso die Verhinderung von (Sekundär-)Komplikationen,<br />

eine Reduktion der Inanspruchnahme<br />

sozialer Dienste sowie in der<br />

Folge eine Erlangung von Sicherheit und Unabhängigkeit.<br />

Negative Auswirkungen einer<br />

Rehabilitation sind nicht beschrieben. Relative<br />

Kontraindikationen wären u. a. schwere kognitive<br />

Störungen.<br />

Ein Rehabilitationsprogramm soll individuell<br />

ausgerichtet sein und ein persönliches<br />

Übungsprogramm, Funktionstraining und auf<br />

die Einzelperson abgestimmte Aktivitäten beinhalten.<br />

Mit einem Wort, bei einer optimalen<br />

Rehabilitation müssen neben physiologischen<br />

Aspekten auch die psychischen und sozialen<br />

Auswirkungen einer Funktionseinschränkung<br />

berücksichtigt werden.<br />

Exkurs zur ICF<br />

Um die vorliegenden und auch zukünftige<br />

Studien über den Einsatz einer Rehabilitation<br />

besser zu verstehen bzw. zu planen, ist es<br />

notwendig, einen kleinen Exkurs zur ICF (International<br />

Classification of Functioning, Disability<br />

and Health) vorzunehmen. Mit dieser<br />

Klassifikation, die 2001 von der WHO verabschiedet<br />

wurde, wird versucht, ein Gesundheitsproblem<br />

(Gesundheitsstörung oder<br />

Krankheitsfolgen definiert nach ICD-10)<br />

unter Berücksichtigung bestimmter Komponenten<br />

zu beschreiben.<br />

Diese Komponenten sind einerseits die Körperfunktion<br />

und Körperstruktur sowie Aktivitäten<br />

und Partizipation (Teilhabe) (als Teil 1:<br />

Funktionsfähigkeit und Behinderung), andererseits<br />

Umweltfaktoren und personenbezogene<br />

Faktoren (als Teil 2: Kontextfaktoren).<br />

Letztere beeinflussen die Aktivitäten des/der<br />

PatientIn. Das bedeutet, dass bei der Betreuung<br />

und Rehabilitation von Pa tien tInnen/<br />

KlientInnen nicht ausschließlich die physische<br />

Einschränkung von Bedeutung ist, sondern<br />

auch verschiedene andere Aspekte der Persönlichkeit<br />

wie etwa die Integration in die<br />

<strong>Gesellschaft</strong>. Die Verbesserung soll die „funktionale<br />

Gesundheit“ betreffen, d. h. Therapieziele<br />

sollen sich nicht nur auf die Funktions-<br />

und Aktivitätsebene beziehen, sondern<br />

auch auf die Teilhabeebene. Aus den vorangegangenen<br />

Bemerkungen wird deutlich,<br />

dass der Begriff „motorische Rehabilitation“<br />

zu eng gefasst ist, um den Vorstellungen der<br />

ICF zu genügen. Eine ganzheitliche Sicht<br />

des/der PatientIn und seiner/ihrer Gesundheitsprobleme<br />

ist notwendig, um eine Verbesserung<br />

der Funktionsfähigkeit zu erreichen:<br />

das Einbeziehen der Umwelt, die Berücksichtigung<br />

der Persönlichkeit (obwohl in<br />

ICF nicht kodiert) etc.<br />

In der ICF werden klassifiziert: Körperfunktion<br />

(„b“) und -struktur („s“), Aktivität und Partizipation<br />

(„d“) sowie Umwelt („e“). In der<br />

englischsprachigen Literatur entspricht „impairment“<br />

der geschädigten Körperfunktion<br />

und -struktur, „disability“ der veränderten Aktivität<br />

bzw. der Behinderung und „participation“<br />

bzw. „handicap“ der Teilhabe.<br />

Evaluierung von Studien<br />

zur Rehabilitation bei MS<br />

Univ.-Prof. DDr.<br />

Susanne Asenbaum-Nan,<br />

MBA<br />

Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität<br />

Wien<br />

Obwohl in einer Reihe von Veröffentlichungen<br />

ein positives Ergebnis einer motorischen<br />

Rehabilitation gezeigt wurde, sind Vergleiche<br />

und Schlussfolgerungen schwierig – zu unterschiedlich<br />

sind eingeschlossene Patientenpopulationen,<br />

Messmethoden, Art und Ausmaß<br />

der Rehabilitation bzw. Setting (stationär<br />

28


versus ambulant) sowie Definition einer erfolgreichen<br />

Therapie.<br />

Für die exakte Bestimmung der angestrebten<br />

(Rehabilitations)Ziele und deren Überprüfung<br />

bietet sich die ICF an. Als Kernpunkte dienen<br />

die zuvor angeführten Bereiche bzw. Komponenten,<br />

die für ein Gesundheitsproblem<br />

ausschlaggebend sein können. Khan et al. 1<br />

schlagen für den Einsatz der ICF bei MS-Studien<br />

unter anderem folgende Skalen vor, die<br />

eine Definition, Beschreibung und Messung<br />

der einzelnen Komponenten ermöglichen sollen<br />

(wobei Überlappungen in den Kategorien<br />

vorliegen können) (Tab.):<br />

• Funktion/Schädigung – EDSS, MMSE,<br />

BDI, MSFC<br />

• Aktivität – BI, FIM, FSS, FAM<br />

• Teilhabe – MS QOL 54, SF 36, FAMS.<br />

Multimodale Rehabilitation<br />

bei MS<br />

Frage: Wirksamkeit? Khan et al. 2 verfassten<br />

in der „Cochrane database of systematic reviews“<br />

eine Übersichtsarbeit über multidisziplinäre/multimodale<br />

Rehabilitation bei MS. In<br />

Summe wurden 8 randomisierte und kontrol -<br />

lierte Studien aufgenommen (EDSS 3,5–9).<br />

Es ergab sich zwar keine Änderung hinsichtlich<br />

der geschädigten Körperfunktion, durch<br />

die stationäre Rehabilitation konnte aber die<br />

Behinderung und Teilhabe verbessert werden<br />

(„strong evidence“). Eine eingeschränkte Evidenz<br />

zeigte sich für ambulante oder Heim-<br />

Rehabilitation hinsichtlich kurzfristiger Verbesserungen<br />

der Symptome und Behinderung<br />

durch hochintensive Übungen, es kam<br />

allerdings zu einer Steigerung der Teilhabe<br />

und Lebensqualität. Geringe Übungsintensität<br />

über einen längeren Zeitraum führte mit<br />

hoher Evidenz zu einer Erhöhung der Lebensqualität.<br />

Kosteneffektivität konnte nicht<br />

nachgewiesen werden. Hinweise auf eine<br />

„beste Dosis“ oder die „beste Therapie“ ergaben<br />

sich nicht.<br />

Schlussfolgerung ist, dass Rehabilitation nicht<br />

die Körperschädigung beeinflusst, sondern<br />

die Aktivität und Teilhabe verbessern soll. Lebensqualität<br />

scheint davon nicht betroffen zu<br />

sein. Es wird auf die Notwendigkeit weiterer<br />

Tab.: ICF: Gesundheitsfaktoren und deren Testung bei PatientInnen mit MS<br />

ICF-Komponenten Skala Hauptbereich<br />

Körperfunktion EDSS motorisch<br />

und Körperstruktur<br />

MMSE Mini Mental Scale Examination kognitiv<br />

BDI Beck Depression Index psychisch<br />

MSFC Multiple Sclerosis Functional motorisch,<br />

Composite<br />

kognitiv<br />

Aktivität BI Barthel-Index ADL<br />

RMI Rivermead Mobility Index motorisch<br />

FIM Functional Independence Measure motorisch,<br />

kognitiv<br />

FAM Functional Assessment Measure<br />

FSS Fatigue Severity Scale psychisch<br />

Teilhabe<br />

MS QoL 54 MS Quality-of-Life Questionnaire<br />

FAMS Functional Assessment of MS QoL<br />

Instrument<br />

MSIS 29 Multiple Sclerosis Impact Scale physische +<br />

psychische<br />

Auswirkung<br />

SF 36 36 item Short Form Health<br />

Survey Questionnaire<br />

nach Khan et al., 2008 1<br />

Studien hingewiesen, in denen die Effektivität<br />

der Therapien – was, wie lange, wie – und<br />

deren Kosteneffektivität geprüft werden<br />

muss. Darüber hinaus wird auf die Bedeutung<br />

der richtigen Skalen zur Beurteilung eines<br />

Therapieerfolges hingewiesen, die auf der ICF<br />

beruhen sollten.<br />

Beispiele für diese Erkenntnisse wären zwei<br />

Studien aus dem Jahr 1999. Freeman et al. 3<br />

untersuchten die Langzeitauswirkungen einer<br />

stationären Rehabilitation: Auch wenn es im<br />

Beobachtungszeitraum von einem Jahr zu<br />

einer vermehrten Schädigung (EDSS) kam,<br />

zeigte sich eine Verbesserung u.a. der Behinderung<br />

(FIM) für 6 Monate sowie der Lebensqualität<br />

(SF-36, physical component)<br />

über 10 Monate. In einer ähnlich konzipierten<br />

Studie konnten Solaris et al. 4 als direkte Wirkung<br />

eine Reduktion der Behinderung (FIM)<br />

und Verbesserung der Lebensqualität (SF 36,<br />

mental components) über 9 Wochen aufzeigen.<br />

2008 bestätigten Khan et al. 5 in einer randomisierten,<br />

wartelistenkontrollierten Studie<br />

über 12 Monate diese Ergebnisse: signifikante<br />

Verbesserung u. a. im FIM total motor<br />

score in der Behandlungsgruppe mit individuellem<br />

Rehabilitationsprogramm; keine Änderung<br />

waren in MSIS und QoL fassbar.<br />

In gewissem Gegensatz dazu beschreiben<br />

Romberg et al. 6 2005 nach 6 Monaten Widerstandstraining<br />

zwar eine Verbesserung im<br />

MSFC („impairment“ und „disability“), aber<br />

keine Änderung im FIM, EDSS oder MSQOL-<br />

54. Storr et al. 7 konnten 2006 keinen Effekt<br />

einer im Schnitt 35-tägigen intramuralen Rehabilitation<br />

finden.<br />

Frage: intra- und extramurale Rehabilitation?<br />

Im Vergleich scheint die intramurale<br />

Therapie mit kurzfristiger Zielsetzung hinsichtlich<br />

Aktivität besser abzuschneiden. Allerdings<br />

kann eine intensive, kurze extramurale<br />

Rehabilitation gegenüber keiner Therapie<br />

sehr wohl die Aktivität der PatientInnen positiv<br />

beeinflussen, ebenso gibt es Hinweise<br />

hinsichtlich Verbesserung der Lebensqualität.<br />

Für langfristige Therapieprogramme mit niedriger<br />

Intensität zeigte sich am ehesten ein<br />

positiver Effekt auf die Lebensqualität. u<br />

29


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Frage: akute und chronische Symptomatik?<br />

Craig et al. 8 stellten 2003 fest, dass PatientInnen,<br />

die im Rahmen eines Schubes<br />

neben i. v. Cortison auch multidisziplinäre<br />

Rehabilitation erhielten, nach 3 Monaten bessere<br />

Werte vor allem hinsichtlich der Aktivität<br />

aufwiesen. In diesem Zusammenhang soll auf<br />

eine Studie an einer allgemeinen Rehabilitationspopulation<br />

von Jörger et al. 9 hingewiesen<br />

werden, in der eine deutlichere Verbesserung<br />

im BI bei PatientInnen mit akuten Ausfällen<br />

gegenüber solchen mit chronischen<br />

Behinderungen gefunden wurde.<br />

Eine andere Frage verfolgten Grasso et al. 10 :<br />

Bei PatientInnen mit gering bis mäßig erhöhtem<br />

EDSS konnte durch Rehabilitation eine<br />

stärkere Auswirkung auf ADL (BI, RMI) nachgewiesen<br />

werden als bei schwer betroffenen<br />

MS-PatientInnen.<br />

Frage: Langzeiteffekt? Auch wenn es<br />

schwierig ist, insbesondere in Anbetracht der<br />

Grunderkrankung MS, eine längerfristige<br />

Auswirkung einer Rehabilitation zu postulieren,<br />

so sind doch in mehreren Untersuchungen<br />

positive Langzeitergebnisse von 6 Wochen<br />

bis 10 Monaten beschrieben worden.<br />

Wirkweise einer<br />

Rehabilitation<br />

Grundlagen für Effekte einer Rehabilitation<br />

sind bei chronischer Schädigung die trainings -<br />

induzierte neuronale Plastizität sowie Kompensation,<br />

Adaptation und Rekonditionierung;<br />

auch verbesserte Coping-Mechanismen und<br />

Nutzung persönlicher und sozialer Ressourcen<br />

können Anteil an positiven Resultaten haben.<br />

Wie bereits erwähnt, soll im Vordergrund der<br />

Rehabilitation ein aktives und aufgaben- und<br />

zielorientiertes Bewegungstraining mit hoher<br />

Trainingsintensität stehen.<br />

Folgende Verfahren werden eingesetzt (kein<br />

Anspruch auf Vollständigkeit): repetitives<br />

Üben, funktionell orientierte Verfahren (wie<br />

„Impairment-orientiertes Training“) sowie<br />

Therapie des erzwungenen Gebrauches<br />

(„constraint-induced movement therapy“).<br />

Weitere Möglichkeiten wären eine therapeutische<br />

elektrische Stimulation sowie die repetitive<br />

transkranielle Magnetstimulation; ob<br />

mentales Training eine positive Wirkung<br />

zeigt, ist unklar. Speziell bei MS-PatientInnen<br />

soll für die Gangschulung ein Training am<br />

Laufband, falls notwendig, auch ein elektromechanischer<br />

Gangtrainer in Erwägung gezogen<br />

bzw. eingesetzt werden. Für detaillierte<br />

Ausführungen muss auf einschlägige Spezialliteratur<br />

verwiesen werden.<br />

Sport als Therapie<br />

RESÜMEE<br />

Im Rahmen der Rehabilitation sollen die<br />

Faktoren der ICF berücksichtigt werden,<br />

da mit dieser Klassifizierung Informationen<br />

über die Funktionsfähigkeit und<br />

deren Beeinträchtigung bzw. über die<br />

Behinderung gewonnen werden können,<br />

die sowohl der Zielsetzung als auch der<br />

Zielerreichung dienen. Neben der klinischen<br />

Befunderhebung (= Körperstruktur<br />

und -funktion) spielen dabei die Erfassung<br />

der Alltagsaktivitäten und der Teilhabe<br />

sowie persönliche und umweltbezogene<br />

Kontextfaktoren ein bedeutende<br />

Rolle.<br />

Eine Verbesserung der Behinderung<br />

sowie der Teilhabe durch Rehabilitation<br />

sind belegt, Therapieerfolge sollten vorrangig<br />

am Ausmaß der Teilhabe gemessen<br />

werden. Das Setzen von Therapiezielen<br />

und deren ständige Überprüfung<br />

und Modifizierung sind unerlässlich. Eine<br />

intramurale Rehabilitation ist einer extramuralen<br />

vorzuziehen.<br />

Thematisch eng verknüpft mit einer Rehabilitation<br />

ist die Frage nach dem Nutzen einer<br />

sportlichen Tätigkeit. Streng sportphysiologisch<br />

können unter anderem Ausdauer- und<br />

Widerstandstraining unterschieden werden.<br />

Für beide Arten – mit moderater Intensität<br />

betrieben – sind Wirksamkeit und Verträglichkeit<br />

bei MS beschrieben.<br />

Rietberg et al. veröffentlichten 2005 eine<br />

Übersichtsarbeit 11 über den Einsatz einer Trainingstherapie:<br />

Wie zu erwarten zeigte Training<br />

im Vergleich die besten Erfolge hinsichtlich<br />

Kraft, Belastbarkeit und Mobilität, wenig<br />

Einfluss sah man auf die Stimmungslage, keinen<br />

auf Tagesmüdigkeit oder den Umgang<br />

mit der Behinderung. Im Speziellen konnte<br />

keine Auswirkung von bestimmten Trainings<br />

auf Aktivität oder Teilhabe im Vergleich zu<br />

anderen Trainingsarten demonstriert werden.<br />

Es fand sich auch kein Hinweis auf schädigende<br />

Wirkung eines moderaten Trainings.<br />

Allerdings sprechen andere Veröffentlichungen<br />

durchaus von Verbesserungen durch körperliches<br />

Training hinsichtlich QoL, Depression<br />

oder Fatigue.<br />

Elemente eines klassischen Kraft- und Ausdauertrainings<br />

sind wohl in jeder multimodalen<br />

Rehabilitation zu finden. Allerdings<br />

muss man berücksichtigen, dass für eine Verbesserung<br />

verschiedener physiologischer Parameter<br />

eine gewisse Mindestintensität und<br />

Mindestdauer der Belastung notwendig sind.<br />

So ist zum Beispiel ein Ausdauertraining einmal<br />

pro Woche sinnlos, ebenso wie eine Gesamtdauer<br />

von z. B. 3 Wochen.<br />

Offen sind die Fragen, ob Sport einen immunmodulierenden<br />

und verlaufsmodifizierenden<br />

Effekt aufweist bzw. ob über eine<br />

Freisetzung neurotropher Faktoren durch<br />

Sport die Neuroregeneration beeinflusst werden<br />

kann.<br />

n<br />

1<br />

Khan et al., 2008<br />

2<br />

Khan et al., Multidisciplinary rehabilitation for adults<br />

with multiple sclerosis 2008<br />

3<br />

Freeman et al., 1999<br />

4<br />

Solaris et al., 1999<br />

5<br />

Khan et al., 2008<br />

6<br />

Romberg et al., 2005<br />

7<br />

Storr et al., 2006<br />

8<br />

Craig et al., 2003<br />

9<br />

Jörger et al., 2001<br />

10<br />

Grasso et al., 2009<br />

11<br />

Rietberg et al., 2005<br />

30


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Symptomatische Therapie der multiplen Sklerose<br />

Spastik, Fatigue und Gehfähigkeit<br />

Im Gegensatz zu den kausal orientierten MS-Therapien war das Interesse für symptomatische Therapien –<br />

zumindest gemessen an der Zahl wissenschaftlicher Publikationen – bis vor einigen Jahren eher gering. Erst das<br />

gesteigerte Interesse an der Lebensqualität der MS-PatientInnen hat diese Therapien mehr in den Mittelpunkt<br />

gerückt. Dieser Artikel beschäftigt sich mit drei Kardinalsymptomen der multiplen Sklerose und den Möglich -<br />

keiten ihrer symptomatischen Behandlung.<br />

D<br />

Die multiple Sklerose stellt in den Industriestaaten<br />

die häufigste nichttraumatische<br />

Ursache einer Behinderung im jungen Erwachsenenalter<br />

dar. Der kausal orientierte<br />

Therapieansatz dieser demyelinisierenden<br />

Autoimmunerkrankung umfasst die Immunmodulation<br />

und Immunsuppression, mit dem<br />

Ziel, die Schubrate und im Idealfall auch die<br />

Behinderungsprogression zu beeinflussen.<br />

PatientInnen, die bereits an einer Behinderung<br />

leiden, erfahren durch diese Therapien<br />

keine Linderung ihrer bereits bestehenden<br />

Beschwerden, was in manchen Fällen auch<br />

zu Compliance-Problemen auf Seiten der PatientInnen<br />

führt. Im Gegensatz dazu kann<br />

eine symptomatische Therapie zu einer unmittelbaren<br />

Besserung der für die PatientInnen<br />

vielfach beeinträchtigenden Symptome<br />

führen, auch wenn dadurch der Krankheitsverlauf<br />

selbst nicht beeinflusst werden kann.<br />

Spastik<br />

Spastizität, definiert als pathologische Erhöhung<br />

des Muskeltonus, betrifft mehr als 60 %<br />

aller PatientInnen mit multipler Sklerose und<br />

steht häufig in fortgeschrittenen Stadien der<br />

Erkrankung im Vordergrund der Beschwerden<br />

1 . Bedingt durch Läsionen zerebraler oder<br />

spinaler motorischer Bahnen kommt es zu<br />

einschießender, passagerer bzw auch ständiger<br />

Erhöhung des Muskeltonus. Daraus resultieren<br />

einerseits teils schmerzhafte Verspannungen,<br />

andererseits auch Funktionseinschränkungen<br />

der betroffenen Extremitäten.<br />

Letztlich kommt es zu einer zunehmenden<br />

Immobilität, aber auch zu einer Beeinträchtigung<br />

der Lebensqualität und Selbstständigkeit<br />

der Betroffenen 2 .<br />

Bei der Behandlung der Spastik ist eine multimodale<br />

therapeutische Strategie entscheidend,<br />

wobei einer kontinuierlichen Physiotherapie<br />

große Bedeutung zukommt 3 . Nicht<br />

nur der Erhalt und die Verbesserung der<br />

Kraft, sondern auch besonders die Vermeidung<br />

von schmerzhaften Kontrakturen stehen<br />

hier im Vordergrund.<br />

In wenigen kleinen kontrollierten Studien<br />

wird ein positiver Effekt einer Kombination<br />

von physiotherapeutischen Interventionen<br />

und transkranieller Magnetstimulation als<br />

nichtinvasive Therapie zur Reduktion der Spas -<br />

tik beschrieben 4, 5 .<br />

Dr. Gudrun Zulehner,<br />

Univ.-Prof. Dr. Fritz<br />

Leutmezer<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Wien<br />

Medikamentöse Therapie<br />

Daneben stehen eine Reihe medikamentöser<br />

Behandlungsstrategien zur Verfügung, um<br />

eine Reduktion des Muskeltonus zu erzielen.<br />

Ihnen gemeinsam ist eine breite Verwendung<br />

im klinischen Alltag, obwohl überzeugende<br />

Studien mit adäquater statistischer Power<br />

und hinreichend guter Methodik eigentlich<br />

für keines dieser Präparate zur Verfügung stehen<br />

1 .<br />

Zu den am häufigsten angewandten oralen<br />

Medikamenten zählen Baclofen (Lioresal ® ),<br />

Tizanidin (Sirdalud ® ) und Benzodiazepine. Für<br />

diese Pharmaka konnte in einer Metaanalyse<br />

eine vergleichbare Wirksamkeit hinsichtlich<br />

Tonusreduktion (beurteilt anhand der<br />

Ashworth-Skala) bestätigt werden 6 . Wenn<br />

man hingegen auch die Nebenwirkungen,<br />

hier vor allem die sedierenden Eigenschaften<br />

und Toleranzeffekte von Benzodiazepinen berücksichtigt,<br />

scheint Tizanidin besser verträglich.<br />

Zur Dosisfindung wird ein langsames<br />

Einschleichen mit initial niedrigen Mengen<br />

empfohlen, um eine Reduktion des Muskeltonus<br />

zu erzielen, möglichst ohne einen negativen<br />

Einfluss auf die Kraft und Motilität<br />

auszulösen 7 .<br />

Cannabinoide: Neben diesen häufig verwendeten<br />

und schon länger etablierten Medikamenten<br />

gibt es in letzter Zeit zunehmend<br />

Studien, die den Effekt von Cannabinoiden<br />

in der Therapie der Spastik bei MS-PatientInnen<br />

untersuchten. Deren Einsatz wird kontrovers<br />

diskutiert, da in mehreren Studien im<br />

Vergleich zu Placebo zwar eine signifikante<br />

subjektive Verbesserung von den PatientInnen<br />

beschrieben wird, eine Objektivierung<br />

der Ergebnisse, z. B anhand der Ashworth-<br />

Skala, aber oft nicht gelang 8 . Hingegen<br />

wurde erst kürzlich in der ersten randomisierten,<br />

doppelblinden Phase-III-Studie gezeigt,<br />

dass die oromukosale Verabreichung<br />

von Nabiximols (Sativex ® ) mittels Sublingualspray<br />

als Add-on-Therapie zu einer signifikanten<br />

und auch objektivierbaren Tonusreduktion<br />

führt 9 .<br />

Botulinumtoxin: Während orale Muskelrelaxantien<br />

zu einer generalisierten Tonusre-<br />

32


duktion führen, steht für eine lokalisierte Anwendung<br />

die Injektion mit Botulinumtoxin an<br />

erster Stelle. Beispielsweise bei einer Adduktorenspastik<br />

oder zur Verbesserung einer<br />

Beugespastik an den oberen Extremitäten<br />

können durch diese intramuskulären Injektionen<br />

Verrichtungen des täglichen Lebens wie<br />

Ankleiden oder Selbstkatheterismus deutlich<br />

erleichtert werden 10 .<br />

Intrathekale Baclofen-Gabe: Wenn orale<br />

oder intramuskuläre Therapeutika in Fällen<br />

von schwerer generalisierter Tonuserhöhung<br />

mit resultierenden Schmerzen und Bewegungsunfähigkeit<br />

keine ausreichende Symptomkontrolle<br />

erzielen, so kann der Einsatz<br />

einer kontinuierlich intrathekalen Baclofen-<br />

Gabe diskutiert werden. Die Implantation, die<br />

individuelle Dosisfindung und die langfristige<br />

Betreuung der Betroffenen sollten aufgrund<br />

der Komplexität einer solchen Behandlung<br />

jedoch an einem entsprechend spezialisierten<br />

Zentrum erfolgen.<br />

Kürzlich konnte in einer prospektiven Datenerhebung<br />

gezeigt werden, dass auch nach<br />

bis zu 12 Jahren ein anhaltender positiver Effekt<br />

mit geringer Toleranzentwicklung bei<br />

den meisten PatientInnen erzielt werden<br />

konnte, wenn auch größere und kontrollierte<br />

Studien, unter anderem bedingt durch den<br />

seltenen Einsatz, derzeit noch fehlen 11 .<br />

Fatigue<br />

Bis zu 90 % aller MS-PatientInnen leiden irgendwann<br />

an Müdigkeit, insgesamt 40 %<br />

sogar täglich 12, 13 . Trotzdem ist die Müdigkeit<br />

erst in den 1980er Jahren in das Blickfeld<br />

der NeurologInnen geraten, als eine Arbeit<br />

zeigen konnte, dass sie das häufigste Symptom<br />

überhaupt bei MS-PatientInnen zu sein<br />

scheint 14 . Dabei beeinflusst die Fatigue nicht<br />

nur die Lebensqualität vom MS-PatientInnen,<br />

sondern hat auch enormen Einfluss auf die<br />

Arbeitswelt und damit auf den sozioökonomischen<br />

Status 15, 16 .<br />

Dementsprechend bemühte sich in den USA<br />

das „Multiple Sclerosis Council for Clinical<br />

Practice Guidelines“ auch um eine operationalisierte<br />

Definition und gelangte zu folgender<br />

Formulierung: „A subjective lack of physical<br />

and/or mental energy that is perceived<br />

by the individual or caregiver to interfere with<br />

usual and desired activities“ 17 .<br />

Obwohl die genauen pathophysiologischen<br />

Mechanismen der Fatigue nach wie vor unklar<br />

sind, scheinen doch folgende Faktoren<br />

eine relevante Rolle zu spielen:<br />

• Die Tatsache, dass chronische Müdigkeit<br />

auch bei einer Reihe anderer Auto -<br />

immunerkrankungen ein häufiges Symp -<br />

tom darstellt, spricht dafür, dass Verän -<br />

derungen des Immunsystems selbst eine<br />

Rolle spielen. Dafür spricht auch, dass<br />

die beim Chronic-Fatigue-Syndrom ge -<br />

fundenen Veränderungen im Immun -<br />

system (Anstieg der Zahl aktivierter T-<br />

Lymphozyten sowie proinflammatorischer<br />

Zytokine wie Interleukin-1 und Tumor-<br />

Nekrose-Faktor) jenen der MS ähnlich<br />

sind 18 .<br />

• Funktionell bildgebende Verfahren<br />

sprechen dafür, dass die Schädigung<br />

umschriebener Hirnareale für Fatigue<br />

verantwortlich sein könnte. So wurde<br />

mittels funktioneller Magnetresonanz<br />

(fMRT) gezeigt, dass u. a. eine ver -<br />

minderte Aktivität des kontralateralen<br />

Thalamus mit erhöhten Fatigue-Scores<br />

korrelierte 19 . PET-Studien suspizierten in<br />

diesem Zusammenhang unter anderem<br />

den präfrontalen Kortex und die<br />

Basalganglien 20 .<br />

• Auch neuroendokrine Faktoren wie<br />

beispielsweise eine Störung der Kortison -<br />

produktion in der Nebenniere 21 , aber<br />

auch die vom Hypothalamus gesteuerte<br />

Sekretion von Neurotransmittern wie<br />

Dopamin und Serotonin wurden in<br />

diesem Zusammenhang diskutiert 22 .<br />

• Schließlich spielen auch eine Reihe<br />

sekundärer Ursachen eine Rolle. Dazu<br />

zählen bei der MS häufig auftretende<br />

Schlafstörungen (nicht zuletzt durch eine<br />

neurogene Blasenfunktionsstörung oder<br />

nächtliche Dysästhesien und Spastik<br />

verursacht) sowie zahlreiche Medikamente,<br />

wie beispielsweise solche zur<br />

Behandlung der Spastik, aber auch die<br />

Interferone.<br />

Therapie<br />

Die Therapie der Fatigue umfasst sowohl<br />

nichtmedikamentöse Behandlungsstrategien<br />

wie Bewegungstherapie 23 , Kühlmethoden 24 ,<br />

Ernährungsumstellung und Programme zur<br />

Strukturierung des Tagesablaufes 25 als auch<br />

medikamentöse, wobei Ersteren immer der<br />

Vorzug gegeben werden sollte. Dies nicht nur<br />

wegen ihres fehlenden Nebenwirkungspotenzials,<br />

sondern auch aufgrund der Tatsache,<br />

dass die zur Verfügung stehenden Medikamente<br />

weder im Rahmen klinischer Studien<br />

noch in der klinischen Praxis einen<br />

überzeugenden Effekt gezeigt haben.<br />

In den Fällen, in denen die nichtmedikamentösen<br />

Therapien nicht ausreichen, können<br />

Amantadin 26 oder Modafinil 27, 28 versucht<br />

werden, wobei für Amantadin keine heutigen<br />

Standards genügenden Studien vorliegen<br />

und für Modafinil die Studienergebnisse widersprüchlich<br />

sind. Ein Autor hat im Rahmen<br />

einer offenen Pilotstudie auch gute Erfahrungen<br />

mit Methylphenidat gemacht, obwohl zu<br />

diesem Präparat keinerlei Studiendaten vorliegen.<br />

Ein Vorteil dieser Substanz ist der wesentlich<br />

günstigere Preis – was nicht selten<br />

eine Rolle spielt, da die gesetzliche Krankenversicherung<br />

die Kosten für Modafinil häufig<br />

nicht übernimmt.<br />

Falls neben der Fatigue auch eine Depression<br />

vorliegt, können auch Antidepressiva wie Bupropion,<br />

Fluoxetin oder Venlafaxin versucht<br />

werden.<br />

Gehfähigkeit<br />

Die Erhaltung der Gehfähigkeit ist ein entscheidender<br />

Faktor für die Erhaltung der Autonomie<br />

und damit auch der Lebensqualität<br />

von PatientInnen. Trotzdem konnte die Gehfähigkeit<br />

bis dato durch symptomatische Therapien<br />

nur unzureichend beeinflusst werden.<br />

Mit der kürzlich erfolgten Zulassung von retardiertem<br />

4-Aminopyridin steht nunmehr die<br />

erste Substanz zur Verfügung, die eine Verbesserung<br />

der Gehfähigkeit zumindest bei<br />

einem Teil der PatientInnen bewirkt.<br />

4-Aminopyridin: Die Substanz selbst steht<br />

als unretardierte Form bereits seit Jahr- u<br />

33


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

zehnten zur Verfügung und wurde bei zahlreichen<br />

neuromuskulären Erkrankungen<br />

schon bis dato verwendet. Auch bei MS-PatientInnen<br />

existiert bereits seit Langem eine<br />

große Zahl von Studien, die eine Verbesserung<br />

u. a. der Gehfähigkeit nahelegten. Allerdings<br />

genügten diese Studien aufgrund<br />

ihrer geringen Patientenzahl nicht den heutigen<br />

Standards, die für solche Studien gefordert<br />

werden.<br />

Die im Rahmen der MS stattfindende Entmarkung<br />

von Axonen führt u. a. zu einer vermehrten<br />

Exposition von nach auswärts gerichteten<br />

Kaliumkanälen. Dies begünstigt über<br />

einen vermehrten Kaliumausstrom in den Extrazellularraum<br />

eine Repolarisation des Axons<br />

und beeinträchtigt somit die axonale Erregungsweiterleitung.<br />

Die Wirkung von 4-Aminopyridin<br />

beruht auf der Blockade dieser spannungsabhängigen<br />

Kaliumkanäle, wodurch es<br />

innerhalb gewisser Grenzen zu einer Normalisierung<br />

der Erregungsfortleitung kommt. Darüber<br />

hinaus bewirkt 4-Aminopyridin über eine<br />

Steigerung des Kalziumeinstroms in präsynaptische<br />

Terminale eine vermehrte Freisetzung<br />

von Acetylcholin und damit eine Verbesserung<br />

der neuromuskulären Übertragung 29 .<br />

Fampridin: Im Gegensatz zum unretardier -<br />

tem 4-Aminopyridin liegen für die retardierte<br />

Form (Fampridine) nunmehr 3 doppelblinde,<br />

placebokontrollierte Studien vor, die eine sig -<br />

nifikante Wirkung von 2-mal 10 mg Fampridin<br />

täglich auf die Dauer, die für das Zurücklegen<br />

einer definierten Wegstrecke benötigt wird,<br />

gezeigt haben 30–32 . Allerdings wurde die statistische<br />

Signifikanz erst dadurch erreicht, dass<br />

zunächst 2 Gruppen von PatientInnen definiert<br />

wurden, nämlich Non-Responder (65 %) und<br />

Responder (35 %). In der Responder-Gruppe<br />

kam es zu einer Geschwindigkeitszunahme<br />

um etwa 25 %. Die Muskelkraft der unteren<br />

Extremitäten stieg sowohl in der Respon derals<br />

auch in der Non-Responder-Gruppe signifikant<br />

im Vergleich zu Placebo, das Ausmaß<br />

war jedoch in der Responder-Gruppe wesentlich<br />

größer. Ein relevanter Einfluss auf die<br />

Spastik bestand nicht, da die Ashworth-Skala<br />

sowohl in der Behandlungs- als auch in der<br />

Placebogruppe gleich blieb.<br />

Ein Argument für die retardierte Form, das<br />

auch einen im Vergleich zur unretardierten<br />

Form wesentlich höheren Preis begründen<br />

soll, ist die Tatsache, dass die Serumspiegel<br />

unter Fampridine wesentlich konstanter bleiben,<br />

wodurch das Auftreten von Nebenwirkungen<br />

minimiert werden soll. Zu diesen Nebenwirkungen<br />

zählen häufige (d. h. in > 5 %<br />

auftretende) wie Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen,<br />

Fatigue und Gleichgewichtsstörungen<br />

wie auch seltene, dafür aber schwerwiegende,<br />

worunter v. a. epileptische Anfälle gefürchtet<br />

sind.<br />

n<br />

1 Thompson AJ et al., Pharmacological management of<br />

symptoms in multiple sclerosis: current approaches and<br />

future directions. Lancet Neurol 2011; 9(12):1182–99<br />

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J Neurol 2011<br />

6 Groves L et al., Tizanidine treatment of spasticity: a<br />

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7 Therapie des spastischen Syndroms; DGN Leitlinien, 2008<br />

8 Thaera GM et al., Do cannabinoids reduce multiple<br />

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15(6)369–71<br />

9 Novotna A, et al., A randomized, double-blind, placebocontrolled,<br />

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nabiximols* (Sativex ® ), as add-on therapy, in subjects<br />

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11 Heetla HW et al., The incidence and management of<br />

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2009; 47(10): 751–6<br />

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17 MS Council for Clinical Practice Guidelines. Fatigue in<br />

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Association; 1998<br />

18 Giovannoni G, Thompson AJ, Miller DH, Thompson EJ,<br />

Fatigue is not associated with raised inflammatory markers<br />

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19 Filippi M, Rocca MA, Colombo B, Functional magnetic<br />

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positron emission tomography study.<br />

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controlled trial. Lancet 2009; 373:732–738<br />

34


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Blasen- und Sexualfunktionsstörungen<br />

bei multipler Sklerose<br />

Blasenfunktionsstörungen und Sexualfunktionsstörungen treten praktisch nie als Initialsymptome bei multipler<br />

Sklerose (MS) auf. Mit zunehmendem Krankheitsverlauf treten jedoch bei der überwiegende Mehrheit der<br />

PatientInnen neurogene Blasenstörungen auf, und ebenso sind Beeinträchtigungen der Sexualfunktion<br />

sehr häufig.<br />

Blasenfunktionsstörungen<br />

Blasenfunktionsstörungen als Erstmanifestation<br />

einer MS kommen praktisch nicht vor,<br />

hingegen leiden 60–90 % der PatientInnen<br />

im Laufe ihrer MS an einer neurogenen Blasenstörung.<br />

Blasenstörungen werden von Betroffenen<br />

als jene funktionellen Einschränkungen<br />

gesehen, die am meisten ihre Lebensqualität<br />

und ihre soziale Partizipation<br />

beeinträchtigen. Störungen der Blasenfunktion<br />

nehmen mit der MS-Erkrankungsdauer,<br />

dem Behinderungsgrad und dem Alter der<br />

Betroffenen zu.<br />

Die topografische Korrelation von zentralen<br />

Steuerungszentren der Blasenfunktion und<br />

MS-Plaques erklärt, warum bei MS-Läsionen<br />

in der Pons, im Myelon bzw. im Verlauf der<br />

Pyramidenbahn das Vorhandensein einer<br />

neurogenen Blasenstörung naheliegt (Abb. 1).<br />

Blasenstörungen sind keine banalen Symptome,<br />

früher waren Pyelonephritis und Urosepsis<br />

verantwortlich für die hohe Mortalität von<br />

MS-PatientInnen. Die erhöhte Aufmerksamkeit<br />

(vor allem von NeurologInnen) gegenüber<br />

neurogenen Blasenstörungen und die<br />

Verbesserung der neurourologischen Diagnostik<br />

und Therapie haben zum deutlichen<br />

Rückgang neurourologischer Komplikationen<br />

bei MS und zur erheblichen Verbesserung der<br />

Lebensqualität von MS-PatientInnen geführt.<br />

Symptome der<br />

gestörten Blasenfunktion<br />

80 % der Betroffenen mit neurogener Blasenstörung<br />

leiden unter einer überaktiven<br />

Blase, gekennzeichnet durch starken, kaum<br />

oder nicht unterdrückbarem Harndrang<br />

(Urge), häufige Blasenentleerungen sowie<br />

Dranginkontinenz, ausgelöst durch eine Detrusorüberaktivität.<br />

45 % der so<br />

Betroffenen haben Symptome<br />

der überaktiven Blase ohne<br />

gleichzeitig erschwerte Blasenentleerung,<br />

bei 35 % ist sie mit<br />

einer erschwerten Blasenent- u<br />

Abb. 1: Zentren der Blasenfunktion<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Thomas Berger, MSc<br />

Leiter der AG Neuroimmunologie<br />

& Multiple Sklerose,<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Innsbruck<br />

Vorgeschaltete Miktionszentren<br />

im medialen Frontalhirn<br />

Primäre Miktionszentren<br />

(PAG und PMC) im dorsalen<br />

Tegmentum der Pons<br />

zwei neuronale Schaltkreise<br />

für Blasenfüllung bzw.<br />

Blasenentleerung:<br />

S2–4 in der Cauda equina<br />

Pelvische und pudendische Nerven<br />

35


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

leerung mit oder ohne Restharn kombiniert.<br />

Ein Drittel der PatientInnen muss einen harnableitenden<br />

Katheter (intermittierenden<br />

Selbstkatheterismus bzw. Dauerharnableitung)<br />

verwenden. Infekte der ableitenden<br />

Harnwege sind eine häufige Folge der Blasenentleerungsstörung<br />

(mit zusätzlichen Auswirkungen<br />

auf das Auftreten von beispielsweise<br />

Pseudoschüben oder Verschlechterung<br />

der Spastizität).<br />

Abb. 2: Pontiner MS-Plaque im MRT<br />

Komplikationen von<br />

Blasenfunktionsstörungen<br />

Restharn, hohe Harnblasendrucke bei der<br />

Speicherung/Entleerung und Dauerkatheterableitungen<br />

begünstigen Harnwegsinfektionen.<br />

Bei etwa 10 % der MS-PatientInnen mit<br />

neurogener Blasenstörung kommt es zu<br />

Komplikationen des oberen Harntraktes mit<br />

Pyelonephritis, seltener entzündungsbedingten<br />

Nieren-/Urethersteinen.<br />

Diagnose von Störungen<br />

der Blasenfunktion<br />

MS-PatientInnen müssen direkt nach Blasenstörungen<br />

befragt werden, weil diese den<br />

PatientInnen oft nicht bewusst sind oder fehleingeschätzt<br />

bzw. bagatellisiert werden. Beispielsweise<br />

hat eine Studie gezeigt, dass bei<br />

63 % von 170 MS-PatientInnen ein Restharnvolumen<br />

von > 100 ml bestand, aber<br />

nur knapp die Hälfte der PatientInnen sich<br />

dessen bewusst war.<br />

Bei MS-Symptomen, die auf eine Läsion im<br />

Hirnstamm (Abb. 2), Rückenmark oder in der<br />

Pyramidenbahn zurückzuführen sind, muss<br />

die/der NeurologIn bei klinisch stummen MStypischen<br />

MRT-Läsionen davon ausgehen,<br />

dass entweder eine neurogene Blasenstörung<br />

besteht oder zumindest zu antizipieren ist<br />

und dass daher eine (neuro-)urologische Untersuchung<br />

zu erfolgen hat.<br />

Die Diagnostik umfasst folgende Schritte:<br />

• gezielte Fragen nach Symptomen einer<br />

gestörten Blasenfunktion (Tab. 1)<br />

• Medikamentenanamnese<br />

Tab. 1: Die 8 wichtigen Fragen nach urologischen Symptomen bei<br />

MS-PatientInnen<br />

1. Haben Sie Harnblasenbeschwerden, und wenn ja, was stört Sie am meisten?<br />

2. Wie oft entleeren Sie untertags Ihre Harnblase?<br />

3. Wie oft wachen Sie nachts mit Harndrang auf und müssen Sie Ihre Blase entleeren?<br />

4. Verlieren Sie beim Husten, Niesen, Lachen oder Heben unfreiwillig Harn?<br />

5. Ist der Harndrang mitunter so stark, dass Sie vor Erreichen des WC Harn verlieren?<br />

6. Tragen Sie deshalb Einlagen?<br />

7. Haben Sie das Gefühl, Ihre Blase vollständig zu entleeren?<br />

8. Haben Sie beim Wasserlassen Schwierigkeiten oder Schmerzen?<br />

Quelle: Madersbacher H, Berger T, Mair D et al., Management von Blasenfunktionsstörungen<br />

bei Multipler Sklerose. <strong>neurologisch</strong> 2011; Suppl 2:1–12<br />

• klinisch <strong>neurologisch</strong>e Untersuchung:<br />

Hinweis auf volle Blase, Sensibilitätsstörungen<br />

in den sakralen Dermatomen<br />

S3–S5 (Reithose), fehlender Anal-/Bulbuscavernosus-Reflex<br />

• Harnuntersuchung zur Diagnose eines<br />

Harnwegsinfektes bzw. einer Mikro-/<br />

Makrohämaturie: Harnstix oder Labor,<br />

ggf. Harnkultur<br />

• Restharnbestimmung<br />

• Blasentagebuch zur Erfassung der Trink -<br />

mengen, Miktionszeiten, entleerten<br />

Harnvolumina und des Harndrangs<br />

• gezielte (neuro-)urologische Unter -<br />

suchung: Sonographie der Harnorgane,<br />

(video-)urodynamische Untersuchungen,<br />

Zystometrie<br />

Therapie der neurogenen<br />

Blasenstörung bei MS<br />

Ziele der therapeutischen Maßnahmen sind<br />

die Verbesserung der Blasenkapazität, die<br />

komplette Harnentleerung, eine Reduktion<br />

der Miktionsfrequenz, Kontinenz bzw. Ver-<br />

36


Tab. 2: Antimuskarinika (Anticholinergika) und Erstattungskodex<br />

Grüne Box<br />

Trospiumchlorid 1–3 x täglich unzerkaut 15–60 mg/d<br />

(Spasmolyt ® 20 mg<br />

Inkontan ® 15 mg, 30 mg) ca. 1/2 Stunde vor dem Essen<br />

Trospiumchlorid retard 1 x täglich unzerkaut 60 mg/d<br />

(Urivesc ® 60 mg)<br />

ca. 1/2 Stunde vor dem Essen<br />

Oxybutynin IR<br />

(Ditropan ® 5 mg, 2–3 x täglich 5–15 mg/d<br />

Detrusan ® , verschiedene unabhängig vom Essen<br />

Oxybutynin-Generika)<br />

Tolterodine 2–3 x täglich 2–4 mg/d<br />

(Detrusitol ® 1 mg, 2 mg) unabhängig vom Essen<br />

Hellgelbe Box<br />

Solifenacin 1 x täglich 5–10 mg/d<br />

(Vesicare ® 5 mg, 10 mg) unabhängig vom Essen<br />

Oxybutynin transdermal alle 3–4 Tage ein Pflaster 3,9 md/d<br />

TDS (Kentera ® )<br />

anwenden<br />

Rote Box – No Box<br />

Tolterodine retard 1 x täglich 4 mg/d<br />

(Detrusidol ® 4 mg)<br />

unabhängig vom Essen<br />

Oxybutynin retard<br />

in Österreich nicht erhältlich<br />

Fesoterodine 1 x täglich 4–8 mg/d<br />

(Toviaz ® 4 mg, 8 mg) unabhängig vom Essen<br />

Propiverin<br />

in Österreich nicht erhältlich<br />

(Miktonorm ® 15 mg, 2–3 x täglich unabhängig vom Essen 15–45 mg/d<br />

Miktonorm Uno ® 30 mg, 1 x täglich unabhängig vom Essen 60 mg/d<br />

Miktonetten ® 5 mg) 1–2 x täglich unabhängig vom Essen 5–10 mg/d<br />

Darifenacin<br />

in Österreich nicht erhältlich<br />

besserung der Inkontinenz und schließlich die<br />

Prävention von Komplikationen.<br />

Flüssigkeitszufuhr: Auf der Basis eines Blasenentleerungsprotokolls<br />

sollte eine Harnausscheidung<br />

von 1 bis 1,5 l in 24 Stunden erreicht<br />

werden. Zu wenig Trinken fördert Obstipation,<br />

zu viel Trinken erschwert die<br />

Behandlung von Symptomen der überaktiven<br />

Blase.<br />

Verhaltenstherapeutische<br />

Maßnahmen<br />

Aus: Quelle: Madersbacher H, Berger T, Mair D et al., Management von Blasenfunktionsstörungen<br />

bei Multipler Sklerose. <strong>neurologisch</strong> 2011; Suppl 2:1–12<br />

Beckenboden-Reedukation: Zumindest im<br />

Anfangsstadium der überaktiven Blase kann<br />

durch gezielte Kontraktion des Becken -<br />

bodens reflektorisch eine Relaxation des<br />

überaktiven Detrusors erreicht und damit imperativer<br />

Drang und Dranginkontinenz beeinflusst<br />

werden. Dies sollte unter physiotherapeutischer<br />

Anleitung und Kontrolle (mit<br />

oder ohne Biofeedback) trainiert werden.<br />

Miktionstraining: Basierend auf einem Blasenentleerungsprotokoll<br />

sollte die Harnblase<br />

vor Erreichen des kritischen Füllungsvolumens<br />

willkürlich entleert werden bzw. bei Auftreten<br />

von imperativem Drang durch aktives Anspannen<br />

des Beckenbodens der überaktive<br />

Detrusor kontrolliert und damit die drohende<br />

Miktion verhindert bzw. verzögert werden.<br />

Toilettentraining: Ist eine Willkürsteuerung<br />

des Detrusors nicht mehr möglich, so sollte<br />

versucht werden, den Harn in regelmäßigen<br />

Abständen (2-stündlich) zu entleeren, um so<br />

dem unfreiwilligen Harnabgang zuvorzukommen.<br />

Medikamentöse Therapie bei<br />

Symptomen der überaktiven Blase<br />

Antimuskarinika (Anticholinergika): Therapie<br />

der ersten Wahl bei überreaktiver Blase mit<br />

Restharn unter 100 ml (Tab. 2). Antimuskarinika<br />

vergrößern bei neurogener Detrusorüberaktivität<br />

die Blasenkapazität um etwa ein<br />

Drittel und reduzieren die Kontraktilität um<br />

etwa ein Drittel. Eine flexible Dosierung mit<br />

Dosissteigerung ist sinnvoll, da bei neurogener<br />

Detrusorüberaktivität höhere Dosen erforderlich<br />

sein können.<br />

Botulinumtoxin A: Kleine Studien bei MS-PatientInnen<br />

haben gezeigt, dass Injektionen<br />

von Botulinumtoxin A in den Detrusor bei<br />

neurogener Detrusorüberaktivität wirksam<br />

sind. Es gibt für diese Indikation jedoch noch<br />

keine Zulassung, außerdem ist diese Behandlung<br />

natürlich spezialisierten Zentren mit Erfahrungen<br />

mit Botulinumtoxin-A-Behandlungen<br />

vorbehalten.<br />

Desmopressin: Durch die abendliche Einnahme<br />

von Desmopressin wird die nächtliche<br />

Harnausscheidung reduziert und damit die<br />

Nykturie/nächtliches Einnässen vermindert.<br />

Alternativ kann bei nächtlicher Polyurie Furosemid<br />

als schnell wirksames Diuretikum<br />

nachmittags verordnet werden.<br />

Therapeutische<br />

Möglichkeiten bei Restharn<br />

Eine medikamentöse Behandlung (Alphablocker,<br />

Antispastika, Cholinergika) führt üblicherweise<br />

zu keiner ausreichenden Verbesserung<br />

bei Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie<br />

oder Detrusorüberaktivität bzw. Relaxation<br />

des spastischen Beckenbodens. Bei relevantem<br />

Restharn ist nur der intermittierende Katheterismus<br />

(bevorzugte Methode) oder die<br />

Dauerharnableitung (generell nur empfohlen,<br />

wenn der Einmalkatheterismus nicht möglich<br />

ist) effektiv.<br />

Therapie bei<br />

Harnwegsinfektionen<br />

Harnwegsinfektionen sollen entsprechend<br />

antibiotisch behandelt werden. Bei rezidivierenden<br />

Harnwegsinfekten ist eine Infektprophylaxe<br />

notwendig: Preiselbeerextrakte (hindern<br />

E. coli an ihrer Urothelhaftung), abendliche<br />

Einnahme von verdünntem Apfelessig<br />

(1–2 EL auf 250 ml Wasser) oder L-Methionin<br />

eignen sich hierfür. Bei unzureichendem Effekt<br />

muss eine antibiotische Langzeit-Infektprophylaxe<br />

(z. B. Nitrofurantoin 50–100 mg,<br />

danach Cephalosporine der 1. Generation,<br />

danach ggf. Trimethoprim 100 mg) erfolgen. u<br />

37


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Sexualfunktionsstörungen<br />

