families first
families first
families first
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Families First
Families First<br />
Handbuch<br />
ğr<br />
Familienmitarbeiter<br />
Marianne Berger<br />
Han Spanjaard<br />
NIZW
©1999 Nederlands Instituut voor Zorg en Welzijn/NIZW<br />
Aus dieser Ausgabe darf nichts verfielfältigt und/oder veröffentlicht werden mittels Druck,<br />
Fotokopie, Mikrofilm oder auf andere Weise ohne vorhergehende schriftliche Zustimmung.<br />
Die niederländische Ausgabe wurde auch durch eine Subvention des niederländischen<br />
Ministeriums VWS und des niederländischen Justizministeriums ermöglicht.<br />
Autoren<br />
Marianne Berger und Han Spanjaard<br />
beide bei der Abteilung GT-Projekten des Pädologischen Instituts in<br />
Duivendrecht/Amsterdam NL, die Niederlände tätig<br />
Bearbeitung<br />
Jolanda Keesom<br />
Übersetzung<br />
Euroterm<br />
Autorisation der Übersetzung<br />
Marianne Berger<br />
Projektleitung<br />
Hans Jagers<br />
Umschlagentwurf<br />
Carta, Utrecht<br />
Druck<br />
Casparie, Heerhugowaard<br />
ISBN<br />
90-5050-512-0<br />
NIZW-Bestellnummer<br />
E 48741<br />
Diese Publikation kann bestellt werden bei<br />
NIZW Uitgeverij<br />
Postbus 19152<br />
3501 DD Utrecht<br />
Telefon 0031 - (0)30 - 230 66 07<br />
Fax 0031 - (0)30 - 230 64 91<br />
E-mail Bestel@nizw.nl
VORWORT<br />
Families First ist eine besondere Form häuslicher Krisenhilfe, die verhindern will, dass ein<br />
Kind aus der Familie herausgenommen wird und die Kompetenz der Familienmitglieder<br />
erweitern möchte.<br />
Diese Ausgangspunkte sind sowohl inhaltlich wie organisatorisch explizit ausgearbeitet. In<br />
diesem Handbuch wird eine Methode für Familienmitarbeiter beschrieben, um Familien in<br />
Krisensituationen unmittelbar eine adäquate Hilfe zu bieten. Diese Methode basiert unter<br />
anderem auf den Erfahrungen, die bis jetzt mit Families First in den Niederlanden gemacht<br />
wurden.<br />
Der Hintergrund von Families First<br />
Families First leitet sich von dem Homebuilder-Modell des 'Behavioral Sciences Institute'<br />
(Seattle) in den Vereinigten Staaten her. Seit 1974 bietet dort eine Gruppe Hilfeleistender<br />
häusliche Krisenhilfe. Fünfzehn Jahre praktischer Erfahrung und Forschung haben zu<br />
einem klaren Hilfeleistungsmodell und Ausbildungen für Familienmitarbeiter und<br />
Teamleiter (Kinney, Haapala & Booth 1991) geführt. Verschiedene Untersuchungen haben<br />
gezeigt, dass das Homebuilder-Modell gut und wirksam übertragbar ist. Es wird inzwischen<br />
in verschiedenen amerikanischen Staaten angewendet. Im Staat Michigan hat das zu einem<br />
Hilfeleistungsprogramm mit dem Titel "Families First" geführt.<br />
Im Jahr 1991 besuchte eine Gruppe Niederländer einige Homebuilder-Projekte, um zu<br />
sehen, ob das Homebuilder-Modell als Ergänzung des bestehenden Hilfsangebots geeignet<br />
ist. Unter der Voraussetzung, dass es auf die niederländische Kultur übertragen und die<br />
Verbreitung von Anfang an gut organisiert würde, erschien das Modell geeignet. Daraufhin<br />
hat die Abteilung Verhaltenstherapie-Projekte vom Pädologischen Institut (PI-GT) in<br />
Duivendrecht ein erstes Konzept für ein Families First-Projekt in den Niederlanden<br />
ausgearbeitet. Das 'Department of Social Services' in Michigan gab wertvolle Ratschläge,<br />
um der Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Parteien die konkrete Form zu geben.<br />
Der Start in den Niederlanden<br />
Nach der Präsentation eines ausgearbeiteten Plans für Families First haben Einrichtungen<br />
der Jugendhilfe in den Regionen Amsterdam, Drenthe, Friesland, Gelderland und<br />
Rotterdam/Südholland im Jahr 1993 mit Demonstrationsprojekten begonnen. Von der<br />
Kraft von Families First überzeugt, haben es die Verantwortlichen dieser Einrichtungen<br />
riskiert und die ersten Projekte durch finanzielle Umverteilungen ermöglicht. Das<br />
Ministerium VWS und das Justizministerium waren zu Beginn die wichtigsten Finanziers<br />
von Families First in den Niederlanden. In einer späteren Phase spielten die Provinzen bei<br />
der Finanzierung eine immer größere Rolle.<br />
Überweiser, betroffene Familien und Finanziers kamen zunehmend mehr zu der<br />
Überzeugung, dass Families First eine erfolgreiche Ergänzung der Hilfeleistung in den<br />
Niederlanden ist. Auch die Untersuchung von Veerman et al weist diesen Erfolg nach. Bei<br />
90% der Risikokinder besteht ein (großes) Risiko auf Fremdplatzierung des Kindes. Durch<br />
5
den Einsatz von Families First funktioniert die Familie wieder besser und bleiben viele<br />
Kinder zuhause wohnen. Ein Jahr nach der Families First-Hilfe wohnt 76 Prozent der<br />
Risikokinder zuhause. Diese Resultate stimmen mit den Resultaten erfolgreicher Families<br />
First-Projekte in den Vereinigten Staaten überein.<br />
Seit 1995 unterstützt das Consortium Families First bestehende Projekte und<br />
Einrichtungen, die ein neues Projekt beginnen möchten. 1997 haben elf neue Families<br />
First-Projekte begonnen. Families First steht nun beinahe in den gesamten Niederlanden<br />
zur Verfügung.<br />
Das Consortium Families First<br />
Das Consortium Families First ist ein Zusammenarbeitsverbund zwischen dem NIZW, dem<br />
Pädologischen Institut und SSJ, der das Ziel hat, Einrichtungen beim Beginn eines neuen<br />
Families First-Projekts zu unterstützen und die Qualität der gebotenen Hilfe zu verbessern.<br />
Mitarbeiter des Consortiums spielen bei der Ausbildung der Teammitglieder eine wichtige<br />
Rolle, indem sie das Basistraining für Familienmitarbeiter und Teamleiter durchführen. Das<br />
Consortium organisiert und begleitet Treffen für Teamleiter und Programmleiter. Dabei<br />
stehen der Erfahrungsaustausch und die Weitergabe neuer Einsichten im Mittelpunkt.<br />
Teamleiter und Familienmitarbeiter nehmen zweimal pro Jahr an Workshops teil, die<br />
spezifische Fragen, mit denen Familienmitarbeiter in der Praxis konfrontiert werden,<br />
behandeln. Das Consortium entwickelt und gestaltet diese Workshops. Das Consortium<br />
führt fortwährende Untersuchungen zu den erreichten Familien, die gebotene Hilfe und<br />
deren Resultate durch. Jährlich berichten die Forscher darüber.<br />
Die Forschungsdaten bilden auch einen Teil der Programmauswertungen, die minimal<br />
einmal in zwei Jahren bei jedem Projekt stattfinden. Mitarbeiter des Consortiums führen<br />
diese Auswertungen durch.<br />
Der Start in Deutschland<br />
Deutsche Einrichtungen haben die 'Bundesarbeitsgemeinschaft Familien im Mittelpunkt'<br />
errichtet. In der BAG sammeln die Einrichtungen und Überweiser ihre Kräfte mit dem Ziel,<br />
eine deutsche Variante des Homebuilder-Modells zu entwickeln. Die BAG hat das<br />
niederländische Consortium Families First gebeten, sie unter anderem in der Ausbildung<br />
der ersten Generation Programmleiter. Teamleiter, Familienmitarbeiter und Trainer zu<br />
unterstützen. Den Ausgangspunkt bildet das Homebuilder-Modell wie es bei den<br />
niederländischen Families First-Projekten entwickelt wurde. Das Handbuch, das Sie jetzt<br />
lesen, ist eine Übersetzung des niederländischen Handbuchs, das Familienmitarbeiter bei<br />
ihrer täglichen Arbeit benutzen. Die deutsche Gesellschaft und Jugendhilfe weist viel<br />
Übereinstimmung mit der niederländischen auf. Es ist jedoch notwendig, in den<br />
kommenden Jahren eine spezifisch auf Deutschland ausgerichtete Variante des<br />
Homebuilder-Modells zu entwickeln.<br />
6
Das Grundkonzept dieses Handbuchs<br />
Jedes Demonstrationsobjekt für sich hat in den Niederlanden zur weiteren Entwicklung<br />
von Families First in Zusammenarbeit mit einem externen Entwickler des Pädologischen<br />
Instituts beigetragen. Teamleiter, Programmleiter und Direktoren tauschten unter Leitung<br />
des externen Entwicklers von PI-GT und NIZW Erfahrungen aus. Dass die Resultate unter<br />
anderem in diesem Handbuch verarbeitet werden konnten, ist den externen Entwicklern,<br />
den Teamleitern der ersten Stunde und den Programmleitern zu danken.<br />
Der größte Dank aber gilt den fast dreißig Familienmitarbeitern und den rund 500<br />
Familien, die in der Praxis mit Families First gearbeitet haben. Sie zeigten, dass die Hilfe<br />
von Families First möglich und wünschenswert ist. Viele Familien haben nicht nur selbst<br />
viel von Families First profitiert, sie raten auch anderen Familien, diese Hilfe in Anspruch<br />
zu nehmen. In Kombination mit einer speziellen Ausbildung hilft dieses Handbuch neuen<br />
Familienmitarbeitern in ihrem Streben, Familien in einer Krisensituation das Heft wieder<br />
selbst in die Hand nehmen zu lassen.<br />
Hans Jagers<br />
Projektleiter Families First in den Niederlanden<br />
NIZW<br />
7
INHALT<br />
Vorwort 5<br />
Einleitung: Ein Handbuch für Familienmitarbeiter 13<br />
1. Das Grundkonzept von Families First 16<br />
1.1 Die Philosophie von Families First 16<br />
1.2 Die Charakteristika von Families First 17<br />
1.3 Das Kompetenzmodell 19<br />
1.3.1 Entwicklungsaufgaben 19<br />
1.3.2 Faktoren, die die Kompetenz beeinflussen 21<br />
1.3.3 Kompetenz-Analyse 23<br />
1.3.4 Kompetenzerweiterung 24<br />
1.4 Die Lerntheorie 26<br />
1.4.1 Das Erlernen von Verhalten 26<br />
1.4.2 Die operante Lerntheorie 27<br />
1.4.3 Die soziale Lerntheorie 29<br />
1.4.4 Die Selbsbestimmungstheorie 29<br />
1.5 Das Grundkonzept von Families First zusammengefasst 30<br />
2. Die erste Phase der Hilfe 31<br />
2.1 Der Aufbau einer Arbeitsbeziehung 31<br />
2.1.1 Sich vorstellen per Telefon 31<br />
2.1.2 Der erste direkte Kontakt mit der Familie 32<br />
2.1.3 Beruhigen der Familie 34<br />
2.2 Sammeln und Analysieren der Informationen 35<br />
2.2.1 Inventarisieren der Probleme und potentiellen Kräfte 35<br />
2.2.2 Beschreibung von Informationen im Rahmen beobachtbaren Verhaltens 36<br />
2.2.3 Analyse von Informationen anhand von Entwicklungsaufgaben 36<br />
2.2.4 Hilfsmittel beim Sammeln und Analysieren von Informationen 36<br />
2.3 Bestimmung von Zielen, Prioritäten und Arbeitspunkten 39<br />
2.3.1 Formulare 39<br />
2.3.2 Ziele setzen mit der Familie 39<br />
2.3.3 Prioritäten setzen 42<br />
2.3.4 Arbeitspunkte aufstellen 42<br />
2.3.5 Vom Familienmitarbeiter gesetzte Ziele 47<br />
2.4 Der Einsatz von Zielkarten 49<br />
2.5 Die Berichterstattung 53<br />
2.6 Zusammenfassung: Vom ersten Kontakt bis zu den Arbeitspunkten 53<br />
3. Die Beobachtungs- und Gesprächstechniken 55<br />
3.1 Beobachten 55<br />
3.1.1 Regeln für das Beobachten 56<br />
9
3.2 Allgemeine Gesprächstechniken 57<br />
3.3 Aktiv Zuhören 59<br />
3.4 Beobachten aus zweiter Hand 62<br />
3.5 Checklisten für die Beobachtungs- und Gesprächstechniken 63<br />
4. Die Techniken zur Vermittlung von Fähigkeiten 65<br />
4.1 Der Gebrauch von 'Warums' 65<br />
4.2 Feedback 66<br />
4.2.1 Feedback auf adäquates Verhalten 66<br />
4.2.2 Feedback auf inadäquates Verhalten 67<br />
4.2.3 Feedback von Familienmitgliedern empfangen 69<br />
4.2.4 Ich-Botschaften 69<br />
4.3 Die Verhaltensanweisung 72<br />
4.4 Modell stehen 73<br />
4.5 Die Verhaltensübung 74<br />
4.5.1 Die Schritte der Verhaltensübung 74<br />
4.6 Das Unterscheidungstraining 76<br />
4.7 Checkliste für die Techniken zur Vermittlung von Fähigkeiten 77<br />
5. Die Techniken zur Lösung von Problemen 80<br />
5.1 Das schrittweise Beantworten von Fragen 80<br />
5.2 Das Bleistift und Papier-Training 80<br />
5.2.1 Das Bleistift und Papier-Training mit einem einzelnen Familienmitglied 81<br />
5.2.2 Das Bleistift und Papier-Training mit der Familie 83<br />
5.3 Checkliste für das Bleistift und Papier-Training 85<br />
6. Techniken zur Beeinflussung von Gedanken und Gefühlen 86<br />
6.1 Beeinflussen von Gedanken 86<br />
6.1.1 Störende und helfende Gedanken 86<br />
6.1.2 Der Gebrauch der Technik in Familien 88<br />
6.2 Techniken zum Umgang mit Gefühlen 92<br />
6.2.1 Das Thermometer und die Erste Hilfe-Karte 92<br />
6.2.2 Erstellen eines Thermometers und einer Erste Hilfe-Karte 92<br />
6.2.3 Die Schritte beim Erstellen eines Thermometers und einer Erste Hilfe-Karte<br />
94<br />
6.3 Techniken zum Erkennen und Benennen von Gefühlen 95<br />
6.3.1 Das Gefühlsrad 96<br />
6.3.2 Darstellen von Gefühlen 97<br />
6.3.3 Smilies 97<br />
6.4 Checkliste für den Gebrauch der Techniken zur Beeinflussung von Gedanken und<br />
Gefühlen 97<br />
10
7. Praktische und materielle Hilfe 99<br />
7.1 Möglichkeiten für praktische Hilfe 99<br />
7.2 Möglichkeiten für materielle Hilfe 100<br />
7.2.1 Der Gebrauch des Arbeitsgelds 101<br />
7.2.2 Richtlinien zur Verwendung des Arbeitsgelds 102<br />
7.2.3 Die Höhe des Arbeitsgelds 102<br />
7.3 Praktische und materielle Hilfe zusammengefasst 103<br />
8. Das Vermitteln erzieherischer Fähigkeiten 104<br />
8.1 Unerwünschtes Verhalten des Kindes als Blickwinkel 104<br />
8.1.1 Analyse des unerwünschten Verhaltens des Kindes 104<br />
8.1.2 Analyse der Erziehungskompetenz der Eltern 105<br />
8.1.3 Bestimmen des ersten Schritts zur Verhaltensänderung 106<br />
8.2 Kompetenzrückstand der Eltern als Blickwinkel 107<br />
8.3 Die Erziehungsfähigkeiten 107<br />
8.3.1 Erziehungsfähigkeiten, um erwünschtes Verhalten zu verstärken 107<br />
8.3.2 Erziehungsfähigkeiten, um unerwünschtes Verhalten zu vermindern oder<br />
zu stoppen 108<br />
8.3.3 Erziehungsfähigkeiten, um anderes oder neues Verhalten zu stimulieren<br />
110<br />
8.4 Lernen von Erziehungsfähigkeiten 111<br />
8.4.1 Techniken zum Erlernen von Fähigkeiten 111<br />
8.4.2 Hilfsmittel beim Gebrauch der Erziehungsfähigkeiten 111<br />
8.5 Die Bedenken der Eltern 115<br />
8.6 Verbessern der kommunikativen Fähigkeiten 116<br />
8.7 Erziehungsfähigkeiten in Verbindung mit Aufgabenerleichterung 118<br />
8.8 Checkliste für das Vermitteln/Lernen von Fähigkeiten 118<br />
9. Erhöhen der Sicherheit 119<br />
9.1 Einschätzen der Chance für unsichere Situationen 1119<br />
9.2 Vorsorgemaßnahmen 120<br />
9.3 Reagieren in unsicheren Situationen 121<br />
9.4 Eingreifen bei körperlicher Gewalt 123<br />
9.5 Erhöhen der Sicherheit zusammengefasst 124<br />
10. Die Arbeitssituation des Familienmitarbeiters 125<br />
10.1 Der Kontakt mit dem Teamleiter 125<br />
10.2 Der Kontakt mit Kollegen 126<br />
10.3 Helfende Gedanken und Handlungen 127<br />
10.4 Umgang mit Unregelmäßigkeit und Erreichbarkeit 129<br />
10.5 Die Besonderheiten der Arbeitssituation zusammengefasst 130<br />
11
11. Der Abschluss des Arbeitsprozesses 131<br />
11.1 Der Abschluss der Arbeitsperiode mit der Familie 131<br />
11.1.1 Geplanter Abschluss der Arbeitsperiode 131<br />
11.1.2 Nicht geplanter Abschluss der Arbeitsperiode 132<br />
11.2 Die Folgehilfe 132<br />
11.3 Der Abschlussbericht 133<br />
11.3.1 Die Vorgehensweise 133<br />
11.3.2 Der Inhalt des Abschlussberichts für den Überweiser 134<br />
11.3.3 Der Inhalt des Begleitbriefs an die Familie 135<br />
11.4 Die FollowUp-Besuche bei der Familie 135<br />
11.4.1 Zeitpunkte und Ziele 135<br />
11.4.2 Die Vorgehensweise 136<br />
11.4.3 Die Möglichkeiten des Familienmitarbeiters anlässlich des FollowUp-<br />
Besuches 136<br />
11.5 Checkliste zum Abschluss des Arbeitsprozesses 137<br />
Anlagen:<br />
1. Phaseneinteilung der Hilfe 139<br />
2. Hilfsformulare von Families First 142<br />
3. Das Formular 'Störende und helfende Gedanken' 154<br />
Literatur 156<br />
12
EINLEITUNG: EIN HANDBUCH FÜR<br />
FAMILIENMITARBEITER<br />
Die Arbeit als Familienmitarbeiter bei Families First stellt besondere Anforderungen an die<br />
Fähigkeiten und die Erreichbarkeit des Hilfeleistenden. Ein Familienmitarbeiter bietet einer<br />
Familie Hilfe, um die drohende Fremdplatzierung eines oder mehrerer Kinder zu<br />
verhindern. Oft geht es dabei auch um die Sicherheit innerhalb der Familie.<br />
Der Familienmitarbeiter benutzt die Krise, um bestehende Verhaltensmuster der<br />
Familienmitglieder zu verändern. Darum nimmt er innerhalb von 24 Stunden mit der<br />
Familie Kontakt auf und ist dann vier bis sechs Wochen lang Tag und Nacht für die Familie<br />
erreichbar. Das wichtigste Bestreben geht dahin, dass die Familie die Situation selbst wieder<br />
in die Hand nehmen kann und Fähigkeiten erlernt, mit den Problemen, die zu der Krise<br />
geführt haben, besser umzugehen. Families First bietet eine intensive Hilfe, weil der<br />
Familienmitarbeiter nie in mehr als zwei Familien gleichzeitig arbeitet und durchschnittlich<br />
zwischen zehn und fünfzehn Stunden pro Woche in der Familie verbringt. Meistens geht<br />
der Familienmitarbeiter vier oder fünfmal pro Woche zu der Familie nachhause. Die Zeiten<br />
werden mit der Familie abgesprochen und fallen zu einem großen Teil auf die<br />
Abendstunden oder das Wochenende. Ein Familienmitarbeiter gehört zu einem Team von<br />
fünf Familienmitarbeitern und einem Teamleiter, die sowohl tagsüber als auch abends und<br />
am Wochenende vom Familienmitarbeiter zu Rate gezogen werden können. Nach<br />
Abschluss der Hilfe für eine Familie überlegt der Familienmitarbeiter zusammen mit dem<br />
Teamleiter, ob eine Folgehilfe notwendig ist und wenn ja, wer diese Folgehilfe übernehmen<br />
kann.<br />
Die Entwicklung dieses Handbuchs<br />
Beim Start von Families First in den Niederlanden wurde eine erste Version dieses<br />
Handbuchs für den Gebrauch bei Schulungen von Teamleitern und Familienmitarbeitern<br />
erstellt. Dieses Handbuch basierte zu einem wesentlichen Teil auf Materialien des<br />
'Behavioral Science Institute' (Seattle). Das Material wurde durch Elemente von Methoden,<br />
die das Pädologische Institut entwickelt hat, ergänzt. Besonders das Kompetenzmodell und<br />
das systematische Erlernen von Fähigkeiten zur Erweiterung der Kompetenz sind wichtige<br />
Ergänzungen zum Families First-Programm aus den Vereinigten Staaten. Aufgrund der<br />
Erfahrungen mit den Demonstrationsprojekten wurde das Handbuch weiter ergänzt und<br />
systematisiert. Die Beispiele stammen aus der täglichen Praxis von Families First. Die<br />
Methode von Families First befindet sich noch im Entwicklungsstadium. Dieses Handbuch<br />
ist also eine Momentaufnahme. Neue Erfahrungen und Einsichten von<br />
Familienmitarbeitern und Teamleitern sind willkommen und sollen so viel wie möglich bei<br />
einer folgenden Auflage berücksichtigt werden.<br />
Der Zusammenhang mit dem Training<br />
Der Aufbau dieses Handbuchs folgt dem des Basistrainings für neue Familienmitarbeiter.<br />
13
Bei diesem Training üben die Familienmitarbeiter zahlreiche Techniken und lernen, die<br />
entsprechenden Hilfsmittel einzusetzen. Wenn ein Familienmitarbeiter dann in der Praxis<br />
tätig ist, kann er dieses Handbuch als Nachschlagewerk benutzen und beispielsweise zum<br />
Üben der Techniken heranziehen. Dieses Handbuch gibt das Grundkonzept der von<br />
Families First angebotenen Hilfe wieder. Spezifische Themen wie sexueller Missbrauch oder<br />
Drogenkonsum von Eltern kommen nicht explizit zur Sprache. Allerdings haben<br />
Familienmitarbeiter zweimal im Jahr Gelegenheit, Workshops zu solchen Themen zu<br />
besuchen.<br />
Der Zusammenhang mit anderen Publikationen<br />
Families First hat ein kräftiges Konzept. Die Arbeitsweise des Familienmitarbeiters hängt<br />
eng mit anderen Programmteilen von Families First, die mehr auf die Organisation und die<br />
Qualitätsüberwachung gerichtet sind, zusammen. Anhand der Qualitätskriterien, die im<br />
Jahr 1996 aufgestellt wurden, beurteilen Familienmitarbeiter, Teamleiter und<br />
Programmleiter zusammen, ob die geleistete Hilfe mit den Zielsetzungen übereinstimmt.<br />
Im Handbuch für Teamleiter (1997) wird beschrieben, wie ein Teamleiter den Fortgang<br />
überwachen und zusammen mit dem Familienmitarbeiter Möglichkeiten und<br />
Problembereiche in einer Familie analysieren kann. Um die Qualität der von Families First<br />
geleisteten Hilfe zu ermitteln, finden auch regelmäßig externe Auswertungen statt. (Siehe<br />
'Programma-evaluatie'[Programm-Auswertung], Jagers, 1995 und Evaluatie-onderzoek<br />
Families First Nederland [Auswertungs-Untersuchung Families First Niederlande], Teil 1-4,<br />
Veerman, De Kemp und Ten Brink, 1996.) Die wichtigsten organisatorischen Aspekte von<br />
Families First werden in dem kurzen Artikel 'Het starten van een Families First-Projekt'<br />
[Der Beginn eines Families First-Projekts] (NIZW, 1996) beschrieben.<br />
Gebrauch für andere Ziele<br />
Hilfeleistende und Begleiter anderer Formen intensiver häuslicher Betreuung finden in<br />
diesem Handbuch vielleicht Elemente, die sie in ihre eigene Methode integrieren möchten.<br />
Das Handbuch bietet ihnen die Beschreibung der Techniken und Hilfsmittel.<br />
Hilfeleistenden, die diese Techniken und Hilfsmittel anwenden möchten, wird allerdings<br />
nachdrücklich geraten, es nicht beim Lesen zu belassen, sondern vor dem praktischen<br />
Einsatz an einem Training teilzunehmen. Der Hintergrund der Methoden von Families<br />
First und anderes, wie Qualitätsüberwachung, Organisation und Forschung werden in<br />
einem eigenen Buch, das in Kürze in den Niederlanden erscheinen soll, beschrieben. Dieses<br />
Buch wird auch mehr als dieses Handbuch es vermag, als Inspirationsquelle für<br />
Methodenentwickler und zugleich zum Unterricht für Fachhochschulstudenten dienen<br />
können.<br />
Aufbau des Handbuchs<br />
Im ersten Kapitel wird das Grundkonzept von Families First beschrieben: die Philosophie<br />
und die theoretischen Modelle, auf denen das Programm basiert.<br />
Kapitel 2 behandelt die erste Phase der Hilfe: Aufbau einer Arbeitsbeziehung mit der<br />
14
Familie, Sammeln und Analysieren von Informationen und Aufstellen von Zielen und<br />
Arbeitspunkten. Kapitel 3 widmet sich Beobachtungs- und Gesprächstechniken.<br />
In den Kapiteln 4,5 und 6 werden die Techniken, die Familienmitarbeiter einsetzen können<br />
um die Kompetenz der Familie zu erweitern, beschrieben. Das sind nacheinander<br />
Techniken zum: Erlernen von Fähigkeiten, Lösen von Problemen und Beeinflussen von<br />
Gedanken und Gefühlen.<br />
Kapitel 7 behandelt die praktische und materielle Hilfe, die die Familienmitarbeiter der<br />
Familie geben können.<br />
In Kapitel 8 wird beschrieben, wie der Familienmitarbeiter Einblick in die<br />
Erziehungsfähigkeiten der Eltern gewinnen und wie er sie erweitern kann.<br />
In Kapitel 9 werden die Möglichkeiten des Familienmitarbeiters zur Erhöhung der<br />
Sicherheit innerhalb der Familie erläutert.<br />
In Kapitel 10 steht dann die Arbeitssituation des Familienmitarbeiters zentral.<br />
Kapitel 11 schließlich widmet sich dem Abschluss des Arbeitsprozesses mit der Familie.<br />
Er/sie<br />
Im Hinblick auf die Lesbarkeit werden der Familienmitarbeiter, der Teamleiter, der<br />
Überweiser, ein Elternteil, das Familienmitglied und das Kind in der männlichen Person<br />
beschrieben. Selbstverständlich beziehen sich die Beschreibungen auch auf Frauen und<br />
Mädchen.<br />
15
1 DAS GRUNDKONZEPT VON<br />
"FAMILIES FIRST"<br />
Families First geht von mehreren Ausgangspunkten aus, die insgesamt als die Philosophie<br />
des Programms betrachtet werden können. Eine der wichtigsten Stützen der Philosophie<br />
von Families First ist die Überzeugung, dass eine Familie durch Erweiterung ihrer<br />
Kompetenzen in der Lage ist, ihre Probleme selbst zu lösen. Um festzustellen, was die<br />
einzelnen Mitglieder einer Familie genau lernen müssen, um mit ihren Problemen besser<br />
umgehen zu können, bedient sich Families First des Kompetenzmodells. Mithilfe dieses<br />
Modells wird sowohl für die Familie als Ganzes als auch für die einzelnen<br />
Familienmitglieder eine Analyse erstellt, aus der hervorgeht, warum und wie das<br />
Gleichgewicht zwischen den Aufgaben und Fähigkeiten der Familienmitglieder gestört ist<br />
und wie das Gleichgewicht wieder hergestellt werden kann. Das Erlernen neuer Fähigkeiten<br />
ist eine Methode, das Gleichgewicht wieder herzustellen.<br />
Die Techniken, die Families First dabei anwendet, basieren auf der Lerntheorie. Diese<br />
Theorie bietet verschiedene Erklärungsansätze dafür, wie Menschen ein bestimmtes<br />
Verhalten erlernen. Dieser Theorie bedient sich Families First auch bei der Problemanalyse.<br />
1.1 DIE PHILOSOPHIE VON FAMILIES FIRST<br />
Kinder gedeihen am besten in einer Familie.<br />
Families First ist darauf ausgerichtet, Kinder solange wie möglich in der Familie zu belassen<br />
unter der Bedingung, dass ihre körperliche und seelische Sicherheit gewährleistet ist. Das<br />
Aufwachsen in der natürlichen Umgebung einer Familie hat viele Vorteile: eine Familie<br />
bietet einem Kind Kontinuität, Stabilität, Schutz und dauerhafte Bindungsmöglichkeiten. In<br />
einer gutfunktionierenden Familie kann ein Kind viel lernen.<br />
Die Sicherheit des Kindes innerhalb der Familie steht im Vordergrund.<br />
Bei der Entscheidung, eine Familie in einer Krisensituation bei Families First aufzunehmen,<br />
steht die Sicherheit des Kindes innerhalb der Familie im Vordergrund. Ist der<br />
Familienmitarbeiter durch seine Anwesenheit und Erreichbarkeit in der Lage, die Sicherheit<br />
des Kindes zu garantieren? Und was kann die Familie lernen, um die Sicherheit des Kindes<br />
langfristig zu garantieren?<br />
In jeder Familie gibt es Möglichkeiten für Veränderung<br />
Families First bietet jeder Familie, die die Anmeldekriterien erfüllt, Hilfe. Während der<br />
Arbeit mit der Familie in der eigenen häuslichen Umgebung werden die<br />
Veränderungsmöglichkeiten untersucht.<br />
Families First ist auf das Verstärken der positiven Kräfte innerhalb der Familie<br />
gerichtet.<br />
Durch die Arbeit mit Families First wird bei den Familienmitgliedern das Vertrauen<br />
16
aufgebaut und verstärkt, Einfluss auf ihr eigenes Leben und das Funktionieren der Familie<br />
nehmen zu können. Darum liegt das Augenmerk auf der Kompetenzerweiterung: Erlernen<br />
von Fähigkeiten, Benennen und Aktivieren von Kräften innerhalb und außerhalb der<br />
Familie und Aufgabenerleichterung. Positive Kräfte in der Familie zu verstärken wird<br />
'empowerment' genannt: eine Familie muss die Kraft erlangen, selber auszuwählen und<br />
eigene Entscheidungen zu treffen. Außerdem müssen die Familienmitglieder ausgerüstet<br />
werden, diese Entscheidungen so kompetent wie möglich auszuführen.<br />
Families First respektiert die Normen und Werte, mit denen die Familie lebt.<br />
Eine Familie wählt die Art und Weise, wie sie leben will, selbst, solange die Sicherheit der<br />
Familienmitglieder garantiert ist. Ein Familienmitarbeiter drängt der Familie seine eigenen<br />
Normen und Werte nicht auf.<br />
Familienmitglieder haben den Willen zur Veränderung.<br />
Wenn Familienmitglieder einander etwas antun, ist durchweg nicht die Rede von<br />
vorsätzlichem Handeln. Die Fehler der Familienmitglieder sind nicht bösem Willen<br />
zuzuschreiben, sondern einem Defizit an Fähigkeiten. Das bietet Anknüpfungspunkte, um<br />
alternatives Verhalten anzubieten und neue Fähigkeiten anzulernen.<br />
Eine Krise bietet zusätzliche Möglichkeiten für Veränderung.<br />
Von einer Krise wird in einer Situation gesprochen, in der alte Gewohnheiten nicht<br />
ausreichen, um aktuelle Probleme adäquat zu lösen. Eine Krise impliziert, dass bei einem<br />
oder mehreren Familienmitgliedern der Wille besteht, die Situation zu verändern. Eine<br />
Krise motiviert Familienmitglieder zu handeln.<br />
1.2 DIE CHARAKTERISTIKA VON FAMILIES FIRST<br />
Die Überzeugungen von Families First führen zu den folgenden Charakteristika der konkret<br />
geleisteten Hilfe:<br />
Families First reagiert unmittelbar auf eine Krise.<br />
Innerhalb von 24 Stunden nach der Anmeldung nimmt der Familienmitarbeiter mit der<br />
Familie Kontakt auf. Eine so schnelle Reaktion ist notwendig, weil eine Familie in einer<br />
Krise motiviert ist, mit neuen Verhaltensmustern zu experimentieren und für Hilfe von<br />
außen offen ist. Der Familienmitarbeiter hilft der Familie beim Lösen der Krise und<br />
probiert dabei von Anfang an, die Kompetenz der Familie zu erweitern.<br />
Die Probleme und Ziele, die die Familie angibt, sind der Ausgangspunkt.<br />
Die Motivation der Familienmitglieder wird größer, wenn die Probleme, die sie erleben und<br />
die Ziele, die sie erreichen wollen, zentral stehen. Wenn die Probleme und<br />
Veränderungswünsche soviel wie möglich in ihren eigenen Worten formuliert werden,<br />
erkennen die Familienmitglieder sie als ihre eigenen Probleme und Wünsche. Außerdem<br />
erfahren sie so, dass sie Einfluss auf ihre eigene Situation ausüben können.<br />
17
Die Hilfe wird in der unmittelbaren Umgebung der Familie geleistet.<br />
Die Hilfeleistung zuhause, in der Nachbarschaft, in der Schule, oder am Arbeitsplatz der<br />
Familienmitglieder hat viele Vorteile. Auch Familienmitglieder, die zunächst nicht<br />
mitarbeiten wollen, werden dadurch erreicht. Wenn sie sehen, wie der Familienmitarbeiter<br />
vorgeht, ändern sie oft ihre Meinung. Dadurch dass er in der unmittelbaren Umgebung der<br />
Familie arbeitet, erhält der Familienmitarbeiter auch einen guten Einblick in das<br />
Funktionieren der Familie und die Möglichkeiten und Grenzen der Umgebung. Für die<br />
Mitglieder der Familie bedeutet das, auf vertrautem Gebiet zu bleiben und die neuen<br />
Fähigkeiten in ihrer alltäglichen Umgebung zu erlernen und anzuwenden. Das erhöht die<br />
Chance, dass sie die neuen Fähigkeiten auch in anderen Situationen gebrauchen. Außerdem<br />
kann der Familienmitarbeiter besser verfolgen, ob und wie die neuen Fähigkeiten eingesetzt<br />
werden.<br />
Der Familienmitarbeiter ist für die Familie vierundzwanzig Stunden am Tag zur<br />
Beratung erreichbar.<br />
Die Familie kann den Familienmitarbeiter jederzeit mit Fragen und Problemen anrufen.<br />
Wenn die Situation aus der Kontrolle gerät, geht der Familienmitarbeiter zur Familie hin.<br />
Die ständige Erreichbarkeit des Familienmitarbeiters gibt den Familienmitgliedern<br />
Sicherheit und erhöht die Bereitschaft, mit den neuen Verhaltensweisen zu<br />
experimentieren. In der Praxis kommt es sehr selten vor, dass Familien abends und noch<br />
weniger, dass sie nachts mit dem Familienmitarbeiter Kontakt suchen.<br />
Die Hilfe von Families First ist intensiv und weiträumig einsetzbar.<br />
Die Hilfeleistung konzentriert sich auf eine kurze Periode von vier bis sechs Wochen. Der<br />
Familienmitarbeiter begleitet nie mehr als zwei Familien gleichzeitig und kann dadurch<br />
einer Familie sehr viel Zeit zuwenden. Die Zeit, die ein Familienmitarbeiter einer Familie<br />
zuwendet, variiert zwischen fünf und zwanzig Stunden pro Woche, abhängig von den<br />
Bedürfnissen der Familie. Durch diesen intensiven Ansatz geht wenig Zeit damit verloren<br />
sich auszusprechen, und es kann gleich mit dem Erlernen der Fähigkeiten begonnen<br />
werden. Außerdem kann der Familienmitarbeiter gefährliche und komplizierte Situationen<br />
besser einschätzen und hat besseren Einblick in die Forderungen der Familienmitglieder.<br />
Das Augenmerk liegt auf der Kompetenzerweiterung.<br />
Der Familienmitarbeiter versucht, die Kompetenz der Familie zu erweitern, indem er ihnen<br />
auf verschiedenen Gebieten neue Fähigkeiten vermittelt, wie Erziehung, mit Stress<br />
umgehen, die Haushaltskasse führen, soziale Kontakte unterhalten und Telefongespräche<br />
führen. Die Wahl der Fähigkeiten und die Methode sie zu erlernen, werden auf die<br />
individuellen Familienmitglieder und die Familie als Ganze abgestimmt.<br />
Der Familienmitarbeiter bietet praktische und materielle Hilfe.<br />
Um die Aufgaben der Familienmitglieder zu erleichtern, bietet der Familienmitarbeiter<br />
praktische Hilfe, beispielsweise indem er einkaufen geht, eine Stunde auf die Kinder<br />
18
aufpasst oder hilft, die Küche zu putzen. Für materielle Hilfe verfügt Families First über ein<br />
festes Budget, das Arbeitsgeld, das zur Lösung akuter Probleme benutzt werden kann.<br />
1.3 DAS KOMPETENZMODELL<br />
Kompetenz ist das Maß, in dem das Verhalten von jemand während der Aufgaben, die Teil<br />
des täglichen Lebens sind, als adäquat beurteilt wird (Slot, 1988). Adäquates Verhalten<br />
befähigt jemanden, in seiner Umgebung gut zu funktionieren. Inadäquates Verhalten ist<br />
schädlich für die Person und ihre Umgebung. Was 'adäquat' und 'inadäquat' ist, liegt nicht<br />
objektiv fest, hat aber teilweise mit den Normen unserer Gesellschaft zu tun.<br />
Jemand wird als kompetent angesehen, wenn ein Gleichgewicht besteht zwischen den<br />
Aufgaben, vor die er gestellt wird, und den Fähigkeiten, die er besitzt um sie zu bewältigen.<br />
Es sind Aufgaben, vor die jemand in seinem täglichen Kontakt mit der Gesellschaft gestellt<br />
wird.<br />
Fähigkeiten sind sogenannte aufgabenspezifische Verhaltensrepertoirs, oder:<br />
Verhaltensmuster, die nötig sind, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Wenn es an<br />
Kompetenz fehlt, kann das sowohl durch Fähigkeitsdefizite als auch durch zu schwere<br />
Aufgaben verursacht sein. Mithilfe des Kompetenzmodells kann untersucht werden, wo die<br />
Ursache für die Inkompetenz genau liegt. Kompetenz ist zeit- und situationsgebunden: vor<br />
welche Aufgaben eine Familie gestellt wird, hängt großenteils von der Gesellschaft und der<br />
(Sub)Kultur ab, in der eine Familie lebt.<br />
1.3.1 Entwicklungsaufgaben<br />
Kompetenz ist nicht nur zeit- und situationsgebunden, sondern auch abhängig von der<br />
Entwicklungsphase, in der sich jemand befindet. Jede Entwicklungsphase bringt eine<br />
Anzahl Entwicklungsaufgaben mit sich, die zum Alter gehören. So gelten für Kinder andere<br />
Entwicklungsaufgaben als für Heranwachsende. Auch die Entwicklungsaufgaben für Eltern<br />
von jungen Kindern und Eltern von Heranwachsenden können unterschieden werden.<br />
Entwicklungsaufgaben sind auf 'durchschnittliche' Kinder abgestimmt, Jugendliche und<br />
Eltern in unserer gegenwärtigen niederländischen Gesellschaft. Für Kinder, Jugendliche und<br />
Eltern in abweichenden Umständen können bestimmte Aufgaben besonders schwierig sein<br />
und kann von mehr Entwicklungsaufgaben gesprochen werden. Zu denken ist zum Beispiel<br />
an Kinder, die mit unterschiedlichen kulturellen Perspektiven zu tun haben, weil ihre Eltern<br />
einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund haben.<br />
Entwicklungsaufgaben für Kinder<br />
Für Kinder im Grundschulalter (4 bis 12 Jahre) können folgende Entwicklungsaufgaben<br />
unterschieden werden (Slot und Spanjaard, 1996):<br />
- Rücksichtnahme auf andere: Urteilsbildung und Planung von Handlungen auch<br />
aufgrund von Interessen anderer;<br />
- Unabhängigkeit: Vergrößern der Unabhängigkeit hinsichtlich der Eltern oder anderer<br />
Erziehungspersonen;<br />
- Unterricht: Teilnahme am Basisunterricht, um die Fähigkeiten und Kenntnisse zu<br />
19
erhalten, die nötig sind, um im Zusammenleben funktionieren zu können;<br />
- Freundschaften: Anknüpfen und Aufrechterhalten (freundschaftlicher) Kontakte mit<br />
Gleichaltrigen;<br />
- Verantwortung zuhause: Übernehmen von Teilverantwortung zuhause und für kleine<br />
Geschwister;<br />
- Gebrauch basaler Infrastrukturen: selbständig Gebrauch machen von basalen<br />
infrastrukturellen Einrichtungen wie öffentlicher Personennahverkehr, Geldsysteme,<br />
Kommunikationsmittel, Freizeiteinrichtungen;<br />
- Sicherheit und Gesundheit: Entscheidungen treffen können bezüglich der eigenen<br />
Sicherheit und Gesundheit.<br />
Entwicklungsaufgaben für Heranwachsende<br />
Für Heranwachsende (12 bis 18 Jahre) gelten folgende Entwicklungsaufgaben (De Wit, Van<br />
der Veer en Slot, 1995):<br />
- Veränderte Beziehungen in der Familie: Aufrechterhalten oder Verbessern der<br />
Bindung zu den Eltern und Geschwistern und auch Entwickeln von Selbständigkeit<br />
und Entscheidungsfähigkeit;<br />
- Unterricht und Arbeit: Teilnahme an Ausbildung und Arbeit, eigene Entscheidungen<br />
für die Zukunft treffen bezüglich Ausbildung und Arbeit;<br />
- Freizeit: die Zeit, in der man nichts zu tun hat -keine Schule, Arbeit oder Aufgaben<br />
zuhause-, sinnvoll ausfüllen;<br />
- Autorität: Herangehen an Kommunikation mit verschiedenen Autoritäten, wie<br />
Lehrkraft, Vormund, Polizei, Schalterbeamte usw.;<br />
- Gesundheit und Aussehen: Für Körper und Gesundheit sorgen, Krankheiten<br />
vorbeugen, safer sex;<br />
- Freundschaften und soziale Kontakte: Aufbau und Aufrechterhalten von<br />
Freundschaften, sich zwischen Freunden entscheiden, Unterschiede machen zwischen<br />
Freunden und sozialen Kontakten;<br />
- Intimität und Sexualität: Gestalten und Aufrechterhalten von intimen und sexuellen<br />
Beziehungen.<br />
Entwicklungsaufgaben für Eltern mit jungen Kindern<br />
Für Eltern mit jungen Kindern sind folgende Entwicklungsaufgaben zu unterscheiden:<br />
- Beziehung: Entwickeln einer Beziehung, die den Bedürfnissen nach Autonomie und<br />
Verbundenheit beider entgegenkommt und die den Bedürfnissen der Kinder nach<br />
einer Beziehung zu den Eltern genügend Raum gibt;<br />
- Sexualität: Gestalten einer sexuellen Beziehung, die beider Bedürfnissen<br />
entgegenkommt und Umgehen mit eventuellen sexuellen Beziehungen (eines von<br />
beiden) mit Dritten;<br />
- Laufbahn: Entscheidung, eine Laufbahnperspektive zu realisieren, die den eigenen<br />
Ambitionen und Möglichkeiten gerecht wird, sowie den Ambitionen des Partners<br />
und den finanziellen Bedürfnissen der Familie;<br />
20
- Eltern: Neugestalten der Beziehung zu den (Schwieger)Eltern;<br />
- Freundschaft und soziale Kontakte: Aufbauen und Aufrechterhalten von Kontakten<br />
zu Geschwistern und anderen Familienmitgliedern, Bekannten und Freunden von<br />
beiden Seiten;<br />
- Finanzen und Haushaltsführung: Verantwortung übernehmen und die<br />
Aufgabenverteilung hinsichtlich der Finanzen, des Haushaltens und des Umgangs mit<br />
allerlei Instanzen und Bestimmungen;<br />
- Erziehung: Verantwortung übernehmen und Aufgabenverteilung hinsichtlich der<br />
Kindererziehung.<br />
Obwohl kein Unterschied zwischen Aufgaben für Männer und Aufgaben für Frauen<br />
gemacht wurde, heißt das nicht, dass die beschriebenen Aufgaben für beide dieselbe<br />
Bedeutung haben. Das Unterhalten persönlicher Freundschaften ist für junge Mütter oft<br />
schwieriger als für Väter. Hingegen spielt die Frau in Familien mit einer mehr traditionellen<br />
Aufgabenteilung oft eine größere Rolle bei der Pflege von Kontakten mit der Familie und<br />
gemeinsamen Freunden und Bekannten.<br />
1.3.2 Faktoren, die die Kompetenz beeinflussen<br />
Ob jemand seine Entwicklungsaufgaben gut erfüllen kann, hängt von Faktoren ab, die seine<br />
Kompetenz positiv oder negativ beeinflussen.<br />
Faktoren, die die Kompetenz positiv beeinflussen:<br />
Belastungsfähigkeit<br />
Hiermit werden die individuellen Eigenschaften angedeutet, dank derer sich jemand<br />
erfolgreich anpassen kann, trotz Risiken und Rückschlägen. Vorbilder für<br />
Belastungsfähigkeit sind: gute Laune einstreichen, ein positives Selbstbild, Intelligenz und<br />
Selbstvertrauen, wodurch jemand das Gefühl hat, dass Schwierigkeiten überwunden werden<br />
können.<br />
Schützende Faktoren<br />
Dies sind Aspekte in der Umgebung des Individuums, die es vor Risiken und Rückschlägen<br />
schützen. Beispiele positiver Faktoren in der direkten Umgebung sind: ein nettes Haus, eine<br />
gute Beziehung zum Partner, gute Freunde. Beispiele in breiterem Kontext sind: Chancen<br />
auf Ausbildung oder Arbeit und unterstützende Erwachsene in der Nähe, wie etwa<br />
freundliche Nachbarn.<br />
Faktoren, die die Kompetenz negativ beeinflussen<br />
Stressverursachende Umstände und Ereignisse<br />
Ein Stressor ist ein Ereignis oder eine Aneinanderreihung von Ereignissen, die als<br />
bedrohlich erfahren werden und zu Reaktionen wie Angst, Widerwillen, Schuld und<br />
Verdruss führen. Vorbilder für Stressoren sind: Tod eines geliebten Menschen, Scheidung<br />
der Eltern, Bedrohung auf der Straße.<br />
21
Chronische Stressoren führen zu zusätzlichen Aufgaben im täglichen Leben. Beispiele für<br />
chronische Stressoren sind: eine zu schwierige Schule, Langzeitarbeitslosigkeit und eine<br />
schlechte Wohnsituation.<br />
Ob ein stressiger Umstand oder ein stressiges Ereignis auch Stress verursachen, hängt davon<br />
ab, wie diese Ereignisse und Umstände erlebt oder interpretiert werden. Aus diesem Grund<br />
werden unter stressverursachenden Ereignissen auch Phänomene verstanden, deren<br />
negativer Einfluss objektiv nicht groß zu sein braucht, die aber von den Betroffenen doch<br />
als stressig oder bedrohlich erfahren werden. Meistens führt eine Anhäufung<br />
stressverursachender Ereignisse zu Problemen.<br />
Pathologie<br />
Unter Pathologie wird verstanden: Ein innerhalb der geltenden Kultur ungebräuchliches<br />
Verhaltensmuster, das mit Leid einhergeht, beispielsweise in Form von Angst, Schmerz oder<br />
Verdruss bei der Person selbst oder bei anderen, ein weniger gutes Funktionieren und ein<br />
größeres Risiko, um mit Leid, Tod oder Freiheitsverlust in Berührung zu kommen. Die<br />
störenden Verhaltensweisen können Bezug haben auf Stimmungen, Kognitionen und<br />
Perzeptionen. Beispiele sind: Schizophrenes Verhalten, Neurosen, Angststörungen,<br />
Depressionen, Verhaltensstörungen wie ADHD (Konzentrations- und<br />
Hyperaktivitätsstörungen) und unsoziale Verhaltensstörung.<br />
Pathologie<br />
Stressverursachende<br />
Ereignisse<br />
Entwicklungsaufgaben<br />
Fähigkeiten<br />
Belastungsfähigkeit<br />
Schützende<br />
Faktoren<br />
Die sechs Elemente von Kompetenz<br />
1.3.3 Kompetenz-Analyse<br />
Befindet sich eine Familie in einer Krisensituation, gibt es Probleme, die die Familie selbst<br />
nicht lösen kann. Es wird dann von Inkompetenz gesprochen, denn die Fähigkeiten sind<br />
unzureichend für die alltäglichen Aufgaben der Familie. Bei einer Kompetenzanalyse<br />
werden von jedem Familienmitglied einerseits die Aufgaben, die Fähigkeiten, der Einfluss<br />
schützender Faktoren und die Belastungsfähigkeit und andererseits der Einfluss von<br />
Stressoren und Pathologie näher untersucht. Um zu analysieren, inwieweit ein<br />
Familienmitglied ein kompetentes oder inkompetentes Verhalten zeigt, wird also nicht nur<br />
auf die 'Probleme' geschaut, wie Aufgabenbelastung, Pathologie, Fähigkeitsdefizite und<br />
Stressoren, sondern gerade auch auf potentielle Stärken wie Fähigkeiten, schützende<br />
22
Faktoren, Belastungsfähigkeit und Möglichkeiten zur Aufgabenerleichterung. Dies ist<br />
wichtig, um zu bestimmen, worauf sich die Hilfe richten muss.<br />
Analyse der Aufgaben und Fähigkeiten.<br />
Bei der Analyse von Aufgaben und Fähigkeiten werden folgende Fragen gestellt:<br />
- Versucht das Familienmitglied die Entwicklungsaufgaben, die bezeichnend sind für<br />
die Lebensphase, in der es sich befindet, zu erfüllen?<br />
- Gibt es Entwicklungsaufgaben, die für das Familienmitglied vielleicht besonders<br />
schwer sind?<br />
- Läßt das Familienmitglied ausreichende Fähigkeiten erkennen, um die<br />
Entwicklungsaufgaben zu erfüllen?<br />
Die Analyse von Aufgaben und Fähigkeiten kann folgendermaßen erweitert werden:<br />
- analysieren, welche Umgebungsfaktoren bestimmen, dass eine bestimmte<br />
Entwicklungsaufgabe vermieden wird oder dass eine Aufgabe gerade erleichtert wird;<br />
- bei der Analyse der Fähigkeiten eines Familienmitglieds für eine bestimmte<br />
Entwicklungsaufgabe nachgehen, inwieweit diese Fähigkeiten auch für andere<br />
Entwicklungsaufgaben eingesetzt werden können. Diese Fähigkeit wird dann im<br />
weiteren Verlauf als 'starker Punkt' des Familienmitglieds bezeichnet. Das wirkt sehr<br />
motivierend.<br />
Analyse von Belastungsfähigkeit und schützenden Faktoren<br />
Zur Analyse von Belastungsfähigkeit und schützenden Faktoren wird gefragt:<br />
- Gibt es schützende Faktoren die dem Familienmitglied helfen mit den Stressoren<br />
oder mit Pathologie und den daraus resultierenden Problemen umzugehen?<br />
- Sind in jüngster Zeit schützende Faktoren weggefallen? Gibt es positive Faktoren, die<br />
aktiviert werden können?<br />
- Spricht das Familienmitglied selbst von Belastungsfähigkeit? Können bestimmte<br />
Eigenschaften der Person aktiviert werden?<br />
Es ist nicht immer einfach, einen guten Einblick in die Belastungsfähigkeit und die<br />
schützenden Faktoren zu erhalten. Derjenige, der Hilfe sucht, denkt oft nicht in diesen<br />
Kategorien. Personen, die 'Freunde, auf die wir immer zurückgreifen können' genannt<br />
werden, erweisen sich in Wirklichkeit oft gerade als riskante Kontakte. Die Anstellung, die<br />
als geisttötende Arbeit abgetan wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als großer<br />
Beitrag zur Stabilität in jemandes Leben.<br />
Analyse von stressverursachenden Ereignissen und Pathologie<br />
Zur Analyse von stressverursachenden Ereignissen ist es wichtig, einen Unterschied zu<br />
machen zwischen Ereignissen, die 'objektiv' stressverursachend sind, und Ereignissen, die<br />
'subjektiv' als stressverursachend erfahren werden. Zur Analyse von Pathologie bestehen<br />
verschiedene Möglichkeiten. Manchmal hat der Überweiser darüber Informationen oder<br />
kann das Familienmitglied selbst nach Art, Ernst und Häufigkeit der Klagen und Probleme<br />
23
gefragt werden, und nach dem Zeitpunkt, an dem sie zuerst auftraten. Es ist auch wichtig,<br />
Einblick in die Umgebungsfaktoren zu erhalten, die beim Erlernen des inadäquaten<br />
Verhaltens und Vermeiden des adäquaten Verhaltens eine Rolle gespielt haben.<br />
Nachdem die Kompetenz jedes einzelnen Familienmitglieds getrennt aufgezeichnet wurde,<br />
können untereinander Verbindungen gezogen werden. Inkompetenz eines Elternteils kann<br />
zum Beispiel die Entwicklungsaufgaben der Kinder erschweren und zu<br />
stressverursachenden Ereignissen führen. Pathologie bei einem Kind kann ein<br />
stressverursachendes Ereignis für ein Elternteil sein, während die Belastungsfähigkeit eines<br />
Elternteils als schützender Faktor für das Kind gelten kann.<br />
1.3.4 Kompetenzerweiterung<br />
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Kompetenz von Familienmitgliedern zu erweitern.<br />
In der Praxis wird meistens eine Kombination gebraucht.<br />
Aufgabenerleichterung<br />
Eine wichtige Methode, wie innerhalb von Families First Aufgabenerleichterung stattfindet,<br />