Sexualfunktionsstörungen treten praktisch<br />

nie als Initialsymptom bei MS auf. Hingegen<br />

kommt es bei 30–80 % der PatientInnen innerhalb<br />

von durchschnittlich 10 Jahren<br />

Krankheitsverlauf (in Abhängigkeit auch des<br />

Behinderungsgrades) zu Beeinträchtigungen<br />

der Sexualfunktion. Sexualfunktionsstörungen<br />

werden häufig ignoriert oder schamhaft<br />

verschwiegen. Das liegt in erster Linie daran,<br />

dass Gespräche über Sexualität ein weitgehendes<br />

Tabuthema zwischen PatientInnen<br />

und ÄrztInnen ist.<br />

Sexualfunktionsstörungen können direkt<br />

und/oder indirekt durch MS bedingt sein. Indirekte<br />

Einflüsse auf die Sexualfunktion<br />

haben Fatigue, Blasenstörungen, Spastizität,<br />

Schmerzen (Paroxysmen), aber auch notwendige<br />

Hilfsmittel, wie beispielsweise ein Blasenkatheter.<br />

Einen ganz erheblichen (zusätzlichen)<br />

Einfluss auf das Sexualleben von MS-<br />

PatientInnen haben psychologische<br />

Umstände. Physische Einschränkungen, der<br />

Intimitätsverlust durch Behinderung bzw. Angewiesensein<br />

auf Pflege durch den Partner,<br />

die verminderte Akzeptanz durch den Partner,<br />

eine gestörte eigene Körperwahrnehmung<br />

und ein gestörtes Selbstvertrauen sind<br />

nur einige Faktoren, die ein erfülltes Sexualleben<br />

maßgeblich einschränken oder gar verhindern.<br />

Symptome der<br />

gestörten Sexualfunktion<br />

Sexualfunktionsstörungen manifestieren sich<br />

bei weiblichen und männlichen PatientInnen<br />

naturgemäß unterschiedlich. Die American<br />

Foundation for Urologic Disease klassifiziert<br />

weibliche Sexualfunktionsstörungen nach<br />

Störungen der Sexualverlangens (Hypoaktivität,<br />

Aversion), des Sexualempfindens (generalisiert,<br />

genital, dysphorisch, fehlend), Orgasmusstörungen<br />

und sexuellen Schmerzsyndromen<br />

(Dyspareunia, Vaginismus). Bei<br />

MS-Patientinnen tritt am häufigsten eine verminderte<br />

Libido, gefolgt von verminderter vaginaler<br />

Empfindbarkeit und Orgasmusstörungen<br />

auf (Tab. 3).<br />

Tab. 3: Häufigkeit von Sexualfunktionsstörungen bei multipler Sklerose<br />

Frauen<br />

Verminderte Libido 29–86 %<br />

Verminderte genitale Empfindlichkeit 43–62 %<br />

Orgasmusstörungen 24–58 %<br />

Lubricatio vaginalis 12–40 %<br />

Dyspareunie 6–40 %<br />

Männer<br />

Verminderte Libido 37–86 %<br />

Erektile Dysfunktion (partiell, transient, permanent) 34–80 %<br />

Orgasmusstörungen 29–64 %<br />

Ejakulationsstörung (verfrüht, verzögert, fehlend) 34–61 %<br />

Verminderte genitale Empfindsamkeit 21–72 %<br />

Fatigue 4–65 %<br />

Quellen: Vas, 1969; Lilius et al., 1976; Lundberg, 1978; Minderhoud et al., 1984; Valleroy & Kraft, 1984;<br />

Dupont & Moffat, 1994; Hulter & Lundberg, 1995; Mattson et al., 1995; Ghezzi et al., 1996; Stenager et al., 1996;<br />

McCabe et al., 1996; Zorzon et al., 1999; Zivadinov et al., 2003<br />

Bei Männern steht ebenfalls die Libidoverminderung<br />

im Vordergrund, nahezu gleich<br />

häufig kommt es zu erektiler Dysfunktion<br />

und/oder Orgasmus- bzw. Ejakulationsstörungen<br />

(Tab. 3). Interessanterweise klagen vor<br />

allem Männer über die Beeinflussung ihres<br />

Sexuallebens durch MS-bedingte Fatigue.<br />

Schließlich ist pathologisches Sexualverhalten<br />

im Sinne von Hypersexualität oder abnormem<br />

Sexualverhalten (beispielsweise sexuelle<br />

Paraphilie) bei MS äußerst selten, hierzu<br />

sind nur einige wenige Einzelfallberichte<br />

publiziert.<br />

Folgen der<br />

Sexualfunktionsstörung<br />

Die familiären und sozialen Auswirkungen<br />

des beeinträchtigten Sexuallebens sind nach<br />

mittlerweile detaillierten Untersuchungen<br />

deutlich: Bei 34 % Frauen und 13 % Männern<br />

mit MS kommt es zu einem Meiden<br />

des Partners. Umgekehrt ist aber die Partnermeidung<br />

durch 61 % männlicher (und nur<br />

23 % weiblicher) Partner von MS-PatientInnen<br />

dramatisch höher. Insgesamt sind bei 33<br />

% der männlichen und 19 % der weiblichen<br />

MS-PatientInnen Sexualfunktionsprobleme<br />

Grund für erhebliche Partnerprobleme bzw.<br />

auch Ehescheidungen.<br />

Diagnostik von<br />

Sexualfunktionsstörungen<br />

Das bei Weitem wichtigste diagnostische Instrumentarium<br />

ist (wie so oft) die Anamnese.<br />

Abbildung 3 zeigt die wichtigen Fragenkomplexe:<br />

Neben direkten Fragen nach Symp -<br />

tomen der Sexualfunktionsstörung ist es<br />

notwendig, bei speziellen MS-bedingten<br />

Symptomen gezielt bei PatientInnen nachzufragen.<br />

Sollte ein/e Patient/-in an einer neurogenen<br />

Blasenstörung oder an einer spinalen<br />

Symptomatik leiden, dann bestehen zumeist<br />

auch Sexualfunktionsstörungen bzw.<br />

können diese angenommen werden. Es ist<br />

aber auch besonders wichtig, dass gleichzeitig<br />

die Partnerschaft des/der Patienten/-in angesprochen<br />

wird. In Hinblick auf die therapeutischen<br />

Optionen bei Sexualfunktionsstörungen<br />

ist die frühzeitige Einbindung des/der<br />

Partners/-in sehr wertvoll.<br />

Differenzialdiagnostische Überlegungen müssen<br />

andere Ursachen für eine Sexualfunktionsstörung<br />

mitbedenken: kardiovaskuläre Ursachen/Risiken,<br />

Endokrinopathien, kongenitale<br />

oder akquirierte urogenitale Ursachen,<br />

Alkohol, Drogen und Medikamente.<br />

Elektrophysiologische Untersuchungen zu<br />

Diagnostik bzw. Ausmaß einer Sexualfunktionsstörung<br />

sind bislang nur bei Männern<br />

38


Abb. 3: Anamnese bei Sexualfunktionsstörungen<br />

konklusiv möglich. Die nachfolgenden Untersuchungen<br />

dienen natürlich auch differenzialdiagnostischen<br />

Abwägungen, vor allem<br />

hinsichtlich urologisch, vaskulär oder häufig<br />

auch psychogen bedingter Erektionsstörungen.<br />

Der nächtliche penile Tumeszenz-Test<br />

(NPT) misst Häufigkeit, Umfang und Ausmaß<br />

nächtlicher Erektionen. Die Tatsache, dass<br />

30–50 % der MS-Patienten mit Impotenz<br />

spontane nächtliche Erektionen haben, bedeutet<br />

nicht, dass die erektile Dysfunktion<br />

psychogen ist, sondern dass ein häufiges<br />

grundlegendes Problem der Sexualfunktionsstörung<br />

die fehlende Möglichkeit ist, intrapsychische<br />

oder externe Stimuli für eine Erektion<br />

zu integrieren.<br />

Nachdem der N. pudendus (N. dorsalis penis<br />

und Nn. perineales/scrotales) die Genitalien<br />

innerviert sowie für die Tumeszenz des Penis<br />

und die Ejakulation mitverantwortlich ist, können<br />

auch spezifische elektrophysiologische<br />

Untersuchungen durchgeführt werden: Bulbus-cavernosus-Reflex;<br />

somatosensorisch evozierte<br />

Potenziale des N. pudendus; motorisch<br />

evozierte Potenziale des M. bulbocavernosus.<br />

Was sind die Symptome?<br />

direkt durch MS bedingt?<br />

indirekt durch MS bedingt?<br />

Einfluss der Symptome auf<br />

die Partnerschaft?<br />

• Ausmaß Erektion<br />

• Ausmaß nokturner Erektion<br />

• Ejakulation: normal/verfrüht/<br />

verzögert/fehlend<br />

• Vaginale Lubrikation<br />

• Orgasmusqualität<br />

• Libido<br />

• Qualität der Partnerschaft<br />

• Wünsche und Phantasien<br />

• Akzeptanz des Partners<br />

• Akzeptanz durch den Partner<br />

Therapie von<br />

Sexualfunktionsstörungen<br />

Therapeutisch stehen medikamentöse und<br />

nichtmedikamentöse Möglichkeiten zur Verfügung.<br />

MS-PatientInnen berichten oft darüber,<br />

dass das Gespräch über – existente oder<br />

potenzielle – Sexualfunktionsstörungen eine<br />

positive Erfahrung und auch Intervention darstellt.<br />

Hierbei sei noch einmal auf die wichtige<br />

Einbindung des/der Partners/-in hingewiesen.<br />

Bei Auftreten von Sexualfunktionsstörungen<br />

muss als erster therapeutischer Schritt die<br />

Möglichkeit in Betracht gezogen werden,<br />

dass laufende medikamentöse Therapien Nebenwirkungen<br />

hinsichtlich der Sexualfunktion<br />

haben können. So können Antispastika<br />

(z. B. Baclofen oder Benzodiazepine) die Libido<br />

oder auch Ejakulation beeinträchtigen<br />

und so manche Antidepressiva erektile Dysfunktionen<br />

oder Lubricatio vaginalis verursachen.<br />

Ein wesentlicher nächster Schritt in der<br />

Behandlungskaskade ist Verhinderung oder<br />

Behandlung MS-bedingter direkter oder indirekter<br />

negativer Faktoren für die Sexualfunktion<br />

bzw. das sexuelle Erleben.<br />

• Blasenfunktionsstörung<br />

• Mastdarmfunktionsstörung<br />

• Motorische Einschränkung<br />

• Sensibilitätsstörung<br />

• Behinderungsgrad<br />

• Kontrakturen, Schmerz<br />

• Psychische Faktoren<br />

• Kognitive Defizite<br />

Erektile Dysfunktion: Die medikamentöse<br />

Therapie beschränkt sich im Grunde auf die<br />

Therapie der erektilen Dysfunktion. Sildenafil,<br />

Vardenafil und Tadalafil sind Inhibitoren der<br />

cGMP-spezifischen Phosphodiesterase 5 (PDE<br />

5). Grundsätzlich führt eine Freisetzung von<br />

N0 zum Anstieg der cGMP, welche die Relaxierung<br />

der korporalen glatten Muskulatur<br />

und daher die Erektion bedingt. Der Abbau<br />

von cGMP durch PDE 5 wird durch diese Medikamente<br />

inhibiert. Der Wirkeintritt der PDE-<br />

5-Inhibitoren beträgt durchschnittlich 30 Minuten,<br />

der Effekt hält 4 (Sildenafil, Vardenafil)<br />

bis 36 (Tadalafil) Stunden an. Bis jetzt sind<br />

nur Studien mit Sildenafil bei MS-Patienten<br />

durchgeführt worden.<br />

Eine Alternative zu den PDE-5-Inhibitoren ist<br />

Apomorphin, welches ein D1/D2-Dopaminrezeptoragonist<br />

ist. Der Wirkeintritt nach sublingualer<br />

Applikation erfolgt bei einer Dosierung<br />

von 2–3 mg innerhalb von 20 Minuten.<br />

Einschränkend muss aber festgestellt werden,<br />

dass bei 7 % der Patienten Übelkeit als Nebenwirkung<br />

aufgetreten ist und dass es bislang<br />

keine Studien bei MS-Patienten gibt.<br />

Andere Therapieoptionen der erektilen Dysfunktion,<br />

wie beispielsweise die intrakavernöse<br />

Injektion vasoaktiver Substanzen und<br />

die temporäre bzw. permanente Implantation<br />

von Prothesen oder Vakuumpumpen, sind<br />

(neuro-)urologischen FachkollegInnen vorbehalten.<br />

Bei Frauen ist die medikamentöse Behandlung<br />

von Sexualfunktionsstörungen bedauerlicherweise<br />

nahezu inexistent. Therapieversuche<br />

beschränkten sich bislang auf die Applikation<br />

intravaginaler östrogenhältiger<br />

Cremen bei Lubricatio vaginalis und den probatorischen<br />

Off-Label-Gebrauch von Carbamazepin<br />

und Amitriptylin bei Dyspareunie.<br />

Studien mit Sildenafil haben nur einen Effekt<br />

auf die Lubricatio vaginalis gebracht. n<br />

Weiterführende Literatur:<br />

- Fowler CJ, Panicker JN, Drake M et al., A UK consenus<br />

on the managment of the bladder in multiple sclerosis.<br />

J NeurolNeurosurgPsych 2009; 80:470–477<br />

- Kessler TM, Fowler CJ, Panicker JN, Sexual dysfuntion in<br />

multiple sclerosis. ExpertRevNeurother 2009; 9:341–350<br />

- Madersbacher H, Berger T, Mair D et al., Management<br />

von Blasenfunktionsstörungen bei Multipler Sklerose.<br />

<strong>neurologisch</strong> 2011; Suppl 2:1–12.<br />

Spezielle Literatur beim Verfasser<br />

39


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Sozialmedizinische Konsequenzen der MS<br />

Die Diagnose „Multiple Sklerose“ ist für den erkrankten Menschen mit einer Vielzahl von Herausforderungen<br />

verbunden, die deutliche Einschnitte in das Selbstverständnis des bisherigen Lebens mit sich bringen. Die<br />

sozialmedizinischen Konsequenzen der MS sind breit gestreut und begleiten Menschen über einen langen<br />

Zeitraum ihres Lebens in den unterschiedlichsten Lebensbereichen.<br />

Am Beginn der Erkrankung können der Zeitpunkt<br />

der Diagnosestellung, bereits aufgetretene<br />

Symptome und die individuelle<br />

Krankheitsgeschichte sowie die Atmosphäre<br />

im aufklärenden Arztgespräch sehr unterschiedlich<br />

sein. Ebenso wird die in der Folge<br />

unumgängliche und MS-bedingte Lebensveränderung<br />

von den Menschen sehr unterschiedlich<br />

erlebt, hängt die Reaktion des/der<br />

Einzelnen doch sehr stark mit individuellen<br />

Eigenschaften, der Lebensgeschichte, den Lebensumständen<br />

und dem sozialen Umfeld<br />

des betroffenen Menschen zusammen. Es gilt<br />

mit den Unsicherheiten der Erkrankung und<br />

den damit einhergehenden Ängsten leben zu<br />

lernen, Reaktionen wie Wut, Trauer, Verzweiflung<br />

anzunehmen und die richtigen<br />

Menschen zu finden, die in diesen schwierigen<br />

Zeiten unterstützende BegleiterInnen<br />

sein können.<br />

Beratungstätigkeit<br />

der MS-<strong>Gesellschaft</strong> Wien<br />

Mit dem Ziel, einen Überblick über die aktuelle<br />

Situation von MS-Betroffenen zu erhalten,<br />

führte die Österreichische Multiple<br />

Sklerose <strong>Gesellschaft</strong> unter der Leitung von<br />

Prim. Dr. Ulf Baumhackl in Zusammenarbeit<br />

mit GfK Austria und unter Mitarbeit zahlreicher<br />

MS-Zentren in Österreich die Studie<br />

„Prävalenz der Multiplen Sklerose 2010“<br />

durch.<br />

Was die Ergebnisse anbelangt, erscheinen<br />

drei Aspekte im Zusammenhang mit den sozialmedizinischen<br />

Konsequenzen relevant:<br />

• Der Anstieg der Prävalenz der<br />

Erkrankung kann unter anderem auf<br />

eine höhere Lebenserwartung und eine<br />

1 2<br />

verbesserte Diagnostik zurückgeführt<br />

werden.<br />

• PatientInnen fühlen sich gut informiert.<br />

• Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes und<br />

anfallende Krankheitskosten bereiten<br />

finanzielle Sorgen.<br />

Diese drei Aspekte schlagen sich in der Beratungstätigkeit<br />

der MS-<strong>Gesellschaft</strong> Wien<br />

nieder und werden in den Fragestellungen<br />

transparent. Das Bedürfnis nach Information<br />

zeigt sich in zahlreichen telefonischen Anfragen<br />

und Beratungsgesprächen, der Besuch<br />

von Informationsveranstaltungen und die<br />

Nutzung neuer Medien spiegeln das Informationsbedürfnis<br />

wider.<br />

Da Menschen nun in einem zunehmend längeren<br />

Lebensabschnitt die Beratungsstelle<br />

aufsuchen, verbreitert sich die Palette an Anfragen.<br />

Immer neue Fragen werden relevant<br />

und stehen meist im Zusammenhang mit<br />

dem Eintritt in eine neue Lebensphase und<br />

mit einer materiellen oder körperlichen Verschlechterung<br />

der aktuellen Lebenssituation.<br />

Durch die verbesserte und raschere Diagnos -<br />

tik kommen sehr junge Menschen in die Beratungsstelle,<br />

darunter auch Betroffene, die<br />

kaum aktuelle Symptome aufweisen.<br />

Je nach Art der Symptome ergeben sich unterschiedliche<br />

Fragestellungen, die sich nach<br />

der Sichtbarkeit einteilen lassen.<br />

Katharina Schlechter 1 ,<br />

Lucia Bauer-Bohle 2<br />

Sozialdienst, Psychotherapie,<br />

Multiple Sklerose <strong>Gesellschaft</strong> Wien<br />

Die unsichtbare MS<br />

Das Einholen von Informationen unmittelbar<br />

nach Diagnosestellung bedeutet einen ersten<br />

Schritt, um sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen.<br />

Dabei stehen meist Fragen nach<br />

Behandlungsmöglichkeiten und Therapieformen,<br />

nach alternativen Therapien und MS-<br />

SpezialistInnen im Vordergrund. Das Bedürfnis<br />

nach Austausch mit anderen Betroffenen<br />

kommt ebenso zum Ausdruck wie Unsicherheiten<br />

bezüglich einer Änderung des aktuellen<br />

Lebensstils. Der Schock über die unerwartete<br />

Diagnose sitzt manchmal tief und<br />

löst eine Vielzahl von bisher unbekannten<br />

Emotionen aus. Depressionen, Erschöpfung<br />

und Müdigkeit lassen den Alltag als nicht bewältigbar<br />

erscheinen, Angewiesensein auf<br />

Hilfe, eine plötzlich so unsichere Zukunft und<br />

Unwissenheit über die Erkrankung stellen<br />

neue und oft beängstigende Erfahrungen dar.<br />

Dabei werden psychotherapeutische Unterstützung<br />

und Gespräche mit außen stehenden<br />

Personen als hilfreich empfunden.<br />

Die ersten sozialen Fragen tauchen meist im<br />

Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz auf<br />

und beziehen sich häufig auf Mitteilungspflicht,<br />

Kündigungsschutz, Auswirkungen<br />

von vermehrten Krankenständen, verminderte<br />

Leistungsfähigkeit oder Unsicherheiten im<br />

Zusammenhang mit einer Ausbildung.<br />

40


Mit Ausnahme von Einstellungsgesprächen,<br />

bei denen für die Betroffenen von Anfang<br />

an klar ist, dass sie diesen Tätigkeitsbereich<br />

nicht uneingeschränkt ausführen können, ist<br />

MS keine meldepflichtige Krankheit und<br />

muss zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt werden.<br />

Eine Kündigung kann auch im Krankenstand<br />

ausgesprochen werden, was besonders nach<br />

einer kürzlich erhaltenen Diagnosemitteilung<br />

zu einer zusätzlichen und unerwarteten Belastung<br />

führt. Alleine die Tatsache, an MS erkrankt<br />

zu sein, hat keinerlei finanzielle Ansprüche<br />

zur Folge, auch keine Vor- oder<br />

Nachteile gegenüber gesunden Menschen.<br />

Mit dem Ziel, Menschen den Einstieg oder<br />

einen Verbleib im Arbeitsprozess zu ermöglichen,<br />

bietet das BBRZ (Berufliches Bildungsund<br />

Rehabilitationszentrum) in Kooperation<br />

mit der Pensionsversicherungsanstalt auch für<br />

Menschen ohne sichtbare Behinderung eine<br />

Vielzahl von diversen Schulungsmaßnahmen<br />

zur beruflichen Rehabilitation an. Neben dem<br />

BBRZ verfügen auch das Arbeitsmarktservice<br />

und der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds<br />

über Angebote für Umschulungsmaßnahmen.<br />

An der Universität Wien berät<br />

der Student Point Studierende mit physischen<br />

und psychischen Beeinträchtigungen in studienspezifischen<br />

Fragen.<br />

Da gerade viele junge Menschen mit der Diagnose<br />

MS konfrontiert sind, treten in dieser<br />

Lebensphase neben Fragen zum Arbeitsplatz<br />

und zur Ausbildung auch Verunsicherungen<br />

und Überlastungen im Zusammenhang mit<br />

der familiären Situation auf. Familienplanung<br />

und Schwangerschaft sind neu zu überdenken.<br />

Die Versorgung von Kindern, eine Doppelbelastung<br />

durch Beruf und Haushalt und<br />

finanzielle Engpässe, nun verbunden mit körperlicher<br />

und psychischer Belastung, können<br />

für junge Mütter Überforderungen darstellen<br />

und für AlleinerzieherInnen zusätzliche Probleme<br />

in einer bereits angespannten Lebenssituation<br />

bedeuten.<br />

Die sichtbare MS<br />

Neben nun häufiger gestellten Fragen nach<br />

Physiotherapie- und Rehabilitationsmöglichkeiten<br />

treten Fragen um den Arbeitsplatz erneut<br />

in den Vordergrund. Bei zunehmenden<br />

und sichtbaren Einschränkungen bestehen<br />

nun auch Möglichkeiten zur Unterstützung<br />

und rechtlichen Absicherung.<br />

Die Ausstellung eines Behindertenpasses ist<br />

dafür Voraussetzung. Dieser wird vom Bundessozialamt<br />

ausgestellt und dient als Nachweis<br />

einer Behinderung. Der Grad der Behinderung<br />

wird in einer ärztlichen Untersuchung<br />

festgestellt und im Ausweis vermerkt.<br />

Die Höhe des Grades wird von mehreren Faktoren<br />

bestimmt. Neben dem Vorhandensein<br />

einer chronischen Erkrankung und den tatsächlichen<br />

Einschränkungen finden nach der<br />

neuen Einschätzungsverordnung auch psychische<br />

Krankheiten und Tagesmüdigkeit ihre<br />

Berücksichtigung. Im Rahmen der ersten Untersuchung<br />

werden seitens des Bundessozialamtes<br />

auch mögliche Zusatzeintragungen<br />

geprüft und in den Pass eingetragen. Diese<br />

betreffen unter anderem das Angewiesensein<br />

auf einen Rollstuhl, eine starke Sehbehinderung<br />

oder die Unzumutbarkeit der Benützung<br />

öffentlicher Verkehrsmittel.<br />

Der Behindertenpass dient als amtlicher<br />

Nachweis und wird von anderen Einrichtungen<br />

anerkannt. Mit Ausnahme der Zugehörigkeit<br />

zum Personenkreis der begünstigten<br />

Behinderten (siehe unten) erfolgt keine Weiterleitung<br />

der Untersuchungsergebnisse an<br />

andere Institutionen.<br />

Ab einem Behinderungsgrad von 25 % besteht<br />

die Möglichkeit, einen Steuerfreibetrag<br />

beim Finanzamt zu beantragen, gewisse Zusatzeintragungen<br />

dienen als Voraussetzung<br />

für die Nutzung von Behindertenparkplätzen,<br />

der Befreiung von der motorbezogenen Versicherungssteuer<br />

und der Refundierung der<br />

Kosten der Autobahnvignette.<br />

Ab einem Grad von 30 % kann Arbeitsassis -<br />

tenz in Anspruch genommen werden. Diese<br />

wird von verschiedenen Vereinen angeboten,<br />

hilft bei der Auswahl und der Suche nach<br />

geeigneten Arbeitsplätzen und setzt sich<br />

auch mit ArbeitgeberInnen in Verbindung.<br />

Begünstigte Behinderte: Ab einem Grad<br />

von 50 % kann die Zugehörigkeit zum Personenkreis<br />

der begünstigten Behinderten beantragt<br />

werden. Dieser Status hat ausschließlich<br />

arbeitsrechtliche Relevanz und wird nur<br />

Personen zuerkannt, die sich noch im Arbeitsprozess<br />

befinden. Obwohl dadurch einige<br />

Unterstützungen erwirkt werden können<br />

und mit der Zugehörigkeit auch eine erschwerte<br />

Kündbarkeit verbunden ist, sollte<br />

die Beantragung dennoch gut überlegt werden.<br />

Dabei ist vor allem zu bedenken, dass<br />

das Vorliegen eines solchen Ausweises automatisch<br />

über das Finanzamt an den/die<br />

DienstgeberIn weitergeleitet wird und der<br />

Ausweis außer im Falle einer längerfristigen<br />

Verbesserung des Zustandes und einer beantragten<br />

Herabsetzung des Grades der Behinderung<br />

nicht mehr zurückgegeben werden<br />

kann.<br />

Beantragt und erhält die behinderte Person<br />

in einem laufenden Beschäftigungsverhältnis<br />

einen Feststellbescheid, so wird dieser nach<br />

Ablauf von 6 Monaten nach Beginn des<br />

Dienstverhältnisses gültig. Besteht das Dienstverhältnis<br />

seit über 6 Monaten, wird der Bescheid<br />

ab dem Zeitpunkt der Antragstellung<br />

wirksam. Die wesentlichste Motivation, einen<br />

Feststellbescheid zu beantragen, liegt in der<br />

erschwerten Kündbarkeit. So wird in jedes<br />

Kündigungsverfahren das Bundessozialamt<br />

eingeschaltet. Dieses überprüft nun die Situation<br />

am Arbeitsplatz hinsichtlich alternativer<br />

Tätigkeitsbereiche, Einschränkungen der<br />

betroffenen Person und Zumutbarkeiten für<br />

den/die ArbeitgeberIn und stimmt in der<br />

Folge einer Kündigung zu oder lehnt diese<br />

ab. Die Entscheidung ist sowohl für den/die<br />

ArbeitgeberIn als auch für den/die ArbeitnehmerIn<br />

bindend.<br />

Im Falle der Aufnahme eines neuen Dienstverhältnisses<br />

mit einem bereits vorhandenen<br />

Feststellbescheid wird der Kündigungsschutz<br />

erst nach 4 Jahren wirksam.<br />

Neben dem speziellen Kündigungsverfahren<br />

bietet der Feststellbescheid für begünstigte<br />

Behinderte aber auch noch eine Reihe weiterer<br />

Möglichkeiten für Unterstützungen und<br />

Förderungen am Arbeitsplatz, die auch für<br />

ArbeitgeberInnen Begünstigungen bedeuten.<br />

Eingliederungsbeihilfen durch das AMS sowie<br />

Entgeltbeihilfen und Zuschüsse zur Arbeitsplatzadaptierung<br />

durch das Bundessozialamt<br />

sind dabei exemplarisch zu erwähnen. u<br />

41


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

RESÜMEE<br />

Da DienstgeberInnen verpflichtet sind, pro 25<br />

ArbeitnehmerInnen eine begünstigt behinderte<br />

Person einzustellen oder im Rahmen<br />

einer Staffellösung eine Ausgleichszahlung zu<br />

entrichten, bedeutet die Einstellung einer Person<br />

mit Feststellbescheid eine finanzielle Erleichterung<br />

für einen mittelgroßen Betrieb.<br />

Fortgeschrittene Behinderung: Ist die körperliche<br />

Einschränkung so weit fortgeschritten,<br />

dass der Arbeitsplatz weder mit öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln noch durch das Selbstlenken<br />

eines eigenen Fahrzeugs erreicht<br />

werden kann, übernimmt die Pensionsversicherungsanstalt<br />

Transportkosten, die durch<br />

Fahrten mit einem geeigneten Taxiunternehmen<br />

anfallen.<br />

Im Weiteren besteht bei fortgeschrittener Behinderung<br />

die Möglichkeit, über das Bundessozialamt<br />

persönliche Assistenz am Arbeitsplatz<br />

zu beantragen. Die Assistenzperson<br />

übernimmt dann einfache Tätigkeiten für die<br />

behinderte Person und hilft bei persönlichen<br />

Angelegenheiten wie zum Beispiel beim<br />

Gang auf die Toilette.<br />

Fühlt sich die an MS erkrankte Person nicht<br />

mehr in der Lage, die bisherige Arbeitsleis -<br />

tung weiterhin zu erbringen, stellt sich die<br />

Frage nach einer Berufsunfähigkeitspension.<br />

Rechtlich gesehen wird diese bewilligt, wenn<br />

die Arbeitsleistung auf weniger als 50 % im<br />

Vergleich mit einer gesunden Person herabgesunken<br />

ist. Gleichzeitig spielen aber auch<br />

Ausbildung und bisherige Tätigkeiten im Arbeitsprozess<br />

bei der Bewilligung eine bedeutende<br />

Rolle. Diese Pensionsanträge sind oft<br />

lange und nervenaufreibende Prozesse und<br />

mit seelischen Belastungen verbunden. Die<br />

Einsicht, vorzeitig aus dem Arbeitsleben aussteigen<br />

zu müssen, stellt oft den Selbstwert<br />

in Frage und zwingt, eine andere Identität<br />

zu finden und neue Aufgaben zu suchen.<br />

Die immer wiederkehrenden Konfrontationen<br />

mit Verlust an körperlicher Integrität und Leistungsfähigkeit,<br />

Hilfsbedürftigkeit und eine<br />

unsichere Zukunft bedeuten im Verlauf der<br />

Erkrankung keine abgeschlossenen Prozesse,<br />

Was in diesem Text zu schildern versucht<br />

wird, lässt sich durch das Modell der 5<br />

Säulen des Psychologen H. G. Petzold<br />

auch bildlich veranschaulichen. Das Modell<br />

findet unter anderem in der Sozialarbeit<br />

seine Anwendung und bezieht<br />

sich auf die Faktoren, die Identität bedingen:<br />

Körperlichkeit, soziales Netzwerk,<br />

Arbeit/Leistung, materielle Sicherheit<br />

und Werte.<br />

MS erschüttert und betrifft all diese Säulen<br />

und bedeutet damit eine konsequente<br />

Herausforderung an die Aufrechterhaltung<br />

der eigenen Identität. Hier<br />

schließt sich der Kreis: Sozialmedizinische<br />

Konsequenzen der MS sind breit gestreut<br />

und gefächert. Sie begleiten Menschen<br />

über einen langen Zeitraum ihres Lebens<br />

hinweg in unterschiedlichsten Lebenslagen<br />

und Lebensbereichen. Soziale, medizinische<br />

und psychologische Angebote,<br />

volkswirtschaftliche Aspekte und sozialrechtliche<br />

Grundlagen sind Perspektiven,<br />

die ebenso wenig aus dem Auge zu verlieren<br />

sind wie die Beachtung der individuellen<br />

Persönlichkeit mit ihren Ressourcen<br />

und Nöten.<br />

sondern können auch nach jedem schwereren<br />

Schub erneut auftreten.<br />

Finanzielle Probleme: Durch den Eintritt in<br />

die Pension, die in der Regel anfangs nur befristet<br />

bewilligt wird, entstehen oftmals finanzielle<br />

Probleme, durch die fortgeschrittene<br />

Behinderung stellen sich Fragen zur<br />

Wohnsituation und zur Unterstützung bei der<br />

Alltagsbewältigung.<br />

Eine finanzielle Zuspitzung kann zwar durch<br />

die Inanspruchnahme diverser Beihilfen entschärft<br />

werden, materielle Einbußen bleiben<br />

dennoch häufig bestehen und zwingen zu<br />

Verzicht oder manchen einschneidenden<br />

Maßnahmen.<br />

Wohnsituation: Nicht nur auf Grund finanzieller<br />

Probleme, sondern auch durch körperliche<br />

Verschlechterungen wird eine Veränderung<br />

der Wohnsituation oft unumgänglich.<br />

Hier gilt es gut abzuwägen, ob eher Adaptierungsmaßnahmen<br />

oder ein Wohnungswechsel<br />

zum Fortbestand der Lebensqualität<br />

und der Eigenständigkeit beitragen. Dabei ist<br />

auch der soziale Aspekt nicht aus dem Auge<br />

zu verlieren. So transportieren Fahrtendienste<br />

behinderte Menschen zwar quer durch die<br />

Stadt, allerdings immer nur unter der Voraussetzung,<br />

dass diese den Weg von ihrer<br />

Wohnung bis zur Straße selbständig überwinden<br />

können.<br />

Teilnahme am sozialen Leben und größtmögliche<br />

Eigenständigkeit in der Alltagsbewältigung<br />

sind nicht nur Ziele einer gelungenen<br />

Wohnsituation, sondern auch in der medizinischen<br />

Behandlung und Rehabilitation und<br />

bei der Wahl von Hilfsmitteln und Betreuungsangeboten<br />

erstrebenswert.<br />

Betreuung: Mit dem Pflegegeld, einem 7-stu -<br />

figen Modell, das sich nach der Anzahl der<br />

benötigten Stunden an Hilfe durch eine andere<br />

Person richtet, besteht die Möglichkeit,<br />

unterstützende Betreuungsangebote zu finanzieren.<br />

Unterstützung durch nahe Verwandte,<br />

Nachbarschaftshilfe oder private<br />

Putzdienste, Betreuung durch HeimhelferInnen,<br />

Tageszentren, Pflegestationen oder<br />

durch persönliche Assistenten und 24-Stunden-Betreuung<br />

stellen zwar eine breite Palette<br />

an potenziellen Möglichkeiten dar, müssen<br />

aber im Einzelfall auf ihre Umsetzbarkeit<br />

überprüft werden. So kann Betreuung durch<br />

nahe Angehörige zu Überforderung und zu<br />

Veränderungen im Beziehungsgefüge führen.<br />

Kognitive Fähigkeiten, Altersgrenze und Pflegegeldhöhe<br />

hingegen müssen beim Modell<br />

der persönlichen Assistenz miteinbezogen<br />

werden. Im Rahmen von persönlicher Assis -<br />

tenz erhält die hilfsbedürftige Person über<br />

das Pflegegeld hinaus zwar noch einen weiteren<br />

finanziellen Zuschuss, ist aber verpflichtet,<br />

als eigenständige/r UnternehmerIn Hilfskräfte<br />

anzustellen, die Administration abzuwickeln<br />

und der zuschussauszahlenden Stelle<br />

42


die gesamte Abrechnung vorzulegen. 24-<br />

Stunden-Betreuung ist eine Alternative zu<br />

einer Aufnahme in ein Pflegeheim. Bei dieser<br />

Variante kann der/die Betroffene in der eigenen<br />

Wohnung bleiben, allerdings muss für<br />

die betreuende Person eine eigene Räumlichkeit<br />

vorhanden sein. Dabei fallen auch Kosten<br />

MS-<strong>Gesellschaft</strong> Wien<br />

an, die nicht gänzlich durch Zuschüsse abgedeckt<br />

werden können.<br />

Die Erfahrung zeigt, dass Antragstellungen<br />

auf Sozialleistungen und Förderungsansuchen<br />

für behindertengerechte Maßnahmen<br />

trotz gesetzlicher Grundlage mit zunehmend<br />

Die Autorinnen sind Mitarbeiterinnen im Sozialservice und der Psychotherapie der MS-<br />

<strong>Gesellschaft</strong> Wien. Diese sozialmedizinische Non-Profit-Organisation hat es sich zum Ziel<br />

gesetzt, Menschen mit multipler Sklerose und deren Angehörige zu informieren, zu beraten<br />

und zu unterstützen, damit diese bestmöglich mit den MS-bedingten Lebensveränderungen<br />

zurechtkommen und trotz der Erkrankung ein qualitätvolles Leben führen<br />

können.<br />

Multiple Sklerose <strong>Gesellschaft</strong> Wien<br />

Beratungszentrum Hernalser Hauptstraße 15–17, 1170 Wien<br />

Tel.: 01/409 26 69, E-Mail: office@msges.at, Information: www.msges.at<br />

mehr Aufwand verbunden sind. Die Beilage<br />

von <strong>neurologisch</strong>en Befunden der behandelnden<br />

ÄrztInnen, die die Situation des/der<br />

Betroffenen oft über einen längeren Zeitraum<br />

hinweg bereits kennen, verleihen Anträgen<br />

den notwendigen Nachdruck, unterstreichen<br />

die Rechtfertigung und leisten damit einen<br />

wichtigen Beitrag, der die Aussicht auf Erfolg<br />

steigen lässt.<br />

n<br />

Literatur bei den Verfasserinnen<br />

Links zu den angeführten Institutionen<br />

- ÖMSG – Österreichische Multiple Sklerose <strong>Gesellschaft</strong><br />

www.msgoe.co.at<br />

- GfK Austria – Marktforschungsinstitut www.gfk.at<br />

- BBRZ – Berufliches Bildungs- und Rehabilitationszentrum<br />

www.bbrz.at<br />

- PVA – Pensionsversicherungsanstalt<br />

www.pensionsversicherung.at<br />

- AMS – Arbeitsmarktservice www.ams.at<br />

- WAFF – Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfond<br />

www.waff.at<br />

- Student Point Uni Wien http://studentpoint.univie.ac.at<br />

- Bundessozialamt (BSA) www.bundessozialamt.gv.at/<br />

- Finanzamt – Dienststellensuche online unter<br />

http://dienststellen.bmf.gv.at/ListDst_Auswahl.asp<br />

43


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Anmerkungen zum „publication bias“<br />

Das einzige Dogma, das es in der Wissenschaft geben darf, ist, dass es kein Dogma geben darf,<br />

und dass alles, was denkbar möglich scheint, auch ausgesprochen werden darf.<br />

Diese freie Grundhaltung der Wissenschaft<br />

– und die Medizin ist nichts anderes<br />

als eine empirische Wissenschaft – scheint<br />

durch in den letzten Jahren aufkommende,<br />

sehr befremdlich anmutende Strömungen<br />

gefährdet: ForscherInnen sehen<br />

sich einem immer höheren Publikationsdruck<br />

und finanziellen Druck gegenüber.<br />

Ergebnisse müssen stets „brandneu“ sein,<br />

neues Wissen schaffen, „positiv“ sein.<br />

Immer schneller wird publiziert, um<br />

„anderen zuvorzukommen“, manchmal<br />

anscheinend überhastet und vorschnell –<br />

zumindest gemessen an der Zahl der<br />

zurückgezogenen Arbeiten und nach Jahren<br />

relativierten Arbeiten.<br />

„Rein“ bestätigende Ergebnisse oder gar<br />

die (vermeintlichen?) „Positiv-Ergebnisse“<br />

nicht bestätigende „Negativ-Ergebnisse“<br />

scheinen nichts wert, werden nur schwer<br />

oder gar nicht veröffentlicht. Hier wird mit<br />

unterschiedlichem Maß gemessen: das<br />

Argument, dass die AutorInnen-/Arbeitsgruppe<br />

XYZ zeigen konnten, dass etwas<br />

so sei („Positiv-Ergebnis“), ist (vorerst)<br />

kaum ausräumbar, selbst wenn die<br />

Methodik und Resultate der ursprünglichen<br />

Arbeit Zweifel erwecken oder gar<br />

durch bessere Methodik und Resultate<br />

nicht bestätigt werden können. Das Negativ-Ergebnis<br />

scheint nicht nur keine Beachtung<br />

zu finden, sondern Widerstand, da<br />

es zumeist mit dem Mainstream bzw.<br />

anderen Publikationen nicht kompatibel<br />

scheint.<br />

Gleiches Abwägen von<br />

Positiv- und Negativ-Ergebnissen<br />

Der Wissenschaft würde Genüge getan<br />

werden, würden Positiv- und Negativ-Er -<br />

gebnis gleich beurteilt und gleichermaßen<br />

– ohne Wenn und Aber – ihren Weg in die<br />

medizinische Literatur finden. Nur so wäre<br />

gewährleistet, dass alle „Für und Wider“<br />

in Folgearbeiten und Meta-Analysen<br />

Berücksichtigung finden können und das<br />

so genannte (zuweilen nur minimale) Positiv-Ergebnis,<br />

dass irgendein Faktor X,<br />

Merkmal Y, Korrelation Z in einer<br />

bestimmten Krankheitsgruppe statistisch<br />

(was dies in vielen Fällen konkret bedeuten<br />

soll, möge an dieser Stelle hinterfragt<br />

sein) gesehen häufiger auftritt etc., keine<br />

Überbewertung erfährt.<br />

Nur allzu gut bekannt sind die überstrapazierten<br />

Sätzen wie „(...) our results may<br />

have major implications for the treatment<br />

of (...)“ oder „(...) our study may be of<br />

potential interest for (...)“, „further studies<br />

are necessary to confirm the (...)“ etc., mit<br />

denen sehr viele Arbeiten enden, um dem<br />

vielleicht nur geringen Positiv-Ergebnis der<br />

Arbeit eine gewisse Wertigkeit zu verleihen.<br />

Dabei gibt es in einem streng wissenschaftlichen<br />

Ansatz und bei objektiver<br />

Betrachtung kein unbedeutendes Ergebnis,<br />

wenn das Konzept des wissenschaftlichen<br />

Experiments bzw. der Studie klar,<br />

strukturiert und nachvollziehbar ist und<br />

die angewandte Methodik dem bestem<br />

möglichen Stand der Wissenschaft entspricht,<br />

sorgfältig durchgeführt wird und<br />

reproduzierbar ist. Im Gegenteil, Gefahr<br />

besteht darin, dass eine Überinterpretation<br />

Ergebnisse konterkarieren bzw. sogar<br />

„verfälschen“ kann. Oftmals scheinen<br />

andere denkbar mögliche Einflüsse oder<br />

sogar offensichtliche Cofounder keine<br />

Beachtung zu finden.<br />

Priv.-Doz. Dr.<br />

Fahmy Aboul-Enein<br />

Neurologische Abteilung,<br />

SMZ Ost, Donauspital<br />

Wien<br />

Manchmal finden Ergebnisse rasch Einzug<br />

in die medizinischen Lehrbücher (zumeist<br />

Positiv-Ergebnisse ohne „strenge Validierung“)<br />

und sind, dort einmal angelangt,<br />

mitunter über Jahrzehnte als „unwiderrufliche“<br />

(teils evidenzbasierte) Lehrmeinung<br />

fixiert und prägen unseren klinischen Alltag,<br />

bis die alltägliche Routine und Erfahrung<br />

doch das Gegenteil beweisen. Dies<br />

wäre vermutlich schon zuvor durch eine<br />

objektive, kritische und schonungslose<br />

Evaluierung und vor allem durch das gleiche<br />

Abwägen von Positiv- und Negativ-<br />

Ergebnissen vermeidbar. Dies wäre ohnehin<br />

vom rein naturwissenschaftlichen<br />

Ansatz auch gefordert.<br />

Nichtsdestotrotz scheint das Gegenteil die<br />

Regel und vor allem der Umgang mit Kritik<br />

zuweilen fragwürdig zu sein: Es entspreche<br />

oftmals nicht der „Politik des<br />

Journals“, Leserbriefe und kritische Kommentare<br />

zu diversen Originalarbeiten in<br />

entsprechender Form zu würdigen und zu<br />

veröffentlichen, obwohl dies eine der<br />

wesentlichen Auflagen für ein Journal ist,<br />

in der Medline gelistet zu sein und<br />

dadurch überhaupt einen Impact-Faktor<br />

erlangen zu können.<br />

Statische Signifikanz –<br />

Maß aller Dinge<br />

Einzig und allein der Impact-Faktor des<br />

wissenschaftlichen Journals, in dem die<br />

52


Arbeit veröffentlicht werden kann, und<br />

die statistische Signifikanz scheinen zum<br />

Maß aller Dinge auserkoren, idealisiert<br />

und unantastbar. Sei die Signifikanz noch<br />

so gering, die Fallzahl noch so unbedeutend,<br />

die Streuung der Einzelwerte noch<br />

so hoch und vor allem die Fragestellung<br />

und das Studienkonzept vielleicht sogar<br />

noch so merkwürdig anmutend, ein Positiv-Ergebnis<br />

bleibt ein Positiv-Ergebnis,<br />

gleich wie viele Negativ-Ergebnisse existieren,<br />

jedoch nie publiziert werden (können).<br />

Eine fehlende statistische Signifikanz<br />

oder Korrelation (mit irgendeinem Nebenparameter)<br />

scheint oft mit einem Nichtpublizieren-Können<br />

gleichgesetzt zu werden.<br />

Viel bedenklicher ist jedoch, dass den<br />

LeserInnen zumeist die individuellen<br />

Daten der einzelnen PatientInnen verborgen<br />

bleiben und eine eigene Interpretation<br />

durch grafische Darstellung von Balkendiagrammen<br />

(anstelle z. B. von Scatterplots)<br />

und tabellarische Aufstellung von<br />

Mittelwerten, Standardabweichungen,<br />

Ratios etc. schier unmöglich gemacht wird<br />

– und dies im Zeitalter der Elektronik, in<br />

denen zahlreiche Daten als Supplements<br />

publiziert werden könnten.<br />

In einer immer schneller werdenden Welt<br />

scheinen nur mehr die Überschriften und<br />

kurze Abstrakte in den medizinischen<br />

Datenbanken und Übersichtsarbeiten in<br />

renommierten Journalen Beachtung zu finden.<br />

Die LeserInnen scheinen die Methodik<br />

und Resultate nicht mehr ihrer eigenen kritischen<br />

Analyse zu unterziehen, und dies,<br />

obwohl streng genommen nur die Methodik<br />

und Resultate und deren Plausibilität für<br />

jede weitere wissenschaftliche Bewertung<br />

herangezogen werden sollen. Dabei sollte<br />

die Diskussion nur der Interpretation und<br />

Plausibilitätskontrolle in Bezug auf die<br />

Durchführung der eigenen Arbeit und zur<br />

bestehenden Literatur dienen.<br />

Erste Verlaufsstudie zur optischen<br />

Kohärenztomographie bei MS<br />

Wir hoffen mit unserer vor Kurzem<br />

erschienenen Arbeit der klinisch angewandten<br />

Forschung gerecht zu werden<br />

und stellen uns dem kritischsten aller<br />

Urteile, dem Urteil der LeserInnen. In dieser<br />

Arbeit versuchten wir, eine in den letzten<br />

Jahren sehr kontrovers diskutierte<br />

Arbeitshypothese, dass die Dicke der Nervenfaserschicht<br />

der Retina bei MS-PatientInnen<br />

mit diffuser axonaler Schädigung<br />

des gesamten ZNS (unabhängig von<br />

etwaig statt gehabten Sehnervenentzündungen)<br />

korreliere, zu reevaluieren.<br />

Auch wenn die optische Kohärenztomographie<br />

(OCT) eine Darstellung der retinalen<br />

Schichten und eine Messung der retinalen<br />

Nervenfaserschichtdicke (RNFL, Retinal<br />

Nerve Fiber Layer) erlaubt, ist eine Aussage<br />

über zugrunde liegende histolo gische, morphologische<br />

Veränderungen und deren<br />

mögliche Ursache naturgemäß nicht möglich:<br />

Eine verminderte RNFL heißt verminderte<br />

RNFL, nicht mehr. Die OCT erlaubt<br />

keine weitere Aussage, insbesondere nicht<br />

ob die RNFL-Verminderung<br />

1 durch Verlust von einzelnen Axonen<br />

des Sehnerven<br />

2 durch Größen-/Kaliberabnahme<br />

von einzelnen Axonen des<br />

Sehnerven<br />

3 schubhaft, durch einzelne patho lo -<br />

gische Ereignisse<br />

4 progredient, durch andauernden<br />

pathologischen Stimulus<br />

5 durch pathologische Prozesse von<br />

„außen“/im Auge (z. B. Druckschä -<br />

digung bei Augendruckerhöhung,<br />

Glaukom etc.)<br />

6 durch pathologische Prozesse in der<br />

Netzhaut selbst, oder gar<br />

7 retrograd, durch die derzeitig sehr<br />

kontrovers diskutierte, hypothetische<br />

retrograde transsynaptische Degeneration<br />

bedingt ist.<br />

Vor allem gilt es zu bedenken, dass die<br />

RNFL-Messwerte selbst Tagesschwankungen<br />

unterworfen sein können und<br />

von Gerät zu Gerät, von UntersucherIn<br />

zu UntersucherIn, von Untersuchung zu<br />

Untersuchung variabel sein können und<br />

die Dicke der RNFL individuell sehr unterschiedlich<br />

sein kann, mit dem Lebensalter<br />

in der Regel abnimmt und der Ausgangswert<br />

der RNFL beim einzelnen<br />

Patienten unbekannt bleiben muss. Die<br />

Limitation selbst für die hochauflösenden<br />

OCT-Geräte der neuen Generation<br />

ist demnach nur allzu offensichtlich:<br />

„Schnappschüsse“ der Retina. Diese<br />

dürfen wenn sie auch noch so oft im<br />

Verlauf gemessen werden, mitunter<br />

mehrmals täglich, niemals überbewertet<br />

werden. Eine tatsächliche Verminderung<br />

der RNFL kann maximal einen „irreversiblen<br />

Endzustand“ anzeigen und erlaubt<br />

keinen Rückschluss über die zugrunde<br />

liegenden pathologischen Mechanismen,<br />

die hierzu geführt haben. (Anm.:<br />

analog zu einer in der MRT sichtbaren<br />

Hirnatrophie; eine der Hirnatrophie<br />

zugrunde liegende Neurodegeneration<br />

im ZNS ist in der Regel irreversibel, entspricht<br />

somit einem „Endzustand“, der<br />

vielleicht sistieren oder fortschreiten,<br />

jedoch nicht wieder aufgehoben werden<br />

kann.)<br />

Implikation und Interpretation: Wir –<br />

wie auch andere Arbeitsgruppen – glauben,<br />

dass unser Negativ-Ergebnis erhebliche<br />

Bedeutung für unsere MS-PatientInnen<br />

hat, und hoffen, die oben zitierten<br />

Sätze hiermit nicht überstrapaziert zu<br />

haben. Wir versuchten, den LeserInnen<br />

eine eigene Interpretation eines (vielleicht<br />

erst vorläufigen) Negativ-Ergebnisses zu<br />

ermöglichen, indem wir die individuellen<br />

Ergebnisse und klinischen Eckdaten der<br />

einzelnen PatientInnen präsentierten. Die<br />

Arbeit ist für alle interessierten LeserInnen<br />

weltweit und unentgeltlich als free<br />

download zugänglich.<br />

Wir hoffen, dass Sie an unserem Artikel<br />

Gefallen finden und bei den nächsten Veröffentlichungen<br />

und Präsentationen von<br />

Positiv-Ergebnissen hinterfragen, wie viele<br />

Negativ-Ergebnisse zu eben jener präsentierten<br />

bzw. veröffentlichten Fragestellung<br />

bereits existieren, aber bislang noch nicht<br />

veröffentlicht wurden (bzw. veröffentlicht<br />

werden konnten).<br />

n<br />

53


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Hochauflösende Spectral-Domänen- optische<br />

Kohärenztomographie (SD-OCT) bei MS –<br />

die erste Verlaufsstudie über 2 Jahre<br />

ABSTRACT: „Nichtinvasiv, berührungslos, schneller und billiger als die MRT“ und „das<br />

Auge ist ein Fenster zum Gehirn“ sind die aktuellen Schlagworte, um die optische Kohärenztomographie<br />

(OCT, Optical Coherence Tomography) als neuen Surrogatmarker bei der<br />

multiplen Sklerose (MS) anzupreisen. Mit der OCT sollen erstmals Axone des zentralen<br />

Nervensystems (ZNS) „direkt und nichtinvasiv“ dargestellt werden können. † Die propagierte<br />

Hypothese lautet: Die Reduktion der retinalen Nervenfaserschichtdicke (RNFL, Retinal<br />

Nerve Fiber Layer) soll bei MS-PatientInnen mit der Krankheitsaktivität und Krankheitsdauer<br />

korrelieren.<br />

Allerdings sind viele Fragen ungeklärt: Reflektieren ein paar wenige (Anm.: schätzungsweise<br />

1,5 bis 4) Millionen Axone beider Sehnerven wirklich das Schicksal von hunderten<br />

Milliarden von Neuronen im gesamten ZNS? Führt ein Schaden im ZNS wirklich zu einer<br />

(globalen) Reduktion der Retina? Und wenn ja, ist klar, ob eine pathologische Verminderung<br />

der RNFL wirklich bei allen MS-PatientInnen existiert, und wenn ja, ob diese RNFL<br />

langsam und stetig fortlaufend entsteht? Wie können subtile globale Veränderungen der<br />

RNFL zuverlässig bestimmt werden und vor allem von den eher groben fokalen RNFL-Änderungen,<br />

die durch Sehnervenentzündungen verursacht werden, zuverlässig abgegrenzt<br />

werden? In jedem Fall ist eine neutrale, kritische und schonungslose wissenschaftliche<br />

Überprüfung dieser Hypothese notwendig.<br />

Methodik: Wir untersuchten prospektiv 37 MS-PatientInnen mit primär schubhaftem<br />

(n = 27) und sekundär progredientem Verlauf (n = 10) mit hochauflösender SD-OCT mit<br />

3,5-mm-Circle-Scan-Protokoll, gesperrten Referenzbildern und Eye-tracking-Modus. Das<br />

mediane Intervall zwischen den beiden Untersuchungen betrug 22,4 ± 0,5 Monate (Bereich<br />

19 bis 27 Monate). Die eingeschlossenen MS-PatientInnen hatten weder 12 Monate vor<br />

Studienbeginn noch innerhalb des Beobachtungszeitraums eine Sehnervenentzündung.<br />

Resultate: Obwohl mehr als die Hälfte der eingeschlossenen MS-PatientInnen mit primär<br />

schubhafter MS eine hohe Krankheitsaktivität über den Beobachtungszeitraum hatte<br />

(19 PatientInnen/32 Schübe) und die anfängliche Dicke der RNFL sehr stark variierte (von<br />

normal bis stark reduziert), konnten keine signifikanten Veränderungen zwischen der<br />

ersten und den Folgeuntersuchungen nachgewiesen werden.<br />

Schlussfolgerungen: Unsere Ergebnisse mahnen zur Vorsicht, die OCT derzeit für das<br />

Monitoring von Krankheitsaktivität und globaler Neurodegeneration bei MS zu ver wenden.<br />

† im engeren Sinne können die einzelnen Kompartimente, nicht die einzelnen Axone der Retina dargestellt werden;<br />

die OCT erlaubt hiermit keine Aussage über die einzelnen Axone, deren Anzahl oder Volumen. Die retinale Nervenfaserschicht<br />

(RNFL) könnte durch den Verlust von Axonen oder Volumenverminderung bzw. beides vermindert sein.<br />

Hintergrund und Studienziel<br />

Angenommen wird, dass die multiple<br />

Sklerose eine chronische entzündliche<br />

Erkrankung des zentralen Nervensystems<br />

ist, die zu charakteristischer Demyelinisierung<br />

und axonaler Degeneration führen<br />

soll. 1 Die Ursache der MS ist nach wie vor<br />

unbekannt; ihre zugrunde liegenden<br />

pathogenetischen Mechanismen sind vermutlich<br />

komplex und heterogen, werden<br />

wahrscheinlich außerhalb des ZNS ausgelöst,<br />

sind aber wahrscheinlich letztendlich<br />

innerhalb des ZNS kompartmentalisiert. 2–9<br />

Bei den meisten MS-PatientInnen verläuft<br />

die Erkrankung primär schubhaft (RRMS,<br />

relapsing remitting MS) und nur selten<br />

gleich von Beginn an primär progredient<br />

(PPMS, primär progrediente MS). Nach<br />

unbestimmter Zeit können viele der<br />

ursprünglich primär schubhaften MS-<br />

PatientInnen sekundär progredient werden,<br />

mit oder ohne superponierte(n) Schübe(n)<br />

(SPMS, sekundär progrediente MS).<br />

Jede(r) MS-PatientIn folgt seinem/ ihrem<br />

eigenem, individuellem Krankheitsverlauf.<br />

10 Weder die Häufigkeit und Schwere<br />

der einzelnen Schübe noch die Behinderung<br />

in den ersten Jahren nach dem Ausbruch<br />

der Krankheit, noch die Läsionslast<br />

in der Magnetresonanztomographie (MRT)<br />

noch irgendein anderer etablierter Parameter<br />

oder Biomarker erlauben eine zuverlässige<br />

Aussage der einzelnen individuellen<br />

Krankheitsverläufe. 11–17<br />

Allgemein wird akzeptiert, dass bei den<br />

meisten MS-PatientInnen eine dauerhafte<br />

Behinderung letztendlich durch axonalen<br />

Schaden bedingt ist. 18 Schlüssig erscheint<br />

daher, dass eine Methode, mit welcher<br />

der axonale Schaden im ZNS zuverlässig in<br />

vivo gemessen werden könnte, für das<br />

Monitoring von MS-PatientInnen hilfreich<br />

sein kann. 19–20<br />

OCT- und RNFL-Veränderungen: Mit<br />

der OCT kann die Netzhaut im Prinzip<br />

relativ einfach und nichtinvasiv visualisiert,<br />

ihre Dicke bestimmt und etwaige Veränderungen<br />

der RNFL-Dicke über die Zeit<br />

gemessen werden. Erste wissenschaftliche<br />

Untersuchungen der retinalen Nervenfaserschicht<br />

von MS-PatientInnen zeigten<br />

jedoch, dass die Messwerte der RNFL<br />

äußerst heterogen sind. Sie können von<br />

normalen bis zu stark reduzierten Werten<br />

reichen. 21–22<br />

Die Anzahl stattgehabter Optikusneuritiden<br />

(ON), die Dauer der Erkrankung und<br />

die MS-Subtypen (v. a. bei PPMS und<br />

SPMS) sollen mit herabgesetzten RNFL-<br />

54


Werten korrelieren 23, 24 , wobei die RNFL-<br />

Veränderungen durch ON eher grob und<br />

fokal sind. 25, 27 (Anm.: nach gegenwärtigem<br />

Stand des Wissens dürften ON vermutlich<br />

zu „sektoriellen/fokalen Kratern“<br />

in der RNFL entsprechend ihrer Lokalisation<br />

im Sehnerven führen und keine gleichmäßige,<br />

subtile, langsam fortschreitende<br />

Degeneration der gesamten, globalen<br />

RNFL verursachen). Diese relativ groben<br />

RNFL-Veränderungen durch ON könnten<br />

die hypothetischen globalen RNFL-Veränderungen,<br />

die langsam und stetig fortschreiten<br />

und subtil sein sollen und gar<br />

unter der Nachweisgrenze von hochauflösender<br />

SD-OCT Technik liegen sollen,<br />

überlagern und eine Detektion schier<br />

unmöglich machen.<br />

20, 26, 27<br />

Langzeitstudien mit hochauflösender SD-<br />

OCT, in denen die individuellen Daten für<br />

jede/n einzelne/n Patienten/-in nachvollziehbar<br />

bereitgestellt werden, sind für die<br />

weitere wissenschaftliche Klärung unerlässlich<br />

und ermöglichen der/dem LeserIn<br />

eine eigene Interpretation. 10, 28 Merkwürdig<br />

mutet an, dass derzeit Einfachunter -<br />

suchungen als „wissenschaftlicher Beweis<br />

für eine kontinuierlich fortschreitende<br />

RNFL-Reduktion („RNFL-Ausdünnung“)<br />

angesehen werden und publiziert<br />

werden.<br />

20, 27<br />

Tatsächlich ist aber weder bewiesen, ob<br />

eine globale RNFL-Reduktion überhaupt,<br />

und wenn ja, bei allen MS-PatientInnen<br />

existiert, noch ob simple mathematische<br />

Berechnungen (RNFL-Reduktionsraten [in<br />

µm] pro Jahr = RNFL [in µm bei<br />

Baseline]/Krankheitsdauer [in Jahren]) die<br />

Realität bei MS-PatientInnen widerspiegeln,<br />

noch ob eine etwaige globale RNFL-<br />

Reduktion kontinuierlich (eine „RNFL-Ausdünnung“,<br />

semantisch im engeren Sinn)<br />

oder schrittweise durch die Ansammlung<br />

von fokalen Läsionen, oder eben beides<br />

verursacht würde. Angaben wie „RNFL-<br />

Reduktionsraten pro Jahr“ oder „RNFL-<br />

Ausdünnung“ können gänzlich irreführend<br />

sein und sollten keine Verwendung<br />

finden. Für jede klinische Anwendung ist<br />

vor allem eine Frage zu beantworten, was<br />

die hypothetische globale RNFL-Reduktion<br />

verursachen könnte: Gibt es bei allen MS-<br />

PatientInnen eine globale RNFL-Reduktion<br />

oder nicht, und wenn ja, können die<br />

postulierten subtilen globalen RNFL-Veränderungen<br />

in sehr kurzen Beobachtungszeiträumen<br />

von 6 Monaten bis 2<br />

Jahren überhaupt gemessen werden.<br />

23, 24<br />

Unbestritten ist jedenfalls, dass die hoch<br />

auflösende SD-OCT Grundvoraussetzung<br />

für die Beantwortung dieser Frage ist.<br />

19, 20,<br />

24, 26–29<br />

Zu diesem Zweck untersuchten wir eine<br />

große Kohorte von 27 RRMS- und 10<br />

SPMS-PatientInnen mit der neuen hoch<br />

auflösenden SD-OCT über einen längeren<br />

Beobachtungszeitraum von ca. 22,4 ± 0,5<br />

Monaten. Trotz teilweise hoher Krankheitsaktivität<br />

mit vielen Schüben hatten<br />

die eingeschlossenen PatientInnen keine<br />

ON 12 Monate vor Studienbeginn und im<br />

weiteren Verlauf. In die Analysen wurden<br />

die klinischen Daten jedes/jeder einzelnen<br />

Teilnehmers/-in (Alter, Geschlecht, MS-<br />

Subtyp, Krankheitsdauer, Schubanzahl<br />

[vor und während der Studie] und medikamentöse<br />

Behandlung) miteinbezogen.<br />

Methoden<br />

Die Studie wurde von der lokalen Ethikkommission<br />

genehmigt. Eine schriftliche<br />

Einverständniserklärung wurde von allen<br />

PatientInnen und ProbandInnen vor Studienbeginn<br />

eingeholt. Wir luden nochmals<br />

alle 59 MS PatientInnen (42 RRMS,<br />

17 SPMS), die wir bereits zuvor einmal<br />

untersucht hatten (Baseline) 22 , zu einer<br />

Verlaufsuntersuchung ein. 37 MS-PatientInnen<br />

(27 RRMS, 10 SPMS) stimmten zu,<br />

22 PatientInnen zogen sich von einer<br />

weiteren Teilnahme zurück. Eine dieser<br />

22 PatientInnen hatte einen embolischen<br />

Schlaganfall der A. cerebri ant. sin., eine<br />

andere Patientin verschlechterte sich dramatisch<br />

(EDSS 8,0). Die restlichen 20 Pa -<br />

tientInnen gaben keine Begründung an.<br />

Diese blieben allerdings klinisch stabil<br />

(data not shown).<br />

Wir untersuchten die 37 MS-Patienten<br />

(27 RRMS, 10 SPMS) zweimal mit einem<br />

medianen Intervall von 22,4 ± 0,5 Monaten<br />

[Bereich: 19 bis 27 Monate] prospektiv.<br />

Die PatientInnen wurden konsekutiv<br />

rekrutiert. Die Diagnose „klinisch defini -<br />

tive MS“ war laborchemisch und MRTgestützt<br />

(MRI-Kriterien nach Barkhof).<br />

30, 34<br />

Andere mögliche Differenzialdiagnosen<br />

fanden keine Bestätigung. 31 Intrathekale<br />

oligoklonale Extra-Banden wurden bei<br />

allen MS-PatientInnen nachgewiesen.<br />

PatientInnen mit zusätzlichen anderen<br />

(Augen-)Krankheiten, die die RNFL-Dicke<br />

reduzieren können (Glaukom, anteriore<br />

ischämische Optikusneuropathie, hohe<br />

Myopie und angeborenen Anomalien des<br />

Sehnerven) wurden ausgeschlossen.<br />

Die klinisch-<strong>neurologisch</strong>e Untersuchung,<br />

visuell evozierte Potenziale (VEP) und ophthalmologische<br />

Untersuchungen wurden<br />

innerhalb von 7 Tagen durchgeführt.<br />

Kein(e) PatientIn hatte eine ON 12 Monate<br />

vor und während der Studie. Eine<br />

Zusammenfassung der detaillierten demografischen<br />

und klinischen Daten für jede/n<br />

einzelne/n MS-PatientenIn ist in der Ta -<br />

belle angegeben.<br />

Hochauflösende Spectral-Domain-OCT:<br />

Die RNFL-Messung wurde im Detail bereits<br />

beschrieben.<br />

22, 25, 26<br />

Kurz angeführt sei,<br />

dass wir die hochauflösende SD-OCT mit<br />

einem konfokalen Laser-Scanning-Ophthalmoskop<br />

verwendet haben (Heidelberg<br />

Engineering, Heidelberg, Deutschland,<br />

Spectralis Software-Version 4.0.3.0, Eye<br />

Explorer Software 1.6.1.0). Durch einen<br />

besonderen Eye-Tracking-Modus (True-<br />

Trac) und die hohe Scan-Geschwindigkeit<br />

dieses SD-OCT-Gerätes wird eine<br />

Reduktion der Artefakte durch Augenbewegungen<br />

ermöglicht. Jeder peripapilläre<br />

OCT-Scan wird registriert und als Referenzbild<br />

für weitere Aufnahmen/ Verlaufsuntersuchungen<br />

gespeichert. Mittels der speziellen<br />

OCT-Software wird bei Verlaufsuntersuchungen<br />

der OCT-Laserstrahl auf eben die<br />

gleiche Position der Referenzaufnahmen<br />

gerichtet und das gleiche Areal der Retina<br />

erneut gescannt. Um das Verhältnis Signal:<br />

Hintergrund (signal-to-noise-ratio; „Rauschen“)<br />

und die Bildqualität zu verbessern,<br />

werden 16 Frames (B-Scans) der gleichen<br />

Scan-Position mit automatischem Echtzeit-<br />

Mittelung-Modus (ART mode, Automatic<br />

Real-Time mode) gemittelt. Alle RNFL-<br />

Scans wurden mit erweiterten Pupillen im<br />

hochauflösenden Modus angefertigt, um<br />

die einzelnen Netzhautschichten genau zu u<br />

55


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Tab.: Klinische und demografische Daten der StudienpatientInnen<br />

vor der ersten OCT-Untersuchung<br />

im Beobachtungszeitraum der Studie<br />

Lebens-<br />

Lebens- Lebensalter<br />

alter alter<br />

bei bei bei<br />

MS KH- Schübe * ON Base- Follow- Therapie<br />

No Subtyp Beginn Therapie rechts links line up Schübe *<br />

Geschlecht<br />

1 RRMS f 34,5 MITOX, GLAT, IFN(b), IFN(a) 7 0 0 40,5 42,25 3 Natalizumab<br />

2 RRMS f 18,5 IFN(a), IFN(b) 4 0 0 23,5 25,25 3 Natalizumab<br />

3 RRMS f 36,0 MITOX 1 , IFN(a) 7 0 0 42,0 43,5 2 Natalizumab<br />

4 RRMS f 31,5 keine Therapie 3 0 0 38,0 40,25 0 keine Therapie<br />

5 RRMS m 40,0 IFN(a) 3 0 0 45,5 47,5 0 IFN(a) 2 ; keine Therapie<br />

6 RRMS f 28,5 IFN(b) 3 0 0 39,0 40,75 2 IFN(b), Natalizumab 3<br />

7 RRMS f 43,0 GLAT, IFN(b), keine Therapie 4 4 0 0 48,0 49,75 3 keine Th., Natalizumab<br />

8 RRMS f 40,0 keine Therapie 2 0 0 42,25 44,0 0 keine Therapie<br />

9 RRMS m 24,0 keine Therapie 2 0 0 25,0 26,5 0 keine Therapie<br />

10 RRMS f 18,0 GLAT, keine Therapie 5 2 0 0 19,75 21,5 1 keine Therapie<br />

11 RRMS f 29,75 IFN(a) 6 , keine Therapie 4 0 0 36,0 37,5 1 keine Therapie<br />

12 RRMS m 31,0 IFN(b) 2 0 0 33,25 35,0 1 IFN(b)<br />

13 RRMS m 51,0 IFN(b) 2 0 0 52,0 54,75 0 IFN(b)<br />

14 RRMS f 23,75 keine Therapie 2 0 0 27,0 28,5 0 keine Therapie 7<br />

15 RRMS m 27,5 GLAT 4 0 0 39,0 40,75 0 GLAT<br />

16 RRMS f 30,0 IFN(b) 8 , keine Therapie 4 0 0 46,0 48,5 0 keine Therapie<br />

17 RRMS m 39,0 IFN(c) 4 0 0 45,0 47,25 1 IFN(c)<br />

18 RRMS f 20,0 IFN(a) 9 , keine Therapie 2 0 0 23,0 25,25 2 keine Therapie<br />

19 RRMS f 16,0 GLAT 4 0 0 61,0 63,25 0 GLAT<br />

20 RRMS f 20,5 IFN(b) 10 , keine Therapie 5 0 0 28,0 30,25 1 keine Therapie<br />

21 RRMS f 26,0 IFN(a), IFN(b), MITOX 11 , keine Therapie 9 1 1 32,0 34,0 0 keine Therapie<br />

22 RRMS f 17,75 IFN(a), IFN(b) 6 1 3 19,75 21,75 1 IFN(b) 12 , Natalizumab<br />

23 RRMS f 31,0 IFN(a), IFN(b) 4 1 0 36,0 38,25 0 IFN(b)<br />

24 RRMS f 20,0 IFN(b) 8 1 1 47,5 49,0 1 IFN(b)<br />

25 RRMS m 22,5 GLAT, IFN(a), IFN(b), Natalizumab 10 0 1 42,5 44,0 0 Natalizumab<br />

26 RRMS f 20,0 IFN(a) 3 0 4 41,0 42,5 0 IFN(a)<br />

27 RRMS m 31,0 GLAT 13 , keine Therapie 2 0 1 33,0 35,25 0 keine Therapie<br />

28 SPMS m 40,0 GLAT, MITOX 14 , keine Therapie 3 0 0 46,5 48,5 0 keine Therapie<br />

29 SPMS f 13,0 IFN(b), MITOX 15 , keine Therapie 5 0 0 27,0 29,25 2 keine Therapie<br />

30 SPMS f 38,0 GLAT, keine Therapie 3 0 0 45,0 47,25 0 keine Therapie<br />

31 SPMS f 33,5 keine Therapie 3 0 0 56,0 58,25 0 keine Therapie<br />

32 SPMS m 28,0 IFN(a), IFN(b) 11 0 0 47,25 49,0 1 IFN(b)<br />

33 SPMS m 25,0 IFN(c), GLAT, IFN(a), IFN(b) 10 1 1 47,5 49,75 1 IFN(b)<br />

34 SPMS m 22,0 IFN(b) 5 1 0 30,5 32,25 2 IFN(b) 16 , keine Therapie<br />

35 SPMS f 16,0 IFN(a), MITOX 17 , keine Therapie 6 0 2 44,25 46,5 2 keine Therapie<br />

36 SPMS f 50,0 GLAT 4 0 2 53,5 55,75 2 GLAT<br />

37 SPMS m 29,0 IFN(b) 3 0 1 52,0 53,75 0 IFN(b)<br />

* Schübe, die mit hochdosiertem intravenösem Steroid behandelt wurden; keine/r der eingeschlossenen MS-PatientInnen hatte 12 Monate bzw. während der Studie eine ON;<br />

ON = Optikusneuritis; GLAT = Glatirameracetat 20 mg s. c. 1-mal/die; MITOX = Mitoxantron; IFN(a) = Interferon beta-1a i. m. 1-mal/Woche; IFN(b) = Interferon beta-1a (44 mg) s. c.<br />

3-mal/Woche; IFN(c) = Interferon beta-1b (250 mg) s. c. jeden 2. Tag<br />

1 Therapieabbruch/-pause (48 mg/m 2 KOF Mitoxantron)<br />

2 Therapieabbruch/-pause 9 Monate nach der ersten OCT-Untersuchung<br />

3 Therapiebeginn 7 Monate vor der zweiten OCT-Untersuchung<br />

4 Therapieabbruch/-pause 12 Monate vor der ersten OCT-Untersuchung<br />

5 Therapieabbruch/-pause 6 Monate vor der ersten OCT-Untersuchung<br />

6 Therapieabbruch/-pause 20 Monate vor der ersten OCT-Untersuchung<br />

7 strikte vegane Diät, die zu Vitamin-B 12 - und Folsäuremangel führte und substituiert<br />

werden musste<br />

8 hohe Titer von Anti-Interferon-beta-Autoantikörpern, Therapieabbruch/-pause<br />

14 Monate vor der ersten OCT-Untersuchung<br />

9 Therapieabbruch/-pause 25 Monate vor der ersten OCT-Untersuchung<br />

10 Therapieabbruch/-pause 8 Monate vor der ersten OCT-Untersuchung<br />

11 Mitoxantron-Kumulativdosis 96 mg/m 2 KOF, Therapieabbruch/-pause 10 Monate vor der<br />

ersten OCT-Untersuchung<br />

12 Eskalationstherapie mit Natalizumab 2 Monate nach der ersten OCT-Untersuchung<br />

13 Therapieabbruch/-pause 6 Monate vor der ersten OCT-Untersuchung<br />

14 Mitoxantron-Kumulativdosis 92 mg/m 2 KOF, Therapieabbruch/-pause 10 Monate vor der<br />

ersten OCT-Untersuchung<br />

15 Mitoxantron-Kumulativdosis 96 mg/m 2 KOF, Therapieabbruch/-pause 26 Monate vor der<br />

ersten OCT-Untersuchung<br />

16 Therapieabbruch/pause 5 Monate nach der ersten OCT-Untersuchung<br />

17 Mitoxantron-Kumulativdosis 108 mg/m 2 KOF, Therapieabbruch/-pause 27 Monate vor der<br />

ersten OCT-Untersuchung<br />

56


differenzieren. Alle RNFL-Scans wurden<br />

mehrmals in einer Sitzung von einem qualifizierten<br />

und geschulten Untersucher<br />

(N.S.) durchgeführt, bis mindestens 3 hochwertige<br />

Scans für die weitere Analyse vorhanden<br />

waren. Der Untersucher (N.S.)<br />

hatte keine Kenntnisse von klinischen<br />

Daten oder den Baseline-Daten.<br />

Abb. 1: Globale RNFL-Veränderungen zwischen Erst- (Baseline) und<br />

Folgeuntersuchung (Follow-up)<br />

Visuelle Funktionskontrolle, Visual Field<br />

Analysis und visuell evozierte Po ten -<br />

ziale wurden bereits im Detail beschrieben.<br />

22, 25<br />

Statistik: Die verwendeten statistischen<br />

Methoden wurden bereits ausführlich<br />

beschrieben. 22<br />

Ergebnisse<br />

Die Ergebnisse unserer mit dem hochauflösenden<br />

SD-OCT durchgeführten Studie<br />

können kurz wie folgt zusammengefasst<br />

werden. In einer medianen Beobachtungszeit<br />

von 22,4 ± 0,5 Monate (Bereich:<br />

19 bis 27 Monate) blieben die RNFL-Messungen<br />

der einzelnen MS-PatientInnen im<br />

Vergleich zum Ausgangswert unverändert<br />

(Abb. 1). Die minimalen Veränderungen (±<br />

2 µm) in einigen wenigen der Follow-up-<br />

Scans lagen innerhalb der normalen<br />

Untersuchungs-/Messungsvariabilität<br />

(Abb. 1 und 2). 26, 27, 29 RRMS-PatientInnen<br />

ohne ON zeigten durchschnittlich die<br />

höchsten Messwerte für die globale RNFL,<br />

während die Messwerte im Durchschnitt<br />

bei RRMS mit ON und in SPMS mit und<br />

ohne ON niedriger waren. Nichtsdestotrotz<br />

reichten in allen 4 Gruppen RNFL-<br />

Werte der einzelnen MS-PatientInnen<br />

(RRMS und SPMS mit und ohne ON) von<br />

normal bis stark reduziert, global oder<br />

zumindest in einem der 6 peripapillären<br />

Sektoren (Abb. 1). 22<br />

Im Vergleich zum Ausgangswert waren<br />

auch die visuelle Sehschärfe und das<br />

Kontrastsehen, die Empfindlichkeitstests<br />

(ETDRS, Sloan- und Pelli-Robson-Charts),<br />

der Farbtest (Lanthony D-15) und die<br />

Humphrey-Gesichtsfeld-Analyse und die<br />

visuell evozierten Potenziale unverändert.<br />

22 Es fand sich weder eine Korrelation<br />

der RNFL-Messungen zum Lebensalter u<br />

a: linkes Auge; b: rechtes Auge; 1-37: MS-PatientInnen (siehe Tabelle für demografische und klinische<br />

Daten); weiße Karos: RRMS ohne ON (Baseline |—| Follow-up); schwarze Karos: RRMS mit ON (Baseline<br />

|—| Follow-up); weiße Dreiecke: SPMS ohne ON (Baseline |—| Follow-up); schwarze Dreiecke:<br />

SPMS mit ON (Baseline |—| Follow-up); schwarze Balken: Mittelwerte.<br />

Abb. 2: Schwankungsbreite der RNFL-Messungen<br />

a, b: Variation der RNFL-Messungen zwischen Erst- und Folgeuntersuchung in Bezug zur Gesamtzahl<br />

an Schüben (ohne ON) vor Studienbeginn.<br />

c, d: Variation der RNFL-Messungen zwischen Erst- und Folgeuntersuchung in Bezug zur Gesamtzahl<br />

an Schüben (ohne ON) während des Studienbeobachtungszeitraums.<br />

a: linkes Auge; b: rechtes Auge; c: linkes Auge; d: rechtes Auge; weiße Karos: RRMS ohne ON;<br />

schwar ze Karos: RRMS mit ON; weiße Dreiecke: SPMS ohne ON; schwarze Dreiecke: SPMS mit ON<br />

57


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

noch zur Krankheitsdauer noch zum MS-<br />

Subtyp.<br />

Diskussion<br />

In den letzten Jahren erweckten viele OCT-<br />

Studien von MS-PatientInnen, Meta-Analysen<br />

und Übersichtsarbeiten großes Interesse.<br />

19–24 Die OCT wurde sogar von manchen<br />

als mögliches paraklinisches Werkzeug<br />

bezeichnet, um den Krankheitsverlauf<br />

von MS-PatientInnen und vor allem<br />

neuroprotek tive Therapien zu monitieren.<br />

19, 20 Allerdings sind viele Kernfragen<br />

offen und werden kontrovers diskutiert.<br />

Von größter Bedeutung ist, dass sich<br />

RNFL-Messungen von gleichen PatientInnen<br />

und unter gleichen Untersuchungsbedingungen,<br />

jedoch mit unterschiedlichen<br />

OCT-Geräten gemessen deutlich unterscheiden<br />

und daher nicht uneingeschränkt<br />

verglichen werden können. 29 Die<br />

Unterschiede können durch die verschiedenen<br />

verwendeten OCT-Technologien<br />

(Time Domain vs. Spectral Domain OCT),<br />

Retina-Segmentierungsalgorithmen, Scangeschwindigkeit,<br />

Pupillenerweiterung und<br />

andere technische Besonderheiten wie<br />

spezielle Eye-Tracking-Modi oder hochauflösende<br />

Aufnahmemodi oder einfach<br />

durch normale untersuchungs- und untersucherInnenabhängige<br />

Variabilität (intersession-/interobserver<br />

variability) erklärt<br />

werden. 29<br />

Im Gegensatz zu der eher groben fokalen<br />

RNFL-Reduktion von etwa 5 µm bis 40 µm<br />

wurde angenommen, dass eine globale<br />

RNFL-Reduktion von etwa 2 µm bis 4 µm<br />

pro Jahr bei MS-Patienten auch ohne ON<br />

(„RNFL-Ausdünnung“) existiert. 20, 23 Aber<br />

„RNFL-Reduktionsraten pro Jahr" oder<br />

eine „RNFL-Ausdünnung“ sind, bis sie<br />

durch sorgfältige langfristige Verlaufsuntersuchungen<br />

nachgewiesen werden, nur<br />

statistische/mathematische Definitionen<br />

bzw. nicht wissenschaftlich bewiesen.<br />

Erstens ist bekannt, dass der Schwankungsbereich<br />

der RNFL-Dicke bei gesunden<br />

Individuen sehr breit sein kann (Mittelwert:<br />

97,2 µm ± 9,7 µm; Bereich von 75<br />

µm bis 125 µm) und dass die RNFL-Dicke<br />

mit dem Lebensalter abnimmt. 27 Daraus<br />

ergibt sich, dass selbst wenn Abertausende<br />

von Werten für die RNFL-Dicke zu statis -<br />

tisch höchst signifikanten Normwerten<br />

gemittelt würden, die initiale RNFL-Dicke,<br />

d. h. der individuelle RNFL-Ausgangslevel<br />

der jeweiligen einzelnen MS-PatientInnen,<br />

unbekannt bleiben muss. Daher kann eine<br />

einfache mathematische Korrelation von<br />

nur einem (Baseline) RNFL-Wert, gebrochen<br />

durch die Dauer der Erkrankung, Verlaufsuntersuchungen<br />

langer Beobachtungszeiträume<br />

nicht ersetzen; dies muss<br />

umso mehr in Betracht gezogen werden,<br />

als vor Kurzem eine minimale Beobachtungszeit<br />

von mindestens 2 Jahren vorgeschlagen<br />

wurde, um subtile globale RNFL-<br />

Veränderungen bei MS-Patienten ohne ON<br />

erkennen zu können, sofern diese überhaupt<br />

existieren. 20<br />

Zweitens ist noch unbekannt, ob die globale<br />

RNFL-Reduktion (abgesehen von<br />

RNFL-Veränderungen durch ON) wirklich<br />

bei allen MS-Patienten existiert, und wenn<br />

ja, ob diese wirklich durch kontinuierliche<br />

oder wiederkehrende (remittierende) axonale<br />

Veränderungen entsteht. Die hypothetische<br />

globale Reduktion der RNFL<br />

könnte bereits Jahre vor Beginn der<br />

Erkrankung oder in sehr frühen Stadien<br />

der Erkrankung und nicht erst in späteren<br />

Stadien auftreten. Progressive axonale<br />

Veränderungen könnten jedoch in kurzen<br />

Beobachtungzeiträumen dem Nachweis<br />

entgehen und erst in langen Beobachtungszeiträumen<br />

über viele Jahre detektiert<br />

werden.<br />

Insofern könnte die Hypothese plausibel<br />

sein, dass eine subtile, stetig fortschreitende<br />

RNFL-Reduktion auftreten kann, wenn<br />

der Krankheitsverlauf von der schubförmigen<br />

in die sekundär progredienten Phase<br />

wechselt, oder gleich von Beginn an<br />

einem primär progredienten Verlauf folgt.<br />

Trotzdem konnten Henderson et al. keine<br />

signifikante RNFL-Reduktion („RNFL-Ausdünnung“)<br />

in 34 MS-PatientInnen mit<br />

progredientem Erkrankungsverlauf (18<br />

PPMS, 16 SPMS) in einem relativ langen<br />

Beobachtungszeitraum (Median 575 Tage,<br />

Bereich 411 bis 895 Tage) nachweisen<br />

(Anm.: diese Studie wurde wie viele andere<br />

mit der konventionellen, nicht hochauflösenden<br />

Time-Domain-OCT [TD-OCT]<br />

durchgeführt). 24<br />

Diese Resultate können wie folgt interpretiert<br />

werden:<br />

1. Entweder ist die Hypothese, dass progrediente<br />

globale RNFL-Veränderungen<br />

bei MS-PatientInnen existieren, falsch<br />

oder<br />

2. die globalen RNFL-Änderungen sind zu<br />

subtil, um mit herkömmlichen TD-OCT<br />

detektiert zu werden, oder<br />

3. der Beobachtungszeitraum war zu<br />

kurz, um etwaige subtile RNFL-Veränderungen<br />

überhaupt detektieren zu<br />

können. Allerdings muss bedacht werden,<br />

dass die meisten klinischen Studien<br />

häufig nur über Beobachtungszeiträume<br />

von 6 bis 12 Monaten geführt<br />

wurden und werden. Wie auch immer<br />

– die hypothetische RNFL-Reduktion<br />

von etwa 2 µm pro Jahr ist jedenfalls<br />

unter der Nachweisgrenze der TD-OCTund<br />

sogar der meisten SD-OCT-Geräte<br />

(Variationen bis zu 5 µm).<br />

26, 29<br />

Drittens können die eher groben und<br />

fokalen RNFL-Veränderungen (z. B. durch<br />

ON) die hypothetischen subtilen, progressiven<br />

globalen RNFL-Veränderungen gänzlich<br />

überlagern und eine Differenzierung<br />

und Aussage über subtile globale RNFL-Veränderungen<br />

nahezu unmöglich machen.<br />

Schließlich ist völlig unklar, ob der Schaden<br />

von einigen Axonen entlang der Sehnerven<br />

wirklich das anatomische und<br />

funktionelle Schicksal von hunderten Milliarden<br />

von Neuronen im gesamten ZNS<br />

überhaupt repräsentieren kann, gleich<br />

welche pathogenetischen Mechanismen<br />

zugrunde liegen. Dies muss umso mehr in<br />

Betracht gezogen werden, als allgemein<br />

bekannt ist, dass nur sehr selten die MRT-<br />

Läsionslast mit dem klinischen Verlauf von<br />

MS-PatientInnen korreliert.<br />

Folglich stellt sich die Frage, warum nun<br />

die RNFL-Dicke mit MRT-Parametern und<br />

dem klinischen Verlauf von MS-PatientInnen<br />

korrelieren soll? Mit anderen Worten:<br />

Soll eine hypothetische retrograde transsynaptische<br />

axonale Degeneration aus<br />

dem ganzen ZNS eine solche Auswirkung<br />

auf die RNFL haben, aber im Umkehr- u<br />

58


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

schluss eine ON nicht zu einer diffusen<br />

anterograden transsynaptischen axonalen<br />

Degeneration im gesamten ZNS führen?<br />

Zumindest wurde unserer Kenntnis nach<br />

noch nie behauptet bzw. wissenschaftlich<br />

bewiesen, dass eine ON zu diffuser axonaler<br />

Degeneration im gesamten ZNS bzw.<br />

zu einer Hirnatrophie führt.<br />

Zusammenfassung<br />

Auch wenn die meisten MS-PatientInnen<br />

einem primären schubförmigen Verlauf mit<br />

klinisch stabilen Intervallen über Monate,<br />

Jahre oder manchmal sogar Jahrzehnte folgen,<br />

lässt sich naturgemäß nicht ausschließen,<br />

dass subklinische „stille“ degenerative<br />

Veränderungen im Hintergrund ablaufen. 35<br />

Ob solche hypothetischen Veränderungen<br />

wirklich bei allen MS-PatientInnen existieren,<br />

muss kritisch und objektiv evaluiert<br />

werden. Wie auch andere Arbeitsgruppen,<br />

halten wir be stimmte standardisierte technische<br />

Voraussetzungen für unabdingbar.<br />

24, 27, 29, 34 Nichtsdestotrotz konnten wir<br />

in unserer Langzeitstudie mit neuer hochauflösender<br />

SD-OCT-Technik keine RNFL-<br />

Reduktion („RNFL-Ausdünnung“) in einer<br />

gut klassifizierten Gruppe von RRMS- und<br />

SPMS-PatientInnen mit teilweise hoher<br />

Krankheitsaktivität nachweisen. Unsere<br />

Daten legen den Schluss nahe, dass die<br />

OCT die MRT derzeit weder zu ersetzen<br />

vermag noch als neuer Surrogatmarker bei<br />

MS dienen kann.<br />

High Resolution Spectral Domain<br />

Optical Coherence Tomography<br />

(SD-OCT) in Multiple Sclerosis:<br />

The First Follow Up Study over<br />

Two Years.<br />

AutorInnen: Nermin Serbecic 1# , Fahmy<br />

Aboul-Enein 2#* , Sven C. Beutelspacher 3 ,<br />

Clemens Vass 1 , Wolfgang Kristoferitsch 2 ,<br />

Hans Lassmann 4 , Andreas Reitner 1 ,<br />

Ursula Schmidt-Erfurth 1<br />

1 Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie,<br />

Medizinische Universität Wien, Österreich<br />

2 Abteilung für <strong>Neurologie</strong>, SMZ Ost, Donauspital, Wien<br />

3 Abteilung für Augenheilkunde, Medizinische Fakultät<br />

Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim<br />

4 Hirnforschungszentrum, Medizinische Universität Wien<br />

# equal contribution<br />

* korrespondierender Autor:<br />

E-Mail: fahmy.aboul-enein@telering.at<br />

Erschienen in: PLoS One 6(5): e19843. doi:10.1371/<br />

journal.pone.0019843<br />

Interessenkonflikt: keiner<br />

1 Compston A, Coles A, Multiple sclerosis. Lancet 2008;<br />

372:1502–1517.<br />

2 Goodin DS, The causal cascade to multiple sclerosis: a<br />

model for MS pathogenesis. PLoS One 2009; 4:e4565.<br />

3 Haarmann A, Deiss A, Prochaska J, Foerch C, Weksler B<br />

et al., Evaluation of soluble junctional adhesion molecule-A<br />

as a biomarker of human brain endothelial barrier<br />

breakdown. PLoS One 2010; 5:e13568.<br />

4 Kuenz B, Lutterotti A, Ehling R, Gneiss C, Haemmerle<br />

M et al., Cerebrospinal fluid B cells correlate with early<br />

brain inflammation in multiple sclerosis. PLoS One<br />

2008; 3:e2559.<br />

5 Brettschneider J, Tumani H, Kiechle U, Muche R,<br />

Richards G et al., IgG antibodies against measles, rubella,<br />

and varicella zoster virus predict conversion to multiple<br />

sclerosis in clinically isolated syndrome. PLoS One<br />

2009; 4:e7638.<br />

6 Brettschneider J, Czerwoniak A, Senel M, Fang L,<br />

Kassubek J et al., The chemokine CXCL13 is a<br />

prognostic marker in clinically isolated syndrome (CIS).<br />

PLoS One 2010; 5:e11986.<br />

7 Stoop MP, Singh V, Dekker LJ, Titulaer MK, Stingl C et<br />

al., Proteomics comparison of cerebrospinal fluid of<br />

relapsing remitting and primary progressive multiple<br />

sclerosis. PLoS One 2010; 5:e12442.<br />

8 Ban M, Elson J, Walton A, Turnbull D, Compston A et<br />

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multiple sclerosis susceptibility. PLoS One 2008;<br />