ist die praktische und materielle Hilfeleistung vom Familienmitarbeiter. Indem Aufgaben<br />
erleichtert oder zeitweise abgenommen werden, erhält die Familie Gelegenheit, ihre<br />
Aufmerksamkeit auf andere Aufgaben zu richten.<br />
In einigen Fällen kann eine Aufgabe dadurch erleichtert werden, dass die Umgebung vorher<br />
'bearbeitet' wird. Zum Beispiel: Die Rückkehr eines Mädchens, das von zuhause<br />
weggelaufen ist, wird erleichtert, wenn mit den Eltern besprochen wurde, wie sie von ihrer<br />
Seite aus am besten reagieren.<br />
Aufgaben werden auch erleichtert, indem einem Familienmitglied deutlich gemacht wird,<br />
dass es eine Aufgabe zu unrecht zu seinen Aufgaben zählt, zum Beispiel: Ein Kind ist nicht<br />
dafür verantwortlich, wenn seine Eltern nicht zusammenbleiben. Manchmal genügt es für<br />
ein Familienmitglied, erklärt zu bekommen, was seine Aufgabe genau beinhaltet,<br />
beispielsweise welches Verhalten das Elternteil in einer bestimmten Entwicklungsphase von<br />
seinem Kind erwarten kann.<br />
Aufgabenerleichterung kann auch durch Unterteilung geschehen. Wenn ein<br />
Familienmitarbeiter zum Beispiel mit einer Mutter nacheinander die Schritte auflistet, die<br />
sie bei der Suche nach einer neuen Wohnung unternehmen kann, wirkt das eventuell<br />
aufgabenerleichternd.<br />
Oft stellen sich Familienmitglieder selbst die -zu schwere- Aufgabe, dass Probleme schnell<br />
gelöst werden müssen. Dadurch werden die Erwartungen sehr hoch geschraubt, mit allen<br />
Risiken, dass sie enttäuscht werden. Aufgabenerleichterung kann in diesem Fall erreicht<br />
werden, indem eine zeitliche Perspektive erstellt wird: kurzfristige, mittelfristige und<br />
langfristige Ziele.<br />
Einführen zusätzlicher oder neuer Aufgaben<br />
Inkompetentes Verhalten ist nicht immer auf zu schwere Aufgaben zurückzuführen,<br />
24
sondern kann auch eine Folge zu leichter Aufgaben sein. Wenn jemandes Aufgaben zu<br />
leicht sind, wird seine Entwicklung zu wenig stimuliert. Die Einführung zusätzlicher oder<br />
neuer Aufgaben kann in dieser Situation zur Kompetenz der betreffenden Person beitragen.<br />
Aufgabenbereicherung ist nicht dasselbe wie Aufgabenerschwerung. Bei<br />
Aufgabenbereicherung geht es darum, ein Balance zu finden zwischen der Schwierigkeit der<br />
Aufgabe und dem Reiz, die Aufgabe auszuführen. Zu einfache Aufgaben sind nicht schwer<br />
auszuführen, tragen aber auch nicht zur Verbesserung kompetenten Verhaltens bei. Zu<br />
schwierige Aufgaben sind oft belastend und haben zur Folge, dass jemand sie vermeidet.<br />
Ein Beispiel von Aufgabenbereicherung ist es, einem Jugendlichen mehr Verantwortung zu<br />
übertragen, die zu seinem Alter passt. Dadurch kann der Anreiz, die Aufgabe gut<br />
auszuführen, größer werden und die Chance unerwünschten Verhaltens kleiner.<br />
Erlernen von Fähigkeiten<br />
Erlernen von Fähigkeiten ist auch eine Art, die Kompetenz zu vergrößern. Abhängig von<br />
den Zielen, die sich in einer Familie stellen, ist das Erlernen dieser Fähigkeiten für eines<br />
oder für mehrere Familienmitglieder bestimmt. Fähigkeiten können auf verschiedene<br />
Entwicklungsaufgaben Bezug nehmen. Neue Fähigkeiten können auf dem Niveau von<br />
motorischem (beobachtbaren) Verhalten gelehrt werden. Auch Kognitionen und<br />
Emotionen können als Blickwinkel genommen werden. Die verschiedenen Techniken um<br />
Fähigkeiten zu vermitteln, werden in den Kapiteln 4 bis einschließlich 7 dieses Handbuchs<br />
beschrieben.<br />
Wegnahme oder Begrenzung des Einflusses von Stressoren<br />
Die Wegnahme oder Begrenzung des Einflusses von Stressoren ist auch eine Form der<br />
Aufgabenerleichterung. Zum Beispiel: Dafür sorgen, dass bei der Wohnungsbaugesellschaft<br />
schneller eine größere Wohnung zur Verfügung steht oder zusammen mit den Eltern nach<br />
einer Schule suchen, die für ihren Sohn besser geeignet ist. Manchmal ist es nicht so sehr<br />
notwendig, den Stressor wegzunehmen, als vielmehr einem Familienmitglied zu vermitteln,<br />
besser damit umzugehen. Zum Beispiel: Wenn eine Mutter eine Wohngegend gefährlich<br />
findet, kann zusammen mit Mutter und Tochter erarbeitet werden, wie der Einfluss des<br />
Stressors abnehmen kann.<br />
Verminderung des Einflusses von oder Lernen des Umgangs mit Pathologie<br />
Bei der Arbeit mit Familienmitgliedern, bei denen von Pathologie die Rede ist, ist es wichtig<br />
sich nicht direkt auf die Labels einzulassen, von Dritten oder Familienmitgliedern selbst<br />
gegeben werden. Es ist besser, die Probleme, die mit der Pathologie zusammenhängen,<br />
anhand verhaltensmäßiger Umschreibungen zu konkretisieren. Dies bietet oft<br />
Anknüpfungspunkte zur Kompetenzerweiterung. Familienmitarbeiter können mit<br />
Familienmitgliedern Fähigkeiten einüben, um mit Pathologie umzugehen. Zum Beispiel:<br />
Eine depressive Mutter kann lernen, ihrem Partner deutlich zu machen, in welchen<br />
Momenten sie Zeit für sich selbst braucht. Auch kann in Betracht gezogen werden, wie<br />
beispielsweise der Anschluss an eine Form psychatrischer Hilfe zustandegebracht werden<br />
kann.<br />
25
Schaffen und Benutzen schützender Faktoren<br />
Auf verschiedene Weisen kann man lernen, schützende Faktoren zu benutzen. Manchmal<br />
ist es mühsam, bestehende schützende Faktoren zu aktivieren oder zu verstärken. Zum<br />
Beispiel: Vater geht öfter mit einem Freund weg oder eine Lehrkraft wird gebeten,<br />
besonders aufmerksam zu sein, wenn ein Kind nicht zur Schule kommt. Manchmal ist es<br />
nötig, schützende Faktoren aktiv aufzusuchen, beispielsweise indem man ein Kind Mitglied<br />
in einem Fußballclub werden läßt oder Eltern mit einem süchtigen Sohn anregt, Kontakt<br />
mit Eltern in einer vergleichbaren Situation aufzunehmen.<br />
Erhöhen der Belastungsfähigkeit<br />
Die Belastungsfähigkeit einer Familie kann schon erhöht werden, indem man die<br />
Eigenschaften, die auf Belastungsfähigkeit hinweisen, benennt. Der Familienmitarbeiter<br />
kann die bestehende Belastungsfähigkeit erhöhen, indem er eine starke Seite eines<br />
Elternteils benennt und Feedback darauf gibt, wie er diese Eigenschaften anwendet. Um die<br />
bestehende Belastungsfähigkeit besser zu gebrauchen, ist es wichtig, die Situationen, in<br />
denen entsprechende Eigenschaften benutzt werden können, zu erkennen.<br />
1.4 DIE LERNTHEORIE<br />
Um die Kompetenz einer Familie zu erweitern, müssen Lernprozesse in Gang kommen, die<br />
zu einem anderen Verhalten führen. Eine wichtige allgemeine Frage ist dabei: Wie lernen<br />
Menschen ein bestimmtes Verhalten? Die Lerntheorie gibt Erklärungen dafür. Bei der<br />
Analyse von Problemen und dem Einüben von Fähigkeiten mit den Familienmitgliedern<br />
wendet der Familienmitarbeiter lerntheoretische Prinzipien an. In den Techniken von<br />
Families First sind vor allem Einsichten aus der operanten Lerntheorie, der sozialen<br />
Lerntheorie und der Selbstbestimmungstheorie verarbeitet.<br />
1.4.1 Das Erlernen von Verhalten<br />
Unter Verhalten wird verstanden: alles was eine Person tut, denkt und fühlt. Unter<br />
Verhalten fällt also nicht allein das sichtbare motorische (beobachtbare) Verhalten.<br />
Gedanken (Kognitionen) und Gefühle (Emotionen) werden auch zum Verhalten gezählt.<br />
Auch körperliche Prozesse, wie die Erhöhung des Herzschlags oder Erröten werden in der<br />
Lerntheorie als Verhalten angesehen. Verhalten wird gelernt. Das Lernen geschieht meistens<br />
nicht bewusst. Hierin unterscheidet sich der lerntheoretische Ausdruck 'lernen' vom<br />
alltäglichen Sprachgebrauch, wo lernen bedeutet: 'dafür sorgen, etwas bewusst zu wissen',<br />
zum Beispiel: "Hast du deine Erdkunde gelernt? Ja? Na, dann erzähl mir mal..."<br />
1.4.2 Die operante Lerntheorie<br />
In der operanten Lerntheorie wird davon ausgegangen, dass man Verhalten unter dem<br />
Einfluss seiner Umgebung erlernt. Wird in einer bestimmte Umgebung Verhalten<br />
andauernd oder regelmäßig belohnt, wird die betroffene Person dieses Verhalten immer<br />
öfter zeigen. Umgekehrt gilt, dass Verhalten in einer bestimmten Umgebung nicht mehr<br />
gezeigt wird, wenn es immer eine unangenehme Konsequenz hat. Das Erlernen oder<br />
26
Ablegen eines Verhaltens nach obenstehendem Prinzip hat eine deutliche Funktion: Die<br />
Person passt sich so an ihre Umgebung an, dass sie eine optimale Belohnung erhält und<br />
sowenig wie möglich auf unangenehme Folgen stößt. Die operante Lerntheorie wird in<br />
folgendem Schema wiedergegeben:<br />
S - R - C<br />
Das S steht für Stimulus. Damit wird die Umgebung angedeutet, in der das Verhalten<br />
stattfindet oder ein Ereignis, dass dem Verhalten vorangeht. Meistens gehen mehrere<br />
Stimuli dem Verhalten voran. Mit R (Respons - Antwort) wir das Verhalten gemeint und<br />
mit C die Konsequenz (Consequentie), die Folgen. Alles was auf das Verhalten folgt, wird in<br />
dieser Theorie als Konsequenz des Verhaltens betrachtet.<br />
Zur Illustration ein Beispiel:<br />
Stimulus<br />
Mutter sagt: "Jan, mach das Fernsehen aus, wir essen jetzt!"<br />
Respons:<br />
Jan fängt an zu schreien und ruft, dass er beim Fernsehen essen will.<br />
Konsequenz<br />
Mutter gibt nach und sagt: "O.K., dieses Mal ..."<br />
Jan lernt hier, dass er durch böse werden seinen Willen kriegt. Die Folge auf lange Sicht<br />
kann sein, dass er immer böse wird und nicht gehorcht, wenn seine Mutter sagt, dass das<br />
Fernsehen ausgeschaltet werden soll.<br />
Dieses Beispiel betrifft eine S-R-C - Reihe. In Wirklichkeit folgen stets mehrere S-R-C -<br />
Reihen aufeinander: Das Verhalten oder die Konsequenz der einen S-R-C - Reihe ist ein<br />
Stimulus für eine neue S-R-C - Reihe. Auf diese Weise werden S-R-S - Ketten gebildet. Im<br />
Folgenden wird illustriert, wie die Reaktion des Kindes (C) das Verhalten der Mutter lenkt.<br />
Stimulus<br />
Jan schreit und ruft, dass er fernsehen will<br />
Respons<br />
Mutter gibt nach und sagt: "O.K., dieses Mal .."<br />
Konsequenzen<br />
Jan hört auf, böse zu sein und zu schreien; das Essen verläuft ruhig, vor dem Fernsehapparat.<br />
In dieser S-R-C - Reihe hält die Reaktion des Kindes, nämlich aufhören mit<br />
unerwünschtem Verhalten, die (inadäquate) Reaktion des Elternteils aufrecht. Die<br />
langfristigen Folgen können sein, dass die Mutter öfter nachgibt, wenn Jan böse ist, weil sie<br />
damit eine ruhige Situation erreicht.<br />
Dieses Beispiel zeigt, wie unerwünschte Verhaltensweisen und wenig effektive Reaktionen<br />
schnell zur Gewohnheit werden und nicht leicht zu ändern sind.<br />
27
Verstärken und Abschwächen von Verhalten<br />
'Verstärken' bedeutet: Etwas, das als angenehm, nett oder stimulierend erfahren wird, auf<br />
ein Verhalten folgen zu lassen, wodurch das Verhalten an Häufigkeit, Intensität oder Dauer<br />
zunimmt. 'Verstärken' kann etwas Positives bedeuten, zum Beispiel ein Kompliment, eine<br />
Süßigkeit, ein Schulterklopfen. Ein Verstärker kann jedoch auch das Abhalten oder<br />
Wegnehmen von etwas Unangenehmen sein. "Nicht zum Zahnarzt müssen" ist<br />
durchgehend ein Verstärker.<br />
'Abschwächen' beinhaltet: Etwas, das als unangenehm, unfreundlich oder schädlich<br />
erfahren wird, auf ein Verhalten folgen zu lassen, wodurch das Verhalten an Häufigkeit,<br />
Intensität oder Dauer abnimmt. Meistens bedeutet 'Abschwächen' das Zufügen von etwas<br />
Unangenehmen, wie Missbilligung oder zusätzliche Aufgaben. Auch das Vorenthalten von<br />
etwas Nettem oder das nicht stattfinden lassen von etwas Angenehmen, womit der<br />
Betreffende gerechnet hat, ist eine Form von 'Abschwächen', zum Beispiel das Taschengeld<br />
einbehalten oder das Fernsehen ausschalten.<br />
Im Schema:<br />
zufügen<br />
wegnehmen<br />
angenehme 1. 2.<br />
Dinge verstärken abschwächen<br />
unangenehme 3. 4.<br />
Dinge abschwächen verstärken<br />
An diesem Schema wird deutlich, dass das, was gewöhnlich unter 'Belohnen' verstanden<br />
wird,nur mit Block 1. übereinstimmt. 'Strafe' fällt unter Block 3. Die Begriffe 'Verstärken'<br />
und 'Belohnen' bedeuten also nicht dasselbe; ebensowenig die Begriffe 'Abschwächen' und<br />
'Strafen'.<br />
Günstige und ungünstige Situationen<br />
Außer dem Unterschied in den Konsequenzen (Verstärker und Abschwächer) kann auch ein<br />
Unterschied zwischen günstigen und ungünstigen Situationen gemacht werden. Eine<br />
günstige Situation bedeutet, dass ein bestimmtes Verhalten verstärkt wird. Um<br />
herauszufinden, welche Situation für ein bestimmtes Verhalten günstig ist, muss man<br />
wissen, welche Verbindung zwischen dieser Situation und dem erwünschten Verhalten<br />
besteht. Die Frage: "Ist ein aufgeräumtes Zimmer eine günstige Situation?" kann nicht<br />
beantwortet werden. Man kann wohl sagen, dass ein aufgeräumtes Zimmer eine günstige<br />
Situation für das Verhalten 'etwas suchen' ist. Ein aufgeräumtes Zimmer stimuliert die<br />
Suche, weil die Chance auf eine positive Konsequenz, nämlich zu finden was man sucht,<br />
groß ist.<br />
28
Eine ungünstige Situation bedeutet, dass eine bestimmte Antwort (Respons) abgeschwächt<br />
wird.Wenn ein Kind zum Beispiel seinen Vater bittet, ihm etwas vorzulesen (Respons),<br />
währen der Vater Fußball guckt (Situation), dann ist die Chance groß, dass der Vater nein<br />
sagt (Konsequenz). Ein Familienmitarbeiter muss daher sowohl bei der Analyse, wie beim<br />
Einüben der Fähigkeiten ein Auge für die Situation haben, in der die Fähigkeiten<br />
angewendet werden.<br />
1.4.3 Die soziale Lerntheorie<br />
Ausgangspunkt für die soziale Lerntheorie ist, dass Verhalten auf der Basis von Modellen<br />
aus der Umgebung der Person erlernt wird. So übernehmen Kinder das Verhalten ihrer<br />
Eltern, die darin Modell stehen; manchmal bewusst, aber oft auch unbewusst. Kinder<br />
ahmen auch das Verhalten anderer Personen in ihrer Umgebung nach. Jemand, der nett<br />
und anziehend wirkt, wird eher nachgeahmt als jemand, der diese Merkmale nicht hat.<br />
Außerdem spielt Nähe eine Rolle: Eine Person, mit der sich jemand verwandt fühlt oder die<br />
ihm für sein Gefühl nahe steht, erfüllt eher die Rolle eines Modells, als eine Person, bei der<br />
das nicht der Fall ist. Weil es normal ist, dass jemand mal Fehler macht, erfüllt jemand, der<br />
nicht perfekt ist, mitunter mehr eine Modellfunktion als jemand, der immer alles perfekt<br />
macht. Ein Familienmitarbeiter von Families First benutzt Prinzipien der sozialen<br />
Lerntheorie, indem er Modelle für das gewünschte Verhalten einschaltet. Er kann zum<br />
Beispiel eine Mutter, die von der Sozialhilfe leben muss, anregen mit anderen Sozialhilfe-<br />
Müttern Kontakt aufzunehmen, um zu sehen wie diese mit ihrem Geld auskommen.<br />
Außerdem steht der Familienmitarbeiter auch selbst Modell, zum Beispiel indem er<br />
Verhalten vormacht. Auch durch die Art und Weise, wie er mit Familienmitgliedern<br />
umgeht, beispielsweise indem er Respekt zeigt oder jemanden aussprechen lässt, erfüllt der<br />
Familienmitarbeiter eine Modellfunktion. Es ist wichtig, dass sich der Familienmitarbeiter<br />
bei jedem Kontakt mit den Familienmitgliedern seiner Modellfunktion bewusst ist.<br />
1.4.4 Die Selbstbestimmungstheorie<br />
Die Selbstbestimmungstheorie geht davon aus, dass eine Person Einfluss auf ihr eigenes<br />
Verhalten hat, indem sie sich selbst Verstärker oder Abschwächer gibt. Das können<br />
materielle Verstärker oder Abschwächer sein, aber meistens haben sie die Form einer<br />
'inneren Rede'; etwas, das jemand zu sich selbst sagt. Zum Beispiel: Wenn eine Mutter das<br />
quengelige Verhalten ihres Kindes zu negieren versucht und jedesmal, wenn sie doch<br />
reagiert , denkt: 'Das gelingt mir nie, ich bin viel zu impulsiv', wirkt dieser Gedanke als<br />
Abschwächer ihres Versuchs, das quengelnde Verhalten konsequent zu negieren. Wenn die<br />
Mutter stattdessen zu sich selbst sagt: 'Ich habe gerade einen Fehler gemacht, aber ich muss<br />
mich noch daran gewöhnen; ich negiere die Quengelei schon viel öfter als am Anfang',<br />
dann besteht eine große Chance, dass ihr Versuch, das quengelnde Verhalten zu negieren,<br />
verstärkt wird.<br />
Bei der Selbstbestimmung sind drei Stadien zu unterscheiden:<br />
1 Das erste Stadium ist Selbstbeobachtung: das Beobachten eigenen Verhaltens, eigener<br />
29
Gefühle und Gedanken bevor jemand etwas daran ändern kann. Zum Beispiel: Jemand,<br />
der eine Anzahl Aktivitäten unternimmt um eine neue Stelle zu bekommen, muss eine<br />
Übersicht darüber haben, was alles er genau tut, wieviele Briefe er schreibt und wieviele<br />
Telefongespräche er führt, und wie er diese Aktivitäten ausführt, wie die Briefe aussehen<br />
und wie er sich während der Telefongespräche präsentiert.<br />
2 Das zweite Stadium ist die Selbsteinschätzung: Das Vergleichen des eigenen Verhaltens<br />
mit der Norm, die sich jemand selbst setzt. Zum Beispiel: Die bereits genannte Person hat<br />
als Norm, innerhalb einer Woche eine neue Stelle zu haben, aber realisiert aufgrund ihrer<br />
eigenen Erfahrungen, dass das in Wirklichkeit länger dauert.<br />
3 Das dritte Stadium ist Selbst-verstärken oder Selbst-abschwächen. Wenn sich bei der<br />
Selbsteinschätzung zeigt, dass jemand etwas gut gemacht hat, das heisst, das Verhalten<br />
befindet sich in Übereinstimmung mit seiner Norm oder übertrifft sie sogar, bekommt er<br />
ein gutes Gefühl. Er spricht sich in Gedanken selbst wohlwollend zu oder belohnt sich<br />
selbst, indem er sich beispielsweise selbst zu irgendetwas einlädt. Wenn das Verhalten die<br />
Norm, die sich jemand setzt, nicht erfüllt, bekommt er ein leidiges Gefühl oder er sagt<br />
etwas Abwertendes zu sich selbst. Die Chance ist groß, dass die Person ihr eigenes<br />
Verhalten abschwächt, weil sie der Norm, die sie sich selbst auferlegt hat, nicht genügt.<br />
1.5 DAS GRUNDKONZEPT VON FAMILIES FIRST ZUSAMMENGEFASST<br />
Families First basiert auf der Idee, dass es möglich, ist die Fremdplatzierung eines Kindes zu<br />
verhindern, indem in der Familie, die sich in einer Krisensituation befindet, eine kurze Zeit<br />
lang intensiv an der Kompetenzerweiterung der Familienmitglieder gearbeitet wird. Die<br />
Kompetenz einer Familie wird mithilfe des Kompetenzmodells analysiert. Darin sind die<br />
Faktoren angegeben, die die Balance zwischen den Aufgaben und den Fähigkeiten der<br />
Familienmitglieder positiv oder negativ beeinflussen.<br />
Families First erhöht die Kompetenz einer Familie einerseits dadurch, dass die Aufgaben<br />
erläutert werden und andererseits, indem Fähigkeiten eingeübt werden.<br />
Beim Vermitteln von neuen Verhaltensweisen wird von den Prinzipien der operanten<br />
Lerntheorie, der sozialen Lerntheorie und der Selbstbestimmungstheorie Gebrauch<br />
gemacht.<br />
30
2 DIE ERSTE PHASE DER HILFE<br />
Die Arbeitsperiode des Familienmitarbeiters in der Familie dauert bei Families First<br />
grundsätzlich 28 Tage und kann eventuell auf 42 Tage verlängert werden. Vor allem<br />
während der ersten vier Tage des Kontakts mit der Familie muss sehr viel zugleich<br />
geschehen. Die Krise muss angepackt werden, sodass sich die Familie beruhigt. Eine<br />
Arbeitsbeziehung muss aufgebaut werden. Der Familienmitarbeiter muss Einblick in die<br />
Kräfte und Problemfelder der Familie und in mögliche Lösungen erhalten.<br />
Die Informationen, die der Familienmitarbeiter sammelt, werden sorgfältig festgehalten<br />
und analysiert. Danach kann durch praktische und materielle Hilfe und das Erlernen neuer<br />
Fähigkeiten eingegriffen werden. In der Praxis wird häufig von einem Zyklus die Rede sein,<br />
der sich einige Male wiederholt. Eine Übersicht über die ganze Arbeitsperiode ist in Anlage<br />
1 zu finden.<br />
2.1 DER AUFBAU EINER ARBEITSBEZIEHUNG<br />
Der Aufbau einer Arbeitsbeziehung ist eines der ersten Dinge, mit denen der<br />
Familienmitarbeiter beginnt, aber es ist zugleich auch ein kontinuierlicher Prozess, vom<br />
dem der Familienmitarbeiter fortwährend Aufmerksamkeit erfordert. Um an der<br />
Erweiterung ihrer Kompetenz arbeiten zu können, müssen die Familienmitglieder dem<br />
Familienmitarbeiter vertrauen und etwas von ihm lernen wollen. Vom allerersten Kontakt<br />
mit der Familie an, muss der Familienmitarbeiter darauf achten. Auch in einem späteren<br />
Stadium sollte der Familienmitarbeiter die Arbeitsbeziehung beobachten, beispielsweise<br />
wenn er merkt, dass die Familie aufhören oder nicht mehr mitarbeiten will, wenn der<br />
Kontakt zwischen Familienmitarbeiter und Familie schlechter wird oder wenn Gefühle<br />
eskalieren.<br />
2.1.1 Sich Vorstellen per Telefon<br />
Der Aufbau einer Arbeitsbeziehung beginnt schon mit dem ersten telefonischen Kontakt<br />
mit der Familie. Nachdem die Familie zur Hilfe von Families First akzeptiert und der<br />
Familie ein Familienmitarbeiter zugewiesen worden ist, nimmt dieser telefonisch mit der<br />
Familie Kontakt auf. Wenn die Familie kein Telefon hat, geht der Familienmitarbeiter bei<br />
der Familie vorbei. Ziel dieses Kontakts ist es, sich selbst und Families First kurz<br />
vorzustellen und einen Termin für den ersten Besuch zu verabreden. Wenn der<br />
Familienmitarbeiter ein Kind oder einen anderen Erwachsenen als die Eltern am Telefon<br />
hat, fragt er immer nach den Eltern. Wenn diese nicht da sind, vereinbart der<br />
Familienmitarbeiter, wann er noch mal anruft.<br />
Beim ersten telefonischen Kontakt stellt sich der Familienmitarbeiter selbst vor und erzählt,<br />
von wem er die Anmeldung bei Families First erhalten hat. Danach erkundigt er sich, was<br />
die Familie von Families First weiß. Was hat der Überweiser erzählt? In diesem Stadium ist<br />
es wichtig, auf jeden Fall zu erzählen, dass Families First bezweckt, miteinander die<br />
Fremdplatzierung eines Kindes zu verhindern, indem zusammen an den Problemen der<br />
Familie gearbeitet wird. Die Familie muss auch wissen, dass die Arbeitsperiode mit der<br />
31
Familie etwa vier Wochen dauert, dass nur mit zwei Familien gleichzeitig gearbeitet wird<br />
und viel Zeit pro Familie zur Verfügung steht. Weiterhin muss bekannt sein, dass<br />
Verabredungen mit der Familie zu Zeitpunkten getroffen werden, an denen es den<br />
Familienmitgliedern passt, dass der Familienmitarbeiter zu der Familie nachhause kommt<br />
oder anderswohin, wenn eines der Familienmitglieder das wünscht. Schließlich ist noch<br />
wichtig, der Familie zu erzählen, dass Families First gratis ist. Ein nächster Schritt im<br />
Gespräch ist, herauszufinden, ob die Informationen bei den Erwartungen der Familie an<br />
Families First anschließen. Wenn das nicht der Fall ist, zeigt der Familienmitarbeiter<br />
Verständnis für die Ansicht des Familienmitglieds und schlägt beispielsweise vor, während<br />
des ersten Treffens weiterzusprechen und zu sehen was die Familie nötig hat. Danach wird<br />
die erste Verabredung getroffen, immer innerhalb von 24 Stunden nach der Anmeldung<br />
und also meistens am selben Tag wie der erste telefonische Kontakt. Der<br />
Familienmitarbeiter gibt seine Telefon- oder Semafonnummer durch für den Fall, dass<br />
etwas dazwischenkommt.<br />
Vorbereitung auf den telefonischen Kontakt<br />
Der erste telefonische Kontakt mit einer Familie kann sehr verschieden verlaufen. Das<br />
bedeutet oft mehr, als nur eine Verabredung zu treffen, und es ist daher wichtig, dass der<br />
Familienmitarbeiter Rücksicht darauf nimmt. Er sollte sich dabei in Ruhe hinsetzen und<br />
sich gut auf das Gespräch vorbereiten. Zum Beispiel kann die Vorstellung von Families First<br />
möglicherweise bereits soviele Reaktionen hervorrufen, dass der Familienmitarbeiter sofort<br />
damit beginnen muss zu beruhigen, indem er aktiv zuhört. Wenn sich ein Familienmitglied<br />
durch die 'Hilfeleistung' stark angegriffen oder beschuldigt fühlt, geht der<br />
Familienmitarbeiter nicht in die Verteidigung, sondern reflektiert die Gefühle des<br />
Familienmitglieds und sagt beispielsweise, dass derjenige auffallend böse ist oder dass er<br />
ihm ärgerlich erscheint. Wenn bei dem Telefongespräch klar wird, dass in der Familie eine<br />
kritische Atmosphäre herrscht, macht der Familienmitarbeiter am Telefon mit den<br />
Familienmitgliedern einen Plan, was sie tun sollen bis er da ist. Manchmal merkt der<br />
Familienmitarbeiter während des ersten Telefongesprächs, dass die Sicherheit eines oder<br />
mehrerer Familienmitglieder in Gefahr ist, beispielsweise weil im Hintergrund ein heftiger<br />
Streit zu hören ist. Um die Zeit zwischen dem telefonischen Kontakt und dem Eintritt in<br />
die Familie zu überbrücken, versucht er kurz ein Bild von der Situation zu bekommen und<br />
sie zu strukturieren. Der erste telefonische Kontakt mit der Familie gibt oft schon viele<br />
Informationen. Diese Informationen benutzt der Familienmitarbeiter um sich auf den<br />
Eintritt in die Familie vorzubereiten. Manchmal ist es anläßlich eines telefonischen<br />
Kontakts nötig, den Rat des Teamleiters einzuholen, beispielsweise bezüglich der<br />
Einschätzung der Sicherheit.<br />
2.1.2 Der erste direkte Kontakt mit der Familie<br />
Beim Eintritt in die Familie muss der Familienmitarbeiter dafür sorgen, zur vereinbarten<br />
Zeit am vereinbarten Ort zu sein, meistens bei der Familie zuhause. Ist er etwas zu früh,<br />
läutet er noch nicht, sondern nimmt die Gelegenheit wahr, sich in der Gegend, in der die<br />
32
Familie wohnt, umzuschauen. Danach läutet er und wartet bis die Tür geöffnet wird. Er<br />
stellt sich vor und fragt, ob er hereinkommen darf. Er wartet bis er gebeten wird, sich zu<br />
setzen, es sei denn, das dauert sehr lang; dann fragt er, ob er sich setzen darf. Er nimmt den<br />
angebotenen Kaffee an, auch wenn er eigentlich schon genug Kaffee getrunken hat. Der<br />
Familienmitarbeiter stellt eine entspannte Atmospäre her, indem er über in diesem<br />
Moment naheliegende Dinge spricht: das Wetter, seinen Weg dorthin, freundlicher,<br />
positiver Smalltalk. Danach erzählt er nochmals kurz, was Families First beinhaltet und<br />
fragt, welche Probleme der Anlass für die Anmeldung bei Families First waren. Er schließt<br />
bei Themen an, die die Familie oder ein Familienmitglied selbst angeben. Der<br />
Familienmitarbeiter muss sich über seine Position im Klaren sein. Der Überweiser hat<br />
beschlossen, dass eine Fremdplatzierung erfolgt, wenn sich nichts ändert. Der<br />
Familienmitarbeiter von Families First versucht das zusammen mit der Familie zu<br />
verhindern, indem sie miteinander an Veränderungen arbeiten. Er nennt dabei auch die<br />
Rolle der Berichterstattung. Er erzählt, dass er verpflichtet ist, alles was er über die Familie<br />
erfährt weiterzugeben, dass er das aber immer mit der Familie besprechen wird. Der<br />
Familienmitarbeiter hält sich zurück, die Ziele des Überweisers zu nennen. In dieser Phase<br />
geht es darum, bei den Zielen der Familie anzuschließen. Bei diesem ersten Gespräch muss<br />
deutlich werden, dass Families First Familien konkrete Hilfe bietet. Manchmal wird damit<br />
sofort begonnen. Der Familienmitarbeiter versucht, mit allen Familienmitgliedern Kontakt<br />
zu bekommen. Wenn Kinder da sind, spricht er mit ihnen oder setzt sich eben zu ihnen;<br />
wenn beispielsweise allerlei Sachen von Bayern München im Zimmer hängen, fragt er, von<br />
wem sie sind usw. Wenn nötig, versucht der Familienmitarbeiter, die Familie zu beruhigen.<br />
Zum Aufbau einer Arbeitsbeziehung ist es wichtig, dass ein Familienmitarbeiter Interesse<br />
und Engagement für das tägliche Leben der Familie zeigt. Die Arbeit des<br />
Familienmitarbeiters wird leichter, wenn die Familienmitglieder ihn auch nett und<br />
hilfsbereit finden.<br />
Die Haltung des Familienmitarbeiters<br />
Im Interesse der Arbeitsbeziehung hält sich der Familienmitarbeiter an eine Anzahl Regeln.<br />
Er verhält sich wie ein Gast und fragt bei allem was er tut um Zustimmung. Er trägt<br />
gepflegte Kleidung, aber sieht nicht übertrieben herausgeputzt aus. Er achtet auf seinen<br />
Sprachgebrauch. Der muss konkret sein und keine Labels oder Hilfeleistungsjargon<br />
enthalten. Er achtet auf seine Position und sorgt dafür, dass er der Familie nicht als Feind<br />
gegenübersteht. Er berücksichtigt mögliches Misstrauen angesichts der Hilfeleistung. Wenn<br />
Familienmitglieder schlechte Erfahrungen mit Hilfeleistenden gehabt haben, können sie<br />
sich allgemein von Hilfeleistenden angegriffen oder beschuldigt fühlen. Der<br />
Familienmitarbeiter strahlt Hoffnung aus. Er erzählt, dass diese Methode für vergleichbare<br />
Familien ein Gewinn war und legt Nachdruck darauf, dass bei Families First auf eine<br />
andere Weise gearbeitet wird als es die Familie gewöhnt ist. Die Familienmitglieder müssen<br />
von Anfang an möglichst viel Kontrolle über ihre Situation bekommen, beispielsweise<br />
indem sie selbst angeben, wo sie den Familienmitarbeiter treffen möchten, indem über die<br />
Themen, die sie herantragen, gesprochen wird, und indem keine Diskussion über die Frage<br />
33
egonnen wird, ob die Kinder fremdplatziert werden müssen oder nicht. Der<br />
Familienmitarbeiter dringt auch nicht auf die Anwesenheit aller Familienmitglieder bei<br />
jedem Besuch. Er betrachtet die Familienmitglieder als Experten von sich selbst, auch<br />
bezüglich der Veränderungen, die in der Familie möglich und nötig sind. Der<br />
Familienmitarbeiter versucht, die Familienmitglieder nett zu finden. Wenn er die<br />
Familienmitglieder nicht nett findet, merken sie das beispielsweise an non-verbalen<br />
Reaktionen und sind viel weniger kooperativ. Um Menschen nett zu finden, hilft es daran<br />
zu denken, dass jeder mal verärgert ist und Hilfe nötig hat, dass jeder in seinem eigenen<br />
Kontext und mit seinen Fähigkeiten im Prinzip sein Bestes tut und dass die Motive, aus<br />
denen heraus Menschen handeln, überwiegend positiv sind. Gewalt ist durchweg nicht böse<br />
gemeint, sondern resultiert aus einem Mangel an Selbstkontrolle und Fähigkeiten.<br />
2.1.3 Beruhigen der Familie<br />
Das Beruhigen der Familie ist ein wichtiger Teil beim Aufbau einer Arbeitsbeziehung. In<br />
einer Krisensituation fühlen sich Menschen verwirrt, haben sie das Gefühl, die ganze Welt<br />
gegen sich zu haben und fühlen sich unverstanden. Wenn man gut zuhört und die<br />
Probleme der Reihe nach durchgeht, kommen die Menschen zur Ruhe und fühlen sich<br />
verstanden, wodurch sie ihre Probleme oft besser in den Griff bekommen. Der<br />
Familienmitarbeiter versucht, eine Eskalation der Krisensituation zu verhindern. Läuft<br />
während eines Besuchs die Situation dermaßen aus der Hand, dass die Sicherheit in Gefahr<br />
ist, benutzt der Familienmitarbeiter spezielle Techniken zur Krisenintervention (siehe<br />
Kapitel 9). Dabei muss der Familienmitarbeiter darauf achten, die Fragen zu dosieren und<br />
Antworten durch Reflexion hervorzulocken. Der Familienmitarbeiter lässt die<br />
Familienmitglieder soviel wie möglich selbst Regie führen: Sie setzen sich dahin, wohin sie<br />
sich setzen wollen; sie beschließen, wer dabei ist; sie bestimmen selbst, ob das Fernsehen an<br />
ist; sie dürfen einander unterbrechen, usw. Der Familienmitarbeiter benutzt auch so wenig<br />
wie möglich Ausdrücke wie 'arbeiten mit', 'arbeiten an', 'Themen', 'trainieren', 'üben' und<br />
möglichst wenig Jargon, wie 'Intervention', 'Behandlung', 'Therapie'. Der<br />
Familienmitarbeiter geht erst dann dazu über, Lösungen zu bedenken, wenn die ganze<br />
Geschichte erzählt ist. Das erhöht die Chance, dass die Lösung adäquat ist. Er achtet auf<br />
non-verbale Signale von Familienmitgliedern, dass sie aufhören möchten, beispielsweise<br />
weil sie müde sind. Der Familienmitarbeiter reagiert auf den Inhalt dessen, was die<br />
Familienmitglieder erzählen und vermeidet zu beschwichtigen oder bestimmte Dinge zu<br />
bagatellisieren; er sagt beispielsweise nicht, das schon alles wieder in Ordnung kommen<br />
wird.Der Familienmitarbeiter ist für alle Familienmitglieder da. Er ergreift nicht Partei,<br />
indem er sich etwa anderen gegenüber kritisch verhält, indem er jemanden unterstützt oder<br />
zu viel Zeit mit einer Person verbringt. Der Familienmitarbeiter drängt der Familie seine<br />
eigenen Normen und Werte nicht auf. Er vermeidet zu moralisieren und probiert nicht, die<br />
Familienmitglieder davon zu überzeugen, was sie seiner Meinung nach tun sollten. Ein<br />
guter Familienmitarbeiter überlässt die Entscheidung den Familienmitgliedern.<br />
34
2.2 SAMMELN UND ANALYSIEREN DER INFORMATIONEN<br />
So wie der Aufbau und das Aufrechterhalten der Arbeitsbeziehung ist auch das Sammeln<br />
und Analysieren von Informationen ein Prozess, der während der ganzen Periode, in der<br />
ein Familienmitarbeiter in einer Familie arbeitet, weitergeht. Das Sammeln von<br />
Informationen beginnt bereits bei der Anmeldung mit den Informationen, die der<br />
Überweiser über die Familie erteilt und ist vom ersten Kontakt mit der Familie an eine<br />
Aufgabe des Familienmitarbeiters. Bei allen folgenden Besuchen und Kontakten wird das<br />
Sammeln und Analysieren von Informationen fortgesetzt. Dabei bilden die Problemfelder,<br />
die mit der drohenden Fremdplatzierung zusammenhängen und die verschiedenen<br />
Faktoren aus dem Kompetenz-Modell den roten Faden. Der Familienmitarbeiter versucht<br />
ein Bild von den Fähigkeiten, Aufgaben, Problemen und potentiellen Kräften der Familie zu<br />
bekommen. Das Sammeln und Analysieren von Informationen hat nicht nur Bezug auf die<br />
Familie und die Familienmitglieder, sondern auch auf die Umgebung der Familie,<br />
beispielsweise mit einem Auge für die unterstützenden Faktoren, die es rund um die<br />
Familie gibt.<br />
2.2.1 Inventarisieren der Probleme und potentiellen Kräfte<br />
Um einen Überblick über die Probleme und potentiellen Kräfte einer Familie zu erhalten,<br />
benutzt der Familienmitarbeiter Gesprächstechniken, Beobachtungen während der Besuche<br />
bei der Familie, Informationen des Überweisers und spezielle Fragebögen. Es ist wichtig,<br />
nicht nur mit der ganzen Familie Gespräche zu führen, sondern auch individuell mit den<br />
Familienmigliedern. Manchmal sprechen Kinder und Eltern in gegenseitiger Anwesenheit<br />
nicht über alles. Wenn individuell mit ihnen gesprochen wird, nennen sie möglicherweise<br />
andere Probleme und Veränderungswünsche als wenn mit ihnen gemeinsam gesprochen<br />
wird.Fragen, die an Kinder ab ungefähr sechs Jahren gestellt werden können, sind<br />
beispielsweise: 'was findest du nett und angenehm zuhause?' und 'was möchtest du gerne<br />
verändert haben?' Es ist auch wichtig, mit den Eltern gesondert über ihre Probleme und<br />
Veränderungswünsche zu sprechen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden dann die<br />
individuellen Probleme und Wünsche nebeneinander gelegt. Manchmal kommt eine<br />
Familie mit ganz vielen Problemen. Der Familienmitarbeiter kann durch die Menge und<br />
den Ernst der Probleme überwältigt werden; die Familie selbst ist das oft schon. Darum<br />
macht der Familienmitarbeiter der Familie deutlich, dass die genannten Probleme sehr<br />
wichtig sind, dass sie aber in den nächsten vier Wochen nicht alle zugleich angepackt<br />
werden können, und dass die Familie wählen muss, was für sie das Wichtigste ist. Die<br />
Arbeit an den wichtigsten Problemen kann dann ein Anfang sein, um etwas an den anderen<br />
Problemen zu verändern. Es kann auch passieren, dass eine Familie mit ganz großen<br />
Problemen kommt, wie "Die Kinder tun nie was man ihnen sagt", "Achmed akzeptiert keine<br />
Autorität" und "Mein Vater und meine Mutter streiten sich immer". Um 'große' Probleme<br />
besser handhaben zu können, versucht der Familienmitarbeiter zusammen mit der Familie<br />
oder dem Familienmitglied die Probleme zu verdeutlichen und zu konkretisieren,<br />
beispielsweise: "Welches Verhalten Ihrer Kinder ärgert Sie am meisten?", "In welchen<br />
Situationen kommt es vor, dass Achmed keine Autorität akzeptiert?" und "Was passiert,<br />
35
wenn dein Vater und deine Mutter sich streiten?", "Wann streiten sie sich?", "Kannst du<br />
Beispiele nennen?". Auf diese Weise versucht der Familienmitarbeiter das große Problem in<br />
viele kleinere aufzuteilen und besser damit umzugehen.<br />
2.2.2 Beschreibung von Informationen in Begriffen beobachtbaren Verhaltens<br />
Aufgrund der Informationen aus der Familie und der Inventarisierung der Probleme und<br />
Veränderungswünsche füllt der Familienmitarbeiter das Formular `Basisinformation` aus,<br />
das in Anlage 2 aufgenommen wurde. Beim Ausfüllen von Formularen sind Beschreibungen<br />
in Begriffen beobachtbaren Verhaltens wichtig (siehe Kapitel 3). Je mehr die Probleme und<br />
Wünsche in Formulierungen beobachtbaren Verhaltens umschrieben werden, desto besser<br />
wird es gelingen, konkrete und erreichbare Ziele aufzustellen.<br />
Zum Beispiel:<br />
Eine nicht beobachtbare Formulierung eines Problems ist: "Dennis gehorcht nie." Beobachtbarer<br />
wird das Problem in der folgenden Formulierung: "Dennis hält sich nicht an die Regeln vom<br />
Nachhausekommen. Er kommt immer nach Mitternacht nachhause, auch wenn er am nächsten<br />
Tag in die Schule muss. Wenn seine Mutter dazu etwas sagt, hat er eine große Klappe." Oder: Nicht<br />
beobachtbar: "Minous ist viel zu abhängig, das vergiftet die Atmosphäre." Beobachtbarer: "Minous<br />
fragt bei allem was sie tut, was ihre Mutter und ihr Brüderchen dazu meinen. Sie will direkt eine<br />
Antwort auf ihre Frage haben. Mutter und Johan werden dadurch immer bei ihren Tätigkeiten<br />
gestört und werden irritiert."<br />
2.2.3 Analyse von Informationen anhand von Entwicklungsaufgaben<br />
Nach der Beschreibung analysiert der Familienmitarbeiter die Informationen anhand von<br />
Entwicklungsaufgaben, die für das entsprechende Familienmitglied wichtig sind. Dazu<br />
benutzt er verschiedene Versionen des Formulars `Information und Analyse` (siehe Anlage<br />
2) für Eltern, Jugendliche und Kinder. Der Familienmitarbeiter unterscheidet dabei<br />
zwischen Kräften, Fähigkeiten und Problemen und bewertet auch das Funktionieren des<br />
Familienmitglieds mit Bezug auf die verschiedenen Entwicklungsaufgaben. Das eine Ende<br />
dieser Bewertungsskala ist 'sehr schlecht' und wird gegeben, wenn die<br />
Entwicklungsaufgaben nicht, sehr inadäquat oder mit sehr vielen Problemen angegangen<br />
werden. Das andere Ende ist 'sehr gut' und wird gegeben, wenn die Entwicklungsaufgabe<br />
sehr adäquat angegangen oder erfüllt wird. Die Bewertung erfolgt in: --, -, +-, + oder ++.<br />
Wenn der Familienmitarbeiter unzureichende Informationen hat oder keine Bewertung<br />
geben kann, schreibt er ein Fragezeichen auf. Anhand dessen erhält der Familienmitarbeiter<br />
Einblick in das Funktionieren der Familienmitglieder, in ihre starken und schwachen Seiten<br />
und die Ziele, an denen mit ihnen gearbeitet werden muss.<br />
2.2.4 Hilfsmittel beim Sammeln und Analysieren von Informationen<br />
Der Familienmitarbeiter bedient sich beim Sammeln und Analysieren von Informationen<br />
folgender Hilfsmittel:<br />
36
Formulare<br />
Das Formular `Basisinformation` spielt eine wichtige Rolle bei der geordneten<br />
Beschreibung der gesammelten Informationen. Dieses Formular ist vor allem für<br />
Familienmitarbeiter, die gerade erst anfangen, wichtig. Nach einiger Zeit kann es sein, dass<br />
Familienmitarbeiter es vorziehen, ihre Informationen anders zu systematisieren,<br />
beispielsweise als Teil des Tagesberichts. Nach Rücksprache mit dem Teamleiter kann nach<br />
einer Methode gesucht werden, die die Informationen auch für den Teamleiter einsichtig<br />
macht. Das zweite Formular mit dem Titel `Information und Analyse` bezweckt eine<br />
Analyse anhand potentieller Kräfte, Fähigkeiten und Probleme der verschiedenen<br />
Familienmitglieder mit Bezug auf die Entwicklungsaufgaben, die zum Alter des<br />
Familienmitglieds passen.<br />
Informationen des Überweisers<br />
Die ersten Informationen, die der Familienmitarbeiter über die Familie erhält, stehen auf<br />
dem Anmeldeformular des Überweisers. In den ersten drei Tagen nimmt der<br />
Familienmitarbeiter mit dem Überweiser Kontakt auf, um sich noch genauer von wichtigen<br />
Informationen in Kenntnis setzen zu lassen. Besonders Informationen über das<br />
Funktionieren der Familie in jüngster Zeit sind dabei wichtig. Nach den ersten drei Tagen<br />
soll der Familienmitarbeiter mit dem Überweiser Kontakt halten, um über den Verlauf der<br />
Hilfe Bericht zu erstatten, die wichtigsten neuen Informationen weiterzugeben und über<br />
eine eventuelle Folgehilfe nach Families First nachzudenken. 2<br />
Fragebögen<br />
Zur Ergänzung der Information, die der Familienmitarbeiter durch Beobachtungen und<br />
Gespräche erhält, kann er Fragebögen gebrauchen. Im Rahmen von Families First sind<br />
folgende Fragebögen geeignet:<br />
- VGF (Vragenlijst Gezinsfunctioneren / Fragebogen zum Funktionieren der Familie).<br />
Dieser Fragebogen gibt eine Übersicht über das Funktionieren beider Elternteile bei<br />
einer Anzahl wichtiger Elternaufgaben. Der Bogen wird vom Familienmitarbeiter<br />
ausgefüllt;<br />
- VKF (Vragenlijst Kindfunctioneren / Fragebogen zum Funktionieren des Kindes).<br />
Dieser Fragebogen gibt ein Bild vom Funktionieren des (angemeldeten) Kindes und<br />
wird ebenfalls vom Familenarbeiter ausgefüllt;<br />
- NVOS oder NOSI (Nijmeegse Vragenlijst voor de Opvoedingsituatie / Nijmeger<br />
Fragebogen zur Erziehungssituation). Dieser Fragebogen wird von den Eltern<br />
2 Der Familienmitarbeiter hat minimal zu folgenden Zeitpunkten mit dem Überweiser Kontakt:<br />
A. innerhalb von 72 Stunden (über die erstellten Ziele und Arbeitspunkte);<br />
B. nach 2 Wochen (über den Lauf der Dinge bezüglich der bisher erstellten Ziele<br />
und Arbeitspunkte und eventuelle neue Ziele und Arbeitspunkte);<br />
C. nach 3 Wochen über den Abschluss von Families First und eine eventuelle Folgehilfe.<br />
Innerhalb einer Woche nach Beendigung der Hilfe erhält der Überweiser einen Abschlussbericht.<br />
37
ausgefüllt und gibt die subjektiv erfahrene Familienbelastung wieder;<br />
- CBCL (Child Behavior Checklist). Die CBCL wird von den Eltern ausgefüllt und gibt<br />
eine Übersicht über die soziale Kompetenz und das Problemverhalten bei Kindern<br />
von zwei bis achtzehn Jahren;<br />
- VMG (Vragenlijst Meegemaakte Gebeurtenissen / Fragebogen zu erlebten<br />
Ereignissen). Dieser Fragebogen, der von den Eltern ausgefüllt wird, gibt eine<br />
Übersicht über Ereignisse, die als stressverursachend für das Kind betrachtet werden.<br />
Pro Familie wird entschieden, welche Fragebögen gebraucht werden. Die Wahl ist mit<br />
abhängig von den Verarbeitungsmöglichkeiten der gesammelten Informationen. VGF<br />
und VKF wurden in das sogenannte KISIT aufgenommen. Es wird geraten, diese<br />
Listen in jedem Fall zu benutzen.<br />
Het Klient Informatie Systeem Intensieve Thuisbehandeling (KISIT) 3<br />
[Das Klienten Informations-System für Intensive Behandlung Zuhause]<br />
Das Ziel von KISIT ist es, den Hilfeleistungsprozess derart zu registrieren, dass der<br />
Familienmitarbeiter und sein Teamleiter Einblick in die Entwicklung der Hilfeleistung in<br />
der Familie erhalten. Die Informationen aus dem KISIT können ein Anlass sein, einen<br />
Hilfeleistungsplan zu erstellen. Außerdem gibt KISIT der Einrichtung Einblick in die<br />
erreichte Zielgruppe, die benutzte Arbeitsweise, und die erreichten Resultate. Das bietet<br />
Möglichkeiten zur Auswertung des Programms und der Gewährleistung und Verbesserung<br />
der Qualität. Außerdem ermöglicht es KISIT den Benutzern, Unterschiede und<br />
Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Formen des Hometrainings festzustellen. Dies<br />
trägt wiederum zur Entwicklung klarer und effektiver Methoden bei. Mittels KISIT können<br />
folgende Informationen registriert werden:<br />
Zu Beginn der Hilfe und während der FollowUp-Zeitpunkte: die demographischen Daten<br />
der Familie und der individuellen Familienmitglieder.<br />
• Zu Beginn der Hilfe und danach zu bestimmten Zeitpunkten: Das Funktionieren der<br />
Familie (VGF), das Funktionieren jedes Kindes (VKF) und die Art der Hilfeleistungs-<br />
Beziehung (VHF) mithilfe dreier Fragenlisten;<br />
• Zu jedem gewünschten Zeitpunkt: die gestellten Behandlungsziele und die Auswertung<br />
dieser Ziele;<br />
• Jede Handlung, die Teil der Behandlung der Familie ist;<br />
• Der Grund für die Beendigung der Behandlung und die allgemeine Beurteilung vom<br />
Familienmitarbeiter über das Resultat.<br />
3 KISIT wurde vom 'Nederlands Instituut voor Zorg en Welzijn' [Niederländischen Institut für Fürsorge und<br />
Gesundheit] in Utrecht und der 'Noordelijke Hogeschool Leeuwarden' [Nördliche Hochschule Leeuwarden]<br />
entwickelt.<br />
38
2.3 BESTIMMUNG VON ZIELEN, PRIORITÄTEN UND ARBEITSPUNKTEN<br />
2.3.1 Formulare<br />
Um zusammen mit dem Familienmitglied Ziele zu setzen und die Arbeitspunkte zu<br />
formulieren, benutzt der Familienmitarbeiter die Formulare `Ziele` und `Arbeitspunkte`<br />
(siehe Anlage 2). Das Familienmitglied erhält eine Kopie davon. Zusammen bilden diese<br />
Formulare nachdem sie ausgefüllt sind, den ersten Plan zur Herangehensweise. Die<br />
Formulare müssen nach 72 Stunden ausgefüllt sein. In den restlichen Tagen und Wochen ist<br />
es möglich und oft sogar wünschenswert, dass neue Probleme, Ziele und Arbeitspunkte<br />
formuliert werden. Neue Informationen können zum Hinzuziehen der Kompetenz-Analyse<br />
führen. Die neuen Ziele und Arbeitspunkte können auf den Formularen, die bereits in<br />
Gebrauch sind, oder auf neue Formulare `Ziele` und `Arbeitspunkte` eingetragen werden.<br />
Die gestellten Ziele und Arbeitspunkte werden nach zwei Wochen ausgewertet: Welche Ziele<br />
wurden erreicht, welche Arbeitspunkte wurden ausgeführt, welche Ziele und Arbeitspunkte<br />
gibt es für die restlichen zwei Wochen? Dies mündet in einen zweiten Plan zur<br />
Herangehensweise.<br />
2.3.2 Setzen von Zielen mit der Familie<br />
Der Familienmitarbeiter erhält vom Überweiser ein Anmeldeformular. Darauf wird unter<br />
anderem beschrieben, was sich nach Meinung des Überweisers in der Familie ändern muss,<br />
um die Sicherheit der Familienmitglieder zu gewährleisten und eine Fremdplatzierung zu<br />