3:e2891.<br />

9 Cox MB, Cairns MJ, Gandhi KS, Carroll AP, Moscovis S<br />

et al., MicroRNAs miR-17 and miR-20a inhibit T cell<br />

activation genes and are under-expressed in MS whole<br />

blood. PLoS One 2010; 5:e12132.<br />

10 Gilmore CP, Cottrell DA, Scolding NJ, Wingerchuk DM,<br />

Weinshenker BG et al., A window of opportunity for<br />

no treatment in early multiple sclerosis? Mult Scler<br />

2010; 16:756–759.<br />

11 Ge Y, Grossman RI, Udupa JK, Wei L, Mannon LJ et al.,<br />

Brain atrophy in relapsing-remitting multiple sclerosis<br />

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quantitative analysis. Radiology 2000; 214:665–670.<br />

12 Kremenchutzky M, Rice GP, Baskerville J, Wingerchuk<br />

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a geographically based study 9: observations on the<br />

progressive phase of the disease. Brain 2006;<br />

129:584–594.<br />

13 Fisniku LK, Brex PA, Altmann DR, Miszkiel KA, Benton<br />

CE et al., Disability and T2 MRI lesions: a 20-year<br />

follow-up of patients with relapse onset of multiple<br />

sclerosis. Brain 2008; 131:808–817.<br />

14 Optic Neuritis Study Group. Multiple sclerosis risk after<br />

optic neuritis: final optic neuritis treatment trial followup.<br />

Arch Neurol 2008; 65:727–732.<br />

15 Mostert JP, Koch MW, Steen C, Heersema DJ, De Groot<br />

JC et al., T2 lesions and rate of progression of disability<br />

in multiple sclerosis. Eur J Neurol 2010; 17:1471–1475.<br />

16 Aboul-Enein F, Krssák M, Höftberger R, Prayer D,<br />

Kristoferitsch W, Reduced NAA-levels in the NAWM of<br />

patients with MS is a feature of progression. A study<br />

with quantitative magnetic resonance spectroscopy at<br />

3 Tesla. PLoS One 2010; 5:e11625.<br />

17 Leray E, Yaouanq J, Le Page E, Coustans M, Laplaud D<br />

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multiple sclerosis. Brain 2010; 133:1900–1913.<br />

18 Lassmann H, Brück W, Lucchinetti CF, The immuno -<br />

pathology of multiple sclerosis: an overview. Brain<br />

Pathol 2007; 17:210–218.<br />

19 Frohman EM, Fujimoto JG, Frohman TC, Calabresi PA,<br />

Cutter G et al., Optical coherence tomography: a<br />

window into the mechanisms of multiple sclerosis.<br />

Nat Clin Pract Neurol 2008; 4:664–675.<br />

20 Petzold A, de Boer JF, Schippling S, Vermersch P, Kardon<br />

R et al., Optical coherence tomography in multiple<br />

sclerosis: a systematic review and meta-analysis. Lancet<br />

Neurol 2010; 9:921–932.<br />

21 Henderson AP, Trip SA, Schlottmann PG, Altmann DR,<br />

Garway-Heath DF et al., An investigation of the retinal<br />

nerve fibre layer in progressive multiple sclerosis using<br />

optical coherence tomography. Brain 2008;<br />

131:277–287.<br />

22 Serbecic N, Aboul-Enein F, Beutelspacher SC, Graf M,<br />

Kircher K et al., Heterogeneous pattern of retinal nerve<br />

fiber layer in multiple sclerosis. High resolution optical<br />

coherence tomography: potential and limitations. PLoS<br />

One 2010; 5:e13877.<br />

23 Talman LS, Bisker ER, Sackel DJ, Long DA Jr, Galetta<br />

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fiber layer thickness in multiple sclerosis. Ann Neurol<br />

2010; 67:749–760.<br />

24 Henderson AP, Trip SA, Schlottmann PG, Altmann DR,<br />

Garway-Heath DF et al., A preliminary longitudinal<br />

study of the retinal nerve fiber layer in progressive<br />

multiple sclerosis. J Neurol 2010; 257:1083–1091.<br />

25 Serbecic N, Beutelspacher SC, Kircher K, Reitner A,<br />

Schmidt-Erfurth U, Interpretation of RNFLT values in<br />

multiple sclerosis-associated acute optic neuritis using<br />

high-resolution SD-OCT device. Acta Ophthalmol 2010:<br />

doi:10.1111/j.1755-3768.2010.02013.x.<br />

26 Serbecic N, Beutelspacher SC, Aboul-Enein FC, Kircher<br />

K, Reitner A et al., Reproducibility of high-resolution<br />

optical coherence tomography measurements of the<br />

nerve fibre layer with the new Heidelberg Spectralis<br />

optical coherence tomography. Br J Ophthalmol 2010:<br />

doi:10.1136/bjo.2010.186221.<br />

27 Khanifar AA, Parlitsis GJ, Ehrlich JR, Aaker GD, D'Amico<br />

DJ et al., Retinal nerve fiber layer evaluation in multiple<br />

sclerosis with spectral domain optical coherence<br />

tomography. Clin Ophthalmol 2010; 4:1007–1113.<br />

28 Feigin V, Kurtzke JF, Korczyn A, Beghi E, Brown A,<br />

Bridging the gap between experimental and nonexperi<br />

mental neuroepidemiology, and ultimately –<br />

between neuroepidemiological research and practice:<br />

round table discussion at the First International<br />

Congress on Clinical Neurology and Epidemiology.<br />

Neuroepidemiology 2009; 33:296–304.<br />

29 Wolf-Schnurrbusch UE, Ceklic L, Brinkmann CK, Iliev<br />

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healthy eyes using six different optical coherence<br />

tomography instruments. Invest Ophthalmol Vis Sci<br />

2009; 50:3432–3437.<br />

30 Polman CH, Reingold SC, Edan G, Filippi M, Hartung<br />

HP et al., Diagnostic criteria for multiple sclerosis: 2005<br />

revisions to the “McDonald Criteria”. Ann Neurol<br />

2005; 58:840–846.<br />

31 Mader S, Lutterotti A, Di Pauli F, Kuenz B, Schanda K et<br />

al., Patterns of antibody binding to aquaporin-4<br />

isoforms in neuromyelitis optica. PLoS One 2010;<br />

5:e10455.<br />

32 Aboul-Enein F, Krssák M, Höftberger R, Prayer D, Kristoferitsch<br />

W, Diffuse white matter damage is absent in<br />

neuromyelitis optica. AJNR Am J Neuroradiol 2010;<br />

31:76–79.<br />

33 Krampla W, Aboul-Enein F, Jecel J, Lang W, Fertl E et<br />

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optica: a retrospective long-term MRI follow-up study.<br />

Eur Radiol 2009; 19:2535–2543<br />

34 Bendschneider D, Tornow RP, Horn FK, Laemmer R,<br />

Roessler CW et al., Retinal nerve fiber layer thickness in<br />

normals measured by spectral domain OCT. J Glaucoma<br />

2010; 19:475–482.<br />

35 Green AJ, McQuaid S, Hauser SL, Allen IV, Lyness R et<br />

al., Ocular pathology in multiple sclerosis: retinal atrophy<br />

and inflammation irrespective of disease duration.<br />

Brain 2010; 133:1591–1601.<br />

60


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

15 th International Congress of Parkinson’s<br />

Disease and Movement Disorders 2011<br />

Ausgewählte Highlights zum Thema Relevanz, Neuheit und Qualität der klinischen und Grundlagenforschung<br />

des M. Parkinson wurden in der „Blue Ribbon Session“ präsentiert. Im Folgenden einige ausgewählte Themen<br />

zu Risikofaktoren, Epidemiologie und Therapie aus den umfassenden wissenschaftlichen Beiträgen zum<br />

M. Parkinson beim 15. internationalen Kongress der Movement Disorder Society in Toronto.<br />

Risikofaktoren und<br />

Epidemiologie bei M. Parkinson<br />

Genetik: Obwohl der M. Parkinson traditionell<br />

als nichtgenetische Krankheitsentität angesehen<br />

wird, wird immer klarer, dass es eine<br />

wesentliche genetische Komponente bei dieser<br />

Erkrankung gibt. In genomweiten Assoziationsstudien<br />

(GWAS) haben die Genloci<br />

MAPT und SNCA konsistente Risikoassoziationen<br />

für M. Parkinson gezeigt. BST1, GAK<br />

und LRRK2 waren auch in mehreren Studien<br />

assoziiert. Eine Metaanalyse von 5 GWAS<br />

(über 5.000 Parkinson-PatientInnen und<br />

12.000 Kontrollpersonen) mit Daten von<br />

7.689.524 Einzelnukleotidpolymorphismen<br />

(single nucleotide polymorphisms, SNP)<br />

wurde präsentiert. In weiteren 7.000 Fällen<br />

und 9.500 Kontrollen wurden signifikant assoziierte<br />

Genloci repliziert. Zusätzlich zu den<br />

bereits bekannten Loci zeigte sich eine statistisch<br />

überzeugende Evidenz für 5 weitere<br />

assoziierte Loci. Risikoprofilanalysen der 11<br />

identifizierten Loci zeigten ein 2,5-mal erhöhtes<br />

Risiko für die Erkrankung sowie ein populationsattributables<br />

Risiko von 60,3 %. Mit<br />

dieser Studie wird eine starke genetische<br />

Komponente in der Entstehung des M. Parkinson<br />

bestätigt. 1<br />

Infektionen und Umweltfaktoren: Assoziation<br />

von viralen Infektionen und Parkinson<br />

in einer Fall-Kontrollstudie: Mehr als 400 Parkinson-PatientInnen<br />

und ebenso viele Kontrollpersonen<br />

wurden bezüglich relevanter Infektionserkrankungen,<br />

Krankenstände, Kinderkrankheiten,<br />

Beruf und Exposition gegenüber<br />

Menschenansammlungen oder Tieren<br />

befragt, wobei sich eine signifikante Assoziation<br />

von Parkinson mit „schwerer Grippe“<br />

sowie beruflicher Exposition zu Katzen und<br />

Rindern zeigte. Eine umgekehrte Assoziation<br />

zeigte sich für Kinderkrankheiten, insbesondere<br />

Masern. 2<br />

Eine weitere Studie untersuchte, ob Met h -<br />

amphetaminkonsum ein erhöhtes Risiko für<br />

die Entstehung des M. Parkinson darstellt und<br />

fand ein signifikant höheres Risiko im Vergleich<br />

zu zwei alters-, rasse-, und geschlechtsgematchten<br />

Kontrollgruppen (Appendizitis,<br />

Kokainkonsumenten). Limitationen<br />

stellten die Restriktion auf nur stationäre<br />

PatientInnen und die diagnostische Validität<br />

der Klassifikation des M. Parkinson nach ICD-<br />

9 dar. 3<br />

Biomarker: Neben der klinischen Diagnose<br />

des M. Parkinson und im Hinblick auf mögliche<br />

krankheitsmodifizierende Therapien ist<br />

man ständig auf der Suche nach Biomarkern,<br />

die eine möglichst frühe Diagnose ermöglichen.<br />

Histopathologische Evidenz zeigt eine<br />

-Synuklein-Aggregation, das pathologische<br />

Korrelat des M. Parkinson, auch in Neuronen<br />

des Gastrointestinaltraktes. Eine Studie untersuchte<br />

10 nichtbehandelte Parkinson-PatientInnen<br />

im Frühstadium, 23 gesunde Kontrollpersonen<br />

sowie 23 mit entzündlichen<br />

Darmerkrankungen mittels Biopsie aus dem<br />

distalen Kolon sigmoideum. Immunhistochemische<br />

Studien zur Bestimmung von -Sy -<br />

nu klein sowie 3-NT-Immunostaining (3-nitro -<br />

tyrosine-Immunostaining), ein für oxidativen<br />

Stress sensibler Parameter, wurden durch -<br />

geführt. Alle Parkinson-PatientInnen waren<br />

-Synuklein-positiv, während sämtliche Kontrollen<br />

negativ waren. 3-NT war positiv bei<br />

87 % der Parkinson-PatientInnen, jedoch<br />

nicht spezifisch dafür. Das Fehlen von -Synuklein<br />

in der Gruppe der entzündlichen<br />

Darmerkrankungen weist darauf hin, dass<br />

dies kein Marker für inflammatorischen oder<br />

oxidativen Stress ist. 4<br />

Medikamentöse Therapie<br />

Dr. Karoline Wenzel<br />

Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität<br />

Graz<br />

Apomorphin ist als subkutan applizierter<br />

Dopaminagonist, der sehr gut bei Off-Phasen<br />

wirkt, bereits lange Zeit bekannt. Die Wirkung<br />

der neuen inhalierbaren und von PatientInnen<br />

vielleicht bevorzugten Applikationsform<br />

bei 55 fluktuierenden Parkinson-PatientInnen<br />

wurde präsentiert. Die klinische<br />

Besserung gemessen am UPDRS III war in der<br />

mit Apomorphin behandelten Gruppe (19,5<br />

Punkte) signifikant größer als in der Placebogruppe<br />

(8,1 Punkte, p = 0,023). In der<br />

Apomorphingruppe wurden 65 % der Off-<br />

Phasen erfolgreich behandelt, dagegen nur<br />

11 % in der Placebogruppe, p < 0,001). 5 u<br />

63


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Lokale, v. a. pulmonale, Langzeitnebenwirkungen<br />

sind noch nicht bekannt und werden<br />

weiter erforscht.<br />

IPX066 ist eine neue Carbidopa-Levodopa-<br />

Retard-Formulation, die bei 381 nicht mit L-<br />

Dopa vorbehandelten Parkinson-PatientInnen<br />

in einer randomisierten, placebokontrollierten<br />

Studie getestet wurde. Alle Dosisstufen<br />

(300, 500 oder 800 mg) waren Placebo im<br />

UPDRS Teil II und III hoch signifikant überlegen<br />

(p < 0,0001), in der Clinical Global Impression<br />

Scale verbesserten sich 72 % in der<br />

IPX066-Gruppe vs. 27 % in der Placebo-<br />

Gruppe (p < 0,0001), ähnliche Ergebnisse<br />

lagen auch bei den anderen Endpunkten vor.<br />

Unerwünschte Ereignisse waren in den Behandlungsgruppen<br />

und der Placebogruppe<br />

gleich, lediglich in der niedrigsten Dosisgruppe<br />

etwas niedriger. Insgesamt zeigten sich<br />

ein Benefit für die PatientInnen und eine gute<br />

Verträglichkeit über die gesamte Studiendauer<br />

von 30 Wochen. 6<br />

Therapiekomplikation: Eine bisher noch<br />

nicht systematisch untersuchte Therapiekomplikation<br />

bei der Parkinson-Krankheit ist das<br />

Dopaminagonisten-Entzugssyndrom (DAWS,<br />

dopamine agonist withdrawal syndrome).<br />

Pondal et al. untersuchten retrospektiv 487<br />

Krankenakten einer Parkinson-Spezialabteilung.<br />

Sie fanden 297 PatientInnen unter DA-<br />

Therapie, davon mussten 98 die Therapie beenden.<br />

Von 84 auswertbaren PatientInnen erfüllten<br />

13 (15,5 %) die Kriterien für ein<br />

DAWS. Der Grund für das Absetzen der DA<br />

bei den DAWS-PatientInnen war bei allen<br />

(100 % ) eine Impulskontrollstörung (ICD) im<br />

Vergleich zu 41 % bei denjenigen ohne<br />

DAWS (p < 0,0001). Die übrigen demografischen<br />

Eigenschaften waren in beiden Gruppen<br />

ähnlich. Bei den PatientInnen mit Impulskontrollstörungen<br />

mit (n = 13) oder ohne<br />

(n = 29) DAWS wurden folgende Parameter<br />

näher untersucht: Geschwindigkeit des Entzugs,<br />

früheres Auftreten von ICD mit DA,<br />

Therapie mit Benzodiazepinen, atypischen<br />

Antipsychotika, Antidepressiva, ICD-Typ und<br />

Dauer vor DA-Entzug. Höhere L-Dopa-Dosen<br />

und Rauchen waren häufiger in der DAWS-<br />

Gruppe, zwischen den verschiedenen Dopaminagonisten<br />

gab es keine Unterschiede.<br />

Zusammenfassend sind Impulskontrollstörungen<br />

ein guter Prädiktor für die Entwicklung<br />

eines DAWS, eine höhere L-Dopa-Dosis sowie<br />

Rauchen erhöhen in dieser Population das<br />

Risiko noch weiter. Die meisten PatientInnen<br />

(61 %) erholten sich innerhalb von 6 Monaten,<br />

wenige waren länger betroffen (23 %)<br />

oder mussten wieder mit DA behandelt werden<br />

(15 %). 7<br />

Neben den zusammengefassten Beiträgen<br />

wurden sehr viele wissenschaftliche Beiträge<br />

präsentiert, die auf eine außerordentliche Aktivität<br />

im Bereich der Parkinson-Forschung<br />

zeigt. Mit Spannung kann der MDS-Kongress<br />

2012 in Dublin erwartet werden. n<br />

1 Wood N, Meta-analysis of imputed sequence variants<br />

reveals extensive and novel genetic risk for Parkinson’s<br />

disease; late-braking abstract 2<br />

2 Harris MA et al., Associations between viral infections<br />

and Parkinson’s disease in a case-control study; P154<br />

3 Callaghan RC et al., Are individuals with methamphe -<br />

tamine-use disorders at higher than normal risk for<br />

developing PD? P149<br />

4 Shannon KM et al., Alpha-synuclein in colonic sub -<br />

mucosa in early untreated parkinson’s disease; P777<br />

5 Grosset KA et al., Inhaled apomorphine (VR040) for ’off’<br />

periods in PD; P385<br />

6 Pahwa R et al., Efficacy and safety of IPX066, a new<br />

carbidopa-levodopa (CD-LD) extended-release formu -<br />

lation, in LD-naive early PD (APEX-PD trial); P407<br />

7 Pondal M et al., Clinical features of dopamine agonist<br />

withdrawal syndrome (DAWS) in a movement disorder<br />

clinic; P333<br />

Die Glanzlichter der Nicht-Parkinson-Themen<br />

Die Plenarsitzungen beim diesjährigen Movement-Disorders-Kongress befassten sich mit Themen rund um den<br />

Morbus Parkinson. Für Neuigkeiten aus dem Nicht-Parkinson-Bereich sorgten daher vor allem die Posterpräsentationen.<br />

Im Anschluss werden drei der aus meiner Sicht interessantesten Präsentationen beschrieben.<br />

Mb. Huntington<br />

Dr. Petra Schwingenschuh<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Graz<br />

Die Huntington-Erkrankung wird autosomaldominant<br />

vererbt und durch eine CAG-Expansion<br />

im Huntingtin-Gen auf dem kurzen<br />

Arm von Chromosom 4 (Locus 4p16.3) verursacht.<br />

Bei gesunden Menschen wiederholt<br />

sich das Basentriplett CAG circa 9 bis 35 Mal.<br />

Eine CAG-Blockexpansion > 39 im Huntingtin-Gen<br />

bestätigt die Diagnose; bei einem Befund<br />

zwischen 36 und 39 liegt eine eingeschränkte<br />

Penetranz vor. Obwohl der klassische<br />

Erkrankungsbeginn zwischen 30–40<br />

Jahren liegt, gibt es diesbezüglich eine große<br />

Streubreite (1.–7. Dekade und länger). Statis -<br />

tisch betrachtet gilt: je länger die CAG-Expansion,<br />

desto früher der Krankheitsbeginn.<br />

Auf das Individuum bezogen ist die Länge<br />

der CAG-Wiederholungen jedoch nur zu 60 %<br />

für die Varianz bezüglich des Erkrankungsbeginns<br />

verantwortlich, und man vermutet,<br />

dass die restlichen 40 % durch genetische<br />

64


FOTO: PETRA SCHWINGENSCHUH<br />

Kofaktoren sowie Umweltfaktoren beeinflusst<br />

werden.<br />

C. Duru et al. (Amiens, Frankreich) untersuchten<br />

in einer Studie an 80 Huntington-<br />

PatientInnen, ob Koffein das Erkrankungsalter<br />

beeinflusst. 1 Koffein ist ein nichtselektiver<br />

Antagonist an A2-Adenosin-Rezeptoren<br />

(A2A-Rezeptoren), die selektiv an „medium<br />

spiny neurons“ im Striatum lokalisiert sind,<br />

welche die vulnerabelsten Zellen bei der Huntington-Erkrankung<br />

repräsentieren. Die AutorInnen<br />

erhoben mittels Fragebogen Daten<br />

zu Koffeinkonsum, Alkoholkonsum und<br />

Rauchgewohnheiten der letzten 10 Jahre.<br />

Nach Korrektur für CAG-Wiederholungen<br />

und Rauchen fand sich, dass PatientInnen mit<br />

hohem Koffeinkonsum (> 185 mg/Tag oder<br />

> 2 Tassen Kaffee/Tag) einen um vier Jahre<br />

früheren Erkrankungsbeginn (Durchschnittsalter<br />

45,4 Jahre) haben als PatientInnen mit<br />

geringem Koffeinkonsum (< 185 mg/Tag)<br />

(Durchschnittsalter 49,5 Jahre). Die AutorInnen<br />

schlussfolgerten, dass Koffeinkonsum<br />

einen das Erkrankungsalter modifizierenden<br />

Umweltfaktor darstellt. Adenosin-Rezeptoren<br />

dürften somit in der Pathophysiologie der<br />

Huntington-Erkrankung eine Rolle spielen<br />

und könnten zukünftig auch für die Entwicklung<br />

neuer Therapiestrategien relevant sein. 1<br />

Musikerdystonie<br />

A. Schmidt (Lübeck, Deutschland) präsentierte<br />

im Rahmen seiner „Junior Award Lecture“<br />

die Ergebnisse einer aktuellen Studie zum<br />

phänotypischen Spektrum der Musiker-Dystonie.<br />

2 Die Musikerdystonie wurde bislang als<br />

sporadisch auftretende Bewegungsstörung<br />

angesehen, die sich in der Regel nur während<br />

des Spielens eines Instrumentes zeigt. Es<br />

wurde jedoch kürzlich eine familiäre und individuelle<br />

Häufung verschiedener Dystonieformen<br />

in 28 Familien von PatientInnen mit<br />

Musikerdystonien beschrieben.<br />

Daher untersuchten Schmidt et al. nun das<br />

phänotypische Spektrum der Musikerdystonie<br />

und assoziierter Phänotypen. Die <strong>neurologisch</strong>e<br />

Untersuchung und videobasierte Begutachtung<br />

von 116 PatientInnen mit Musikerdystonie<br />

ergab bei 56 % eine einfache (=<br />

nur am Instrument auftretende) Musikerdystonie,<br />

während bei 44 % eine komplexe Musikerdystonie<br />

(zusätzlich vorhandene Dystonie<br />

oder Tremor im gleichen oder anderen<br />

Körperteilen) diagnostiziert wurde.<br />

Als Risikofaktoren für das Auftreten einer<br />

komplexen Musikerdystonie wurden positive<br />

Familienanamnese für Bewegungsstörungen<br />

sowie Vorhandensein einer Musikerdystonie<br />

an einer oberen Extremität identifiziert. Die<br />

AutorInnen schlussfolgerten, dass dieses Ergebnis<br />

– zusammen mit der rezenten Identifizierung<br />

von 22 Angehörigen mit verschiedenen<br />

Bewegungsstörungen in den Familien<br />

von 28 PatientInnen mit Musikerdystonie –<br />

auf eine hereditäre Komponente bei der Entstehung<br />

der Musikerdystonie hinweist, mit<br />

unterschiedlicher phänotypischer Ausprägung.<br />

2<br />

Essenzieller Tremor<br />

Der essenzielle Tremor stellt eine der häufigsten<br />

Bewegungsstörungen dar und betrifft<br />

0,4–3,9 % der Gesamtbevölkerung. Der Tremor<br />

spricht teils gut auf medikamentöse Therapie<br />

wie Propranolol und Primidon an, jedoch<br />

sind beide Präparate häufig durch Nebenwirkungen<br />

gekennzeichnet, besonders bei älteren<br />

PatientInnen. Zusätzlich kommt es bei<br />

einem signifikanten Anteil an PatientInnen<br />

aufgrund des progredienten Krankheitsverlaufs<br />

trotz medikamentöser Therapie zu einer<br />

behindernden Tremorintensität. Die Einnahme<br />

von Alkohol führt zu einer signifikanten Reduktion<br />

des Tremors bei ca. 70 % der PatientInnen<br />

mit essenziellem Tremor. Aufgrund<br />

des akuten und chronischen toxischen Effekts<br />

von Alkohol kann diese Substanz verständlicherweise<br />

nicht als symp tomatische Therapie<br />

bei ET empfohlen werden.<br />

Octansäure ist ein endogener Metabolit des<br />

langkettigen Alkohols Octanol. D Haubenberger<br />

(Bethesda, USA; Wien, Österreich)<br />

präsentierte im Rahmen einer geführten Postersitzung<br />

seine viel versprechenden Daten<br />

zur Sicherheit und Effektivität von Octansäure<br />

zur Behandlung des essenziellen Tremors. 3 Im<br />

Rahmen einer doppelblinden placebokontrollierten<br />

Cross-over-Studie wurde die Wirkung<br />

einer einzelnen oralen Dosis von Octansäure<br />

(4 mg/kg) an 19 PatientInnen mit essenziellem<br />

Tremor getestet. 80 Minuten nach Einnahme<br />

(primärer Endpunkt) trat keine signifikant<br />

bessere Tremorlinderung als unter Placebo<br />

auf. Nach 150 Minuten bestand jedoch<br />

bereits ein positiver Trend, und zu den Messzeitpunkten<br />

180 und 300 Minuten nach Einnahme<br />

von Octansäure fand sich jeweils eine<br />

statistisch signifikante Abnahme der Tremoramplitude.<br />

Die Verabreichung von Octansäure<br />

war sicher und wurde gut toleriert. n<br />

1 Duru C, Simonin C, Richard F et al., Caffeine is a<br />

modifier of age at onset in Huntington’s disease.<br />

Mov Disord 2011; Vol. 26, Suppl. 2 (A180)<br />

2 Schmidt A, Jabusch HC, Altenmüller E et al., Phenotypic<br />

spectrum of musician’s dystonia: A task-specific<br />

disorder? Mov Disord 2011; Vol. 26, Suppl. 2 (A680)<br />

3 Haubenberger D, McCrossin GJ, Auh S et al., Safety and<br />

efficacy of octanoic acid in the treatment of essential<br />

tremor. Mov Disord 2011; Vol. 26, Suppl. 2 (A1131)<br />

65


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

20. European Stroke Conference (ESC)<br />

in Hamburg<br />

Die ESC feierte heuer in<br />

der Hansestadt Hamburg<br />

ihr 20-jähriges Jubiläum<br />

und bot den über 3000 Teil -<br />

nehmerInnen aus 85 ver -<br />

schiedenen Nationen mit<br />

einem vielfältigen Programm<br />

aus knapp 1200 Präsenta<br />

tionen eine breite Auswahl<br />

im Bereich der vaskulären<br />

<strong>Neurologie</strong>.<br />

NNach der Eröffnungszeremonie und einer imposanten<br />

Aufführung des weltbekannten<br />

Hamburger Balletts kam ESC-Gründer Michael<br />

Hennerici zu Wort und blickte auf die letzten<br />

20 Jahre der Europäischen Schlaganfallforschung<br />

zurück. Im Anschluss wurde dem<br />

in Zell am See gebürtigen Österreicher Wolf-<br />

Dieter Heiss, Köln, der renommierte Wepfer<br />

Award für seine außerordentlichen Leistungen<br />

auf dem Gebiet der funktionellen Bildgebung<br />

mittels PET und deren Beitrag zum<br />

Verständnis der zerebralen Hämodynamik<br />

und des Penumbra-Konzepts verliehen.<br />

Schlaganfall<br />

und Vorhofflimmern<br />

Ein Kernstück des diesjährigen Kongresses<br />

bildete die Sitzung „Large Clinical Trials“, die<br />

Dr. Thomas Gattringer<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Graz<br />

zum größten Teil Studien zur Prävention kardioembolischer<br />

Schlaganfälle unter Einsatz<br />

neuer antikoagulatorischer und antithrombotischer<br />

Medikamente gewidmet war. Aufgrund<br />

bereits mehrfacher und rezenter Vorstellung<br />

der neuen Substanzen Dabigatran,<br />

Rivaroxaban und Apixaban in den letzten<br />

Ausgaben von <strong>neurologisch</strong> soll an dieser<br />

Stelle auf eine detaillierte Darstellung verzichtet<br />

werden.<br />

FOTO: UWE URBAS - FOTOLIA.COM<br />

66


Die viel versprechenden Ergebnisse der RE-<br />

LY-Studie (Dabigatran), ROCKET-AF-Studie<br />

(Rivaroxaban) sowie der AVERROES-Studie<br />

(Apixaban) werden jedenfalls Anlass geben,<br />

bisherige Therapiestrategien zur Sekundärprophylaxe<br />

von Schlaganfällen/TIA bei Vorhofflimmern<br />

kritisch zu überdenken. Insbesondere<br />

die noch immer übliche Verabreichung<br />

von Aspirin bei PatientInnen mit<br />

Kontraindikationen für eine orale Antikoagulation<br />

dürfte damit bald der Geschichte angehören.<br />

In diesem Zusammenhang merkte der Kardiologe<br />

Michael Ezekowitz aus Wynnewood,<br />

USA, auch kritisch an, dass InternistInnen wie<br />

NeurologInnen in der täglichen Praxis noch<br />

immer vielen PatientInnen mit klarer Indikation<br />

eine orale Antikoagulation vorenthalten.<br />

Als Grund dafür bezeichnete er das Überwiegen<br />

der Angst vor iatrogener Schädigung<br />

(Blutungskomplikation) gegenüber dem in<br />

den Köpfen vieler ÄrztInnen weniger verankerten<br />

Vertrauen in eine evidenzbasierte Verhinderung<br />

kardioembolischer Ereignisse.<br />

Weiters wurde hervorgehoben, dass auch<br />

kurze (paroxysmale) Episoden von Vorhofflimmern<br />

eine große klinische Bedeutung für Kardioembolien<br />

darstellen. Wiederholte EKG-<br />

Langzeit-Analysen in Form von mehrmaligen<br />

24-Stunden-EKG oder kontinuierliches Monitoring<br />

mittels automatisierter Algorithmen<br />

bzw. implantierter Eventrecorder sollten deshalb<br />

vermehrt eingesetzt werden, um die<br />

Wahrscheinlichkeit der Detektion eines paroxysmalen<br />

Vorhofflimmerns zu erhöhen und<br />

somit eine beeinflussbare Schlaganfallursache<br />

ausfindig machen zu können.<br />

Blutdrucksenkung<br />

im akuten Schlaganfall<br />

In der doppelblinden, placebokontrollierten,<br />

multizentrischen SCAST-Studie 1 (The Scandinavian<br />

Acute Stroke Trial), der bis dato größten<br />

Studie zum Blutdruckmanagement beim<br />

akuten Schlaganfall (n = 2029), wurde untersucht,<br />

inwieweit PatientInnen mit akutem<br />

ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfall<br />

und erhöhtem Blutdruck (> 140 mmHg<br />

systolisch) von einer frühzeitigen Blutdrucksenkung<br />

mit dem Angiotensin-Rezeptor-Blo -<br />

cker (ARB) Candesartan profitieren.<br />

Als Grundlage diente die 2003 in Stroke publizierte<br />

ACCESS-Studie, die bei knapp 350<br />

PatientInnen einen Benefit von Candesartan<br />

hinsichtlich Reduktion von vaskulären Ereignissen<br />

und Tod in der ersten Woche nach<br />

zerebrovaskulärem Ereignis zeigte, sowie Arbeiten<br />

über potenzielle neuroprotektive Effekte<br />

von ARB.<br />

Als Endpunkte wurden einerseits vaskulärer<br />

Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall in den<br />

ersten 6 Monaten sowie andererseits das<br />

funktionelle Outcome (gemessen am modified<br />

Rankin-Score, mRS) ein halbes Jahr nach<br />

dem initialen Event gewählt. Die Ergebnisse<br />

dieser mittlerweile in Lancet erschienen Arbeit<br />

wurden von der Erstautorin Else Charlotte<br />

Sandset, Oslo, berichtet: Der mittlere<br />

blutdrucksenkende Effekt von Candesartan<br />

nach einer Woche war 5 mmHg (p < 0,0001)<br />

systolisch sowie 2 mmHg (p = 0,001) diastolisch.<br />

Bezüglich beider Endpunkte ergab sich<br />

kein signifikanter Vorteil von Candesartan,<br />

sondern sogar ein etwas schlechteres funktionelles<br />

Outcome nach 6 Monaten und eine<br />

höheren Rate an Gesamtevents (inklusive Tod<br />

jeglicher Ursache) in der Verum-Gruppe.<br />

Damit bleibt die Frage des optimalen Blutdruckmanagement<br />

nach Schlaganfall weiter<br />

ungeklärt. Interessant ist, dass sich in der<br />

SCAST-Studie auch keine Unterschiede im<br />

Verhalten auf die Therapie zwischen ischämischem<br />

und hämorrhagischem Schlaganfall<br />

zeigten. Dieses Ergebnis ist allerdings mit Vorsicht<br />

zu interpretieren, da die Gruppe mit hämorrhagischem<br />

Schlaganfall aus nur 274 PatientInnen<br />

bestand. Man wird also auf die<br />

Ergebnisse der gerade laufenden INTERACT2-<br />

Studie warten müssen, um mehr über das<br />

richtige Blutdruckmanagement bei PatientInnen<br />

mit intrazerebraler Blutung aussagen zu<br />

können.<br />

Fluoxetin und motorische<br />

Rehabilitation nach Schlaganfall<br />

Ein weiterer interessanter Beitrag von François<br />

Chollet aus Toulouse beschäftigte sich<br />

mit dem Effekt des selektiven Serotonin-<br />

Reuptake-Inhibitors Fluoxetin auf das motorische<br />

System in der Neurorehabilitation nach<br />

Schlaganfall. Die AutorInnen der so genannten<br />

FLAME-Studie 2 (Fluoxetin for motorrecovery<br />

after acute ischemic stroke) konnten in<br />

dieser placebokontrollierten Untersuchung<br />

an knapp 120 PatientInnen zeigen, dass eine<br />

frühe Gabe von 20 mg Fluoxetin (5 bis 10<br />

Tage nach ischämischem Schlaganfall mit Hemiparese<br />

bis -plegie) zusätzlich zu etablierten<br />

neurorehabilitativen Maßnahmen die motorische<br />

Funktion – gemessen anhand der Fugl-<br />

Meyer Motor Scale und des motorischen Teils<br />

des NIHSS – nach 3 Monaten signifikant verbessern<br />

konnte.<br />

Mögliche Erklärungsversuche stützen sich auf<br />

tierexperimentelle Daten sowie kleine fMRI-<br />

Studien, die einen positiven Effekt der kurzfristigen<br />

Gaben von SSRI auf die neuronale<br />

Plastizität und im Speziellen auf das motorische<br />

System illustrieren konnten. Dennoch<br />

muss an dieser Stelle auch der antidepressive<br />

Mechanismus und die damit assoziierte vermehrte<br />

Aufmerksamkeit und Zugänglichkeit<br />

für neurorehabilitative Interventionen als<br />

mögliche Begründung mit bedacht werden.<br />

So war eine Depression in der Fluoxetin-<br />

Gruppe nach 3 Monaten signifikant weniger<br />

häufig als in der Vergleichsgruppe.<br />

Prävalenz unrupturierter<br />

intrakranieller Aneurysmen<br />

Monique Vlak aus Utrecht, Niederlande, eine<br />

der GewinnerInnen des „Young Investigator<br />

Awards“, präsentierte eine aktuelle, kürzlich<br />

in Lancet Neurology publizierte Metaanalyse 3<br />

zum Thema Prävalenz unrupturierter intrakranieller<br />

Aneurysmen. Angesichts der zunehmenden<br />

Verfügbarkeit nichtinvasiver bildgebender<br />

Modalitäten zur Gefäßdarstellung<br />

und der damit einhergehenden vermehrten<br />

Detektion inzidenteller Gefäßveränderungen<br />

(v. a. Aneurysmen) ist dies eine klinisch mittlerweile<br />

sehr relevante Fragestellung.<br />

Insgesamt wurden in dieser Übersichtsarbeit<br />

68 Studien mit ca. 95.000 PatientInnen berücksichtigt.<br />

Davon wiesen 1450 ein inzidentelles<br />

unrupturiertes Aneurysma auf. Vlak<br />

konnte zeigen, dass die Prävalenz in einer u<br />

67


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Population ohne Komorbiditäten bei 3,2 %<br />

liegt, während bei PatientInnen mit autosomal<br />

dominanter polyzystischer Nierenerkrankung<br />

(6,9 %) mit einer mehr als doppelt so<br />

großen Häufigkeit zu rechnen ist. Bei PatientInnen<br />

mit einer positiven Familienanamnese<br />

für intrakranielle Aneurysmen bzw. Subarachnoidalblutungen<br />

(3,4 %) war die Prävalenz<br />

demgegenüber nur gering erhöht. Die Prävalenz<br />

unrupturierter intrakranieller Aneurysmen<br />

war zudem signifikant höher bei Personen<br />

über 30 Jahre sowie bei Frauen. Beim<br />

weiblichen Geschlecht fand sich ein besonderer<br />

Prävalenzanstieg im Alter über 50 Jahren<br />

– ein Umstand, der möglicherweise auf<br />

hormonelle Einflüsse hindeuten könnte.<br />

Ein weiterer interessanter Aspekt dieser Studie<br />

bezieht sich auf Ergebnisse in Japan und<br />

Finnland, zwei Länder mit einer bekannten<br />

höheren Rate für Subarachnoidalblutungen.<br />

So war in diesen beiden Ländern die Prävalenz<br />

unrupturierter Aneurysmen nicht höher,<br />

was den Rückschluss nahe legt, dass hier per<br />

se ein erhöhtes Rupturrisiko vorliegt und dass<br />

weitere Studien auf spezielle rupturfördernde<br />

Risikofaktoren in Japan und Finnland fokussieren<br />

sollten.<br />

Thrombolytische Therapie<br />

mit Tenecteplase<br />

Mark Parsons aus Newcastle, Australien, stellte<br />

mit dem genetisch modifizierten und durch<br />

eine längere Halbwertzeit gekennzeichneten<br />

rt-PA-Abkömmling Tenecteplase eine vielversprechende<br />

neue thrombolytische Substanz<br />

vor, die sich vor allem durch eine höhere Fibrin-Spezifität<br />

hervorhebt. PatientInnen mit<br />

akuter zerebraler Ischämie und einem Gefäßverschluss<br />

sowie einem Perfusionsdefizit –<br />

dargestellt mittels multimodalem CT – wurden<br />

innerhalb des Zeitfensters von bis zu<br />

6 Stunden randomisiert entweder mit<br />

0,1 mg/kg KG Tenecteplase (n = 50) oder<br />

0,9 mg/kg KG rt-PA (n = 25) behandelt.<br />

Alle PatientInnen hatten nach 24 Stunden<br />

eine Follow-up-Bildgebung (Gefäß- sowie<br />

Perfusionsbildgebung). Dabei zeigte sich eine<br />

signifikant bessere Reperfusionsrate in der Tenecteplase-Gruppe<br />

(77,5 % versus 55,4 %;<br />

p = 0,0097). Weiters ließ die neue Substanz<br />

einen signifikanten Vorteil bezüglich NIHSS<br />

sowie mRS nach 3 Monaten erkennen.<br />

In den Sicherheitsanalysen (intrazerebrale<br />

Blutungen, Tod oder schwere Behinderung<br />

an Tag 90) ergaben sich keine signifikanten<br />

Unterschiede zwischen den beiden Substanzen.<br />

Vielversprechende Ergebnisse also, die<br />

nach Replikation in einer größeren PatientInnengruppe<br />

auf eine neue wirksame thrombolytische<br />

Substanz hoffen lassen!<br />

Österreichische Beiträge<br />

Auch 16 österreichische Beiträge wurden<br />

vom ESC-Komitee für freie Vorträge und Pos -<br />

terpräsentationen ausgewählt, von denen<br />

nur 2 herausgegriffen werden sollen.<br />

Karl Matz, Krems, stellte in seinem Vortrag<br />

Risikofaktoren für die Entwicklung einer<br />

schlaganfallassoziierten Pneumonie (poststroke<br />

pneumonia) an österreichischen Stroke<br />

Units vor. Von über 46.000 PatientInnen, die<br />

von 2004 bis 2010 an einer Stroke Unit (innerhalb<br />

des österreichischen Stroke Unit<br />

Registers) behandelt wurden, entwickelten<br />

2605 PatientInnen (5,7 %) eine Pneumonie.<br />

Neben Faktoren wie höherem Alter, initialem<br />

NIHSS, wiederkehrendem oder progressivem<br />

Schlaganfall, kardialen Arrhythmien und weiteren<br />

Infektionen zeigte vor allem die Anlage<br />

einer nasogastralen Sonde (NGS) die höchste<br />

Odds-Ratio für eine assoziierte Pneumonie.<br />

Die AutorInnen schließen daraus, dass eine<br />

enterale Ernährung mittels NGS keine zuverlässige<br />

präventive Maßnahme einer (Aspirations-)Pneumonie<br />

darstellt.<br />

Daniel Flöry aus Linz legte in seinem Vortrag<br />

in der Sitzung „Brain Imaging“ dar, wie die<br />

MR-Perfusionsbildgebung in der Differenzialdiagnose<br />

von akuten zerebralen Ischämien<br />

zu schlaganfallimitierenden Migräneattacken<br />

(akute hemiplegische Migräne) hilfreich eingesetzt<br />

werden kann. In einer retrospektiven<br />

Analyse identifizierte er derart 20 Migräne-<br />

PatientInnen, bei denen ein charakteristisches<br />

Muster der Hypoperfusion, das nicht an vorgegebene<br />

vaskuläre Territorien gebunden<br />

war, nachgewiesen werden konnte. Dabei<br />

zeigte sich vor allem eine Prädominanz für<br />

das Posteriorstromgebiet.<br />

Fazit<br />

Zusammenfassend lässt sich auf einen spannenden,<br />

abwechslungsreichen Kongress zurückblicken,<br />

in dem vor allem neue Substanzen<br />

und neue intensivierte Strategien zur<br />

Behandlung bzw. Detektion von Vorhofflimmern<br />

im Vordergrund standen. Gespannt<br />

darf man der 21. Jahrestagung nächstes Jahr<br />

in Lissabon, Portugal, entgegenblicken und<br />

hoffen, dass sich weiterhin eine derartige<br />

Dynamik in der Schlaganfallforschung fortsetz.<br />

n<br />

1 Sandset EC, Bath PM, Boysen G, Jatuzis D, Kõrv J,<br />

Lüders S, Murray GD, Richter PS, Roine RO, Terént A,<br />

Thijs V, Berge E, SCAST Study Group. The angiotensinreceptor<br />

blocker candesartan for treatment of acute<br />

stroke (SCAST): a randomised, placebo-controlled,<br />

double-blind trial. Lancet 2011; 377(9767):741–50<br />

2 Chollet F, Tardy J, Albucher JF, Thalamas C, Berard E,<br />

Lamy C, Bejot Y, Deltour S, Jaillard A, Niclot P, Guillon B,<br />

Moulin T, Marque P, Pariente J, Arnaud C, Loubinoux I,<br />

Fluoxetine for motor recovery after acute ischaemic<br />

stroke (FLAME): a randomised placebo-controlled trial.<br />

Lancet Neurol 2011; 10(2):123–30<br />

3 Vlak MH, Algra A, Brandenburg R, Rinkel GJ, Prevalence<br />

of unruptured intracranial aneurysms, with emphasis on<br />

sex, age, comorbidity, country, and time period: a sys -<br />

tematic review and meta-analysis. Lancet Neurol 2011;<br />

10(7):626–36<br />

68


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

International Conference on Alzheimer’s<br />

Disease (ICAD, Paris, 2011)<br />

Die ICAD fand im Juli in Paris statt.<br />

Es wurden dieses Jahr Beiträge<br />

zum Thema Prävention, Diagnostik<br />

und Therapiemöglichkeiten<br />

gebracht. Aufgrund der steigenden<br />

Prävalenz der Erkrankung – laut<br />

Prognosen werden 2030 bereits<br />

63 Millionen und im Jahr 2050<br />

sogar 114 Millionen Menschen<br />

weltweit betroffen sein 1 – hielt<br />

auch der Präsident Frankreichs,<br />

Nicolas Sarkozy, eine Rede zu<br />

diesem Thema und über die<br />

zukünftig größere Unterstützung<br />

der Forschung auf diesem Gebiet.<br />

In diesem Artikel werden<br />

Schwerpunkte der ICAD 2011<br />

präsentiert.<br />

Neue Amyloid--Liganden<br />

und PET<br />

Dr. Evelyn Sieczkowski,<br />

Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Wien<br />

FOTO: FOTOLIA XXV - FOTOLIA.COM<br />

In der Alzheimer-Pathologie werden drei Vorgänge<br />

unterschieden: der Amyloid-Dysmetabolismus,<br />

der zur Plaqueformation führt, die<br />

Formation neurofibrillärer Bündel sowie letztlich<br />

der Verlust von Neuronen, Synapsen und<br />

Dendriten 2 . Ob diese qualitativ unterschiedlichen<br />

Pathologien gleichzeitig oder aufeinander<br />

folgend entstehen, ist heute nur zum<br />

Teil bekannt. Deshalb ist es wichtig, verschiedene<br />

bildgebende Modalitäten zu entwickeln<br />

– als In-vivo-Indikator für Alzheimer-spezifische<br />

Veränderungen; nicht nur um diese<br />

komplexen pathologischen Prozesse zu verstehen<br />

und neue therapeutische Möglichkeiten<br />

zu entwickeln, sondern auch um diese<br />

Erkrankung möglichst früh zu erkennen.<br />

Die Positronenemissionstomographie (PET)<br />

mit Liganden, die spezifisch an Amyloid-<br />

binden, wird einen bedeutenden Stellenwert<br />

in der Früherkennung der Alzheimer-Demenz<br />

(AD) einnehmen. Der erste Ligand, mit dem<br />

bereits etliche Studien erfolgen, ist der 11 C-<br />

markierte PET-Tracer PiB (Pittsburgh compound<br />

B), der mit hoher Affinität an Amyloid-<br />

bindet. Der limitierende Faktor für eine<br />

verbreitete klinische Anwendung ist die kurze<br />

Halbwertszeit des 11 C PiB (20 min), die das<br />

Vorhandensein eines Zyklotrons vor Ort voraussetzt.<br />

Es wurden in weiterer Folge 18 F-markierte Tracer<br />

entwickelt, die mit einer Halbwertszeit<br />

von 110 Minuten einen klaren Vorteil haben.<br />

Zurzeit gibt es Flutemetamol, Florbetaben<br />

und Florbetapir, die eine hohe Affinität zu<br />

Amyloid- aufweisen. Es konnte mit Florbetapir<br />

ein signifikanter Unterschied in der u<br />

69


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Menge an Amyloid bei PatientInnen mit Alzheimer-Demenz<br />