verhindern. Manchmal wird das mit Formulierungen wie vermindern von oder aufhören<br />
mit unerwünschtem Verhalten geschehen, beispielsweise: "Der Vater muss aufhören, seinem<br />
Sohn Disziplin mit körperlicher Gewalt beizubringen." Manchmal wird das Ziel in<br />
allgemeineren Formulierungen beschrieben, beispielsweise: "Die Eltern-Kind-Beziehung in<br />
der Familie muss wiederhergestellt werden." Das sind wichtige Informationen für den<br />
Familienmitarbeiter. Es ist seine Aufgabe, diese Ziele in Rücksprache mit der Familie in<br />
Ausdrücke für erwünschtes Verhalten und möglichst viele konkrete und erreichbare Ziele<br />
zu übertragen, damit sie eine Richtschnur für die Eingriffe in der Familie bilden.<br />
Besprechen der Ziele<br />
Nach ein oder zwei Besuchen hat der Familienmitarbeiter selbst eine Übersicht über die<br />
Probleme und erwünschten Veränderungen, an denen gearbeitet werden kann oder muss.<br />
Er bringt sie in konkrete Formulierungen und legt diese den individuellen<br />
Familienmitgliedern schriftlich vor. Bei den Eltern geschieht das oft gemeinsam. Der<br />
Familienmitarbeiter fragt, ob das betreffende Familienmitglied noch Ergänzungen hat.<br />
Danach werden die inventarisierten Probleme und Wünsche in die Ziele übersetzt, an<br />
denen das Familienmitglied in den kommenden Wochen arbeiten soll. Mögliche Fragen<br />
beim 'Umsetzen' von einem Problem in ein Ziel sind: "Was möchten Sie gern verändern<br />
oder anders haben wollen?" und "Was willst du in den kommenden vier Wochen erreichen,<br />
wodurch dieses Problem oder ein Teil davon gelöst wird?". Die auf der Hand liegende<br />
Antwort ist: "Dass das Problem aufhört". Dann ist es die Aufgabe des Familienmitarbeiters<br />
39
zusammen mit dem Familienmitglied nach positiv formulierten Veränderungen und<br />
Verhaltensweisen, die es erreichen will, zu suchen.<br />
Zum Beispiel: Die Ziele von Margreet Boersma<br />
Die Familie wurde wegen der Verhaltensprobleme von Bram angemeldet. Mutter Margreet hält die<br />
Situation nicht länger aus: sie fordert, dass Bram, ein Junge im Alter von neun Jahren, aus der<br />
Familie herausgenommen wird. In den ersten vier Tagen werden die Probleme in individuellen und<br />
gemeinsamen Gespräche mit Bram, seiner Mutter und seinem Vater und Beobachtungen in der<br />
Familie zu den Zeitpunkten, da die Konflikte zwischen Mutter und Sohn regelmäßig auftreten, wie<br />
beim Essen und beim zu Bett gehen, inventarisiert. Während des dritten Besuchs bei der Familie<br />
legt Petra, die Familienmitarbeiterin, der Mutter die inventarisierten Probleme vor. Sie hat dazu<br />
noch eine kleine Ergänzung. Danach werden zusammen mit der Mutter die Ziele auf ihrem<br />
Formular 'Ziele' formuliert. Einige Ziele haben Bezug sowohl auf das Verhalten von Bram wie auf<br />
das von ihr selbst; andere Ziele nehmen Bezug auf ihre eigene Haltung und das Verhalten und die<br />
Rolle des Vaters.<br />
40
Thema<br />
Ziele<br />
REIHENFOLGE<br />
(1 = höchste Priorität)<br />
Bram tut in manchen<br />
Situationen nicht, worum<br />
wir ihn bitten/wozu wir ihn<br />
auffordern: zu Tisch<br />
kommen, um zu essen; ins<br />
Bett gehen; seine Tasche fürs<br />
Judo packen.<br />
Lernen, Bram deutliche<br />
Anweisungen zu geben<br />
(damit Bram lernt<br />
zuzuhören).<br />
Bram wird manchmal sehr<br />
aggressiv, wenn er böse auf<br />
mich ist: er beginnt mich zu<br />
beschimpfen ('Luder',<br />
'Hure','Schlampe') und<br />
schlägt mich.<br />
Lernen, Bram zu beruhigen,<br />
wenn er böse ist (damit<br />
Bram lernt, etwas ruhig zu<br />
fragen oder zu sagen, wenn<br />
er böse ist).<br />
Bram langweilt sich, wenn<br />
er nicht nach draußen kann;<br />
er kann sich zuhause<br />
schlecht selbst beschäftigen.<br />
Mit Bram herausfinden, wie<br />
er sich zu Hause<br />
beschäftigen kann, wenn er<br />
nicht mit seinen Freunden<br />
draußen spielen kann.<br />
Ich bin manchmal sehr<br />
ungeduldig und<br />
inkonsequent, wenn Bram<br />
nicht tut was ich will: Ich<br />
werde schnell böse und<br />
schreie ihn an; einmal<br />
bestrafe ich ihn, ein anderes<br />
Mal nicht.<br />
Lernen, mehr Geduld zu<br />
haben und konsequenter zu<br />
sein, wenn Bram nicht<br />
gleich tut was ich will.<br />
Mein Mann und ich halten<br />
uns mitunter an<br />
verschiedene Regeln was<br />
Bram betrifft: von mir aus<br />
darf Bram nicht mehr<br />
fernsehen, mein Mann<br />
findet das aber in Ordnung.<br />
Zusammen mit meinem<br />
Mann lernen, bezüglich der<br />
Regeln im Haus an einem<br />
Strang zu ziehen.<br />
Schwerpunkte beim Setzen von Zielen sind:<br />
• Beschreiben Sie das Ziel in Formulierungen beobachtbaren Verhaltens. Aufgrund dessen<br />
kann nachher beurteilt werden, ob ein Fortschritt zu verzeichnen ist. Auch ist für die<br />
Familie und für den Familienmitarbeiter deutlicher, woran genau gearbeitet wird. Das<br />
erhöht die Chance auf Fortschritte.<br />
41
• Beschreiben Sie realistische Ziele. Versuchen Sie die Ziele so zu stellen, dass sie innerhalb<br />
von vier Wochen erreicht werden können. Das ist stimulierend, sowohl für die Familie wie<br />
für den Familienmitarbeiter.<br />
• Formulieren Sie Ziele soviel wie möglich in Bezug auf Kompetenzerweiterung, wobei<br />
angegeben wird, was das Familienmitglied selbst lernen will. Zum Beispiel:<br />
"Vater lernt eine Anzahl verhaltensmäßige Erziehungsfähigkeiten um seine Kinder zu<br />
disziplinieren"; "Abdel lernt, sich an die Hausregeln zu halten"; "Die Eltern lernen, gute<br />
Essgewohnheiten in der Familie einzuführen"; "Mireille lernt, mit ihrer Freundin zu verabreden,<br />
wann sie sich sehen".<br />
2.3.3 Prioritäten setzen<br />
Da der Familienmitarbeiter im Prinzip vier Wochen in einer Familie arbeitet, ist es wichtig,<br />
sich für eine Anzahl Ziele zu entscheiden, die in dieser Zeit erreichbar sind. Zu viele Ziele<br />
oder zu große Ziele wirken demotivierend. Das Setzen von Prioritäten erfolgt im Prinzip<br />
zusammen mit dem Familienmitglied. Zum Beispiel: Die Ziele werden auf Papierstreifen<br />
geschrieben und das Familienmitglied legt sie in der Reihenfolge der Wichtigkeit nach hin.<br />
Der Familienmitarbeiter notiert diese Reihenfolge. Beim Setzen von Prioritäten sind<br />
folgende vier Kriterien wichtig:<br />
1 das Maß, in dem die Familie oder das Familienmitglied durch das Problem belastet wird;<br />
2 das Maß, in dem das Problem die Sicherheit der Familie oder des Familienmitglieds<br />
bedroht, oder anders formuliert: das Maß, in dem das Ziel beiträgt, die Fremdplatzierung<br />
zu verhindern;<br />
3 das Maß, in dem die Familie und der Familienmitarbeiter etwas an dem Problem ändern<br />
können oder in dem das Ziel zu erreichen ist;<br />
4 das Maß, in dem das Ziel an die Kräfte der Familie anschließt.<br />
Meistens gibt die Familie selbst den Zielen in Verbindung mit Sicherheit und zur<br />
Verhinderung der Fremdplatzierung die Priorität. Wenn die Ziele, die von den<br />
Familienmitgliedern ausgewählt werden, unzureichend zur Verhinderung der<br />
Fremdplatzierung beitragen, fängt der Familienmitarbeiter mit den Zielen an, die die<br />
Familie genannt hat. Wenn dann im weiteren Verlauf eine Arbeitsbeziehung entstanden ist,<br />
muss der Familienmitarbeiter mehr lenkend auftreten. Er legt der Familie nochmals das<br />
Ziel der Hilfe von Families First vor, besonders also, zu verhindern, dass ein oder mehrere<br />
Kinder fremdplatziert werden müssen. Der Familienmitarbeiter kann die Familie auch mit<br />
den Zielen und Voraussetzungen konfrontieren, die der Überweiser gestellt hat. Damit<br />
wartet der Familienmitarbeiter nicht länger als eine Woche.<br />
2.3.4 Arbeitspunkte aufstellen<br />
Nachdem die Ziele für die kommende Arbeitsperiode gesezt sind, geht es darum, diese in<br />
Arbeitspunkten zu konkretisieren. Die Ziele, die anhand des Formulars `Ziele` aufgestellt<br />
werden, sind manchmal noch sehr breit, weil sie für die ganze Periode gelten. Um<br />
Arbeitspunkte zu erstellen, ist eine nähere Analyse der Ziele nötig, durch die der<br />
42
Familienmitarbeiter dahinter kommt, welche Probleme und Kompetenz-Aspekte mit dem<br />
Ziel zusammenhängen. Dadurch ist er besser imstande, bei der Formulierung der<br />
Arbeitspunkte soviel wie möglich bei den Fähigkeiten, Kräften und Aufgaben des<br />
Familienmitglieds anzuknüpfen. Im Gegensatz zum globalen Charakter der Kompetenz-<br />
Analyse auf Basis von Entwicklungsaufgaben, werden bei der Kompetenz-Analyse pro Ziel<br />
Aufgaben, Fähigkeiten und Kräfte detailliert analysiert. Die Kompetenz-Analyse pro Ziel<br />
macht der Familienmitarbeiter für sich selbst, und sie besteht aus folgenden Schritten:<br />
1 bestimmen, zu welcher Entwicklungsaufgabe des Familienmitglieds das Ziel Bezug hat;<br />
2 nachgehen, welche Stärken das Familienmitglied hat: seine Fähigkeiten, seine<br />
schützenden Faktoren und seine Belastungsfähigkeit, die genutzt werden können um das<br />
Ziel zu erreichen;<br />
3 nachgehen, mit welchen Problemen, wie zu schwere Aufgaben, stressverursachende<br />
Ereignisse, Pathologie das Familienmitglied in Beziehung auf das Ziel zu tun hat.<br />
Im Schema sieht die Kompetenzanalyse pro Ziel wie folgt aus:<br />
Entwicklungsaufgabe, auf die das Ziel Bezug nimmt:<br />
......................................................................................................<br />
KOMPETENZ<br />
(IN BEZIEHUNG AUF DAS ZIEL)<br />
Fähigkeiten<br />
PROBLEME<br />
(IN BEZIEHUNG AUF DAS ZIEL)<br />
zu schwere Aufgaben /<br />
Fähigkeitsdefizite:<br />
Schützende Faktoren<br />
(soziale Unterstützung):<br />
Stressverursachende Ereignisse:<br />
Belastungsfähigkeit:<br />
Pathologie:<br />
Um eine Kompetenzanalyse für das erste Ziel zu erstellen, muss oft einige Zeit investiert<br />
werden. Das Erstellen einer Analyse für die anderen Ziele wird danach meist schneller<br />
gehen. Erstens weil sich oft mehrere Ziel auf dieselben Entwicklungsaufgaben beziehen.<br />
Zweitens weil schützende Faktoren und Belastungsfähigkeit bei verschiedenen Zielen<br />
genutzt werden können. Auch spielen stressverursachende Ereignisse und Pathologie oft bei<br />
verschiedenen Zielen eine Rolle.<br />
43
Zum Beispiel:<br />
Brian (elf Jahre) geht seit fast einem Jahr nicht mehr zur Schule und läuft regelmäßig von seinen<br />
Eltern weg. Ihm droht Fremdplatzierung. Seine Eltern sind einverstanden, weil es ihnen nicht<br />
gelingt, dass Brian auf sie hört. Families First wird als letzte Möglichkeit eingesetzt, das Problem<br />
zuhause zu lösen, sodass Brian doch zuhause wohnen bleiben kann. Ein Ziel von Brians Eltern ist:<br />
"Brian zu vermitteln, dass er uns zuhört, mit uns überlegt, was er tut und wie spät er nach Hause<br />
kommt." Die Kompetenz-Analyse von Brians Eltern sieht wie folgt aus:<br />
Entwicklungsaufgabe, auf die das Ziel Bezug nimmt:<br />
ERZIEHUNG<br />
KOMPETENZ<br />
(IN BEZIEHUNG AUF DAS ZIEL)<br />
Fähigkeiten:<br />
Mutter kann sehr gut deutlich machen<br />
was sie will und was sie nicht will, Vater<br />
reagiert sehr ruhig, wenn er ärgerlich ist.<br />
Schützende Faktoren<br />
(soziale Unterstützung):<br />
Die Schwester der Mutter unterstützt die<br />
Eltern darin, Brian zuhause wohnen zu<br />
lassen.<br />
Belastungsfähigkeit:<br />
Vater will es immer wieder aufs Neue<br />
probieren, Mutter ist klug, packt schnell<br />
neue Dinge an.<br />
PROBLEME<br />
(IN BEZIEHUNG AUF DAS ZIEL)<br />
zu schwere Aufgaben /<br />
Fähigkeitsdefizite:<br />
Die Eltern sind beide nicht immer<br />
konsequent; wenn Brian sich nicht an die<br />
Regeln hält, bestrafen sie manchmal, zu<br />
anderen Zeitpunkten reagieren sie nicht<br />
darauf; oft haben sie nicht dieselbe Linie.<br />
Stressverursachende Ereignisse:<br />
Brian ist bereits einige Male weggelaufen,<br />
dadurch scheuen sich die Eltern,<br />
Forderungen zu stellen.<br />
Pathologie:<br />
Mutter reagiert sehr angespannt auf<br />
Brians Problemverhalten; es bereitet ihr<br />
schlaflose Nächte. Sie nimmt<br />
beruhigende Arzneien.<br />
Formular Arbeitspunkte<br />
Nachdem der Familienmitarbeiter für sich selbst eine Kompetenz-Analyse gemacht hat,<br />
stellt er zusammen mit dem Familienmitglied die Arbeitspunkte auf. Dazu benutzt er das<br />
Formular `Arbeitspunkte`. Das Formular enthält fünf Schritte, an denen deutlich wird, was<br />
getan werden muss, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die fünf Schritte sind:<br />
1 Beschreibung des Themas oder des Problems:<br />
44
Fragen: Worüber machen Sie sich Sorgen, was belastet Sie? Wann passiert es? Wie oft?<br />
Was passiert vorher? Und was passiert nachher? Was möchten Sie gern verändert sehen?<br />
2 Lösungen, die in der Vergangenheit gut funktioniert haben:<br />
Fragen: Was haben Sie bereits probiert? Was half, um mit dem Problem umzugehen,<br />
wenn es auch nur für eine kurze Zeit war?<br />
3 Ein erster Schritt zum Ziel:<br />
Fragen: Welchen kleinen Teil des Problems können Sie sich zuerst vornehmen? Was<br />
könnte für Sie ein Schritt in die richtige Richtung sein, auch wenn es sich nur ein<br />
bisschen verändert?<br />
4 Starke Punkte: Was kann helfen, das Ziel zu erreichen:<br />
Fragen: Was kann Ihnen helfen das Ziel zu erreichen? Was können Sie tun oder was<br />
haben Sie bereits einmal getan, wodurch es gelingt das Problem zu lösen? Was sind<br />
jemandes potentielle Kräfte: Fähigkeiten, soziale Unterstützung usw.?<br />
5 Die Arbeitspunkte für die nächste Woche:<br />
Frage: Woran arbeiten wir in der nächsten Woche zuerst? Welches sind die Ansatzpunkte<br />
für praktische Hilfe oder die Techniken, mit denen der Familienmitarbeiter Fähigkeiten<br />
vermitteln will?<br />
Beim Durchgehen der verschiedenen Fragen des Formulars `Arbeitspunkte` hat der<br />
Familienmitarbeiter als Hilfsmittel die Kompetenz-Analyse des entsprechenden Ziels im<br />
Kopf und lässt das Familienmitglied selbst Einsicht in seine eigenen Fähigkeiten, Kräfte und<br />
Probleme gewinnen.<br />
Zum Beispiel:<br />
Der Teil des Formulars `Arbeitspunkte` für die Mutter von Brian mit Bezug auf das Ziel Brian zu<br />
vermitteln, dass er zuhört und zu vermitteln, dass er mit seinen Eltern überlegt, was er tut und wo<br />
er hingeht und darüber eine Zeit vereinbart, sieht wie folgt aus:<br />
45
ZIEL: Brian zuhören lehren / ihn lehren, mit seinen Eltern zu überlegen, was er<br />
tut und wo er hingeht und darüber eine Zeit zu vereinbaren.<br />
1 Beschreibung des Themas oder Problems:<br />
Wenn die Eltern Brian Anweisungen geben, hört er nicht. Er bleibt länger weg als<br />
vereinbart. Brian wird dann bestraft. Mutter und der Vormund möchten Brian wegen<br />
des Weglaufverhaltens aus der Familie herausnehmen.<br />
2 Lösungen, die in der Vergangenheit gut funktioniert haben:<br />
Brian Belohnungen in Aussicht stellen (das half schon mal kurz).<br />
3 Ein erster Schritt zum Ziel:<br />
Die Eltern lernen mit Regeln umzugehen und Brian Anweisungen zu geben, Brian lehren,<br />
die Uhr zu lesen.<br />
4 Starke Punkte (was kann helfen, um das Ziel zu erreichen):<br />
Mutter, Vater und Brian wollen, dass Brian zuhause wohnen bleibt. Brian will lernen die<br />
Uhr zu lesen und Brian genießt die Verhaltensübungen (ist sensibel für Belohnungen<br />
und positives Feedback).<br />
5 Die Arbeitspunkte für die nächste Woche:<br />
• Mit den Eltern über die Art und Weise wie sie Brian belohnen und bestrafen<br />
sprechen.<br />
• Den Eltern vermitteln, wie sie das erwünschte Verhalten von Brian verstärken.<br />
• Brian lehren, die Uhr zu lesen: Vater macht zusammen mit Brian eine Uhr und lehrt<br />
ihn 5 Minuten pro Tag die Uhrzeit abzulesen.<br />
Wenn es möglich ist, die Schritte auf dem Formular zusammen mit dem Familienmitglied<br />
durchzugehen und auszufüllen, lernt das Familienmitglied zugleich wie bestimmte<br />
Probleme gelöst und bestimmte Ziele erreicht werden können. Außerdem kann es für ein<br />
Familienmitglied besonders motivierend wirken, an dem betreffenden Ziel zu arbeiten.<br />
Zum Beispiel:<br />
Marco (14 Jahre) wurde bei Families First wegen drohender Fremdplatzierung angemeldet. Infolge<br />
der Probleme mit seinem Bruder waren auch diverse Probleme zwischen Marco und seinen Eltern<br />
entstanden. Marco hatte als eines seiner Ziele gewählt: seinen Drogenkonsum unter Kontrolle zu<br />
halten. Die Arbeit mit dem Formular 'Arbeitspunkte' war sehr erhellend für ihn: er entdeckte, was<br />
er an seinem Problem tun wollte und einige Möglichkeiten das Problem anzupacken. Nachstehend<br />
folgt das ausgefüllte Formular 'Arbeitspunkte'.<br />
46
ZIEL: Drogenkonsum unter Kontrolle halten<br />
1 Beschreibung des Themas oder Problems:<br />
Wenn ich Drogen nehme, werde ich nachlässig und vergesslich. Wenn ich high bin, kann<br />
ich in der Schule nicht aufpassen, habe ich keine Lust zu den Hausarbeiten und bin ich<br />
müde, wenn ich arbeiten soll. Es besteht das Risiko, dass ich von mehr oder schwereren<br />
Drogen abhängig werde.<br />
2 Lösungen, die in der Vergangenheit gut funktioniert haben:<br />
Nicht während der Schulzeit haschen. Nicht haschen bevor ich arbeiten gehe.<br />
Urinkontrolle durch die Eltern; Strafe, wenn ich's doch genommen habe.<br />
3 Erster Schritt zum Ziel:<br />
Nicht in der Schule haschen, nicht unter der Woche haschen.<br />
4 Starke Punkte: was kann helfen, das Ziel zu erreichen:<br />
Ich komme auch ohne Drogen aus, wenn ich keine Drogen nehme, habe ich mehr<br />
Energie und nehme mehr wahr, was um mich herum geschieht. Meine Eltern<br />
kontrollieren, ob ich Drogen genommen habe.<br />
5 Arbeitspunkte für die nächste Woche:<br />
• Aufhören, Drogen während der Schulzeit zu nehmen und bevor ich arbeiten gehe.<br />
• Nein sagen können, wenn andere sie anbieten.<br />
• Etwas anderes tun, wenn ich das Bedürfnis habe, Drogen zu nehmen.<br />
• Zustimmung von meinen Eltern erhalten, am Wochenende haschen zu dürfen.<br />
Das Formular mit den Arbeitspunkten wird Marco gegeben. Danach arbeitet der<br />
Familienmitarbeiter mit Marco an den Arbeitspunkten.<br />
2.3.5 Vom Familienmitarbeiter gesetzte Ziele<br />
Der Ausgangspunkt ist, dass die Ziele gemeinsam ausgewählt und formuliert werden<br />
aufgrund der Probleme, die das Familienmitglied in Worte fasst. In manchen Situationen<br />
kann es vorkommen, dass die Ziele der Familienmitglieder unzureichende<br />
Anknüpfungspunkte bieten, um die gesamte Arbeitsperiode sinnvoll zu bestreiten. Der<br />
Familienmitarbeiter kann beispielsweise bezweifeln, ob die Familienmitglieder ausreichend<br />
kompetent funktionieren, um in der kommenden Zeit miteinander weiterzukommen. Der<br />
Familienmitarbeiter kann sich auch fragen, ob mit der Arbeit an den Zielen die am meisten<br />
relevanten Entwicklungsaufgaben zum Zuge gekommen sind. Darum muss der<br />
Familienmitarbeiter, nachdem er ein oder zwei Wochen mit der Familie gearbeitet hat und<br />
wenn nötig eher, das Formular `Information und Analyse` nochmals hervorholen. Anhand<br />
dessen untersucht er, welche der dort beurteilten Entwicklungsaufgaben seiner Meinung<br />
nach weniger adäquat erfüllt werden und möglicherweise in der nahen Zukunft Probleme<br />
aufwerfen könnten. Der Familienmitarbeiter überprüft für sich selbst, ob diese Beurteilung<br />
noch immer gilt.<br />
47
Zum Beispiel:<br />
Eine Mutter fragt bei allem was sie tut ihre eigene Mutter und übernimmt das danach. Sie gibt dies<br />
nicht als Problem an. Tom, der Familienmitarbeiter, macht sich jedoch Sorgen um die nahe<br />
Zukunft: wie wird es, wenn Mutter einen Freund hat; wie reagieren die Kinder darauf, wenn sie<br />
älter werden; was, wenn 'Oma' wegen ihrer Gesundheit eine weniger aktive Rolle spielen kann;<br />
was, wenn die Mutter mehr ihre eigenen Wege gehen will?<br />
Nachdem der Familienmitarbeiter das Formular `Information und Analyse` zu Rate<br />
gezogen hat, macht er eine Kompetenz-Analyse: Welche Unteraufgaben dieser<br />
Entwicklungsaufgabe sind an der Reihe? Welche werden adäquat erfüllt, welche nicht,<br />
welche Aufgaben werden vermieden? Welchen Einfluss haben Stressoren und schützende<br />
Faktoren? Aufgrund dieser Kompetenz-Analyse kann der Familienmitarbeiter beschließen,<br />
dass ein bestimmtes Thema an die Reihe kommt. Er kann das folgendermaßen tun: Erst<br />
hebt er die positive Entwicklung der Familie hervor und was bis jetzt erreicht ist. Er<br />
benennt, welchen Anteil die Familienmitglieder daran gehabt haben und spricht nochmals<br />
seine Anerkennung dafür aus. Danach gibt er anhand seiner Beobachtungen wieder,<br />
worüber er sich Sorgen macht, sofern es um Fähigkeiten oder Entwicklungsrückstände<br />
geht. Dabei unterscheidet er zwischen der nahen Zukunft, in der er noch keine Probleme<br />
erwartet und dem längerfristigen Zeitraum, in dem durchaus die Chance für Probleme<br />
besteht. Die Absicht dabei ist, dass das Familienmitglied das angezeigte Problem oder das<br />
Fähigkeitsdefizit erkennt. Danach schlägt der Familienmitarbeiter dem Familienmitglied<br />
vor, darauf zu reagieren und bietet ihm an, daraus ein Ziel zu machen, oder "das noch<br />
einmal näher anzuschauen", oder "die restliche Zeit zu nutzen, um zusammen daran zu<br />
arbeiten". Der Familienmitarbeiter sagt beispielsweise zu der Frau, die immer und überall<br />
ihre Mutter um Rat fragt: "Wir können uns einmal ansehen, wie das geht, zu welchen<br />
Dingen Sie gerne den Rat Ihrer Mutter einholen wollen und welche Dinge Sie gerne selbst<br />
entscheiden wollen." Schließlich bittet der Familienmitarbeiter nochmals um eine Reaktion<br />
des Familienmitglieds und macht eventuell einen Plan mit ihm, wie an dem Ziel gearbeitet<br />
werden soll. Manchmal lässt er es offen und sagt: "Denken Sie mal darüber nach, dann<br />
kommen wir bald noch einmal darauf zurück."<br />
Beim Familienmitglied ansetzen<br />
Diese Methode, Ziele zu setzen aufgrund einer kompetenzgerichteten Analyse, weicht etwas<br />
ab davon, wie der Familienmitarbeiter sonst mit Familienmitgliedern zu Zielen gelangt.<br />
Wichtig ist und bleibt, dass der Familienmitarbeiter bei seinem Vorschlag in Bezug auf ein<br />
Ziel soviel wie möglich beim Familienmitglied selbst ansetzt. Indem das Thema fragend<br />
vorgelegt wird, bleibt es das Familienmitglied selbst, das entscheidet, ob an diesem Ziel<br />
gearbeitet wird. Wenn der Familienmitarbeiter selbst die Ziele in Abwesenheit des<br />
Familienmitglieds aufstellt, legt er diese Ziele dem Familienmitglied mündlich oder<br />
schriftlich vor. Selbstverständlich schließen auch in dieser Situation die gestellten Ziele bei<br />
den Problemen und Veränderungswünschen des Familienmitglieds an.<br />
48
2.4 DER EINSATZ VON ZIELKARTEN<br />
Zielkarten sind Hilfsmittel, mit denen systematisch ein Bild der Ziele und Wünsche von<br />
Familienmitgliedern erhalten werden kann. Es gibt eine Version für Eltern, eine für<br />
Jugendliche ab ungefähr 12 Jahren und eine für Kinder von ungefähr 7 bis 12 Jahren. Die<br />
Karten betreffen wichtige Kategorien des täglichen Lebens. Auf jeder Karte steht eine Liste<br />
möglicher Wünsche und Bedürfnisse mit Bezug auf das Thema der Karte.<br />
Beispiel einer Zielkarte für Jugendliche:<br />
ELTERN<br />
Ich möchte gerne:<br />
... von ihnen loskommen / selbständiger sein<br />
... auf eine andere Weise mit ihnen verhandeln<br />
... einen ruhigen Ort finden, weg von dem Trubel<br />
... sie mit ihrem Drogen-/Alkoholkonsum konfrontieren<br />
... weniger hohe Erwartungen an sie stellen<br />
... kommunizieren lernen<br />
... nicht auf negative Weise reagieren<br />
... ihnen meine Gefühle erzählen<br />
... von ihnen verstanden werden<br />
... Wortgefechte mit ihnen vermeiden<br />
... mit körperlicher Gewalt verbundenen Streit vermeiden<br />
... sie nicht bestehlen<br />
... etwas anderes:<br />
Die Arbeit mit Zielkarten gibt systematische und vollständige Informationen zu vielen<br />
Aspekten des täglichen Lebens. Sie strukturiert den Prozess, um zu spezifischen und<br />
wichtigen Zielen zu gelangen. Aus der Arbeit mit den Zielkarten ergeben sich oft auch<br />
kleinere Ziele. Viele davon sind relativ leicht zu erreichen, und das erhöht die Motivation<br />
für Veränderungen. Die Arbeit mit Zielkarten kann auch das Setzen von Prioritäten<br />
erleichtern, sodass die Schritte um ein Problem zu lösen, deutlicher werden. In der Arbeit<br />
mit Zielkarten zeigt der Familienmitarbeiter Vertrauen in die Möglichkeiten des<br />
Familienmitglieds. Das erhöht dessen Motivation und die Hoffnung, das er etwas ändern<br />
kann. Außerdem ermöglicht die Arbeit mit den Zielkarten dem Familienmitglied, sensible<br />
Informationen zu geben ohne direkten Augenkontakt mit dem Familienmitarbeiter zu<br />
haben. Die Karten erweitern den Blick, mit dem Familienmitarbeiter und Familienmitglied<br />
wichtige Themen bestimmen, die sonst durch eine Krisensituatioin aus dem Auge verloren<br />
werden. Mit Zielkarten wird gearbeitet, wenn es nur unzureichend gelingt, Ziele zu stellen,<br />
beispielsweise weil kein Familienmitglied wichtige Probleme oder Veränderungswünsche<br />
nennt. Zielkarten können auch helfen, wenn es mühsam ist, Übereinstimmung über die<br />
Ziele zu erhalten oder die Familie wenig motiviert scheint. Auch wenn ein Kind oder<br />
Jugendlicher wenig Interesse zeigt oder von seinen Eltern überstimmt wird, die für es/ihn<br />
49
die Ziele ausfüllen, kann der Familienmitarbeiter Zielkarten benutzen, um dahinter zu<br />
kommen was der Jugendliche selbst verändern möchte.<br />
Schritte beim Einsatz von Zielkarten<br />
1 Stellen Sie die Zielkarten vor. Geben Sie einen Grund für den Einsatz der Karten an,<br />
beispielsweise: "Sie haben in den letzten Tagen über soviele verschiedene Sachen<br />
gesprochen. Das kann Ihnen ein bißchen den Atem verschlagen, wenn Sie über soviele<br />
verschiedene Dinge nachdenken. Manchmal ist es schwierig zu wissen, wo man anfangen<br />
muss um Probleme zu lösen. Diese Karten bezwecken, Menschen nach verschiedenen<br />
Dingen, die für ihr Leben wichtig sind, schauen zu lassen. Wir schauen, an welchen<br />
wichtigen Dingen wir etwas ändern können".<br />
2 Geben Sie dem Familienmitglied die Karten und einen Stift. Geben Sie den Eltern die<br />
Version für Eltern, einem Jugendlichen die Version für Jugendliche und einem Kind die<br />
Version für Kinder. Sagen Sie, dass die Karten verschiedene Themen haben, die wichtig<br />
für ihn sein können. Auf jeder Karte stehen zu dem Thema verschiedene Dinge, die das<br />
Familienmitglied will oder gerne verändern will. Bitten Sie sie, die Dinge, die sie wollen<br />
oder die ihrer Meinung nach jetzt ein Problem sind, anzukreuzen.<br />
3 Schreiben Sie inzwischen alle angekreuzten Punkte auf einen getrennten Streifen Papier.<br />
4 Bitten Sie das Familienmitglied die Papierstreifen zu unterteilen in:<br />
• 'sehr wichtig'; für Eltern heißt dass: wenn sich an den Dingen nichts ändert, ist das<br />
Risiko auf Fremdplatzierung sehr groß;<br />
• 'wichtig'; für Eltern heißt dass: sie sind wichtig, aber wenn sich an diesen Dingen<br />
nichts ändert, führt das wahrscheinlich nicht zu einer Fremdplatzierung.<br />
• 'weniger wichtig'; das heißt: sie können durchaus noch warten.<br />
5 Wenn dann mehr als acht Zettelchen bei 'sehr wichtig' liegen, bitten Sie das<br />
Familienmitglied, das allerwichtigste getrennt zu legen.<br />
6 Bitten Sie dann darum, den Zetteln, die bei 'sehr wichtig' liegen oder den acht<br />
allerwichtigsten eine Reihenfolge zu geben. Eventuell können die Karten nach<br />
Dimensionen geordnet werden wie die Sicherheit der Kinder; die Sicherheit von<br />
Erwachsenen; das Maß, in dem die Themen dazu beitragen, dass das Kind zuhause<br />
wohnen bleiben kann; das Maß, in dem die Themen unmittelbarer Aufmerksamkeit<br />
bedürfen und das Maß, in dem die Themen nicht mithilfe von jemand anderem als dem<br />
Familienmitarbeiter verwirklicht werden können.<br />
7 Schreiben Sie die fünf bis maximal acht wichtigsten Ziele der Reihe nach auf das<br />
Formular 'Zielkarten'. Bei jedem Ziel wird das Familienmitglied gebeten, eine<br />
Erläuterung zu geben: Was genau wollen Sie? Wenn das Familienmitglied mehr als acht<br />
Ziele 'am wichtigsten' zugeordnet hat, werden diese Ziele auf das Formular geschrieben.<br />
Wenn Ziele negativ gestellt sind (ich will nicht...) oder sehr abstrakt formuliert sind,<br />
besteht die Aufgabe des Familienmitarbeiters darin, diese so weit wie möglich in<br />
konkrete Ziele umzusetzen, die ein erwünschtes Verhalten oder eine zu lernende<br />
Fähigkeit angeben.<br />
50
Zum Beispiel:<br />
Die Familienmitarbeiterin, Stella, schlägt Marco (14 Jahre) vor, mit ihr danach zu sehen, welche<br />
Dinge er in seinem Leben verändern möchte. Marco findet das gut. Die Familienmitarbeiterin legt<br />
die Zielkarten hin: "Es geht nicht um richtige oder falsche Antworten, es geht um Dinge, die du in<br />
deinem Leben gern verändern möchtest." Marco arbeitet alle Karten durch und kreuzt auf jeder<br />
Karte etwa zwei bis vier Punkte an. Auffallend ist, dass er allerlei unerwartete Punkte ankreuzt.<br />
Die Familienarbieterin schreibt inzwischen alle angekreuzten Punkte auf lose Zettel. Marco muss -<br />
nachdem er alle Karten durchgearbeitet hat- die Zettel sortieren nach 'weniger wichtig' (kann noch<br />
warten), 'wichtig' und 'am wichtigsten'. Marco fragt: "Womit beschäftigen wir uns jetzt eigentlich,<br />
wohin führt das?" Die Familienmitarbeiterin sagt, dass er eine sehr gute Frage stellt. Was die<br />
Familienmitarbeiterin erreichen will ist, dass deutlich wird, woran in der nächsten Woche<br />
gearbeitet wird. Dabei ist es wichtig zu wissen, was Marco zuhause ändern will. Nachdem Marco<br />
alle Punkte kategorisiert hat, bittet die Familienmitarbeiterin Marco, den Stapel 'am wichtigsten'<br />
wiederum nach der Wichtigkeit geordnet in eine Reihe zu legen. Danach muss er seinen Stapel 'am<br />
wichtigsten' vorlesen. Zuletzt fragt die Familienmitarbeiterin nach Erläuterungen zu diesen Zielen.<br />
Das Ziel-Karten-Formular sieht schließlich folgendermaßen aus:<br />
51
Ziel<br />
Erläuterung<br />
Reihenfolge<br />
(1 = höchste<br />
Priorität)<br />
Motivation bekommen<br />
Ich will mehr Lust an der Schule haben. Ich<br />
will mehr Motivation für die Hausaufgaben<br />
kriegen.<br />
1<br />
Drogenkonsum unter Kontrolle haben<br />
Ich will nicht abhängig werden, aber ich will<br />
Drogen gebrauchen können und dürfen.<br />
2<br />
Geld leihen<br />
Ich möchte mir Geld leihen, um einen<br />
Trainingsanzug zu kaufen.<br />
3<br />
Ein Mofa kaufen<br />
Ich möchte gern ein Mofa, wenn ich 16 bin.<br />
4<br />
Aufhören zu kämpfen/streiten<br />
Ich will, dass zuhause weniger Streit ist.<br />
5<br />
Mehr Energie bekommen<br />
Ich will nicht so schnell müde werden.<br />
6<br />
Geld haben zum Ausgehen<br />
Ich habe DM 17,50 (Taschengeld) + DM<br />
36,- (Arbeit) pro Woche; wenn ich Drogen<br />
nehme, brauche ich mehr Geld.<br />
7<br />
Die Familienmitarbeiterin sagt, dass sie in der nächsten Woche an den Zielen, die Marco jetzt<br />
genannt hat, arbeiten will. Pro Treffen wird sie ein oder zwei dieser Ziele drannehmen. Marco<br />
bekommt eine Kopie dieses Formulars.<br />
Schwerpunkte beim Einsatz von Zielkarten:<br />
• Planen Sie genug Zeit für die Arbeit mit den Zielkarten ein. Gehen Sie von zwei Stunden<br />
aus, auch wenn es meistens kürzer dauert.<br />
• Versuchen Sie eine Zeit zu planen, in der so ungestört wie möglich durchgearbeitet<br />
werden kann. Nehmen Sie ein Familienmitglied eventuell irgendwohin mit, beispielsweise<br />
zu einem kleinen Mittagessen. Hören Sie auf, wenn das Familienmitglied müde wird und<br />
machen Sie das nächste Mal weiter.<br />
• Versuchen Sie beim Durchgehen der Karten möglichst viele Informationen zu bekommen.<br />
Sprechen Sie dabei mit dem Familienmitglied, fragen Sie nach, damit anlässlich der Arbeit<br />
mit den Zielkarten ein Gespräch entsteht. Die Informationen können ein Bild von<br />
Fähigkeitsdefiziten geben.<br />
• Es kann passieren, dass Familienmitglieder ihre Entscheidungen und Prioritäten ganz<br />
darauf abstimmen, was sie denken, dass der Familienmitarbeiter für wichtig hält. Betonen<br />
Sie, um dies soweit wie mögllich zu verhindern, dass es kein Test ist, es geht nicht um<br />
richtig oder falsch. Es geht um eigene Entscheidungen.<br />
52
2.5 DIE BERICHTERSTATTUNG<br />
Der Familienmitarbeiter macht von jedem Besuch bei der Familie einen kurzen Bericht. In<br />
diesem Bericht kommen folgende Punkte an die Reihe:<br />
1 Datum und Zeit;<br />
2 Ziele und Arbeitspunkte, an denen gearbeitet wurde;<br />
3 Benutzte Techniken;<br />
4 Verlauf oder Wirkung der Techniken;<br />
5 Neue Informationen;<br />
6 Pläne und Absprachen für den nächsten Besuch.<br />
Berichterstattung ist für den Familienmitarbeiter ein wichtiges Mittel, Informationen über<br />
die Familie festzumachen und neue Interventionen zu planen. Die Berichte können bei der<br />
individuellen Arbeitsbegleitung durch den Teamleiter benutzt werden. Berichterstattung<br />
erfolgt durch Eintragungen ins Tagebuch von KISIT oder einfach auf Papier. Die<br />
Berichterstattung zu den Besuchen bilden die 'Arbeitsnotizen' des Familienmitarbeiters und<br />
sind nicht Teil des Dossiers über die Familie. Das bedeutet, dass die Familie formal kein<br />
Einsichtsrecht in die 'Arbeitsnotizen' hat. Übrigens bedeutet das nicht, dass alles was in<br />
dem Bericht steht 'geheim' ist. Der Familienmitarbeiter strebt nach größtmöglicher<br />
Offenheit mit Bezug auf seine Befindlichkeiten zu der Familie und setzt die Familie davon<br />
in Kenntnis.<br />
2.6 ZUSAMMENFASSUNG: VOM ERSTEN KONTAKT ZU DEN ARBEITSPUNKTEN<br />
Schon während der ersten Kontakte mit der Familie beginnt der Familienmitarbeiter mit<br />
dem Aufbau einer Arbeitsbeziehung. Er versucht die Familie zu beruhigen und macht seine<br />
Position in Bezug auf den Überweiser deutlich. Beim Inventarisieren der Probleme<br />
vermeidet es der Familienmitarbeiter Lösungen heranzuziehen, und wählt die Probleme als<br />
Blickwinkel, um Ziele für die kommende Arbeitsperiode zu setzen. Wenn sich<br />
Möglichkeiten zu praktischer Hilfe bieten, nutzt sie der Familienmitarbeiter. Von den ersten<br />
Kontakten an, bei denen der Familienmitarbeiter eine Arbeitsbeziehung aufbaut, beginnt<br />
der Familienmitarbeiter auch, mithilfe des Formulars `Basisinformation` und den<br />
Fragebögen des KISIT Informationen zu sammeln. Aufgrund dieser Informationen macht<br />
der Familienmitarbeiter eine Kompetenz-Analyse und formuliert zusammen mit den<br />
Familienmitgliedern die Ziele, an denen in den kommenden vier Wochen gearbeitet wird.<br />
Als Hilfsmittel für die Familienmitglieder werden dazu Zielkarten benutzt. Danach werden<br />
aus den Zielen Prioritäten ausgewählt und umgesetzt in Arbeitspunkte.<br />
Im Schema:<br />
53
INFORMATION<br />
Inventarisierung von Problemen und Veränderungswünschen<br />
Mittel:<br />
• Aktiv Zuhören und Beobachten<br />
• Zielkarten<br />
• KISIT<br />
• Informationen des Überweisers (Probleme und Ziele)<br />
Formulare: Anmeldeformular, Basisinformation, Ziele und Zielkarten<br />
PROBLEME UND POTENTIELLE KRÄFTE<br />
• In Begriffen beobachtbaren Verhaltens<br />
• In Begriffen von Aufgaben und Fähigkeiten<br />
• In Begriffen von Kompetenz-Erweiterung<br />
ZIELE<br />
• in Formulierungen bezüglich beobachtbaren Verhaltens<br />
• realistisch<br />
• in Formulierungen bezüglich von Kompetenzerweiterung<br />
PRIORITÄTEN SETZEN<br />
Kriterien:<br />
• Maß der Belastung für die Familie (das Familienmitglied)<br />
• Bedrohung der Sicherheit (Fremdplatzierung verhindern)<br />
• Maß, in dem Probleme zu verändern sind<br />
• Anknüpfen bei den Kräften der Familie (des Familienmitglieds)<br />
Formular: Ziele oder Ziel-Karten<br />
ARBEITSPUNKTE<br />
• Ansatzpunkte für materiell und praktische Hilfe<br />
• Techniken (Methoden, um Ziele mittels Fähigkeiten zu erreichen)<br />
Formular: Arbeitspunkte<br />
AUSWERTUNG<br />
54
3 DIE BEOBACHTUNGS- UND<br />
GESPRÄCHSTECHNIKEN<br />
Jeder Familienmitarbeiter muss über eine Anzahl Basistechniken zum Beobachten von<br />
Verhalten und zur Gesprächsführung verfügen. Die Technik 'Beobachten' wird bei jedem<br />
Besuch in der Familie angewendet, weil es unter allen Umständen wichtig ist, ein konkretes<br />
Bild der Ereignisse zu bekommen. Außerdem benutzt der Familienmitarbeiter einige<br />
allgemeine Gesprächstechniken, um Informationen über die Familie zu bekommen. Um<br />
Gespräche zu führen, bei denen Emotionen von Familienmitgliedern eine wichtige Rolle<br />
spielen, wird die spezifische Technik 'Aktiv Zuhören' angewendet. Um spezifisch zu einem<br />
Ereignis nachzufragen, zu dem Verhalten dabei und den Folgen davon, gibt es die Technik<br />
'Beobachten aus zweiter Hand'.<br />
3.1 BEOBACHTEN<br />
Beobachten von Verhalten ist ein wesentlicher Teil von Families First, weil es dem<br />
Familienmitarbeiter ein konkretes Bild der Situation gibt und die Möglichkeit bietet, dem<br />
Familienmitglied Feedback zu geben. Beobachtungen sind auch für die Teambesprechung<br />
mit Kollegen wichtig. Ein Familienmitarbeiter beobachtet während der Arbeit mit der<br />
Familie ständig. In manchen Fällen ist es notwendig, die Beobachtung zu verschärfen,<br />
beispielsweise wenn starke Emotionen, Probleme,Streit und krisenhafte Situationen zur<br />
Sprache kommen, aber auch gerade, wenn es gut geht und sich die Familienmitglieder bei<br />
ihrem Tun besonders gut verhalten. Beim Beobachten muss immer ein Unterschied<br />
gemacht werden zwischen dem was wahrnehmbar ist und der Interpretation davon. Eine<br />
Diskussion aufgrund von Interpretationen ist meistens nicht sinnvoll.<br />
Zum Beispiel:<br />
Familienmitarbeiter: "Sie erzählten, dass gestern etwas mit Peter passiert ist. Was war los?"<br />
Vater: "Ja, der Junge hat da gestern wieder einen Trümmerhaufen angerichtet!"<br />
Familienmitarbeiter: "Was ist denn passiert?" Vater: "Nun, wieder das alte Lied, he? Du läßt ihn<br />
eben allein im Zimmer und in kürzester Zeit macht er da wieder ein riesengroßes Durcheinander,<br />
mit allen Folgen, die das hat. Gestern auch wieder. Ich war eben allein bei den Nachbarn, komme<br />
zurück und Lianne kommt mir heulend entgegen. Peter sah mich noch nicht und ich hörte ihn<br />
noch sagen: 'Dummes Weib, ich krieg dich schon noch!' Es war also deutlich, dass Peter Radau<br />
machte. Übrigens war auch das Zimmer der reinste Trümmerhaufen; überall Lego, das<br />
Puppenhaus war umgekippt. Ich finde das wieder typisch für Peter. Er nutzt die Situation aus,<br />
sobald ich nicht da bin, bestimmt er über Lianne. Er will immer den Boss spielen. Nun, und Lianne<br />
ist natürlich eine leichte Beute." Familienmitarbeiter: "Ja, aber was ist denn nun genau passiert?"<br />
Die letzte Frage des Familienmitarbeiters ist berechtigt, denn das Einzige was er bis jetzt zu<br />
hören bekommen hat, sind Charakterisierungen von den zwei Kindern. Aber was genau<br />
passiert ist, weiß er noch nicht. Darum hält man sich besser an Dinge, die konkret<br />
wahrgenommen werden und über die meistens keine großen Diskussionen möglich sind.<br />
55
Der Familienmitarbeiter muss verhindern, dass er die Ereignisse unter Einfluss seiner<br />
eigenen Emotionen interpretiert. Das heißt jedoch nicht, dass seine eigenen Gefühle nicht<br />
Gegenstand von Beobachtung sein dürfen. Sein eigenes Gefühl ist ein wichtiges Hilfsmittel<br />
bei der Beurteilung und Beobachtung der Ereignisse im alltäglichen Leben. Die<br />
Beobachtung des eigenen Gefühls - beispielsweise dass irgendetwas nicht stimmt - bildet<br />
dann eine zusätzliche Information neben der Beobachtung der Ereignisse. Es kann<br />
beispielsweise passieren, dass sich der Familienmitarbeiter mit einer Mutter und ihrem<br />
Freund unterhält und sich dabei nicht wohl fühlt, obwohl auf den ersten Blick nichts<br />
besonderes auffällt. Der Familienmitarbeiter fasst das unbehagliche Gefühl als Signal auf, zu<br />
beobachten, und dann bemerkt er beispielsweise, dass die Mutter ihrem Freund ständig ins<br />
Wort fällt. Mit der Interpretation der Gefühle von Kindern muss der Familienmitarbeiter<br />
sehr vorsichtig sein. In den Familien von Families First begegnet er regelmäßig Kindern, die<br />
andere Gefühle haben als durchschnittliche Kinder ihres Alters.<br />
Zum Beispiel:<br />
Ein Mädchen hat von seiner Mutter gehört, dass sie an diesem Wochenende ihren Vater nicht<br />
besuchen wird. Der Familienmitarbeiter beobachtet, dass das Mädchen anfängt zu weinen und<br />
denkt, sie ist traurig, aber das muss nicht der Fall sein. Sie kann auch weinen, weil sie böse ist; sie<br />
kriegt ihren Willen nicht, denn sie wollte an diesem Wochenende zu ihrem Vater, um auf die<br />
Kirmes zu gehen.<br />
3.1.1 Regeln für das Beobachten<br />
Das Beobachten hält sich an zwei Faustregeln:<br />
1 Beschreiben Sie die Beobachtung soviel wie möglich in Begriffen wahrnehmbaren<br />
Verhaltens. Vermeiden Sie Interpretationen, sagen Sie also nicht: "Patrick meckert wieder",<br />
sondern berichten Sie deutlich, was Sie gesehen haben.<br />
2 Unterteilen Sie das Geschehen, das Sie beobachtest in möglichst viele getrennte<br />
Ereignisse.<br />
Man neigt dazu, bei Beobachtungen in viel zu großen "Brocken" zu denken, es ist aber<br />
besser, das Geschehen schrittweise auseinanderzunehmen. Eine schrittweise Beobachtung<br />
ist eine Beschreibung von Ereignissen, die nacheinander stattfinden und die zusammen das<br />
ganze Geschehen bilden.<br />
Zum Beispiel:<br />
Die Mutter bat Bianca, beim Aufwaschen zu helfen. Bianca reagierte sofort böse und sagte mit<br />
harter Stimme: "Hör auf zu quengeln, tu's selber, Mensch!". Danach schlug sie die Tür zu und<br />
rannte in ihr Zimmer.<br />
Beim Beobachten muss geachtet werden auf die Körperhaltung, den Gesichtsausdruck, den<br />
Ton, in dem gesprochen wird, die Reihenfolge der Ereignisse, die Häufigkeit: wie oft kommt<br />
das Verhalten vor; und die Intensität: wie lange hält das Verhalten an? Weil Verhalten oft<br />
komplex ist und viele Dinge zugleich geschehen, ist es gut, beim Beobachten an drei Fragen<br />
zu denken:<br />
56
1 In welcher Situation findet das Verhalten statt? Das heißt: was passierte bevor die<br />
Situation entstand, womit war jeder beschäftigt, wo und wann fand das Verhalten genau<br />
statt, wer war dabei, welche Aufgabe hatte die Person zu erfüllen und kamen Stressoren<br />
oder schützende Faktoren vor, mit anderen Worten: wurde sie durch irgendetwas<br />
behindert oder wurde es ihr gerade leichter gemacht?<br />
2 Was ist das Verhalten? Was tut das Familienmitglied und was tut er gerade nicht? Wie ist<br />
seine Körperhaltung: was tut er mit seinen Händen, wie bewegt er sich? Was für einen<br />
Gesichtsausdruck hat er? Besteht Augenkontakt; schaut er jemanden an während er<br />
spricht? Wie bewegt er seinen Mund. Was genau sagt das Familienmitglied und was sagt<br />
er nicht, obwohl es an ihm liegt, davon zu sprechen. In welchem Ton sagt jemand etwas<br />
und welche anderen Geräusche macht er?<br />
3 Was für Folgen gibt es? Wohin führt das Verhalten? Wie reagiert jemand anderes auf das<br />
Verhalten? Wird jemand durch das Verhalten ermutigt oder gerade entmutigt?<br />
3.2. ALLGEMEINE GESPRÄCHSTECHNIKEN<br />
Bei Kontakten mit der Familie benutzt der Familienmitarbeiter allgemeine<br />
Gesprächstechniken um Informationen zu sammeln. Mithilfe der Gesprächstechniken<br />
ermutigt der Familienmitarbeiter die Familienmitglieder mit ihm zu sprechen.<br />
Gesprächstechniken spielen auch eine große Rolle beim Aufnehmen von Kontakten und<br />
dem Aufbau einer Arbeitsbeziehung mit der Familie. Bei einer guten Anwendung der<br />
Gesprächstechniken ist der Familienmitarbeiter ein Modell für die Familie, weil er zeigt, wie<br />
man auf effektive Weise miteinander kommunizieren kann. Die allgemeinen<br />
Gesprächstechniken sind:<br />
Eine einladende Körperhaltung und ein unbedrohlicher Augenkontakt<br />
Die verbale Aktivität des Familienmitglieds wird durch die Körperhaltung des<br />
Familienmitarbeiters stimuliert, der vornübergebeugt mit seinen Schultern in der Richtung<br />
des Familienmitglieds sitzt und freundlich schaut. Die Haltung des Familienmitarbeiters ist<br />
nicht defensiv, das heißt: er sitzt nicht mit übereinandergeschlagenen Beinen oder<br />
verschränkten Armen da. Das Gefühl von Sicherheit kann erhöht werden, indem man in<br />
einem Winkel von 90 Grad zueinander sitzt: das Familienmitglied hat dann die<br />
Möglichkeit, mit dem Familienmitarbeiter Augenkontakt zu halten, kann den Blick aber<br />
auch abwenden.<br />
Guter Augenkontakt bedeutet, dass das Familienmitglied, ohne ihn anzustarren, regelmäßig<br />
angesehen wird.<br />
Ermutigen und Nicken<br />
Einschiebsel wie: 'Ja,ja ...', 'Genau!' und 'Aha ...' müssen im richtigen Augenblick benutzt<br />
werden, das heißt: direkt nachdem der andere ausgesprochen hat.<br />
57
Stille zulassen<br />
Der Familienmitarbeiter muß schweigen, Stille zulassen können. Stille gibt dem<br />
Familienmitglied die Möglichkeit, kurz darüber nachzudenken, worüber er noch mehr<br />
erzählen möchte. Bei Stille während eines Gesprächs wird in den meisten Fällen einer der<br />
Gesprächspartner innerhalb von zehn Sekunden reden. Wenn ein Familienmitarbeiter Stille<br />
zuläßt, wird das Familienmitglied sicher weitermachen und erklären oder Vorbilder geben,<br />
von dem, worüber er gerade gesprochen hat.<br />
Frage nach Erläuterung<br />
Der Familienmitarbeiter fragt nach einer Erklärung, wenn ihm etwas nicht deutlich ist.<br />
Beispielsweise fragt er: "Können Sie das verdeutlichen?", "Kannst du darüber etwas mehr<br />
erzählen?", "Können Sie ein Beispiel dazu geben?", "Wieso?" und "Entschuldigung, das<br />
verstehe ich nicht. Können Sie das erklären?". Lassen Sie die Stille zu, wenn das<br />
Familienmitglied nicht sofort antwortet. Beim Fragen nach Meinungen lautet die<br />
'Eröffnungsfrage': "Was halten Sie von / Wie finden Sie ...?" und nicht "Was denken Sie von<br />
...? Das Verb 'finden' gibt eine Tätigkeit an, die zwischen denken und fühlen liegt. Die Frage<br />
"Was ist ...?" kann dem Familienmitglied das Gefühl geben, eine Prüfung ablegen zu<br />
müssen.<br />
Stellen von offenen, geschlossenen und Mehrwahlfragen<br />
Um dem Familienmitglied einen Spielraum zu geben und um zu verhindern, dass der<br />
Familienmitarbeiter jemandes Geschichte ausfüllt, stellt er möglichst viele offene Fragen<br />