im Vergleich zu altersentsprechenden<br />

Kontrollpersonen gezeigt werden.<br />

96 % der PatientInnen, die eine positive<br />

Florbetapir-PET hatten, erfüllten post mortem<br />

auch die pathologischen Kriterien einer Alzheimer-Demenz.<br />

Weiters korrelierte die regionale<br />

PET-Amyloidlast mit immunhistochemischen<br />

Parametern 3 .<br />

Florbetaben wiederum bietet eine langsame<br />

Eliminationskinetik, die ein längeres Zeitfenster<br />

für PET-Aufnahmen ermöglicht. In der<br />

größten Phase-II-Studie lag die diagnostische<br />

Sensitivität bei 80 % und die Spezifität bei<br />

91 % 4 . Eine aktuell laufende Phase-III-Studie<br />

soll die Wertigkeit des 18 F-Florbetaben-PET<br />

gemessen am Goldstandard der histopathologischen<br />

Bestimmung des Amyloid- zeigen.<br />

Veränderungen der Amyloid--Konzentrationen<br />

im Gehirn finden bereits initial in noch<br />

nicht symptomatischen Stadien der Erkrankung<br />

statt. Deshalb eignet sich für die Früherkennung<br />

gerade das PET mit Liganden, die<br />

offenbar eine hohe Sensitivität bieten. Zurzeit<br />

dient das PET mit Amyloid--Liganden zahlreichen<br />

Studien zum Wirknachweis von Medikamenten/Antikörper<br />

gegen Amyloid-.<br />

Krankheitsmodifizierende<br />

Therapien<br />

Die derzeit für die Therapie der Alzheimer-<br />

Demenz eingesetzten zwei Substanzklassen<br />

wirken hauptsächlich symptomatisch. Das<br />

Hauptaugenmerk der derzeitigen Forschung<br />

liegt auf der Entwicklung krankheitsmodifizierender<br />

Therapeutika, welche die Entstehung<br />

der Pathologie beeinflussen sollen.<br />

Zahlreiche randomisierte Studien mit Cho -<br />

linesterase-Inhibitoren in verschiedenen Stadien<br />

der AD belegen einen eindeutigen Benefit<br />

im Vergleich zu Placebo in Bezug auf<br />

kognitive Defizite sowie die Verbesserung der<br />

ADL (activities of daily living) 5, 6 .<br />

Es gibt zudem starke Hinweise aus experimentellen<br />

Studien, die zeigen, dass Cholin -<br />

esterase-Inhibitoren, wie Galantamin die Akkumulation<br />

von Amyloid- in kultivierten<br />

Neuronen sowie die A1-40-induzierte<br />

Apoptose reduzieren 7 . In einer Studie, in der<br />

Tab.: Übersicht über derzeit laufende Studien<br />

Colostrinin Hemmung der A-Aggregation Phase II<br />

Scyllo-Inositol (AZD103) Hemmung der A-Aggregation Phase II<br />

Bapineuzumab A – passive Immunisierung Phase III<br />

LY2062430 A – passive Immunisierung Phase III<br />

Simvastatin Cholesterinreduktion Phase III<br />

MTC (Rember) Hemmung der Tau-Aggregation Phase II<br />

Clioquinol<br />

hemmt Zink- und Kupferbindung an A Phase II<br />

12 PatientInnen mit Lewy-Body-Demenz mit<br />

und ohne Cholinesterase-Therapie verglichen<br />

wurden, konnte post mortem 68 % weniger<br />

parenchymale Amyloidakkumulation in der<br />

Gruppe mit Cholinesterase-Therapie nachgewiesen<br />

werden. Dieser Effekt lässt stark vermuten,<br />

dass diese Substanzklasse neben<br />

einer symptomatischen auch eine krankheitsmodifizierende<br />

Wirkung aufweist 8 .<br />

Auch bei Memantin, einem NMDA-Antagonisten,<br />

wird eine mögliche krankheitsmodifizierende<br />

Wirkung postuliert. Eine longitudinale<br />

Untersuchung konnte zeigen, dass unter<br />

der Therapie mit Memantin die Phosphorylierung<br />

des Tau-Proteins im Liquor signifikant<br />

abnahm 9 . Eine Metaanalyse mit 3 Studien,<br />

welche Memantin bei milder AD untersuchten,<br />

zeigte keinen Benefit bei der milden AD<br />

und eine wenig zufrieden stellende Wirkung<br />

in der mittelschweren AD 10 . Im Gegensatz<br />

dazu konnte eine Metaanalyse mit 3 randomisierten,<br />

placebokontrollierten Studien mit<br />

Memantin bei Patienten mit mittelschwerer<br />

bis schwerer AD verglichen mit Placebo bzw.<br />

einer bereits vorbestehenden Therapie mit<br />

Donepezil nach 6 Monaten einen signifikanten<br />

positiven Effekt in Bezug auf kognitive<br />

Funktionen, ADL sowie der CIBIC (clinical<br />

impression of change) nachweisen 11 .<br />

Krankheitsmodifizierende Medikamente sollen<br />

direkt in die Entstehung der Pathologie<br />

eingreifen und somit z. B. die Akkumulation<br />

von extrazellulärem Amyloid-, die intrazellulären<br />

neurofibrillären Bündeln Inflammation,<br />

oxidativen Stress, die Eisendysregulation oder<br />

den Cholesterinmetabolismus modulieren.<br />

Viel versprechend schien dabei der -Sekretase-Inhibitor<br />

Semagacestat (LY450139) zu<br />

sein, allerdings kam es – trotz guter Ergebnisse<br />

in der präklinischen Phase – zu einer<br />

kognitiven Verschlechterung bei den PatientInnen,<br />

sodass Eli Lilly 2010 die Phase-III-Studien<br />

(IDENTITY 1 und 2) abbrach. Weiters<br />

konnte das kognitive Ausgangsniveau der PatientInnen<br />

7 Monate nach Beendigung der<br />

Studien nicht wieder erreicht werden. Angestrebt<br />

wird nun eine selektive Enzymmodulation.<br />

Weitere Substanzen mit teilweise zufrieden<br />

stellenden präliminären Ergebnissen<br />

werden zurzeit getestet. Die Tabelle soll einen<br />

Überblick über einige derzeit laufende Studien<br />

geben 12 .<br />

n<br />

1 Wimo A, Winblad B, Aguero-Torres H, von Strauss E,<br />

The magnitude of dementia occurrence in the world.<br />

Alzheimer Dis Assoc Disord 2003; 17(2):63–7<br />

2 Braak H., Braak E. Neuropathological stageing of<br />

Alzheimer-related changes. Acta Neuropathol 1991;<br />

82(4):239–59<br />

3 Clark CM, Schneider JA, Bedell BJ, Beach TG, Bilker<br />

WB, Mintun MA et al., Use of florbetapir-PET for imaging<br />

beta-amyloid pathology. JAMA : the journal of the<br />

American Medical Association 2011; 305(3):275–83<br />

4 Barthel H, Gertz HJ, Dresel S, Peters O, Bartenstein P,<br />

Buerger K, Hiemeyer F, Wittemer-Rump SM, Seibyl J,<br />

Reininger C, Sabri O, Florbetaben Study Group. Cerebral<br />

amyloid--PET with florbetaben (18F) in patients with<br />

Alzheimer's disease and healthy controls: a multicentre<br />

phase 2 diagnostic study. Lancet Neurol 2011;<br />

10(5):424–35<br />

5 Loy C, Schneider L, Galantamine for Alzheimer’s<br />

disease and mild cognitive impairment. Cochrane<br />

Dementia and Cognitive Improvement Group.<br />

Cochrane Database Syst Rev 2007; 3<br />

6 Birks J, Grimley Evans J, Iakovidou V, et al Rivastigmine<br />

for Alzheimer’s disease. Cochrane Dementia and<br />

Cognitive Improvement Group. Cochrane Database<br />

Syst Rev 2007; 3<br />

7 Matharu B, Gibson G, Parsons R, Huckerby TN, Moore<br />

SA, Cooper LJ et al., Galantamine inhibits beta-amyloid<br />

aggregation and cytotoxicity. Journal of the neurological<br />

sciences 2009<br />

8 Ballard CG, Chalmers KA, Todd C, McKeith IG,<br />

O'Brien JT, Wilcock G, Love S, Perry EK, Cholinesterase<br />

inhibitors reduce cortical Abeta in dementia with Lewy<br />

bodies. Neurology 2007; 68(20):1726–9<br />

9 Degerman Gunnarson M, Klialnder L., Basu H.,<br />

Lannefelt L, Reduction of phosphorylatedd tau during<br />

memantine treatment of Alzheimer’s disease. Dement<br />

Geriatr Cogn Disord 2007; 24(4):247–52<br />

10 Schneider LS, Dagerman KS, Higgins JP, McShane R,<br />

Lack of evidence for the efficacy of memantine in mild<br />

Alzheimer disease. Arch Neurol 2011; 68(8):991–8<br />

11 McShane R, Areosa Sastre A, Minakaran N. Memantine<br />

for dementia. Cochrane Database Syst Rev 2006;<br />

19(2):CD003154<br />

12 Galimberti D, Scarpini E, Disease-modifying treatments<br />

for Alzheimer’s disease. Ther Adv Neurol Disord 2011;<br />

4(4):203–16<br />

70


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen,<br />

Schweizerischen und Österreichischen<br />

Liga gegen Epilepsie, Graz<br />

Neben einem breiten Angebot an Seminaren und Kursen bot die 7. Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen<br />

und Schweizerischen Liga gegen Epilepsie ein ausgezeichnetes, umfassendes wissenschaftliches Programm mit<br />

den Schwerpunkten „aktuelle Entwicklungen in der zerebralen Bildgebung“, „Herausforderung in der<br />

medikamentösen Therapie“, „ innovative Therapiekonzepte wie Neurostimulation und Immuntherapie“,<br />

„immunmediierte Epilepsien“ „epigenetische Grundlagen fokaler und generalisierter Epilepsien“ sowie<br />

„Epilepsiechirurgie bei kindlichen Epilepsien“. Nachfolgend sind die Highlights aus der Sicht der Erwachsenen-<br />

Epileptologie zusammengefasst.<br />

Epigenetische Grundlagen fokaler<br />

und generalisierter Epilepsien<br />

Epigenetische Veränderungen entsprechen<br />

erblichen Veränderungen der Genfunktion,<br />

die nicht durch Änderungen der DNA-Sequenz<br />

gesteuert werden. Die Rolle epigenetischer<br />

Veränderungen in der Pathogenese<br />

verschiedener neuropsychiatrischer Erkrankungen<br />

wie Autismus, bipolarer Störungen,<br />

Schizophrenie, Hirntumoren<br />

und neurodegenerativer Erkrankungen<br />

ist Gegenstand aktueller Forschung.<br />

In der wissenschaftlichen Sitzung<br />

„Epigenetische Grundlagen fokaler<br />

und generalisierter Epilepsien“<br />

mit den ReferentInnen Dr. El-Osta, Dr.<br />

Lachner, Dr. Kobow, Dr. Bernard<br />

wurde ein exzellenter Überblick über<br />

die Grundlagen möglicher Regulationsmechanismen<br />

der DNA – Expression<br />

(Chromatin- und DNA-Modifikation)<br />

vermittelt. Darüber hinaus wurden<br />

neueste Forschungsergebnisse zu spezifischen<br />

epigenetischen Veränderungen<br />

(Methylierung, Demethylierung,<br />

Deacetylierung mittels spezifischer Enzyme)<br />

und deren Bedeutung in der<br />

Epileptogenese (Tiermodelle) präsentiert<br />

und schließlich ein spannender<br />

Ausblick über zukünftige therapeutische<br />

Ansätze im Sinne einer „Krankheitsmodifizierung“<br />

durch Unterdrückung oben beschriebener<br />

Phänomene gegeben.<br />

Dr. Iris Unterberger<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Innsbruck<br />

Aktuelle Entwicklungen<br />

in der zerebralen Bildgebung<br />

Dr. Kuchukhidze eröffnete die Sitzung „Einsatz<br />

des fMRI in der Epilepsie“ mit einer hervorragenden<br />

Übersicht über die Grundlagen<br />

und Methodik des funktionellen MRI. Die<br />

weiteren Referate (Dr. Bonelli, Dr. Wellmer,<br />

Dr. Broicher, Dr. Kuchukhidze) beleuchteten<br />

die Bedeutung des fMRI für das präoperative<br />

Mapping von Sprache, Gedächtnis und Emotion<br />

in der prächirurgischen Evaluierung von<br />

PatientInnen mit Temporallappenepilepsien.<br />

Alle ReferentInnen konkludierten, dass im<br />

Hinblick auf die Voraussagefähigkeit postoperativer<br />

Defizite bei epilepsiechirurgischen<br />

PatientInnen weitere Studien erforderlich<br />

sind.<br />

In einem zweistündigen Workshop (Dr. Huppertz,<br />

Dr. Wellmer, Dr. Kuchukhidze) wurden<br />

die Methoden der MRT-Nachbearbeitung mit<br />

dem morphometrischen Analyseprogramm<br />

MAP07 vorgestellt. Die Methode dient der<br />

Erkennung und Lokalisation von fokalen kortikalen<br />

Dysplasien, aber auch von anderen<br />

möglichen epileptogenen kortikalen Entwicklungsstörungen<br />

anhand typischer Merkmale<br />

wie etwa einer abnormen Gyrierung, einer<br />

Verdickung des Kortex oder einer Störung<br />

der Rinden-Mark-Differenzierung. Dieses<br />

MRT-Nachbearbeitungsverfahren ermöglicht<br />

bei bislang nichtläsionellen bildgebenden Be-<br />

72


funden die Detektion kortikaler Entwicklungsstörungen und eröffnet<br />

dadurch die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffes.<br />

Innovative Therapiekonzepte:<br />

Neurostimulation<br />

In der wissenschaftlichen Sitzung „Tiefe Hirnstimulation bei Epilepsie“<br />

(Dr. Voges, Dr. Holtkamp, Dr. Boon, Dr. Schmitt, Dr. Münte) wurden<br />

die möglichen zugrunde liegenden Pathomechanismen der tiefen<br />

Hirnstimulation (Netzwerktheorie), die Ergebnisse tierexperimenteller<br />

Modelle sowie der Einsatz der tiefen Hirnstimulation (direkt und indirekte<br />

Stimulation) bei PatientInnen mit medikamentös schwer behandelbaren<br />

Epilepsien und die neuropsychiatrischen bzw. neuropsychologischen<br />

Konsequenzen der Stimulation behandelt.<br />

Kernthema der Sitzung war die Vorstellung der rezent publizierten<br />

SANTE-Studie (Stimulation of the anterior nuclei of thalamus for epilepsy).<br />

Diese Studie ist die erste größere randomisierte, doppelblinde<br />

Untersuchung, welche die Wirksamkeit der chronischen (indirekten)<br />

Stimulation des anterioren Thalamus bei PatientInnen mit pharmakoresistenter<br />

fokaler Epilepsie nachweisen konnte. Die SANTE-Studie<br />

führte zur europäischen Zulassung der tiefen Hirnstimulation in der<br />

Epilepsiebehandlung. Kritisch beleuchtet wurde das Problem der unterschiedlichen<br />

Anfallssemiologie, wo darauf hingewiesen wurde,<br />

dass möglicherweise unterschiedliche Stimulationsorte in Abhängigkeit<br />

der verschiedenen Anfallstypen zielführend wären.<br />

Immunmediierte Epilepsien<br />

Dr. Bien, Dr. Bauer, Dr. Kirschstein und Dr. Irani spannten in der Sitzung<br />

„immunmediierte Epilepsien“ einen weiten Bogen, der die<br />

Diagnose und das Management immunmediierter Epilepsien (z. B.<br />

Rasmussen-Enzephalitis; limbische Enzephalitis; Anti-NMDA-Antikörper-mediierte<br />

Enzephalitis), die Immunpathogenese Auto-Antikörper-assoziierter<br />

ZNS-Erkrankungen, die pathophysiologischen Effekte<br />

von NMDA-R-Antikörpern sowie die Vorstellung eines<br />

„neuen“, immuntherapieresponsiven Epilepsiesyndroms mit sehr distinkten<br />

Anfallssymptomen (FBDS = faciobrachial dystonic seizures)<br />

umfasste.<br />

Es wurde berichtet, dass Antikörpern, die gegen neuronale Oberflächenmoleküle<br />

gerichtet sind, wie etwa spannungsabhängige Kaliumkanal-Antikörper,<br />

NMDA-Rezeptor-Antikörper oder Antikörper gegen<br />

GABA-B- und AMPA-Rezeptoren, eine besondere Bedeutung in der<br />

Epileptogenese zukommt, da sie direkt pathogen zu sein scheinen.<br />

Antikörper, die gegen intrazelluläre Antigene gerichtet sind, wie etwa<br />

Antikörper gegen Glutaminsäure-Decarboxylase (GAD) oder onkoneuronale<br />

Antikörper, scheinen eher Marker eines immunopathologischen<br />

Prozesses zu sein als direkt pathogen zu wirken. Immunmediierte<br />

Epilepsien, die mit Antikörpern gegen neuronale Oberflächenmoleküle<br />

assoziiert sind, scheinen besonders gut auf eine<br />

immunmodulatorische Therapie anzusprechen.<br />

n


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Epileptologie des Kindes- und Jugendalters<br />

Im Rahmen des exzellenten, breit gefächerten wissenschaftlichen Programmes der Jahrestagung der<br />

Österreichischen, Deutschen und Schweizer Sektion der ILAE in Graz wurden die Themen im Bereich der<br />

Epileptologie des Kindes-und Jugendalters als Novität in gemeinsamer Organisation des Tagungspräsidenten,<br />

Priv.-Doz. Dr. Michael Feichtinger, Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong> Graz mit der Co-Präsidentin Univ.-Prof.<br />

Dr. Barbara Plecko, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz, gestaltet. Im Folgenden werden<br />

die wichtigsten Inhalte aus kinderepileptologischer Sicht kurz zusammengefasst.<br />

Genetik schwerer<br />

frühkindlicher Epilepsien<br />

In der letzten Dekade konnte die Aufklärungsrate<br />

genetischer Ursachen schwerer<br />

frühkindlicher Epilepsien wesentlich verbessert<br />

werden. Einen wesentlichen Beitrag hierzu<br />

leistete, wie von Dr. Köhler, Medizinisch<br />

Genetisches Zentrum München, referiert, die<br />

Micro-Array-CGH-Diagnostik. Diese hochauflösende<br />

Methode stellt ein Bindeglied zwischen<br />

der konventionellen Chromosomenanalyse<br />

und der molekulargenetischen Mutationsanalyse<br />

dar. Dadurch konnten neue<br />

Mikrodeletionssyndrome (z. B. 15q13.3; oder<br />

16p13.11) als Ursache von Epilepsien identifiziert<br />

werden. Die intensive Aufarbeitung der<br />

kodierenden Abschnitte führte zur Identifikation<br />

neuer Epilepsie-Gene, wie dem<br />

CHRNA7-Gen und dem MYH11-Gen.<br />

Dr. Neubauer, Neuropädiatrie, Universitätsklinikum<br />

Gießen und Marburg, Deutschland,<br />

brachte ein praxisorientiertes Vorgehen zur<br />

Abklärung monogener Epilepsien. Während<br />

einige monogene Epilepsieformen anhand<br />

einer gründlichen Anfallsanamnese und Charakterisierung<br />

der Anfallssemiologie klinisch<br />

gut zuzuordnen sind (z. B. Dravet-Syndrom<br />

mit SNC1A-Mutationen), zeigen andere monogene<br />

Störungen ein weites Spektrum (z.<br />

B. Mutationen des ARX-Gens). Neben familiären<br />

Formen, wie der nächtlichen, dominant<br />

vererbten Frontallappenepilepsie, sind zahlreiche<br />

Störungen auf Spontanmutationen zurückzuführen<br />

(z. B. SCN1A, CDKL5/Rett-Syndrom-Variante<br />

mit frühem Anfallsbeginn).<br />

Eine genetisch gesicherte Diagnose hat zwar<br />

für die bislang besprochenen Erkrankungen<br />

nur eingeschränkte therapeutische Konsequenzen,<br />

ermöglicht den Familien jedoch<br />

eine fundierte genetische Beratung und gezielte<br />

Familienplanung.<br />

Die Gruppe schwerer frühkindlicher Epilepsien<br />

verbirgt jedoch auch eine Gruppe kausal<br />

behandelbarer Stoffwechselerkrankungen.<br />

Dr. Barbara Plecko brachte ein Update zu<br />

Biomarkern sowie typischen EEG- und MRT-<br />

Veränderungen häufigerer, behandelbarer<br />

Epilepsien auf dem Boden angeborener Stoffwechselstörungen<br />

(Vitamin-B 6 -abhängige<br />

Epilepsien, Serinsynthesedefekte, Kreatinmangelsyndrome,<br />

Glukosetransporterdefekt<br />

Typ-GLUT1-Defekt). Dr. Holger Lerche, Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong>, Tübingen, stellte<br />

das erweiterte Spektrum von GLUT1-Defekten<br />

vor. PatientInnen können neben therapieresistenten<br />

Anfällen mit Beginn im<br />

Säuglingsalter das Bild einer bewegungsinduzierten<br />

Dyskinesie (PED) zeigen. Dabei besteht<br />

keine Genotyp-Phänotyp-Korrelation,<br />

sodass vermutlich auch epigenetische Faktoren<br />

oder interagierende Gene eine zusätzliche<br />

Rolle spielen.<br />

West-Syndrom<br />

Dr. John Osborne, The Royal United Hospital,<br />

University of Bath, präsentierte Daten der<br />

UKISS-Studie zur Ätiologie bei 207 PatientInnen<br />

mit West-Syndrom. Dabei konnte bei<br />

61 % eine klare ätiologische Zuordnung erfolgen<br />

(63 % pränatal, 38 % perinatal, 8 %<br />

postnatal, 18 % andere Ursachen), bei 33 %<br />

blieb die Ätiologie unklar, und 6 % waren<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Barbara Plecko<br />

Leiterin der Epilepsieambulanz,<br />

Universitätsklinik für<br />

Kinder- und Jugendheilkunde,<br />

Medizinische Universität Graz<br />

Priv.-Doz. Dr.<br />

Michael Feichtinger<br />

Tagungspräsident,<br />

Universitätsklinik für<br />

<strong>Neurologie</strong> Graz<br />

nicht umfassend abgeklärt. Dr. Wohlrab, Kinderspital<br />

der Universität Zürich, erläuterte die<br />

Datenlage zur Therapie bei West-Syndrom.<br />

Der Cochrane Report 2009, die Leitlinien der<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für Neuropädiatrie sowie der US-<br />

Konsensus 2010 diskutieren, in unterschiedlicher<br />

Wertigkeit, den Einsatz von ACTH,<br />

Prednisolon sowie Vigabatrin. Die laufende<br />

KISS-Studie untersucht die Auswirkung dieser<br />

3 wichtigsten Behandlungsoptionen auf die<br />

Kognition. Die so genannten „neuen Antikonvulsiva“<br />

(Topiramat, Zonisamid, Levetiracetam)<br />

sowie die ketogene Diät zeigten in<br />

offenen Studien keine bessere Wirksamkeit<br />

im Hinblick auf Anfallsfreiheit und EEG-Normalisierung.<br />

Dr. Kurlemann, Universitätsklinik<br />

für Kinder- und Jugendheilkunde, Universität<br />

74


Münster, brachte Daten zur Diagnoseverzögerung<br />

und Outcome bei West-Syndrom,<br />

welches bei idiopathischen Formen deutlich<br />

besser ist als bei symptomatischen Formen.<br />

Epilepsiechirurgie<br />

im Kindesalter<br />

Dr. Czech, Universitätsklinik für Neurochirurgie<br />

Wien) und Dr. Martha Feucht, Universitätsklinik<br />

für Kinder- und Jugendheilkunde,<br />

Wien, stellten Ergebnisse von 30 PatientInnen<br />

mit funktioneller Hemisphärotomie aus<br />

einem Zeitraum der letzten 13 Jahre vor. In<br />

22 Fällen war das Ergebnis nach der Wieser-<br />

Klassifikation 1a. Größere Fallserien werden<br />

zeigen, ob funktionelle Verfahren zu einer<br />

Reduktion von postoperativen Liquorzirkulationsstörungen<br />

führen.<br />

Dr. Mitter, Universitätsklinik für Neuroradiologie<br />

Wien, erläuterte den Stellenwert neuer<br />

bildgebender Techniken, wie des Diffusion-<br />

Tensor-Imaging und der Traktografie für die<br />

Darstellung abnormer Faserbahnen im Rahmen<br />

kongenitaler Malformationen. Bei funktionellen<br />

Hemisphärotomien können dadurch<br />

sowohl präoperativ Hinweise auf eventuell<br />

vorhandene Funktionalität in der pathologischen<br />

Hemisphäre gewonnen werden als<br />

auch postoperativ der Effekt auf die struk -<br />

turelle Konnektivität des Gehirns beurteilt<br />

werden.<br />

Die Kombination verschiedenster bildgebender<br />

Verfahren im Sinne einer multimodalen<br />

Bildgebung wurde von der Gruppe von Dr.<br />

Seeck, Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Universitätshospital<br />

Genf, vorgestellt. Vor allem<br />

PatientInnen mit extratemporaler Läsionslokalisation<br />

oder auch KandidatInnen für nichtläsionelle<br />

Epilepsiechirurgie profitieren von<br />

einer kombinierten Auswertung von SPECT,<br />

PET und fMRI. Dr. Polster, Krankenhaus Mara,<br />

Epilepsie-Zentrum Bethel-Bielefeld, Deutschland,<br />

referierte zur funktionellen, transkraniellen<br />

Dopplersonografie als nichtinvasives<br />

Testverfahren zur Sprachlateralisation bei Kindern<br />

und PatientInnen mit eingeschränkter<br />

Kooperationsfähigkeit.<br />

Amplitudenintegriertes EEG<br />

Für die Risikogruppe von Neugeborenen mit<br />

angeborener oder erworbener ZNS-Läsion<br />

stellt das aEEG ein nicht ersetzbares Tool zur<br />

Langzeitüberwachung auf neonatologischen<br />

Intensivstationen dar. Dr. Olischar und Dr. Klebermaas-Schrehof,<br />

Universitätsklinik für Kinder-<br />

und Jugendheilkunde Wien, gaben eine<br />

ausgezeichnete Einführung in Grundlagen<br />

und Limitationen dieser Ableitetechnik. 4-Kanalschreiber<br />

mit integriertem Video und Asservierung<br />

digitaler Originaldaten werden in<br />

der nächsten Gerätegeneration zu einer wesentlichen<br />

Verbesserung beitragen; zusätzlich<br />

sind Software-Programme zur automatisierten<br />

Anfallsdetektion in Entwicklung. Betont<br />

wurde die Verifizierung pathologischer Befunde<br />

im konventionellen EEG sowie die begrenzte<br />

Aussage und Erfahrung im Bereich<br />

extrem Frühgeborener.<br />

Dr. Borggraefe, Universitätskinderklinik, Dr.<br />

von Haunersches Kinderspital München,<br />

brachte Daten zum aEEG bei asphyktischen<br />

Neugeborenen. Hier scheint eine positive Korrelation<br />

von dauerhafter Beeinträchtigung und<br />

> 24 Stunden persistierendem pathologischem<br />

aEEG-Muster bei Normothermiebehandlung<br />

sowie bei > 36–48 h persistierendem pathologischem<br />

aEEG-Muster bei Hypothermiebehandlung<br />

zu bestehen. Dr. Osredkar, Department<br />

of Pediatrics, University Hospital Ljubljana,<br />

Slovenia, betonte, dass laut aktueller<br />

Datenlage vermutlich sowohl klinische als auch<br />

subklinische, neonatale Anfälle das Risiko einer<br />

späteren Epilepsie erhöhen. Dies untermauert<br />

die Sinnhaftigkeit eines aEEG-Langzeitmonitorings<br />

auf neonatologischen Intensivstationen.<br />

Therapieresistente Epilepsien<br />

im Kindesalter<br />

Der Effekt von Kortikoiden bei therapieschwierigen<br />

Epilepsien ist lange bekannt. Dr.<br />

Thomas Bast, Epilepsieklinik für Kinder und<br />

Jugendliche, Diakonie Kork, Deutschland,<br />

präsentierte Daten zur pulsatilen Kortisontherapie<br />

bei West-, Lennox-Gastaut-, Landau-<br />

Kleffner-Syndrom u. a. Dabei existiert keine<br />

allgemein gültige Empfehlung zur Wahl des<br />

Kortisonpräparates (z. B. Methylprednisolon<br />

vs. Dexamethason) oder der zeitlichen Abfolge<br />

der Zyklen (z. B. 5 Tage pro Monat, versus<br />

3 Tage pro Woche) sowie Gesamtdauer der<br />

Behandlung. Die begrenzte Datenlage lässt,<br />

zumindest in Einzelfällen, eine positive Wirkung<br />

bei insgesamt deutlich verminderten<br />

Nebenwirkungen erkennen.<br />

Dr. Martha Feucht, Universitätsklinik für Kinder-<br />

und Jugendheilkunde Wien, referierte<br />

zum Einsatz „neuer Antikonvulsiva“, deren<br />

Pharmakokinetik im Kindesalter und teils<br />

günstigerem Nebenwirkungsprofil. Bei Therapieresistenz<br />

sollte vor der Implantation<br />

eines Vagusstimulators auch der Einsatz der<br />

ketogenen Diät erwogen werden. Dr. Jörg<br />

Klepper, Kinderklinik Aschaffenburg, erläutert<br />

den Trend zu früherem Einsatz dieses<br />

Therapieverfahrens mit evtl. gelockerter<br />

Ratio von Fett/Kohlehydraten und Protein,<br />

bis hin zur Atkins-Diät (Ratio 1 : 1). Damit<br />

werden Akzeptanz und Compliance wesentlich<br />

erhöht. Der Vagusnervstimulator führt,<br />

so Dr. Sperner, Lübeck, bei ca. 10 % pädiatrischer<br />

PatientInnen zu Anfallsfreiheit, bei<br />

weiteren 30–50 % zu > 50 % Anfallsreduk -<br />

tion.<br />

n<br />

75


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Neuropathischer Schmerz<br />

und dessen Erfassung<br />

Der neuropathische Schmerz ist ein chronischer, nichtmaligner Schmerzzustand, der durch Erkrankungen des<br />

zentralen und peripheren Nervensystems hervorgerufen wird. Er unterscheidet sich vom nozizeptiven Schmerz<br />

und von akuten Schmerzzuständen durch seine Pathophysiologie und Therapie.<br />

Definition und Epidemiologie<br />

Trotz der typischen klinischen Symptome des<br />

neuropathischen Schmerzes, die schon vor<br />

mehr als 160 Jahren genau beschrieben wurden,<br />

ringt die Wissenschaftswelt noch immer<br />

um eine valide Definition, was neuropathische<br />

Schmerzen eigentlich sind und welche<br />

pathophysiologischen Mechanismen dahinter<br />

stehen.<br />

1982 definierte die International Association<br />

for the Study of Pain (IASP) den neuropathischen<br />

Schmerz als eigene Schmerzentität folgendermaßen:<br />

„Schmerz, initiiert oder verursacht<br />

durch eine primäre Läsion oder Fehlfunktion<br />

des peripheren und zentralen<br />

Nervensystems“ („pain initiated or caused by<br />

Tab. 1: Art und Ort neuropathischer Schmerzsyndrome<br />

Periphere Ursachen fokal<br />

• Trigeminusneuralgie<br />

• Post-Zoster-Neuralgie<br />

• Post-Thorakotomie-Schmerz, Narbenschmerzen<br />

• Stumpfschmerz<br />

• Post-Diskektomie-Syndrom<br />

• CRPS (komplex-regionales Schmerzsyndrom) I (ohne Nervenläsion) und II (mit Nervenläsion)<br />

• Engpasssyndrome<br />

Periphere Ursachen generalisiert<br />

• Metabolisch/toxisch: - Diabetes mellitus<br />

- Alkohol<br />

- Hypothyreose<br />

- Vitaminmangel<br />

• Medikamente, infektiös oder postinfektiös, immunologisch<br />

Zentrale schmerzhafte Neuropathien<br />

• Hirninfarkt (insbesondere Thalamus, Hirnstamm)<br />

• Rückenmarksverletzungen<br />

• Multiple Sklerose<br />

„Mixed-Pain-Syndrome“<br />

• Chronische Radikulopathien<br />

• Tumorschmerzen<br />

a primary lesion or dysfunction in the nervous<br />

system“). Heutzutage ist offensichtlich, dass<br />

diese Definition nicht genau und nicht ausreichend<br />

ist, und so wurde 2008 eine neue<br />

Definition vorgeschlagen, die bis heute heftig<br />

diskutiert wird: „Schmerz, der als direkte<br />

Folge eines Schadens oder einer Erkrankung<br />

des somatosensorischen Systems entsteht“<br />

(„pain arising as a direct consequence of a<br />

lesion or disease affecting the somatosensory<br />

sys tem“).<br />

Ob diese neue Definition des neuropathischen<br />

Schmerzes im klinischen Alltag hilfreich<br />

in der Differenzierung von nozizeptiven und<br />

neuropathischen Schmerzen sein kann, muss<br />

sich erst noch zeigen. Neue diagnostische<br />

Hilfsmittel erleichtern jedoch die Diagnosefindung<br />

des neuropathischen Schmerzes.<br />

Trotzdem bleibt er immer noch eine diagnos -<br />

tisch-therapeutische Herausforderung.<br />

Die Anzahl an PatientInnen mit neuropathischen<br />

Schmerzen ist unklar, dürfte aber höher<br />

sein als bisher weithin angenommen. In<br />

Österreich leiden etwa 3–8 % der Bevölkerung<br />

an neuropathischen Schmerzen. Zudem<br />

sind 25–50 % aller Arztbesuche wegen<br />

Schmerzen mit dieser Form in Verbindung zu<br />

bringen.<br />

Nur etwa 30 % aller ÄrztInnen sehen sich<br />

in der Lage, neuropathische Schmerzen sicher<br />

zu diagnostizieren bzw. eine adäquate Therapie<br />

zu kennen. Nach Erhebungen der Pharmaindustrie<br />

weisen nur rund ein Drittel der<br />

im Zusammenhang mit neuropathischen<br />

Schmerzen verschriebenen Medikamente in<br />

dieser Indikation eine evidenzbasierte Wirksamkeit<br />

auf. Es ist davon auszugehen, dass<br />

neuropathische Schmerzen unterdiagnostiziert<br />

sind bzw. nicht, unzureichend oder<br />

falsch behandelt werden.<br />

Wie kommt man<br />

zur richtigen Diagnose?<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Stefan Quasthoff<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>,<br />

Medizinische Universität Graz<br />

Voraussetzung für die Entstehung dieser<br />

chronischen Schmerzform ist eine vorausgegangene<br />

Läsion peripherer/zentraler Nervenstrukturen,<br />

auch wenn diese nicht immer<br />

zweifelfrei nachgewiesen werden kann. Die<br />

Veränderungen im Nervensystem können sich<br />

80


verselbständigen, irreversibel und somit chronisch<br />

werden. Klinisch charakteristisch ist<br />

unter anderem ein Fortbestehen des Schmerzes<br />

nach Abheilen der Primärläsion, ob im<br />

peripheren (z. B. Engpasssyndrom, Polyneuropathie)<br />

oder zentralen (Zustand nach<br />

Schlaganfall) Nervensystem. Eine Auswahl<br />

häufiger neuropathischer Schmerzsyndrome<br />

zeigt die Tabelle 1.<br />

Charakteristisch ist das gleichzeitige oder alternierende<br />

Auftreten von „Positiv-“ und<br />

„Negativsymptomen“. Positivsymptome entstehen<br />

auf Grundlage einer Übererregbarkeit<br />

der Neurone und lassen sich in aller Regel<br />

mit einer spezifischen Therapie gut behandeln.<br />

Zu ihnen gehören spontane Schmerzen<br />

(brennender Dauerschmerz bzw. einschießende<br />

Schmerzattacken) bzw. nichtschmerzhafte<br />

Empfindungen (Ameisenlaufen, Parästhesien)<br />

sowie als (mechanisch, thermisch)<br />

evozierte Schmerzen (Hyperalgesie, Allodynie).<br />

Die Negativsymptome beruhen auf<br />

einem Verlust von Neuronenfunktionen und<br />

lassen sich wenig oder gar nicht zufrieden<br />

stellend beeinflussen. Hierzu zählen reduzierte<br />

Empfindungen: Hypästhesie, Hypalgesie<br />

bzw. Pallhypästhesie (Vibrationssinn) oder<br />

Thermhypästhesie.<br />

Einen zentralen diagnostischen Stellenwert<br />

besitzen sorgfältige Anamnese (Schmerzqualität,<br />

-intensität) und Exploration der PatientInnen.<br />

So können etwa positive und negative<br />

sensorische Symptome/Zeichen mit einfachen<br />

„Bedside“-Tests evaluiert werden, wie sie der<br />

deutsche „painDETECT“ und der französische<br />

„DN4“-Fragebogen darstellen (Abb. 1<br />

und 2). Mit diesen Befragungs- und Untersuchungshilfsmitteln<br />

lassen sich innerhalb<br />

von 5–10 Minuten die Verdachtsdiagnose<br />

neuropathischer Schmerz mit 80 % Sicherheit<br />

verifizieren.<br />

Eine zusätzliche apparative Diagnostik umfasst<br />

je nach Notwendigkeit elektrophysiologische<br />

Untersuchungen, quantitative sensorische<br />

Testung (QST), eine strukturelle Abklärung<br />

mittels Neuroimaging sowie weitere<br />

Untersuchungen (z. B. Labordiagnostik und<br />

Liquorpunktion). Die QST kann in einzelnen<br />

Fällen an Hand von so genannten Z-Profilen<br />

das Vorherrschen von Positiv- oder Negativ-<br />

Phänomen beschreiben und gegebenenfalls<br />

Abb. 1: DN4-Fragebogen: Wenn mehr als 4 Fragen mit „ja“ beantwortet<br />

wurden, dann ist mit ca. 80 % Sicherheit von einem neuropathischen<br />

Schmerzsyndrom auszugehen.<br />

die Wirksamkeit von Substanzklassen vorhersagen.<br />

Diese diagnostische Hilfe besteht jedoch<br />

nur in wenigen Zentren in Österreich.<br />

Besteht der Verdacht auf eine Small-Fibre-<br />

Neuropathie mit neuropathischem Schmerzsyndrom,<br />

sollte zur Verifizierung eine Hautbiopsie<br />

angestrebt werden, da alle anderen<br />

diagnostischen Maßnahmen keine sichere u<br />

Abb. 2: painDETECT-Fragebogen zur Erfassung neuropathischer Schmerzen<br />

81


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Tab. 2: Medikamentöse Therapieoptionen bei neuropathischen Schmerzen<br />

Evidenz- Evidenz- Evidenz- Negative<br />

klasse A klasse B klasse C Evidenz<br />

PZN Amitriptylin Tramadol ret. NSAID<br />

Nortriptylin Morphin ret. Paracetamol<br />

Gabapentin Oxycodon Metamizol<br />

Pregabalin<br />

Capsaicin-Salbe<br />

Lidocain-Pflaster<br />

PNP Amitriptylin Maprotilin Citalopram Topiramat<br />

Nortriptylin Carbamazepin Fluoxetin Lamotrigin<br />

Venlafaxin Capsaicin-Salbe Paroxetin<br />

Duloxetin<br />

Oxcarbazepin<br />

Gabapentin<br />

Pregabalin<br />

Tramadol<br />

Oxycodon<br />

PTN<br />

PHAN<br />

HIV<br />

STR<br />

RM<br />

MS<br />

Diagnose liefern können. Es muss jedoch klar<br />

sein, dass es trotz aller diagnostischen Bemühungen<br />

beim neuropathischen Schmerz,<br />

so wie für alle anderen Schmerzarten auch,<br />

keine zu 100 % objektivierbaren Untersuchungsverfahren<br />

gibt.<br />

Relevante Komorbiditäten wie etwa Diabetes<br />

mellitus, Alkoholabusus, Niereninsuffizienz,<br />

Depression, Medikamenteneinnahme etc.<br />

müssen ebenfalls berücksichtigt werden.<br />

Therapie<br />

Tetrahydrocannabinol<br />

Amitriptylin<br />

Capsaicin-Salbe<br />

Gabapentin<br />

Tramadol<br />

Morphin<br />

Gabapentin<br />

Lamotrigin<br />

Amitriptylin<br />

Lamotrigin<br />

Gabapentin<br />

Pregabalin<br />

Lamotrigin<br />

PZN = Post-Zoster-Neuralgie; PNP = Polyneuropathie; PTN = posttraumatische Neuralgie; RM = Rückenmarkläsion;<br />

STR = Stroke; HIV = HIV-Neuropathie; PHAN = Phantomschmerz; MS = multiple Sklerose<br />

Quelle: AWMF online, Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen 2008<br />

Eine kausale Therapie der zugrunde liegenden<br />

Ursache ist das erste Ziel jeder Therapie<br />

(z. B. diabetische Polyneuropathie – Zuckereinstellung;<br />

Karpaltunnelsyndrom – Opera -<br />

tion). Aber gerade bei neuropathischen<br />

Schmerzen kann nur selten eine kausale Therapie<br />

eingeleitet werden. Oberste Prämisse<br />

ist in Kooperation mit den PatientInnen die<br />

Definition eines realistisch erreichbaren Therapiezieles.<br />

Eine Schmerzreduktion um > 50 %,<br />

Verbesserung von Schlaf- und Lebensqualität<br />

sowie Erhalt von Arbeitsfähigkeit und sozialer<br />

Aktivität sollten und können erfolgreich angestrebt<br />

werden, wobei rasche Therapie -<br />

erfolge innerhalb weniger Tage nur selten<br />

erreicht werden. Ein langfristiges Therapieschema<br />

sollte angestrebt werden, das sowohl<br />

pharmakologische wie auch nichtpharmakologische<br />

Behandlungsansätze (z. B. interventionelle/invasive<br />

Verfahren, TENS, psychologische<br />

bzw. physikalische Therapie) beinhaltet<br />

und dem chronischen Schmerzsyndrom gerecht<br />

wird.<br />

Pharmakologische Intervention<br />

Bei der pharmakologischen Behandlung des<br />

neuropathischen Schmerzsyndroms befinden<br />

sich TherapeutInnen, im Gegensatz zu anderen<br />

<strong>neurologisch</strong>en Erkrankungen oder<br />

Schmerzsyndromen, in der glücklichen Lage,<br />

eine breite Palette wirksamer Medikamente<br />

unterschiedlichster Wirksubstanzen zur Verfügung<br />

zu haben. Es besteht die Option, lokal<br />

oder systemisch mit Pflastern, oraler und i. v.<br />

Medikation zu therapieren. Fast alle Wirkstoffe<br />

haben eine sehr günstige NNT (number<br />

needed to treat), d. h., unter medikamentöser<br />

Therapie ist eine 50%ige Schmerzreduktion<br />

bei jedem 2. bis 4. Patienten zu erwarten.<br />

Absolute Schmerzfreiheit kann jedoch<br />

fast nie erzielt werden.<br />

Alle medikamentösen Optionen sind in Tabelle<br />

2 und 3 zusammengefasst, wobei die<br />

Nebenwirkungen ebenso aufmerksam beobachtet<br />

werden sollten wie ihre Wirksamkeit.<br />

Die Substanzauswahl orientiert sich nicht<br />

mehr ausschließlich an der zugrunde liegenden<br />

Ursache, vorherrschenden Symptomen<br />

und Zeichen, sondern an Alter und Komorbiditäten<br />

sowie Medikamenteninteraktionen<br />

und Verträglichkeit. Auch der Grundsatz,<br />

immer einer Monotherapie mit oralen Medikamenten<br />

den Vorzug vor einer intelligenten<br />

Kombination von peripher und zentral wirksamen<br />

Substanzen zu geben, gilt nicht mehr.<br />

Die Findung der richtigen Medikamentenkombination<br />

in der richtigen Dosierung ist<br />

individuell und abhängig von Wirkung und<br />

Nebenwirkungen. Wesentlich ist, der gewählten<br />

Substanz in ausreichender Dosierung ausreichend<br />

Zeit (mindestens 2–4 Wochen) zur<br />

Entfaltung ihrer Effektivität zu geben. Wesentliche<br />

weitere Faktoren für den Behandlungserfolg<br />

sind Geduld von PatientInnen<br />

und ÄrztInnen sowie ein konsequentes Therapiemonitoring.<br />

Therapie-Algorithmus<br />

Aus den derzeit vorliegenden kontrollierten<br />

Studien lassen sich folgende Empfehlungen<br />

in Abhängigkeit vom Alter ableiten:<br />

Mittel erster Wahl: Lokale Therapie: Lidocain-Pflaster<br />

(Versatis ® ), Capsaicin-Pflaster<br />

(Qutenza ® ).<br />

82


Tab. 3: Pragmatische Therapie bei neuropathischen Schmerzen<br />

Arzneistoff Startdosis und Wirksame Dosis Besonderheiten<br />

(Dosisintervall) (Maximaldosis)<br />

Antidepressiva<br />

TCA (5-HT, Na) 10–25 mg (0-0-1) 50–75 mg (150 mg/d) Cave: AV-Block, Glaukom,<br />

Amitriptylin (z. B. Saroten ® )<br />

Miktionsstörungen, Hypotension<br />

TCA (Na) 10–25 mg (1-0-0) 50–75 mg (150 mg/d) wie Amitriptylin<br />

Maprotilin (z. B. Ludiomil ® )<br />

SNRI<br />

NW: Übelkeit, Erbrechen<br />

Venlafaxin (z. B. Effectin ® ) 37,5 mg (1-0-1) 75–225 mg (375 mg/d)<br />

Duloxetin (z. B. Cymbalta ® ) 30 mg (1-0-0) 60 mg (120 mg/d)<br />

Antiepileptika (Ca-Kanal)<br />

Gabapentin (z. B. Neurontin ® ) 300 mg (0-0-1) 1200–2400 mg (3600 mg/d) NW: Müdigkeit, Schwindel, Ödeme,<br />

kaum Interaktionen<br />

Pregabalin (Lyrica ® ) 75 mg (1-0-1) 150 mg (600 mg/d) NW: Müdigkeit, Schwindel, Ödeme, kaum<br />

Interaktionen; lineare Plasmakonzentration,<br />

schneller Wirkeintritt<br />

Antiepileptika (Na-Kanal)<br />

Carbamazepin (z. B. Tegretol ® ) 100–200 mg (0-0-1) 600–1200 mg (1400 mg/d) effektiv bei Trigeminusneuralgie; häufige NW:<br />

Blutbildveränderungen, Leberschäden,<br />

Hyponatriämie, Medikamenteninteraktionen<br />

wegen Enzyminduktion<br />

Lamotrigin (Lamictal ® ) 25 mg (0-0-1) 100–200 mg (400 mg/d) gute Verträglichkeit<br />

Exantheme, extrem langsame Aufdosierung<br />

Opioid-Analgetika<br />

Tramadol ret. 50–100 mg (1-0-1) Titration (600 mg/d) Übelkeit, Hypotension<br />

Morphin ret. 10–30 mg (1-0-1) Titration (keine) Kumulation bei Niereninsuffizienz und Alter<br />

Oxycodon + Naloxon (Targin ® ) 10–20 mg (1-0-1) Titration (keine) duale Galenik (keine Laxantien nötig)<br />

Oxycodon ret. 10–20 mg (1-0-1) Titration (keine) duale Galenik<br />

Cannabinoide<br />

Tetrahydrocannabinol 2,5 mg (1-0-0) Titration (40 mg/d) NW: Tachykardie, Hypotension, Sedierung<br />

Topische Therapie<br />

Lidocain-Pflaster (z. B. Versatis ® ) 5 %/700mg 1-mal täglich bis 4 Pflaster täglich gute Wirkung auf Allodynie, keine systemischen<br />

mind. 12 Stunden Pause<br />

Nebenwirkungen, keine Interaktion<br />

Capsaicin-Salbe 0,025–0,075 % 3–4-mal täglich anfängliches Hautbrennen<br />

3–4-mal täglich<br />

(Qutenza ® ) 8 % einamlig einmalig nur in Schmerzzentren anzuwenden<br />

TCA = tri- bzw. tetrazyklisches Antidepressivum; SSRI = selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; SNRI = Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer;<br />

zNDRI = zentraler Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer<br />

Quelle: AWMF online, Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen 2008<br />

Systemische Therapie: Antiepileptika (Gabapentin<br />

und Pregabalin), bestimmte Antidepressiva<br />

(SSNRI, z. B. Duloxetin; klassische Trizyklika,<br />

z. B. Amitriptylin); schwache wie starke<br />

Opioide (Tramadol und Oxycodon, Targin ® )<br />

– allein oder in Kombination sowohl untereinander<br />

als auch in Kombination mit topischen<br />

Therapieoptionen (z. B. Lidocain, Capsaicin).<br />

Mittel zweiter Wahl: Antiepileptika (Carbamazepin,<br />

außer bei Trigeminusneuralgie,<br />

hier Mittel der ersten Wahl: Oxcarbazepin,<br />

Lamotrigin), bestimmte Antidepressiva (Citalopram,<br />

Fluoxetin, Paroxetin), Cannabinoide<br />

und alle anderen noch experimentellen oder<br />

mit geringer Evidenz eingesetzten Substanzen<br />

(Tab. 2).<br />

u<br />

83


GESELLSCHAFTS-<br />

NACHRICHTEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

NEUROLOGIE IN<br />

ÖSTERREICH<br />

KONGRESS-<br />

HIGHLIGHTS<br />

FÜR DIE PRAXIS<br />

Sinnvolle und aus Studien belegbare Kombinationen<br />

sind: Gabapentin und Morphin<br />

sowie Gabapentin und Oxycodon.<br />

Bei PatientInnen über 65 sollten keine anticholinerg<br />

wirksamen Substanzen wie z. B.<br />

Amitriptylin eingesetzt werden.<br />

Bei therapeutischem Versagen bzw. intole -<br />

rablen Nebenwirkungen sollte immer eine interdisziplinäre<br />

Schmerzambulanz oder Einrichtung<br />

zu Rate gezogen werden. Nur in<br />

diesem Zusammenhang sollten interventionelle<br />

bzw. invasive Verfahren (z. B. periphere<br />

Nervenblockaden, chemische bzw. physikalische<br />

Neurolysen, Schmerzpumpe, Stimulationssonden<br />

etc.) am Ende einer eskalierenden<br />

multidisziplinären Therapiebemühung gesehen<br />

werden.<br />

n<br />

Weitere Literatur:<br />

- Baron R, Birklein F, Maier C, Quasthoff S, C. Sommer C,<br />

Tölle TR, Wasner G, Ziegler D, Diagnostik und Therapie<br />

neuropathischer Schmerzen; Leitlinien der Deutschen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Neurologie</strong> 10/2008<br />

- Baron R, Diagnostik und Therapie neuropathischer<br />

Schmerzen; Deutsches Ärzteblatt 2006; 104:2720–2729<br />

- Lunn MP, Hughes RA, Wiffen PJ, Duloxetine for treating<br />

painful neuropathy or chronic pain. Cochrane Database<br />

Syst Rev 2009; (4):CD007115<br />

- O'Connor AB, Dworkin RH, Treatment of neuropathic<br />

pain: an overview of recent guidelines. Am J Med 2009;<br />

122(10 Suppl):22–32<br />

- Quasthoff S, Therapie neuropathischer Schmerzen (DFP);<br />

CliniCum psy 2/05<br />

- Wiffen PJ, Collins S, McQuay HJ, Carroll D, Jadad A,<br />

Moore RA. Anticonvulsant drugs for acute and chronic<br />

pain. Cochrane Database Syst Rev 2010; (1):CD001133<br />

RESÜMEE<br />

Neuropathische Schmerzen sollten so früh und konsequent wie möglich behandelt werden<br />

– nicht zuletzt, um eine weitere Schmerzchronifizierung hintanzuhalten. Im Zentrum<br />

der medikamentösen Therapie stehen Antiepileptika, Antidepressiva, Opioide bzw. topische<br />

Antineuralgika.<br />

Fragebögen (painDETECT und DN4) erleichtern die klinische Diagnose „neuropathischer<br />

Schmerz“. Die quantitative sensorische Testung unterstützt die klinische Verdachtsdiagnose<br />

und kann möglicherweise die Wirksamkeit bestimmter Medikamente vorhersagen.<br />

Die Hautbiopsie ist neben der quantitativen sensorischen Testung Mittel der Wahl zur<br />

Diagnose einer Small-Fibre-Neuropathie.<br />

Das wirksame Medikament muss bei jedem/jeder einzelnen PatientIn durch Erprobung<br />

unter Berücksichtigung des individuellen Beschwerdebildes sowie der Nebenwirkungen<br />

und Kontraindikationen gefunden werden.<br />

Jeder Patient benötigt eine individuelle Dosierung in Abhängigkeit von Wirkung und<br />

Nebenwirkungen (sorgfältige Titration auch über einen längeren Zeitraum). Die Wirkungslosigkeit<br />

des Medikaments sollte erst nach 6–8 Wochen unter ausreichender Dosierung<br />

beurteilt werden. Einzeldosen und Applikationsintervalle müssen je nach Pharmakokinetik<br />

und Interaktionsprofil bemessen werden.<br />

Die Wirksamkeit von Lidocain-Pflastern als Add-on-Therapie bei der Post-Zoster-Neuralgie<br />

und anderen fokalen Neuropathien wurde nachgewiesen ().<br />

Hochdosiertes Capsaicin (8 %) als Pflaster ist nach einmaliger lokaler Anwendung<br />

wirksam bei Post-Zoster-Neuralgie ().<br />

Pregabalin ist bei peripheren und zentralen neuropathischen Schmerzen wirksam und<br />

hat einen guten Effekt auf die Komorbidität Schlafstörung ().<br />

Duale Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI; Venlafaxin, Duloxetin)<br />

sind bei der Therapie der schmerzhaften diabetischen Neuropathie wirksam ().<br />

Lamotrigin ist bei postischämischen zentralen Schmerzsyndromen und bei neuropathischen<br />

Schmerzen infolge einer kompletten oder inkompletten spinalen Läsion wirksam ().<br />

Neue Initiative „Chronischer Schmerz“<br />

Österreichische PatientInnen gehen im Durchschnitt<br />

erst mehr als drei Wochen nach<br />

Schmerzbeginn zum Arzt/zur Ärztin – so die<br />

Ergebnisse einer aktuellen, zum Teil unveröffentlichten<br />

Untersuchung. Aber gerade ein<br />

früher Behandlungsbeginn ist für den Behandlungserfolg<br />

von zentraler Bedeutung und<br />

kann auch der Chronifizierung von Schmerzen<br />

vorbeugen.<br />

Nach den Ergebnissen einer Umfrage mit fast 57.000 Befragten<br />

aus 5 EU-Ländern lässt häufig auch die Therapietreue zu wünschen<br />

übrig: 25 % der Patienten, denen ein rezeptpflichtiges Schmerzmittel<br />

verschrieben wurde, nehmen eine zu niedrige Dosis ein. Und:<br />

Schmerzen werden häufig unterbehandelt: 12 % der PatientInnen<br />

mit schweren Schmerzen nehmen nur ein nicht verschreibungspflichtiges<br />

Schmerzmedikament (OTC), 8 % wurden gar nicht behandelt.<br />

Rund 60 % der PatientInnen mit starken Schmerzen sind<br />

mit ihrer Behandlung unzufrieden.<br />

Die Ärzte Krone startet in Kooperation<br />

mit der Österreichischen<br />

Schmerzgesellschaft<br />

(ÖSG) unter ihrem Präsidenten,<br />

Univ.-Prof. Dr. Günther Bernatzky,<br />

Salzburg, sowie unter ihrem<br />

Past-Präsidenten, Univ.-Prof. Dr.<br />

Wilfried Ilias, Wien, eine große<br />

Informationsoffensive zum Thema „Chronischer Schmerz“. Sie wird<br />

begleitet sein von Berichten in diversen Fachmedien des MedMedia-Verlages<br />

sowie – für Laien aufbereitet – in „Krone Gesund“.<br />

Geplant sind auch eine Podiumsdiskussion im „Institut für Ethik<br />

und Recht in der Medizin“, eine „Punkte“-Ausgabe (das Fortbildungsmedium<br />

des MedMedia-Verlages) sowie ein Schmerzreport,<br />

in dem erhoben wird, wie viele ÖsterreicherInnen unter chronischen<br />

Schmerzen leiden. Der Arzneiombudsman wird sich mit Erstattungsproblemen<br />

der Schmerztherapie befassen. Die Aktivitäten werden<br />

auch auf www.netdoktor.at zu verfolgen sein.<br />

84


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Bewegungsstörungen<br />

Überprüfung der Eignung des<br />

Sniffin’Sticks-Riechtests in der Diagnostik<br />

des M. Parkinson<br />

SniffPD-Studie<br />

Es gilt nunmehr als gesichert, dass Geruchssinnstörungen<br />

den motorischen Störungen des Parkinson einige<br />

Jahre vorausgehen. Weiters ist die Wahrscheinlichkeit,<br />

einen M. Parkinson (MP) zu bekommen, erhöht, wenn<br />

eine Geruchssinnstörung vorliegt 1 . Die vorliegende<br />

multizentrische, klinische Studie stellte sich die Aufgabe,<br />

herauszufinden, ob mittels eines einfachen, ökonomisch<br />

günstigen und schnell von jedermann anwendbaren<br />

Geruchstests eine valide Aussage über das Vorliegen<br />

einer Alpha-Synukleopathie möglich ist.<br />

Die Alpha-Synukleopathien (idiopathischer M. Parkinson und Multisys -<br />

tematrophie) gehen mit einer Geruchssinnstörung einher, die bei den<br />

Nicht-Alpha-Synukleopathien mit ähnlichem klinischem Erscheinungsbild<br />

(progressive supranukleäre Parese, kortikobasale Degeneration und<br />

vaskuläre extrapyramidale Störungen) nicht beobachtbar sind. Die<br />

Unterscheidung wird dadurch verkompliziert, dass Geruchssinnstörungen<br />

bei fortschreitendem Alter häufiger vorkommen. Es sollte also die<br />

Frage beantwortet werden, ob aus dem Test eine zusätzliche Information<br />

über die Art der falschen Antwort möglich ist.<br />

Die Treffsicherheit (Spezifität und Sensitivität) von kombinatorischen<br />

Tests, die rein quantitativ ausgerichtet sind, also Erkennungsquoten<br />

summieren (z. B. Combined Odor Thresholds, Discrimination and Identification<br />

TDI), ist allerdings nicht hoch genug, um bei MP als verlässliches<br />

diagnostisches Instrument alleine eingesetzt werden zu können 2 .<br />

Im Routinebetrieb der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass die Art der Verwechslung<br />

bei Parkinson-PatientInnen typisch ist: Es werden bestimmte<br />

Gerüche häufig mit bestimmten anderen verwechselt. Die Geruchssinnstörung<br />

ist den Betroffenen meist nicht bewusst.<br />

Da es also bei MP gewisse Hinweise auf selektive Geruchsdefizite gibt 3 ,<br />

sollte versucht werden, über einen qualitativen Ansatz, also über<br />

Geruchserkennungsmuster, die Treffsicherheit von MP-diagnostischen<br />

Riechtests zu verbessern 4 .<br />

Material und Methode<br />

Im Großraum Wien schlossen sich 10 Neurologinnen und Neurologen<br />

aus dem nieder gelassenen Bereich zu einer Studiengruppe * zusammen.<br />

Insgesamt wurden 276 PatientInnen in die Studie eingeschlossen. Die<br />

Aufteilung auf die 3 Kohorten war wie folgt:


-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

Zusammengestellt für den<br />

Beirat Bewegungsstörungen:<br />

Prim. Dr. Dieter Volc 1 ,<br />

Dr. Albert Wuschitz 2 , Dr. Wolfgang Schimetta 3<br />

für das SniffPD-Studienteam*<br />

1 Neurologische Abteilung, Confraternität Wien;<br />

2 Facharzt für <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie, Wien;<br />

3 Abteilung für Angewandte Systemforschung und Statistik, Johannes-Kepler-Universität Linz<br />

Abb. 1: Stick 5 (Banane) – Einstufung des Geruchs als …<br />

• Kohorte MP: PatientInnen mit gesichertem<br />

Morbus Parkinson (diagnostiziert anhand<br />

der UK-Brain-Bank-Kriterien, z. T. auch<br />

mit Dopamintransporter-SPECT) n = 122<br />

(diese Kohorte gliederte sich, was Sub -<br />

typen betrifft, auf in 3,5 % Akinese,<br />

39,8 % Akinese-Rigor, 28,3 %<br />

Äquivalenz, 7,1 % Rigor und<br />

21,2 % Tremor).<br />

• Kohorte CD: PatientInnen mit zerebralen<br />

Durchblutungsstörungen ohne Parkinsonismus<br />

(Z. n. Insult oder Mikroangio -<br />

pathie), n = 61<br />

• Kohorte POMP: ProbandInnen ohne<br />

Morbus Parkinson und auch ohne andere<br />

<strong>neurologisch</strong>e Erkrankungen, n = 93<br />

Der handelsübliche Sniffin’-Sticks-Riechtest in<br />

der Ausführung Screening 12 (Burghart<br />

Medizintechnik, Wedel, Deutschland) kam<br />

zur Anwendung. Es ist ein einfach und ökonomisch<br />

anwendbares Instrument zur<br />

Geruchsschnelldiagnostik.<br />

%<br />

100 -<br />

90 -<br />

80 -<br />

70 -<br />

62,3<br />

60 -<br />

50 -<br />

40 -<br />

30 -<br />

20 - 15,6 13,1<br />

9,0<br />

10 -<br />

0 -<br />

MP<br />

0,0 4,9 93,4<br />

CD<br />

glichen. Der Grund lag in den relativ günstigen<br />

Ergebnissen der Überprüfung des diagnostischen<br />

Stellenwerts der Erkennung von<br />

MP-PatientInnen mittels des Sniffin’-Sticks-<br />

Riechtest in der Ausführung Screening 12.<br />

Damit verlagerte sich der Schwerpunkt<br />

begleitender Analysen auf die Gegenüberstellung<br />

von PatientInnen mit MP und PatientInnen<br />

ohne MP. Außerdem nivellierten sich<br />

durch diese Vorgangsweise einzelne bei der<br />

1,6 0,0 1,1<br />

96,8<br />

POMP<br />

2,2<br />

Kokos (falsch)<br />

Walnuss (falsch)<br />

Banane (richtig)<br />

Kirsche (falsch)<br />

Aufteilung auf 3 Kohorten festgestellte Baseline-Ungleichheiten<br />

(z. B. gegenüber MP<br />

höheres Alter bei CD und niedrigeres Alter<br />

bei POMP).<br />

Die leichte und rasche Anwendbarkeit und<br />

Sicherheit wurde von allen durchführenden<br />

NeurologInnen positiv bewertet.<br />

Die 12 verschiedenen Gerüche wurden sehr<br />

unterschiedlich wahrgenommen. Während<br />

Orange von Betroffenen (78,7 %) und nicht u<br />

Ergebnisse<br />

Abb. 2: Stick 10 (Ananas) – Einstufung des Geruchs als …<br />

Der Abschluss der Studie konnte als prüfplangemäß<br />

eingestuft werden, obwohl in der<br />

Kohorte POMP nur 78 % der angestrebten<br />

Einschlusszahl (n = 120) erreicht wurden. Die<br />

für die Diagnostik von MP relevante Kombination<br />

der (Kontroll-)Kohorten CD und POMP<br />

(Kohorte CD+POMP: n = 154) beinhaltete 86<br />

% der angestrebten Einschlusszahl (n = 180).<br />

In Abweichung zu den primären Festlegungen<br />

wurde eine Gegenüberstellung aller 3<br />

Kohorten (MP, CD, POMP) nur in Form einer<br />

Nebenanalyse deskriptiv vorgenommen,<br />

währenddessen wurden die Kohorten MP<br />

und CD+POMP zusätzlich auch statistisch ver-<br />

%<br />

100 -<br />

90 -<br />

80 -<br />

70 -<br />

60 -<br />

50 -<br />

40 -<br />

30 -<br />

20 -<br />

10 -<br />

0 -<br />

67,2<br />

36,9<br />

21,3 23,0 18,9<br />

6,6 11,5 14,8 7,5<br />

4,3 2,2<br />

MP CD POMP<br />

86,0<br />

Birne (falsch)<br />

Pflaume (falsch)<br />

Pfirsich (falsch)<br />

Ananas (richtig)<br />

87


-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Bewegungsstörungen<br />

Abb. 3: ROC-Kurve für das Modell des MP-Diagnose-Tools<br />

1,0 -<br />

Spezifität<br />

0,8 -<br />

0,6 -<br />

0,4 -<br />

0,2 -<br />

0,0 -<br />

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0<br />

1 – Sensitivität<br />

Abb. 4: Deutlicher Trend zu schlechteren Ergebnissen in der MP-Gruppe im<br />

Vergleich zu CD und POMP<br />

Sniffin’Sticks-Anzahl der korrekten Ergebnisse<br />

12 -<br />

10 -<br />

8 -<br />

6 -<br />

4 -<br />

2 -<br />

0 -<br />

49<br />

42<br />

155<br />

19<br />

--<br />

MP CD POMP<br />

Zuordnung zur Kohorte<br />

276<br />

187<br />

Betroffenen (80,3 % und 97,8 %) fast immer<br />

erkannt wurde, lag die Trennschärfe bei Fisch<br />

wesentlich höher. POMP (93,5 %) und CD<br />

(86,2 %) erkannten Fisch fast immer, während<br />

42,6 % der MP-PatientInnen den<br />

Geruch falsch als Käse, Brot oder Schinken<br />

bezeichneten. Ähnlich deutlich fiel das Ergebnis<br />

für Ananas aus, 86 % der Gesunden<br />

lagen richtig und nur 36,9 % der Parkinson-<br />

Betroffenen.<br />

Pfefferminz und Gewürznelke sind als intensive<br />

Gerüche und möglicherweise auch als<br />

Trigeminus-Reizstoffe aktiver und wurden zu<br />

einem hohen Prozentsatz richtig erkannt,<br />

wobei bei Pfefferminz in der Parkinson-Gruppe<br />

die Verwechslung mit Fichte bei 16,4 %<br />

auftrat, in der Kontrollgruppe nur bei 5 %.<br />

Reihenfolge: Praktisch bewährt sich das Vorgehen<br />

nach folgender Reihenfolge: Stick 1<br />

(Orange) wird von fast allen ProbandInnen<br />

richtig erkannt. Wird es nicht richtig erkannt,<br />

gibt das einen ersten Hinweis auf eine eventuelle<br />

Leitungsstörung, also eine Störung im<br />

Bereich der Luftwege zum Riechepithel.<br />

Ähnlich verhält es sich mit Stick 2 (Schuhleder),<br />

hier gibt die Variante „Rauch“ einen<br />

Hinweis auf Parkinson. Wird Zimt mit Honig<br />

oder Vanille verwechselt, ist das ein Hinweis<br />

auf die Parkinson-Gruppe. Pfefferminz wird<br />

von gesunden ProbandInnen fast immer richtig<br />

eingestuft. Banane (Abb. 1) schätzen ProbandInnen<br />

ohne Parkinson praktisch immer<br />

richtig ein, Parkinson-PatientInnen nur zu<br />

62,3 %. Die Verwechslung ist hier Kokos vor<br />

Walnuss und Kirsche, was bei gesunden ProbandInnen<br />

praktisch nicht vorkommt.<br />

Die Verwechslung von Zitrone mit Grapefruit<br />

ist naturgemäß auch bei ProbandInnen ohne<br />

Parkinson groß, jedoch geben diese nicht so<br />

häufig Apfel und Pfirsich als Geruchswahrnehmung<br />

an.<br />

Obwohl Lakritze als schwieriger Geruch eingestuft<br />

wird, kann er von der Kontrollgruppe<br />

doch in über 80 % richtig angegeben werden,<br />

während es bei MP nur 40 % sind.<br />

Ähnlich verhält es sich bei Kaffee, der in der<br />

Kontrollgruppe zu über 90 % richtig erkannt<br />

wird, während 26,3 % der Parkinson-PatientInnen<br />

den Geruch mit Zigaretten- oder Kerzenrauch<br />

verwechseln. Gewürznelke ist recht<br />

unspezifisch, aber Ananas (Abb. 2) liefert eine<br />

wichtige Abgrenzung. 86 % der Gesunden<br />

liegen richtig, aber nur 36,9 % der Parkinson-Betroffenen.<br />

Auch bei Rosen ist der Prozentsatz der richtigen<br />

Angaben bei Gesunden sehr hoch und<br />

liegt bei MP nur bei 59 %. Fisch ist sehr unangenehm<br />

für normale Nasen: Bei MP ist zwar<br />

die Dauer des Schnüffelns länger, die Angaben<br />

sind nur bei 57,4 % richtig im Vergleich<br />

zu 86,2 bzw. 93,5 in der Kontrollgruppe.<br />

Modell für MP-Diagnose: Bei der Überprüfung<br />

einer Eignung der Kombination von einzelnen<br />

Item-Ergebnissen als MP-Diagnose-<br />

Tool lieferte die logistische Regression (Vorwärtsselektion<br />

nach Wald) ein Modell mit folgender<br />

Treffsicherheit:<br />

88


• Sensitivität: 70,2 %<br />

(95%-KI: 61,3–78,2 %)<br />

• Spezifität: 84,2 %<br />

(95%-KI: 77,4–89,6 %)<br />

In dieses Modell wurden folgende Riechtest-<br />

Items aufgenommen:<br />

• Stick 03 Item 4 = Zimt<br />

(korrekte Geruchsvariante)<br />

• Stick 05 Item 3 = Banane<br />

(korrekte Geruchsvariante)<br />

• Stick 07 Item 1 = Lakritze<br />

(korrekte Geruchsvariante)<br />

• Stick 08 Item 4 = Kerzenrauch<br />

(falsche Geruchsvariante)<br />

• Stick 10 Item 4 = Ananas<br />

(korrekte Geruchsvariante)<br />

• Stick 11 Item 3 = Rosen<br />

(korrekte Geruchsvariante)<br />

Um den Stellenwert des Item-spezifischen<br />

Modells als MP-Diagnose-Tool zu dokumentieren,<br />

wurde dieses einem Ansatz, der die Anzahl<br />

an korrekt erkannten Geruchsvarianten für die<br />

Identifizierung von MP verwendet, gegenübergestellt.<br />

Für das letztgenannte Diagnose-Tool<br />

ergaben sich aus dessen ROC-Kurve (Receiver<br />

Operating Characteristic Curve: grafische Darstellung<br />

der Wertepaare von Spezifität und<br />

Sensitivität eines diagnostischen Tests für alle<br />

möglichen Cut-off-Punkte innerhalb des Messbereiches)<br />

folgende ausgewählte Alternativmodelle<br />

für eine MP-Erkennung:<br />

• Modell 1: Einstufung als MP bei nicht<br />

mehr als 7 korrekt erkannten Geruchs -<br />

varianten: Sensitivität = 55,7 %,<br />

Spezifität = 89,0 %<br />

• Modell 2: Einstufung als MP bei nicht<br />

mehr als 8 korrekt erkannten Geruchs -<br />

varianten: Sensitivität = 67,2 %,<br />

Spezifität = 85,1 %<br />

• Modell 3: Einstufung als MP bei nicht<br />

mehr als 9 korrekt erkannten Geruchs -<br />

varianten: Sensitivität = 78,7 %,<br />

Spezifität = 76,6 %<br />

u


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Bewegungsstörungen<br />

• Modell 4: Einstufung als MP bei nicht<br />

mehr als 10 korrekt erkannten Geruchs -<br />

varianten: Sensitivität = 88,5 %,<br />

Spezifität = 60,4 %<br />

Diskussion<br />

Das Studienhauptziel, einen Item-spezifischen<br />

Ansatz zur Erkennung von MP herauszuarbeiten<br />

(mit der Option, daraus ein MP-<br />

Früherkennungsinstrument zu entwickeln),<br />

kann anhand der Eckdaten des mittels logistischer<br />

Regression entwickelten Modells (Heranziehung<br />

von 6 Items, Sensitivität = 70,2 %,<br />

Spezifität = 84,2 %) als erreicht gelten.<br />

Die anhand von Trefferquoten berechneten<br />

besten Alternativmodelle (Modelle 2 und 3)<br />

sind, was die MP-Erkennung anbelangt, in<br />

der Größenordnung des Item-spezifischen<br />

Modells angesiedelt.<br />

Der Trefferquotenansatz bietet kein nennenswertes<br />

Potenzial für weitere Verbesserungen<br />

der Treffsicherheit (relativ hoher „Preis“ für<br />

eine relevant über die Kennwerte des Itemspezifischen<br />

Modells hinausgehende Erhöhung<br />

von Spezifität oder Sensitivität durch<br />

Cut-off-Verschiebungen – siehe Alternativmodelle<br />

1 und 4: Erhöhung der Spezifität auf<br />

89 %, Verringerung der Sensitivität auf 56<br />

%; Erhöhung der Sensitivität auf 89 % Verringerung<br />

der Spezifität auf 60 %). Dies liegt<br />

gut im gleichen Rahmen wie bei anderen<br />

Untersuchungen mit ähnlichem Ansatz 5, 6 .<br />

Jahrestagung der<br />

Österreichischen Parkinson <strong>Gesellschaft</strong><br />

13. bis 15. Oktober 2011<br />

Congress Center Villach<br />

Information:<br />

Österreichische Parkinson <strong>Gesellschaft</strong><br />

Skodagasse 14–16, 1080 Wien<br />

www.parkinson.at<br />

Auch eine Kombination von Trefferquoten-<br />

Modellen mit dem Item-spezifischen Modell<br />

bringt trotz leichter modellspezifischer Unterschiede<br />

bei der Identifizierung von MP-<br />

PatientInnen (Indikator für die generelle Sinnhaftigkeit<br />

eines Kombinationsversuchs) keine<br />

ersichtlichen Vorteile (keine Erhöhung der<br />

Spezifität ohne nahezu gleich große Senkung<br />

der Sensitivität und umgekehrt).<br />

Limitationen: Zusätzlich bestehen die folgenden<br />

allgemeinen Limitationen bei der<br />

Inter pretation der vorliegenden Studienergebnisse:<br />

a) Es ist (zumindest derzeit) keine Analyse verfügbar,<br />

die aussagt, ob die Treffsicherheit der<br />

untersuchten Modelle (Trefferquoten- und<br />

Item-spezifisch) bei allen MP-PatientInnen<br />

relativ gleichartig besteht, oder ob vielleicht<br />

gewisse Subgruppen verstärkt für die insgesamt<br />

charakteristischen Geruchserkennungsdefizite<br />

verantwortlich sind.<br />

b) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass<br />

sich im Kontrollpersonenkollektiv Individuen<br />

mit MP im klinisch unerkannten Frühstadium<br />

befunden haben, für das ebenfalls bereits<br />

eine Geruchsstörung vermutet wird.<br />

c) Die Studienergebnisse, die nur bei klinisch<br />

manifestiertem MP gewonnen werden konnten,<br />

geben keine Auskunft darüber, ob die<br />

identifizierten Diagnoseinstrumente auch bei<br />

subklinischem MP-Frühstadium „greifen“.<br />

Die Akzeptanz des Sniffin’-Sticks-Riechtests ist<br />

als gut einzustufen, der einzige Kritikpunkt<br />

am Device per se betraf die Geruchssorte<br />

„Lakritze“, allerdings auch nur mit marginaler<br />

Intensität und mutmaßlich fehlender Notwendigkeit<br />

von Konsequenzen. Sicherheits- oder<br />

Handhabungsmängel sind nicht beschrieben.<br />

Resümee<br />

Zusammenfassend lässt sich postulieren (Abb. 4),<br />

dass die Identifizierung von MP durch<br />

Geruchserkennungsmuster (Riechtest-Itemspezifisch)<br />

möglich ist und zumindest genauso<br />

treffsicher verläuft wie durch die Inzidenz<br />

an korrekten Geruchserkennungen (Trefferquoten-spezifisch).<br />

Die Beschäftigung mit<br />

dem Schnelltest lässt sich rasch erlernen und<br />

ist einfach im Rahmen der <strong>neurologisch</strong>en<br />

Untersuchung durchführen. In Zukunft wird<br />

es noch wichtiger sein, M. Parkinson früh<br />

oder präklinisch zu erkennen, weshalb Biomarker<br />

und einfache Screening-Methoden<br />

etabliert werden müssen 7 .<br />

n<br />

* SniffPD-Studienteam:<br />

Die Studie wurde in folgenden Ordinationen durch -<br />

geführt: Helene Eckelhart, Notburga Fast, Monika<br />

Reichenauer, Andrea Taut, Caroline Thun-Hohenstein,<br />

Claudia Wiegand, Charles Allen, Günther Possnigg,<br />

Albert Wuschitz und Dieter Volc<br />

Organisatorische Betreuung: Nicole Halasek,<br />

Karina Ludwig, Alexandra Dunkler<br />

Statistik: Wolfgang Schimetta, Werner Pölz<br />

(Johannes-Kepler-Universität Linz)<br />

1 Haehner A, Hummel T, Reichmann H, Olfactory<br />

Dysfunction as a Diagnostic Marker for Parkinson’s<br />

Disease. Expert Rev Neurother 2009; 1773–1779<br />

2 Hummel T, Sekinger B, Wolf S, Pauli E, Kobal G,<br />

„Sniffin’Sticks“: Olfactory performance assessed by<br />

the combined testing of odor identification, odor<br />

discrimination and olfactory threshold. Chem Senses<br />

1997; 22:39–52<br />

3 Daum RF, Sekinger B, Kobal G, Lang CJ, Olfactory<br />

testing with ‘sniffin’ sticks’ for clinical diagnosis of<br />

Parkinson disease. Nervenarzt 2000; 71: 643–650<br />

4 Rodríguez-Violante M, Lees AJ, Cervantes-Arriaga A,<br />

Corona T, Silveira-Moriyama L, Use of smell test identi -<br />

fication in Parkinson’s disease in Mexico: a matched<br />

case-control study. Mov Disord 2011; 26(1):173–6<br />

5 Deeb J, Shah M, Muhammed N, Gunasekera R, Gannon<br />

K, Findley LJ, Hawkes CH, A basic smell test is as<br />

sensi tive as a dopamine transporter scan: comparison<br />

of olfaction, taste and DaTSCAN in the diagnosis of<br />

Parkinson’s disease. QJM 2010; 103(12):941–52<br />

6 Wolfensberger M, Schnieper I, Welge-Lüssen A, Sniffin’<br />

Sticks: a new olfactory test battery. Acta Otolaryngol<br />

2000 Mar; 120(2):303–6<br />

7 Savica R, Rocca WA, Ahlskog JE, When does Parkinson<br />

disease start? Arch Neurol 2010; 67(7):798–801<br />

90


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlafstörungen<br />

Zusammengestellt im Namen<br />

des Beirats „Schlafstörungen“:<br />

Priv.-Doz. Dr.<br />

Birgit Frauscher<br />

Univ.-Prof. Dr.<br />

Birgit Högl<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Medizinische Universität Innsbruck<br />

Neuer Durchbruch in der Genetik des RLS<br />

Das Restless Legs Syndrom (RLS) ist eine häufige <strong>neurologisch</strong>e Erkrankung<br />

mit einer Prävalenz von bis zu 10 % in der allgemeinen Bevölkerung.<br />

Ungefähr 3 % benötigen eine RLS-spezifische medikamentöse<br />

Therapie. PatientInnen mit RLS beklagen vorwiegend abends und in<br />

der Nacht auftretende Missempfindungen im Bereich der unteren Extremitäten,<br />

vergesellschaftet mit Bewegungsdrang, und erfahren eine<br />

deutliche Besserung ihrer Beschwerden auf Bewegung. Bei den meisten<br />

PatientInnen kann ein guter Therapieerfolg mit dopaminergen Subs -<br />

tanzen erzielt werden, von denen in Europa Levodopa, Pramipexol,<br />

Ropinirol und Rotigotin zugelassen sind.<br />

Seit vielen Jahren ist bei RLS eine familiäre Häufung bekannt. Da RLS<br />

keine monogenetische Erkrankung ist, erbrachten erstmals 2007 genomweite<br />

Assoziationsstudien den direkten Nachweis von genetischen<br />

Polymorphismen bei idiopathischem RLS (MEIS1-Gen auf Chromosom<br />

2p, BTBD9-Gen auf Chromosom 6p, MAP2K5/LBXCOR1-Gen auf Chromosom<br />

15q). Als 4. Polymorphismus wurde unter Mitwirkung unserer<br />

Arbeitsgruppe PTPRD auf Chromosom 9p entdeckt.<br />

Entscheiden<br />

Narkolepsie-PatientInnen anders?<br />

Die Narkolepsie mit Kataplexie ist eine immer noch häufig unterdiagnostizierte<br />

Erkrankung, deren Prävalenz bei 0,5 % liegt.<br />

Ihre Kardinalsymptome sind erhöhte Tagesschläfrigkeit mit imperativen<br />

Einschlafattacken, Kataplexien, hypnagoge Halluzinationen<br />

und Schlafparalysen. Bei der Narkolepsie mit Kataplexie<br />

handelt es sich um eine autoimmunologische Erkrankung, bei<br />

der es zum Untergang von Hypocretin-1 produzierenden Zellen<br />

im dorsolateralen Hypothalamus kommt. Hypocretin hat nicht<br />

nur eine wichtige Funktion in der Schlaf-wach-Regulation, sondern<br />

auch für die Nahrungsaufnahme, Regulation von Emotionen<br />

und kognitiven Funktionen sowie in der Schmerzverarbeitung.<br />

Weiters beeinflusst das Hypocretin-System das dopaminerge Sys -<br />

tem, welches Veränderungen in der Verarbeitung von Belohnung<br />

und beim Treffen von Entscheidungen vermuten lässt.<br />

Studie: Das Ziel der vorliegenden genetischen Studie 1 derselben Kollaborationspartner<br />

aus Europa, Kanada und den USA unter Leitung von<br />

Frau Prof. Winkelmann bestand darin, in einem großen PatientInnenkollektiv<br />

von 4857 RLS-PatientInnen und 7280 Kontrollen genetische Sequenzvarianten<br />

(SNP) in einer genomweiten Assoziationsstudie zu untersuchen.<br />

Im explorativen Teil der Untersuchung wurde die DNA von 922<br />

PatientInnen (davon 124 aus Österreich) und 1526 Kontrollen analysiert.<br />

In die Replikation ging die DNA von 3935 PatientInnen (davon 288 aus<br />

Österreich) und 5754 Kontrollen ein. Neben den bereits bekannten Polymorphismen<br />

wurden 2 weitere Loci entdeckt. Es handelt sich dabei um<br />

eine Intergen-Region auf Chromosom 2p14 und TOX3 auf Chromosom<br />

16q12.1. TOX3 ist in der Regulierung zerebraler Aktivität involviert. Es<br />

ist bekannt, dass eine Zunahme von TOX3 neuronale Zellen vor dem Zelltod<br />

bewahrt. Der genaue Zusammenhang zwischen TOX3 und RLS ist<br />

derzeit noch nicht vollständig bekannt.<br />

Kommentar: Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die bisher<br />

größte genomweite Assoziationsstudie bei idiopathischem RLS, die neben<br />

den bekannten Polymorphismen 2 weitere Genloci, die mit RLS assoziiert<br />

sind, entdeckte. TrägerInnen der genetischen Risikovarianten haben eine<br />

erhöhte Wahrscheinlichkeit, in ihrem Leben RLS zu entwickeln. Eine der<br />

in dieser Studie neu entdeckten Varianten, TOX3, spielt eine Rolle in<br />

der Regulierung zerebraler Aktivität. Insgesamt liefern Ergebnisse der<br />

vorliegenden Studie neue Erkenntnisse zu Entstehungsmechanismen des<br />

RLS. Potenzielle Therapieimplikationen bleiben abzuwarten.<br />

n<br />

Studie: In die aktuelle Studie 1 wurden 21 PatientInnen mit<br />

Narkolepsie-Kataplexie und 58 ProbandInnen eingeschlossen.<br />

PatientInnen sammelten weniger Informationen, tolerierten<br />

mehr Unsicherheit, ihre Entscheidungen wurden weniger<br />

durch Belohnung beeinflusst und sie behielten ihre ungünstigen<br />

Entscheidungen trotz negativer Rückmeldung bei.<br />

Keine Unterschiede zeigten sich in der kognitiven Flexibilität,<br />

im Regellernen und -umkehren, im Arbeitsgedächtnis und in<br />

der räumlichen Planungsfähigkeit. Zusammenfassend zeigten<br />

Narkolepsie-PatientInnen sehr gute Leistungen in verschiedenen<br />

neuropsychologischen Domänen, während spezifische<br />

Funktionen (Informationssuche, Treffen von Entscheidungen<br />

unter Unsicherheit) verglichen mit ProbandInnen unterschiedlich<br />

waren.<br />

Kommentar: Das Vorhandensein von kognitiven Defiziten bei<br />

PatientInnen mit Narkolepsie-Kataplexie wird kontroversiell diskutiert.<br />

Die vorliegende Studie konnte erstmals zeigen, dass<br />

PatientInnen mit Narkolepsie-Kataplexie in den meisten Bereichen<br />

sehr gute neuropsychologische Leistungen erzielen, während<br />

sich wenige spezifische Unterschiede, insbesondere in der<br />

Informationssuche und im Treffen von Entscheidungen unter<br />

Unsicherheit, ergaben. Ob die nachgewiesenen Unterschiede<br />

von Relevanz für den Alltag von Narkolepsie-PatientInnen sind,<br />

bedarf weiterer Untersuchungen.<br />

n<br />

1 Winkelmann J et al., Genome-wide association study identifies novel Restless Legs-Syndrome<br />

susceptibility Loci on 2p14 and 16q12.1. PLoS Genet 2011; 7:e1002171<br />

1 Delazer M et al., Executive functions, information sampling, and decision<br />

making in narcolepsy with cataplexy. Neuropsychology 2011; 25:477–87<br />

94


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlaganfall<br />

Zusammengestellt für den Beirat „Schlaganfall“:<br />

Univ.-Doz. Dr. Hans-Peter Haring<br />

Neurologische Abteilung, Landesnervenklinik Wagner-Jauregg, Linz<br />

Endovaskuläres Schlaganfallmanagement<br />

Wozu endovaskulär<br />

intervenieren?<br />

Tab.: Studien zur endovaskulären Schlaganfallbehandlung<br />

Die endovaskuläre Schlaganfallbehandlung<br />

ist eine Reaktion auf die Tatsache, dass die<br />

Rekanalisationspotenz intravenöser Thrombolyse<br />

dann an ihre Grenzen stößt, wenn es<br />

sich um proximal gelegene und/oder langstreckige<br />

Gefäßverschlüsse handelt.<br />

Die akute Schlaganfalltherapie mittels intravenöser<br />

rTPA-Applikation gilt dabei als evidenzbasierter<br />

Standard. Die Methode ist seit<br />

Mitte der 1990er Jahre eingeführt, in ihrem<br />

Nutzen-Risiko-Verhältnis klar definiert und in<br />

jeder <strong>neurologisch</strong>en Standardabteilung problemlos<br />

und kostengünstig umsetzbar.<br />

Trotzdem wurde bereits vor mehr als 20 Jahren<br />

mittels intraarterieller (endovaskulärer)<br />

Applikation thrombolytischer Substanzen experimentiert.<br />

2004 wurde der erste endovaskuläre<br />

Katheter (MERCI-Katheter) von der<br />

FDA für die akute Schlaganfallintervention<br />

zugelassen. Seither entwickelte sich die Kathetertechnologie<br />

rasant weiter. Gegenwärtig<br />

werden bevorzugt Absaugsysteme (z. B. Penumbra-Katheter)<br />

oder transientes Thrombenstenting<br />

(z. B. Solitaire-Stent, Trevo-Stent)<br />

eingesetzt.<br />

Intravenös versus endovaskulär<br />

Unabhängig von der verwendeten Methode<br />

fokussiert die akute Schlaganfalltherapie auf<br />

zwei therapeutisch beeinflussbare Parameter:<br />

1. Rekanalisation<br />

2. Rekanalisation so rasch wie möglich<br />

In diesem Anspruch sind intravenöse und endovaskuläre<br />

Therapie keine konkurrierenden,<br />

sondern komplementäre Therapien.<br />

Die Mehrheit der distal gelegenen Gefäßverschlüsse<br />

ist unumstritten eine Domäne der<br />

intravenösen rTPA-Applikation.<br />

Bei proximalen Verschlüssen ist die i. v.<br />

Thrombolyse hingegen mit Rekanalisationsraten<br />

zwischen 10 % (Karotis-T-Gabel) und<br />

30–40 % (M1-Segment, A. basilaris) der endovaskulären<br />

Behandlung mit konstant berichteten<br />

Rekanalisationsraten bis über 80 %<br />

(M1-Segment, A. basilaris) unterlegen.<br />

Die effiziente Rekanalisation übersetzt sich<br />

aber nicht 1 : 1 in entsprechendes klinisches<br />

Studie Jahr n Bas- Technik % % mRS %<br />

nihss<br />

TICI 2–3 2–3/90tg Mort/90tg<br />

PROACT 1 1999 180 17 Ia prourokin. 66 40 25<br />

MultiMERCI 2 2007 80 19 IV + Mercikath. 69 36 34<br />

IMS 2 3 2007 81 19 IV + IA 60 46 16<br />

PENUMBRA 4 2009 125 18 Absaugkath. 82 25 32<br />

RECANALISE 5 2009 53 22 IV + Stent 87 57 17<br />

SARIS 6 2009 20 14 Stent 100 60 0<br />

SOLITAIRE 7 2010 20 19 Stent 90 45 0<br />

1 Furlan A et al., JAMA 1999; 282:2003–11; 2 Flint AC et al., Stroke 2007; 38:1274–80; 3 IMS 2 Trial Investigators,<br />