("Wie ...?", "Was ...?"). Offene Fragen sind am Anfang oft allgemein und werden danach<br />
spezifischer. Mehrwahlfragen und geschlossene Fragen werden benutzt, um etwas Spezielles<br />
zu fragen. Mehrwahlfragen und geschlossene Fragen können auch benutzt werden, um dem<br />
Familienmitglied zu helfen sich etwas nuancierter auszudrücken. Manche<br />
Familienmitglieder finden alles 'schon gut', 'normal' oder 'ganz nett'. Manchmal kann der<br />
Familienmitarbeiter ein Familienmitglied in solchen Situationen mit Mehrwahlfragen oder<br />
geschlossenen Fragen aus der Reserve locken. Bei Mehrwahlfragen legt der<br />
Familienmitarbeiter dem Familienmitglied einige Antwortmöglichkeiten vor, aus denen er<br />
wählen kann. Oft wird ein Familienmitglied durch verschiedene Wahlmöglichkeiten<br />
stimuliert, weiterzuerzählen. Wenn eine Familienmitglied offene Fragen mühsam findet,<br />
kann der Familienmitarbeiter vorschlagen, mit geschlossenen Fragen zu arbeiten; Fragen,<br />
auf die das Familienmitglied mit 'ja' oder 'nein' antworten muss. Manchmal bringt eine<br />
geschlossene Frage das Gespräch einen Schritt weiter: Das Familienmitglied kann danach<br />
wieder etwas leichter erzählen und Antwort auf offene Fragen geben.<br />
Zum Beispiel:<br />
•Allgemein, offen: "Können Sie etwas über ... erzählen?", "Wie ist im Augenblick der Kontakt<br />
mit ...?";<br />
•Spezifisch, offen: "Was findest du beschwerlich an ...?", "Was gefällt dir ...?", "Können Sie<br />
erzählen, was Sie davon halten?", "Was passierte, als Sie ... das letzte Mal gesehen haben?";<br />
58
•Mehrwahl: "Warst du da mit deiner Mutter allein, oder waren noch andere dabei?", "War das<br />
letzte Telefongespräch kürzer, genauso lang oder länger als sonst?", "Dein Bruder wohnt nicht<br />
mehr zuhause. Findest du das schade, macht es dir nichts aus oder freust du dich eigentlich<br />
darüber?";<br />
•Geschlossen: "Hast du letzte Woche noch mit ... telefoniert?", "Haben Sie jemand, dem Sie<br />
vertrauen können?", "... wurde gehörig böse, hast du dich da nicht fürchterlich erschrocken?".<br />
Im Idealfall wechselt der Famillienarbeiter offene, Mehrwahlfragen und geschlossene<br />
Fragen gut miteinander ab. Ein Familienarbieter muss allerdings nicht nur daran denken,<br />
welche Fragen er stellen wird und das Gespräch in Gedanken vorwegnehmen, er muss<br />
zugleich auch zuhören. Darum muss er aufpassen, keine zwei Fragen zugleich zu stellen<br />
und der Antwort, die er auf seine Frage erhält, zuzuhören.<br />
Beobachten non-verbaler Signale<br />
Außer der sprachlichen Botschaft, die sie aussenden, gebrauchen die Familienmitglieder<br />
auch andere, non-verbale Ausdrucksformen: Ihre Intonation, ihre Mimik, ihr<br />
Gesichtsausdruck, Gesten, Schulterzucken, und so weiter. Die Interpretation einer Reaktion<br />
auf non-verbales Verhalten erfolgt darum am besten in drei Schritten. Zuerst erzählt der<br />
Familienmitarbeiter dem Familienmitglied, was er ihn tun sah und hörte. Danach erzählt<br />
er, was für eine Schlußfolgerung er, unter Vorbehalt, aus diesem Verhalten zieht. Schließlich<br />
fragt er, ob die Schlußfolgerung oder Unterstellung stimmt.<br />
Zusammenfassen des Inhalts<br />
Durch regelmäßige Zusammenfassungen kann der Familienmitarbeiter das Gespräch<br />
strukturieren und überprüfen, ob er das Familienmitglied richtig verstanden hat. Eine gute<br />
Zusammenfassung ist kurz und spezifisch, erfasst den Kern der Darlegung, gibt Synonyme,<br />
und wird in fragendem (evokativem) Ton präsentiert. Bei einer Zusammenfassung können<br />
Formulierungen gebraucht werden wie "Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ...", "Sie sind<br />
der Meinung, dass ..." oder "Du hast das Gefühl, dass ...". Nicht richtig ist: "Sie glauben zu<br />
sagen, dass ...". Das kann bei dem Familienmitglied den Eindruck wecken, der<br />
Familienmitarbeiter finde, dass es nicht deutlich ist.<br />
3.3. AKTIV ZUHÖREN 4<br />
Eine Methode des Zuhörens, die Familienmitarbeiter oft anwenden, ist das 'Aktive<br />
Zuhören' (Thomas Gordon), auch 'Reflexiv Zuhören' (Carl Rogers) genannt.<br />
Charakteristisch für 'Aktives Zuhören' ist, dass es sich auf die Wiedergabe von Gefühlen<br />
richtet. Beim 'Passiven Zuhören' ist der Hilfeleistende damit beschäftigt, jemanden zum<br />
Weitererzählen zu stimulieren. Das tut er, indem er kleine Geräusche von sich gibt (hmmm<br />
hmmm), zustimmend nickt, erstaunt reagiert (so? nun nun) oder einladende Fragen stellt<br />
4 Entnommen aus Hans Janssen: Als praten bij je werk hoort. Gespreksvaardigheid voor hulp- en dienstverleners<br />
(1987) / Wenn Sprechen zu Ihrem Beruf gehört. Fähigkeit zum Gespräch für Hilfe- und Dienstleistende<br />
59
(Möchten Sie darüber noch etwas mehr erzählen? Wie ist das nun genau?). Bei 'Passivem<br />
Zuhören' ist das Engagement des Hilfeleistenden viel geringer als bei 'Aktivem Zuhören'.<br />
'Aktiv Zuhören' ist eine Form des 'zwischen den Zeilen Hörens': der Familienmitarbeiter<br />
hört vor allem auf die unausgesprochenen und halbausgesprochenen Emotionen und<br />
Erlebnisse des Familienmitglieds und fasst diese für ihn in Worte. Anders gesagt: Der<br />
Familienmitarbeiter 'gibt zurück', was für einen Eindruck er vom Erleben, der Emotion,<br />
dem Bedürfnis des Familienmitglieds hat. Der aktiv zuhörende Familienmitarbeiter reagiert<br />
also nicht allein auf den Inhalt der Botschaft, sondern auch auf das, was dahinter liegt -<br />
oder was der Familienmitarbeiter dahinter zu hören meint. Mit 'Aktivem Zuhören'<br />
versucht der Familienmitarbeiter einem Familienmitglied mit einem emotional beladenen<br />
persönlichen Problem zu helfen, seine eigenen Emotionen, sein eigenes Erleben und seine<br />
eigenen Bedürfnisse wiederzuerkennen und sie in den Griff zu bekommen. Dadurch wirken<br />
sie nicht länger blockierend bei der Suche nach Lösungen. 'Aktiv Zuhören' ist also eine<br />
Form von "dem anderen helfen, sich selbst zu helfen". 'Aktiv Zuhören' ist wichtig, weil sich<br />
Familienmitglieder dadurch besser verstanden fühlen. Menschen, die sich verstanden<br />
fühlen, werden im Allgemeinen ruhiger. 'Aktiv Zuhören' hilft den Familienmitgliedern, ihre<br />
Gefühle und Wünsche zu ordnen und legt dadurch die Basis, um Entscheidungen treffen zu<br />
können. 'Aktiv Zuhören' führt auch dazu, dass Familienmitglieder selbst eher bereit sind<br />
zuzuhören; sie sind offener für die Ansicht des Familienmitarbeiters. Das ist eine wichtige<br />
Voraussetzung für den Familienmitarbeiter, der seine Beobachtungen mit der Familie teilen<br />
möchte und ihnen vermitteln will, wie sie bestimmte Dinge auf eine neue Weise tun<br />
können.<br />
Reflektieren von Gefühlen<br />
Ein spezifisches Kennzeichen der Technik des 'Aktiven Zuhörens' ist das Reflektieren von<br />
Gefühlen. Bei 'Aktivem Zuhören' werden Tatsachen mit unausgesprochenen und<br />
halbausgesprochenen Emotionen und Erlebnissen des Familienmitglieds kombiniert.<br />
Der Familienmitarbeiter reagiert nicht allein auf die sogenannte 'Inhaltsebene', sondern<br />
gibt auch wieder, was er auf der sogenannten 'Bezugsebene' wahrnimmt, das heißt: alles<br />
was seiner Meinung nach hinter den Tatsachen zu hören ist. Eine Reflexion muss ein Gefühl<br />
wiedergeben, keine Analyse. Wenn Menschen aufgeregt sind, muss man sie erst beruhigen<br />
bevor an ihre Rationalität appelliert werden kann.<br />
Eine Reflexion enthält drei Komponenten:<br />
1 'Du' oder 'Sie';<br />
2 das Gefühl, die Emotion oder den Gedanken;<br />
3 die Situation.<br />
Schritt für Schritt sieht es so aus, wenn eine Reflexion zurückgegeben wird:<br />
1 Die sprachliche Botschaft und die non-verbalen Signale, die ein Familienmitglied<br />
aussendet, werden vom Familienmitarbeiter analysiert. Er untersucht für sich selbst, was<br />
das Familienmitglied nicht allein auf der inhaltlichen Ebene, sondern auch auf der<br />
60
Bezugsebene deutlich zu machen versucht.<br />
2 Dadurch entsteht beim Familienmitarbeiter ein Eindruck vom Erleben des<br />
Familienmitglieds.<br />
3 Diesen Eindruck gibt der Familienmitarbeiter dem Familienmitglied zurück. Fragend,<br />
denn der Eindruck kann falsch sein: Möglicherweise hat der Familienmitarbeiter nicht<br />
richtig entziffert oder er hat seinen Eindruck nicht in die richtigen Worte gefasst.<br />
Zum Beispiel:<br />
Ein Mutter fühlt sich traurig und machtlos, weil es ihr nicht gelingt, die Kinder nett miteinander<br />
spielen zu lassen. Die Mutter sagt zu dem Familienmitarbeiter: "Das war wieder etwas heute:<br />
ständiges Gezeter und Geschrei. Was ich auch tue, sie hören nicht." Sie seufzt, zieht die Schultern<br />
hoch und schlägt die Augen nieder. Eine Reaktion des Familienmitarbeiters könnte sein: "Sie fühlen<br />
sich traurig, weil sich die Kinder heute gestritten haben. Sie haben das Gefühl, dass es egal ist, was<br />
Sie tun. Stimmt das?"<br />
Formulierungen, die der Familienmitarbeiter gebrauchen kann, wenn er seinen<br />
Beobachtungen traut und das Familienmitglied offen für sie ist:<br />
Sie fühlen ..., es scheint Ihnen ..., so wie du das siehst ..., Sie finden/denken/glauben ..., was ich dich<br />
sagen höre ..., Sie sind ...[Gefühl, beispielsweise ärgerlich, traurig], du findest ... nett/nicht nett.<br />
Formulierungen, die der Familienmitarbeiter gebrauchen kann, wenn er an seinen<br />
Interpretationen zweifelt oder wenn das Familienmitglied für sie nicht offen zu sein<br />
scheint:<br />
Könnte es sein, dass ...; ich frage mich, ob ...; ich weiss nicht genau, ob ich recht habe, aber ...;<br />
verbessern Sie mich, wenn ich mich irre, aber ...; ist es möglich, dass ...; könnte es sich darum<br />
handeln: Sie ...; so wie ich es sehe ...; es scheint, dass du ...; es scheint, dass du dich ... fühlst;<br />
vielleicht fühlst du ...; besteht die Chance, dass Sie ...; mal sehen, ob ich dich verstehe; du/Sie ...<br />
Gebrauch der Technik 'Aktiv Zuhören'<br />
Die Technik 'Aktiv Zuhören' ist vor allem in Situationen wichtig, in denen<br />
Familienmitglieder beruhigt werden müssen und in denen viele Emotionen im Spiel sind,<br />
wie am Anfang der Arbeitsperiode. Danach beachtet der Familienmitarbeiter während der<br />
ganzen Arbeitsperiode aufmerksam Situationen, in denen Emotionen und Gefühle eine<br />
Rolle spielen und in denen die Technik 'Aktiv Zuhören' benutzt werden kann.<br />
'Aktiv Zuhören' wird unter folgenden Voraussetzungen benutzt:<br />
• es muss sich um ein Problem handeln, bei dem Emotionen und Bedürfnisse eine wichtige<br />
Rolle spielen;<br />
• der Familienmitarbeiter muss bereit sein, wirklich zu helfen;<br />
• es muss genügend Zeit sein;<br />
• der Familienmitarbeiter muss seine eigenen Gefühle, sein Erleben und seine Bedürfnisse<br />
zeitweise 'auf Eis legen';<br />
• der Familienmitarbeiter muss darauf vertrauen, dass das Familienmitglied in der Lage ist,<br />
61
eigene Probleme zu lösen oder damit umzugehen.<br />
Häufige Fehler beim 'Aktiv Zuhören' sind:<br />
• Papagei spielen, das heißt: Nachplappern was der Gesprächspartner gesagt hat: 'Aktiv<br />
Zuhören' beinhaltet nicht, dass der Familienmitarbeiter buchstäblich wiederholt, was der<br />
andere gesagt hat, sondern dass er Schlussfolgerungen über die Bedeutung hinter den<br />
Worten des anderen anbietet;<br />
• vorwegnehmen oder hinzufügen, das heißt, aufgrund der eigenen Interpretation<br />
weiterführen was der andere gesagt hat;<br />
• zurückbleiben oder weglassen, das heißt auf weniger wichtiges Erleben eingehen und<br />
nicht auf das wichtigste;<br />
• Gefühle verleugnen oder bagatellisieren; wenn die Echtheit oder Intensität der Emotionen<br />
anderer nicht erkannt wird, steigt deren Intensität.<br />
3.4 BEOBACHTEN AUS ZWEITER HAND<br />
Wenn der Familienmitarbeiter ein Geschehen beobachtet, das sich in seiner Anwesenheit<br />
abspielt, beobachtet er 'aus erster Hand'. Im täglichen Leben einer Familie spielen sich<br />
jedoch viele Dinge ab, bei denen der Familienmitarbeiter nicht dabei ist. Um ein gutes Bild<br />
zu bekommen, was genau geschehen ist, muss er auch Entwicklungen im Auge behalten.<br />
Dazu wird 'Beobachten aus zweiter Hand' benutzt.<br />
Die Technik 'Beobachten aus zweiter Hand' ist eine Gesprächstechnik, die der<br />
Familienmitarbeiter einsetzt, wenn es nötig ist, spezifische Informationen über Situationen,<br />
Ereignisse, Verhaltensweisen und Folgen zu bekommen. Wenige Menschen erzählen ihre<br />
Geschichten ordentlich und in der richtigen Reihenfolge, schon gar nicht, wenn sie<br />
emotionalisiert sind. Meistens spricht ein Familienmitglied erst über das Verhalten und die<br />
Folgen. Wenn nicht explizit nach der Situation gefragt wird, in der alles stattfand, wird<br />
darüber nichts erzählt. Der Familienmitarbeiter muss darum seine Fragen so stellen, dass<br />
ein deutliches Bild der Ereignisse, der Situation, des Verhaltens und der Folgen entsteht.<br />
Dieses Bild muss schließlich so deutlich sein, dass er es andere nachspielen lassen kann.<br />
Die Technik 'Beobachten aus zweiter Hand' wird immer in Kombination mit den<br />
allgemeinen Gesprächstechniken benutzt und nach den Regeln des Beobachtens<br />
angewendet. Mit anderen Worten: es geht möglichst viel um wahrnehmbares Verhalten und<br />
besondere Ereignisse; Aufmerksamkeit erhalten die Häufigkeit, Dauer und Intensität von<br />
Verhalten und die Situation, in der das Verhalten stattgefunden hat und die Folgen. Bei der<br />
Beobachtung einer längeren Periode ist die 'Zeitleisten-Methode' ein gutes Hilfsmittel. Nach<br />
dieser Methode beginnt der Familienmitarbeiter am Anfang der Periode und geht die ganze<br />
Periode nach und nach durch. Wenn er auf ein besonderes Ereignis stößt, fragt er gezielt<br />
weiter nach.<br />
Zum Beispiel:<br />
Chantal kommt mit der Mitteilung herein, dass sie "nie mehr in diese beschissene Schule geht". Es<br />
ist deutlich, dass etwas passiert ist. Wenn ein Familienmitarbeiter mithilfe der Zeitleisten-Methode<br />
62
eobachtet, fragt er zuerst: "Okay, du bist um halb neun aus dem Haus gegangen. Ist auf dem<br />
Schulweg noch etwas besonderes passiert?" Chantal antwortet. Dann fragt der Familienmitarbeiter:<br />
"In der ersten Stunde hattest du, glaube ich, Gymnastik. Ist da noch etwas passiert?", und so weiter.<br />
Eine Beobachtung aus zweiter Hand wird oft mit einer einleitenden Bemerkung begonnen.<br />
Dies bringt mehr Struktur in das Gespräch. Das ist für den anderen, wie auch für den<br />
Familienmitarbeiter selbst angenehm. Es ist gut, diese Bemerkung mit einer kurzen<br />
Erklärung zu ergänzen, in der etwas über den Grund gesagt wird. Zum Beispiel: "Ja, das ist<br />
schon etwas, wenn man das so hört. Findest du es gut, wenn ich noch ein paar Fragen<br />
stelle? Das ist wichtig für mich, um ein gutes Bild zu bekommen, was passiert ist. Danach<br />
kann ich dann mit dir zusammen sehen, wie du das lösen kannst.<br />
"Oder: "Wie gut! Das ist aber sehr schön für Sie! Nun müssen Sie mir aber noch ein paar<br />
Dinge erzählen, denn ich möchte gern alles wissen."<br />
3.5 CHECKLISTEN FÜR DIE BEOBACHTUNGS- UND GESPRÄCHSTECHNIKEN<br />
Regeln für das Beobachten<br />
• Halten Sie sich an zwei Faustregeln:<br />
- Beschreiben Sie die Beobachtung in Begriffen wahrnehmbaren Verhaltens;<br />
- Unterteilen Sie die Beobachtung in getrennte Ereignisse.<br />
• Behalten und beschreiben Sie die Situation, in der sich das Verhalten zeigt. Also: wo ist das<br />
Familienmitglied, womit beschäftigt es sich, wie spät ist es, was passierte kurz vor dem<br />
Verhalten?<br />
• Geben Sie eine tatsächliche Beschreibung vom Verhalten des Familienmitglieds. Was tut er<br />
und was gerade nicht? Was wird gesagt? Wie lange dauert das Verhalten, und so weiter?<br />
• Beschreiben Sie die Folgen des Verhaltens. Hat das Verhalten, erwünschte, unerwünschte<br />
oder gar keine Folgen? Was passiert kurz nach dem Verhalten des Familienmitglieds? Wie<br />
reagieren die anderen in dieser Situation? Was für ein Verhalten des Familienmitglieds<br />
folgt?<br />
• Wie oft kommt es vor? Wie lang dauert es?<br />
Allgemeine Gesprächstechniken<br />
• auf eine einladende Körperhaltung und nicht bedrohlichen Augenkontakt achten<br />
• ermutigen und nicken<br />
• Stille zulassen<br />
• nach Erläuterungen fragen<br />
• offene, geschlossene und Mehrwahlfragen stellen<br />
• nonverbale Signale beobachten<br />
• den Inhalt zusammenfassen<br />
63
Aktiv Zuhören<br />
Schritte einer Reflexion:<br />
1 die Botschaft sowohl auf inhaltlicher wie auf Bezugsebene analysieren;<br />
2 gewinnen Sie einen Eindruck von der Art und Weise, wie ein Familienmitlied etwas<br />
erlebt;<br />
3 formulieren Sie den Eindruck in einer Frage an das Familienmitglied.<br />
Voraussetzungen zum Gebrauch der Technik:<br />
• Emotionen oder Bedürfnisse spielen bei dem Thema eine wichtige Rolle;<br />
• der Familienmitarbeiter ist bereit, wirklich zu helfen und seine eigenen Emotionen eben<br />
beiseite zu lassen;<br />
• es ist genügend Zeit;<br />
• das Familienmitglied ist in der Lage, gut mit seinen Problemen umzugehen.<br />
Beobachten aus zweiter Hand<br />
• eine einleitende Bemerkung machen, um das Gespräch zu strukturieren und zu erklären,<br />
mit welchem Ziel Sie zu einer bestimmten Situation nachfragen, bei der Sie selbst nicht<br />
dabei waren;<br />
• die Regeln zum Beobachten in Kombination mit Gesprächstechniken und 'Aktiv Zuhören'<br />
anwenden.<br />
64
4. DIE TECHNIKEN FÜR DAS<br />
VERMITTELN VON FÄHIGKEITEN<br />
Familien werden kompetenter, wenn ihnen entsprechende Fähigkeiten vermittelt werden.<br />
Der Familienmitarbeiter kann dazu verschiedene Techniken anwenden. Die wichtigsten<br />
sind: Feedback, Verhaltensanweisungen, Modell stehen und Verhaltensübungen. Diese<br />
Techniken werden oft miteinander kombiniert. So wird bei einer Verhaltensanweisung auch<br />
Gebrauch von Feedback und Anweisung gemacht, und bei einer Verhaltensübung werden<br />
alle Techniken eingesetzt. Feedback und Verhaltensanweisung können ein Schritt zu einer<br />
Verhaltensübung sein, beispielsweise wenn deutlich wird, dass jemand noch nicht versteht,<br />
was er tun muss.<br />
Schema möglicher Kombinationen zur Vermittlung von Fähigkeiten:<br />
Benutzte Feedback Anweisung Vormachen Üben<br />
Technik<br />
Feedback auf<br />
adäquates Verhalten ja nein nein nein<br />
Feedback auf<br />
inadäquates Verhalten ja ja nein nein<br />
Verhaltensanweisung manchmal ja nein nein<br />
Modell stehen manchmal ja ja nein<br />
Verhaltensübung ja ja ja ja<br />
4.1 DER GEBRAUCH VON 'WARUMS'<br />
Ein Teil aller Techniken zur Vermittlung von Fähigkeiten ist der Gebrauch von 'Warums'.<br />
Ein 'Warum' gibt den Grund, die Bedeutung eines bestimmten Verhaltens wieder. Ein gutes<br />
'Warum' motiviert ein Familienmitglied zu einem bestimmten Verhalten. Das Verhalten<br />
muss für den Betreffenden ein deutliches Ziel sein. Mitglieder von Familien, die an Families<br />
First teilnehmen, sind oft mit einem Minimum an 'Warums' aufgewachsen. Das hat dazu<br />
beigetragen, dass sie weniger Fähigkeiten gelernt haben. Darum ist es wichtig, beim<br />
Erlernen neuer Fähigkeiten den 'Warums' viel Aufmerksamkeit zu schenken. 'Warums' sind<br />
auch ein wichtiges Hilfsmittel im Umgang mit anderen. Wenn jedoch in der Umgebung des<br />
Familienmitglieds keine Warums benutzt werden, lernt er auch selbst nicht, sie<br />
anzuwenden. Ein Familienmitarbeiter muss beim Gebrauch von Warums aufpassen, dass<br />
sie kurz und bündig sind und auf das erwünschte Verhalten Bezug nehmen. Ein 'Warum',<br />
am Telefon seinen Namen zu nennen, ist beispielsweise: "Dann weiß der andere, wen er an<br />
der Leitung hat, und das kann auch für Sie praktisch sein", anstelle von: "Sonst weiß der<br />
andere nicht, mit wem er spricht".<br />
Ein 'Warum' muss in die Lebenswelt des Familienmitglieds passen und sich nicht nur von<br />
den Normen und Werten des Familienmitarbeiters herleiten. Der Familienmitarbeiter muss<br />
65
versuchen, kurzfristige Vorteile, wie materielle Vorteile und Vergnügungen, zu benennen.<br />
Kurzfristige Vorteile motivieren oft mehr als langfristige.<br />
4.2 FEEDBACK<br />
Feedback bedeutet, dass jemand von einer anderen Person etwas über sein eigenes Tun und<br />
Lassen zu hören bekommt. Durch gutes Feedback weiß der Empfänger genau, welches<br />
Verhalten gut war und welches Verhalten er ändern muss. Feedback wirkt als<br />
Informationsquelle. Feedback ist ein wichtiges Element im Kontakt des<br />
Familienmitarbeiters mit den Familienmitgliedern, sowohl im alltäglichen Umgang wie<br />
auch beim Lehren neuer Fähigkeiten. Wenn die Eltern beispielsweise ausführlich erzählen,<br />
was am vorigen Tag passiert ist, gibt der Familienmitarbeiter Feedback, um dieses Verhalten<br />
zu verstärken, denn er braucht diese Informationen für seine Arbeit. Beim Einüben neuer<br />
Fähigkeiten haben Eltern und Kinder viel Stimulanz und Ermutigung nötig. Oft verläuft<br />
nicht gleich alles von Anfang an mit Erfolg. Dann ist es schon etwas, wenn jemand<br />
wenigstens versucht, Dinge anders anzupacken. In so einer Situation gibt der<br />
Familienmitarbeiter bei jedem Schrittchen Feedback in die richtige Richtung.<br />
Es gibt zwei Formen von Feedback: 'Feedback auf adäquates Verhalten' und 'Feedback auf<br />
inadäquates Verhalten'. 'Feedback auf adäquates Verhalten' wirkt verstärkend. 'Feedback auf<br />
inadäquates Verhalten' fungiert als Abschwächer.<br />
4.2.1 Feedback auf adäquates Verhalten<br />
'Feedback auf adäquates Verhalten' ist ein kräftiges Interventionsmittel. Es kann eingesetzt<br />
werden, um vorhandene Fähigkeiten eines Familienmitglieds zu verstärken und den<br />
Gebrauch dieser Fähigkeiten in den richtigen Augenblicken zu stimulieren. Manchmal geht<br />
es nicht so sehr um ein Defizit an Fähigkeiten, sondern darum, dass sie nicht angewendet<br />
werden. Der Gebrauch der Technik 'Feedback auf adäquates Verhalten' ist ein<br />
ausgezeichnetes Mittel um das Vertrauen in das eigene Können bei einem Familienmitglied<br />
zu fördern. Dieses Selbstvertrauen erhöht die Chance, dass er diese Fähigkeit auch wirklich<br />
benutzt. Ein anderer Grund, regelmäßig Feedback auf adäquates Verhalten zu geben, ist,<br />
dass dadurch die Atmosphäre verbessert wird. Die Technik 'Feedback auf adäquates<br />
Verhalten geben' besteht aus folgenden Schritten:<br />
1 beginnen Sie mit einer einleitenden, globalen, positiven Bemerkung;<br />
2 geben Sie danach genau an, was Sie gut finden;<br />
3 geben Sie den Grund an, warum Sie es gut finden und nennen Sie mögliche positive Folgen<br />
für den anderen, wenn möglich kurzfristige.<br />
Ein Beispiel:<br />
"Das haben Sie prima gemacht! Sie haben Ricky sehr deutlich gesagt, dass er jetzt nicht fernsehen<br />
darf, wohl aber nach dem Essen. Er weiß nun, woran er ist, und damit erhöhen Sie die Chance,<br />
dass er es akzeptiert."<br />
Für Eltern und Kinder ist es sehr wichtig Feedback auf adäquates Verhalten zu bekommen.<br />
66
Weil sie in der Vergangenheit oft nicht gehört haben, was sie richtig gemacht haben, ist es<br />
für sie sehr ungewohnt Feedback zu bekommen. Darum ist es gut, vorher daran zu denken,<br />
dass sie auch nicht gelernt haben, auf Komplimente und andere positive Äußerungen zu<br />
reagieren. Ein Kompliment wird oft grob oder kichernd abgewehrt. Wichtig ist aber, dass<br />
der Familienmitarbeiter auch weiterhin die positiven Dinge der Familienmitglieder<br />
benennt. Komplimente, die eine versteckte Kritik beinhalten, sind vor allem für Kinder sehr<br />
verwirrend, beispielsweise wenn der Familienmitarbeiter sagt: "Dein Zimmer sieht<br />
ordentlich aus, findest du nicht auch, dass es so viel übersichtlicher ist?" Feedback auf<br />
adäquates Verhalten muss darum vorbehaltlos sein. Das heißt, es darf keine zweite<br />
Botschaft damit verbunden sein. Der Familienmitarbeiter kann beispielsweise durchaus<br />
sagen: "Dein Zimmer sieht ordentlich aus, du hast es sehr gut aufgeräumt; ich glaube, dass<br />
du so deine Sachen schnell finden kannst!"<br />
4.2.2 Feedback auf inadäquates Verhalten<br />
Ein Familienmitarbeiter benutzt die Technik 'Feedback auf inadäquates Verhalten geben',<br />
wenn er jemandem Informationen geben will über ein Verhalten, dass er nicht richtig findet<br />
oder wenn er jemandes Verhalten rechtzeitig lenken möchte, indem er Alternativen<br />
anbietet. 'Feedback auf inadäquates Verhalten geben' hat folgende Schritte:<br />
1 Zeigen Sie kurz Ihre Verbundenheit und Sympathie, beispielsweise durch ein Lächeln,<br />
einen Scherz oder eine spezielle Begrüßung; die Familienmitglieder, mit denen Families<br />
First zu tun hat, haben oft kein starkes Selbstwertgefühl und erleben Bemerkungen zu<br />
ihrem Verhalten schnell als totale Abweisung. Lassen Sie sie deshalb merken, dass Sie eine<br />
Beziehung zu ihnen haben.<br />
2 Machen Sie eine positive, stimulierende Bemerkung; sprechen Sie das Familienmitglied<br />
persönlich an, um merken zu lassen, dass Sie Verständnis für die Probleme und Gefühle<br />
haben, die ihm zu schaffen machen und dafür was er bis jetzt erreicht hat.<br />
3 Machen Sie eine einleitende Bemerkung aus der deutlich wird, dass nun ein Feedback auf<br />
inadäquates Verhalten folgt; kündigen Sie an, dass Sie einen weiteren Schritt machen und<br />
das Familienmitglied nun aufpassen muss. Benutzen Sie als Übergang lieber 'und' oder<br />
'noch eben etwas anderes' als 'aber'. So eine einleitende Bemerkung verdeutlicht das<br />
Feedback.<br />
4 Geben Sie genau an, was Sie nicht richtig finden oder was Sie in dem Verhalten vermissen;<br />
gehen Sie nicht davon aus, dass Familienmitglieder schon wissen, was sie falsch machen;<br />
das ist oft nicht der Fall.<br />
5 Geben Sie genau an, was in dem betreffenden Fall richtig ist, zu tun; auch das wissen<br />
Familienmitglieder oft nicht. Umschreiben Sie nicht nur das erwünschte Verhalten,<br />
sondern auch die Situation, in der oder nach der das Verhalten stattfinden soll.<br />
6 Geben Sie ein 'Warum' für das alternative oder erwünschte Verhalten an; erklären Sie die<br />
Folgen des Verhaltens.<br />
7 Überprüfen Sie, ob es der andere verstanden hat; schauen Sie, ob jemand 'den Erhalt einer<br />
Mitteilung' durch ein Nicken oder durch 'okay' oder 'ja' zu sagen bestätigt. Viele<br />
Familienmitglieder sind nicht daran gewöhnt, auf Feedback zu reagieren, schon gar nicht,<br />
67
wenn es um Dinge geht, die sie nicht gern hören. Manchmal müssen Sie ihnen das durch<br />
eine Verhaltensanweisung vermitteln.<br />
Ein Beispiel:<br />
'Prima Saskia, du hast gerade deine Mutter gefragt, ob du Geld für ein neues Buch haben kannst.<br />
Gut, dass du sie nun gefragt hast. Nur fiel mir auf, dass du "Ich will ..." gesagt hast. In so einer<br />
Situation ist es besser eine Frage zu stellen: "Darf ich ..." und dann am Ende vom Satz die Stimme<br />
zu heben. Das kommt bei deiner Mutter, glaube ich, freundlicher an und damit erhöhst du die<br />
Chance, dass du kriegst was du willst. Verstehst du das?"<br />
Wenn ein Familienmitglied in einer Situation gleichzeitig etwas Positives und etwas<br />
Negatives tut, ist es besonders wichtig, genau zu bennnen was Sie gut finden, um zu<br />
verhindern, dass das Familienmitglied denkt, Sie finden alles gut, was er in dieser Situation<br />
tut. Was Sie nicht gut finden, können Sie auf sich beruhen lassen oder Feedback auf<br />
inadäquates Verhalten darauf geben.<br />
Schwerpunkte beim Feedback geben<br />
• Gebrauchen Sie eine deutliche und unzweideutige Sprache, die bei demjenigen anschließt,<br />
dem Sie das Feedback geben.<br />
• Orientieren Sie sich an konkretem Verhalten.<br />
• Lassen Sie aus Ihren Worten möglichst deutlich werden, dass Sie Ihre eigene Meinung<br />
sagen, beispielsweise: "Ich finde ...".<br />
• Benuzten Sie möglichst viel vorbehaltloses Feedback, beispielsweise: "Ich finde es prima,<br />
dass du dir deine Haare kämmst", ohne hinzuzufügen: "... das ist viel besser so, früher hast<br />
du ja nicht gut ausgesehen".<br />
• Stellen Sie Feedback auf inadäquates Verhalten immer Feedback auf adäquates Verhalten<br />
voran.<br />
4.2.3 Feedback von Familienmitgliedern empfangen<br />
Bei der Arbeit mit einer Familie gibt es verschiedene Momente, in denen ein<br />
Familienmitglied auf die eine oder andere Weise erkennen lässt, was es vom Auftreten des<br />
Familienmitarbeiters hält. Es ist wichtig, dass der Familienmitarbeiter weiß, wie er mit<br />
Komplimenten oder Kritik eines Familienmitglieds umgeht.<br />
Bei einem Kompliment ist es wichtig, nicht abzuwehren. Allerdings ist es gut, genau zu<br />
wissen, was der andere so gut fand. Ein Kompliment ist ein Verstärker. Eine positive<br />
Reaktion auf dieses Kompliment, beispielsweise: "Oh, das höre ich gern", ist jedoch auch<br />
wieder ein Verstärker. Eine positive Reaktion auf ein Kompliment erhöht die Chance, dass<br />
der andere in Zukunft öfter ein Kompliment macht. Umgekehrt gilt das Abwehren eines<br />
Kompliments als Abschwächer: dem anderen wird eigentlich abgewöhnt, Komplimente zu<br />
machen.<br />
68<br />
Schritte, um ein Kompliment zu empfangen:<br />
1 sehen Sie den anderen an und hören Sie ihm zu, fallen Sie ihm nicht ins Wort;
2 nehmen Sie ein Kompliment oder eine Anerkennung mit einer freundlichen Bemerkung<br />
und Geste auf;<br />
3 stellen Sie Fragen, wenn nicht deutlich ist, was der andere genau meint;<br />
4 lassen Sie den anderen zum folgenden Thema übergehen, manchmal ist ein Kompliment<br />
ein Schritt zur Kritik.<br />
Wenn ein Familienmitglied merken lässt, dass es mit Ihrem Verhalten unzufrieden ist, ist es<br />
wichtig, möglichst viele Informationen zu bekommen. Je professioneller Sie sind bist, desto<br />
besser können Sie mit Kritik umgehen.<br />
Schritte um Kritik aufzunehmen:<br />
1 hören Sie dem anderen zu, fallen Sie ihm nicht ins Wort. Versuchen Sie, trotz möglicher<br />
Protestreaktionen, die bei Ihnen aufkommen, die vornehmlichsten Punkte dessen was der<br />
andere sagt, festzuhalten;<br />
2 lassen Sie sehen, dass Sie zuhören, beispielsweise indem Sie den anderen weiterhin<br />
ansehen, eine Geste machen oder eine kurze Zusammenfassung dessen was der andere<br />
gesagt hat, geben;<br />
3 stellen Sie Fragen, wenn nicht deutlich ist, was der andere genau meint;<br />
4 denken Sie über die Kritik nach, bevor Sie Entscheidungen treffen;<br />
5 machen Sie eine positive, abschließende Bemerkung, beispielsweise: "Prima, dass Sie das<br />
sagen, dann kann ich darauf Rücksicht nehmen."<br />
4.2.4 Ich-Botschaften<br />
Ich-Botschaften werden, wie das Feedback, benutzt, um Menschen in ihrem Verhalten zu<br />
bestätigen oder zu Veränderungen zu stimulieren. Mit einer Ich-Botschaft lässt der<br />
Familienmitarbeiter -mehr als beim Feedback- den anderen etwas von seinen Gefühlen zu<br />
einem Geschehen oder dem Verhalten des anderen merken. Es gibt zwei Sorten von Ich-<br />
Botschaften: unterstützende und konfrontierende.<br />
Unterstützende Ich-Botschaften<br />
Unterstützende Ich-Botschaften werden benutzt um jemandem zu helfen. Eine<br />
unterstützende Botschaft besteht aus drei Schritten:<br />
1 beginnen Sie mit dem Wort 'ich', um anzugeben, dass Sie in Ihrem eigenen Namen<br />
sprechen;<br />
2 geben Sie Informationen über ein Gefühl;<br />
3 beschreiben Sie das Verhalten, die Situation oder das Geschehen zu dem Sie das Gefühl<br />
haben.<br />
Zum Beispiel:<br />
• "Ich finde es sehr schade für Sie, dass es so gelaufen ist."<br />
• "Ich mache mir Sorgen, weil du davon sprichst, dass du weglaufen willst."<br />
• "Ich finde es sehr nett, dass du mir das erzählt hast."<br />
69
• "Ich finde es schön, dass Sie trotz aller Probleme noch hin und wieder lachen können.<br />
• "Ich habe den Eindruck, dass Sie sich in der Zeit, als Sie es so schwer hatten, behauptet haben."<br />
• "Ich bewundere dein Durchsetzungsvermögen."<br />
• "Ich beneide dich um deine Enegie und Streitlust."<br />
• "Ich bin verblüfft von ... ."<br />
In aller Deutlichkeit: Eine unterstützende Ich-Botschaft ist etwas anderes als eine<br />
Gefühlsreflexion, die als Teil von 'Aktivem Zuhören' (siehe Kapitel 3) gehandhabt wird.<br />
Eine Gefühlsreflexion basiert auf einer Beobachtung von Gefühlen eines anderen.<br />
Konfrontierende Ich-Botschaften<br />
Konfrontierende Ich-Botschaften werden benutzt, um Menschen zu Veränderungen zu<br />
stimulieren; der Familienmitarbeiter sagt nicht nur was er ärgerlich oder besorgniserregend<br />
findet, sondern auch wie man es anders machen kann. Bei einer sorgfältig gegebenen<br />
konfrontierenden Ich-Botschaft macht der Familienmitarbeiter deutlich, was er sagen will,<br />
aber sowohl die Arbeitsbeziehung untereinander wie auch der Selbstwert des Empfängers<br />
bleiben erhalten. Der Unterschied zum 'Feedback auf inadäquates Verhalten' ist, dass Sie<br />
den anderen bei einer konfrontierenden Ich-Botschaft etwas von Ihren eigenen Gefühlen zu<br />
einem Geschehen oder zu einem Verhalten von Personen merken lassen. Konfrontierende<br />
Ich-Botschaften werden von einem Familienmitarbeiter benutzt:<br />
• wenn es - angesichts der Emotionen, die ein Ereignis oder eine Situation hervorrufen -<br />
unpassend ist, mit einer positiven stimulierenden Bemerkung zu beginnen wie das beim<br />
'Feedback auf inadäquates Verhalten' üblich ist;<br />
• wenn die Emotionen des Familienmitarbeiters, die oft in den Teilsatz "Ich mache mir<br />
Sorgen ..." übertragen werden können, eine deutliche Rolle spielen;<br />
• wenn es nach der Einschätzung des Familienmitarbeiters besser ist, ein bestimmtes Gefühl<br />
zu benennen als mit den Schritten vom 'Feedback auf inadäquates Verhalten' zu arbeiten;<br />
• wenn der Familienmitarbeiter Modell stehen will für den Gebrauch konfrontierender Ich-<br />
Botschaften.<br />
Eine konfrontierende Ich-Botschaft besteht minimal aus drei, vorzugsweise aus vier oder<br />
fünf Schritten:<br />
1 beginnen Sie mit dem Wort 'ich';<br />
2 geben Sie Informationen zu einem Gefühl;<br />
3 beschreiben Sie das Verhalten, die Situation oder das Ereignis, zu dem Sie das Gefühl haben;<br />
4 beschreiben Sie die erwünschte Alternative oder geben Sie Möglichkeiten eines anderen<br />
erwünschten Verhaltens an;<br />
5 geben Sie ein Warum, einen Grund für das alternative Verhalten.<br />
Bei der Beschreibung des Gefühls ist es wichtig, Worte zu wählen, die nicht nur zu dem<br />
Gefühl, das der Familienmitarbeiter hat, passen, sondern die auch von demjenigen, für die<br />
sie bestimmt sind, verstanden werden. Formulierungen, mit denen eine konfrontierende<br />
70
Ich-Botschaft beginnen kann, sind beispielsweise: "Ich finde es schade, dass ..."' "Ich werde<br />
sehr böse, weil du ...", "Ich finde es sehr ärgerlich ..." und "Ich mache mir Sorgen ...".<br />
Bei der Beschreibung dessen was ein anderer tut oder getan hat, müssen folgende<br />
Schwerpunkte beachtet werden:<br />
• Beschreiben Sie das Verhalten, nicht die Person: "Du hast zwei Verabredungen<br />
nacheinander nicht eingehalten" anstelle von "Du bist ein Schluderjan".<br />
• Benutzen Sie Beschreibungen in der Terminologie beobachtbaren Verhaltens, keine<br />
Interpretationen: "Du hast deinen Bruder geschlagen" anstelle von "Weil du Angst hattest,<br />
hast du deinen Bruder geschlagen".<br />
• Benutzen Sie verhaltensmäßige Beschreibungen, keine Verurteilungen: "Sie laufen aus dem<br />
Zimmer, wenn Ihre Kinder schreien" anstelle von "Sie lassen Ihre Kinder im Stich. Sie<br />
versagen als Eltern".<br />
• Benutzen Sie Abstufungen anstelle von alles-oder-nichts-Ausdrücken: "Du unterbrichst<br />
mich jedesmal, wenn ich von deiner Mutter spreche", anstelle von "Du hörst nie zu".<br />
Zum Beispiel:<br />
"Ich mache mir sehr viel Sorgen. Wir sprechen nun schon drei Tage darüber, dass Sie die Kinder<br />
rechtzeitig ins Bett bringen. Ich habe gesehen, dass das nicht passiert ist. Wir können noch einmal<br />
besprechen, wie Sie das machen können. Es ist auch möglich, dass ich es heute Abend versuche,<br />
damit Sie sehen können, wie die Kinder darauf reagieren. Aber vielleicht haben Sie noch andere<br />
Ideen, wie das vor sich gehen kann."<br />
Oder: "Ich finde es sehr ärgerlich und irritierend wenn du dauernd dazwischenredest. Ich möchte<br />
gern, dass du etwas ruhiger bist, wenn ich spreche. Dann kann ich meine Geschichte zuende<br />
erzählen und die anderen können mich auch verstehen."<br />
Diese letzte Ich-Botschaft ist gehörig direktiv. Um weiterarbeiten zu können, will der<br />
Familienmitarbeiter, dass das Familienmitglied sofort mit dem unerwünschten Verhalten<br />
aufhört: Dazwischenreden. Diese Art konfrontierender Ich-Botschaft darf nicht zu schnell<br />
gegeben werden. Es muss erst eine gute Arbeitsbeziehung bestehen bevor der<br />
Familienmitarbeiter auf diese Weise seine Wünsche kenntlich machen kann. Es ist wichtig,<br />
verblümte Ich-Botschaften wie "Ich habe das Gefühl, dass Sie nicht alles erzählen" zu<br />
vermeiden. Besser wäre: "Ich mache mir Sorgen. Ich merke, dass Sie nicht alles erzählen ...".<br />
Auch konfrontierende Fragen wie "Warum tust du das nicht?" werden besser nicht gestellt.<br />
Es ist besser, eine konfrontierende Ich-Botschaft zu geben, wobei der Familienmitarbeiter<br />
sagt, was er fühlt und was er verändert sehen möchte. Bei einer guten 'konfrontierenden<br />
Ich-Botschaft' liegt der Nachdruck auf der Kraft des Familienmitglieds. Anstatt dass ihm<br />
erzählt wird, was er tun muss, gibt der Familienmitarbeiter verschiedene Alternativen an<br />
oder schlägt vor, verschiedene Möglichkeiten zu untersuchen. Indem er die Entscheidung<br />
dem Familienmitglied überlässt, wird ein Machtkampf zwischen Familienmitarbeiter<br />
und Familie vermieden.<br />
71
4.3 DIE VERHALTENSANWEISUNG<br />
Bei einer Verhaltensanweisung vermittelt der Familienmitarbeiter dem Familienmitglied<br />
wie eine Fähigkeit ausgeführt werden muss, indem er eine Beschreibung gibt von den<br />
verschiedenen Schritten der Fähigkeit und der Situation, in der die Fähigkeit angewendet<br />
werden muss. Eine Verhaltensanweisung kann beispielsweise gegeben werden, weil etwas<br />
von einem Familienmitglied erwartet wird. Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die bei einer<br />
Verhaltensanweisung zum Tragen kommen, sind beispielsweise: jemanden begrüßen; ruhig<br />
reagieren, wenn man böse ist; sagen, dass man mit etwas nicht einverstanden ist; sagen, dass<br />
man Geld leihen möchte; und so weiter; Eine Verhaltensanweisung zählt 6, eventuell 7<br />
Schritte:<br />
1 zeigen Sie kurz Ihre Verbundenheit mit oder Ihre Sympathie für das Familienmitglied durch<br />
ein Lächeln, einen Scherz, eine spezielle Begrüßung und so weiter;<br />
2 machen Sie eine kurze stimulierende Bemerkung;<br />
3 machen Sie nun eine einleitende Bemerkung aus der deutlich wird, dass Sie eine<br />
Verhaltensanweisung geben werden;<br />
4 geben Sie eventuell genau an, was Sie nicht gut finden; beschreiben Sie das fehlende oder<br />
unerwünschte Verhalten aus einer vorangegangenen Beobachtung;<br />
5 geben Sie genau an, welches Verhalten in dieser Situation gut wäre; beschreiben Sie das<br />
erwünschte Verhalten;<br />
6 geben Sie ein 'Warum' für das erwünschte Verhalten an;<br />
7 untersuchen Sie, ob das Familienmitglied es verstanden hat.<br />
Die Schritte der Verhaltensanweisung sind in großen Linien dieselben wie die Schritte vom<br />
'Feedback auf inadäquates Verhalten'. Der Unterschied ist, dass Schritt 4 bei der<br />
Verhaltensanweisung wegfällt, wenn von vorher beobachtetem inadäquatem Verhalten keine<br />
Rede ist. Bei 'Feedback auf inadäquates Verhalten' ist das unerwünschte Verhalten immer<br />
der Ausgangspunkt, aufgrund dessen der Familienmitarbeiter das erwünschte Verhalten<br />
formuliert. Bei der Verhaltensanweisung liegt der Akzent auf einer Fähigkeit, die in einer<br />
bestimmten Situation vermittelt werden muss. Der Familienmitarbeiter versucht zu<br />
formulieren, wie ein Familienmitglied etwas tun muss oder kann, ohne dass per se<br />
inadäquates Verhalten vorangegangen ist. Manchmal nimmt die Fähigkeit auf eine völlig<br />
neue Situation Bezug.<br />
Zum Beispiel:<br />
"Sag Maria, ich finde es sehr gut, dass du die Verabredung mit mir abgesagt hast. Du hast nur zu<br />
spät angerufen, und daher war ich gerade zur Tür hinaus. Ich würde es nett finden, wenn du beim<br />
nächsten Mal, wenn etwas dazwischenkommt, etwas früher anrufst, beispielsweise ein paar<br />
Stunden vorher. Dann kann ich das besser berücksichtigen und wir können eine andere<br />
Verabredung planen. Okay?"<br />
In manchen Situationen scheint die Verhaltensanweisung eine ganze Geschichte zu sein.<br />
Auch wenn die sechs oder sieben Schritte der Verhaltensanweisung kurz sein können, ist es<br />
72
manchmal netter, weniger Schritte machen zu müssen. Dann ist es wichtig, den Kern der<br />
Verhaltensanweisung zu treffen. Das sind die Schritte 1,5 und 6, bei denen Sie nacheinander<br />
Verbundenheit zeigen, angeben was für ein Verhalten erwünscht ist und warum das so ist.<br />
Auf diese Weise wird der Nachdruck auf das Erlernen neuen Verhaltens gelegt.<br />
4.4 MODELL STEHEN<br />
Eine Methode nach der Menschen lernen ist, das Verhalten anderer nachzuahmen. Der<br />
Familienmitarbeiter ist neben anderen wichtigen Personen in seiner Umgebung ein<br />
wichtiges Vorbild oder 'Modell' für das Familienmitglied. Da der Familienmitarbeiter oft in<br />
der Familie ist, gibt es zahlreiche Momente, an denen er einem Familienmitglied zeigen<br />
kann wie etwas sein soll. Bei der Technik 'Modell Stehen' geht es darum, von der<br />
Demonstration einer Fähigkeit bewusst Gebrauch zu machen. Der Familienmitarbeiter gibt<br />
dem Familienmitglied einen kleinen Hinweis, dass eine Fähigkeit gezeigt wird. Während der<br />
Demonstration werden die wichtigsten Schritte und Kennzeichen der Fähigkeit deutlich.<br />
Nach Ablauf der Demonstration werden die Schritte nochmals deutlich genannt.<br />
'Modell Stehen' besteht aus den folgenden Schritten:<br />
1 bitten Sie das Familienmitglied aufzupassen;<br />
2 machen Sie das Verhalten oder die Fähigkeit vor;<br />
3 beschreiben Sie genau, was Sie getan haben; nennen Sie die Schritte und eventuelle<br />
Schwerpunkte.<br />
Zum Beispiel:<br />
Michelle, die Familienmitarbeiterin, wartet mit Martha im Wartezimmer vom Arbeitsamt auf<br />
Herrn Jansen. Die verabredete Zeit ist längst vorbei. Die Familienmitarbeiterin sagt zu Martha:<br />
"Wenn Sie sehr lange warten müssen, ist es manchmal gut zu fragen, ob vielleicht etwas schief<br />
gegangen ist. Ich zeige Ihnen jetzt, wie Sie das machen können. Kommen Sie mal eben mit." (1)<br />
Die Familienmitarbeiterin geht zum Schalter und fragt die Empfangsdame: "Guten Tag, darf ich<br />
eben etwas fragen? Wir warten schon eine halbe Stunde auf Herrn Jansen. Kann es sein, dass da<br />
etwas schief gegangen ist?" Die Empfangsdame sagt: "Ich rufe eben für Sie an. Wenn Sie eben<br />
wieder ins Wartezimmer gehen, bekommen Sie gleich Nachricht." Die Familienmitarbeiterin sagt:<br />
"Okay, vielen Dank." (2)<br />
Die Familienmitarbeiterin und Martha setzen sich wieder. Die Familienmitarbeiterin sagt dann:<br />
"Haben Sie gesehen, was ich getan habe?" (...) "Ich habe ihr erst guten Tag gewünscht und gefragt,<br />
ob ich etwas fragen darf. Danach habe ich gesagt, dass wir bereits eine halbe Stunde auf Herrn<br />
Jansen warten und ob da vielleicht etwas schief gegangen ist. Und als sie versprach zu telefonieren,<br />
habe ich mich bedankt. Wenn Sie es so machen und freundlich bleiben, ist die Chance groß, dass sie<br />
Ihnen hilft." (3)<br />
In dieser Situation macht die Familienmitarbeiterin Gebrauch von einem sogenannten<br />
'ungeplanten Lehrmoment'. Dieser Moment wird durch die Situation eingegeben, und die<br />
Familienmitarbeiterin beschloss, diese Situation zu nutzen. Lehrmomente können auch<br />
73
'geplant' werden. Zum Beispiel wenn der Familienmitarbeiter mit einem Familienmitglied<br />
verabredet hat, eine bestimmte Fähigkeit zu üben.<br />
4.5 DIE VERHALTENSÜBUNG<br />
Die effektivste Methode Fähigkeiten zu lernen ist die Verhaltensübung. Die<br />
Verhaltensübung besteht in großen Linien aus einer Verhaltensanweisung - erzählen, wie<br />
eine Fähigkeit aussieht - und dem Vormachen der Fähigkeit, woraufhin das<br />
Familienmitglied die Fähigkeit nachmacht. Der Familienmitarbeiter beobachtet während<br />
der Kontakte mit den Familienmitgliedern. Durch diese Beobachtungen erhält der<br />
Familienmitarbeiter Einblick in die starken Seiten der Familie als ganze und des einzelnen<br />
Familienmitglieds, und auch in die Fähigkeitsdefizite von Familienmitgliedern.<br />
Zum Beispiel:<br />
Der Familienmitarbeiter sieht, dass Vater dem quengeligen Verhalten seines kleinen Sohnes sehr<br />
viel Aufmerksamkeit widmet, seinem kleinen Sohn aber keinerlei Aufmerksamkeit widmet, wenn er<br />
ruhig spielt. Das kann für den Familienmitarbeiter ein Anlass sein, sofern es in die Arbeitspunkte<br />
passt, einen Vorschlag zu einer Verhaltensübung zu machen.<br />
Beobachtungen können einen Anlass bilden, um mit dem betreffenden Familienmitglied<br />
etwas zu überlegen. Der Familienmitarbeiter legt dem Familienmitglied seine<br />
Beobachtungen vor und geht mit ihm zusammen durch, ob er es anders möchte oder ob er<br />
bereits Ideen hat, wie es anders gehen könnte. Der Familienmitarbeiter teilt dem<br />
Familienmitglied auch selbst Ideen mit, wie es anders gehen könnte. Er nennt die Vorteile<br />
der verschiedenen Ideen. Diese Überlegung kann ein Anlass sein für den Vorschlag, etwas<br />
zu üben. Der Familienmitarbeiter benutzt dabei die zusätzlichen Informationen, die er aus<br />
der Überlegung gewonnen hat. Wenn sich die Situation eignet, folgt die Verhaltensübung<br />
sofort, sonst wird ein späterer Zeitpunkt verabredet.<br />
4.5.1 Die Schritte der Verhaltensübung<br />
Eine Verhaltensübung besteht aus folgenden sieben Schritten:<br />
1 stellen Sie die Verhaltensübung vor;<br />
Beschreiben Sie genau die Fähigkeit und das Verhalten und geben Sie Beispiele. Zum<br />
Beispiel:<br />
"Ich möchte nun gerne mit Ihnen über die Fähigkeit 'Belohnen' sprechen. Damit wird gemeint,<br />
dass Sie Chantal direkt nachdem sie etwas richtig macht, belohnen. Sie können Chantal<br />
beispielsweise gleich nachdem sie Kimberley (ihr Schwesterchen von 8 Monaten) liebkost hat, ihre<br />
Lieblingskassette hören lassen."<br />
2 beschreiben Sie die Fähigkeit und die Schritte und machen Sie sie vor;<br />