Stroke 2007; 38:2127–35; 4 Penumbra Pivotal Stroke Trial Investigators; Stroke 2009; 40:2761–68; 5 Mazighi M<br />

et al., Lancet Neurology, 2009; 8:802–09; 6 Lewy EI et al., Stroke 2009; 40:3552–56; 7 Castano C et al., Stroke 2010;<br />

41:1836–40<br />

Outcome. Ein Hauptgrund dafür liegt in der<br />

weitaus höheren Behandlungskomplexität.<br />

Sekundärtransport an spezialisierte Zentren,<br />

logistischer Organisationsaufwand und die<br />

anspruchsvolle endovaskuläre Technik an sich<br />

benötigen Zeit. Dieser „(Zeit-)Preis“ ist dem<br />

Rekanalisationsvorteil in einem wissenschaftlich<br />

noch nicht definierten Ausmaß gegenzurechnen.<br />

Evidenzlage<br />

Gegenwärtig ist die endovaskuläre Schlaganfalltherapie<br />

ein experimentelles Verfahren<br />

(Ausnahme: intraarterielle Prourokinase innerhalb<br />

von 6 Stunden).<br />

Ungeachtet dessen ist der Therapieansatz pathophysiologisch<br />

plausibel. Eine Reihe nicht<br />

randomisierter klinischer Studien mit unterschiedlichen<br />

Techniken und Designs belegten<br />

wiederholt die hohe Rekanalisationspotenz.<br />

Die divergierenden klinischen Erfolge korrespondieren<br />

dabei mit den uneinheitlich langen<br />

therapiefreien Intervallen. Hohe Rekanalisationsraten<br />

konnten dann nicht in entsprechendes<br />

Outcome übersetzt werden, wenn<br />

das therapiefreie Intervall zu lange (median<br />

> 6 Stunden) war (Multi MERCI, Penumbra).<br />

Dieser Befund untermauert einmal mehr, dass<br />

– unabhängig von der eingesetzten Technik<br />

– Rekanalisation nur dann erfolgreich ist,<br />

wenn sie rasch gelingt.<br />

Infrastruktur<br />

Unbestritten verursacht das endovaskuläre<br />

Schlaganfallmanagement einen erheblichen<br />

logistischen Aufwand und konsumiert personelle,<br />

materielle und finanzielle Ressourcen.<br />

Noch mehr als bereits gegenwärtig, erfordert<br />

jeder Eingriff eine sorgfältig abgestimmte Kooperation<br />

zwischen <strong>Neurologie</strong>, Neuroradiologie<br />

und Anästhesie.<br />

u<br />

95


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schlaganfall<br />

Die aufwändige prozedurale Logistik einerseits<br />

und die limitierte Fallfrequenz andererseits<br />

(nur ca. 20 % proximale Gefäßverschlüsse)<br />

sind Argumente für die Etablierung regionaler<br />

Interventionszentren.<br />

Der aktuellen Entwicklung Folge tragend hat<br />

sich zwischenzeitlich in nahezu jedem österreichischen<br />

Bundesland ein Interventionszentrum<br />

etabliert. Zusätzlich scheint die Schaffung<br />

abteilungsübergreifender Kooperationsstrukturen<br />

zielführend zur Minimierung des<br />

therapiefreien Intervalls.<br />

In Oberösterreich ist seit Jänner 2011 ein<br />

Interventionsnetzwerk aktiv. Um individuelle<br />

Therapieoptionen möglichst zu standardisieren,<br />

wurde auf Basis klinischer und radiologischer<br />

Befunde (NIHSS, Bildgebung<br />

vor Ort) ein Schlaganfall-Szenarienmodell (1<br />

bis 4) erarbeitet. Anhand dessen wird die<br />

Entscheidung zwischen konventioneller i. v.<br />

Lyse vor Ort oder Sekundärtransport zum<br />

Interventionszentrum getroffen. Im Zentrum<br />

erfolgt in Kooperation mit der Anästhesiologie<br />

das periprozedurale Management.<br />

Nach abgeschlossener Behandlung<br />

wird der/die PatientIn ehestmöglich rücktransferiert<br />

(üblicherweise innerhalb 48<br />

Stunden). Die Behandlungsdaten werden in<br />

einem prospektiven Register erfasst, halbjährlich<br />

werden „Netzwerktreffen“ abgehalten.<br />

Mit dieser Struktur gelang es, die<br />

monatliche Interventionsfrequenz von 2,2<br />

(2009 und 2010) auf 7 Fälle (Jänner bis August<br />

2011) zu verdreifachen. Hohe Interventionsfrequenzen<br />

in standardisierten Prozessen<br />

führen zu einer signifikanten Verkürzung<br />

des therapiefreien Intervalls und<br />

damit zu einer höheren Behandlungsqua -<br />

lität.<br />

n<br />

NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Schmerz<br />

Zusammengestellt im Namen des Beirats „Schmerz“:<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Lampl<br />

Abteilung für Allgemeine <strong>Neurologie</strong> und Schmerzmedizin, Spital der Barmherzigen Brüder, Linz<br />

EUROlight-Studie<br />

Kopfschmerzen und Migräne –<br />

unterschätzt und vernachlässigt<br />

Kopfschmerzen und Migräne sind weit verbreitet,<br />

werden jedoch nicht ausreichend<br />

anerkannt, diagnostiziert und behandelt.<br />

Darauf weist die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) in einem neuen Bericht hin,<br />

der das vom Centre de Recherche Public<br />

de la Santé, Luxemburg geleitete europäische<br />

Forschungsprojekt „EUROlight“ ergänzt.<br />

Im Rahmen eines WHO-Workshops wurden<br />

im Mai 2011 die ersten Ergebnisse der groß<br />

angelegten EUROlight-Studie präsentiert,<br />

welche die Prävalenz von Kopfschmerzen und<br />

Migräne sowie Behandlung, Lebensqualität<br />

der Patienten und sozioökonomischen Auswirkungen<br />

untersuchte und von 16 Ländern<br />

und 25 Institutionen unterstützt wurde.<br />

In Europa leiden 47 % der Erwachsenen unter<br />

Kopfschmerzen oder Migräne, 10 % haben<br />

wiederkehrende oder ständig beeinträchtigende<br />

Kopfschmerzen. Migräne wird nicht<br />

nur angesichts ihrer großen Verbreitung unzulänglich<br />

behandelt, sondern verursacht<br />

auch beträchtliche Kosten: In Europa werden<br />

die jährlichen (direkten und indirekten) Kos -<br />

ten auf 155 Millionen Euro geschätzt, 190<br />

Millionen Arbeitstage gehen jedes Jahr aufgrund<br />

von Migräne verloren. Im WHO-Workshop<br />

wurde hervorgehoben, dass nur bei<br />

einer Minderheit der Betroffenen eine angemessene<br />

Diagnose gestellt wird. Weltweit behandeln<br />

ca. 50 % der Migränebetroffenen<br />

ihre Migräne selbst, ohne sich an einen<br />

Arzt/eine Ärztin zu wenden. Nur 10 % konsultieren<br />

NeurologInnen, wobei die Zahlen in<br />

Afrika und Südostasien noch niedriger sind.<br />

E-TEACCH: Im Anschluss an das EUROlight-<br />

Projekt werden die Bemühungen fortgesetzt,<br />

die medizinische Betreuung von MigränepatientInnen<br />

zu verbessern. Ein neues,<br />

auf 3 Jahre angelegtes Projekt hat zum Ziel,<br />

das erste Ausbildungstool „E-TEACCH (Electronic<br />

– Educational, Training and Assessment<br />

Competence Center for Headache)“<br />

zu ent wickeln.<br />

Für die Entwicklung eines solchen elektronischen<br />

Ausbildungszentrums wurde<br />

wieder um Unterstützung durch wissenschaftliche<br />

Organisationen, Patienten -<br />

organisationen und Partner von EUROlight<br />

angesucht, damit ÄrztInnen in ihrer Behandlungs-<br />

und BeraterInnenrolle unterstützt<br />

und PatientInnen geschult werden<br />

können.<br />

n<br />

96


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuromuskuläre Erkrankungen<br />

Biennial Meeting of the<br />

Peripheral Nerve Society 2011<br />

Die Peripheral Nerve Society (PNS) ist eine internationale Organisation, die sich der Erforschung von<br />

Erkrankungen des peripheren Nervensystems widmet. In 2-Jahres-Abständen werden internationale<br />

Treffen veranstaltet, deren Ziel es ist, klinische Expertise mit Erkenntnissen der Grundlagenforschung<br />

zusammenzuführen.<br />

BBeim diesjährigen Treffen der PNS im Juni in<br />

Potomac, Maryland, USA, wurde unter der<br />

Organisation von David R. Cornblath, Johns<br />

Hopkins University, USA, und Präsidentschaft<br />

von Douglas W. Zochodne, University of Calgary,<br />

Kanada, der Themenschwerpunkt auf<br />

immunmediierte Neuropathien, Nervenregeneration,<br />

diabetische Neuropathien und neuropatischen<br />

Schmerz gelegt, welche in Plenarvorträgen,<br />

Workshops, freien Vorträgen<br />

und zahlreichen Postern behandelt wurden.<br />

Guillain-Barré-Syndrom (GBS)<br />

und chronisch inflammatorische<br />

demyelinisierende Neuropathie<br />

(CIDP)<br />

Bernd C. Kieseier, Heinrich-Heine-Universität<br />

Düsseldorf, brachte in einer Plenarsitzung<br />

einen Überblick über pathogenetische Konzepte<br />

immunmediierter Neuropathien. Das<br />

GBS manifestiert sich zumeist als akute generalisierte<br />

Schwäche, der häufig Infekte der<br />

oberen Atemwege oder des Gastrointestinaltraktes<br />

vorausgehen. Durch Oberflächenantigene<br />

der Erreger, z. B. Campylobacter jejuni,<br />

wird eine Immunreaktion getriggert, die bei<br />

einigen PatientInnen nach einer Latenz von<br />

2–3 Wochen mit körpereigenen Glykolipiden,<br />

sog. Gangliosiden, an Myelinscheiden und<br />

Axonen kreuzreagiert.<br />

Die pathogene Rolle von Antikörpern gegen<br />

Ganglioside, z. B. GM1 oder GQ1b, ist besonders<br />

bei axonalen Subtypen des GBS und<br />

beim Miller-Fisher-Syndrom etabliert, hingegen<br />

sind sie bei der klassischen demyelinisierenden<br />

Form (AIDP) selten nachweisbar. Neue<br />

Ergebnisse deuten darauf hin, dass hier eine<br />

Antikörperproduktion gegen Gangliosidkomplexe<br />

stattfinden könnte, die in Standardtests<br />

dem Nachweis entgehen. In der Gruppe um<br />

Hugh J. Willison, University of Glasgow, werden<br />

mittels Glycoarray Seren von GBS-PatientInnen<br />

auf bisher unbekannte Antikörper<br />

gegen Glykolipidkomplexe gescreent, und in<br />

der Folge wird deren Relevanz für die Krankheitsentstehung<br />

untersucht. Neue Aspekte<br />

bieten auch Ergebnisse von Kazim A. Sheikh,<br />

University of Texas Health Sciences Center<br />

Houston, USA, die zeigen, dass Anti-Gangliosid-Antikörper<br />

nicht nur eine Schädigung peripherer<br />

Nerven verursachen, sondern auch<br />

aktiv deren Regeneration hemmen können.<br />

Die Rolle von T-Zellen beim GBS wird noch<br />

wenig verstanden, obwohl sie in experimentellen<br />

Modellen die Immunantwort dominieren<br />

und auch im humanen peripheren Nervengewebe<br />

besonders im Subakutstadium<br />

des GBS nachweisbar sind. Die Hypothese,<br />

dass eine Depletion regulatorischer<br />

CD4+CD25+FoxP3+T-Zellen für die Chronifizierung<br />

von Immunreaktionen gegen das PNS<br />

von Bedeutung ist, kann anhand der aktuellen<br />

Datenlage nicht bestätigt werden.<br />

Eduardo Nobile-Orazio, Universität Mailand,<br />

stellte eine prospektive, randomisierte Therapiestudie<br />

bei CIDP vor, bei der 46 PatientInnen<br />

über einen Zeitraum von 6 Monaten entweder<br />

mit intravenösen Immunglobulinen<br />

(IVIg, 2 g/kg) oder intravenösem Methylprednisolon<br />

(IVMP, 2 g) jeweils über 4 konsekutive<br />

Tage pro Monat behandelt wurden. 31 PatientInnen<br />

vollendeten die Studie und wurden<br />

nach 15 Tagen, 2 Monaten und 6 Monaten<br />

kontrolliert. In der IVMP-Gruppe schied<br />

ein höherer Anteil der PatientInnen aufgrund<br />

von Nebenwirkungen oder Ineffektivität der<br />

Behandlung aus. Nach 6 Monaten Beobachtungszeitraum<br />

zeigte jedoch in der IVIg-Gruppe<br />

ein höherer Anteil der PatientInnen eine<br />

Verschlechterung und benötigte eine weitere<br />

Therapie.<br />

Grundlagenforschung<br />

Marc Tessier-Lavigne, Rockefeller University<br />

New York, USA, bot im Rahmen der Richard<br />

P. Bunge Memorial Lecture einen faszinieren-<br />

FOTO: DWIGHT9592 - FOTOLIA.COM<br />

98


Zusammengestellt für den Beirat<br />

„Neuromuskuläre Erkrankungen“:<br />

OÄ Dr. Julia<br />

Wanschitz<br />

Abteilung für<br />

<strong>Neurologie</strong>, Medizinische<br />

Universität Innsbruck<br />

Dr. Bernadette<br />

Calabek<br />

Abteilung für<br />

<strong>Neurologie</strong>, Kaiser-<br />

Franz-Josef-Spital,<br />

Wien<br />

den Einblick in die molekularen Mechanismen<br />

der neuronalen Entwicklung und Regulation<br />

einer gerichteten Aussprossung von Axonen.<br />

Unter anderem wurde kürzlich ein Rezeptor<br />

Robo3/Rig-1 entdeckt, der präzerebellären<br />

Neuronen das Kreuzen der Mittellinie ermöglicht.<br />

Tatsächlich existiert eine humane Erkrankung<br />

mit horizontaler Blickparese und<br />

progressiver Skoliose, der eine Mutation von<br />

Robo3/Rig-1 zugrunde liegt. Bei diesen PatientInnen<br />

verlaufen motorische und sensible<br />

Bahnen ungekreuzt.<br />

Diabetische Neuropathie<br />

Diabetes mellitus ist die häufigste Ursache<br />

peripherer Neuropathien, und die Prävalenz<br />

ist aufgrund der weltweit zunehmenden<br />

Neuerkrankungen an Diabetes mellitus steigend.<br />

Hyperglykämie induziert oxidativen<br />

Stress in Neuronen und resultiert in einer<br />

Aktivierung verschiedener biochemischer<br />

„pathways“, die wiederum zur Schädigung<br />

des Nerven systems beitragen. Die Frage, ob<br />

ein ver minderter Glukosemetabolismus (abnorme<br />

Nüchternglukose und verminderte<br />

Glukosetoleranz werden unter diesem Begriff<br />

zusammengefasst) eine diabetische Polyneuropathie<br />

(DPN) und andere diabetische<br />

Komplikationen (Retinopathie und Nephropathie)<br />

verursachen kann, wird bisher kontroversiell<br />

diskutiert.<br />

James B. Dyck, Mayo Clinic, Minnesota, USA,<br />

präsentierte die Ergebnisse seiner Studie (Rochester<br />

Diabetic Neuropathy Study of IGM<br />

Patients), die im April 2004 gestartet wurde.<br />

Das Studiendesign war eine prospektive, doppelblinde,<br />

populationsbasierte Studie, welche<br />

die Prävalenz der erwähnten diabetischen<br />

Komplikationen an PatientInnen mit vermindertem<br />

Glukosemetabolismus (= IGM) und<br />

PatientInnen ohne IGM untersuchte. 300 Personen<br />

pro Gruppe wurden hierfür 3 Jahre<br />

getestet. IGM alleine brachte keine erhöhte<br />

Prävalenz der DPN. Diese Ergebnisse befreien<br />

IGM nicht von seiner Rolle als „Precursor“<br />

für DM, allerdings müssen in Zukunft auch<br />

andere Erklärungen für die Ätiologie der<br />

schmerzhaften DPN bei PatientInnen mit IGM<br />

herangezogen werden. Übergewicht und<br />

Dyslipidämie sind kürzlich als zusätzliche Risikofaktoren<br />

bei mikrovaskulären Komplikationen<br />

identifiziert worden.<br />

Gene Profiling bei DPN<br />

Junguk Hur aus der Gruppe von Eva Feldman,<br />

University of Michigan, USA, stellte eine rezente<br />

Studie über molekulare Mechanismen<br />

vor, welche die Entwicklung und Progression<br />

der diabetischen Neuropathie beeinflussen.<br />

Unter Verwendung von DNA-Microarrays<br />

wurden Genexpressionsmuster verglichen.<br />

Microarrays von 54 Proben humaner Suralnerven<br />

wurden analysiert. Mit Hilfe der Bioinformatik<br />

wurden verschiedene Genexpressionen<br />

analysiert und so genannte Gen -<br />

netzwerke und „pathways“ identifiziert, die<br />

möglicherweise für die Progression der DPN<br />

verantwortlich sein könnten. 532 unterschiedlich<br />

exprimierte Gene zwischen den PatientInnenproben<br />

mit fortschreitender und nichtfortschreitender<br />

DPN wurden identifiziert. Diese<br />

Gene waren in erster Linie in Entzündungsprozesse<br />

und Lipidmetabolismus involviert.<br />

Durch Identifizierung einer „Gensignatur“ bei<br />

PatientInnen mit fortschreitender DPN könnte<br />

in Zukunft die Entwicklung neuer diagnos -<br />

tischer und therapeutischer Mittel gelingen.<br />

Schmerz und Diabetes<br />

Ralf Baron, Universitätsklinik Schleswig-Holstein,<br />

Kiel, Deutschland, brachte einen aktualisierten<br />

Überblick über die Multicenter-<br />

Studie des Deutschen Forschungsverbandes<br />

Neuropathischer Schmerz (DFNS). Es wurden<br />

2000 PatientInnen untersucht, die an neuropathischen<br />

Schmerzen unterschiedlicher<br />

Genese leiden. Hierfür wurde einerseits eine<br />

Datenbank über epidemiologische und klinische<br />

Daten angelegt, andererseits eine standardisierte<br />

QST (= quantitativ sensorische<br />

Tes tung) etabliert. Die standardisierte QST-<br />

Batterie des DFNS umfasst 7 Tests und ein<br />

einfaches Instrumentarium wie Stimmgabel,<br />

Pinsel und Wattebausch. Erfasst werden die<br />

Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen für<br />

Kälte, Wärme und diverse mechanische<br />

Reize. Damit erlaubt die QST nach dem Protokoll<br />

des DFNS Aussagen darüber, ob ein<br />

neuropathischer Schmerz vorliegt. Baron betonte,<br />

dass die standardisierte QST künftig<br />

als Basis für Therapiestudien bei schmerzhaften<br />

Neuropathien herangezogen werden<br />

sollte.<br />

Conclusio<br />

Das PNS-Meeting bietet eine sehr gute Möglichkeit,<br />

sich über aktuelle Entwicklungen auf<br />

dem Gebiet der peripheren <strong>Neurologie</strong> zu informieren.<br />

Hervorzuheben ist die ungezwungene<br />

und freundschaftliche Atmosphäre, die<br />

es auch jungen KollegInnen ermöglicht, mit<br />

renommierten WissenschaftlerInnen und KlinikerInnen<br />

auf diesem Gebiet in Kontakt zu<br />

treten. Dies ist ein besonderes Anliegen der<br />

<strong>Gesellschaft</strong> und wird durch die zahlreichen<br />

Fellowships unterstrichen, die an junge KollegInnen<br />

für die Präsentation ihrer Forschungsergebnisse<br />

vergeben wird. n<br />

99


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Multiple Sklerose<br />

Zusammengestellt für den Beirat „Multiple Sklerose“:<br />

Priv.-Doz. Dr. Fahmy Aboul-Enein<br />

Neurologische Abteilung, SMZ Ost – Donauspital Wien<br />

Neuromyelitis optica (NMO) –<br />

Epidemiologie-Studie 2011<br />

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege!<br />

Die ARGE NMO möchte sich zuerst einmal<br />

bei Ihnen für Ihre bisherige Zusammenarbeit<br />

und Einsendung von Proben bedanken!<br />

Wie bereits in <strong>neurologisch</strong> 4/10 angekündigt,<br />

möchten wir Sie nun herzlichst einladen,<br />

an der ersten epidemiologischen Studie von<br />

NMO-PatientInnen in Österreich teilzunehmen.<br />

Ziel ist es, nach Möglichkeit alle NMO-<br />

PatientInnen in Österreich (NMO-Antikörper-<br />

„positive“ und -„negative“ NMO-PatientInnen)<br />

zu erfassen.<br />

Der große Vorteil einer solchen epidemiologischen<br />

Erfassung in Österreich liegt<br />

1. in der geringen Größe und<br />

EinwohnerInnenzahl von Österreich,<br />

2. in der sehr guten spezialisierten<br />

<strong>neurologisch</strong>en Versorgung in Österreich<br />

und<br />

3. in der Möglichkeit einer zentralen<br />

NMO-Antikörper/Aquaporin-4-Antikörper-Bestimmung<br />

an der Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong> Innsbruck.<br />

Das Konzept der geplanten Studie wurde bereits<br />

bei der Tagung der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong><br />

für <strong>Neurologie</strong> (September 2010), bei<br />

der Tagung der Österreichischen <strong>Gesellschaft</strong><br />

für <strong>Neurologie</strong> (März 2011) und beim ersten<br />

European NMO Meeting in London (Juni<br />

2011) vorgestellt und diskutiert. Auf Wunsch<br />

stellen wir gerne die entsprechende Literatur<br />

zur Verfügung.<br />

In der Zwischenzeit haben Sie vielleicht auch<br />

bereits via E-Mail unsere Aussendungen und<br />

Aufforderungen zur Teilnahme an dieser Studie<br />

erhalten, vielleicht auch schon das ausgefüllte<br />

Datenblatt via E-Mail, Fax oder Post<br />

retourniert, hierfür bedanken wir uns herzlich!<br />

Falls Sie bislang noch keine Information zur<br />

Studie erhalten haben, stehen Ihnen hiermit<br />

auch die Datenblätter zum Heraustrennen zur<br />

Verfügung. Sie können gerne auch im Informationsverteiler<br />

der ARGE NMO aufgenommen<br />

werden. Hierfür schreiben Sie uns bitte<br />

an: fahmy.aboulenein@meduniwien.ac.at<br />

Das Datenblatt enthält alle für uns notwendigen<br />

Basisdaten, und wir bitten Sie, es sorgfältig<br />

auszufüllen. Falls Sie bislang PatientInnen<br />

betreu(t)en, bei denen Sie den hochgradigen<br />

Verdacht haben, dass eine NMO<br />

vorliegen könnte, jedoch noch nicht die<br />

NMO-Antikörper (AQP4-Antikörper) bestimmen<br />

haben lassen, bitten wir Sie, mit Univ.-<br />

Prof. Dr. Markus Reindl der Universitätsklinik<br />

für <strong>Neurologie</strong> Innsbruck Kontakt aufzunehmen<br />

(markus.reindl@i-med.ac.at).<br />

Der Abschluss der Datenerfassung ist am<br />

15. Oktober 2011.<br />

Alle, die an dieser Studie teilnehmen, werden<br />

selbstverständlich ausnahmslos bei der geplanten<br />

Publikation aufscheinen. Wir bitten<br />

auch, zusätzlich zum Vermerk „betreuende/r<br />

Arzt/Ärztin“ in dem Datenblatt alle gewünschten<br />

AutorInnen komplett mit Vor- und<br />

Zunamen und E-Mail-Adresse zu nennen.<br />

Die Daten werden selbstverständlich auch<br />

den TeilnehmerInnen für zukünftige eigene<br />

wissenschaftliche Projekte zur Verfügung gestellt<br />

werden können.<br />

Wir bedanken uns bereits jetzt für<br />

Ihre/Eure Mitarbeit!<br />

Mit vielen freundlichen Grüßen,<br />

Fahmy Aboul-Enein<br />

(i. A. der ARGE NMO)<br />

Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger<br />

Univ.-Prof. Dr. Markus Reindl<br />

Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Kristoferitsch<br />

Univ.-Prof. Dr. Maria Storch<br />

100


✁<br />

Neuromyelitis optica (NMO) Register Österreich – im Auftrag der ARGE NMO<br />

Bitte per E-Mail an fahmy.aboulenein@meduniwien.ac.at, per Fax an: 01/288 02-4280 oder<br />

per Post an: Priv.-Doz. Dr. Fahmy Aboul-Enein, SMZ Ost – Donauspital, Abteilung für <strong>Neurologie</strong>, Langobardenstraße 122, 1220 Wien<br />

Bitte tragen Sie alle für die epidemiologische Studie erforderlichen Daten ein:<br />

Titel Vorname Nachname Adresse (inkl. Telefonnummer) E-Mail-Adresse<br />

I<br />

Betreuende/r<br />

Arzt/Ärztin:<br />

II<br />

Betreuende/r<br />

Arzt/Ärztin:<br />

Die unter „betreuende ÄrztInnen“ angeführten KollegInnen werden in der geplanten wissenschaftlichen Veröffentlichung angeführt (in der Regel pro PatientIn max. 2 KollegInnen). Bitte nennen Sie Ihre komplette Affiliation (Universität, Klinik, Spital, Abteilung, Ordination<br />

(oder Praxis) Straße, Postleitzahl, Ort, Land, Telefonnummer). Weitere Informationen diesbezüglich finden Sie in <strong>neurologisch</strong> 4/2010 bzw. beigefügt.<br />

PatientIn<br />

Krankheitbeginn<br />

DIAGNOSE NMO (und NMO-Spektrum Erkrankungen)<br />

Barkhof-<br />

Erste Erste<br />

LETM 5 ON 6 MRT Schädel<br />

NMO-<br />

Kriterien Antikörper<br />

Symptomatik Diagnose „negativ“ 7 erfüllt? im Serum 8<br />

Initialen Geb.-<br />

Datum<br />

(V/N) 1 (T/M/J) 2 welche? 3 (T/M/J) 4 welche? 3 (T/M/J) 2 (Ja/Nein) (Ja/Nein) (Ja/Nein) (Ja/Nein) (Ja/Nein)<br />

Freitext/Anmerkungen:<br />

Erste Symptomatik:<br />

Erste Diagnose:<br />

NMO-Antikörper (erste Bestimmung[en]):<br />

Andere Autoimmunerkrankungen:<br />

Weiteres:<br />

1 V = Vorname; N = Nachname; 2 T = Tag; M = Monat; J = Jahr; 3 wenn dieses Feld nicht ausreicht, bitte in das Feld Freitext/Anmerkungen weitere Kommentare eintragen; z. B. Erste Symptomatik: sensomotorische Hemisymptomatik rechts, Erste Diagnose: z. B. MS, spinal<br />

betont; (parainfektiöse) Myelitis; Lupus-Myelitis usw.; 4 wenn möglich, bitte genaue Angabe auch des Tages, zumindest des Monats; 5 LETM = longitudinale extensive transverse Myelitis; 6 ON = Optikusneuritis; 7 „negativ“ = keine für multiple Sklerose typischen zerebralen<br />

Läsionen; 8 bitte um Angabe des Labors, in dem die ersten NMO-Ak-Bestimmungen erfolgten: z. B. Mayo Clinic, USA; Universitätsklinik <strong>Neurologie</strong> Innsbruck, Österreich; University of Oxford, Oxford, UK; Labor Seelig und Partner, Karlsruhe, Deutschland.


Neuromyelitis optica (NMO) Register Österreich – im Auftrag der ARGE NMO<br />

Bitte per E-Mail an fahmy.aboulenein@meduniwien.ac.at, per Fax an: 01/288 02-4280 oder<br />

per Post an: Priv.-Doz. Dr. Fahmy Aboul-Enein, SMZ Ost – Donauspital, Abteilung für <strong>Neurologie</strong>, Langobardenstraße 122, 1220 Wien<br />

Schübe<br />

Behandlung der Schübe<br />

Lokalisation Beginn-<br />

(ON, LETM,<br />

bei ON<br />

andere) 2 , bei LETM 3 , Datum<br />

1<br />

bei anderen Läsionen 4 (T/M/J) 5<br />

ivMP 6 PLEX 7<br />

(Ja/Nein) (Ja/Nein)<br />

Datum (von, bis): Kommentare<br />

8 :<br />

01<br />

02<br />

03<br />

04<br />

05<br />

06<br />

07<br />

08<br />

09<br />

10<br />

1 ON = Optikusneuritis; LETM = longitudinal extensive transverse Myelitis; andere: wenn andere, dann bitte Feld genau spezifizieren (wenn das Feld nicht ausreicht, bitte unter Kommentare); 2 Bitte um Angabe von rechts/links/bds. bei ON,<br />

3 Bitte um Angabe der longitudinalen Ausdehnung in WK-Segmente (z. B. C8-T5); 4 Lokalisation anderer Läsionen, z. B. Tumor like lesion parieto-occipital bds. oder Hirnstamm, Hypothalamus, Hypophyse etc. 5 T = Tag; M = Monat; J = Jahr;<br />

6 ivMP = intravenöses Methylprednisolon, hoch dosiert intravenös Steroid (falls Dexamethason o. a. verabreicht wurde, bitte spezifizieren); 7 PLEX = Plasmapherese); 8 unter Kommentare bitte jedenfalls die Schubtherapie (z. B. 1 g i. v. MP/die, oder 16 mg Dexamethason/die;<br />

PLEX ? Zyklen à ? Tage und ? ml/kgKG) konkret anführen bzw. die Lokalisation von entzündlichen sonstigen (nicht LETM und ON) NMO-Läsionen in cerebro. Falls IVIG verwendet wurden, bitte diese ebenfalls mit der genauen Dosierung und Zeitraum angeben.<br />


✁<br />

Neuromyelitis optica (NMO) Register Österreich – im Auftrag der ARGE NMO<br />

Bitte per E-Mail an fahmy.aboulenein@meduniwien.ac.at, per Fax an: 01/288 02-4280 oder<br />

per Post an: Priv.-Doz. Dr. Fahmy Aboul-Enein, SMZ Ost – Donauspital, Abteilung für <strong>Neurologie</strong>, Langobardenstraße 122, 1220 Wien<br />

Intervalltherapie<br />

Präparat 1 Datum<br />

Dosis<br />

EDSS bzw. Kommentar zum klinischen Verlauf<br />

(von … bis …)<br />

2<br />

01<br />

02<br />

03<br />

04<br />

05<br />

06<br />

07<br />

08<br />

09<br />

10<br />

1 Präparat: Interferon 1-a 1-mal/Wo i. m.; Interferon 1-a 22µg 3-mal/Wo s. c.; Interferon 1-a 44 µg 3-mal /Wo s. c.; Interferon 1-b jeden 2. Tag s. c.; Glatirameracetat; IVIG (intravenöse Immunglobuline); Azathioprin; perorales Steroid; Cyclophosphamid;<br />

Mitoxantron; Mycophenolat; Cyclosporin; Natalizumab etc.; 2 EDSS bzw. Kommentar zu etwaigen Behinderungsgrad und Verlauf, stabil(?) unter Intervalltherapie.


Neuromyelitis optica (NMO) Register Österreich – im Auftrag der ARGE NMO<br />

Bitte per E-Mail an fahmy.aboulenein@meduniwien.ac.at, per Fax an: 01/288 02-4280 oder<br />

per Post an: Priv.-Doz. Dr. Fahmy Aboul-Enein, SMZ Ost – Donauspital, Abteilung für <strong>Neurologie</strong>, Langobardenstraße 122, 1220 Wien<br />

Liquor cerebrospinalis bei der 1. (evtl. 2./3. Lumbalpunktion)<br />

Datum Zellzahl<br />

(T/M/J) 1 [/3]<br />

Glukose-<br />

Gesamtprotein IgG- IgA- IgM- OKB 3 ,<br />

Zellbild (v. a. Neutrophile, Eosinophile) index 2<br />

(L/S)<br />

[mg/dl] Index Index Index Typ 1–5<br />

01<br />

02<br />

03<br />

Anmerkungen:<br />

1 T = Tag; M = Monat; J = Jahr; 2 Glukoseindex (Glukose im Liquor)/(Glukose im Serum); 3 OKB = Oligoklonale Bande, bitte wenn möglich um Angabe des Bandentyps nach Anderson et al., 1994, modifiziert durch Wurster und Mitarbeiter 2002; ansonsten um Angabe von<br />

OKB „positiv“ oder „negativ“: Typ 1: keine Bande im Liquor; Typ 2a: 1–3 Bande nur im Liquor; Typ 2b: > 3 Banden nur im Liquor; Typ 3a: Serumidentische Bande im Liquor plus 1–3 Extrabande im Liquor; Typ 3b: Serumidentische Bande im Liquor plus > 3 Extrabande im<br />

Liquor; Typ 4a: 1–3 identische Bande im Liquor und Serum; Typ 4b: > 3 identische Bande im Liquor und Serum; Typ 5: Paraproteinämie.<br />

Weitere Anmerkungen und Kommentare:<br />


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Demenz<br />

Zusammengestellt für den Beirat „Demenz“:<br />

Univ.-Prof. Dr. Kurt A. Jellinger,<br />

Institute of Clinical Neurobiology, Wien<br />

EFNS-Richtlinien für die Diagnose<br />

und Therapie der Demenzen<br />

DDemenzielle Syndrome nehmen mit steigendem<br />

Anteil betagter Menschen an Häufigkeit<br />

rasch zu und stellen ein wachsendes Problem<br />

der Altersmedizin dar. Die Diagnose der Alzheimer-Krankheit<br />

(AK) und deren Abgrenzung<br />

von anderen Demenzprozessen ist klinisch<br />

unter Anwendung moderner bildgebender<br />

Verfahren und Biomarker mit etwa<br />

90 % Treffsicherheit möglich, doch ist die<br />

Frühdiagnose dieser Prozesse schwierig. Die<br />

Validierung von Richtlinien für die Diagnose<br />

demenzieller Syndrome steht daher heute<br />

im Mittelpunkt der neurobiologischen Forschung.<br />

Von der EFNS Task Force erarbeitete<br />

Richtlinien für die Diagnose und Behandlung<br />

der AK und anderer mit Demenzen verbundenen<br />

Erkrankungen wurden 2007 veröffentlicht<br />

1 , und eine auf Evidenz basierende revidierte<br />

Fassung 2010 wurde vorgelegt 2 .<br />

Die Diagnose stützt sich auf:<br />

• Erhebung der Krankengeschichte mit<br />

PatientIn und unabhängigen Infor -<br />

mantInnen (Level A)<br />

• <strong>neurologisch</strong>e und körperliche Unter -<br />

suchung (Level A)<br />

• Erfassung der kognitiven Funktionen<br />

durch quantitative neuropsychologische<br />

Tests (Level A oder B)<br />

• Verhaltensstörungen und psychologische<br />

Symptome (Level A)<br />

• Aktivitäten des täglichen Lebens<br />

• Komorbiditäten (Level C)<br />

• Blutuntersuchungen (Blutbild, Elektrolyte,<br />

Vitamine, Leber- und Nierenfunktion etc.<br />

• Elektroenzephalographie (Rhythmusstörungen,<br />

Ausschluss anderer Störungen)<br />

(Level B)<br />

• bildgebende Verfahren: Computertomographie<br />

(Hirnatrophie, Ausschluss<br />

anderer, etwa vaskulärer Läsionen),<br />

strukturelle Magnetresonanztomographie/MRI<br />

(Früherfassung mediotemporaler/Hippokampusatrophie)<br />

(Level B),<br />

funktionelle MRI, SPECT- und PET-<br />

Untersuchungen (Früherfassung von<br />

Störungen der Sauerstoffaufnahme und<br />

des Glukosestoffwechsels) (Level B)<br />

• Liquoranalyse: Bestimmung des Gehalts<br />

an -Amyloid (A); Gesamt- und<br />

hyperphosphoryliertem Tau-Protein (t-tau,<br />

p-tau) – Abnahme von A und<br />

Zunahme von Tau stützen AK-Diagnose<br />

(Level B); 14-3-3-Protein (Ausschluss von<br />

Creutzfeldt-Jakob-Syndrom) (Level B);<br />

moderne Protein- und Proteomanalysen<br />

• Gentestung: Mutationen von APP, PSEN<br />

1 und PSEN 2 erklären etwa 50 %<br />

familiärer, früh einsetzender AK-Formen.<br />

ApoE4-Allel liegt gehäuft bei<br />

Spätformen vor, ist aber für die<br />

Diagnosestellung weder notwendig noch<br />

gerechtfertigt (Level B). Ausschluss<br />

anderer Demenzformen, etwa CADASIL<br />

(Mutationen am Notch-3-Gen auf<br />

Chromosom 19q12), Prionenkrankheiten.<br />

• Hirnbiopsien sind nur bei sehr früh<br />

auftretenden, rasch progredienten und<br />

seltenen Demenzformen ethisch<br />

gerechtfertigt, zeigen aber relativ<br />

geringe Trefferquoten.<br />

Die Erfassung und Auswertung der Symptome<br />

und Befunddaten bei Erstellung der klinischen<br />

Diagnose der AK und anderer demenzieller<br />

Syndrome erfordern die interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit von erfahrenen<br />

GutachterInnen sowie Validierungsstudien an<br />

prospektiven PatientInnengruppen, um die<br />

Sensitivität, Spezifität und Genauigkeit der<br />

diagnostischen Kriterien zu erhöhen.<br />

Ähnliche Forschungskriterien für die Diagnose<br />

der AK, deren präklinische Vorstadien, zur<br />

Revision der alten NINCDS-ADRDA-Kriterien<br />

wurden von der International Working Group<br />

for New Research Criteria for AD 2007 vorgelegt<br />

3 und 2010 von der International Working<br />

Group for New Research Criteria for AD<br />

unter Einschluss präklinischer, atypischer und<br />

Mischformen revidiert 4 . In letzter Zeit legten<br />

mehrere US-Arbeitsgruppen Entwürfe 5 für<br />

operationalisierte diagnostische Kriterien für<br />

AK und andere alters-bezogene kognitive<br />

Störungen vor 6–8 , deren Ergebnisse abgewartet<br />

werden müssen.<br />

Die Behandlung demenzieller Syndrome umfasst<br />

neben der exakten Erkennung und<br />

(Früh-)Diagnose der Störungen eine Primärund<br />

Sekundärprävention (Ausschaltung und<br />

Behandlung von Risikofaktoren), medikamentöse<br />

Therapie mit Cholinesterasehemmern,<br />

Memantin bzw. deren Kombination<br />

(Level A und B) sowie anderen Substanzen<br />

(Level B und C). Die Behandlung von Verhaltens-<br />

und psychologischen Störungen sowie<br />

nichtpharmakologische Maßnahmen, wie kognitive,<br />

psychologische, psychosoziale, Beschäftigungs-<br />

und Motivationstherapie, sind<br />

im Konsensusstatement „Demenz 2010“ der<br />

Österreichischen Alzheimer <strong>Gesellschaft</strong> zusammengefasst<br />

9 . Eine medikamentöse Therapie<br />

der milden kognitiven Beeinträchtigung<br />

(MCI) und anderen Frühformen wird kritisch<br />

diskutiert.<br />

n<br />

1 Waldemar G et al., Recommendations for the diagnosis<br />

and management of Alzheimer’s disease and other disorders<br />

associated with dementia: EFNS guideline. Eur J<br />

Neurol 2007; 14:e1–26<br />

2 Hort J et al., EFNS guidelines for the diagnosis and<br />

management of Alzheimer’s disease. Eur J Neurol 2010;<br />

17:1236–1248<br />

3 Dubois B et al., Research criteria for the diagnosis of<br />

Alzheimer’s disease: revising the NINCDS-ADRDA criteria.<br />

Lancet Neurol 2007; 6:734–746<br />

4 Dubois B et al., Revising the definition of Alzheimer’s<br />

disease: a new lexicon. Lancet Neurol 2010;<br />

9:1118–1127<br />

5 Seshadri S et al., Operationalizing diagnostic criteria for<br />

Alzheimer’s disease and other age-related cognitive<br />

impairment-Part 2. Alzheimers Dement 2011; 7:35–52<br />

6 Mayeux R et al., Operationalizing diagnostic criteria for<br />

Alzheimer’s disease and other age-related cognitive<br />

impairment-Part 1. Alzheimers Dement 2011; 7:15–34<br />

7 DeKosky ST et al., Revision of the criteria for Alzheimer’s<br />

disease: A symposium. Alzheimers Dement 2011;<br />

7:e1–12<br />

8 Sperling RA et al., Toward defining the preclinical stages<br />

of Alzheimer's disease: recommendations from the<br />

National Institute on Aging-Alzheimer's Association<br />

workgroups on diagnostic guidelines for Alzheimer's<br />

disease. Alzheimers Dement 2011; 7:280-292<br />

9 Schmidt R et al., Konsensusstatement „Demenz 2010“.<br />

Neuropsychiatr 2010; 24:67–87<br />

105


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Autonome Störungen<br />

Häufig werden PatientInnen<br />

mit Schweißsekretionsstörungen<br />

in Labors für autonome<br />

Funktionsdiagnostik vorgestellt.<br />

Wenn man als Ursache eine<br />

„Small fibre“-Neuropathie<br />

vermutet, so ist die Sicherung der<br />

Diagnose eine Herausforderung.<br />

Zur Verfügung stehen die<br />

quantitative sensorische Testung<br />

(QST) oder der quantitative<br />

sudomotorische Axonreflextest<br />

(QSART). Eine exaktere Diagnose<br />

ist allerdings über die Hautbiopsie<br />

möglich. Während QST und<br />

QSART nur in wenigen Labors<br />

zur Verfügung steht, wird die<br />

Hautbiopsie von DermatologInnen<br />

häufig durchgeführt.<br />

Dr. Casanova-Mollá und Dr. Josep<br />

Valls-Solé haben die Diagnostik<br />

der Hautbiopsie in den letzten<br />

Jahren verfeinert und präsentieren<br />

eine kurzen Überblick über diese<br />

Technik.<br />

Dr. Walter Struhal<br />

Cutaneous nerve evaluation<br />

Among the different techniques used for the assessment of painful peripheral neuropathies,<br />

the skin biopsy has experienced the biggest growth over the past 15 years. It allows<br />

us to identify the axons of the sensory nerve endings in the skin. The most commonly<br />

used marker is pan-axonal protein gene product 9.5 (PGP 9.5), a ubiquitin C-terminal hydroxylase<br />

that is found in axons. 1 Quantitative and qualitative evaluations of cutaneous<br />

nerves can give support to the clinical diagnosis of small-fibre neuropathies. 2, 3 However,<br />

as it is applicable to other peripheral neuropathies, to autonomic disorders, and to the<br />

study of neuropathic pain, this makes the skin biopsy a powerful tool for the future.<br />

The quantification of intra-epidermal nerve<br />

fibres (IENFs) follows specific precepts that<br />

have been defined through a consensus of<br />

experts. The recommendations published by<br />

the European Federation of Neurological Societies<br />

Task Force 4 have been found to be<br />

very reliable, and to have high inter-observer<br />

and intra-observer agreement coefficients. 5<br />

Briefly, IENFs are counted only when they<br />

cross or originate at the dermal–epidermal<br />

junction, with secondary branching excluded<br />

from this quantification. The skin surface is<br />

measured and the mean of three skin sections<br />

provides the IENF density (IENFD) per linear<br />

millimetre for the subject under study. Normative<br />

values have been published, as adjusted<br />

for age and gender. 6, 7 The IENFD cutoff<br />

values of 7.63 /mm and


Zusammengestellt für den Beirat<br />

„Autonome Störungen“:<br />

Dr. Jordi<br />

Casanova-Mollá<br />

Dr. Josep<br />

Valls-Solé<br />

Department of Neurology, Hospital Clínic, Barcelona, Spain<br />

Fig.: Examples of 50-µm skin sections immunostained for the panaxonal<br />

marker PGP 9.5<br />

studies, in order to determine the reliability<br />

of the data.<br />

In conclusion, calculating the IENFD provides<br />

an estimation of the real spread of axons in<br />

the skin, and in other structures that are accessible<br />

through a skin biopsy. Quantitative<br />

methods are useful tools to approach the<br />

diagnosis of peripheral nerve damage, al -<br />

though they still have some limitations. A<br />

more complete assessment of the utility and<br />

reliability of newly developed methods should<br />

provide more information on possible dam -<br />

age to skin axon terminals, which will aid<br />

clinicians in their diagnosis of small-fibre neuropathy.<br />

n<br />

formance similar to that of conventional<br />

methods (ROC AUC, 0.84 vs. 0.90, respectively).<br />

11<br />

One of the major challenges facing experts<br />

in this field is the evaluation of autonomic<br />

structures, including sweat glands, blood vessels,<br />

erector pili muscles, and hair follicles. 12<br />

Their innervation can be detected using antibodies<br />

against adrenergic, noradrenergic<br />

and cholinergic sympathetic fibres. The pres -<br />

ence of sweat gland sections is a common<br />

finding in skin samples, and various studies<br />

have applied various different methods to<br />

quantify this type of innervation. In one such<br />

The intra-epidermal nerve<br />

fibres are counted if they<br />

cross the dermo-epidermal<br />

junction as indicated by the<br />

arrows in the sample from a<br />

healthy subject (A). The autonomic<br />

innervation of sweat<br />

glands is shown in (B) for a<br />

healthy subject, and in (C) for<br />

a patient with small-fibre<br />

neuropathy. Note the de -<br />

creased innervation density in<br />

the patient with small-fibre<br />

neuro pathy. Scale bar, 10 µm.<br />

study, Dabby and colleagues (2007) counted<br />

the ratio between the number of nerve fibres<br />

and the number of nuclei comprising the<br />

structure. 13<br />

More recently, Gibbons et al. (2009) introduced<br />

the term sweat gland nerve fibre density,<br />

where they counted the intersections<br />

between the nerve fibres and a grid placed<br />

over the sweat gland. 14 Also, Nolano and<br />

colleagues (2010) reported a methodology<br />

to quantify the pilomotor nerves. 15 In spite<br />

of these efforts, normative data are still lack -<br />

ing. The validation of the various methods<br />

proposed will need to be done in multicentre<br />

1. Wilkinson KD et al., The neuron-specific protein PGP<br />

9.5 is a ubiquitin carboxyl-terminal hydrolase. Science<br />

1989; 246:670–3<br />

2. Lauria G et al. Expression of capsaicin receptor<br />

immunoreactivity in human peripheral nervous system<br />

and in painful neuropathies. J Periph Nerv Sys 2006;<br />

11:262–71<br />

3. Sommer C. Skin biopsy as a diagnostic tool. Curr Opin<br />

Neurol 2008; 21:563–8<br />

4. Lauria G et al., European Federation of Neurological<br />

Societies/ Peripheral Nerve Society Guidelines on the<br />

use of skin biopsy in the diagnosis of small-fibre<br />

neuropathy. Report of a joint Task Force of the European<br />

Federation of Neurological Societies and the Peripheral<br />

Nerve Society. Eur J Neurol 2010; 17:903–12<br />

5. Goransson LG et al., Intra-epidermal nerve fibre<br />

densities in chronic inflammatory autoimmune<br />

diseases. Arch Neurol 2006; 63:1410–3<br />

6. Bakkers M et al., Intra-epidermal nerve fibre density<br />

normative values and its application in sarcoidosis.<br />

Neurology 2009; 73:1142–8<br />

7. Lauria G et al., Intra-epidermal nerve fibre density at<br />

the distal leg: a worldwide normative reference study.<br />

J Peripher Nerv Syst 2010; 15:202–7<br />

8. Devigili G et al., The diagnostic criteria for small-fibre<br />

neuropathy: from symptoms to neuropathology.<br />

Brain 2008; 131:1912–25<br />

9. Vlckova-Moravcova E et al., Diagnostic validity of<br />

epidermal nerve fibre densities in painful sensory<br />

neuropathies. Muscle Nerve 2008; 37:50–60<br />

10. Lauria G et al., Morphometry of dermal nerve fibres<br />

in human skin. Neurology 2011; 77:242–9<br />

11. Casanova-Molla J et al., Axonal fluorescence quanti -<br />

fication provides a new approach to assess cutaneous<br />

innervation. J Nerosci Methods 2011; 200:190–8<br />

12. Lauria G et al., Skin biopsy for the diagnosis of peripheral<br />

neuropathy. Histopathology 2008; 54:273–85<br />

13. Dabby R et al., Evaluation of cutaneous autonomic<br />

innervation in idiopathic sensory small-fibre neuro -<br />

pathy. J Periph Nerv Sys 2007; 12:98–101<br />

14. Gibbons CH et al., Quantification of sweat gland<br />

innervation. A clinical-pathological correlation.<br />

Neurology 2009; 72:1479–86<br />

15. Nolano M. Quantification of pilomotor nerves: a new<br />

tool to evaluate autonomic involvement in diabetes.<br />

Neurology 2010; 75:1089–97<br />

109


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurogeriatrie<br />

Zusammengestellt im Namen des Beirates „Neurogeriatrie“:<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr<br />

Abteilung für <strong>Neurologie</strong> und Psychiatrie, AKH Linz<br />

Körperliche Aktivität und Risiko<br />

für klinisch stumme Hirninfarkte<br />

Es gibt zunehmend Hinweise, dass das<br />

Schlaganfallrisiko bei betagten Personen<br />

durch mittelgradige bis intensive körperliche<br />

Aktivität reduziert werden kann. So zeigten<br />

Assoziationsstudien, dass – unabhängig von<br />

den Risikofaktoren koronare Herzerkrankung,<br />

Hypertonie, Diabetes, Rauchen, Alkoholkonsum,<br />

Übergewicht und medizinische Gründe<br />

für Bewegungsarmut – intensive und andauernde<br />

körperliche Aktivität (Sport) mit einem<br />

reduzierten Schlaganfallrisiko einhergeht.<br />

Das Schlaganfallrisiko und Residuen nach<br />

Schlaganfällen sind auch abhängig vom Ausmaß<br />

mikrovaskulärer zerebraler Veränderungen,<br />

wie Leukenzephalopathie oder lakunäre<br />

Infarkte. Mikrovaskuläre zerebrale Veränderungen<br />

sind auch ohne manifeste Schlafanfälle<br />

von funktioneller Bedeutung (Kognition,<br />

Motorik, Verhalten).<br />

Northern<br />

Manhattan Study<br />

Langzeit-Verlaufsuntersuchungen<br />

zur Frage des Effektes<br />

von Sport auf die zerebrale<br />

Durchblutung sind selten. Die<br />

Northern Manhattan Study<br />

(NOMAS) 1–3 , eine populationsbasierte<br />

prospektive Kohortenstudie,<br />

untersuchte 3298<br />

TeilnehmerInnen, die bei Studieneinschluss<br />

eine negative<br />

Schlaganfallanamnese aufwiesen<br />

und mittels eines Fragebogens<br />

hinsichtlich sportlicher<br />

Aktivitäten (Metabolic<br />

Equivalent Score, MET) evaluiert<br />

wurden. Der MET zeigt<br />

eine gute Korrelation mit der<br />

Einschätzung der körperlichen<br />

Aktivität durch Angehörige,<br />

Body-Mass-Index und Alltagsaktivitäten.<br />

Durchschnittlich 6 Jahre nach Erstuntersuchung<br />

und Erhebung der physischen Aktivitäten<br />

wurde bei 1226 Personen ein MRI (1,5<br />

Tesla) durchgeführt und auf die Zielparameter<br />

klinisch stumme Infarkte ( 3 mm messende<br />

Gewebsdefekte, FLAIR) sowie Volumen von<br />

Hyperintensitäten der weißen Substanz untersucht<br />

1 .<br />

Ergebnis: In der von Personen hispanischer<br />

Abkunft dominierten Kohorte, in der generell<br />

Frauen weniger Sport betrieben als Männer,<br />

zeigten sich im MRI klinisch stumme Infarkte<br />

bei 16 %. Personen mit der obersten<br />

Quartile der Intensität körperlicher Betätigung<br />

(intensiver Sport) hatten ein um 40 %<br />

geringeres Risiko für klinisch stumme In -<br />

farkte, vor und nach Berücksichtigung der<br />

vaskulären Risikofaktoren Insulinresistenz,<br />

Tabakkonsum, Hypertonie, Alkohol und Nierenfunktion,<br />

während dieser Effekt für Personen<br />

mit geringerer oder keiner körperlichen<br />

Aktivität nicht festzustellen war. Das<br />

Intervall zwischen der Feststellung der körperlichen<br />

Aktivität und der MRI-Untersuchung<br />

beeinflusste die Resultate nicht. Sport<br />

zeigte keinen Effekt auf das Volumen von<br />

Läsionen der weißen Substanz (Leukoaraiose).<br />

PatientInnen mit schlechtem Versicherungsstatus<br />

hatten durch sportliche Aktivität<br />

eine geringere positive Assoziation mit den<br />

Zielparametern.<br />

Kommentar: Die Studie zeigt, dass bei Personen,<br />

die sich intensiv sportlich betätigen,<br />

neben manifesten Hirninfarkten auch klinisch<br />

stumme Infarkte signifikant seltener zu beobachten<br />

sind. Sport könnte unabhängig von<br />

der Behandlung oder Vermeidung vaskulärer<br />

Risikofaktoren einen protektiven Faktor für klinisch<br />

manifeste, aber auch stumme Infarkte<br />

darstellen. Zu bedenken sind die methodischen<br />

Grenzen der Studie, wie das Intervall<br />

zwischen Feststellung der Intensität sportlicher<br />

Aktivitäten und vaskulärer Risikofaktoren<br />

und die Untersuchung der Zielparameter der<br />

Studie (MRI) von durchschnittlich 6 Jahren.<br />

Außerdem handelt es sich um eine Assoziationsstudie,<br />

und Assoziation muss nicht Kausalität<br />

bedeuten. Die Summe der Publikationen<br />

zu diesem Themenbereich 4 weisen aber<br />

stark in Richtung eines schlaganfallverhindernden<br />

Effektes von Sport, wobei die protektiven<br />

Mechanismen noch unklar sind. n<br />

1 Willey JZ et al., Lower prevalence of silent brain infarcts<br />

in the physically active: the Northern Manhattan Study.<br />

Neurology 2011; 76:2112–18<br />

2 Willey JZ et al., Physical activity and risk of ischemic<br />

stroke in the Northern Manhattan Study. Neurology<br />

2009; 73:1774–79<br />

3 Sacco RL et al., Leisure-time physical activity and<br />

ischemic stroke risk: the Northern Manhattan Stroke<br />

Study. Stroke 1998; 29:380–87<br />

4 Lee CD et al., Physical activity and stroke risk:<br />

a meta-analysis. Stroke 2003; 34:2475–81<br />

FOTO: GINA SANDERS - FOTOLIA.COM<br />

110


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuroonkologie<br />

Zusammengestellt von<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold<br />

Kaiser-Franz-Josef-Spital Wien<br />

Chemotherapieinduzierte Neuropathien<br />

Chemotherapieinduzierte Neuropathien<br />

(CIPN) gewinnen zunehmend an Bedeutung.<br />

Im US-amerikanischen NIH (National Institutes<br />

of Health, Washington) fand eine Sitzung<br />

mit ca. 80 internationalen ExpertInnen zu diesem<br />

Thema statt, bei der die Bedeutung, klinische<br />

Aspekte, Differenzialdiagnosen und<br />

Grundlagen in Workshops bearbeitet wurden.<br />

Das NIH investiert jährlich 120 Mio. Euro<br />

die Erforschung von Neuropathien wie neuropathischer<br />

Schmerz, Trauma der peripheren<br />

Nerven, systemische Polyneuropathien wie<br />

Diabetes und HIV und hereditäre Neuropathien.<br />

Bisher wurden noch keine Mittel für<br />

die Erforschung der CIPN bereitgestellt.<br />

Die CIPN werden aufgrund der immer häufiger<br />

angewandten Tumortherapie zunehmend<br />

wichtiger. Es handelt sich um dosislimitierende<br />

Nebenwirkungen, die einerseits<br />

zu Gefühlsstörungen und Schmerzen, andererseits<br />

zu Funktionseinschränkungen führen.<br />

Es ist davon auszugehen, dass etwa 25 %<br />

der ca. 1 Million Krebspatienten in den USA<br />

betroffen sind. Daten aus den USA zeigen,<br />

dass jährlich zwischen 390.500 und 465.400<br />

PatientInnen eine CIPN entwickeln, die Kosten<br />

belaufen sich auf 2,39–2,73 Milliarden<br />

Dollar.<br />

Ein wichtiger Beitrag beschäftigte sich mit<br />

den Fragen der Therapie, einerseits im Sinn<br />

der Prophylaxe, andererseits symptomatisch.<br />

Während die Prophylaxe weiterhin ungelöst<br />

ist, sind zahlreiche symptomatische Therapien<br />

bei Schmerzen oder Parästhesien möglich.<br />

Auch die Behandlung der Akuttoxizität von<br />

Oxaliplatin hat Fortschritte gemacht. Ein nicht<br />

zu unterschätzender und wenig bearbeiteter<br />

Aspekt ist die potenzielle Reversibilität der<br />

CIPN und das Fortdauern der Beschwerden<br />

auch über Jahre nach Beendigung der Chemotherapie.<br />

Klinische Aspekte<br />

Die Erfassung der CIPN ist ein großes ungelöstes<br />

Problem. Bei den verfügbaren Skalen<br />

bestehen große Unterschiede, wobei auf der<br />

einen Seite die onkologischen Toxizitätsskalen,<br />

auf den <strong>neurologisch</strong>en Seite komplexere<br />

Skalen wie der TNS (Total Neuropathy Score)<br />

stehen. Eine sehr intensive Entwicklung wird<br />

durch ein europäisches Konsortium im Rahmen<br />

des Projektes „Perinoms“ durchgeführt.<br />

Die Verbesserung der derzeitigen Erfassung<br />

und Einführung von gut verwendbaren und<br />

leicht anwendbaren Skalen sollte auch von<br />

OnkologInnen leicht durchführbar sein.<br />

Eher kritisch wird die Rolle der Elektrophysiologie<br />

gesehen, die nur sehr ungenau mit<br />

den klinischen Symptomen korreliert. Nervenbiopsien<br />

sind ausschließlich im Rahmen von<br />

Studien möglich, die Rolle der Hautbiopsie<br />

könnte zunehmen.<br />

Einige der verwendeten Substanzen können<br />

auch mit neuropathischen Schmerzen einhergehen.<br />

Besonders bei der akuten Oxaliplatin-<br />

Nebenwirkung scheint die Aufregulierung<br />

von TRP-Rezeptoren eine Rolle zu spielen.<br />

Substanzen wie spezifische Rezeptorantagonisten<br />

könnten therapeutisch eingesetzt werden.<br />

Anhand von hereditären neuropathischen<br />

Schmerzsyndromen und damit verbundenen<br />

nachgewiesenen Kanalerkrankungen<br />

wird die Problematik verglichen.<br />

Experimentell werden von zahlreichen Zentren<br />

Tierversuche (vorwiegend mit Ratten, nunmehr<br />

zunehmend mit Mäusen) durchgeführt.<br />

Es wurde auch hingewiesen, dass Versuchstiere<br />

mit definierten Tumoren zunehmend verwendet<br />

werden. Von den Tiermodellen ist das<br />

wlds/C57BL/Ola-Mausmodell („slow wallerian<br />

degeneration“) zu erwähnen, bei dem auch<br />

nach der klassischen Nervendurchtrennung<br />

zunächst keine distale Wallersche Degeneration<br />

auftritt, sondern die distalen Axone als<br />

auch Mitochondrien längere Zeit überleben.<br />

Eine andere Richtung sind Drosophila-Tiermodelle,<br />

bei denen sowohl die Toxizität als auch<br />

mutagene Veränderungen analysiert werden<br />

können. Auch Laboruntersuchungen wie Mikrofluid-Kammern<br />

machen es möglich, Stoffwechselvorgänge<br />

an Axonen zu erforschen<br />

und Tierversuche zu reduzieren.<br />

Die Rolle der Mitochondrien scheint eine der<br />

Entwicklungsrichtungen der geplanten Forschungen<br />

zu sein. Besonders bei Bortezomib,<br />

Paclitaxel und Vincaalkaloiden kommt es experimentell<br />

bald zu einer Reduktion der Beweglichkeit<br />

der Mitochondrien. Strukturelle<br />

Veränderungen wie Vakuolisierung und<br />

Membrandefekte werden bei Platin-Derivaten<br />

beschrieben. Andererseits kommt es mit<br />

zunehmendem Alter auch zu zunehmenden<br />

DNA-Veränderungen der Mitochondrien.<br />

Auch wird beschrieben, dass die Mitochondriopathien<br />

in den distalen Abschnitten der<br />

peripheren Nerven besonders ausgeprägt ist.<br />

Bortezomib hingegen hat einen deutlichen<br />

Effekt auf die Mikrotubuli. Die Transportmechanismen<br />

von Chemotherapien in und aus<br />

den Neuronen und Axonen sind nicht geklärt,<br />

und es werden mehrere Transportmechanismen<br />

diskutiert (MDR P, CTR, OCT, CTR-1).<br />

Dieses erste Treffen zum Thema der CIPN im<br />

NIH unterstrich die Wichtigkeit dieser substanzabhängigen<br />

Krankheitsbilder und verdeutlichte<br />

auch, dass trotz klinisch guter Charakterisierung<br />

der verschiedenen Typen der<br />

CIPN wichtige Grundlagen zu deren Entstehung<br />

fehlen, welche die Grundlage zur Prophylaxe<br />

und Therapie sein sollten. Ein Grundlagenpapier<br />

zum Thema CIPN wird vom NIH<br />

erstellt und soll die Basis für weitere Entwicklungen<br />

sein.<br />

n<br />

111


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neurochirurgie<br />

Sind tubuläre Spreizersysteme in der spinalen<br />

Neurochirurgie sinnvoll und nützlich?<br />

In der spinalen Neurochirurgie werden zunehmend tubuläre Spreizersysteme eingesetzt. Eine aktuelle Arbeit<br />

in Neurosurgery vergleicht tubuläre Diskektomien mit konventionellen Mikrodiskektomien beim lumbalen<br />

Bandscheibenvorfall 1 . Die 2-Jahres-Ergebnisse dieser randomisierten Doppelblindstudie zeigen keine Vorteile<br />

für tubuläre Spreizersysteme. Wird dies die Philosophie für die Operationszugänge beim lumbalen Bandscheibenvorfall<br />

wieder ändern? Wahrscheinlich ja, aber in mehrerlei Hinsicht und mit durchaus positivem Effekt.<br />

Die Überlegungen für den Einsatz tubulärer<br />

Spreizersysteme in der spinalen Neurochirurgie<br />

basieren auf der Annahme, dass transmuskuläre<br />

Dilatationssysteme das zugangsbedingte<br />

Gewebstrauma verringern können<br />

und daher geringere postoperative Schmerzen<br />

auftreten und damit auch eine frühere<br />

Mobilisierung und ein kürzerer Spitalsaufenthalt<br />

möglich sind.<br />

Studienergebnisse<br />

Die eingangs erwähnte aktuelle randomisierte<br />

Doppelblindstudie 1 aus Holland vergleicht<br />

die Daten von 166 PatientInnen nach tubulärer<br />

Diskektomie mit den Daten von 159 PatientInnen<br />

nach konventioneller Mikrodi s -<br />

kektomie. Nach 2 Jahren zeigte sich bei 71 %<br />

der tubulären Diskektomie-Gruppe ein gutes<br />

Ergebnis („good recovery“) gegenüber 77 %<br />

der PatientInnen aus der konventionellen Mikrodiskektomie-Gruppe.<br />

PatientInnen aus der<br />

tubulären Diskektomie-Gruppe berichteten<br />

häufiger über Bein- und Rückenschmerzen<br />

als die PatientInnen nach konventioneller<br />

Mikrodiskektomie. Im Hinblick auf die Spitalsaufenthaltsdauer<br />

(3,3 Tage einschließlich<br />

zumeist einem präoperativen Tag) zeigte sich<br />

kein Unterschied. 46 % aus der tubulären<br />

Diskektomie-Gruppe konnten bereits am<br />

OP-Tag mobilisiert werden gegenüber 51 %<br />

aus der konventionellen Mikrodiskektomie-<br />

Gruppe.<br />

Nervenwurzelverletzungen traten in beiden<br />

Gruppen bei jeweils 2 % auf, Duraverletzungen<br />

(Dural Tear) bei 8,4 % bei tubulärer Diskektomie<br />

versus 4,4 % bei konventioneller<br />

Mikrodiskektomie. Die Rezidivrate im 2-Jahres-Beobachtungszeitraum<br />

(OP-pflichtig) betrug<br />

9,6 % versus 5,7 %. In 2 Fällen musste<br />

der Versuch einer tubulären Diskektomie als<br />

konventionelle Mikrodiskektomie fortgesetzt<br />

werden.<br />

Diskussion<br />

„Umwegrentabilität“ für die<br />

konventionelle Mikrodiskektomie<br />

Diese Ergebnisse zeigen klar, dass in der operativen<br />

Behandlung des lumbalen Bandscheibenvorfalles<br />

transmuskuläre Dilatationssysteme<br />

keine Vorteile gegenüber der konventionellen<br />

Mikrodiskektomie bringen und die<br />

Erwartungen im Zusammenhang mit dem<br />

Abb.: 33-jähriger Patient mit sequestriertem Diskusprolaps L3/4: (A) MR sagittal präoperativ; (B) MR axial präoperativ;<br />

(C) MR axial 4 Jahre nach konventioneller Mikrodiskektomie: zartes interarcuäres Fenster links, keine relevante<br />

epidurale Narbenformation, keine Denervation bzw. Atrophie der Rückenmuskulatur.<br />

A B C<br />

112


Zusammengestellt im Namen des Beirats „Neurochirurgie“:<br />

Prim. Univ.-Doz. Dr. Manfred Mühlbauer<br />

SMZ Ost, Donauspital, Wien<br />

vermuteten geringeren Gewebstrauma nicht<br />

erfüllt wurden.<br />

Dennoch sollten diese Daten zu einem weiteren<br />

Fortschritt in der lumbalen Diskuschirurgie<br />

führen: In der vorliegenden Studie<br />

wurde bei beiden Patientengruppen ein medianer<br />

Hautschnitt über der Zielregion von<br />

etwa 2,5 cm angelegt. Es ist also offensichtlich,<br />

dass hier auch bei der konventionellen<br />

Mikrodiskektomie sehr zarte Spreizersysteme<br />

verwendet wurden und ein solcher Eingriff<br />

durchaus als „minimalinvasiv“ bezeichnet<br />

werden kann.<br />

Man könnte die Ergebnisse dieser Studie also<br />

auch so interpretieren, dass konventionelle<br />

Mikrodiskektomien in minimalinvasiver Technik<br />

mit ebenso geringem Gewebstrauma vorgenommen<br />

werden können wie tubuläre Diskektomien<br />

(Abb.).<br />

Frühe Mobilisierung: Die vorliegende Studie<br />

zeigt auch, dass es die Infrastruktur in<br />

mittel- und westeuropäischen Ländern<br />

durchaus erlaubt, bei lumbalen Diskektomien<br />

den gesamten Spitalsaufenthalt einschließlich<br />

einem präoperativen Tag im<br />

Durchschnitt auf 3,3 Tage zu senken und<br />

viele PatientInnen bereits am Operationstag<br />

zu mobilisieren. Um diese medizinisch und<br />

ökonomisch sinnvolle Reduktion der Liegezeiten<br />

zu erreichen, muss aber angedacht<br />

werden, zumindest einen Teil der lumbalen<br />

Mikrodiskektomien – so wie dies häufig bei<br />

tubulären Diskektomien üblich ist – in Spinalanästhesie<br />

durchzuführen. Auch in dieser<br />

Hinsicht konfrontiert uns die aktuelle Studie<br />

mit der Frage, ob wir möglicherweise in der<br />

operativen Behandlung lumbaler Bandscheibenvorfälle<br />

noch immer zu konventionell<br />

denken und im Glauben verhaftet sind: „so<br />

wie es immer war ist es für immer gut“?<br />

Eine damit erzielbare frühe Mobilisierung bereits<br />

am Operationstag wäre vielleicht auch<br />

ein probates Mittel, die PatientInnen weniger<br />

dahingehend zu stigmatisieren „ich bin operiert<br />

und muss/darf daher jetzt leiden …“<br />

Und der Spitalsaufenthalt nach lumbalen Diskektomien<br />

kann mit den heutigen Möglichkeiten<br />

einer oralen Analgesie ohne Nachteile<br />

für die PatientInnen ebenfalls vernünftig kurz<br />

gehalten werden.<br />

Komplikationsrate: Natürlich werden lumbale<br />

Bandscheibenoperationen durch kleine<br />

gewebeschonende Zugänge auch technisch<br />

anspruchsvoller, aber die höhere Komplikationsrate<br />

in der tubulären Diskektomie-Gruppe<br />

in der vorliegenden Studie zeigt, dass die<br />

konventionelle Mikrodiskektomie auch hier<br />

im Vorteil ist. Tubuläre Spreizersysteme formen<br />

einen starren Operationskanal und<br />

erzeugen so mehr „tote Winkel“ im Operationsareal.<br />

Bei der konventionellen Mikrodiskektomie<br />

wird der Operationskanal zumindest<br />

teilweise von Weichteilen begrenzt, sodass<br />

flexiblere Winkel der Instrumente bei<br />

der Präparation in der Tiefe möglich sind.<br />

Dies ist allerdings entscheidend abhängig<br />

vom verwendeten Spreizersystem.<br />

Reoperationsrate: Bemerkenswert erscheinen<br />

die in der Studie angegebene Erfolgsrate<br />

(good outcome) von lediglich 77 % nach<br />

konventioneller Mikrodiskektomie (71 %<br />

nach tubulärer Diskektomie) sowie die hohen<br />

Reoperationsraten innerhalb des 2-Jahres-Beobachtungszeitraumes<br />

von 15 % bei tubulärer<br />

Mikrodiskektomie und 10 % bei konventioneller<br />

Mikrodiskektomie. Tatsache ist,<br />

dass die PatientInnen dieser Studie innerhalb<br />

von 2 Jahren zu 9 Nachuntersuchungen gebeten<br />

wurden. Kein erfahrener Bandscheibenoperateur<br />

wird widersprechen, dass Diskuspatienten<br />

durch 9 Nachuntersuchungen<br />

in 2 Jahren permanent auf ihr Rückenproblem<br />

fokussiert bleiben und sich der Gedanke „ich<br />

bin gesund, und mir geht es gut“ erst gar<br />

nicht entwickeln kann. Auch die AutorInnen<br />

der Studie räumen selbst ein, dass aufgrund<br />

der engen Kontrollintervalle wesentlich häufiger<br />

bereits bei geringen Restbeschwerden<br />

MRT-Untersuchungen durchgeführt wurden<br />

und dann bei Bekanntwerden der Diagnose<br />

„Rezidivdiskusprolaps“ oft auch bei nur geringer<br />

klinischer Relevanz eine neuerliche<br />

Operation eingefordert wurde.<br />

Neue Spreizersysteme: Offen bleibt die<br />

Frage, wie sinnvoll und nützlich neue expandierbare<br />

tubuläre Spreizersysteme für rekonstruktive<br />

Eingriffe an der Wirbelsäule sind und<br />

ob damit die Denervation der Rückenmuskulatur,<br />

wie sie häufig nach konventionellen makroskopischen<br />

dorsalen Zugängen gesehen<br />

wird, tatsächlich vermieden werden kann? Es<br />

besteht aber kein Zweifel, dass durch die Einführung<br />

dieser innovativen Spreizersysteme<br />

auch ein Umdenken in der rekonstruktiven<br />

spinalen Neurochirurgie stattgefunden hat.<br />

Auch hier sind nun gewebeschonende Operationszugänge<br />

– unabhängig vom verwendeten<br />

Spreizersystem – ein Thema, ebenso<br />

wie das Streben, die Innervation der Rückenmuskulatur<br />

bestmöglich zu erhalten.<br />

Für die Neurochirurgie jedenfalls bieten diese<br />

Spreizersysteme nicht unwesentliche Vorteile<br />

gegenüber C-Bogen-assistierten perkutanen<br />

Techniken: Die Strahlenexposition – vor allem<br />

die kumulierte Strahlenexposition für die<br />

OperateurInnen – ist wesentlich geringer, die<br />

bei neurochirurgischen PatientInnen fast<br />

immer indizierte Dekompression des Spinalkanales<br />

ist in gewohnter mikrochirurgischer<br />

Technik möglich, und auch das Einbringen<br />

der Implantate und eventuelle Repositionsmanöver<br />

gestalten sich weniger komplex als<br />

bei rein perkutanen Techniken. Daher könnten<br />

diese neuen expandierbaren tubulären<br />

Spreizersysteme in der rekonstruktiven spinalen<br />

Neurochirurgie durchaus von Vorteil sein,<br />

allerdings sind sie unglaublich teuer …<br />

Fazit<br />

Zusammenfassend zeigt die vorliegende Studie<br />

aus Holland zwar keinen unmittelbaren<br />

Vorteil für tubuläre Spreizersysteme in der<br />

lumbalen Diskuschirurgie, allerdings hat sie<br />

aus meiner Sicht eine wertvolle „Umwegrentabilität“<br />

für medizinisch und ökonomisch interessante<br />

Weiterentwicklungen bei der konventionellen<br />

Mikrodiskektomie.<br />

n<br />

1<br />

Arts MP, Brand R, van den Akker ME, Koes BW, Bartels<br />

RH, Tan W, Peul WC, Tubular Discectomy vs Conventional<br />

Microdiskectomy for the Treatment of Lumbar Disc<br />

Herniation: 2-Year Results of a Double-Blind Randomized<br />

Controlled Trial. Neurosurgery 2011; 69(1):135–144<br />

113


NEUROLOGIE AKTUELL<br />

Neuroimaging<br />

Magnetresonanztomographie<br />

Diagnose und Verlaufsbeobachtung<br />

von Hirntumoren<br />

Hirntumoren sind intrakranielle Raumforderungen<br />

unterschiedlicher Lokalisation, Biologie<br />

und Prognose, die entweder primär innerhalb<br />

des Schädels entstehen oder ausgehend<br />

von systemischen malignen Tumoren in<br />

das Gehirn oder die daran angrenzenden<br />

Strukturen metastasieren.<br />

Die biologische Aktivität von Hirntumoren ergibt<br />

sich aus mehreren Faktoren. Diese sind<br />

der histologische Grad, das infiltrative Wachstum<br />

bestimmter Hirntumoren, die Lokalisation<br />

des Tumors innerhalb eines spezifischen<br />

Hirnareals oder der Schädelhöhle, die sekundären<br />

Folgen von Hirntumoren wie Ödem<br />

oder Blutung sowie die beschränkte Möglichkeit<br />

der geschlossenen Schädelhöhle zur<br />

Anpassung an einen gesteigerten intrakraniellen<br />

Druck. Prognostische Prädiktoren für<br />

das Ansprechen auf Therapien (Operation,<br />

Radiotherapie, Chemotherapie, molekulargenetische<br />

Therapie) sind neben Histologie, Tumorgrad,<br />

Alter und Allgemeinzustand auch<br />

das molekulargenetische Profil des Tumors.<br />

Konventionelle Bildgebung<br />

Obschon die Computertomographie (CT) in<br />

der Akutabklärung <strong>neurologisch</strong>er Symptome<br />

wegen der besseren Verfügbarkeit meistens<br />

als erste Modalität eingesetzt wird, ist die<br />

Magnetresonanztomographie (MRT) bei der<br />

Diagnose von intrakraniellen Neoplasien die<br />

Methode der Wahl. Sie ist sensitiver in der<br />

Darstellung und Abgrenzung von Hirntumoren<br />

als die CT. Verschiedene Sequenzen (z. B.<br />

T1-, T2-, protonengewichtete Sequenzen,<br />

FLAIR-Sequenzen oder Gradientenechosequenzen)<br />

visualisieren unterschiedliche Komponenten<br />

einer Läsion.<br />

So zeigt eine Kontrastmittelaufnahme innerhalb<br />

eines Tumors den Verlust der Blut-Hirn-<br />

Schranke durch pathologische Blutgefäße an.<br />

Das Fehlen von Kontrastmittelaufnahme<br />

schließt jedoch einen Hirntumor nicht aus,<br />

weil diffuse Gliome eine funktionell intakte<br />

Blut-Hirn-Schranke haben. Da bestimmte Tumoren<br />

spezifische und manchmal pathognomische<br />

Gewebskomponenten haben, erlaubt<br />

die Zusammenschau von verschiedenen Sequenzen<br />

und der Einsatz von Kontrastmittel<br />

eine ausgezeichnete Charakterisierung von<br />

Tumortyp und Tumorgrad.<br />

Die Möglichkeit der multiplanaren Bildgebung<br />

erlaubt darüber hinaus eine eindeutige Unterscheidung<br />

zwischen intra- und extrazerebraler<br />

Lokalisation der Läsion und ermöglicht<br />

eine gute Abgrenzung der Läsion zu neuro -<br />

anatomischen Strukturen und Gefäßen. Zusätzliche<br />

Informationen über die Lokalisation<br />

des Tumors innerhalb des Schädels, das Alter<br />

und das Geschlecht der PatientInnen lassen<br />

eine Annäherung an die histopathologische<br />

Diagnose zu. Die MRT zeigt auch das Ausmaß<br />

von Hirnödem und Raumforderung auf,<br />

wobei aber bei diffus infiltrierenden Hirntumoren<br />

fließende Übergänge zwischen Tumor -<br />

infiltration und Ödem bestehen (Abb. 1).<br />

Präoperatives Imaging zur<br />

Planung von Biopsie und Resektion<br />

In gliomatösen Tumoren kann es ein Neben-<br />

Abb. 1: Extra- vs. intraaxiale Raumforderung<br />

Abb. 2: fMRI<br />

Mit freundlicher Genehmigung Univ.-Prof. Dr. F. Ebner und Mag. Karl<br />

Koschutnig (Universitätsklinik für Radiologie Graz, Klinische Abteilung<br />

für Neuroradiologie)<br />

Links: Meningeom WHO Grad I. KM-aufnehmende Expansion mit<br />

Ödem und Raumfor derung. Rechts: Glioblastoma multiforme WHO<br />

Grad IV. Expansion mit irregulärer KM-Aufnahme, zystischen Anteilen,<br />

Ödem und Raumforderung.<br />

Handaktivierung bei Tumor cerebri im Gyrus praecentralis rechts.<br />

Motorisches Paradigma (Schwellenwert p < 0,01). Verlagerung<br />

des funktionellen motorischen Areales an die kaudale Tumorbegrenzung.<br />

DTI (links unten): bogiger Verlauf der absteigenden langen Bahnen im DTI<br />

im Randbereich des Tumors.<br />

114


Zusammengestellt für den Beirat „Neuroimaging“:<br />

Dr. Franz Payer<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong> und Universitätsklinik für Radiologie, Medizinische Universität Graz<br />

einander von Anteilen mit unterschiedlichem<br />

Malignitätsgrad geben. Mit steigender Malignität<br />

kommt es zu Gefäßproliferation und<br />

Neovaskularisation. Höhergradige Gliome<br />

haben nicht nur eine Störung der Blut-Hirn-<br />

Schranke, sondern auch eine stärkere Durchblutung<br />

in der MR-Perfusion als niedriggradige<br />

Gliome. Damit können präoperativ höhergradige<br />

Tumoranteile innerhalb eines<br />

primär benigne erscheinenden, nicht kontrastmittelaufnehmenden<br />

Tumors gezeigt<br />

werden. Dies ist essenziell für die Planung<br />

einer stereotaktischen Biopsie, da bei einem<br />

Nebeneinander von benignen und malignen<br />

Tumoranteilen der Zielpunkt der Biopsie der<br />

malignere, biologisch aktivere Tumoranteil<br />

sein muss.<br />

Bei der Resektion von Hirntumoren sollten<br />

mögliche Auswirkungen auf Funktionen wie<br />

Motorik, Sensorik und Sprache beachtet werden.<br />

Die entsprechenden Hirnregionen sollten<br />

möglichst geschont und erhalten werden.<br />

Mittels funktioneller MRT (fMRT) können<br />

durch Aktivierung spezifische Funktionsareale<br />

und deren räumliche Beziehung zum Tumor<br />

dargestellt werden. Diffusion-Tensor-Imaging<br />

(DTI) stellt die Lokalisation und den Verlauf<br />

von Bahnsystemen im Marklager des Gehirns<br />

dar und macht deren Beziehung zum Tumor<br />

sichtbar. Dadurch kann bereits präoperativ<br />

das exakte Ausmaß der Tumorresektion geplant<br />

werden (Abb. 2).<br />

Verlaufsbeobachtung<br />

unter Therapie<br />

Die Methode der Wahl zur Beurteilung des<br />

Ansprechens auf die Therapie bei Hirntumoren<br />

war bis vor Kurzem der radiologische Respons<br />

basierend auf der Größe des KM-aufnehmenden<br />

Anteils des Tumors mittels konventioneller<br />

MRT (MacDonald-Kriterien).<br />

Einschränkend muss jedoch betont werden,<br />

dass die Kontrastmittelaufnahme nicht immer<br />

das gesamte Ausmaß der Tumorinfiltration<br />

und die Aktivität des Tumors reflektiert. Eine<br />

Änderung der KM-Aufnahme kann auch Ausdruck<br />

anderer Phänomene sein. Verstärkte<br />

KM-Aufnahme findet sich postoperativ im<br />

Bereich des Resektionsrandes, bei therapiebedingter<br />

Entzündung, Ischämie und manchmal<br />

in epileptischen Foci. Auch Reaktionen<br />

auf Radio-Chemotherapie können zu verstärkter<br />

KM-Aufnahme, Ödem und Raumforderung<br />

führen. Kommt es innerhalb von 3<br />

bis 6 Monaten ohne spezifische Tumortherapie<br />

zur Rückbildung oder Stabilisierung, wird<br />

diese Veränderung als Pseudoprogression bezeichnet<br />

(Abb. 3).<br />

Im Gegensatz dazu können antiangiogenetische<br />

Therapien die Permeabilität von Tumorgefäßen<br />

normalisieren und damit die KM-<br />

Aufnahme innerhalb des Tumors und das begleitende<br />

Ödem im Sinne eines so genannten<br />

Pseudorespons reduzieren, obwohl Tumorzellen<br />

weiterhin entlang normaler Gefäßstrukturen<br />

und Bahnsystemen ins angrenzende<br />

Hirngewebe infiltrieren (Abb. 4).<br />

Vor allem wegen dieser Einschränkung muss<br />

zusätzlich zur KM-Aufnahme auch die Signalabnormität<br />

in der T2-gewichteten oder<br />

FLAIR-Sequenz zur Beurteilung herangezogen<br />

werden (RANO-Kriterien). Darüber hinaus<br />

sollten im Rahmen der Therapie von Hirntumoren<br />

neben der konventionellen MRT<br />

auch funktionell bildgebende Verfahren wie<br />

MR-Perfusion, MR-Diffusion und MR-Spektroskopie<br />

in die Verlaufsbeobachtung mit einbezogen<br />

werden.<br />

n<br />

Abb. 3: Pseudoprogression bei Glioblastoma multiforme<br />

Abb. 4: Pseudorespons unter antiangiogenetischer<br />

Therapie<br />

Links: 24 Stunden nach Operation. Mitte: 3 Monate nach Radio-Chemo -<br />

therapie. Zunahme von KM-Aufnahme, Ödem und Raumforderung.<br />

Rechts: 6 Monate nach Radio-Chemotherapie. Abnahme von KM-Aufnahme,<br />

Ödem und Raumforderung.<br />

Links: Rezidivtumor mit KM-Aufnahme und Ödem vor Therapie.<br />

Rechts: Abnahme von KM-Aufnahme und Ödem, jedoch Zunahme<br />

der Tumorinfiltration in rechter Hemisphäre nach 9 Monaten Therapie.<br />

115


Service –Veranstaltungstermine<br />

Jahrestagung der<br />

Österreichischen Parkinson <strong>Gesellschaft</strong><br />

13.–15. Oktober<br />

Congress Center, Villach<br />

Information: pco tyrol congress, Rennweg 3, 6020 Innsbruck<br />

Webinfo: www.parkinson.at<br />

5 th World Congress on Controversies in Neurology<br />

13.–16. Oktober<br />

Beijing, China<br />

Webinfo: comtecmed.com/cony/2011/<br />

Kurs „Praktische Demenzdiagnostik“<br />

14.–15. Oktober<br />

LKH Innsbruck, FKK-Gebäude<br />

Seminarraum 8. Stock<br />

Anichstraße 35, 6020 Innsbruck<br />

Information: Univ.-Prof. Dr. Thomas Benke<br />

E-Mail: thomas.benke@i-med.ac.at<br />

Ultraschallkurse der ARGE Neurosonologie<br />

15.–16. Oktober<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong><br />

6020 Innsbruck<br />

Information: Sekretariat des Neurosonologischen Labors<br />

Tel.: +43 (0)512(504 23871<br />

Innsbrucker Neurosonokurse „Kurs 1“<br />

15.–16. Oktober<br />

Information: Dr. Christoph Schmidauer<br />

E-Mail: christoph.schmidauer@uki.at<br />

Facharztausbildungsseminar WS 2011<br />

20.–22. Oktober<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Innsbruck<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

7 th International Congress on Vascular Dementia<br />

20.–23. Oktober<br />

Riga, Latvia<br />

Information: Congress Secretariat<br />

Tel.: +41 (0)22/908 04 88<br />

Fax: +41 (0)22/906 91 40<br />

E-Mail: vascular@kenes.com<br />

Webinfo:<br />

www.kenes.com/vascular2011/mailshots/ms5.htm?ref5=db1<br />

1 st European NeuroRehabiliation Congress<br />

20.–22. Oktober<br />

Kurhaus Meran<br />

I-39012 Meran, Freiheitsstraße 33 Corso Libertà<br />

Information:<br />

E-Mail: enrc2011@come-innsbruck.at<br />

Webinfo: www.enrc2011.eu<br />

2. Grazer Neurogeriatrisches Symposium<br />

22. Oktober<br />

Albert-Schweitzer-Klinik<br />

8020 Graz, Albert-Schweitzer-G. 36<br />

Information: OA Dr. Ronald Saurugg, Abteilung für <strong>Neurologie</strong><br />

Fax: +43 (0)316/70 60-1319<br />

E-Mail: ronald.saurugg@stadt.graz.at<br />

12. Linzer Schlaganfallkurs<br />

28. Oktober<br />

Ausbildungszentrum der<br />

OÖ Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg<br />

Niedernharter Straße 20, 4020 Linz<br />

Information:<br />

Ramona Steinkellner, Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg<br />

Tel.: +43 (0)50/554 62-25701<br />

E-Mail: neurologiesekr.wj@gespag.at<br />

Schmerzakademie Modul 1<br />

28.–30. Oktober<br />

Hotel Friesacher, Anif<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

9. Südtiroler Neurophysiologisches Wochenende<br />

28.–30. Oktober<br />

Sand in Taufers/Campo Tures<br />

Information: Frau Schleyer, Care Fusion Germany 234<br />

Training Center, 97204 Höchberg, Leibnizstraße 7<br />

„Neurologischer Donnerstag“<br />

3. November<br />

Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, Ausbildungszentrum<br />

Niedernharter Straße 20, 4020 Linz<br />

Information:<br />

Univ.-Prof. Prim. Dr. Franz Aichner<br />

Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg<br />

Tel.: +43 (0)50/554 62-25701<br />

E-Mail: franz.aichner@gespag.at<br />

2. Nationaler Fachkongress Telemedizin<br />

3.–4. November<br />

Ellington Hotel, Saal Femina, Nürnberger Straße 50–55,<br />

10789 Berlin<br />

Webinfo: www.telemedizinkongress.de<br />

Akademie Neurologische Gutachter<br />

4. November<br />

Ort: Hotel Gut Brandhof, Saalfelden<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

MS-Usermeeting<br />

4. November<br />

Hotel Gut Brandlhof, Saalfelden<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

Plattform Niedergelassene NeurologInnen<br />

4.–5. November<br />

Hotel Gut Brandlhof, Saalfelden<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

121


Service –Veranstaltungstermine<br />

19. Jahrestagung der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> für<br />

Schlafforschung und Schlafmedizin<br />

10.–12. November<br />

Mannheim<br />

Information: Deutsche <strong>Gesellschaft</strong> für Schlafforschung<br />

und Schlafmedizin<br />

E-Mail: dgsm@conventus.de<br />

Webinfo: www.dgsm2011.de<br />

XX th World Congress of Neurology<br />

12.–17. November<br />

Marrakesh, Morocco<br />

Information: Kenes International, CH-1211 Geneva 1<br />

Switzerland, 1-3 rue de Chantepoulet, P.O. Box 1726<br />

Tel: +41 (0)22/908 04 88<br />

Fax: +41 (0)22/906 91 40<br />

E-Mail: wcn@kenes.com<br />

Webinfo: www.kenes.com/404a.htm<br />

19. Jahrestagung der Österreichischen <strong>Gesellschaft</strong><br />

für Neuroradiologie<br />

17.–19. November<br />

Stift Klosterneuburg<br />

Webinfo: www.perfusion.at<br />

Ultraschalldiagnostik der hirnversorgenden<br />

Arterien – A Einführungs-Aufbaukurs<br />

19.–20. November<br />

Hotel Mercure, Waltendorfer Gürtel 8–10, 8010 Graz<br />

Information:<br />

Univ.-Prof. Dr. Kurt Niederkorn<br />

Reitschulgasse 18, 8010 Graz<br />

E-Mail: office@niederkorn.at<br />

„Neurologischer Donnerstag“<br />

24. November<br />

AKH Linz, Med. Ausbildungszentrum, Hörsaal 1 bzw. 3a/b<br />

Paula Scherleitner Weg 3, 4020 Linz<br />

Information:<br />

Univ.-Prof. Dr. Gerhard Ransmayr, AKH Linz<br />

Tel.: +43 (0)732/78 06-6811<br />

E-Mail: gerhard.ransmayr@akh.linz.at<br />

Curriculum Neurorehabilitation – Modul 4<br />

25. November<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong> Graz<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

ÖGN-Schmerzakademie Modul 2<br />

25.–27. November<br />

Hotel Friesacher, Anif<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

Jahrestagung der Österreichischen <strong>Gesellschaft</strong><br />

für Neurorehabilitation<br />

ACHTUNG: verschoben auf 2012<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Graz<br />

Information: Univ.-Doz. Dr. Christian Enzinger<br />

E-Mail: chris.enzinger@medunigraz.at<br />

ÖGN-Sekretariat: Tanja Weinhart<br />

Garnisongasse 7/22, 1090 Wien<br />

Tel.: +43 (0)1/512 80 91-19<br />

E-Mail: weinhart@admicos.com<br />

Innere Medizin Update – Refresher<br />

30. November bis 4. Dezember<br />

Aula der Wissenschaften, Wien<br />

Information: Forum für medizinische Fortbildung<br />

Tel.: +43 (0)2252/263 263-10<br />

Fax: +43 (0)2252/263 263-40<br />

E-Mail: info@fomf.at<br />

Webinfo: www.fomf.at<br />

2 nd World Congress of Clinical NeuroMusicology<br />

2.–3. Dezember<br />

Hotel Sacher, Wien<br />

E-Mail: neuromusicology2011@medacad.org<br />

6. Deutscher Wirbelsäulenkongress<br />

8.–10. Dezember<br />

Congress Centrum Hamburg<br />

Information: Justus G. Appelt<br />

Tel.: +49 (0)3641/311 63 11<br />

Fax: +49 (0)3641/311 62 40<br />

E-Mail: dwg@conventus.de<br />

Webinfo: www.dwg2011.de<br />

7. Internationales Curriculum „Funktionelle<br />

Bildgebung des Gehirns“ – Grundkurs<br />

9. Dezember<br />

AKH Wien, Jugendstilhörsaal, Bauteil 88, Ebene 02, Stiege 8<br />

Spitalgasse 23, 1090 Wien<br />

Information:<br />

DI Alexander Geißler, PhD, AG klinische fMRT<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Exzellenzzentrum Hochfeld<br />

MR, Med. Univ. Wien, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien<br />

E-Mail: alexander.geissler@meduniwien.ac.at<br />

MS-Akademie<br />

9.–10. Dezember<br />

Seminarhotel Lengbachhof, Steinhäusl 8, 3033 Altlengbach<br />

Information: ÖGN-Sekretariat<br />

11. Österreichisches fMRT Symposium<br />

10. Dezember<br />

AKH Wien, Jugendstilhörsaal, Bauteil 88, Ebene 02, Stiege 8<br />

Spitalgasse 23, 1090 Wien<br />

Information:<br />

DI Alexander Geißler, PhD, AG klinische fMRT<br />

Universitätsklinik für <strong>Neurologie</strong>, Exzellenzzentrum Hochfeld<br />

MR, Med. Univ. Wien, Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien<br />

E-Mail: alexander.geissler@meduniwien.ac.at<br />

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