Schreiben Sie die Schritte eventuell für das Familienmitglied auf einen 'Spickzettel'. Zum<br />
Beispiel:<br />
74
"Belohnt wird so; Sie wecken erst die Aufmerksamkeit von Chantal, das können Sie beispielsweise<br />
tun, indem Sie ihren Namen nennen, oder sie eben berühren oder sie eben ansehen. Dann erzählen<br />
Sie Chantal genau, was sie gut gemacht hat. Sie könnten beispielsweise sagen: "Wie lieb von dir,<br />
dass du Kimberley ein Küsschen gibst". Danach sagen Sie Chantal, was sie dadurch verdient hat,<br />
beispielsweise: "Darum darfst du dir jetzt die Kassette von der Sesamstraße anhören". Danach steht<br />
der Familienmitarbeiter auf und zeigt der Mutter, wie sie dies tun könnte. Die Mutter übernimmt<br />
dabei die Rolle von Chantal.<br />
3 geben Sie ein 'Warum' für die Fähigkeit an;<br />
Geben Sie dem Familienmitglied einen Grund an, aus dem deutlich der Vorteil dieser<br />
Fähigkeit für ihn selbst oder für die Familie hervorgeht. Zum Beispiel:<br />
"Wenn Sie Chantal auf diese Weise belohnen, ist die Chance groß, dass Chantal öfter lieb ist zu<br />
Kimberley."<br />
4 überprüfen Sie, ob es das Familienmitglied verstanden hat;<br />
Beispielsweise, indem Sie fragen: "Bin ich deutlich genug?" oder "Haben Sie noch Fragen?"<br />
oder "Verstehst du, was ich meine?". Während der Verhaltensübung kontrolliert der<br />
Familienmitarbeiter regelmäßig, ob das Familienmitglied begreift, worum es geht. Er passt<br />
dabei auch auf kleine Signale des Verstehens auf, wie: nicken, "Oh, ja" oder des<br />
Nichtverstehens, wie wegsehen, Gesichtsausdruck und ähnliche. Wenn ein Familienmitglied<br />
die Fähigkeit nicht versteht, versucht der Familienmitarbeiter sie anders vorzumachen,<br />
anders zu erklären oder die Fähigkeit in kleinere Schritte zu unterteilen. Der<br />
Familienmitarbeiter versucht zu verhindern, dass sich ein Familienmitglied dumm oder<br />
geniert fühlt und gebraucht daher Sätze wie: "Ich habe es auch nicht gut erklärt."<br />
5 üben Sie die Fähigkeit mit dem Familienmitglied ein;<br />
Dies ist der wichtigste Schritt in der Verhaltensübung. Das Familienmitglied hat die<br />
Chance, die Fähigkeit in einer sicheren Situation auszuprobieren und der<br />
Familienmitarbeiter die Gelegenheit zu überprüfen, wie er die Fähigkeit vorgemacht oder<br />
erklärt hat. Achten Sie beim Einüben der Fähigkeit auf den Sprachgebrauch. Im Jargon wird<br />
das Einüben oft Rollenspiel genannt. Als Familienmitarbeiter benutzen Sie dieses Wort<br />
nicht. Sie sprechen mit dem Familienmitglied vom Üben einer Fähigkeit. Das schließt eher<br />
beim alltäglichen Sprachgebrauch an. Nehmen Sie beim Üben eine sehr aktive Haltung ein.<br />
Instruieren Sie das Familienmitglied so, dass es Spaß macht zu üben. Stellen Sie sich zum<br />
Beispiel zu Beginn der Übung hin oder wechseln Sie den Platz. Dadurch machen Sie einen<br />
deutlichen Unterschied zwischen dem Üben und dem Rest der Verhaltensübung. Beginnen<br />
Sie mit einfachen und vor allem nicht emotionalen Beispielen und machen Sie wo möglich<br />
positive Bemerkungen.<br />
6 geben Sie dem Familienmitglied Feedback;<br />
Direkt nach der Übung gibt der Familienmitarbeiter ein Feedback auf die Übung an sich<br />
und auf jeden Schritt oder jedes Kennzeichen der Fähigkeit die das Familienmitglied gezeigt<br />
75
hat. Wenn das Familienmitglied die Fähigkeit noch nicht beherrscht, gibt der<br />
Familienmitarbeiter deutlich die Schwerpunkte an. Eventuell wird die Fähigkeit erneut<br />
geübt.<br />
7 untersuchen Sie, wann die Fähigkeit angewendet werden kann.<br />
Eine Fähigkeit in Schritte unterteilen<br />
Das Erlernen eines anderen Verhaltens wird dem Familienmitglied erleichtert, wenn die<br />
Fähigkeiten, die Sie vermitteln, in deutlich erkennbare Schritte unterteilt sind, die in<br />
beobachtbaren Begriffen beschrieben sind. Die Schritte geben die Reihenfolge an, in denen<br />
die Fähigkeit ausgeführt werden muss.<br />
Zum Beispiel:<br />
Die Fähigkeit 'Belohnen' kann in die folgenden Schritte unterteilt werden:<br />
1 Wecken Sie die Aufmerksamkeit des Kindes<br />
2 Sagen Sie dem Kind etwas Nettes<br />
3 Erzählen Sie dem Kind genau, was es richtig gemacht hat<br />
4 Geben Sie dem Kind die Belohnung<br />
Als Faustregel gilt, dass eine Fähigkeit maximal in vier oder fünf Schritte unterteilt werden<br />
darf. Wenn sich herausstellt, dass das nicht gelingt und Sie auf mehr Schritte kommen,<br />
können Sie versuchen, einen Unterschied zwischen Schritten und Aufmerksamheitspunkte<br />
zu machen. Schwerpunkte beziehen sich auf die mehr allgemeinen Aspekte der Fähigkeit.<br />
Zum Beispiel: Augenkontakt, Verstehbarkeit, Intonation und Körperhaltung. Die Schritte<br />
einer Fähigkeit sind meistens in allgemeinen Ausdrücken formuliert und dadurch noch<br />
abstrakt. Für manche Familienmitglieder ist es praktisch, die Schritte zu konkretisieren und<br />
in Klammern ein Beispiel dahinter anzugeben. Das Aufteilen einer Fähigkeit in Schritte ist<br />
am Anfang lästig. Je mehr Erfahrung Sie damit bekommen, desto besser geht es. Als<br />
Hilfsmittel können Sie die Fähigkeit selbst anhand der Schritte nachmachen. Dann ergibt<br />
sich von selbst, welche Schritte zu viel oder zu wenig sind. Fähigkeiten sind nie allgemein<br />
für jeden anwendbar. Darum sind Standardlisten mit Fähigkeiten begrenzt nützlich. Sie<br />
können höchstens als Inspirationsquelle dienen um Schritte und Schwerpunkte zu<br />
unterscheiden. Danach müssen je nach Familienmitglied und je nach Situation Akzente<br />
gesetzt und Anpassungen vorgenommen werden.<br />
4.6 DAS UNTERSCHEIDUNGSTRAINING<br />
Nicht nur das Erlernen bestimmter Fähigkeiten ist wichtig, sondern auch, sie im richtigen<br />
Augenblick anzuwenden. Um das zu lernen, kann die sogenannte Unterscheidungstechnik<br />
angewendet werden. Wenn sich das Familienmitglied mithilfe einer Verhaltensübung eine<br />
bestimme Fähigkeit zu eigen gemacht hat, ist der nächste Schritt: schauen, in welchen<br />
Situationen die Fähigkeit am besten zu ihrem Recht kommt. Zum Beispiel: "Musst du<br />
immer deine Meinung sagen, oder gibt es Momente, in denen du besser mal den Mund<br />
76
hältst?" Wenn ein Familienmitglied über eine bestimmte Fähigkeit verfügt, diese aber nur in<br />
einzelnen Situationen anwenden darf, ist es eine gute Technik, die verschiedenen<br />
Situationen miteinander zu vergleichen. Zum Beispiel: Eine Mutter ist nur in der Lage, mit<br />
ihrer Schwester ein gutes Telefongespräch zu führen, anderen Telefongesprächen geht sie<br />
systematisch aus dem Weg. Unterscheidungstraining ist auch die geeignete Methode, um<br />
Familienmitglieder darauf hinzuweisen, dass sie ein im Prinzip adäquates Verhalten zu<br />
einem verkehrten Zeitpunkt zeigen.<br />
Ein Beispiel einer Situation, in der die Unterscheidungstechnik angebracht ist:<br />
Achmed möchte gerne eine Taschengelderhöhung, aber hat Angst, seinen Vater danach zu fragen.<br />
Das Risiko ist groß, dass es auf einen Streit mit allen seinen Folgen hinausläuft. Zusammen mit<br />
dem Familienmitarbeiter hat Achmed mittels einer Verhaltensübung geschaut, wie er angemessen<br />
um eine Taschengelderhöhung bittet, ohne seinen Vater in Harnisch zu bringen. Nun besprechen<br />
sie, unter welchen Umständen Achmed das Thema am besten anschneidet, sodass eine große<br />
Chance besteht, dass sein Vater positiv reagiert. Sie unterscheiden günstige und ungünstige<br />
Faktoren.<br />
günstig<br />
ungünstig<br />
• Vater hat Zeit<br />
• Vater ist gut gelaunt<br />
• es ist Gelegenheit, eben unter vier<br />
Augen zu sprechen<br />
• wenn ich mich selbst entspannt fühle<br />
• Vater ist mit anderen Tätigkeiten<br />
intensiv beschäftigt<br />
• Vater ist schlecht gelaunt<br />
• es ist Besuch da<br />
• mein ältester Bruder ist da<br />
• beim Essen<br />
• wenn ich mich selbst müde fühle und<br />
zu viel getrunken habe<br />
Ein Familienmitarbeiter kann dem Familienmitglied den Unterschied zwischen<br />
verschiedenen Situationen auch vermitteln, indem er das Familienmitglied in Momenten<br />
einwinkt, in denen eine Fähigkeit an der Reihe ist. Mit 'einwinken' wird gemeint: Dem<br />
Familienmitglied verbal oder nonverbal einen Wink geben, wenn sich die Gelegenheit<br />
ergibt, eine Fähigkeit zu zeigen, die er zu einem früheren Zeitpunkt mithilfe einer<br />
Verhaltensanweisung oder Verhaltensübung erlernt hat. Mit diesem Wink hilft der<br />
Familienmitarbeiter dem Familienmitglied über die Schwelle.<br />
4.7 CHECKLISTE FÜR DIE TECHNIKEN ZUR VERMITTLUNG VON FÄHIGKEITEN<br />
Feedback auf adäquates Verhalten:<br />
1 beginnen Sie mit einer einleitenden, globalen, positiven Bemerkung;<br />
2 geben Sie genau an, was Sie gut finden;<br />
3 geben Sie den Grund an, warum Sie es gut finden und nennen Sie mögliche positive<br />
Folgen für den anderen; wenn möglich kurzfristige.<br />
77
Feedback auf inadäquates Verhalten:<br />
1 zeigen Sie kurz Ihre Verbundenheit und Sympathie;<br />
2 machen Sie eine positive und stimulierende Bemerkung;<br />
3 machen Sie eine einleitende Bemerkung aus der deutlich wird, dass nun ein Feedback auf<br />
inadäquates Verhalten folgt;<br />
4 geben Sie genau an, was Sie nicht gut finden;<br />
5 geben Sie genau an, was in diesem Fall gut wäre zu tun;<br />
6 geben Sie ein 'Warum' für das alternative oder gewünschte Verhalten an;<br />
7 überprüfen Sie, ob es der andere verstanden hat.<br />
Unterstützende Ich-Botschaft<br />
1 beginnen Sie mit dem Wort 'ich'.<br />
2 geben Sie Informationen über ein Gefühl;<br />
3 beschreiben Sie das Verhalten, die Situation oder das Ereignis, zu dem Sie das Gefühl<br />
haben.<br />
Konfrontierende Ich-Botschaft:<br />
1 beginnen Sie mit dem Wort 'ich';<br />
2 geben Sie Informationen über ein Gefühl;<br />
3 beschreiben Sie das Verhalten, die Situation oder das Ereignis, zu dem Sie das Gefühl<br />
haben.<br />
4 beschreiben Sie die gewünschte Alternative, oder geben Sie Möglichkeiten eines anderen<br />
und erwünschten Verhaltens an;<br />
5 geben Sie ein 'Warum' an, einen Grund für das alternative Verhalten.<br />
Verhaltensanweisung:<br />
1 zeigen Sie Ihre Verbundenheit mit und Sympathie für das Familienmitglied durch ein<br />
Lächeln, einen Scherz, eine spezielle Begrüßung, und so weiter;<br />
2 machen Sie eine positive und stimulierende Bemerkung;<br />
3 machen Sie nun eine einleitende Bemerkung aus der deutlich wird, dass Sie nun eine<br />
Verhaltensanweisung geben;<br />
4 geben Sie eventuell genau an, was Sie nicht gut findent; beschreiben Sie das fehlende oder<br />
unerwünschte Verhalten aus der vorangegangenen Beobachtung;<br />
5 geben Sie genau an, welches Verhalten in dieser Situation richtig ist; beschreiben Sie das<br />
erwünschte Verhalten;<br />
6 geben Sie ein 'Warum' für das erwünschte Verhalten an;<br />
7 überprüfen Sie, ob es das Familienmitglied verstanden hat.<br />
Modell stehen:<br />
1 bitten Sie das Familienmitglied aufzupassen;<br />
2 machen Sie das Verhalten oder die Fähigkeit vor;<br />
3 beschreiben Sie genau, was Sie getan haben; nennen Sie die Schritte und eventuellen<br />
Schwerpunkte.<br />
78
Verhaltensübung:<br />
1 stellen Sie die Verhaltensübung vor;<br />
2 umschreiben Sie die Fähigkeit und machen Sie sie vor;<br />
3 geben Sie ein Warum für die Fähigkeit;<br />
4 überprüfen Sie, ob es das Familienmitglied verstanden hat;<br />
5 üben Sie die Fähigkeit mit dem Familienmitglied ein;<br />
6 geben Sie dem Familienmitglied ein Feedback;<br />
7 untersuchen Sie, wann diese Fähigkeit angewendet werden kann.<br />
79
5 DIE TECHNIKEN ZUR LÖSUNG VON<br />
PROBLEMEN<br />
Techniken zu vermitteln, mit denen sie Probleme lösen können, erweitert die Kompetenz<br />
der Familienmitglieder. Aufgaben werden oft erleichtert, indem man sie strukturiert oder<br />
ordnet. Außerdem lernen Familienmitglieder mithilfe dieser Techniken, Aufgaben anders<br />
wahrzunehmen, beispielsweise indem größere Aufgaben in kleinere übersichtlichere<br />
Aufgaben unterteilt werden. Das schrittweise Beantworten von Fragen ist eine der<br />
Techniken, um Probleme und mögliche Lösungen in den Griff zu bekommen. Die zweite<br />
wichtige Technik zur Lösung von Problemen ist das 'Bleistift und Papier-Training'.<br />
5.1 DAS SCHRITTWEISE BEANTWORTEN VON FRAGEN<br />
Manche Fragen von Familienmitgliedern sind hervorragend geeignet, um eine Antwort<br />
schrittweise und chronologisch auf eine Reihe zu setzen. Manchmal weiß ein<br />
Familienmitglied durchaus in groben Zügen, wie die Antwort lautet, aber er möchte eine<br />
konkretere und detailliertere Erklärung.<br />
Zum Beispiel:<br />
Die Frage einer Mutter lautet: "Was kann ich tun, um eine Stelle als Haushaltshilfe zu finden?"<br />
Simone, die Familienmitarbeiterin, bespricht mit der Mutter verschiedene Möglichkeiten und<br />
Schritte und schreibt sie auf Papier. Das kann folgendermaßen aussehen: Möglichkeiten, um eine<br />
Stelle zu suchen:<br />
• Anzeigen in "Von Haus zu Haus-Blättern" aufgeben;<br />
• Anzeigen in "Von Haus zu Haus-Blättern" heraussuchen;<br />
• freie Stellen beim Arbeitsamt;<br />
• Betriebe und Einrichtungen anrufen und fragen ob sie jemand brauchen;<br />
• .....<br />
Schritte zu einer Bewerbung:<br />
1 nach einer Anzeige/freien Stelle suchen (via Zeitung, Arbeitsamt, Telefonanruf)<br />
2 telefonieren zwecks näherer Informationen (und eventuell einer Verabredung);<br />
3 eventuell: einen Bewerbungsbrief schreiben;<br />
4 das Bewerbungsgespräch.<br />
Die Familienmitarbeiterin geht mit der Mutter diese Schritte durch, damit sie ein realistisches Bild<br />
gewinnt, was passieren muss, wenn man eine Stelle sucht. Auf diese Weise wird auch deutlich,<br />
welche Ziele die Mutter hat.<br />
5.2 DAS BLEISTIFT UND PAPIER-TRAINING<br />
Das Bleistift und Papier-Training ist eine Strukturierungstechnik, die zur Lösung von<br />
Entscheidungsproblemen oder beim Verhandeln über Meinungsverschiedenheiten<br />
angewendet werden kann. Die Arbeit mit Bleistift und Papier ist eine Methode, um<br />
80
Entscheidungsprozesse zu visualisieren. Die Entscheidung für die beste Lösung liegt<br />
nachdrücklich bei dem Familienmitglied. Bei der Arbeit mit Bleistift und Papier ist der<br />
Familienmitarbeiter meistens derjenige, der schreibt, weil er weiß, wie die Informationen<br />
möglichst übersichtlich aufs Papier gebracht werden. Der kurzfristige Wert dieser Technik<br />
besteht darin, die Suche nach der Lösung eines bestimmten Problems zu strukturieren.<br />
Langfristig erlernt die Familie oder das Familienmitglied eine Denkweise, mit der sie in<br />
Zukunft neue Probleme oder Meinungsverschiedenheiten anpacken kann. Das Bleistift und<br />
Papier-Training ist eine Technik, bei der eine Verhaltensänderung vermittels Kognitionen<br />
und Denkweisen angestrebt wird. Wenn Menschen eine Entscheidung für eine bestimmte<br />
Lösung aufgrund einer fundierten Abwägung von Argumenten treffen, ist die Chance groß,<br />
dass die gewählte Alternative ein kompetentes Verhalten fördert. Oft wird das Bleistift und<br />
Papier-Training mit dem Erlernen von Fähigkeiten auf Verhaltensebene kombiniert.<br />
Beispielsweise wenn die Lösung, für die sich die Familie oder das Familienmitglied<br />
entschieden hat, in einer Verhaltensübung geübt wird. Das Bleistift und Papier-Training<br />
kann sowohl mit der Familie oder einem Teil der Familie als auch mit einem einzelnen<br />
Familienmitglied durchgeführt werden. Im ersten Fall ist es oft eine Methode, um den<br />
Verhandlungsprozess zwischen den Familienmitgliedern zu strukturieren. Im zweiten Fall<br />
ist es eine Methode, um die Lösung für ein individuelles Problem zu finden.<br />
5.2.1 Das Bleistift und Papier-Training mit einem einzelnen Familienmitglied<br />
Wenn ein Familienmitglied ein Entscheidungsproblem hat, bei dem es nicht so eins, zwei,<br />
drei eine Lösung weiß, ist es praktisch, alle möglichen Lösungen mit Vor- und Nachteilen<br />
zu inventarisieren, um sich danach fundiert entscheiden zu können. Probleme, die sich<br />
eignen, um mit dieser Technik angepackt zu werden, sind beispielsweise: Kauf einer Second<br />
hand-Sitzgruppe; auf einen Bruder zugehen, den das Familienmitglied schon vier Jahre<br />
nicht mehr gesehen hat oder die beste Möglichkeit aussuchen, um eine Stelle zu<br />
bekommen.<br />
Die Arbeitsweise ist wie folgt:<br />
1 Feststellen der Frage oder des Problems<br />
Eine gute Beschreibung des Problems ist kurz, nicht beschuldigend und konkret. Die Frage<br />
oder das Problem wird oben auf das Papier geschrieben. Das Papier wird nun in vier<br />
Spalten geteilt, von denen die letzte Spalte nicht so breit ist wie die ersten drei.<br />
2 Brainstorming für Alternativen<br />
Der Familienmitarbeiter schreibt alle Lösungen, die das Familienmitglied nennt, in die<br />
linke Spalte. Auch die Lösungen, die in den Augen des Familienmitarbeiters nicht adäquat<br />
sind, werden notiert, sodass das Familienmitglied sich ernst genommen fühlt. Es geht jetzt<br />
nicht darum, wie gut die Alternativen sind: Das Abwägen der Realisierbarkeit kommt<br />
später. Der Familienmitarbeiter kann allerdings nach Erläuterungen fragen, damit er weiss,<br />
was das Familienmitglied mit einer bestimmten Lösung meint. Nach den Lösungen des<br />
Familienmitglieds kommt der Familienmitarbeiter mit ergänzenden Lösungen an die Reihe.<br />
Diese werden gleichfalls aufgeschrieben. Auf diese Weise ist es dem Familienmitarbeiter<br />
möglich, seine eigenen Ideen über das was passieren sollte, anzubringen, ohne dabei als<br />
81
jemand dazustehen, der immer alles besser weiß. Indem erst alle möglichen Lösungen<br />
inventarisiert und dann kritisiert werden, verhindert man ein "ja, aber ..."-Gespräch oder<br />
das sofortige von der Hand weisen einer bestimmten Lösung, die potentiell gute Elemente<br />
hat.<br />
3 Abwägen der Vor- und Nachteile jeder Lösung<br />
Zuerst wird bei jeder Lösung darüber nachgedacht, welche Vorteile diese Lösung haben<br />
könnte. Diese Vorteile werden in die zweite Spalte hinter die betreffende Lösung<br />
geschrieben. Danach wird bei jeder Lösung den Nachteilen nachgegangen. Diese Nachteile<br />
werden in die dritte Spalte geschrieben.<br />
Auch dabei kann der Familienmitarbeiter Vor- und Nachteile anbringen, ohne dass das vom<br />
Familienmitglied als störend erfahren wird. Eventuell werden die Vor- und Nachteile in eine<br />
Spalte gesetzt. Schließlich fordert der Familienmitarbeiter das Familienmitglied auf, die<br />
Lösungen mit 'plus' oder 'minus' zu scoren. Ein 'plus' heißt: Ich denke, dass es eine gute<br />
Lösung ist. Ein 'minus' heißt: Ich denke, dass die Lösung mehr Probleme als Lösungen mit<br />
sich bringt. Die Scores werden hinter die Alternativen gesetzt. Der Familienmitarbeiter<br />
macht - sofern es angebracht ist - einen Unterschied zwischen kurzfristigen und<br />
langfristigen Vor- und Nachteilen.<br />
4 Eine Wahl treffen<br />
Aufgrund der Scores fragt der Familienmitarbeiter das Familienmitglied, was seiner<br />
Meinung nach die beste Lösung sei. Eventuell sieht der Familienmitarbeiter mit dem<br />
Familienmitglied nach, ob eine Kombination von Lösungen erstellt werden kann, die<br />
möglichst viele Vorteile und möglichst wenig Nachteile mit sich bringt. Wenn das<br />
Familienmitglied damit nicht gut zurechtkommt, kann der Familienmitarbeiter ihm<br />
vorschlagen, eine Experimentierperiode von beispielsweise einer Woche einzulegen, um die<br />
beste Lösung auszuprobieren. Eine andere Möglichkeit ist,das Familienmitglied nochmal<br />
darüber nachdenken zu lassen und beim nächsten Mal darauf zurückzukommen.<br />
5 Ausprobieren der Lösung in der Praxis<br />
Der Familienmitarbeiter hilft dem Familienmitglied zu überlegen, wie die ausgewählte<br />
Lösung in die Praxis umgesetzt werden kann. Manchmal ist das ein Anlass, um<br />
Anweisungen zu geben oder Übungen zu machen, manchmal ist das ein Grund, etwas in<br />
einer dritten Richtung zu unternehmen. Der Familienmitarbeiter vereinbart mit dem<br />
Familienmitglied eine Periode, in der die Lösung ausprobiert werden soll. Danach kann das<br />
Familienmitglied anhand seiner Erfahrungen erzählen, wie ihm die Lösung gefallen hat.<br />
Durch diese Arbeitsweise löst das Familienmitglied nicht nur das betreffende Problem,<br />
sondern lernt allgemeine Strategien um Probleme zu lösen. Der Familienmitarbeiter<br />
vermittelt dem Familienmitglied eine bestimmte Denkweise, indem er es wie folgt<br />
instruiert: "Wägen Sie die möglichen Lösungen anhand der Vor- und Nachteile sorgfältig<br />
gegeneinander ab, bevor Sie eine Entscheidung treffen, dabei können Sie sich folgende<br />
Fragen stellen:<br />
1 Was ist das Problem? Was muss ich tun?<br />
2 Was für Möglichkeiten gibt es?<br />
82
3 Setzen Sie die Möglichkeiten in eine Reihe und vergleichen Sie sie untereinander: Was für<br />
Vor- und Nachteile haben sie? Was für kurzfristige/langfristige Folgen haben sie? Wiegen<br />
Mittel und Ziel einander auf?<br />
4 Welche Entscheidung treffe ich?<br />
5 Wie habe ich es, im Nachhinein gesehen, gemacht?<br />
5.2.2 Das Bleistift und Papier-Training mit der Familie<br />
In großen Zügen verläuft das Bleistift und Papier-Training mit der Familie genauso wie mit<br />
individuellen Familienmitgliedern. Der Familienmitarbeiter sorgt für ein großes Blatt<br />
Papier und fragt, ob er das irgendwo aufhängen darf. Der Familienmitarbeiter hat während<br />
des Bleistift und Papier-Trainings eine aktive Haltung: er schreibt mit einem dicken Filzstift<br />
regelmäßig Dinge auf, setzt sich wieder hin, fragt nach und so weiter. Wenn die Übung lang<br />
dauert oder wenn die Familienmitglieder müde werden oder sehr irritiert sind, schlägt er<br />
vor, eben eine Pause zu machen und eventuell etwas zu trinken. Der Familienmitarbeiter<br />
gibt bei der Arbeit viel positives Feedback. Das Training verläuft in folgenden Schritten:<br />
1 Stellen Sie die Frage oder das Problem fest<br />
Eine gute Definition des Problems ist kurz, ist formuliert in Begriffen wahrnehmbaren<br />
Verhaltens, enthält keine Labels und ist nicht beschuldigend. Es ist wichtig, dass die<br />
Familienmitglieder sich über die Definition des Problems einig sind. Darum fordert der<br />
Familienmitarbeiter die Familienmitglieder auf, das Problem in eigenen Worten zu<br />
benennen, sucht nach Übereinstimmungen in der Formulierung und legt den<br />
Familienmitgliedern die endgültige Formulierung des Problems vor.<br />
Zum Beispiel:<br />
Sylvia will am Wochenende um ein Uhr in der Nacht nachhause kommen. Nach 11 wird es erst<br />
gemütlich. Ihre Mutter findet das zu spät. Sie findet 11 Uhr ist das Äußerste. Sie macht sich Sorgen,<br />
wenn es später wird. Außerdem findet sie, dass Sylvia ihren Schlaf nötig hat. Die Mutter ist bereit,<br />
um über die Zeit des Nachhausekommens zu verhandeln. Als Frage wird formuliert: Wie können<br />
wir eine 'Nachhausekommenszeit' für Sylvia finden, die sowohl für Mutter, Vater und Sylvia<br />
akzeptabel ist?<br />
2 Brainstorming für Alternativen<br />
Der Familienmitarbeiter schreibt alle Lösungen auf, die von den Familienmitgliedern<br />
genannt werden. Auch die Lösungen, die in den Augen des Familienmitarbeiters oder der<br />
Familienmitglieder nicht adäquat sind, werden notiert. Alle Familienmitglieder müssen mit<br />
einbezogen werden und sich ernst genommen fühlen. Eventuell macht der<br />
Familienmitarbeiter selbst einige Vorschläge für Lösungen, im Stil von: "Habt Ihr daran<br />
gedacht ...". Schwerpunkte dabei sind:<br />
• Schreiben Sie möglichst viele Lösungen auf. Das Abwägen der Realisierbarkeit kommt<br />
später. Stellen Sie selbst keine Lösungen zur Diskussion und lassen Sie das andere auch<br />
nicht tun.<br />
• Stimulieren Sie die Aktivität der Familienmitglieder; es kann nett und entspannend sein,<br />
83
Alternativen zu überlegen.<br />
• Bekräftigen Sie die Lösungen, die angebracht werden, besonders von Familienmitgliedern,<br />
die weniger mitarbeiten.<br />
3 Abwägen der Vor- und Nachteile<br />
Die Familienmitglieder werden aufgefordert,jede Idee mit 'plus' oder 'minus' zu scoren.<br />
Ein 'plus' heißt: Ich denke, dass es eine gute Idee ist. Ein 'minus' heißt: ich denke, dass die<br />
Idee mehr Probleme als Lösungen mit sich bringt. Pro Idee geht der Familienmitarbeiter<br />
nach, was die Familienmitglieder davon halten. Außer nach ihrem Score fragt er auch nach<br />
ihren Argumenten. Die Scores werden hinter die Alternativen gesetzt. Pro Alternative gibt es<br />
dann also eine oder mehrere plus- oder minus-Wertungen.<br />
Zum Beispiel:<br />
Mit einem Taxi um 1 Uhr nachhause gebracht werden + + -<br />
Um 12 Uhr con Carlos nachhause gebracht werden - + -<br />
Nicht mehr ausgehen - - -<br />
Nachhause kommen, wenn es wieder hell ist - - -<br />
Von Jennifers Vater nach Hause gebracht werden - + + und so weiter<br />
4 Treffen einer Wahl<br />
Der Familienmitarbeiter vergleicht die Scores miteinander. Scores mit ausschließlich plus<br />
springen ins Auge und werden noch einmal genauer betrachtet. Eventuell können<br />
verschiedene gute Ideen kombiniert werden. Wenn nur plus-minus Situationen<br />
herauskommen, wie in obenstehendem Beispiel, gehen Sie folgendermaßen vor:<br />
• sehen Sie, ob derjenige, der minus gegeben hat, nicht völlig dagegen ist;<br />
• lassen Sie jeden seine Argumente nochmals nennen;<br />
• versuchen Sie, einen Kompromiss zu formulieren;<br />
• werten Sie den Kompromiss aus, indem nochmals plus und minus gescort wird;<br />
• schlagen Sie eine Experimentierperiode vor (beispielsweise von einer Woche), um die<br />
Lösung auszuprobieren.<br />
Manchmal ist es auch ein Lösung, die Familienmitglieder noch einmal nachdenken zu<br />
lassen und am nächsten Tag darauf zurückzukommen. Die Chance ist groß, dass jeder<br />
inzwischen darüber nachgedacht und vielleicht darüber gesprochen hat und dadurch eine<br />
andere Sicht auf die Lösung gewonnen hat.<br />
5 Teste die Lösung in der Praxis<br />
Der Familienmitarbeiter oder ein Familienmitglied hat die Lösung aufgeschrieben,<br />
beispielsweise in das Notizbuch für die Familie oder auf ein Blatt an der Pinnwand. Für<br />
jeden ist deutlich, was die Lösung ist. Verabreden Sie eine Periode, in der die Familie mit<br />
der Lösung experimentiert. Danach können die Familienmitglieder anhand ihrer<br />
Erfahrungen erzählen, wie ihnen die Lösung gefallen hat. Instruieren Sie die Familie Sie<br />
anzurufen, wenn es Probleme gibt. Kommen Sie selbst zwischendurch regelmäßig darauf<br />
84
zurück. Dadurch zeigen Sie Interesse und können Problemen vorbeugen, indem Sie<br />
rechtzeitig lenkend eingreifen.<br />
Zum Beispiel:<br />
Die Lösung, die die Familie für das Nachhausekommen von Sylvia gewählt hat, ist: Jennifers Vater<br />
bringt Sylvia um 0.30 Uhr nachhause. Am Samstag ist die Familienmitarbeiterin in der Familie.<br />
Sie fragt, ob mit Jennifers Vater alles geregelt ist. Am Sonntag ruft sie die Familie an und fragt, wie<br />
es mit dem Nachhausekommen von Sylvia geklappt hat. Sie gibt positives Feedback darauf, wie die<br />
Familie die Lösung miteinander in die Praxis umgesetzt hat.<br />
5.3 CHECKLISTE FÜR DAS BLEISTIFT-UND-PAPIER-TRAINING<br />
1 Feststellen der Frage oder des Problems<br />
2 Brainstorming für Alternativen<br />
3 Abwägen der Vor- und Nachteile jeder Lösung<br />
4 Eine Wahl treffen<br />
5 Die Lösung in der Praxis ausprobieren<br />
85
6 TECHNIKEN ZUR BEEINFLUSSUNG<br />
VON GEDANKEN UND GEFÜHLEN<br />
In den vorigen Kapiteln wurden Techniken beschrieben, die sich auf direkt beobachtbares<br />
Verhalten beziehen. Wenn die Kompetenzanalyse jedoch zeigt, dass von Fähigkeitsdefiziten<br />
oder zu schweren Aufgaben auf der kognitiven Seite gesprochen werden muss, ist es<br />
sinnvoller, nicht das direkt beobachtbare Verhalten als Blickwinkel zu nehmen, sondern die<br />
Gefühle und Gedanken, die diesem vorangehen. Um störende Gedanken zu erkennen und<br />
daran zu arbeiten, wird die Technik 'Störende und helfende Gedanken' benutzt. Es gibt<br />
auch Techniken, um das Erkennen von Emotionen und Gefühlen zu vermitteln, die bei der<br />
Arbeit in einer Familie gut zupass kommen können. Um den Umgang mit schnell<br />
eskalierenden Gefühlen zu lehren, werden das 'Thermometer' und die 'Erste Hilfe-Karte'<br />
benutzt.<br />
6.1. BEEINFLUSSEN VON GEDANKEN<br />
Kompetenzerweiterung, die sich auf Gedanken von Familienmitgliedern richtet, verläuft in<br />
den folgenden Schritten:<br />
1 Lehren Sie die Familienmitglieder erkennen, dass sie Dinge zu sich selbst sagen;<br />
2 Lehren Sie sie, dass die Dinge, die sie zu sich selbst sagen, ihre Gefühle und<br />
Verhaltensweisen beeinflussen können;<br />
3 Lehren Sie sie, auf die Dinge, die sie zu sich selbst sagen, zu achten;<br />
4 Lehren Sie sie, auf andere Weise zu sich selbst zu sprechen.<br />
6.1.1 Störende und helfende Gedanken<br />
Kognitive Fähigkeiten können mithilfe der Technik 'Störende und helfende Gedanken'<br />
vermittelt werden. Diese Technik wurde von der Methode der RET inspiriert, Rationeel<br />
Emotieve Therapie (Rationale Emotive Therapie), die Albert Ellis entwickelte. Die RET-<br />
Methode basiert auf der Idee, dass jemand nach einem Ereignis bestimmte Gedanken hat<br />
oder Dinge zu sich selbst sagt. Diese Dinge bestimmen, wie sich die Person fühlt, was<br />
wieder Einfluss darauf erlangt, wie sie sich danach verhält. Im Gegensatz zu dem was viele<br />
Menschen denken, werden Gefühle nicht direkt durch Ereignisse verursacht, sondern ist es<br />
die Interpretation dieser Ereignisse, die zu den Gefühlen führt.<br />
Bei der Technik 'Störende und helfende Gedanken' spielen die folgenden Elemente eine<br />
Rolle:<br />
• ein Ereignis, das bestimmte Gedanken verursacht;<br />
• Gedanken oder Dinge, die jemand zu sich selbst sagt;<br />
• Gefühle zu oder nach diesem Ereignis;<br />
• Verhalten, das hieraus folgt.<br />
Beispiel 1:<br />
Eine alleinstehende Mutter hat ein Baby, das sehr oft weint (Ereignis). Die Gedanken, die sie dazu<br />
hat, sind: "Ich bin eine schlechte Mutter" und "Ich bin sicher nicht lieb genug zu meinem Kind".<br />
86
Das führt zu Gefühlen von Machtlosigkeit und Verzweiflung. Das führt wiederum dazu, dass die<br />
Mutter ihr Baby regelmäßig heftig schüttelt, um es still zu kriegen oder sogar Beruhigungszäpfchen<br />
gibt.<br />
Beispiel 2:<br />
Ein Vater hat regelmäßig mit dem frechen Verhalten seiner vierzehnjährigen Tochter zu tun. Wenn<br />
er ihr einen Auftrag gibt, wird er von ihr angeschnauzt (Ereignis). Seine Gedanken sind dann:<br />
"Das lasse ich mir nicht gefallen, ein Kind muss seinen Eltern gehorchen, so wie wir früher". Das<br />
führt zu Wut (Gefühl). Weil er sich ein paar Mal nicht mehr beherrschen konnte, hat er sie einige<br />
Male physisch misshandelt.<br />
Störende Gedanken<br />
Die Gedanken aus den obenstehenden Beispielen können als 'störend' umschrieben<br />
werden. Sie stehen der Mutter im Weg, um ihr Baby gut zu versorgen, und sie stehen dem<br />
Vater im Weg, um auf eine adäquate Art und Weise mit dem frechen Verhalten seiner<br />
Tochter umzugehen. Jeder hat schon mal störende Gedanken, beispielsweise, dass es<br />
notwendig sei, von jedermann geschätzt zu werden; oder dass es schrecklich sei, wenn die<br />
Dinge nicht so laufen, wie man es sich wünscht; oder dass man in jeder Hinsicht kompetent<br />
sein müsse, adäquat handeln müsse und über alles Kontrolle haben müsse. Das andere<br />
Extrem ist der Gedanke, dass es besser sei, die Schwierigkeiten und Verantwortlichkeiten<br />
des Lebens zu meiden. Manche störenden Gedanken haben eine wahren Kern. Das Leben<br />
wäre beispielsweise schön, wenn man von jedem geschätzt werden könnte. Die Wirklichkeit<br />
lehrt es jedoch anders, und das kann zu depressiven Gefühlen führen. Das Ziel der Technik<br />
ist, die störenden Gedanken und Ideen durch Gedanken zu ersetzen, die kompetentes<br />
Verhalten fördern können; sogenannte 'helfende' Gedanken. Um das zu erreichen, müssen<br />
die störenden Gedanken hervorgeholt und zur Diskussion gestellt werden.<br />
Zur Diskussion der störenden Gedanken können folgende Fragen gestellt werden:<br />
1 Stimmt der Gedanke mit der Wirklichkeit überein?<br />
2 Hilft der Gedanke zu erreichen, was Sie erreichen möchten?<br />
Meistens sind diese Fragen ausreichend um dahinter zu kommen, welche Gedanken stören<br />
und besser durch helfende Gedanken ersetzt werden können. Eventuell können folgende<br />
Fragen ergänzend gestellt werden:<br />
3 Hilft Ihnen der Gedanke, Gefühle, die Sie nicht wollen, zu vermeiden oder zu<br />
verhindern?<br />
4 Hilft Ihnen der Gedanke, Konflikte mit Ihrer Umgebung, die Sie nicht wollen, zu<br />
vermeiden oder zu verhindern?<br />
Helfende Gedanken<br />
Durch das Hervorholen und zur Diskussion stellen von Gedanken entwickeln sich<br />
87
allmählich mehr helfende Gedanken. Beispiele von helfenden Gedanken zur Ersetzung der<br />
vorher genannten störenden sind:<br />
"Es ist nicht bewiesen, dass du immer geschätzt werden musst. Es gibt tatsächlich wenige<br />
Dinge, die Menschen wirklich nötig haben, meistens geht es um Dinge, die du gern willst.<br />
Jeder ist fehlbar und kann Fehler machen und wird also nicht immer geschätzt. Außerdem<br />
kannst du es auch nicht immer allen Recht machen." "Ich habe schon eine Anzahl<br />
unerfreulicher Ereignisse überlebt. Objektiv gesehen ist es nicht schrecklich; die Menschen<br />
nennen es nur so." "Niemand ist perfekt und es ist besser, diese Wahrheit zu akzeptieren.<br />
Jemand, der Fehler macht, ist kein Versager. Übung macht den Meister."<br />
"Schwierigkeiten zu vermeiden, scheint anziehend zu sein, aber langfristig werden die<br />
Sachen so oft noch komplizierter. Ich bin in der Lage,Schwierigkeiten zu bewältigen, ich<br />
mag das nur nicht gerne. Herausforderungen anzunehmen, kann sehr befriedigend sein."<br />
Wenn störende Gedanken zur Diskussion gestellt werden, geht es oft darum, sehr absolute<br />
oder normierende Gedanken abzuschwächen. Beim Entwickeln helfender Gedanken ist es<br />
wichtig, Anknüpfungspunkte für Veränderungen zu finden.<br />
Zum Beispiel:<br />
"Ich kann das nicht ausstehen ..." kann umgebogen werden in: "Das mag ich nicht ...";<br />
"Das ist schrecklich ..." kann ersetzt werden durch: "Ich finde das sehr ärgerlich, aber ...";<br />
"Es gehört sich, dass ..." wird: "Es wäre nett, wenn ... ".<br />
Diese anderen Denkweisen können helfen, mit ärgerlichen Ereignissen auf eine adäquatere<br />
Weise umzugehen.<br />
6.1.2 Der Gebrauch der Technik in Familien<br />
Der Familienmitarbeiter beschließt, die Technik 'Störende und helfende Gedanken' zu<br />
benutzen, wenn er merkt, dass störende Gedanken im Problemverhalten der<br />
Familienmitglieder eine Rolle spielen und die Technik ein effektives Mittel zu sein scheint,<br />
eines der Ziele, die in Überlegung mit der Familie festgestellt wurden, zu erreichen. Die<br />
Technik wird meist erst in der zweiten Hälfte der Periode angewendet, in der der<br />
Familienmitarbeiter mit der Familie arbeitet. Es ist wichtig, dass die Sicherheit der Familie<br />
gewährleistet ist. Außerdem muss der Familienmitarbeiter zuerst durch praktische Hilfe<br />
und Lehren neuer Fähigkeiten mit Bezug auf beobachtbares Verhalten gezeigt haben, dass<br />
er der Familie etwas bedeuten kann. Aufgrund dessen werden Familienmitglieder eher<br />
bereit sein, über ihre Gedanken zu sprechen und diese zur Diskussion zu stellen. Manchmal<br />
ist das Verändern störender in helfende Gedanken ausreichend, um eine<br />
Verhaltensänderung zu erreichen. Oft müssen jedoch auch neue Fähigkeiten vermittelt<br />
werden. Die helfenden Gedanken bieten Anknüpfungspunkte dafür. Auch andere<br />
kompetenzerweiternde Techniken können angewendet werden, wie Informationen geben<br />
oder schützende Faktoren schaffen.<br />
Zum Beispiel:<br />
Die Mutter mit dem weinenden Kind hat inzwischen gelernt, so zu denken: "Jede Mutter hat mal<br />
88
ein weinendes Kind, ich bin wirklich nicht die einzige. Ich muss ausprobieren, wie ich mein Kind<br />
am besten trösten kann. Eben ist mir das auch gelungen." Danach ordnet der Familienmitarbeiter<br />
mithilfe des Bleistift und Papier-Trainings mit der Mutter was für Ursachen das Weinen eines<br />
Babys haben kann, was für Lösungen es gibt und was für die Mutter am ehesten erreichbar ist.<br />
Schritte bei der Anwendung der Technik 'Störende und helfende Gedanken'<br />
Die Technik 'Störende und helfende Gedanken' wird in den folgenden zehn Schritten<br />
angewendet:<br />
1 Einleitung: Der Familienmitarbeiter erklärt die Technik so viel wie möglich in den<br />
Worten der Familie.<br />
Zum Beispiel: "Heute geht es um die Dinge, die Sie zu sich selbst sagen. Wir schauen,<br />
welchen Einfluss das beispielsweise hat auf die Dinge, die Sie tun. ... Schauen wir anhand<br />
dieses Beispiels, wie das bei Ihnen ist. Wir können das mithilfe dieses Formulars tun." Der<br />
Familienmitarbeiter zeigt das Formular 'Störende und helfende Gedanken'. (siehe Schema<br />
auf Seite 88 und Beilage 2)<br />
2 Beschreibung eines Ereignisses, bei dem störende Gedanken im Spiel waren.<br />
Kontrollieren Sie dabei, ob es sich wirklich um ein Ereignis handelt und nicht um einen<br />
Gedanken des Familienmitglieds.<br />
3 Beschreibung von Gefühlen.<br />
4 Beschreibung des Verhaltens, das darauf folgte.<br />
5 Erklärung des Einflusses von Gedanken und Dingen, die man zu sich selbst sagt.<br />
Eine nette Vorgehensweise ist es, Beispiele zu benutzen, etwa in der Art von: 'Sie sagen oft<br />
Dinge zu sich selbst, beispielsweise, dass Sie etwas richtig oder falsch gemacht haben. Die<br />
Dinge, die Sie zu sich selbst sagen, beeinflussen, wie Sie sich danach fühlen oder was Sie<br />
danach tun. Wenn es Ihnen nicht gelingt, einen Reifen zu flicken und Sie sagen zu sich<br />
selbst "Siehst du, ich kann aber auch gar nichts", fühlen Sie sich danach vielleicht machtlos<br />
und mutlos ("Ich kann überhaupt nichts, ich bin ein Nichtsnutz!") und wage beim nächsten<br />
Mal keinen neuen Versuch. Einen Gedanken wie "Ich kann nichts" nennen wir einen<br />
'Störenden Gedanken'. 'Störende Gedanken' sind meistens nicht wahr. Und wenn sie doch<br />
wahr sein sollten, helfen sie Ihnen oft nicht, das zu erreichen, was Sie wollen. Darum kann<br />
es helfen, störende Gedanken durch andere zu ersetzen. Ein anderer Gedanke in diesem<br />
Beispiel wäre: "Einen Reifen zu flicken ist eine Scheißarbeit. Damit hat jeder seine Mühe.<br />
Mit etwas mehr Geduld wird es mir schon gelingen, den Reifen zu flicken." Diesen<br />
Gedanken nennen wir einen 'Helfenden Gedanken'.<br />
Lassen Sie die helfenden Gedanken gut zu sich durchdringen, damit Sie sie benutzen<br />
können, wenn Sie sie nötig haben.<br />
89
6 Inventarisierung störender Gedanken.<br />
7 Beschreibung der erwünschten Alternative.<br />
Der Familienarbeiter fragt das Familienmitglied wie er in einer solchen Situation reagieren<br />
würde (kompetentes Verhalten anstelle von Problemverhalten) und beschreibt dies auf dem<br />
Formular (Was würden Sie tun?).<br />
8 Entwicklung helfender Gedanken.<br />
Der Familienmitarbeiter füllt zusammen mit dem Familienmitglied die rechte Spalte weiter<br />
aus. Beim Herausfordern der störenden Gedanken kann er die vier Fragen benutzen:<br />
1 Ist der Gedanke wahr?<br />
2 Hilft Ihnen der Gedanke, zu erreichen was Sie erreichen wollen? Und eventuell:<br />
3 Hilft Ihnen der Gedanke, Gefühle, die Sie nicht wollen, zu vermeiden oder zu verhindern?<br />
4 Hilft Ihnen der Gedanke, Konflikte mit Ihrer Umgebung, die Sie nicht wollen, zu<br />
vermeiden oder zu verhindern?<br />
Anhand dieser Fragen werden die störenden Gedanken durch mehr helfende Gedanken<br />
ersetzt. Beim Hervorholen störender Gedanken sind Fragen zu stellen wie: "Könnte diese<br />
Situation auf eine andere Weise betrachtet werden?", oder: "Ich sehe das etwas anders,<br />
nämlich ...". Die helfenden Gedanken werden auf dem Formular beschrieben.<br />
9 Beschreibung von Gefühlen bei helfenden Gedanken.<br />
10 Übung zu den helfenden Gedanken.<br />
Um den Gebrauch der helfenden Gedanken zu stimulieren und zu vereinfachen. Oft<br />
müssen sich Familienmitglieder noch daran gewöhnen und sich die neuen Gedanken zu<br />
eigen machen. Der Familienmitarbeiter kann ihnen zu folgender Übung raten:<br />
• Stellen Sie sich vor den Spiegel und üben Sie zehn Minuten lang die helfenden Gedanken<br />
(eventuell mit einem Belohnungssytem verbunden).<br />
• Schreiben Sie die helfenden Gedanken auf kleine Zettel und kleben Sie sie an die Stellen<br />
im Haus, an denen Sie oft vorbeikommen. Lesen Sie sie (laut) im Vorbeigehen.<br />
• Führen Sie Tagebuch über die störenden und helfenden Gedanken.<br />
• Versuchen Sie, schwierige Situationen vorwegzunehmen, indem Sie die helfenden<br />
Gedanken vorher einige Male wiederholen.<br />
90
SCHEMA FÜR DIE ARBEIT AN STÖRENDEN UND HELFENDEN GEDANKEN<br />
1. Einleitung: Erklären, was störende Gedanken sind<br />
Das Formular 'Störende und helfende Gedanken':<br />
2. Das Ereignis, die Ereignisse:<br />
Beschreiben Sie zusammen mit dem Familienmitglied ein neueres Ereignis, bei dem<br />
störende Gedanken eine Rolle spielten.<br />
6. Störende Gedanken:<br />
Inventarisieren Sie alle Gedanken, die das<br />
Familienmitglied hatte / die Dinge, die er bei<br />
diesem Ereignis zu sich selbst sagte.<br />
8. Helfende Gedanken:<br />
Suchen Sie zusammen mit dem<br />
Familienmitglied nach 'helfenden' Gedanken.<br />
Zum Hervorholen der störenden Gedanken<br />
und Finden der helfenden Gedanken<br />
benutzen Sie die folgenden vier Fragen:<br />
1. Ist der Gedanke wahr? Wenn nicht,<br />
welcher Gedanke ist wahr?<br />
2. Hilft Ihnen der Gedanke zu erreichen, was<br />
Sie erreichen wollen? Welcher Gedanke<br />
würde Ihnen helfen?<br />
3. Hilft Ihnen der Gedanke, Gefühle, die Sie<br />
nicht wollen, zu vermeiden oder zu<br />
verhindern? Welcher Gedanke würde<br />
helfen?<br />
4. Hilft Ihnen der Gedanke, Konflikte mit<br />
Ihrer Umgebung, die Sie nicht wollen, zu<br />
vermeiden oder zu verhindern?<br />
3. Gefühle bei dem Ereignis/den Ereignissen:<br />
Inventarisieren Sie die Gefühle, die das<br />
Familienmitglied während des<br />
Ereignisses/der Ereignisse hatte.<br />
9. Gefühle, die helfende Gedanken mit<br />
hervorbringen können:<br />
Beschreiben Sie die Gefühle, die die Folge<br />
von helfenden Gedanken sein können.<br />
4. Was haben Sie nach diesem<br />
Ereignis/diesen Ereignissen getan?<br />
Beschreiben Sie das Verhalten nach diesem<br />
Ereignis.<br />
7. Was möchten Sie tun?<br />
Fragen Sie das Familienmitglied, wie es in<br />
einer solchen Situation gern reagieren<br />
möchte (kompetentes Verhalten anstelle von<br />
Problemverhalten).<br />
5. Erklärung zum Funktionieren von Gedanken und Dingen, die Sie zu sich selbst sagen<br />
10. Übung zu den helfenden Gedanken<br />
91
6.2 TECHNIKEN ZUM UMGANG MIT GEFÜHLEN<br />
Familienmitarbeiter werden regelmäßig mit Familien oder Familienmitgliedern<br />
konfrontiert, bei denen eskalierende Gefühle zu einem Verhalten führen, das die Sicherheit<br />
der Kinder bedroht. Beispiele sind Wutausbrüche, Depressivität und Angst. Das Auftreten<br />
und die Eskalation dieser Gefühle kann bestimmten erwünschten Verhaltensweisen im Weg<br />
stehen oder zu unerwünschtem Verhalten führen. Die Arbeit mit dem Thermometer und<br />
der Erste Hilfe-Karte ist eine Technik, um Familienmitgliedern zu vermitteln, ihre Gefühle<br />
rechtzeitig zu erkennen und um Verhaltensalternativen zu bieten. Das Thermometer und<br />
die Erste Hilfe Karte können in zahlreichen Fällen benutzt werden, vor allem in<br />
Situationen,in denen Familienmitglieder sehr depressiv sind und das Risiko auf Selbstmord,<br />
unkontrollierbare Wutanfälle oder extreme Ängste besteht.<br />
6.2.1 Das Thermometer und die Erste Hilfe-Karte.<br />
Das Thermometer und die Erste Hilfe-Karte können sowohl bei Erwachsenen wie bei etwas<br />
älteren Kindern benutzt werden. Das Ziel dieser Hilfsmittel ist, dass das Familienmitglied<br />
lernt eskalierende Gefühle und Emotionen rechtzeitig zu erkennen. Er bekommt<br />
Verhaltensalternativen angeboten, durch die er lernt, in schwierigen Situationen so zu<br />
reagieren, dass er für sich selbst und andere keine Gefahr ist. Mithilfe des Thermometers<br />
und der Erste Hilfe-Karte wendet sich ein Familienmitglied Gefühlen zu, durch die er<br />
früher überwältigt wurde, um sie in einem ruhigen Augenblick zusammen mit dem<br />
Familienmitarbeiter zu beobachten und ihnen danach einen Namen zu geben. Diese<br />
Herangehensweise vergrößert die Chance, dass er depressive, beängstigende oder böse<br />
Gefühle rechtzeitig erkennt und sein Verhalten ändern kann. Diese Technik kann auch in<br />
anderen Situationen angewendet werden, beispielsweise um jemandem zu vermitteln,<br />
besser mit Alkohol und Drogen umzugehen (was tust du, wenn du in Versuchung<br />
kommst?) oder um zu Freunden, die einen unter Druck setzen, nein sagen zu lernen (in<br />
welchem Moment sagst du nein zu Vorschlägen, die dir nicht passen?)<br />
6.2.2 Erstellen eines Thermometers und einer Erste Hilfe-Karte<br />
Ein Thermometer enthält eine Zusammenstellung einander folgender Gefühle. Eine Erste<br />
Hilfe-Karte enthält eine Zusammenstellung alternativer Verhaltensweisen. Zur Erstellung<br />
des Thermometers und der Erste Hilfe-Karte ist ein Blatt Papier oder ein Stück Karton<br />
nötig. Das Thermometer wird, zusammen mit dem Familienmitglied, auf der Vorderseite<br />
eingetragen. Die Rückseite wird für Verhaltensalternativen benutzt; die Erste Hilfe-Karte.<br />
Zum Beispiel:<br />
Bepleidet an depressiven Stimmungen, unter anderem als Folge ihrer Scheidung von Bert. Einmal<br />
unternahm sie einen Selbstmordversuch. Das ist fast ein Jahr her. Von Selbstmordgedanken ist nun<br />
keine Rede mehr. Allerdings fühlt sie sich oft sehr lustlos und trübsinnig. Auf dem Thermometer<br />
sind zahlreiche Gefühle und Situationen angeordnet, in der Reihenfolge von einer sehr guten zu<br />
einer sehr depressiven Stimmung. Auf der Rückseite des Thermometers steht die dazugehörende<br />
Erste Hilfe-Karte mit einer Zusammenstellung von Alternativen, die Bep hat, wenn die depressiven<br />
Gefühle zu eskalieren drohen.<br />
92
10<br />
Verzweifelt, Panik<br />
Als ich die Pillen nahm, konnte ich es nicht mehr ertragen.<br />
9<br />
8<br />
Scheißgefühl. Weinen. Schwere Kopfschmerzen. Ein leeres Gefühl.<br />
Ich vermisse Bert, denke immer an ihn.<br />
7<br />
6<br />
5<br />
Drehe die Karte um<br />
4<br />
Unglücklich. Ein bißchen weinen. Leichte Kopfschmerzen.<br />
Ab und zu an Bert denken.<br />
Nicht richtig glücklich, nicht richtig unglücklich. Wenig Energie.<br />
Wenig an Bert denken.<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Glücklich.<br />
Mit Bert auf Kreta. Herrliche Zeit.<br />
Erste Hilfe bei Stress<br />
Dinge, die ich tun kann, wenn ich bei 5 bin:<br />
1 Jaqueline anrufen (Freundin), 6738592.<br />
2 Frans anrufen, Familienmitarbeiter, 6648755.<br />
3 RTL-4 ansehen.<br />
4 Bei der Nachbarin vorbeigehen (Marja).<br />
5 Pizzadienst anrufen, 6884387.<br />
6 Mit Suus zum Spielplatz gehen.<br />
7 Die neue Brigitte lesen.<br />
SIEH AUF DIE KARTE<br />
Nach dem Frühstück<br />
Nach dem Mittagessen<br />
Nach dem Abendessen<br />
Manchmal ist es schwierig, dem Thermometer und der Erste Hilfe-Karte einen Namen zu<br />
geben, beispielsweise 'Stress-Thermometer' und 'Erste Hilfe bei Stress', 'Wut-Thermometer'<br />
und 'Erste Hilfe bei Wut' und 'Angst-Thermometer' und 'Erste Hilfe bei Angst'. Es ist nicht<br />
93
vernünftig, Namen wie 'Depressions-Thermometer' und 'Selbstmord-Thermometer' zu<br />
wählen, weil die Ausdrücke stigmatisierend wirken. Besser sind Wörter wie 'Gefühlsmesser'<br />
oder 'Stimmungsmessser'.<br />
6.2.3 Die Schritte beim Erstellen eines Thermometers und einer Erste Hilfe-<br />
Karte<br />
Das Erstellen eines Thermometers und einer Erste Hilfe-Karte geschieht in vier<br />
Schritten:<br />
1 Erkennen verschiedener Stadien von Gefühlen<br />
Erklären Sie, dass ein bestimmtes Gefühl, beispielsweise Wut oder Depression nicht auf<br />
einmal da ist, sondern sich aufbaut. Es gibt eine Art Hierarchie von Gefühlen, die von<br />
einem sehr guten Gefühl zu einem sehr wütenden, ängstlichen oder depressiven Gefühl<br />
führt. Suchen Sie zusammen nach dem Anfangs- und Endpunkt. Den Anfangspunkt bildet<br />
eine Situation, in der sich das Familienmitglied sehr gut fühlte. Diese Situation erhält die<br />
Zahl '0'. Den Endpunkt bildet eine Situation, in der er sich so böse, depressiv oder<br />
verängstigt fühlte wie noch nie zuvor. Diese Situation erhält die Zahl '10'. Bei einem Vater<br />
mit Wutanfällen kann beispielsweise gefragt werden, ob er sich an eine Situation erinnert,<br />
in der er sich ruhig fühlte und überhaupt nicht wütend war. Diese Situation erhält dann<br />
den Wert '0'. Danach kann er gefragt werden, ob er sich an eine Situation erinnert, in der er<br />
wütender denn je gewesen ist. Diese Situation erhält den Wert '10'. Beginnen Sie danach<br />
damit, eine erste Differenzierung der Gefühle anzubringen, indem Sie fragen, welchen Wert<br />
das Familienmitglied seiner heutigen Stimmung oder seinem heutigen Gefühl geben würde.<br />
Durchweg wird das mit einer Zahl variierend von 3 bis 5 angegeben. Das ist ziemlich ruhig,<br />
aber es ist doch noch die Rede von einem gewissen Maß unangenehmer Gefühle, weil an<br />
der Lösung von Problemen noch nicht gearbeitet wurde.<br />
2 Erkennen der Gefahrenzone<br />
Fragen Sie das Familienmitglied, auf welchem Niveau der 10 Punkte-Skala er die Kontrolle<br />
verliert. Es ist wichtig, sich auf die Nummer, die das Familienmitglied wählt, einzulassen, ob<br />
das nun eine 4 oder eine 6 ist. Das bestätigt das Familienmitglied in der Idee, dass er selbst<br />
die Entscheidungen trifft und dass er das Gefühl bei dem gewählten Wert auch gut<br />
wiedererkennt. Vor dem Beginn der Gefahrenzone müssen alternative Verhaltensweisen<br />
oder Aktivitäten gesucht werden, die helfen, die bedrohlichen Gefühle wieder in die Hand<br />
zu kriegen.<br />
3 Brainstorming nach Alternativen: Erstellen der Erste Hilfe-Karte<br />
Überlegen Sie danach zusammen mit dem Familienmitglied möglichst viele Alternativen,<br />
die dazu beitragen können, dass die Kette eskalierender Gefühle unterbrochen wird.<br />
Bringen Sie das Familienmitglied auf Ideen durch Beispiele, die nicht speziell auf seine<br />
eigene Situation Bezug nehmen. Nehmen Sie jede Alternative, die jemand vorbringt,<br />
begeistert auf; das wirkt stimulierend. Nachdem alle Alternativen aufgeschrieben sind, wählt<br />
94
das Familienmitglied eine Reihenfolge aus von 'am hilfreichsten' bis zu 'am wenigsten<br />
hilfreich' und nummeriert sie. Danach werden die Alternativen nochmals übersichtlich und<br />
in der Reihenfolge untereinander gesetzt. Wenn bestimmte Alternativen nicht deutlich sind,<br />
werden sie konkretisiert, und beispielsweise die Telefonnummern hinzugefügt. Sofern<br />
bestimmte Alternativen nicht vorhanden sind, werden sie herbeigeschafft.<br />
Zum Beispiel:<br />
Im Fall des Vaters, der regelmäßig seine Last mit Wutanfällen hat, können die Alternativen sein:<br />
1. Gehe für 5 Minuten ins Badezimmer.<br />
2. Gehe mit dem Hund nach draußen.<br />
3. Setze den Walkman auf und höre eine Kassette von Reinhard Mey.<br />
4. Rufe Bruder Tom an (035-214362)<br />
5. Rufe die Familienmitarbeiterin an (Ingrid, 020-6547182).<br />
6. Renne durch den Park.<br />
7. Mähe das Gras.<br />
Beim Erstellen der Erste Hilfe-Karte sind Variationen in der Art der Alternativen wichtig,<br />
beispielsweise nicht nur Menschen anrufen, sondern auch Aktivitäten, die jemand allein<br />
tun kann. Manchmal muss das Familienmitglied die Menschen, die auf der Erste Hilfe-<br />
Karte stehen, fragen, ob es in Ordnung ist, dass er sie anruft zu einem Schwatz oder zur<br />
Ablenkung, wenn er beginnt sich weniger gut zu fühlen.<br />
4 Üben mit dem Thermometer und der Erste Hilfe-Karte<br />
Der Familienmitarbeiter verabredet mit dem Familienmitglied, das Thermometer und die<br />
Erste Hilfe-Karte auf einen deutlichen Platz zu legen oder aufzuhängen. Beispielsweise auf<br />
das Fernsehen, neben den Spiegel, ans Bett, in den Terminkalender oder auf den<br />
Kühlschrank. Das Familienmitglied bekommt den Auftrag, regelmäßig auf das<br />
Thermometer und die Erste Hilfe-Karte zu sehen, beispielsweise dreimal täglich. Eine<br />
zusätzliche Möglichkeit ist, dass das Familienmitglied aufschreibt, auf welchem Stand das<br />
Thermometer zu diesen verschiedenen Zeitpunkten steht. Der Familienmitarbeiter nimmt<br />
bei einem folgenden Besuch die Scores mit dem Familienmitglied durch. Mal um Mal die<br />
verschiedenen Stadien auf dem Thermometer und die Alternativen auf der Erste Hilfe-<br />
Karte zu wiederholen, erhöht die Chance, dass sie, wenn nötig, richtig anwendbar sind.<br />
6.3 TECHNIKEN ZUM ERKENNEN UND BENENNEN VON GEFÜHLEN<br />
Bei verschiedenen Techniken, die im Families First-Programm angewendet werden, wird<br />
davon ausgegangen, dass Familienmitglieder in der Lage sind, bei einem Ereignis oder in<br />
einer Situation ihr Gefühl zu benennen. Manchmal erweist sich diese Unterstellung als<br />
nicht zutreffend, beispielsweise weil ein Familienmitglied nicht weiß, wie er ein bestimmtes<br />
Gefühl benennen soll, oder weil er das Gefühl oder die Emotion nicht gut wiedererkennt.<br />
Das ist nicht nur bei der Arbeit mit den Techniken kompliziert, es erschwert auch die<br />
Kommunikation der Familienmitglieder untereinander.<br />
Zum Beispiel:<br />
95
Jaqueline fühlt sich bekümmert, wenn ihr Mann wieder ohne Gruß weggegangen ist. Es ist wichtig,<br />
dass sie ihn das wissen läßt. In einem ersten Schritt dazu lernt sie, dieses Gefühl bei sich selbst zu<br />
erkennen und gibt ihm einen Namen ('bekümmert'). Danach kann sie es ihm erzählen<br />
(beispielsweise mittels einer Ich-Botschaft).<br />
6.3.1 Das Gefühlsrad<br />
Dazu wird eine Art Uhr (viereckig oder rund) mit einem Zeiger benötigt, worauf an den<br />
Stellen der Uhrmarkierungen eine Anzahl Gefühle aufgeschrieben sind, beispielsweise<br />
'stark', 'froh', 'glücklich', 'angespannt', 'unzufrieden', 'böse', 'ängstlich', 'bekümmert',<br />
'unglücklich', 'entspannt', 'zufrieden', 'ruhig'. Mit dem Familienmitglied wird geschaut,<br />
welche Gefühle er in diesem Augenblick hat oder in einer bestimmten Situation gehabt hat.<br />
Er stellt den Zeiger des Rads auf eins der Gefühle. Er darf den Zeiger auch zwischen zwei<br />
Gefühle stellen, bespielsweise zwischen bekümmert und unglücklich. Er wird gefragt, wie er<br />
dieses Gefühl nennen würde. Auf diese Weise kann der Familienmitarbeiter beim<br />
Sprachgebrauch des Familienmitglieds anschließen. Die Umschreibungen 'angespannt' und<br />
'entspannt' geben die körperlichen Komponenten eines Gefühls wieder. Um mehr Einblick<br />
zu erhalten, wird nach Gefühlen gefragt, die damit einhergehen, beispielsweise angespannt<br />
und ängstlich. Nachdem das Familienmitglied einem Gefühl einen Namen gegeben hat,<br />
können verschiedene Dinge getan werden, abhängig vom Thema oder der Situation:<br />
• Nachgehen, wie er selbst mit diesem Gefühl umgehen kann.<br />
• Nachgehen, wie er das Gefühl in Richtung des entgegengesetzten Gefühls verändern kann<br />
(beispielsweise mittels der Technik 'Störende und helfende Gedanken' oder mittels<br />
Verhaltensübungen).<br />
• Nachgehen, wie dieses Gefühl anderen deutlich gemacht werden kann, beispielsweise<br />
durch Ich-Botschaften, die in Verhaltensübungen gelernt werden können. Diese Übung ist<br />
für Kinder weniger geeignet.<br />
6.3.2 Darstellen von Gefühlen<br />
Schreiben Sie allerlei Gefühle auf kleine Karten. Bitten Sie die Familienmitglieder, mit<br />
denen Sie die Übung machen, reihum ein Gefühl darzustellen, das auf einem Kärtchen<br />
steht. Die anderen Familienmitglieder müssen raten, welches Gefühl dargestellt wird. Diese<br />
Übung illustriert, dass je deutlicher man ein Gefühl zeigt, ein anderer desto besser weiß,<br />
was man fühlt und die Chance desto größer ist, dass er Rücksicht darauf nimmt. Eventuell<br />
kann entschieden werden, diese Übung zu erweitern, beispielsweise so:<br />
• Stellen Sie anderen Familienmitgliedern die Frage, ob dieses Gefühl von dem<br />
Familienmitglied durchweg auch so geäußert wird, beispielsweise sich bei Verdruss in eine<br />
Ecke setzen. Wenn nicht, fragen Sie wie er es dann äußert und ob das für andere deutlich<br />
ist.<br />
• Fragen Sie das Familienmitglied, ob er das Gefühl, das er gerade dargestellt hat, auch<br />
selbst manchmal hat und wenn ja, ob er es durchweg auch so äußert, wie er es gerade<br />
vorgemacht hat. Wenn nicht, fragen Sie, wie er es sonst macht.<br />
96
Selbstverständlich müssen Familienmitglieder für diese Übung in der Lage sein, einander zu<br />
beobachten und miteinander zu kommunizieren. Abhängig vom Verlauf der Übung können<br />
danach mit Familienmitgliedern Absprachen getroffen werden, wie in der Zukunft ein<br />
Gefühl geäußert werden soll.<br />
Zum Beispiel: Marcel geht von nun an, wenn er auf seinen Vater böse ist, in sein Zimmer<br />
und wenn er wieder ruhig ist, bespricht er den Grund seines Ärgers mit dem Vater. Eine<br />
andere Folge kann das Lernen von Ich-Botschaften sein. Für diese Technik wurde ein<br />
Gesellschaftsspiel gemacht, das auf 'Pim-pam-pet' basiert: das sogenannte 'Emotion im<br />
Bild-Spiel'. Dieses Spiel hat eine kleine Drehscheibe, womit man bei verschiedenen<br />
Kategorien von Gefühlen auskommt. Zu jeder Kategorie gehört eine Anzahl Kärtchen mit<br />
Gefühlen, die dargestellt werden müssen.<br />
6.3.3 Smilies<br />
Smilies sind kleine Gesichter mit einem bestimmten Gesichtsausdruck, die ein Gefühl<br />
ausdrücken, beispielsweise 'froh', 'böse', 'bekümmert', 'ängstlich'. Smilies sind vor allem für<br />
die Arbeit mit Kindern geeignet. Das Kind, mit dem diese Übung gemacht wird, bekommt<br />
eine kleine Spielfigur. Anhand verschiedener vom Familienmitarbeiter bedachter<br />
Situationen (beispielsweise: Deine Freundin sagt, dass du einen dummen Pullover anhast,<br />
die Lehrerin gibt dir eine 2 , deine Mutter weckt dich zu spät für die Schule) wird das Kind<br />
aufgefordert die Spielfigur auf das Gesichtchen zu setzen, das am besten zu dem Gefühl<br />
passt, dass das Kind in dieser Situation haben würde. Danach wird das Kind gefragt, wie es<br />
das merken lassen würde. Eventuell kann als Folge davon dem Kind vermittelt werden, wie<br />
es Gefühle adäquat ausdrücken kann.<br />
6.4 CHECKLISTE FÜR DEN GEBRAUCH DER TECHNIKEN ZUR BEEINFLUSSUNG VON<br />
GEDANKEN UND GEFÜHLEN<br />
Technik zur Beeinflussung von Gedanken:<br />
Technik 'Störende und helfende Gedanken':<br />
1 Einleitung: Erklären, was störende Gedanken sind.<br />
2 Beschreibung eines Ereignisses, bei dem störende Gedanken im Spiel waren.<br />
3 Beschreibung von Gefühlen.<br />
4 Beschreibung des Verhaltens, das darauf folgte.<br />
5 Erklären, wie Gedanken und Dinge, die man zu sich selbst sagt, funktionieren.<br />
6 Inventarisierung der störenden Gedanken.<br />
8 Entwicklung helfender Gedanken.<br />
9 Beschreibung von Gefühlen bei helfenden Gedanken.<br />
10 Übung zu den helfenden Gedanken.<br />
97
Techniken zum Umgang mit Gefühlen:<br />
Das Thermometer und die Erste Hilfe-Karte werden benutzt, um Familienmitgliedern zu<br />
vermitteln, Gefühle zu erkennen und damit umzugehen. Sie sind vor allem geeignet für<br />
Eltern und Kinder, die depressiv sind (Selbstmordrisiko), unkontrollierbare Wutanfälle oder<br />
extreme Angst haben.<br />
Das 'Thermometer' ist ein Mittel zum Beobachten, Benennen und Erkennen von Gefühlen;<br />
die 'Erste Hilfe-Karte' gibt eine Zusammenstellung von Alternativen. Schritte zum<br />
Gebrauch von Thermometer und Erste Hilfe-Karte:<br />
1 Einleitung: Erklärung, dass Gefühle (Wut, Angst) einen Verlauf haben und eskalieren<br />
können.<br />
2 Das Thermometer erstellen:<br />
• Beginn (0=gut) und Ende (10='sehr wütend', ängstlich', usw.) der Skala feststellen.<br />
• Differenzierungen anbringen (auf Basis des heutigen Gefühls)<br />
• Feststellen, wann das Familienmitglied die Kontrolle zu verlieren droht.<br />
3 Die Erste Hilfe-Karte erstellen:<br />
• Brainstorming zu Alternativen, um die Eskalation zu unterbrechen<br />
• Darstellen von Gefühlen; das 'Emotion im Bild-Spiel'<br />
• Smilies (speziell für Kinder)<br />
98
7 PRAKTISCHE UND MATERIELLE<br />
HILFE<br />
Mit der Möglichkeit praktische und materielle Hilfe zu bieten, haben Familienmitarbeiter<br />
ein kräftiges Mittel in Händen. Einerseits kann praktische und materielle Hilfe in Form von<br />
Aufgabenerleichterung eingesetzt werden, die es ermöglicht an der Kompetenzerweiterung<br />
zu arbeiten. Andererseits ist die praktische und materielle Hilfe wichtig beim Aufbau einer<br />
Arbeitsbeziehung. Wenn es dem Familienmitarbeiter gelingt, mit der praktischen und<br />
materiellen Hilfe bei den Wünschen der Familie anzuschließen, zeigt er, dass er nicht nur<br />
kommt um zu reden, sondern auch um etwas zu tun und sich so für die Familie<br />
einzusetzen. Darum muss der Familienmitarbeiter von dem Moment an, in dem er in eine<br />
Familie hineinkommt, ein Auge für die Möglichkeiten solcher konkreter Hilfe haben. Ein<br />
wichtiger Ausgangspunkt ist dabei, dass die gebotene Hilfe eine Verbindung zu den Zielen<br />
hat, an denen mit den Familienmitgliedern gearbeitet wird. Praktische und materielle Hilfe<br />
bedeutet faktisch, Aufgaben zu übernehmen, aber den Familienmitgliedern zu vermitteln,<br />
wie sie diese Aufgaben baldmöglichst selbst erfüllen können. Der Familienmitarbeiter<br />
probiert die Kompetenz der Familienmitglieder zu erweitern, indem er ihnen Fähigkeiten<br />
vermittelt, ihre Aufgaben in übersichtliche Schritte zu unterteilen und die Umgebung<br />
einzuschalten.<br />
Zum Beispiel:<br />
Eine Familie besteht aus Mutter Vera (21 Jahre), Sohn Donny (2 Jahre) und Sohn Marcel (10<br />
Monate). Vera ist im sechsten Monat schwanger. Die Familie wohnt bei einem alten Mann zur<br />
Untermiete. Die Wohnung hat nur ein Schlafzimmer. Da schläft Vera mit den Kindern, und der<br />
Mann bei dem sie wohnen, schläft auf der Couch im Wohnzimmer. Ein Ziel der Mutter ist:<br />
Selbständig mit Institutionen Verabredungen treffen und sich daran halten. Sie will verschiedene<br />
Instanzen anrufen und Termine vereinbaren, wie beim Gynäkologen zu einer<br />
Kontrolluntersuchung; bei der Wohnungsbaugesellschaft, um sich als Wohnungssuchende<br />
einzuschreiben; den Stadtteil-Krankenpfleger um die Mütterfürsorge und Familienfürsorge; zu<br />
beantragen und die Mütterberatung wegen einer Kontrolluntersuchung für ihre zwei Kinder. Aber<br />
Vera hat Angst allein auf die Straße zu gehen. Der Familienmitarbeiter geht mit ihr zur<br />
Telefonzelle, wo sie selbst die verschiedenen Telefongespräche führt und die Termine vereinbart. Der<br />
Familienmitarbeiter passt auch einige Male auf die Kinder auf, damit Vera mit einem Bekannten<br />
auf Wohnungssuche gehen kann und bringt sie ins Krankenhaus zur Kontrolle beim Gynäkologen.<br />
Außerdem schreibt der Familienmitarbeiter zusammen mit der Mutter einen Brief an die<br />
Wohnungsbaugesellschaft, worin die heutige Situation der Familie beschrieben und die<br />
Notwendigkeit größeren Wohnraums unterstrichen wird.<br />
7.1 MÖGLICHKEITEN FÜR PRAKTISCHE HILFE<br />
Der Familienmitarbeiter kann auf zahlreichen Gebieten praktische Hilfe bieten:<br />
• praktische Hilfe im Haushalt,<br />
beispielsweise: einkaufen, zusammen abwaschen, staubsaugen, zusammen die Wäsche<br />
waschen;<br />
99
• praktische finanzielle oder juristische Hilfe,<br />
beispielsweise: den Sozialen Dienst wegen einer Unterstützung anrufen, zusammen mit<br />
einem Rechtsanwalt die Besuchsregelung überlegen, einen Plan zur Schuldensanierung<br />
aufstellen;<br />
• praktische technische Hilfe,<br />
beispielsweise einen Dichtungsring ersetzen, zusammen einen Fahrradreifen flicken, einen<br />
neuen Stecker ans Kabel setzen;<br />
• andere Formen praktischer Hilfe,<br />
beispielsweise mithelfen, ein Zimmer zu tapezieren; das Auto als Verkehrsmittel anbieten;<br />
einen Abend auf die Kinder aufpassen, damit die Eltern zusammen weggehen können; die<br />
Kinder von der Schule abholen.<br />
Die Möglichkeiten für praktische Hilfe sind vielgestaltig. Die Frage ist, auf welche<br />
Möglichkeiten der Familienmitarbeiter eingeht und auf welche nicht. Ausgangspunkt ist,<br />
dass der Familienmitarbeiter bei den Wünschen der Familie und der einzelnen<br />
Familienmitglieder anschließt. Außerdem achtet der Familienmitarbeiter auf die Beziehung<br />
zwischen praktischer Hilfe und:<br />
• den Zielen der Familie,<br />
wenn die Eltern lernen wollen, ab und zu wieder etwas Nettes zusammen zu<br />
unternehmen, kann der Familienmitarbeiter im Rahmen dieses Ziels einen Abend auf die<br />
Kinder aufpassen;<br />
• der Sicherheit,<br />
der Familienmitarbeiter setzt die Priorität; wenn es kein Gitter für die Treppe gibt,<br />
während da ein einjähriges Kind herumkrabbelt, kann der Familienmitarbeiter<br />
Unterstützung bei der Anschaffung bieten und beim Montieren helfen;<br />
• Aufbau einer Arbeitsbeziehung,<br />
wenn der Aufbau einer Arbeitsbeziehung mit einem Familienmitglied mühsam verläuft,<br />
kann praktische Hilfe sicherlich ein wichtiges Hilfsmittel sein; der Familienmitarbeiter<br />
muss dann aufmerksam die Möglichkeiten, die sich auftun, beachten.<br />
7.2 MÖGLICHKEITEN FÜR MATERIELLE HILFE<br />
Bei der materiellen Hilfe geht es darum, für das unmittelbare Bedürfnis an Geld zum Kauf<br />
oder Bezahlen von Nahrungsmitteln, öffentlichem Nahverkehr, Reparaturen,<br />
unverzichtbaren Haushaltsgeräten, und so weiter, zu sorgen. Es wird regelmäßig<br />
vorkommen, dass die Familien finanzielle Probleme haben, wodurch sehr wesentliche<br />
Ausgaben nicht gemacht werden können. Lernen, Schulden zu sanieren und zu budgetieren<br />
kann ein Ziel während der vier Wochen von Families First sein, aber das bedeutet noch<br />
nicht, dass kurzfristig Geld für notwendige Ausgaben zur Verfügung steht. Darum steht zur<br />
Gewährung materieller Hilfe ein Budget zur Verfügung, das Arbeitsgeld.Die Arten<br />
materieller Hilfe, die geboten werden können, sind:<br />
• materielle Hilfe zugunsten des Haushalts,<br />
beispielsweise Einkauf von Putzmitteln, Bezahlen der Basiseinkäufe für die kommende<br />
100
Woche, Bezahlen der Reparatur von der Waschmaschine;<br />
• materielle finanzielle oder juristische Hilfe<br />
es ist bei Families First nicht üblich Geld zu geben; das sogenannte Arbeitsgeld ist immer<br />
an konkrete Dinge gebunden; materielle juristische Hilfe wird beispielsweise gegeben,<br />
indem eine Broschüre über Rechtsbeistand gekauft wird oder der eigene Beitrag für die<br />
Rechtshilfe bezahlt wird;<br />
• materielle technische Hilfe,<br />
beispielsweise Kauf von einem Kleiderschutz, um das Fahrradfahren sicherer zu machen,<br />
Bezahlen eines neuen Steckers für eine Lampe;<br />
• andere Formen materieller Hilfe,<br />
beispielsweise: ein Taxi bezahlen, Geld geben für ein Geburtstagsgeschenk oder<br />
Busfahrkarten kaufen.<br />
7.2.1 Der Gebrauch des Arbeitsgelds<br />
Das Arbeitsgeld, das pro Familie zur Verfügung steht, kann nur nach einer Anzahl<br />
Richtlinien gebraucht werden. Es kann bei materieller Not oder zur Anschaffung<br />
materieller Dinge zur Unterstützung der Interventionstechniken des Familienmitarbeiters<br />
verwendet werden. In beiden Fällen untersucht der Familienmitarbeiter zuerst, ob die Hilfe<br />
oder die Mittel anders zu erhalten sind, beispielsweise über das Sozialamt, spezielle Fonds,<br />
Familie und Bekannte oder die Heilsarmee. Um die Kosten im Rahmen einer besonderen<br />
Regelung geltend zu machen, ist es ratsam, das Sozialamt von Anfang an in die Hilfe für<br />
eine Familie einzubeziehen, auch wenn die Familie noch keinen Kontakt mit dem Sozialamt<br />
hat. Praktisch bedeutet das, dass ein Familienmitarbeiter, nachdem er die Zustimmung der<br />
Familie erhalten hat, während der ersten drei Tage mit dem Sozialamt Kontakt aufnimmt.<br />
Wenn eine Vergütung durch das Sozialamt nicht möglich ist, wird der Familienmitarbeiter<br />
mit der Familie herausfinden, wie die betreffenden Dinge am günstigsten zu kaufen sind.<br />
Prioritäten setzen<br />
Wenn eine Familie viele materielle Bedürfnisse hat, erstellt der Familienmitarbeiter davon<br />
eine Liste mit den zu erwartenden Kosten und wählt daraus zusammen mit der Familie die<br />
Dinge aus, die Priorität haben. Das wichtigste Kriterium dabei ist, inwieweit eine Ausgabe<br />
dazu beiträgt eine Fremdplatzierung eines oder mehrerer Kinder zu verhindern oder die<br />
Sicherheit der Kinder zu erhöhen. Das gilt auch für die Anschaffung materieller Mittel, die<br />
zur Ausführung bestimmter Techniken, die der Familienmitarbeiter in der Familie<br />
anwendet, nötig sind. Dabei kann an materielle Belohnungen, Stifte und Papier, Spielzeug<br />
für die Kinder und Zeitschriften zur Entspannung gedacht werden, aber auch an<br />
Aufmerksamkeiten, die den Aufbau der Arbeitsbeziehung fördern, wie außer Haus Kaffee<br />
trinken oder einen Kuchen kaufen, um die Familie zu 'belohnen' und zu ermutigen, an<br />
bestimmten Zielen zu arbeiten.<br />
101
7.2.2 Richtlinien zur Verwendung des Arbeitsgelds<br />
Beim Ausgeben des Arbeitsgelds müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:<br />
1 Dringlichkeit: die Ausgabe muss per se in dem Moment erfolgen; es hat nicht 'eben noch<br />
Zeit';<br />
2 es gibt keine anderen Möglichkeiten, die Mittel zu kaufen;<br />
3 es wurde ausreichend herausgefunden, ob das Geld auf die preisgünstigste Weise<br />
ausgegeben wird.<br />
Ob eine Ausgabe gemacht werden muss, hängt an erster Stelle von deren Notwendigkeit zur<br />
Realisierung der Ziele, die für die Familie gesetzt wurden, ab. Dabei wird besonders an die<br />
Ziele gedacht, die mit der Sicherheit und der Verhinderung von Fremdplatzierung zu tun<br />
haben. Zweitens wird darauf geachtet, welchen Beitrag die Ausgabe zur Erweiterung der<br />
sozialen Kompetenz der Familie oder des Familienmitglieds leistet. Auch wird abgewogen,<br />
ob die Ausgabe zum Aufbau oder zur Verbesserung der Arbeitsbeziehung mit der Familie<br />
oder dem Familienmitglied beiträgt. Und schließlich zählt mit, ob es um 'basale'<br />
Lebensbedürfnisse geht, wie Nahrung, Reparatur an Wärmequellen und notwendige<br />
Apparate.<br />
Zum Beispiel:<br />
Die bereits früher genannte Mutter Vera hat wenig Ruhe, weil das angemeldete Kind, Donny, viel<br />
schreit, vor allem nachts. Im Schlafzimmer, in dem die Familie schläft, steht nur ein Bett, in dem<br />
die Mutter schläft. Donny schläft in einem Bettgestell ohne Matratze. Marcel schläft in einem<br />
Schlafsack auf dem Boden. Ein Ziel der Mutter ist es, Donny ruhig schlafen zu lehren. Beim<br />
Ausarbeiten der Arbeitspunkte kommt heraus, dass die Mutter gern ein Schlafritual einüben will.<br />
Außerdem hätte sie gerne als Voraussetzung dafür, gut schlafen zu können, eine entsprechende<br />
Ausstattung. Sie benötigt Matratzen für die Kinder und auch Laken, Moltondecken und einen<br />
Schlafsack für Donny. Da die Mutter im Augenblick nur Geld für Lebensmittel hat, wurde nach<br />
Rücksprache mit dem Teamleiter beschlossen, von dem Arbeitsgeld die Planen, Moltondecken und<br />
den Schlafsack zu kaufen. Die Matratzen kommen gratis von Bekannten der Mutter. Dadurch, dass<br />
diesen Bedürfnissen schnell entsprochen wird, kann der Familien mitarbeiter mit der Arbeit an<br />
dem Schlafritual beginnen.<br />
7.2.3 Die Höhe des Arbeitsgelds<br />
Der Familienmitarbeiter kann ohne Rücksprache mit dem Teamleiter über Beträge unter<br />
DM 25,- verfügen bis zu einem maximalen Betrag in Höhe von DM 50,- pro Familie in vier<br />
Wochen. Wenn die Ausgaben einmalig höher als DM 25,- oder höher als DM 50,-<br />
insgesamt sind, muss der Familienmitarbeiter vorab Rücksprache nehmen und<br />
Zustimmung einholen. In der Praxis hat sich erwiesen, dass durchschnittlich DM 45,-<br />
Arbeitsgeld pro Familie aufgewendet werden. Dies wird besonders für materielle Mittel zur<br />
Unterstützung der Interventionstechniken ausgegeben. Die Organisation, unter die Families<br />
First fällt, berücksichtigt bei der Bestimmung der Budgets für familiengebundene Kosten<br />
dann auch diese DM 45,-. Arbeitsgeld wird mitunter auch als Vorschuss eingesetzt, um die<br />
102
materielle Not zu lindern. In der Praxis zeigt sich, dass dieser Betrag oft unter Berufung auf<br />
die Regelung 'Besondere Beihilfe' vom Sozialen Dienst oder aus Fonds wieder zurück<br />
erhalten werden kann. Daher muss die Organisation bereit sein, für einen Betrag in Höhe<br />
von DM 500,- pro Familie zu bürgen.<br />
7.3 PRAKTISCHE UND MATERIELLE HILFE ZUSAMMENGEFASST<br />
Im Programm von Families First wird viel Wert auf die praktische und materielle Hilfe<br />
gelegt. Der Familienmitarbeiter kann ohne Zustimmung des Teamleiters maximal DM 50,-<br />
pro Familie ausgeben; bei größeren Beträgen, die oft als Vorschuss auf eine Unterstützung<br />
des Sozialen Dienstes gedacht sind, muss der Teamleiter zustimmen. Eine wichtige<br />
Voraussetzung zur Verfügung über das Arbeitsgeld ist, dass sich aus den Erkundigungen des<br />
Familienmitarbeiters erwiesen hat, dass keine anderen Geldquellen vorhanden sind.<br />
Außerdem muss die Ausgabe einen deutlichen Beitrag zum Ziel der Arbeit liefern, wie die<br />
Erhöhung der Sicherheit und das Verhindern der Fremdplatzierung. Das Arbeitsgeld kann<br />
für die basale Versorgung wie Essen, Gas und Licht verwendet werden, wodurch die Ruhe in<br />
der Familie wiederhergestellt werden kann, aber auch für Ausgaben die der<br />
Familienmitarbeiter tätigt, um Familienmitglieder zu belohnen oder zu stimulieren.<br />
103
8 DAS VERMITTELN ERZIEHERISCHER<br />
FÄHIGKEITEN<br />
Die Eltern in den Familien, die bei Families First angemeldet werden, haben oft<br />
unzureichende erzieherische Fähigkeiten. Dies hat oft zur Entstehung von<br />
Problemverhalten bei den Kindern beigetragen. Auch gibt es in den Familien oft Kinder, die<br />
im Vergleich zu Kindern in anderen Familien viele Verhaltensprobleme zeigen. Ihre Eltern<br />
benötigen zusätzliche Erziehungsfähigkeiten, um darauf adäquat zu reagieren. Darum<br />
nimmt das Training von Erziehungsfähigkeiten einen wichtigen Platz bei Families First ein.<br />
Um Erziehungsfähigkeiten zu vermitteln, sind zwei Blickwinkel möglich: das<br />
Problemverhalten des Kindes und der Kompetenz-Rückstand der Eltern. Aufgrund beider<br />
Blickwinkel wird bestimmt, wie an dem erwünschten Verhalten des Kindes gearbeitet<br />
werden kann und welche Erziehungsfähigkeiten die Eltern dafür erlernen müssen. Um<br />
Erziehungsfähigkeiten zu vermitteln, können verschiedene Techniken angewendet und<br />
Hilfsmittel eingesetzt werden. Auch können sie mit anderen Formen der<br />
Aufgabenerleichterung kombiniert werden.<br />
8.1 UNERWÜNSCHTES VERHALTEN DES KINDES ALS BLICKWINKEL<br />
Beim Inventarisieren der Probleme und Veränderungswünsche nennen Eltern oft das<br />
unerwünschte Verhalten ihrer Kinder, beispielsweise: "Angela hört nie", Mickey ist sehr<br />
frech", "Peter bleibt nie am Tisch sitzen". Meistens geht es dabei um Autoritäts-Probleme in<br />
der Beziehung zwischen Eltern und Kindern; die Kinder halten sich ungenügend an die<br />
Regeln. Aufgrund der Probleme, die die Eltern angeben, formuliert der Familienmitarbeiter<br />
zusammen mit ihnen ein Ziel oder mehrere Ziele zum Umgang mit dem unerwünschten<br />
Verhalten und zur Förderung erwünschten Verhaltens.<br />
8.1.1 Analyse des unerwünschten Verhaltens des Kindes<br />
Der Familienmitarbeiter analysiert das unerwünschte Verhalten aufgrund eigener<br />
Beobachtungen und Informationen der Eltern. Der Familienmitarbeiter führt die Analyse<br />
möglichst weitgehend mit den Eltern zusammen durch, weil das ihren Blick auf das<br />
Verhalten erweitert. Die Analyse basiert auf dem S-R-C-Schema (siehe Kapitel 1) und<br />
besteht aus einer Anzahl Schritten.<br />
1. Wählen Sie zusammen mit den Eltern ein konkretes Ziel oder Verhalten aus, woran als<br />
erstes gearbeitet werden soll.<br />
Beim Inventarisieren von Problemen und Veränderungswünschen zu Beginn der<br />
Arbeitsperiode hat der Familienmitarbeiter bereits mit den Eltern festgestellt, welche<br />
Probleme die Eltern haben und was sie gerne verändert sehen wollen. Nun geht es darum,<br />
das unerwünschte Verhalten des Kindes zu spezifizieren und den ersten Schritt zu<br />
bestimmen, um etwas an dem Verhalten zu ändern. Es gibt den Eltern Hoffnung, wenn sich<br />
zeigt, dass Veränderungen, so klein sie auch seien, möglich sind. Je konkreter das Verhalten<br />
ist, desto mehr Angriffspunkte zur Veränderung gibt es.<br />
Zum Beispiel:<br />
104
Die Eltern erzählen, dass Roy, 4 Jahre alt, sehr anstrengend ist. Er hat viele Wutanfälle. Dabei kann<br />
es um allerlei Dinge gehen, beispielsweise, wenn etwas nicht so läuft, wie er es will, beim<br />
Zubettgehen, während des Essens, wenn Roy am Tisch sitzen bleiben soll und so weiter. Die Eltern<br />
überlegen und beschließen zusammen mit dem Familienmitarbeiter, dass sie mit dem<br />
unerwünschten Verhalten beim Zubettgehen beginnen wollen.<br />
2. Untersuchen Sie, was genau dem Verhalten vorangeht<br />
In welcher Situation genau zeigt zich das Verhalten? Wo spielt es sich ab; wer ist dabei; was<br />
sagt oder tut der Elternteil; was tut das Kind gerade und welche Rolle spielen die anderen<br />
Anwesenden? Wie ist die Situation strukturiert, beispielsweise, wie wird das Kind aufs<br />
Zubettgehen vorbereitet? Oder: wo und zu welchem Zeitpunkt wird gegessen? Der<br />
Familienmitarbeiter untersucht auch, ob die Situation für das Kind genügend Anreize<br />
bietet, durch die es stimuliert wird, daserwünschte Verhalten zu zeigen. Hat das Kind<br />
beispielsweise genug Spielzeug, das seinem Alter entspricht? Der Familienmitarbeiter kann<br />
vorschlagen, einmal in der Situation, in der sich das Problemverhalten normalerweise zeigt,<br />
dabei zu sein. Das bietet ihm viele Beobachtungsmöglichkeiten.<br />
3. Untersuchen Sie die Folgen des Verhaltens<br />
Fragen Sie die Eltern, welche Folgen das Verhalten hat. Versuchen Sie ein Bild von den<br />
Faktoren zu bekommen, die das Problemverhalten aufrechterhalten oder sogar verstärken,<br />
beispielsweise: nachgeben, wenn ein Kind böse wird, Aufmerksamkeit schenken, wenn ein<br />
Kind anstrengend ist, einem Kind etwas Leckeres geben, wenn es nicht essen will was auf<br />
den Tisch kommt oder zu einem Kind etwas Nettes sagen, wenn es aufhört garstig zu sein.<br />
Oft sind sich die Eltern ihres eigenen Anteils beim Aufrechterhalten des unerwünschten<br />
Verhaltens nicht bewusst. Den Konsequenzen ihres eigenen Verhaltens nachzugehen, kann<br />
konfrontierend sein. Zeigen Sie daher Verständnis dafür, wie die Eltern bisher auf das<br />
Verhalten reagiert haben. Zum Beispiel (Fortsetzung):<br />
Bei der Beobachtung des Verhaltens fällt auf, dass Folgendes passiert: Roy geht um 19 Uhr ins Bad,<br />
um 19.30 Uhr hat er seinen Schlafanzug an, danach darf er noch eben fernsehen. Danach wird er<br />
ungefähr um 20.00 Uhr ins Bett gesteckt. Nach fünf Minuten steht er wieder im Wohnzimmer und<br />
sagt, dass er nicht schlafen kann. Seine Mutter sagt, dass er wieder zurück ins Bett muss. Roy<br />
verlegt sich aufs Schreien. Mutter sagt, dass er noch kurz fernsehen darf und danach aber wirklich<br />
ins Bett muss. Er bleibt bis etwa halb neun im Zimmer. Danach wird er wieder ins Bett gesteckt,<br />
wonach sich der Zyklus wiederholt. Meistens dauert es bis 10 Uhr bevor Roy endlich schläft.<br />
8.1.2 Analyse der Erziehungskompetenz der Eltern<br />
Außer der Analyse des Verhaltens des Kindes anhand des S-R-C-Schemas macht der<br />
Familienmitarbeiter eine spezifische Kompetenzanalyse mit Bezug auf die<br />
Erziehungsaufgaben. Der Familienmitarbeiter untersucht:<br />
• über welche Erziehungsfähigkeiten die Eltern verfügen<br />
• ob zu schwere Aufgaben bestehen<br />
• welche Erziehungsfähigkeiten die Eltern nicht beherrschen<br />
105
• ob es schützende Faktoren gibt<br />
• ob es stressige Ereignisse gibt<br />
• wie die Belastungsfähigkeit ist<br />
• ob von Pathologie die Rede ist<br />
Diese Kompetenzanalyse hilft dabei, die Möglichkeiten für eine Verhaltensänderung zu<br />
bestimmten und die geeignetesten Blickwinkel zu finden. In Kapitel 2 wird ausführlich<br />
beschrieben, wie so eine Kompetenzanalyse erstellt wird.<br />
8.1.3 Bestimmen des ersten Schritts zur Verhaltensänderung<br />
Nach der Analyse des unerwünschten Verhaltens und der Kompetenzanalyse geht der<br />
Familienmitarbeiter zusammen mit den Eltern dem Verhalten nach, das sie von ihren<br />
Kindern anstelle des Problemverhaltens erwarten. Das ist wichtig, weil die Versuche,<br />
Problemverhalten zu vermindern, am effektivsten sind, wenn an dessen Stelle ein<br />
erwünschtes Verhalten tritt. Das erwünschte Verhalten muss positiv und konkret formuliert<br />
werden und sowohl für die Eltern wie für das Kind erreichbar sein. Wenn das erwünschte<br />
Verhalten zu allgemein formuliert ist, sucht der Familienmitarbeiter mit den Eltern nach<br />
einem ersten Schritt zum erwünschten Verhalten. Danach untersucht der<br />
Familienmitarbeiter mit den Eltern, ob das Kind die für das erwünschte Verhalten nötigen<br />
Fähigkeiten besitzt. Wenn das nicht der Fall ist, überlegen sie, wie das Kind die Fähigkeiten<br />
erlernen kann.<br />
Zum Beispiel (Fortsetzung):<br />
Die Eltern möchten, dass Roy direkt schläft, wenn er ins Bett gebracht wird. Nach Überlegung mit<br />
dem Familienmitarbeiter bedenken sie einen eher erreichbaren Schritt: Roy bleibt auf dem Bett,<br />
wenn er um 20.00 Uhr zubett gebracht wurde. Wenn er noch nicht gleich schlafen will oder kann,<br />
darf er ruhig auf dem Bett spielen.<br />
Aufgrund der Kompetenzanalyse bestimmt der Familienmitarbeiter danach, welche<br />
Erziehungsfähigkeiten die Eltern benötigen, um das erwünschte Verhalten des Kindes zu<br />
stimulieren und (eventuell) das unerwünschte Verhalten zu stoppen. Der<br />
Familienmitarbeiter überlegt mit den Eltern auch, wie die Aufgabe genauer strukturiert<br />
werden kann, wie schützende Faktoren benutzt werden können und so weiter. Mit anderen<br />
Worten: der Familienmitarbeiter bezieht die Ergebnisse der Kompetenzanalyse zur<br />
Bestimmung der besten Methode mit ein, um das gesetzte Ziel zu erreichen.<br />
Zum Beispiel (Fortsetzung):<br />
Mutter bringt einige Veränderungen in das Bettritual: Das Fernsehen wird um eine Viertelstunde<br />
gekürzt, stattdessen liest sie Roy im Bett vor. Danach gibt sie ihm eine deutliche Anweisung für das<br />
erwünschte Verhalten. Wenn Roy ruhig im Bett bleibt, bekommt er am nächsten Morgen einen<br />
Toast mit Kakao zum Frühstück. Wenn es ihm in der kommenden Woche wenigstens fünfmal von<br />
den siebenmal gelungen ist im Bett zu bleiben, darf er mit seiner Mutter ins Schwimmbad. Steht<br />
106
Roy doch aus dem Bett auf und geht nach unten, wird er sofort mit einer deutlichen Anweisung<br />
erneut ins Bett gebracht.<br />
8.2 KOMPETENZRÜCKSTAND DER ELTERN ALS BLICKWINKEL<br />
Außer dem Inventarisieren der Probleme und dem Erforschen der Veränderungswünsche<br />
gibt der Familienmitarbeiter eine globale Einschätzung der Kompetenz der Eltern unter<br />
Bezug auf die verschiedenen Entwicklungsaufgaben für Eltern (siehe Kapitel 1). Eine dieser<br />
Aufgaben ist 'Erziehung'. Der Familienmitarbeiter untersucht, inwieweit die Aufgaben, die<br />
damit zu tun haben, nicht kompetent erfüllt werden. Dazu benutzt er Daten aus dem<br />
Fragebogen zum Funktionieren der Familie, das Formular 'Basisinformationen',<br />
Beobachtungen aus erster Hand und Beobachtungen aus zweiter Hand. Die Informationen,<br />
die er so sammelt, geben ein allgemeines Bild von der Kompetenz der Eltern unter Bezug<br />
auf die Entwicklungsaufgabe 'Erziehung'. Wenn der Familienmitarbeiter die Kompetenz<br />
bezüglich der Erziehung gering einschätzt, erstellt er eine Kompetenz-Analyse: Er analysiert,<br />
welche Teilaufgaben an der Reihe sind, welche davon kompetent und welche inkompetent<br />
erfüllt werden, welche Erziehungsfähigkeiten beherrscht werden und welche nicht, wie groß<br />
die Belastungsfähigkeit der Eltern ist und ob es um Stressoren, schützende Faktoren oder<br />
Pathologie geht. Danach bestimmt der Familienmitarbeiter aufgrund der<br />
Kompetenzanalyse welche Erziehungsfähigkeiten die Eltern benötigen, um das erwünschte<br />
Verhalten des Kindes zu stimulieren und eventuell das unerwünschte Verhalten zu stoppen.<br />
Das Lehren von Erziehungsaufgaben aufgrund der Kompetenz-Analyse hat oft einen<br />
präventiven Charakter. Es müssen noch keine konkreten Probleme vorliegen, aber der<br />
Familienmitarbeiter sieht sie voraus, falls die Eltern keine zusätzlichen Fähigkeiten lernen.<br />
8.3 DIE ERZIEHUNGSFÄHIGKEITEN<br />
Erziehungsfähigkeiten lassen sich in drei Kategorien bringen: Erstens Fähigkeiten, um ein<br />
erwünschtes Verhalten zu verstärken (Loben und Belohnen), zweitens Fähigkeiten, um ein<br />
unerwünschtes Verhalten zu vermindern oder zu stoppen (Nicht reagieren und 'time out')<br />
und drittens Fähigkeiten, um ein neues Verhalten zu stimulieren (Anweisungen geben).<br />
8.3.1 Erziehungsfähigkeiten, um ein erwünschtes Verhalten zu verstärken<br />
Zwei wichtige Fähigkeiten, die Eltern benutzen können um erwünschtes Verhalten bei<br />
Kindern im Alter bis zu ungefähr 13 Jahren zu verstärken, sind die Fähigkeiten 'Loben' und<br />
'Belohnen'. Loben ist das verbale reagieren auf ein erwünschtes Verhalten. Wenn Eltern das<br />
Kind während des oder nach dem erwünschten Verhalten loben, wird das Kind dieses<br />
Verhalten öfter zeigen. Mit anderen Worten: Das Verhalten wird verstärkt. Loben ist eine<br />
wichtige Technik. Wenn Kinder oft gelobt werden, bekommen sie ein positives Bild von sich<br />
selbst. Außerdem trägt regelmäßiges Loben wesentlich zu einem guten Kontakt zwischen<br />
Eltern und Kind bei.<br />
Die Fähigkeit 'Loben' besteht aus den folgenden Schritten:<br />
1 Die Aufmerksamkeit des Kindes wecken;<br />
2 Dem Kind etwas Nettes sagen;<br />
107
3 Dem Kind genau sagen, was es gut gemacht hat;<br />
4 Dem Kind ein Kompliment machen.<br />
Schwerpunkte bei der Fähigkeit 'Loben' sind:<br />
• Das Kind während oder direkt nach dem erwünschten Verhalten loben;<br />
• Das Kind nicht loben, wenn es sich nicht richtig verhält;<br />
• Vor allem Dinge sagen, die das Kind gerne hört;<br />
• Begeistert zu dem Kind sprechen, wenn Sie es loben.<br />
Auch 'Belohnen' hat die Funktion, die Frequenz des vorhergehenden Verhaltens zu<br />
erhöhen. Belohnungen können sowohl materiell (ein kleines Geschenk, etwas Leckeres) als<br />
auch immateriell (besondere Aufmerksamkeit der Mutter für eine Tätigkeit) sein. Die<br />
Fähigkeit 'Belohnen' besteht aus den folgenden Schritten:<br />
1 Die Aufmerksamkeit des Kindes wecken;<br />
2 Dem Kind etwas Nettes sagen;<br />
3 Dem Kind genau sagen, was es richtig gemacht hat;<br />
4 Dem Kind die Belohnung geben.<br />
Schwerpunkte bei der Fähigkeit 'Belohnen' sind:<br />
• Vor allem Dinge sagen, die das Kind gerne hört;<br />
• Belohnungen gebrauchen, die auf das Kind belohnend wirken;<br />
• Dem Kind keine Belohnungen geben, wenn es mit garstigem Verhalten aufhört; das ist<br />
Bestechung; dadurch lernt das Kind garstig zu sein, weil das schließlich eine Belohnung<br />
mit sich bringt.<br />
Meistens wird beim Belohnen vom Hinzufügen von etwas Nettem ausgegangen. Das<br />
Wegnehmen von etwas Unangenehmem kann von einem Kind jedoch auch als Belohnung<br />
erfahren werden. Denken Sie beispielsweise an später ins Bett gehen, einmal nicht<br />
abwaschen müssen, und so weiter.<br />
8.3.2 Erziehungsfähigkeiten, um unerwünschtes Verhalten zu vermindern oder<br />
zu stoppen<br />
Beim Gebrauch von Erziehungsfähigkeiten, die darauf gerichtet sind unerwünschtes<br />
Verhalten zu vermindern oder zu stoppen, vermitteln Eltern ihren Kindern kein neues<br />
Verhalten, sondern vermitteln ihnen nur, was sie nicht tun dürfen. Es ist jedoch wichtig,<br />
diese Fähigkeiten zu lernen, weil Eltern auch Mittel in der Hand haben müssen, um<br />
unerwünschtes Verhalten auf eine adäquate Weise zu stoppen. Durch die Abnahme<br />
unerwünschten Verhaltens ensteht außerdem mehr Platz für die Zunahme des erwünschten<br />
Verhaltens. Um unerwünschtes Verhalten zu vermindern oder zu stoppen, werden die<br />
Fähigkeiten 'Nicht reagieren', 'time out' und 'Sinnvoll Strafen' benutzt. Auf das störende<br />
Verhalten eines Kindes, wie quengeln, weinen und jammern nicht zu reagieren, hat häufig<br />
zur Folge, dass das Verhalten abnimmt. Es ist wichtig, diese Technik nur bei störendem<br />
108
Verhalten anzuwenden, und nicht bei Verhalten, das nicht mehr zu tolerieren ist,<br />
beispielsweise wenn es für die Umgebung oder andere Personen bedrohlich ist, wie im Fall<br />
von schlagen oder etwas kaputt machen.<br />
Die Schritte der Fähigkeit 'Nicht reagieren' sind:<br />
1 Nicht reagieren, wenn das Kind etwas Ärgerliches tut; das Kind nicht anschauen, es nicht<br />
berühren, nichts zu ihm sagen;<br />
2 Mit den eigenen Tätigkeiten fortfahren oder etwas anderes tun.<br />
Schwerpunkte bei der Fähigkeit 'Nicht reagieren' sind:<br />
• Nicht reagieren beinhaltet, überhaupt keine Aufmerksamkeit zu schenken, also auch keine<br />
Reaktionen wie Augenbrauen hochziehen, sich räuspern oder tief seufzen;<br />
• Es kann vorkommen, dass das störende Verhalten erst zunimmt, bevor es weniger wird;<br />
das Kind probiert dann aus, ob das Nicht reagieren durchgehalten wird;<br />
• Das 'Nicht reagieren' durchhalten; wenn man schließlich doch nachgibt, lernt das Kind,<br />
dass es das störende Verhalten durchhalten muss, weil die Eltern schließlich doch<br />
nachgeben;<br />
• Indem man andere Dinge tut, wird es leichter, das Nicht reagieren durchzuhalten.<br />
Der Gebrauch von 'Nicht reagieren' wird effektiver, wenn die Fähigkeit mit dem Lob eines<br />
erwünschten Verhaltens kombiniert wird. Einerseits reagieren die Eltern nicht auf das<br />
störende Verhalten, andererseits sind sie durchaus aufmerksam für erwünschtes Verhalten.<br />
Das erwünschte Verhalten kann von demselben Kind kommen, beispielsweise wenn es mit<br />
quengeln aufhört und mit ihrer Puppe spielt, oder von einem kleinen Geschwister, das<br />
Aufmerksamkeit erhält oder gelobt wird, weil es so nett spielt. Durch eine 'time out' wird<br />
das Kind aus der Situation herausgenommen, in der es das unerwünschte Verhalten zeigte.<br />
Das Kind wird für ein paar Minuten in einen getrennten Raum gesetzt. 'time out' wird<br />
besonders bei Verhaltensweisen wie Wutanfällen, schlagen, treten, zetern gebraucht. Es<br />
betrifft also Verhaltenweisen, die absolut nicht zu tolerieren sind.<br />
Die Fähigkeit zu einer 'time out' hat folgende Schritte:<br />
1 Die Aufmerksamkeit des Kindes wecken; dem Kind genau sagen, was es nicht richtig<br />
gemacht hat; dem Kind sagen, dass es zwei bis maximal fünf Minuten in einen<br />
bestimmten Raum gehen muss; den Küchenwecker stellen.<br />
2 Die Aufmerksamkeit des Kindes wecken; das Kind für sein ruhiges Verhalten in dem<br />
Raum loben; dem Kind sagen, was es jetzt tun kann.<br />
Schwerpunkte bei der Fähigkeit zu einer 'time out' sind:<br />
• Die 'time out' direkt nach dem unerwünschten Verhalten des Kindes einsetzen;<br />
• Lassen Sie auf keine Diskussion mit dem Kind ein, nachdem Sie ihm gesagt haben, dass es<br />
eine time out geben wird;<br />
• Das Kind nie länger als für die abgesprochene Zeit allein lassen;<br />
109
• Direkt zu dem Kind gehen, wenn der Küchenwecker läutet;<br />
• Wenn das Kind in der time out beispielsweise weint, jammert oder anfängt gegen die Tür<br />
zu stoßen, erkläre Sie dem Kind, dass die Zeit erst ab dem Moment läuft, in dem es ruhig<br />
ist.<br />
• Wenn das Kind den Raum vorzeitig verläßt, das Kind wieder zurück in den Raum bringen<br />
und ihm sagen, dass die Zeit erst läuft, wenn es ruhig ist.<br />
Bei 'Sinnvoll Strafen' nehmen die Eltern bei unerwünschtem Verhalten nette Spielzeug oder<br />
Tätigkeiten ab mit dem Ziel, die Frequenz zu vermindern. Die Schritte der Fähigkeit<br />
'Sinnvoll Strafen' sind:<br />
1. Wecke die Aufmerksamkeit des Kindes;<br />
2. Sage dem Kind genau, was es nicht richtig macht;<br />
3. Sage dem Kind, welches nette Spielzeug oder welche angenehme Tätigkeit es dadurch<br />
verliert.<br />
Schwerpunkte bei der Fähigkeit sind:<br />
• Das nette Spielzeug wegnehmen oder die angenehme Beschäftigung stoppen während<br />
oder direkt nachdem sich das Kind falsch verhält;<br />
• Die Strafe muss in einem Verhältnis zum Ernst des Problemverhaltens stehen;<br />
• Nur Dinge wegnehmen oder nur Tätigkeiten stoppen, die das Kind nett findet;<br />
• Nicht mit der Strafe drohen, sich auch auf keine Diskussion einlassen, sondern an der<br />
Ausführung der Strafe festhalten.<br />
8.3.3 Erziehungsfähigkeiten, um anderes oder neues Verhalten zu stimulieren<br />
Eltern benötigen Erziehungsfähigkeiten, mit denen sie ein anderes oder neues Verhalten<br />
gezielt stimulieren oder fördern können. Die gebräuchlichste Fähigkeit ist 'Anweisungen<br />
geben'.Gute Anweisungen sind spezifisch und positiv formuliert. Dadurch ist für das Kind<br />
deutlich, was von ihm erwartet wird. Das erhöht die Chance, dass es das angewiesene<br />
Verhalten ausführt. Die Schritte der Fähigkeit 'Anweisungen geben' sind:<br />
1 Die Aufmerksamkeit des Kindes wecken;<br />
2 Dem Kind genau sagen, was es nicht richtig macht. (Dieser Schritt wird überschlagen,<br />
wenn kein unerwünschtes Verhalten vorangeht.)<br />
3 Dem Kind genau sagen, was es jetzt tun muss.<br />
Schwerpunkte bei der Fähigkeit 'Anweisungen geben' sind:<br />
• Die Anweisung deutlich hörbar geben, damit das Kind sie gut verstehen kann;<br />
• Dem Kind genügend Zeit lassen, der Anweisung zu folgen. Wenn das Kind der Anweisung<br />
folgt, das Kind sofort loben oder belohnen;<br />
• Wenn ein Kind während der Anweisung jammert oder quengelt, dieses Verhalten negieren.<br />
Wenn das gewünschte Verhalten für das Kind neu ist, kann ein Elternteil das Verhalten<br />
vormachen oder mit dem Kind üben.<br />
110
8.4 LERNEN VON ERZIEHUNGSFÄHIGKEITEN<br />
Eltern, die ihre Kompetenz auf dem Gebiet der Erziehung erweitern möchten, können<br />
selbst zahlreiche Techniken lernen, die der Familienmitarbeiter oft schon im Kontakt mit<br />
der Familie angewendet hat. Zur Unterstützung des Lernprozesses können Verhaltenskarten<br />
und bewusst gewählte Belohnungen benutzt werden.<br />
8.4.1 Techniken zum Erlernen von Fähigkeiten<br />
Um den Eltern Erziehungsfähigkeiten zu vermitteln, benutzt der Familienmitarbeiter die<br />
Techniken, die in Kapitel 4 beschrieben wurden. Besonders die Techniken 'Modell stehen'<br />
und 'Verhaltensübung' sind sinnvolle Techniken um den Eltern Erziehungsfähigkeiten zu<br />
vermitteln. Bei der Technik 'Modell stehen' macht der Familienmitarbeiter konkret vor, wie<br />
eine bestimmte Erziehungsfähigkeit aussieht. Beispielsweise zeigt der Familienmitarbeiter<br />
einer Mutter, wie sie ihrem kleinen Sohn eine Anweisung geben kann und nennt danach die<br />
Schritte der Fähigkeit 'Anweisungen geben'. Wenn der Familienmitarbeiter die Technik<br />
'Verhaltensübung' benutzt, steht er nicht nur Modell, sondern fordert auch ein Elternteil<br />
auf, die Technik zu üben und gibt darauf Feedback. Eine solche Verhaltensübung findet<br />
meistens nicht in Anwesenheit des Kindes statt. Erziehungsfähigkeiten können auch darauf<br />
zielen, unerwünschtes Verhalten zu vermindern und erwünschtes Verhalten zu erlernen.<br />
Um beispielsweise ein anderes Zubettgeh-Ritual anzulernen, vermittelt der<br />
Familienmitarbeiter Roys Eltern gezielt die Fähigkeiten 'Anweisungen geben', 'Belohnen'<br />
und 'Sinnvoll Strafen' einzusetzen. Wenn es nötig ist, bestimmte Fähigkeiten mit den Eltern<br />
besonders zu üben, kann der Familienmitarbeiter Aufträge geben, bei denen die Fähigkeit<br />
einige Male angewendet werden muss. Ein Auftrag kann beispielsweise lauten: 'In den<br />
nächsten Tagen mindestens viermal pro Tag mein Kind loben.' Der Familienmitarbeiter<br />
nimmt die Schritte nochmals mit den Eltern durch und übt sie eventuell. Unterstützend<br />
kann der Auftrag vom Familienmitarbeiter zu Papier gebracht werden. Die Eltern können<br />
darauf festhalten, wie oft sie geübt haben und eventuell ihre Erfahrungen beim Üben<br />
aufschreiben.<br />
8.4.2 Hilfsmittel beim Gebrauch der Erziehungsfähigkeiten<br />
Verhaltenskarten<br />
Mithilfe einer Verhaltenskarte hält ein Elternteil fest, ob oder wann ein erwünschtes<br />
Verhalten vorkommt. Wenn die Frequenz des erwünschten Verhaltens einem vorab<br />
bestimmten Kriterium genügt, verdient das Kind eine Belohnung, die vorab vereinbart<br />
wurde. Die Arbeit mit einer Verhaltenskarte stimuliert Eltern, das erwünschte Verhalten zu<br />
beobachten. Oft haben Eltern Schwierigkeiten, das Verhalten ihres Kindes konkret zu<br />
beobachten. Die Verhaltenskarte bietet eine Unterstützung, auf das erwünschte Verhalten<br />
aufzupassen. Außerdem ist die Verhaltenskarte ein Hilfsmittel um Verhalten zu verstärken<br />
und stimuliert Kinder, das erwünschte Verhalten zu zeigen. Der Elternteil, der mit einer<br />
Verhaltenskarte arbeitet,benutzt außerdem auch Fähigkeiten wie 'Loben', 'Anweisungen<br />
geben' und 'Belohnen'.<br />
111
DIE VERHALTENSKARTE VON MILOU<br />
Mon- Diens- Mittwoch Donners- Frei- Sams- Sonntag<br />
tag tag tag tag tag<br />
Während des<br />
Abendessens am<br />
Tisch sitzen bleiben<br />
Beim Abendessen<br />
den Teller<br />
leergegessen<br />
Die Kleider beim<br />
Ausziehen selbst<br />
aufgeräumt<br />
Milou darf jedesmal wenn sie das erwünschte Verhalten zeigt, einen kleinen Sticker in das<br />
betreffende Feld setzen. Wenn sie an einem Tag drei Sticker verdient hat, darf sie nach waschen<br />
und Zähne putzen noch zehn Minuten fernsehen.<br />
Die Arbeit mit einer Verhaltenskarte folgt zahlreichen Schritten:<br />
1 Das erwünschte Verhalten, mit dem die Eltern und das Kind arbeiten, bestimmen. Zur<br />
Bestimmung des erwünschten Verhaltens ist Folgendes wichtig:<br />
• das Verhalten muss täglich vorkommen;<br />
• das Verhalten geht aus den Zielen, die für die Familie aufgestellt wurden, hervor;<br />
• das Verhalten wird positiv beschrieben; beispielsweise: 'jemanden aussprechen lassen'<br />
anstelle von 'nicht ins Wort fallen';<br />
• das Verhalten wird konkret umschrieben.<br />
Das erwünschte Verhalten wird auf die Verhaltenskarte geschrieben. Präsentiere die<br />
Verhaltenskarte dabei als ein Hilfsmittel um das erwünschte Verhalten zu erreichen.<br />
2 Das Belohnungssystem und die Belohnung bestimmen.<br />
Dies kann auf verschiedene Weisen geschehen. Eine Möglichkeit ist die Arbeit mit<br />
'Tauschobjekten', die täglich verdient werden können, beispielsweise Spielmarken, Punkte<br />
und Sticker, die am Ende der Woche für eine Belohnung eingetauscht werden können, wie<br />
Kekse backen, ein Poster, länger fernsehen. Eine Methode, die schon bei kleineren Kindern<br />
benutzt werden kann, ist die Arbeit mit einer täglichen Belohnung. Die Kinder bekommen<br />
dann keine Tauschobjekte, sondern können sich täglich eine kleinere Belohnung verdienen.<br />
Wichtig ist, dass die Belohnung vom Kind auch als Belohnung erfahren wird.<br />
3 Das Kriterium bestimmen<br />
Legen Sie fest, unter welchen Bedinungen das Kind die Belohnung erhält oder auch: wie oft es das<br />
112
erwünschte Verhalten zeigen muss bevor es belohnt wird. Sagen Sie dabei nachdrücklich,<br />
dass die Arbeit mit der Verhaltenskarte eine Experiment ist und nicht gleich alles gelingen<br />
muss. Wenn es anders verläuft als erwartet, wird die Verhaltenskarte geändert.<br />
4 Bestimmen, wer die Karte führt<br />
Sprechen Sie mit den Eltern ab, wer die Verhaltenskarte ausfüllt und zu welchen<br />
Zeitpunkten. Es ist wichtig, dass Eltern das möglichst schnell nach dem Auftreten des<br />
erwünschten Verhaltens tun. Dadurch lernen sie auf das erwünschte Verhalten zu achten<br />
und das erwünschte Verhalten des Kindes wird verstärkt.<br />
5 Bestimmen, was die Eltern tun, wenn das unerwünschte Verhalten auftritt<br />
Besprechen Sie mit den Eltern wie sie reagieren können, wenn das unerwünschte Verhalten<br />
auftritt und lehren Sie ihnen falls nötig Fähigkeiten um auf das unerwünschte Verhalten zu<br />
reagieren.<br />
6 Bestimmen, wann die Arbeit mit der Verhaltenskarte beginnt und wann sie ausgewertet<br />
wird<br />
Überlegen Sie mit den Eltern, zu welchem Zeitpunkt die Arbeit mit der Verhaltenskarte<br />
beginnt. Versuchen Sie die Verhaltenskarte möglichst schnell einzusetzen. Die Auswertung<br />
der Arbeit mit der Verhaltenskarte geschieht täglich und findet also ab und zu per Telefon<br />
statt. Dadurch kann der Familienmitarbeiter im Auge behalten, ob die Arbeit mit der<br />
Verhaltenskarte gut verläuft und korrigieren wo es nötig ist. Das verhindert, dass Eltern zu<br />
lange bei etwas bleiben, das nicht gut funktioniert und demotiviert werden. Bei der<br />
Auswertung der Verhaltenskarte legt der Familienmitarbeiter Nachdruck auf die positiven<br />
Entwicklungen. Bei Stagnationen untersucht er was genau los ist, beispielsweise: belohnen<br />
die Eltern konsequent; weiß das Kind, was es tun muss; beobachten die Eltern richtig?<br />
7 Bestimmen, wie das Elternteil dem Kind das erwünschte Verhalten vermitteln kann,<br />
wenn dieses Verhalten für das Kind neu ist.<br />
Untersuchen Sie mit den Eltern, ob das Kind die Fähigkeiten beherrscht, die mit dem<br />
erwünschten Verhalten zusammenhängen. Wenn das undeutlich ist oder das Kind die<br />
Fähigkeiten unzureichend beherrscht, schauen Sie dann, wie das Kind die Fähigkeiten<br />
lernen kann und vom wem sie vermittelt werden, von den Eltern oder vom<br />
Familienmitarbeiter.<br />
8 Bestimmen, wie dem Kind die Verhaltenskarte präsentiert wird<br />
Überlegen Sie mit den Eltern, wer dem Kind die Verhaltenskarte erklärt und wie das<br />
geschieht.<br />
Eine Verhaltenskarte ist auch ein sehr geeignetes Hilfsmittel zur Arbeit an erwünschtem<br />
Verhalten von Jugendlichen. Ein Jugendlicher wird dann aktiv beim Erstellen der<br />
Verhaltenskarte mit einbezogen. In gemeinsamer Überlegung zwischen Eltern,<br />
Jugendlichem und Familienmitarbeiter wird abgesprochen, welche Verhaltensweisen auf die<br />
Karte kommen, was Belohnungen sind, wann sie erreicht werden und so weiter. Außerdem<br />
wird auch abgesprochen wie die Eltern reagieren sollen oder wie gerade nicht,<br />
beispielsweise: bei bestimmtem erwünschtem Verhalten ein Kompliment machen und es<br />
auf der Karte notieren, aber beim Ausbleiben des erwünschten Verhaltens nicht meckern.<br />
Entsprechende Vereinbarungen können eventuell auf der Verhaltenskarte notiert werden.<br />
113
Belohnungen<br />
Belohnen eines erwünschten Verhaltens stellt Eltern vor die Frage welche Belohnungen für<br />
ihr Kind nett oder geeignet sind. Manche Eltern haben den Eindruck, dass ihr Kind 'alles<br />
hat' oder 'nichts will' oder 'nur Süßigkeiten oder Geld will'. Auf zwei Weisen kann der<br />
Familienmitarbeiter zusammen mit den Eltern inventarisieren welche Belohnungen für ihr<br />
Kind geeignet sind und welche sie danach ihrem Kind geben.<br />
Inventarisierung anhand von Beispielen<br />
Der Familienmitarbeiter kann den Eltern zahlreiche Beispiele von Belohnungen nennen um<br />
sie auf Ideen zu bringen.<br />
Materielle Belohnungen<br />
Luftballon<br />
Apfel (andere Frucht)<br />
Nachtisch<br />
Limonade<br />
Malbuch<br />
Süßigkeit<br />
Lego<br />
Sticker<br />
kleines Buch<br />
kleine Pflanze<br />
Stifte<br />
Kassette<br />
Heft<br />
kleines Auto<br />
Poster<br />
Rosinen<br />
Puppe<br />
extra Getränk<br />
Playmobil<br />
Ton<br />
ein Stück Käse<br />
Immaterielle Belohnungen<br />
(länger) draußen spielen<br />
Freunde einladen<br />
vorlesen<br />
zusammen ein Spiel spielen<br />
in einem besonderen Malbuch zeichnen<br />
dürfen<br />
Blumen gießen<br />
Fenster putzen<br />
fernsehen<br />
zusammen Fahrrad fahren<br />
eine Kassette hören<br />
beim Gärtnern / Autowaschen helfen<br />
Kekse anbieten<br />
etwas später ins Bett<br />
einen Einkauf erledigen<br />
in der Küche beim Kochen helfen<br />
mit Wasser panschen<br />
mit dem Hund hinausgehen<br />
Kerzen auf dem Tisch<br />
schwimmen<br />
Nachtisch aussuchen<br />
sich verkleiden<br />
Inventarisierung anhand von Punkten<br />
Anhand zahlreicher Punkte kann der Familienmitarbeiter mit den Eltern gezielt<br />
inventarisieren, welche Dinge ihr Kind mag. Mögliche Punkte sind:<br />
• Menschen; mit welchen Menschen ist das Kind gern zusammen?<br />
• Tägliche Tätigkeiten; welche täglichen Tätigkeiten tut das Kind gerne, beispielsweise:<br />
Monopoly spielen, Skateboard fahren, fernsehen, telefonieren?<br />
114
• Spezielle Aktivitäten; welche speziellen Tätigkeiten unternimmt das Kind, beispielsweise;<br />
ins Kino, in den Zoo gehen, Kekse backen, zu einem Fußballspiel, einen Abend zu<br />
Freunden, in ein Konzert gehen?<br />
• Essen; was findet das Kind besonders lecker?<br />
• Aufmerksamkeit; welche besonderen Formen der Aufmerksamkeit findet das Kind nett,<br />
beispielsweise: Komplimente bekommen, herumtollen, schmusen?<br />
• Tauschobjekte; welche Tauschobjekte verdient das Kind gerne, beispielsweise: kleine<br />
Sticker, Sterne, Punkte, Spielmarken, Geld?<br />
8.5 DIE BEDENKEN DER ELTERN<br />
Manchmal haben die Eltern Zweifel oder Bedenken beim Gebrauch der<br />
Erziehungsfähigkeiten und lassen das den Familienmitarbeiter auch spüren. Die allgemeine<br />
Richtlinie, um damit umzugehen, ist: respektieren Sie die Ideen der Eltern, lassen Sie sich<br />
auf keine Diskussion über richtig oder falsch ein, sondern gehen Sie mit den Eltern die Vorund<br />
Nachteile durch und geben Sie ergänzende Informationen. Auf diese Weise besteht die<br />
größte Chance, dass Eltern damit experimentieren möchten, anders mit ihren Kindern<br />
umzugehen. Nachstehend werden dem Familienmitarbeiter zahlreiche Tips gegeben für<br />
Situationen in denen Zweifel und Bedenken von Eltern auftreten.<br />
Der Erziehungsstil der Eltern ist überwiegend strafend und die Eltern 'glauben' auch an diese<br />
Art und Weise mit ihren Kindern umzugehen:<br />
• Erklären Sie den Eltern, dass das Bestrafen von Kindern effektiver wird, wenn es mit<br />
positiven Konsequenzen wie loben und belohnen kombiniert wird. Reden Sie den Eltern<br />
das Bestrafen nicht aus.<br />
• Untersuchen Sie zusammen mit den Eltern, welche Folgen ein anderer Erziehungsstil für<br />
sie selbst hat.<br />
• Erklären Sie die Nachteile von Strafen, sowohl für die Kinder wie für sie selbst; Angst,<br />
Bosheit, Rückzug, die Begrenzungen, die Verbote einem selbst auferlegen, die Chance, dass<br />
Kinder etwas hinter dem Rücken der Eltern tun.<br />
Eltern sehen Verstärker und Belohnungen als Bestechung oder Eltern finden, dass Kinder sich<br />
gut betragen müssen, weil es sich so gehört:<br />
• Lassen Sie erkennen, dass das in gewisser Hinsicht wahr ist, aber dass ihr Kind<br />
anscheinend zusätzlich etwas braucht, um sich 'richtig' zu verhalten.<br />
• Demonstrieren Sie die Fähigkeit Belohnen und Strafen.<br />
• Vermitteln Sie den Eltern, wie sie soziale Verstärker gebrauchen können, mit anderen<br />
Worten: Lehren Sie sie loben.<br />
Eltern weisen die Idee von Verhaltenskarten und Belohnungen ab, weil sie schon ihre ganze<br />
Zeit damit verbringen, auf unerwünschtes Verhalten zu reagieren:<br />
• Erklären Sie den Eltern, dass es nun zusätzliche Zeit kostet, sich aber langfristig lohnt.<br />
• Machen Sie den Eltern deutlich, dass sie auch jetzt viel Zeit mit dem Verhalten verbringen<br />
und die Atmosphäre als Folge davon sehr negativ ist.<br />
115
Eltern haben bereits früher Verstärker benutzt, aber ohne Resultat:<br />
• Untersuchen Sie, warum es ohne Resultat war; haben es die Eltern lange genug<br />
durchgehalten?<br />
• Stehen Sie Modell, machen Sie es ihnen vor.<br />
• Erklären Sie, dass die Umstände anders sein können. Die Chance besteht, dass es jetzt<br />
klappt.<br />
8.6 VERBESSERN DER KOMMUNIKATIVEN FÄHIGKEITEN<br />
Die Erziehungsfähigkeiten, die bis jetzt beschrieben wurden, hatten Bezug auf die<br />
Stimulierung von Verhaltensänderung. Es gibt jedoch noch viel mehr<br />
Erziehungsfähigkeiten. Eine wichtige Kategorie wird von Fähigkeiten gebildet, die die<br />
Kommunikation zwischen Elternteil und Kind fördern. Sie helfen Eltern und Kindern auf<br />
eine nette Art miteinander umzugehen. Diese Fähigkeiten sind auch gut in der<br />
Kommunikation mit Jugendlichen zu gebrauchen. Viele Techniken, die vorher als Teil von<br />
Families First beschrieben wurden, sind Kommunikationsfähigkeiten, die auch an Eltern<br />
übertragen werden können, beispielsweise 'unterstützende Ich-Botschaften geben' und<br />
'konfrontierende Ich-Botschaften geben'. Auch die Schritte, die beim 'Bleistift und Papier-<br />
Training mit der Familie' unterschieden wurden, sind als Verhandlungsfähigkeit an Eltern<br />
zu übertragen. Außerdem sind auch die Fähigkeiten 'Zuhören' und 'Nach Gefühlen<br />
nachfragen' für Eltern wichtig.<br />
Zuhören<br />
Indem er der Erzählung eines Kindes zuhört, zeigt der Elternteil Interesse dafür, was das<br />
Kind erzählt und gibt ihm den Eindruck, dass es der Mühe wert ist. Auch erhält der<br />
Elternteil auf diese Weise Informationen über die Dinge, die das Kind tut oder die es<br />
beschäftigen. Diese Informationen hat der Elternteil oft nötig, um dem Kind Dinge<br />
vermitteln zu können. Durch gutes Zuhören können Eltern die Beziehung zu ihrem Kind<br />
verbessern. Die Schritte der Fähigkeit 'Zuhören' sind:<br />
1 In der Nähe des Kindes sitzen oder stehen, es ab und zu ansehen oder berühren.<br />
2 Das Kind ermutigen, seine Geschichte zu erzählen, indem Sie:<br />
• mit dem Kopf nicken; damit deuten Sie an, dass Sie das Kind verstehen;<br />
• ab und zu reagieren im Sinne von: "Oh ja!, mm, wirklich wahr"<br />
3 Das Kind aussprechen lassen.<br />
Manchmal fällt es schwer, die Reaktion bis zum Ende der Geschichte zurückzuhalten, weil<br />
man begeistert davon ist oder gerade sehr böse. Jedoch ist es wichtig, das Kind die ganze<br />
Geschichte erzählen zu lassen. Manchmal kommt die wichtigste Information gerade am<br />
Ende.<br />
4 Wenn die Geschichte nicht deutlich ist oder Ihnen noch Informationen fehlen, stellen Sie<br />
gezielte Fragen, beispielsweise:<br />
• wer war dabei;<br />
• was sagte der Lehrer dazu;<br />
• wie spät bist du draußen spielen gegangen?<br />
116
Schwerpunkte bei der Fähigkeit 'Zuhören' sind:<br />
• Der Geschichte eines Kindes zuzuhören kann gut mit einfachen Tätigkeiten einhergehen.<br />
Damit sind Tätigkeiten gemeint, die nicht viel Aufmerksamkeit erfordern.<br />
• Wenn Sie keine Zeit oder Lust haben dem Kind zuzuhören, sprechen Sie mit dem Kind<br />
einen Zeitpunkt ab, zu dem es passt.<br />
• Der Geschichte eines Kindes zuzuhören muss nicht beinhalten, dass Sie mit dem Kind<br />
übereinstimmen. Wenn Ihr Kind die ganze Geschichte erzählt hat, können Sie reagieren.<br />
Nach Gefühlen nachfragen<br />
Im Umgang mit ihren Kindern haben Eltern oft eine Ahnung, wie das Kind sich fühlt.<br />
Wenn diese Ahnungen möglichst viel von dem, was sie sehen, gestützt werden, ist die<br />
Chance größer, dass sie stimmen, aber das ist nicht immer der Fall. Darum ist es sehr<br />
wichtig, dass Eltern lernen zu überprüfen, ob ihre Vorstellungen von den Gefühlen ihrer<br />
Kinder richtig sind. Das heißt 'Nach Gefühlen nachfragen'.<br />
Mithilfe dieser Fähigkeit können Kinder lernen, ihre Gefühle genau zu benennen. Wenn<br />
Eltern die Fähigkeit richtig benutzen, hilft das gut bei dem anzuschließen, was für das Kind<br />
wichtig ist.<br />
Die Schritte der Fähigkeit 'Nach Gefühlen nachfragen':<br />
1 Erzählen Sie, was Ihre Idee oder Ihr Eindruck ist;<br />
• "Ich habe den Eindruck, dass du sehr bekümmert bist".<br />
• "Ich glaube, du hast heute Nachmittag viel Spaß gehabt".<br />
• "Ich denke, dass du sehr böse bist".<br />
2 Erzählen Sie Ihrem Kind, was Sie sehen oder gesehen hast, wodurch Sie diesen Eindruck<br />
haben, beispielsweise:<br />
• " ..., weil du weinst".<br />
• " ..., ich habe dich oft lachen hören".<br />
• " ..., denn du antwortest nicht auf meine Frage".<br />
3 Fragen Sie das Kind, ob Ihre Ahnung oder Ihr Eindruck stimmen, beispielsweise:<br />
• " ..., ist das so?"<br />
• " ..., stimmt das?"<br />
• " ..., ich kann mich völlig irren, aber wenn es so ist, möchte ich es gern von dir hören."<br />
Schwerpunkte bei der Fähigkeit:<br />
• Sätze, die mit dem Wort 'ich' beginnen, sind sehr geeignet um dem Kind den Eindruck<br />
wiederzugeben. Sie werden auch 'Ich-Botschaften' genannt.<br />
• Wenn das Kind den Eindruck verneint, hören Sie sofort mit nachfragen auf. Sie können<br />
dann beispielsweise das Folgende sagen: "Nun, dann habe ich mich wohl geirrt, wenn du<br />
doch noch darüber sprechen möchtest, kannst du jederzeit wieder darauf<br />
zurückkommen".<br />
• Das Nachfragen kann manchmal mit einfachen Tätigkeiten einhergehen. Dies gilt<br />
besonders, wenn Ihr Kind es noch spannend findet.<br />
• Das Nachfragen kann am besten geschehen, wenn genug Zeit ist und die Umgebung<br />
ruhig.<br />
117
8.7 ERZIEHUNGSFÄHIGKEITEN IN VERBINDUNG MIT AUFGABENERLEICHTERUNG<br />
Das Vermitteln von Erziehungsfähigkeiten wird oft mit dem Einbringen von<br />
Aufgabenerleichterungen kombiniert, beispielsweise indem die Aufgabe strukturiert oder in<br />
kleine Schritte unterteilt wird. Ein Beispiel dazu ist, Struktur in die tägliche Routine einer<br />
Familie zu bringen; das heißt: in alles, was sich von morgens früh bis abends spät mit einer<br />
gewissen Regelmäßigkeit abspielt. Eine tägliche Routine sorgt für Überblick und<br />
Regelmäßigkeit. Kindern gibt das einen guten Halt, weil deutlich ist, was zu bestimmten<br />
Zeitpunkten von ihnen erwartet wird. Besonders zu Zeitpunkten, in denen viel<br />
Problemverhalten vorkommt, ist es wichtig dem nachzugehen, wie die tägliche Routine<br />
aussieht, beispielsweise wie es mit den Essens- und Zubettgeh-Zeiten bestellt ist. In<br />
Überlegung mit dem Familienmitarbeiter können Eltern bestimmte Teile der täglichen<br />
Routine strukturieren. Dies fördert das erwünschte Verhalten. Strukturierung der Aufgabe<br />
findet auch statt, wenn ein Elternteil das Kind auf bestimmte Tätigkeiten oder Ereignisse<br />
vorbereitet oder eine bestimmte Reihenfolge hereinbringt, beispielsweise: "Gleich gehen wir<br />
einkaufen, jetzt gehst du aufs WC und dann trinken wir eben noch etwas."<br />
8.8 CHECKLISTE FÜR DAS LEHREN / LERNEN VON ERZIEHUNGSFäHIGKEITEN<br />
Erziehungsfähigkeiten, um erwünschtes Verhalten zu verstärken:<br />
• Loben<br />
• Belohnen<br />
Erziehungsfähigkeiten, um unerwünschtes Verhalten zu vermindern oder zu stoppen:<br />
• Nicht reagieren<br />
• time out<br />
• Sinnvoll strafen<br />
Erziehungsfähigkeiten, um anderes oder neues Verhalten zu stimulieren:<br />
• Anweisungen geben<br />
Hilfsmittel beim Gebrauch von Erziehungsfähigkeiten:<br />
• Verhaltenskarten<br />
• Belohnungen<br />
Kommunikative Erziehungsfähigkeiten:<br />
• Zuhören<br />
• Nach Gefühlen nachfragen<br />
118
9 ERHÖHEN DER SICHERHEIT<br />
Sowohl die Familienmitglieder als auch der Familienmitarbeiter können während des<br />
Kontakts mit Families First mit einem Familienmitglied konfrontiert werden, das mit<br />
Gewalt droht oder wirklich Gewalt anwendet. Diese Gewalt ist oft physisch. Unter<br />
physischer Gewalt wird formell verstanden: 'Handlungen mit tatsächlichen oder<br />
vermeintlichen üblen Zielen, die materiellen und immateriellen Schaden und Verletzungen<br />
zufügen können und wobei formelle oder informelle Verhaltensregeln verletzt werden' (Van<br />
der Ploeg, 1995). Formen physischer Gewalt sind beispielsweise: am Körper ziehen,<br />
beispielsweise jemanden am Arm wegziehen, treten, mit der Hand schlagen, mit einer Waffe<br />
schlagen, aber auch Fenster einwerfen oder mit Dingen schmeißen. Eine andere Form von<br />
Gewalt ist Gewalt mit Schusswaffen oder das Drohen damit. Wenn der Familienmitarbeiter<br />
weiß, was er in Situationen, in denen Gewalt eine Rolle spielt, tun kann, erhöht das seine<br />
eigene Sicherheit und vermindert seine Angst. Ein Familienmitarbeiter kann verschiedene<br />
Maßregeln treffen, um Gewalt oder eine weitere Eskalation von Gewalt zu verhindern 5 .In<br />
Situationen, die unsicher sind oder zu werden drohen, muss der Familienmitarbeiter<br />
immer mit dem Teamleiter Kontakt aufnehmen um zusammen zu überlegen, wie mit der<br />
Situation am besten umzugehen ist.<br />
9.1 EINSCHÄTZEN DER CHANCE FÜR UNSICHERE SITUATIONEN<br />
Um dahinter zu kommen wie groß die Chance ist, dass sich in einer Familie unsichere<br />
Situationen hervortun, zieht der Familienmitarbeiter verschiedene Informationsquellen<br />
heran. Die erste Quelle ist der Überweiser, der über die Vorgeschichte und das Risiko von<br />
unsicheren Situationen in der Familie Bescheid wissen muss. Außerdem ist die Sicherheit<br />
ein wichtiger Schwerpunkt bei den ersten Kontakten mit der Familie. Der<br />
Familienmitarbeiter kann die Familienmitglieder fragen, ob sie sich schon einmal unsicher<br />
gefühlt haben und welche Situation dazu Anlass gab. Wenn es die Situation zulässt, kann<br />
der Familienmitarbeiter die Familienmitglieder auch nach ihrer Einschätzung der Lage<br />
fragen, wie groß die Chance für unsichere Situationen in der nächsten Zukunft ist.<br />
Zum Beispiel:<br />
In einer Familie ist die Rede von regelmäßigen Konflikten zwischen Vater und Chris. Vater benutzt<br />
dabei oft sein Hände. So eine Situation entsteht meistens, wenn der Vater merkt, dass er keinen<br />
Einfluss mehr auf das Verhalten von Chris hat. Die anderen Familienmitglieder sind jedoch<br />
dauernd Zeuge dieser Konflikte, und das ist für das Funktionieren der Familie nicht förderlich. Die<br />
Familienmitarbeiterin, Patricia, versucht die Sicherheit zu erhöhen, indem sie zeitweise eine<br />
Situation schafft, in der Chris so wenig wie möglich mit seinem Vater konfrontiert wird. Sie regelt<br />
beispielsweise in Überlegung mit Chris und seinem Vater, dass Chris nach dem Schulunterricht<br />
5 Eine spezielle Form von Gewalt ist sexueller Missbrauch. Auf dieses Thema wird in diesem Kapitel nicht<br />
eingegangen. Zum Handeln bei sexuellem Missbrauch oder der Vermutung auf sexuellen Missbrauch wurde im<br />
Rahmen von Families First ein eintägiger Workshop entwickelt.<br />
119
noch zu zusätzlicher Hausaufgabenbegleitung in der Schule bleiben kann. Außerdem untersucht sie<br />
mit Chris die Möglichkeit, dass er in seiner Freizeit an Sportaktivitäten oder an Aktivitäten in<br />
einem Nachbarschaftshaus teilnimmt. Sie fängt damit 'zwei Fliegen mit einer Klappe': Chris<br />
verbingt seine Freizeit auf eine akzeptable Art und Weise und sein Vater weiss, wie er seine Freizeit<br />
verbringt und ärgert sich weniger.<br />
9.2 VORSORGEMASSNAHMEN<br />
Manchmal ist es nicht ganz deutlich, ob in einer Familie von unsicheren Situationen<br />
gesprochen werden kann. Ein Familienmitarbeiter hat eine Vermutung, beispielsweise weil<br />
ihm ein Mentor der Schule erzählt, dass das Kind blaue Flecken hat. Der<br />
Familienmitarbeiter kann auch den Eindruck haben, dass der Vater seinen Sohn bedroht<br />
sobald er selbst von der Familie weggeht. Er kann auch von anderen Familienmitgliedern<br />
über drohende Gewalt informiert worden sein. Sie haben beispielsweise Angst vor dem<br />
Sohn, der im Haus Waffen versteckt hat oder der mit undurchsichtigen Personen<br />
zusammen ist, die auch bei der Familie ein und aus gehen. In unsicheren Situationen kann<br />
es auch um Gewalt gehen, die Familienmitglieder sich selbst anzutun drohen; ein<br />
depressiver Eltern teil sagt beispielsweise, dass er sich selbst verwunden wird. Bei<br />
vermuteter oder drohender Unsicherheit kann der Familienmitarbeiter eine Anzahl<br />
Vorsorgemaßnahmen treffen, die falls nötig einen dauerhaften Charakter bekommen<br />
können, wenn sich zeigt, dass sie funktionieren:<br />
Folgen<br />
Der Familienmitarbeiter kann aus der Distanz im Auge behalten, was in der Familie<br />
passiert, beispielsweise indem er zwischen den Verabredungen telefonisch mit der Familie<br />
Kontakt aufnimmt um zu fragen, wie es geht. Eine andere Möglichkeit ist es, mit der<br />
Familie abzusprechen, dass sie anrufen, wenn sie Fragen haben oder die Situation droht aus<br />
der Hand zu laufen.<br />
Veränderungen in die Situation bringen<br />
Manchmal kann eine Krise vermieden werden, indem die Situation zeitweise verändert<br />
wird,beispielsweise mit einem Jugendlichen absprechen, dass er vorläufig keine Freunde<br />
mit nach Hause bringt oder ein Kind eine Nacht bei den Nachbarn schlafen lassen, wenn<br />
die Mutter so erschöpft ist, dass sie sich selbst nicht mehr in der Hand hat.<br />
Strukturieren der täglichen Routine der Familie<br />
Das Strukturieren der täglichen Routine verringert die Chance für das Entstehen einer<br />
Krise. Der Familienmitarbeiter spricht beispielswise ab, welche Tätigkeiten, wie<br />
Hausaufgaben machen und das eigene Zimmer aufräumen, fortan zur täglichen Routine<br />
der Jugendlichen gehören; oder der Familienmitarbeiter überlegt mit einer Mutter, was ein<br />
Kind nach der Schule tun kann. Der Familienmitarbeiter kann auch mit einer Mutter, vor<br />
der der Tag wie ein unbeklimmbarer Berg liegt, besprechen, wie sie sich den Tag einteilen<br />
kann.<br />
120
Aufsetzen eines Vertrags<br />
Der Familienmitarbeiter kann mündliche Absprachen mit einem Familienmitglied in<br />
einem Vertrag festlegen. Beispiele sind, dass der Jugendliche ihn anruft bevor er wegläuft;<br />
dass die Mutter zum Telefonhörer greift, bevor sie straft oder dass der Vater etwas von sich<br />
hören lässt, wenn er sich sehr depressiv fühlt.<br />
Erteilen eines Beobachtungs-Auftrags<br />
Um eine Krisensituation zu verhindern kann es sinnvoll sein, es Eltern aufschreiben zu<br />
lassen, wenn ein bestimmtes Problemverhalten auftritt. Das hilft ihnen, anders zu reagieren.<br />
Wenn Eltern beispielsweise festhalten müssen, wie oft ein Kind sie verflucht, verringert<br />
schon der Auftrag die Chance, dass sie darüber böse werden. Außerdem kann der Gedanke,<br />
dass sie diese Aufzeichnungen mit dem Familienmitarbeiter besprechen werden, ihnen<br />
Hoffnung auf Veränderung machen.<br />
Erstellen eines Thermometers<br />
Mithilfe eines Thermometers kann ein Familienmitglied selbst lernen, mit eskalierenden<br />
Gefühlen umzugehen (siehe Kapitel 6).<br />
9.3 REAGIEREN IN UNSICHEREN SITUATIONEN<br />
Unsichere Situationen kommen in einer Familie nicht oft in Anwesenheit des<br />
Familienmitarbeiters vor. Der Familienmitarbeiter kommt auch nicht schnell in eine<br />
Situation, in der seine eigene Sicherheit bedroht ist. Aber wenn Gewalt droht, muss sich der<br />
Familienmitarbeiter darauf bei seinem Besuch vorbereiten, sowohl in seinem Verhalten als<br />
auch in den Techniken, die er anwendet.<br />
Ratschläge für das Verhalten:<br />
Wenn Sie bei dem Haus ankommen:<br />
• sehen Sie nach, wo Ausgänge sind, sowohl Türen als auch Fenster;<br />
• nachsehen, ob in der direkten Umgebung Nachbarn sind;<br />
• horchen Sie bevor Sie klingeln;<br />
• bleiben Sie an der Seite von der Tür stehen; es kann plötzlich jemand nach draußen<br />
rennen;<br />
• warten Sie bis Sie hereingelassen werden, auch wenn die Tür offensteht; denken Sie daran,<br />
dass Sie ein Gast sind.<br />
Wenn Sie drinnen sind:<br />
• setzen Sie sich in die Nähe eines Ausgangs;<br />
• versuchen Sie mit dem Rücken zu einer Wand zu sitzen, sodass Sie alles übersehen<br />
können;<br />
• versuchen Sie dafür zu sorgen, dass die Person, die aggressiv ist, nicht zwischen Ihnen und<br />
der Tür sitzt;<br />
• sitzen Sie am besten im Wohnzimmer; die Chance, dass sich da ein Messer oder eine<br />
andere Stichwaffe befindet, ist da am kleinsten;<br />
121
• versuchen Sie die Zimmertür auf zulassen, das gibt auch den Familienmitgliedern ein<br />
freieres Gefühl;<br />
• sprechen Sie sich selbst ruhig zu, sagen Sie sich selbst, dass Sie besser ruhig bleiben;<br />
• versuchen Sie, Ruhe auszustrahlen; holen Sie tief Atem, wenn Sie merken, dass Sie<br />
angespannt werden;<br />
• beobachten Sie sehr gut, besonders Signale, die ein Vorbote von Gewalt sein könnten;<br />
achten Sie besonders auf Gesichtsausdruck, Körperhaltung, schnelle Atmung, ein rotes<br />
Gesicht, verbale Äußerungen oder Drohungen;<br />
• respektieren Sie den persönlichen Bereich der Familienmitglieder; stehen Sie nicht zu nah<br />
bei ihnen, berühren Sie sie nicht;<br />
• fragen Sie auch jetzt um Zustimmung für alles was Sie tun;<br />
• nehmen Sie sich Zeit, lassen Sie die Familienmitglieder merken, dass sie alle Zeit haben<br />
ihre Gefühle zu äußern.<br />
Interventionen<br />
1 Benutzen Sie beruhigende Techniken:<br />
• machen Sie viel Gebrauch von der Technik aktiv zuhören (siehe Kapitel 3); wenn sich die<br />
Familienmitglieder besser verstanden fühlen, ist die Chance für Gewalt kleiner;<br />
• geben Sie Ihre persönlichen Eindrücke und Gefühle wieder, beispielsweise: "Ich mache mir<br />
Sorgen darüber, wie Sie sich anschreien". Diese Technik wird 'Ich-Botschaften geben'<br />
genannt (siehe Kapitel 4).<br />
2 Bringen Sie Veränderungen in die Situation:<br />
• versuchen Sie, wenn nötig, mit einem Familienmitglied zu sprechen;<br />
• sprechen Sie zuerst mit der Person, die am meisten böse ist; forderen Sie die anderen<br />
Familienmitglieder auf, schwierige Themen zu vermeiden, wenn Sie mit einzelnen<br />
Familienmitgliedern sprechen;<br />
• versuchen Sie die Situation zu verändern; das kann Menschen zu Sinnen bringen; bitten<br />
Sie beispielsweise ein Familienmitglied, zeitweise in einen anderen Raum im Haus zu<br />
gehen;<br />
• eventuell miteinander an einen neutralen Ort gehen;<br />
3 Geben Sie Ihre Grenzen an, wenn Sie merken, dass Hochspannung entseht:<br />
• lassen Sie Ihre Besorgnis merken, dass etwas passiert, beispielsweise: "Ich mache mir<br />
Sorgen, dass hier jemand ...";<br />
• lassen Sie die Familienmitglieder wissen, was für Folgen Gewalt haben kann,<br />
beispielsweise: "Ich werde gehen müssen, wenn ..." oder "Ich werde die Polizei anrufen<br />
müssen, wenn ...".<br />
• gehen Sie weg, wenn es nötig ist.<br />
Geben Sie danach immer eine Anweisung mit Bezug auf Dinge, die die Betroffenen tun<br />
können, beispielsweise sitzen und ruhig reden, still sein, wenn der andere etwas sagt, in ein<br />
anderes Zimmer gehen (siehe Kapitel 4 'Anweisungen geben').<br />
122
Manchmal wird der Familienmitarbeiter telefonisch über unsichere Situationen informiert,<br />
beispielsweise weil ein Familienmitglied anruft und meldet, dass es heftigen Streit gibt, oder<br />
weil der Familienmitarbeiter selbst merkt, dass die Situation in der Familie unsicher ist.<br />
Auch dann gelten die Richtlinien:<br />
Benutze beruhigende Techniken und versuche Veränderungen in die Situation zu bringen.<br />
Wenn der Familienmitarbeiter merkt, dass der telefonische Kontakt unzureichend ist, geht<br />
er zu der Familie hin, aber immer nachdem er mit dem Teamleiter Rücksprache genommen<br />
hat.<br />
9.4 EINGREIFEN BEI KÖRPERLICHER GEWALT<br />
Obwohl der Ausgangspunkt von Families First ist, dass Familienmitglieder lernen,<br />
Krisensituationen selbst zu lösen, muss der Familienmitarbeiter aktiv eingreifen in einer<br />
akuten Krise, in der Gewalt angewendet wird oder droht angewendet zu werden, und<br />
Familienmitglieder nicht in der Lage sind, selbst eine Lösung zu finden. Für dieses<br />
Eingreifen gelten folgende Richtlinien:<br />
Benutzen Sie die verkürzte Verhaltensanweisung<br />
Die verkürzte Verhaltensanweisung (siehe Kapitel 5) besteht aus zwei Schritten:<br />
1 Zeigen Sie kurz Ihre Verbundenheit mit dem und Ihre Sympathie für das<br />
Familienmitglied. Wenn Sie selbst so böse oder irritiert sind, dass Sie wenig Sympathie<br />
aufbringen können, dann richten Sie sich auf das, was Sie sehen und sagen beispielsweise:<br />
"Ich sehe, dass Sie entsetzlich böse sind."<br />
2 Geben Sie genau an, welches Verhalten Sie von dem Familienmitglied erwarten,<br />
beispielsweise: "Ich würde es nett finden, wenn Sie jetzt aufstehen und in Ihr Zimmer<br />
gehen würden" oder: "Ich will, dass du aufstehst und in dein Zimmer gehst."<br />
Eine verkürzte Verhaltensanweisung ist summarisch, aber meistens effektiv, wenn das<br />
Verhalten, das vom Familienmitglied gefordert wird, einfach und deutlich genannt wird, für<br />
das Familienmitglied einfach auszuführen ist, das unerwünschte Verhalten ausschließt oder<br />
vermindert und kein strafender Ton benutzt wird. Die Aufforderung zu konkretem,<br />
'einfachem' Verhalten erhöht die Chance, dass es auch wirklich ausgeführt wird. Das gibt<br />
dem Familienmitarbeiter Gelegenheit mit einer positiven Bemerkung zu reagieren. So ein<br />
Kompliment genügt in manchen Situationen bereits, um die Spannung zu lockern. Wenn es<br />
nötig ist, wird die verkürzte Verhaltensanweisung, mit Variationen, stets wiederholt.<br />
Fügen Sie der Situation keinen weiteren Stress hinzu:<br />
• schlagen Sie nicht selbst zurück; wehren Sie das Familienmitglied nur ab; stellen Sie sich<br />
wenn nötig zwischen das Familienmitglied und die bedrohte Person oder den bedrohten<br />
Gegenstand;<br />
• sprechen Sie weiterhin ruhig<br />
• versuchen Sie dafür zu sorgen, dass die übrigen Familienmitglieder weiterhin ruhig<br />
reagieren.<br />
123
Der Familienmitarbeiter muss dafür sorgen, dass das Familienmitglied, das Gewalt<br />
angewendet hat nach Ablauf des Vorfalls zur Ruhe kommen kann. Danach kann der<br />
Familienmitarbeiter wieder auf das zurückkommen, was passiert ist. In einem späteren<br />
Stadium kann der Vorfall als Anknüpfungspunkt zur Kompetenzerweiterung benutzt<br />
werden.<br />
9.5 ERHÖHEN DER SICHERHEIT ZUSAMMENGEFASST<br />
Von der Sicherheitssituation in einer Familie muss der Familienmitarbeiter vonvornherein<br />
eine Einschätzung machen indem er Informationen von demjenigen, der die Familie bei<br />
Families First angemeldet hat, erfragt und vom allerersten Kontakt mit der Familie an<br />
darauf achtet. Über seine eigene Sicherheit berät der Familienmitarbeiter regelmäßig mit<br />
dem Teamleiter. Die Vorsorgemaßnahmen, die der Familienmitarbeiter bei drohender<br />
Gewalt ergreifen kann, sind: die Ereignisse in der Familie sorgfältig verfolgen,<br />
Veränderungen in die Situation bringen, die tägliche Routine der Familie strukturieren,<br />
einen Vertrag schließen, den Eltern einen Beobachtungs-Auftrag geben oder ein<br />
Gefühlsthermometer erstellen. Wenn er in Krisensituationen eingreifen muss, in denen die<br />
Sicherheit in Gefahr ist, sorgt der Familienmitarbeiter dafür, dass er so viel wie möglich die<br />
Übersicht behält, dass er beruhigende Techniken benutzt, die Situation verändert und seine<br />
eigenen Grenzen deutlich macht. In einer akuten Krise wendet der Familienmitarbeiter so<br />
ruhig wie möglich die verkürzte Verhaltensanweisung an, um auf das Familienmitglied, das<br />
Gewalt anwendet oder damit droht, Einfluss zu gewinnen.<br />
124
10 DIE ARBEITSSITUATION DES<br />
FAMILIENMITARBEITERS<br />
Familienmitarbeiter von Families First haben oft mit ernsten Krisensituationen zu tun. Im<br />
Vergleich zu anderen Arbeitsplätzen im Bereich der Hilfeleistung hat ihre Arbeit außerdem<br />
viele ungewöhnliche Aspekte. Es wird von ihnen verlangt, 24 Stunden pro Tag, sieben Tage<br />
pro Woche für die Familien erreichbar zu sein. Sie sind oft bei den Familien anwesend und<br />
machen oft emotionale Dinge mit, aber sie müssen auch auf Distanz gehen können und<br />
einen objektiven Blick auf die Familie behalten. Familienmitarbeiter arbeiten unregelmäßig,<br />
zu unvorhersagbaren Zeiten und oft viele Stunden nacheinander. Ob die ungewöhnlichen<br />
Aspekte schwer oder sogar zu schwer sind, ist bei jedem Familienmitarbeiter verschieden.<br />
Ob jemand eine bestimmte Situation als stressverursachend erfährt, hängt von seinen<br />
persönlichen Eigenschaften, eigenen Erfahrungen -sowohl beruflich wie privat -,<br />
Unterstützung, Fähigkeiten und so weiter ab. Familienmitarbeiter müssen auf jeden Fall gut<br />
für sich selbst sorgen, um so kompetent wie möglich zu funktionieren. Dazu können sie die<br />
Kontakte mit dem Teamleiter und mit Kollegen nutzen. Außerdem können sie auch<br />
Hilfsmittel gebrauchen, um durch schwierige Situationen hindurchzukommen.<br />
10.1 DER KONTAKT MIT DEM TEAMLEITER<br />
Der Teamleiter ist jederzeit für den Familienmitarbeiter erreichbar. Sowohl durch die<br />
individuelle Begleitung der Arbeit als auch anhand kurzer zwischenzeitlicher Gespräche<br />
behält der Teamleiter Einblick in das Funktionieren des Familienmitarbeiters. Es liegt in der<br />
Verantwortung des Teamleiters sowohl auf den Fortgang der Arbeit mit den Familien als<br />
auch auf das persönliche Funktionieren des Familienmitarbeiters zu achten. Seinerseits<br />
muss der Familienmitarbeiter selbst beobachten, wie er funktioniert und das während der<br />
individuellen Begleitung der Arbeit einbringen. Wenn der Familienmitarbeiter Aufgaben als<br />
schwer oder zu schwer erfährt, kann er zusammen mit dem Teamleiter überlegen was nötig<br />
ist um die Aufgaben zu erleichtern. Neben dem 'Face to face'-Kontakt mit dem Teamleiter<br />
gibt es regelmäßig telefonischen Kontakt. Der Teamleiter ist im Prinzip 24 Stunden für den<br />
Familienmitarbeiter erreichbar. Bei den telefonischen Kontakten mit dem Teamleiter wird<br />
unterschieden zwischen Situationen, in denen der Familienmitarbeiter mit dem Teamleiter<br />
unverzüglich Kontakt aufnehmen muss, Situationen, in denen das innerhalb von ein paar<br />
Stunden geschehen muss und Situationen, in denen der Kontakt vor dem nächsten Kontakt<br />
mit der Familie stattfinden muss.<br />
Situationen, in denen der Familienmitarbeiter unverzüglich mit dem Teamleiter Kontakt<br />
aufnehmen muss, sind Situationen, in denen:<br />
• der Familienmitarbeiter sich ernsthafte Sorgen über die Sicherheit der Familienmitglieder<br />
macht;<br />
• der Familienmitarbeiter sich in seiner eigenen Sicherheit bedroht fühlt;<br />
• direkte Fremdplatzierung droht. Dieser telefonische Kontakt kann zu jedem beliebigen<br />
Zeitpunkt stattfinden: tagsüber, abends und in Ausnahmefällen sogar nachts.<br />
125
Situationen, in denen der Familienmitarbeiter innerhalb einiger Stunden mit dem<br />
Familienmitarbeiter Kontakt aufnehmen muss, betrifft Situationen, in denen der<br />
Familienmitarbeiter:<br />
• zweifelt, ob eine Familie für Families First geeignet ist, besonders in der Anfangsperiode;<br />
• Probleme hat, die Familie oder die Familienmitglieder zu treffen, wann auch immer in der<br />
Arbeitsperiode;<br />
• vom Überweiser mit unvorhergesehenen Umständen konfrontiert wird, beispielsweise der<br />
plötzlichen Fremdplatzierung eines Kindes;<br />
• von der Familie 'entlassen' wird;<br />
• den Druck fühlt, schnell eine Entscheidung treffen zu müssen und das Gefühl hat, dass<br />
diese Entscheidung besser nach Rücksprache getroffen werden kann. Diese telefonischen<br />
Kontakte können sowohl tagsüber wie abends stattfinden. Eventuell findet eine<br />
Konsultation während einer kurzen Besprechung im Büro statt.<br />
Situationen, in denen der Familienmitarbeiter in jedem Fall mit dem Teamleiter Kontakt<br />
aufnehmen muss bevor der nächste Kontakt mit der Familie stattfindet, sind Situationen,<br />
in denen der Familienmitarbeiter:<br />
• Probleme hat, Familienmitglieder zu beruhigen;<br />
• Schwierigkeiten hat, nach den ersten 72 Stunden die Ziele zu formulieren;<br />
• findet, dass die Arbeitsbeziehung mit der Familie schwerfällig verläuft;<br />
• keinen Fortschritt bei der Arbeit an den gesetzten Zielen sieht;<br />
• der Meinung ist, dass eine Fremdplatzierung besser ist;<br />
• viele Überstunden macht;<br />
• ein unzufriedenes Gefühl bei der Arbeit mit der Familie hat.<br />
Meistens finden die telefonischen Kontakte anlässlich dieser Situationen tagsüber statt,<br />
manchmal abends. Der Teamleiter wird bei diesen Situationen auch oft 'face-to-face' zu<br />
Rate gezogen, wenn der Familienmitarbeiter gerade im Büro ist.<br />
10.2 DER KONTAKT MIT KOLLEGEN<br />
Auch die Kollegen aus dem Team können den Familienmitarbeiter unterstützen. Teilweise<br />
geschieht das während der wöchentlichen Teambesprechungen. Die Runde 'Wohl und<br />
Wehe' und der Teil 'Familienfragen' bietet auf eine geplante Art und Weise Möglichkeiten,<br />
mit den Kollegen zu teilen wie es sowohl beruflich als auch privat geht. Außerdem kann<br />
innerhalb eines Teams eine Gruppe gebildet werden um einander zu unterstützen,<br />
beispielsweise eine Berichtsgruppe, die am Freitagnachmittag von drei bis fünf Uhr die<br />
Arbeitsberichte schreibt und anschließend noch etwas trinken geht. Die<br />
Familienmitarbeiter können untereinander auch 'zwischendurch' Kontakt halten und<br />
Dampf ablassen; erzählen, was sie mitgemacht haben, wie dieser Tag in der Familie<br />
verlaufen ist, was lästig war und so weiter. Dadurch dass der Familienmitarbeiter alleine in<br />
den Familien arbeitet, kann er sich isoliert fühlen. Darum ist es auch sinnvoll, ab und zu<br />
informelle, gemütliche Treffen mit Kollegen zu organisieren.<br />
126
10.3 HELFENDE GEDANKEN UND HANDLUNGEN<br />
Der Familienmitarbeiter vermittelt den Familienmitgliedern Fähigkeiten, wodurch sie mit<br />
belastenden Gedanken und Gefühlen besser umgehen können, sogenannte 'störende<br />
Gedanken und Gefühle' (siehe Kapitel 6). Diese kognitiven Fähigkeiten kann der<br />
Familienmitarbeiter auch selbst gebrauchen, um mit seinen eigenen schweren Aufgaben<br />
oder Stressgefühlen umzugehen. Aufgaben, die Familienmitarbeiter als Belastung erfahren,<br />
können sie mit einer Anzahl sogenannter 'helfender Gedanken und Handlungen' auffangen.<br />
Zum Beispiel:<br />
Wenn der Familienmitarbeiter zuhause von Familienmitgliedern angerufen oder angepiept wird,<br />
sind helfende Gedanken:<br />
• es wird ihnen sehr helfen, wenn ich ihnen nun Aufmerksamkeit widme;<br />
• es ist da wahrscheinlich einiges los ...; wenn ich zhuöre, werde ich viel über die Familie<br />
erfahren;<br />
• in Momenten wie diesen kann ich für die Familie sehr viel bedeuten;<br />
• wenn es keine Krisensituation ist, kann ich ein deutliches Zeitlimit setzen. Ich achte<br />
darauf, dass ich das Familienmitglied damit nicht abweise, aber strukturiere das<br />
Telefongespräch, um die Dauer zu begrenzen;<br />
• wenn mir alles zu viel wird, kann ich meinen Teamleiter anrufen;<br />
• das gibt mir eine Chance, um einen Anfang zu machen mit der Arbeit mit dieser Familie;<br />
• ich kann der Familie sagen, dass sie nun die erlernten Fähigkeiten anwenden solle;<br />
• das kann nun genau die richtige Zeit sein, um an den Problemen zu arbeiten; Helfende<br />
Handlungen sind in diesem Fall:<br />
• Familienmitgliedern vermitteln, was geeignete Zeiten und Situationen sind um mich<br />
anzurufen und etwas zu besprechen; das gilt natürlich nicht für Krisensituationen;<br />
• festhalten, wie oft Sie angerufen werden, um Einblick in die wirkliche Situation zu<br />
bekommen; meistens scheint es öfter vorzukommen als es in Wirklichkeit geschieht; wenn<br />
es oft vorkommt, fragen Sie den Teamleiter um Rat;<br />
• versuchen, das Telefongespräch anhand der Frage zu strukturieren: Was ist jetzt nötig und<br />
was kann bis zu einem späteren Zeitpunkt warten?<br />
• wenn Sie ein Telefongespräch im Nachhinein noch beschäftigt, tuen Sie etwas:<br />
spazierengehen, ein Buch lesen, fernsehen und so weiter;<br />
• mit dem Teamleiter darüber sprechen.<br />
Wenn es der Familienmitarbeiter nicht angenehm findet, abends oder am Wochenende zu<br />
arbeiten, sind helfende Gedanken:<br />
• morgen früh habe ich Zeit für Dinge, die ich will;<br />
• ich finde es gut, nicht fünf Tage in der Woche von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu arbeiten;<br />
• ich stehe nicht im Stau;<br />
• ich habe eine flexibele Stelle;<br />
• ich finde es gut, mir die Zeit selbst einzuteilen;<br />
• ich erinnere mich an die Zeit, in der ich von 9.00 bis 17.00 Uhr arbeiten musste;<br />
127
• das ermöglicht es mir, in der Woche Zeit für meine eigenen Dinge freizunehmen, wie<br />
Friseur, Bank, Tätigkeiten mit den Kindern und so weiter.<br />
Helfende Handlungen, die dann einen Ausweg bieten können, sind:<br />
• ein Wochenende pro Monat oder ein paar Tage hintereinander freinehmen, wenn es<br />
möglich ist. Es ist nicht wünschenswert, dass Sie regelmäßig nicht erreichbar sind, aber<br />
wenn eine Vertretung organisiert wird, geht es durchaus ab und zu;<br />
• am Tag freie Zeit für Ihre eigenen Dinge einplanen;<br />
• versuchen, Verabredungen zeitlich zu begrenzen;<br />
• keine Berichte oder andere schriftliche Arbeiten am Wochenende erledigen;<br />
• versuchen, einen Tag in der Woche freizuhalten;<br />
• sich früh am Abend mit der Familie verabreden, damit es nicht so spät wird;<br />
• Ihre Frustrationen loswerden;<br />
• täglich etwas Nettes für sich selbst einplanen;<br />
• dafür sorgen, dass Sie in Ihrer Freizeit auch zu netten, entspannenden Dingen kommen;<br />
• versuchen, Arbeitsverabredungen am Samstagvormittag und beispielsweise am<br />
Sonntagabend zu treffen, damit Sie am Wochenende ein zusammenhängendes Stück frei<br />
haben.<br />
Wenn der Familienmitarbeiter Schwierigkeiten damit hat, immer erreichbar zu sein und<br />
Pläne in seiner Freizeit absagen zu müssen, sind helfende Gedanken:<br />
• weil meine Arbeit unvorhersehbar ist, kann ich auch Dinge tun, die bei einer Stelle von<br />
9.00 bis 17.00 Uhr nicht möglich sind;<br />
• die Familie bedeutet mir etwas; wenn sie in Schwierigkeiten ist, möchte ich da sein;<br />
• es kommt nicht so oft vor;<br />
• vielleicht kann ich die Familie in diesem Augenblick wirklich unterstützen.<br />
Helfende Handlungen sind in diesem Fall:<br />
• wenn es wirklich äußerst wichtig ist, um eine Vertretung bitten;<br />
• Freunden und Verwandten von Ihrer Arbeit erzählen, damit das Absagen einer<br />
Verabredung nicht völlig unerwartet kommt;<br />
• direkt neue Pläne machen;<br />
• wenn Sie sehr viel Schwierigkeiten damit haben, mit dem Teamleiter darüber sprechen;<br />
• Familienmitglieder lehren, andere Menschen um Hilfe und Unterstützung zu bitten, damit<br />
es nicht so oft vorkommt;<br />
• Grenzen angeben: keine Verabredungen absagen, wenn es nicht unbedingt nötig ist;<br />
• die Zeit so schnell wie möglich kompensieren.<br />
Der Familienmitarbeiter, der das Gefühl hat, dass er in einer Familie nicht so viel erreichen<br />
kann wie er eigentlich will, kann etwas an folgenden Gedanken haben:<br />
• es ist nicht das Ziel, die Menschen zu ihrem Ziel zu bringen, sondern ihnen auf den Weg<br />
zu helfen;<br />
• nicht jede Familie erreicht gleich viel;<br />
• ich habe hohe Erwartungen, selbst mit mehr Zeit könnten diese Erwarteng schon zu hoch<br />
sein;<br />
128
• jeder Fortschritt, den wir verbuchen, ist ein Gewinn.<br />
Als helfende Handlungen kommen in Betracht:<br />
• nachsehen, ob die Ziele realistisch sind;<br />
• gut zuhören, was die Familie will oder sagt;<br />
• auswerten: was ist schon erreicht; was ging gut und was nicht?<br />
• unerreichbare Ziele fallen lassen;<br />
• wöchentlich die Ziele betrachten, um auch einen kleinen Fortschritt direkt<br />
wahrzunehmen;<br />
• versuchen, Folgehilfe für die Familie zu regeln;<br />
• die Anmeldung dazunehmen und schauen was seither geschehen ist;<br />
• den Teamleiter oder das Team um Rat fragen.<br />
Familienmitarbeiter können auch Ärger haben mit der Tatsache, dass Außenstehende oft<br />
unrealistisch hohe Erwartungen an Families First haben.In diesem Fall sind helfende<br />
Gedanken:<br />
• ich versuche, auf meine Prioritäten zu achten: Sicherheit geben und gute Qualität liefern;<br />
• ich distanziere mich von den Erwartungen anderer;<br />
• es gibt allerlei verschiedene Auffassungen über Erfolg; ich halte mich daran, realistische<br />
Ziele zu erreichen;<br />
• ich kann keine Wunder tun;<br />
• wenn ich zuviel erwarte, ist die Chance groß, dass die Familie mit dem erreichten Erfolg<br />
nicht zufrieden ist.<br />
Als helfende Handlungen kommen in Betracht:<br />
• eigene Erwartungen mit denen des Teamleiters und der Teammitglieder vergleichen;<br />
• selbst Fähigkeiten erlernen, damit Sie sich auf bestimmten Gebieten<br />
kompetenter fühlen;<br />
• Ihre Gedanken über die Familie aufschreiben und eventuell zusammen mit dem<br />
Teamleiter überprüfen, ob die Gedanken realistisch sind.<br />
10.4 UMGANG MIT UNREGELMÄSSIGKEIT UND ERREICHBARKEIT<br />
Die Arbeit eines Familienmitarbeiters erfordert einen flexibelen Einsatz. Der<br />
Familienmitarbeiter steht Familien möglichst oft in Momenten, in denen das nötig ist, zur<br />
Verfügung. Zu manchen Zeitpunkten bedeutet das, dass sein Privatleben unter großem<br />
Druck steht. Ein Familienmitarbeiter kann auf verschiedene Art und Weise versuchen, seine<br />
Zeit so zu strukturieren, dass er durchaus flexibel für die Familie verfügbar ist, aber dabei<br />
auch auf die Zeit für sich selbst achtet. Sie können beispielsweise den Zeitpunkt, wann ein<br />
Treffen mit einer Familie beendet wird, so oft wie möglich von vorneherein festlegen. Eine<br />
andere Lösung ist, dass der Familienmitarbeiter deutlich macht, wieviel er für eine Familie<br />
tun kann und will, beispielsweise indem er anbietet der Familie an zwei Tagen in der Woche<br />
für eine bestimmte Anzahl Stunden praktische Hilfe nach Wahl zu leisten.<br />
Familienmitarbeiter können auch mehr Einfluss auf ihre eigene Zeit behalten, indem sie<br />
regelmäßig ein Wochenende freinehmen und sich von einem Kollegen vertreten lassen oder<br />
129
indem sie pro Tag oder pro Woche eine nette Aktivität für sich selbst einplanen und die<br />
Verabredungen mit den Familien danach richten. Um dafür zu sorgen, dass er diese Pläne<br />
auch einhält, kann ein Familienmitarbeiter Kollegen, Verwandte oder Freunde einschalten,<br />
die beispielsweise regelmäßig kurz anrufen und fragen, wie es damit steht. Die Arbeitszeit<br />
lässt sich auch durch die Teilnahme an Schulungen und Treffen oder neue Aufgaben<br />
einteilen, aber das dürfen Sie nur tun, wenn es eine willkommene Abwechslung ist und und<br />
nicht, wenn es keine neuen Energien bringt.<br />
Übergangsrituale<br />
Durch die Unregelmäßigkeit und ständige Verfügbarkeit haben manche<br />
Familienmitarbeiter Probleme, ihre Arbeit abzugrenzen und eine klare Linie zwischen<br />
Arbeit und Freizeit zu ziehen. Es kann wichtig sein, deutliche Übergangsrituale zwischen<br />
Arbeit und Freizeit zu haben. Vorschläge dazu sind, die Zeit auf dem Nachhauseweg dazu<br />
zu nutzen um über die Arbeit nachzudenken und Pläne zu machen, aber damit in dem<br />
Augenblick aufzuhören, in dem Sie nachhause kommen. Es kann auch helfen, zuhause<br />
andere Kleider anzuziehen oder eine Tätigkeit aufzunehmen, die alle Aufmerksamkeit<br />
verlangt, wie lesen oder ein Hobby.<br />
10.5 BESONDERHEITEN DER ARBEITSSITUATION ZUSAMMENGEFASST<br />
Bevor der Familienmitarbeiter mit der Arbeit in einer Familie beginnt, muss er sich auf den<br />
intensiven und unregelmäßigen Charakter dieser Arbeit vorbereiten. Der Kontakt mit dem<br />
Teamleiter und mit Kollegen bietet die Möglichkeit, einer Überlastung vorzubeugen. Der<br />
Kontakt mit dem Teamleiter ist in einer Anzahl Situationen sogar vorgeschrieben,<br />
besonders wenn unerwartete Entwicklungen auftreten und schnelle Entscheidungen<br />
getroffen werden müssen. Der Kontakt mit Kollegen ist vor allem wichtig um Erfahrungen<br />
auszutauschen, Dampf abzulassen und das Gefühl der Isolierung zu vermeiden. Außerdem<br />
kann der Familienmitarbeiter die schweren Seiten seiner Arbeit mithilfe der sogenannten<br />
'helfenden Gedanken und Gefühle' anpacken, wodurch er die beschwerlichen Seiten und<br />
die Vorteile seiner Arbeit einander gegenüberstellen kann und Entspannung und<br />
Kompensation finden kann, womöglich mithilfe von Verwandten und Freunden.<br />
130
11 DER ABSCHLUSS DES<br />
ARBEITSPROZESSES<br />
Beim Abschluss der Arbeitsperiode mit der Familie müssen einige wichtige Dinge geregelt<br />
werden. Im Prinzip wird die Arbeitsbeziehung des Familienmitarbeiters mit der Familie<br />
nach vier Wochen beendet, es sei denn, dass man sich für eine Verlängerung um zwei<br />
Wochen entscheidet. Es ist auch möglich, dass die Arbeitsbeziehung umständehalber früher<br />
beendet werden muss. In der Abschlussphase besteht in jedem Fall Kontakt mit dem<br />
Überweiser, der auch einen Abschlussbericht des Familienmitarbeiters erhält. Der<br />
Familienmitarbeiter muss auch die Folgehilfe für die Familie regeln. Schließlich stattet der<br />
Familienmitarbeiter den Familien im Prinzip FollowUp-Besuche ab.<br />
11.1 DER ABSCHLUSS DER ARBEITSPERIODE MIT DER FAMILIE<br />
11.1.1 Der geplante Abschluss der Arbeitsperiode<br />
Die Periode, in der ein Familienmitarbeiter mit einer Familie arbeitet, dauert vier Wochen.<br />
Nach vier Wochen kann es sowohl für die Familie, den Familienmitarbeiter wie für den<br />
Überweiser deutlich sein, dass ein guter Fortschritt bezüglich der Ziele zu verbuchen ist,<br />
wesentliche Punkte aber noch liegengeblieben sind. Mit dem Teamleiter und dem<br />
Überweiser kann besprochen und beschlossen werden, die Arbeitsperiode um maximal eine<br />
Woche zu verlängern. Eventuell ist noch eine zweite Verlängerung um maximal eine Woche<br />
möglich. Die maximale Dauer der Hilfe von Families First beträgt also sechs Wochen. Die<br />
Praxis zeigt, dass vier bis sechs Wochen ausreichen, wenn die Hilfe von Families First<br />
gelingt. Die begrenzte Dauer des Projekts aktiviert die Familie und den Familienmitarbeiter.<br />
In den meisten Fällen erhält die Familie anschließend eine Folgehilfe. Wenn nach vier<br />
Wochen noch kein Fortschritt zu verzeichnen ist, der einen Beitrag zur Verhinderung der<br />
Fremdplatzierung liefert, wird die Arbeitsperiode nicht verlängert. Die Erfahrung hat<br />
gelehrt, dass eine Verlängerung von ein oder zwei Wochen in diesem Fall nicht sinnvoll ist.<br />
Die Zusammenarbeit mit dem Überweiser in der Abschlussphase<br />
Während der ganzen Arbeitsperiode von Families First wird mit dem Überweiser intensiv<br />
zusammengearbeitet. Nach drei Wochen bespricht der Familienmitarbeiter mit ihm die<br />
Fortschritte. Wenn möglich geht der Überweiser zur Familie, um von den<br />
Familienmitgliedern selbst zu hören, wie es geht. Aufgrund der Resultate wird überlegt, wie<br />
die Hilfe beendet wird. Es kommt auch zur Sprache, welche Form der Folgehilfe notwendig<br />
und möglich ist. Oft ist der Überweiser beim abschließenden Gespräch mit der Familie<br />
anwesend.<br />
Der Abschluss mit der Familie<br />
Der Abschluss der Arbeitsperiode ist für die Familie oft spannend. Die intensive Hilfe wird<br />
gestoppt und die Familie muss jetzt wieder alleine oder mit weniger intensiver Hilfe zurecht<br />
kommen. Manchmal sind die Familienmitglieder auch erleichtert, weil die anstrengende<br />
131
und intensive Periode vorbei ist und die Familie miteinander weiterlebt. Es ist wichtig, dass<br />
der Abschluss der Arbeitsperiode einen positiven Charakter hat. Darum betont der<br />
Familienmitarbeiter nachdrücklich, was die Familie bezüglich der Ziele und Arbeitspunkte<br />
erreicht hat. Während des abschließenden Gesprächs mit der Familie wird zuerst Rückblick<br />
gehalten auf den Anlass, Families First einzubeziehen, auf den Start und den Verlauf der<br />
Kontakte. Danach rücken erneut die Ziele und Arbeitspunkte, an denen gearbeitet wurde,<br />
in den Blickpunkt und es wird festgestellt, was erreicht wurde und was eventuell noch<br />
liegengeblieben ist.<br />
Schließlich schaut man nach vorn, auf die Punkte, die noch weiterer Aufmerksamkeit<br />
bedürfen, und nach Form und Ziel der Folgehilfe, die organisiert wurde. Der<br />
Familienmitarbeiter beendet das Gespräch und informiert die Familie, wie sie mit ihm<br />
Kontakt aufnehmen kann, und teilt Ihnen das Ziel und den Zeitpunkt des FollowUp-<br />
Besuchs mit. Oft wird das Ende der Arbeitsperiode durch ein nettes Ereignis<br />
gekennzeichnet, etwa ein gemeinsamer Ausflug oder ein Geschenk.<br />
11.1.2 Der nicht geplante Abschluss der Arbeitsperiode<br />
In einigen Fälle wird Families First unerwartet abgeschlossen. Untersuchungen zeigen, dass<br />
90% der akzeptierten Anmeldungen in Gang kommt. Bei 10% der akzeptierten<br />
Anmeldungen wird die Hilfe innerhalb von sieben Tagen abgeschlossen. Der Grund einer<br />
so schnellen Beendigung ist oft, dass es dem Familienmitarbeiter nicht gelungen ist, eine<br />
Arbeitsbeziehung mit der Familie aufzubauen, was sich beispielsweise zeigt, wenn er<br />
regelmäßig vor verschlossener Tür steht. Ein anderer Grund kann sein, dass der<br />
Familienmitarbeiter mit der Familie keine Ziele aufstellen konnte. Die Hilfe kann auch<br />
gestoppt werden, wenn die Sicherheit bedroht ist und der Familienmitarbeiter es<br />
unverantwortlich findet, mit der Familie weiterzuarbeiten, weil seine Möglichkeiten nicht<br />
ausreichen. Die Fremdplatzierung des Kindes durch den Überweiser kann die unmittelbare<br />
Folge sein. Der Familienmitarbeiter entscheidet nicht auf eigene Faust, die Hilfe zu<br />
beenden, sondern überlegt dies immer mit dem Teamleiter und dem Überweiser. Auch<br />
wenn seine eigene Sicherheit in Gefahr ist, kann der Familienmitarbeiter den Kontakt<br />
vorzeitig beenden. Während der Arbeitsperiode kann auch plötzlich eine Kontraindikation<br />
für die Hilfe auftreten, beispielsweise weil die Eltern oder das Kind doch einer<br />
Fremdplatzierung den Vorzug geben oder weil die Probleme in der Familie so ernst sind,<br />
dass sie nur mithilfe einer Fremdplatzierung gelöst werden können. Eine vorzeitige<br />
Beendigung findet meistens innerhalb einer Woche statt. In einem einzigen Fall kommt es<br />
vor, dass die Hilfe nach längerer Zeit, beispielsweise nach zwei oder drei Wochen ungeplant<br />
beendet wird.<br />
11.2 DIE FOLGEHILFE<br />
Beim Abschluss der Begleitung von Families First ist meistens eine Folgehilfe nötig, das<br />
heißt: eine leichtere Form der Hilfe für die Familie oder für eines der Familienmitglieder.<br />
Darunter fällt auch, die Hilfe oder Begleitung, die einer Familie bereits gegeben wird, zu<br />
aktivieren oder in andere Gleise zu bringen. Der Familienvormund kann beispielsweise als<br />
132
Folge von Families First neue Anknüpfungs- und Schwerpunkte für die Begleitung der<br />
Familie bekommen. Die Suche nach einer Folgehilfe findet immer in Absprache mit dem<br />
Überweiser und mit dem Familienmitglied statt. Der Überweiser muss hinter dem Plan<br />
stehen und meistens auch die offizielle Anmeldung regeln. Der Familienmitarbeiter spielt<br />
eine wichtige Rolle dabei, die Folgehilfe bei der Familie zu präsentieren. Vom<br />
Kompetenzmodell her gesehen sind Familien oft nicht in der Lage, die Folgehilfe effektiv zu<br />
nutzen. Die Kompetenz auf diesem Gebiet kann unter anderem durch<br />
Aufgabenerleichterung erweitert werden, beispielsweise durch die Suche nach einer<br />
unbürokratischen oder weitreichenden Folgehilfe, dadurch, den Nachfolger in der<br />
Hilfeleistung zur Familie einzuladen oder beim ersten Mal mitzugehen. Eine andere<br />
Möglichkeit ist ein Fähigkeitstraining, beispielsweise dem Familienmitglied zu vermitteln:<br />
zu planen, Fragen zu formulieren, wenn nötig abzusagen und so weiter.<br />
Eine Folgehilfe suchen<br />
Von dem Familienmitarbeiter wird oft viel Kreativität und eine gute Kenntnis der sozialen<br />
Landschaft verlangt, um geeignete Formen für die Folgehilfe zu finden. Manche Regionen<br />
sind diesbezüglich besser bestellt als andere. Die kurzfristige Verfügbarkeit ist ein weiterer<br />
Aspekt: Manche Formen der Folgehilfe haben eine Warteliste. Für diese Problembereiche<br />
gibt es keine eindeutigen Lösungen.<br />
Vorschläge dazu sind: Regelmäßig mit Kollegen über die Möglichkeiten beraten, zusammen<br />
eine 'Folgehilfedossier' anlegen, in dem alle Möglichkeiten zusammengefasst werden, über<br />
den Teamleiter für Kontaktpersonen bei den wichtigen Formen der Folgehilfe sorgen und<br />
dabei die Bedeutung einer raschen Folgehilfe erläutern. Auch an Kanäle außerhalb der<br />
Jugendfürsorge kann gedacht werden, besonders an allerlei gemeindliche Einrichtungen wie<br />
ein Treffpunkt in der Nachbarschaft, eine Müttergruppe bei der Beratungsstelle, ein aktiver<br />
Jugendarbeiter und so weiter. In allen Fällen ist es wichtig zu erklären, was Families First<br />
beinhaltet, damit die Folgehilfe besser anschließen kann.<br />
11.3 DER ABSCHLUSSBERICHT<br />
11.3.1 Die Vorgehensweise<br />
Zum Abschluss von Families First schreibt der Familienmitarbeiter einen Abschlussbericht.<br />
Dessen Konzept wird mit der Familie während des letzten Treffens besprochen. Der<br />
Überweiser kann dabei anwesend sein. Eventuelle Anmerkungen der Familie werden in den<br />
definitiven Abschlussbericht mit aufgenommen. In manchen Fällen wird das bedeuten, dass<br />
am Ende des Berichts eine abweichende Meinung der Familie steht. Im Abschlussbericht<br />
stehen also nur Informationen, von denen die Familie Kenntnis hat. Nach dem letzten<br />
Besuch und der Besprechung des Konzepts des Abschlussberichts wird der Bericht, wenn<br />
nötig, korrigiert. Der definitive Bericht wird innerhalb einer Woche an den Überweiser und<br />
an die Familie geschickt. In die Sendung an die Familie legt der Familienmitarbeiter einen<br />
kurzen Begleitbrief mit einem Hinweis auf die beigefügte Kopie des Berichts für den<br />
Überweiser dazu.<br />
133
Bevor der Familienmitarbeiter den Bericht und den Begleitbrief an die Familie abschickt,<br />
werden beide vom Teamleiter gelesen und genehmigt. Der Abschlussbericht und der Brief<br />
an die Familie werden auf dem offiziellen Briefpapier der Organisation, der Families First<br />
angehört, geschrieben. Kopien des Abschlussberichts und des Briefes werden im Dossier<br />
aufgehoben.<br />
11.3.2 Der Inhalt des Abschlussberichts für den Überweiser<br />
Der Abschlussbericht für den Überweiser umfasst ungefähr zwei DIN A4 Seiten und enthält<br />
folgende Teile:<br />
1 Sachliche Informationen: Name der Familie, Name des Kindes, dem Fremdplatzierung<br />
drohte, Name des Familienmitarbeiters, Datum der Anmeldung, Datum der Beendigung.<br />
2 Übersicht über die Kontakte mit der Familie und eine kurze Beschreibung über den Verlauf<br />
der Kontakte mit der Familie: Die Frequenz und Dauer der Kontakte, Familienmitglieder<br />
oder andere, die dabei einbezogen waren, der Grad der Mitarbeit von verschiedenen<br />
Familienmitgliedern, der Ort, an dem die Kontakte stattgefunden haben.<br />
3 Geleistete Hilfe und beobachteter Fortschritt:<br />
• kurze Beschreibung der Ziele des ersten und zweiten Plans zur Herangehensweise; pro Ziel<br />
wird genau angegeben, welche Aspekte erreicht wurden und welche nicht;<br />
• kurze Beschreibung der geleisteten Hilfe: Kompetenzerweiterung und praktische Hilfe und<br />
erreichte Veränderungen.<br />
4 Abschluss:<br />
• falls zutreffend: Gründe, warum früher oder gerade später abgeschlossen werden soll, wie<br />
Sicherheit der Betroffenen, Mitarbeit der Betroffenen, Ziele, an denen gearbeitet wurde;<br />
• der Grad, in dem die Ziele erreicht wurden und Punkte, an denen noch gearbeitet werden<br />
muss; Schwerpunkte für die Familienmitglieder;<br />
• Kontakte in der Gesellschaft, auf die die Familie zurückgreifen kann.<br />
5 Empfehlungen zur weiteren Hilfeleistung: welche Folgehilfe, welche Familienmitglieder für<br />
welche Aspekte welche Instanzen, was wurde bereits in Gang gesetzt?<br />
6 Eventuell: die Aspekte nennen, über die sich der Familienmitarbeiter Sorgen macht.<br />
Es ist nicht sinnvoll, im Abschlussbericht Namen der Families First-Techniken zu<br />
verwenden, wie 'Verhaltensübung' oder 'Bleistift und Papier-Training'. Eventuell können die<br />
Techniken allerdings kurz umschrieben werden. Zum Beispiel:<br />
• das Aufstellen der Ziele und Arbeitspunkte beinhaltet: dem Familienmitglied vermitteln,<br />
Pläne zu machen und auszuarbeiten, damit er in seinem eigenen Leben etwas verändert,<br />
Prioritäten zu setzen, Ziele zu realisieren;<br />
• das Bleistift und Papier-Training bedeutet: Wahlprobleme lösen oder verhandeln lernen,<br />
indem Alternativen aufgeschrieben werden, die Vor- und Nachteile abgewogen und daraufhin<br />
eine Wahl getroffen wird.<br />
• eine Modellfunktion erfüllen beinhaltet: jemandem eine Fähigkeit vermitteln, indem diese in<br />
alltäglichen Situationen einmal oder mehrmals vorgemacht wird.<br />
134
• Verhaltensanweisung bedeutet: jemandem etwas vermitteln, indem ihm gesagt wird, wie diese<br />
Fähigkeit aussieht;<br />
• eine Verhaltensübung ist: jemandem eine Fähigkeit vermitteln, indem ihm gesagt wird, wie<br />
diese Fähigkeit aussieht und diese Fähigkeit mit dem Familienmitglied üben.<br />
• eine Verhaltenskarte dient dazu Eltern zu vermitteln, dass sie das Verhalten ihrer Kinder<br />
verändern, indem sie erwünschtes Verhalten der Kinder systematisch belohnen;<br />
• 'Störende und helfende Gedanken' ist eine Technik, um jemandem zu vermitteln, wie er<br />
Einsicht in die Dinge erhält, die er zu sich selbst sagt, und stattdessen zu lernen, auf eine<br />
andere Weise zu sich selbst zu reden;<br />
• ein Thermometer und eine Erste Hilfe-Karte dienen dazu jemandem zu vermitteln, seine<br />
eskalierenden Gefühle rechtzeitig zu erkennen und so zu reagieren, dass weder die Sicherheit<br />
von anderen noch seine eigene Sicherheit gefährdet werden.<br />
11.3.3 Der Inhalt des Begleitbriefs an die Familie<br />
Die Gliederung des begleitenden Briefs an die Familie kann sein:<br />
1 Dank für den geleisteten Einsatz und die Teilnahme am Programm;<br />
2 Zusammenfassung der Fortschritte bezüglich der Ziele;<br />
3 Beschreibung der Folgehilfe und deren Bedeutung;<br />
4 Ankündigung der FollowUp-Besuche nach drei Monaten, sechs Monaten und einem Jahr<br />
und eventuelle Erreichbarkeit im Büro, falls etwas passiert;<br />
5 Hinweis auf den beigefügten Abschlussbericht.<br />
11.4 DIE FOLLOW UP-BESUCHE BEI DER FAMILIE<br />
11.4.1 Zeitpunkte und Ziele<br />
Die FollowUp-Besuche finden drei, sechs und zwölf Monate nach Beendigung von Families<br />
First statt. Die Ziele der FollowUp-Besuche sind:<br />
1 Untersuchen, wie die Familie momentan funktioniert:<br />
• Wie geht es der Familie im Allgemeinen, und besonders dem Kind, dem Fremdplatzierung<br />
drohte?<br />
• Wie sieht es mit den Zielen und Arbeitspunkten aus, die während der Hilfe von Families<br />
First erstellt wurden?<br />
• Verläuft die Folgehilfe gut?<br />
2 Auswerten der eigenen Arbeitsweise: waren die erstellten Ziele und Arbeitspunkte und die<br />
angewendeten Methoden und Techniken richtig?<br />
3 Abbauen des Kontakts und der intensiven Beziehung, die Familienmitarbeiter und<br />
Familie miteinander aufgebaut hatten.<br />
4 Eventuell: Sammeln einiger Kernpunkte wie: Wohnt das angemeldete Kind noch zuhause,<br />
welche Form der Folgehilfe hat stattgefunden? Und die Informationen, die durch KISIT<br />
gesammelt werden.<br />
135
Im Prinzip werden alle Familien besucht, bei denen die Arbeitsperiode nach Plan<br />
abgeschlossen wurde. Bei nicht regulären Families First-Diensten, die aus Face to face-<br />
Kontakten innerhalb weniger als einer Woche bestanden, finden in jedem Fall telefonische<br />
FollowUps mit dem Überweiser statt.<br />
11.4.2 Die Vorgehensweise<br />
Die Vorgehensweise beim Treffen einer Verabredung:<br />
• Der Familienmitarbeiter verabredet den FollowUp-Besuch.<br />
• Wenn während des FollowUp-Besuchs Fragebögen ausgefüllt werden müssen, können<br />
diese der Familie ungefähr eine Woche vorher vom Teamleiter zugesandt werden.<br />
• Der Familienmitarbeiter oder der Teamleiter setzt den Überweiser schriftlich vom Datum<br />
des FollowUp-Besuchs in Kenntnis und teilt mit, dass er nach dem Besuch Kontakt mit<br />
ihm aufnehmen wird, um über die Beobachtungen zu sprechen.<br />
Die Vorgehensweise während des Besuchs<br />
• Der Familienmitarbeiter stellt eine allgemeine Eröffnungsfrage, beispielsweise "Wie<br />
geht's?", und wartet ab, womit die Familie kommt.<br />
• Danach geht der Familienmitarbeiter auf die Ziele und Arbeitspunkte, an denen gearbeitet<br />
wurde, ein und untersucht, wie es der Familie mit diesen Zielen und Arbeitspunkten geht.<br />
Dabei kontrolliert er, inwieweit die Umstände, wegen derer das Kind aus dem Haus<br />
genommen werden sollte und die Familie überhaupt bei Families First angemeldet wurde,<br />
verbessert wurden.<br />
• Er fragt nach, wie es mit der Folgehilfe steht: Macht die Familie noch Gebrauch davon? Ist<br />
die Familie mit der Folgehilfe zufrieden?<br />
• Eventuell untersucht er, inwieweit die Familie nach Abschluss von Families First erwogen<br />
hat, im Büro anzurufen.<br />
• Der Familienmitarbeiter sammelt die Untersuchungsdaten. Das kann heißen, die<br />
benötigten Informationen an Ort und Stelle zu sammeln. Es kann auch heißen: Die<br />
Fragebögen, die von der Familie ausgefüllt wurden, einsammeln und sie mit der Familie<br />
auf Vollständigkeit durchgehen.<br />
• Zusammen mit der Familie wird überlegt, was der Familienmitarbeiter dem Überweiser<br />
von diesem Besuch berichtet.<br />
• Schließlich teilt der Familienmitarbeiter mit, wann er wiederkommt.<br />
11.4.3 Die Möglichkeiten des Familienmitarbeiters anlässlich des FollowUp-<br />
Besuchs<br />
Wenn sich während des FollowUp-Besuchs zeigt, dass die Familie gut funktioniert, ist der<br />
Besuch stimulierend. Der Familienmitarbeiter erfährt vielleicht etwas über die Ziele und<br />
Interventionen, die gelungen sind. Es ist natürlich auch möglich, dass es der Familie oder<br />
dem Familienmitglied nicht gut geht. Dadurch kann der Familienmitarbeiter das Gefühl<br />
haben, dass ein Appell an ihn gerichtet wird und manchmal geschieht das auch tatsächlich.<br />
Die Möglichkeiten des Familienmitarbeiters in so einer Situation sind begrenzt, können<br />
136
aber sehr wichtig sein. In Überlegung mit der Familie und dem Überweiser kann der<br />
Familienmitarbeiter versuchen, den Anschluss an die Folgehilfe erneut zustande zu bringen.<br />
Eventuell sind ein zweiter Besuch oder ein paar telefonische Kontakte nötig, um den<br />
Anschluss an die Folgehilfe zu regeln. Der Familienmitarbeiter kann einen FollowUp-<br />
Besuch auch nutzen, um früher erlernte Fähigkeiten aufzufrischen, bereits angewendete<br />
Techniken zu wiederholen und Unterstützung beim Verhandeln und der Lösung von<br />
Problemen zu bieten. Es ist nicht beabsichtigt, dass der Familienmitarbeiter bei einem<br />
FollowUp-Besuch neue Ziele mit der Familie formuliert. Sollte es neue Ziele geben, nimmt<br />
der Familienmitarbeiter deswegen Kontakt mit dem Überweiser auf. Es ist wichtig, dass der<br />
Familienmitarbeiter die FollowUp-Kontakte auf maximal zwei bis drei beschränkt. Der<br />
Familienmitarbeiter macht das der Familie auch deutlich. Dabei berät sich der<br />
Familienmitarbeiter immer mit dem Teamleiter über den Verlauf des FollowUps. Wenn es<br />
der Familie so schlecht geht, dass wieder eine neue Krise oder erneut eine Fremdplatzierung<br />
droht, ist eine erneute Anmeldung bei Families First möglich. Diese findet<br />
selbstverständlich nur auf Initiative des Überweisers statt.<br />
11.5 CHECKLISTE ZUM ABSCHLUSS DES ARBEITSPROZESSES<br />
Der geplante Abschluss<br />
Zeitpunkt: nach vier bis sechs Wochen<br />
Vorgehensweise:<br />
1 Rückblick<br />
2 Feststellen des Resultats<br />
3 Feststellen der Ziele der Folgehilfe<br />
4 Erklärung des FollowUp<br />
Die Folgehilfe<br />
Vorgehensweise:<br />
Überlegen mit Überweiser und Familie<br />
Art der Folgehilfe wählen<br />
Folgehilfe in der Familie vorstellen<br />
Families First bei der Folgehilfe vorstellen (via Teamleiter)<br />
Der Abschlussbericht<br />
Inhalt (insgesamt 2 DIN A4 Seiten):<br />
1 Sachliche Informationen<br />
2 Übersicht über die Kontakte und deren Verlauf<br />
3 Geleistete Hilfe und beobachteter Fortschritt<br />
4 Abschluss<br />
5 Empfehlungen für weitere Hilfeleistungen<br />
6 Eventuell: Aspekte, über die sich der Familienmitarbeiter Sorgen macht<br />
137
Die FollowUp-Besuche:<br />
Zeitpunkte: Drei, sechs und zwölf Monaten nach dem Abschluss<br />
Ziele:<br />
1 Untersuchen, wie die Familie momentan funktioniert<br />
2 Auswertung der eigenen Arbeitsweise<br />
3 Abbauen des Kontakts<br />
4 (Eventuell): Sammeln der Kernpunkte<br />
138
ANLAGE 1: PHASENEINTEILUNG DER<br />
HILFE VON FAMILIES FIRST<br />
Tag<br />
Phase und Aktivitäten<br />
Rücksprache, Bericht und<br />
Formulare<br />
1. Tag<br />
- Anmeldung (und Annahme)<br />
- Zuweisung des Familienmitarbeiters<br />
- Telefonischer Kontakt mit der<br />
Familie<br />
- Erster 'Face to face'-Kontakt mit der<br />
Familie (innerhalb von 24 Stunden<br />
nach der Anmeldung)<br />
Bericht an / Rücksprache mit dem<br />
Überweiser:<br />
- ergänzende Informationen über die<br />
Familie<br />
- Verlauf des ersten Besuchs bei der<br />
Familie<br />
1.-3. Tag<br />
- Kennenlernen / Aufbau der<br />
Arbeitsbeziehung<br />
- Sicherheit der Familienmitglieder /<br />
Beruhigen der Familie<br />
- Sammeln und Analysieren von<br />
Informationen<br />
- Aufstellen von Zielen, Prioritäten<br />
und Arbeitspunkten<br />
- Praktische und materielle Hilfe.<br />
Formulare:<br />
- Basisinformation (eins pro Familie)<br />
- Information und Analyse (eins pro<br />
Familienmitglied)<br />
- Ziele oder Zielkarten (eins pro<br />
Familienmitglied)<br />
- Arbeitspunkte (eins pro Ziel pro<br />
Familienmitglied)<br />
4. Tag<br />
Rücksprache mit dem Teamleiter über:<br />
- den ersten Plan zur<br />
Herangehensweise (=Formular 'Ziele'<br />
und 'Arbeitspunkte')<br />
Bericht an / Rücksprache mit dem<br />
Überweiser:<br />
- der erste Plan zur Herangehensweise<br />
139
Tag<br />
Phase und Aktivitäten<br />
Rücksprache, Bericht und<br />
Formulare<br />
4.-11. Tag<br />
Interventionen, beispielsweise:<br />
- Praktische und materielle Hilfe<br />
- Fähigkeiten<br />
- Probleme lösen<br />
- Verstärken der sozialen<br />
Unterstützung<br />
Bericht über jeden Besuch unter<br />
folgenden Aspekten:<br />
- Datum und Zeit<br />
- Ziele und Arbeitspunkte, an denen<br />
gearbeitet wurde<br />
- angewendete Techniken<br />
- der Verlauf (Effekt) der Techniken<br />
- neue Informationen<br />
- Pläne und Absprachen für den<br />
nächsten Besuch<br />
11. Tag<br />
Rücksprache mit dem Teamleiter über:<br />
- den Verlauf der Hilfe für die Familie<br />
(anhand der aufgestellten<br />
Arbeitspunkte und des Berichts über<br />
die diversen Besuche)<br />
11.-18. Tag<br />
Interventionen: siehe 4.-11. Tag und<br />
außerdem:<br />
- Erkennen und Beeinflussen von<br />
Emotionen<br />
- Verändern störender Gedanken<br />
Bericht über jeden Besuch (siehe 4.-11.<br />
Tag)<br />
18. Tag<br />
Rücksprache mit dem Teamleiter über:<br />
- den zweiten Plan zur<br />
Herangehensweise (angepasste/neue<br />
Formulare 'Ziele' und<br />
'Arbeitspunkte')<br />
Bericht an/Rücksprache mit dem<br />
Überweiser über:<br />
- den Verlauf der Hilfe<br />
- den zweiten Plan zur<br />
Herangehensweise<br />
18.-25. Tag<br />
Interventionen (siehe 4.-11. Tag)<br />
Eventuell Folgehilfe beginnen<br />
Bericht über jeden Besuch (siehe 4.-11.<br />
Tag)<br />
140
Tag<br />
Phase und Aktivitäten<br />
Rücksprache, Bericht und<br />
Formulare<br />
25. Tag<br />
Rücksprache mit dem Teamleiter über:<br />
- den Verlauf der Hilfe für die Familie<br />
(anhand der aufgestellten<br />
Arbeitspunkte und des Berichts über<br />
die verschiedenen Besuche)<br />
- den Abschluss der Hilfe<br />
Bericht an/Rücksprache mit dem<br />
Überweiser über:<br />
- den Verlauf der Hilfe<br />
- Abschluss der Hilfe<br />
28. Tag<br />
Abschluss mit der Familie oder<br />
Verlängerung um eine Woche anhand<br />
des dritten Plans zur<br />
Herangehensweise.<br />
Bei Verlängerung: siehe weiter 18.-25.<br />
Tag<br />
Abschlussbericht an den Überweiser<br />
Eventuell: Rücksprache mit Teamleiter<br />
und Überweiser über den dritten Plan<br />
zur Herangehensweise<br />
35. Tag<br />
Abschluss mit der Familie oder zweite<br />
Verlängerung um eine Woche anhand<br />
des vierten Plans zur<br />
Herangehensweise<br />
Bei Verlängerung: siehe weiter 18.-25.<br />
Tag<br />
Abschlussbericht an den Überweiser<br />
Eventuell: Rücksprache mit dem<br />
Teamleiter und Überweiser über den<br />
vierten Plan zur Herangehensweise<br />
42. Tag<br />
Ende der maximalen Periode<br />
Abschlussbericht an den Überweiser<br />
141
ANLAGE 2: HILFSFORMULARE VON<br />
FAMILIES FIRST<br />
- Basisinformation<br />
- Information und Analyse - Kind<br />
- Information und Analyse - Jugendliche(r)<br />
- Information und Analyse - Eltern<br />
- Ziele<br />
- Ziel-Karten<br />
- Arbeitspunkte<br />
142
BASISINFORMATIONEN<br />
Name der Familie: ..................................................... Nummer: ................................................<br />
Name des Familienmitglieds: ................................... Datum des Ausfüllens: ...........................<br />
I. 'INTAKE'-INFORMATION<br />
Zeit zwischen Anmeldung und dem ersten 'Face to face'-Kontakt: ............ Stunden<br />
A. Arbeitsweise während des ersten Kontakts:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
B. Gründe für die Anmeldung (welche spezifischen Umstände oder Verhaltensweisen<br />
können zu einer Fremdplatzierung des Kindes führen): (falls abweichend von/ergänzend zu den<br />
Informationen auf dem Anmeldeformular)<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
Beurteilung der Familie dazu:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
II.<br />
ÜBERSICHT ÜBER DIE KONTAKTE MIT VERSCHIEDENEN FAMILIENMITGLIEDERN<br />
UND DRITTEN, UM INFORMATIONEN ZU SAMMELN UND ZIELE ZU SETZEN (wann,<br />
mit wem, welches Ziel)<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
143
III.<br />
HINTERGRUNDINFORMATIONEN ÜBER DIE FAMILIE<br />
A. HAUSHALTSFÜHRUNG (Lebensrhythmus, Lärm im Haus, Größe, Qualität und Pflege<br />
der Wohnung, Umgang mit Geld, finanzielle Schulden, Qualität der<br />
Haushalts-Ausstattung):<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
B: PFLEGE/SORGFALT: (Beaufsichtigen der Kinder, Kleidung, Körperpflege,<br />
wissen, wo die Kinder sind, Zeitpunkt der Mahlzeiten, warme Mahlzeiten,<br />
Zahnpflege, regelmäßige Schlafenszeiten, Schlafgelegenheiten):<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
C. FORMELLE KONTAKTE (amtliche Instanzen, hilfeleistende Instanzen, Schule usw.):<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
D. POTENTIELLE KRÄFTE IN DER FAMILIE (um die Fremdplatzierung<br />
zu verhindern):<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
E. MÖGLICHKEITEN DER SOZIALEN UNTERSTÜTZUNG (Verwandte, Freunde,<br />
Nachbarn) und andere potentielle Kräfte außerhalb der Familie:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
F. WEITERE INFORMATIONEN (eventuelle juristische/strafrechtliche<br />
Probleme, frühere Kontakte mit Hilfeleistungen, Alkohol- und<br />
Drogenkonsum):<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
144
IV.<br />
HINTERGRUNDINFORMATIONEN ÜBER EINZELNE FAMILIENMITGLIEDER<br />
Mutter:<br />
Eltern:<br />
Vater:<br />
Alter und<br />
kultureller<br />
Hintergrund:<br />
Äußerlicher und<br />
allgemeiner Eindruck:<br />
Ausbildung:<br />
Beruf:<br />
Gesundheit:<br />
Verhältnis zwischen<br />
den Partnern:<br />
Kontakte mit Freunden,<br />
Nachbarn und<br />
Verwandten:<br />
Aktivitäten außer Haus:<br />
Verhaltensweisen und<br />
Probleme bezüglich<br />
der heutigen Situation:<br />
Betrachtung der<br />
jetzigen Situation:<br />
Ursachen/erwünschte<br />
Veränderungen)<br />
Potentielle Kräfte:<br />
145
Name:<br />
Kinder:<br />
Name:<br />
Alter:<br />
Äußerlicher und<br />
allgemeiner Eindruck:<br />
Schule:<br />
Funktionieren in<br />
der Schule:<br />
Gesundheit:<br />
Kontakte mit der<br />
Familie, Verwandten<br />
und Altersgenossen:<br />
Aktivitäten außer Haus:<br />
Verhaltensweisen<br />
bezüglich der<br />
heutigen Situation:<br />
Betrachtung der<br />
jetzigen Situation:<br />
(Ursachen/erwünschtes<br />
Verhalten)<br />
Potentielle Kräfte:<br />
146
Fragen/Dinge, die noch undeutlich sind:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
V. WÜNSCHE UND MÖGLICHKEITEN FÜR VERÄNDERUNGEN INNERHALB DER<br />
FAMILIE (neue Verhaltensweisen lernen, Problemlösungs-Strategien,<br />
Umgebungsfaktoren):<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
VI.<br />
MOTIVATION DER VERSCHIEDENEN FAMILIENMITGLIEDER ZU<br />
VERÄNDERUNGEN INNERHALB DER FAMILIE / DIE HILFE VON FAMILIES<br />
FIRST:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
147
INFORMATION UND ANALYSE - KIND<br />
Name der Familie: ..................................................... Nummer: ................................................<br />
Name des Kindes: ...................................................... Alter: .......................................................<br />
Name des Familienmitarbeiters: .............................. Datum: ...................................................<br />
Beschreibung und Systematisierung von Informationen über die Familienmitglieder anhand von<br />
Entwicklungsbereichen. Denke dabei an (potentielle Kräfte, Fähigkeiten und Probleme).<br />
Gib in dem Kästchen die Bewertung an, in welchem Maße das Familienmitglied deiner Meinung nach die<br />
Entwicklungsaufgabe adäquat erfüllt. Wähle dabei zwischen folgenden Möglichkeiten: --, -, +-, +, ++, ?<br />
1 Andere berücksichtigen (Beurteilungen und Pläne unter Einbeziehung der Interessen<br />
anderer)<br />
❏<br />
2 Unabhängigkeit (Unabhängigkeit im Hinblick auf die Eltern / die Erziehungspersonen<br />
erhöhen)<br />
❏<br />
3 Ausbildung (Teilnahme am Grundschulunterricht, Kenntnisse und Fähigkeiten<br />
gewinnen)<br />
❏<br />
4 Freundschaften (Freundschaftliche Kontakte mit Altersgenossen schließen und<br />
aufrechterhalten)<br />
❏<br />
5 Verantwortung zuhause ( Übernahme von Teilverantwortung zuhause, für kleine<br />
Geschwister)<br />
❏<br />
6 Gebrauch basaler Infrastrukturen (öffentlicher Personennahverkehr, Geld, Telefon,<br />
Freizeit-Einrichtungen)<br />
❏<br />
7 Sicherheit und Gesundheit (Wahl bezüglich der eigenen Sicherheit und<br />
Gesundheit treffen)<br />
❏<br />
148
INFORMATION UND ANALYSE -<br />
JUGENDLICHE(R)<br />
Name der Familie: .............................................. Nummer: ......................................................<br />
Name des/der Jugendlichen: .............................. Alter: .............................................................<br />
Name des Familienmitarbeiters: ........................ Datum: ..........................................................<br />
Beschreibung und Systematisierung von Informationen über die Familienmitglieder anhand von<br />
Entwicklungsbereichen. Denke dabei an (potentielle Kräfte, Fähigkeiten und Probleme).<br />
Gib in dem Kästchen die Bewertung an, in welchem Maße das Familienmitglied deiner Meinung nach die<br />
Entwicklungsaufgabe adäquat erfüllt. Wähle dabei zwischen folgenden Möglichkeiten: --, -, +-, +, ++, ?<br />
1 Sich verändernde Situationen in der Familie (Selbständigkeit/Entscheidungen treffen,<br />
Kontakte Familienmitglieder)<br />
2 Ausbildung oder Arbeit (Teilnahme und Zukunftspläne machen)<br />
3 Freizeit (die Zeit, in der man nichts zu tun hat, sinnvoll ausfüllen)<br />
4 Autorität (Zugehen auf/Kommunikation mit Lehrkraft, Familienvormund, Polizei,<br />
Schalterbeamten)<br />
5 Gesundheit und Äußeres (Körperpflege, Vorbeugen von Krankheiten, safer sex)<br />
6 Freundschaften und soziale Kontakte (aufbauen und aufrechterhalten,<br />
Entscheidungen treffen)<br />
7 Intimität und Sexualität (intime und sexuelle Beziehungen gestalten<br />
und aufrechterhalten)<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
149
INFORMATION UND ANALYSE - ELTERN<br />
Name der Familie: .............................................. Nummer: ......................................................<br />
Name des Elternteils: .......................................... Alter: .............................................................<br />
Name des Familienmitarbeiters: ........................ Datum: ..........................................................<br />
Beschreibung und Systematisierung von Informationen über die Familienmitglieder anhand von<br />
Entwicklungsbereichen. Denke dabei an (potentielle Kräfte, Fähigkeiten und Probleme).<br />
Gib in dem Kästchen die Bewertung an, in welchem Maße das Familienmitglied deiner Meinung nach die<br />
Entwicklungsaufgabe adäquat erfüllt. Wähle dabei zwischen folgenden Möglichkeiten: --, -, +-, +, ++, ?<br />
1 Beziehung (Entwickeln der Beziehung mit Raum für Autonomie und<br />
Abhängigkeit und für die Bedürfnisse der Kinder)<br />
2 Sexualität (Gestalten einer befriedigenden sexuellen Beziehung/Umgang<br />
mit eventuellen sexuellen Beziehungen mit Dritten)<br />
3 Laufbahn (Laufbahn so gestalten, dass sie den Ambitionen, Möglichkeiten,<br />
dem Partner/der Partnerin, der finanziellen Situation gerecht wird)<br />
4 Eltern (Beziehung zu den (Schwieger-)Eltern neu gestalten)<br />
5 Freundschaften und soziale Kontakte (Kontakte mit beiderseitigen Verwandten,<br />
Freunden, Bekannten aufrechterhalten)<br />
6 Finanzen und Haushalten (die Aufgaben bezüglich der Finanzen,<br />
des Haushaltens, der Instanzen verteilen/ diesen Aufgaben genügen)<br />
7 Erziehung (Verantwortung bezüglich der Kindererziehung übernehmen/teilen)<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
150
ZIELE<br />
Datum: / / Anzahl der Tage nach Beginn:<br />
Name des Familienmitarbeiters:<br />
NAME: .........................................................................................................<br />
Thema/Problem Ziele Reihenfolge<br />
(1=erste<br />
Priorität)<br />
Diese Ziele wurden gewählt anlässlich:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
Beim Festlegen der Reihenfolge hat mitgespielt:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
Ziele, an denen in den nächsten zwei Wochen auf jeden Fall gearbeitet wird:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
151
ZIEL-KARTEN<br />
Datum: / / Anzahl der Tage nach Beginn:<br />
Name des Familienmitarbeiters:<br />
NAME: .........................................................................................................<br />
Ziel Erläuterung Reihenfolge<br />
(1=erste<br />
Priorität)<br />
Die anderen Ziele der Kategorie 'am wichtigsten' sind:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
Beim Festlegen der Reihenfolge hat mitgespielt:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
Ziele, an denen in den nächsten zwei Wochen auf jeden Fall gearbeitet wird:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
152
ARBEITSPUNKTE<br />
Datum: / / Anzahl der Tage nach Beginn:<br />
Name des Familienmitarbeiters:<br />
NAME: .........................................................................................................<br />
ZIEL: ...........................................................................................................<br />
1) Beschreibung des Themas oder Problems:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
2) Lösungen, die in der Vergangenheit gut funktioniert haben:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
3) Ein erster Schritt, um das Ziel zu erreichen:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
4) Starke Punkte (was kann helfen, um das Ziel zu erreichen):<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
5) Die Arbeitspunkte für die nächsten ........ Wochen:<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
________________________________________________________<br />
153
ANLAGE 3: FORMULAR 'STÖRENDE UND<br />
HELFENDE GEDANKEN'<br />
Sie sagen oft Dinge zu sich selbst, beispielsweise, dass Sie etwas richtig oder<br />
falsch gemacht haben. Die Dinge, die Sie zu sich selbst sagen, beeinflussen, wie<br />
Sie sich danach fühlen oder was Sie danach tun. Wenn es Ihnen nicht gelingt, einen<br />
Reifen zu flicken und Sie zu sich selbst sagen "Siehst du, ich kann aber auch gar<br />
nichts", fühlen Sie sich danach vielleicht machtlos und mutlos ("Ich kann<br />
überhaupt nichts, ich bin ein Nichtsnutz!") und wagen beim nächsten Mal keinen<br />
neuen Versuch. Einen Gedanke wie "Ich kann nichts" nennen wir einen<br />
'Störenden Gedanken'. 'Störende Gedanken' sind meistens nicht wahr. Und wenn sie<br />
doch wahr sein sollten, dann helfen sie Ihnen meistens nicht, das zu erreichen,<br />
was Sie wollen. Darum kann es hilfreich sein, störende Gedanken durch andere zu<br />
ersetzen. Ein anderer Gedanke in diesem Beispiel wäre: "Einen Reifen zu flicken<br />
ist eine Scheißarbeit. Damit hat jeder seine Mühe. Mit etwas mehr Geduld wird es<br />
mir schon gelingen, den Reifen zu flicken." Diesen Gedanken nennen wir einen<br />
'Helfenden Gedanken'. Lassen Sie die helfenden Gedanken gut zu sich durchdringen, damit Sie<br />
sie benutzen können, wenn Sie sie nötig haben.<br />
154
Das Ereignis/Die Ereignisse:<br />
Störende Gedanken:<br />
Helfende Gedanken:<br />
Gefühle nach dem Ereignis/den Ereignissen:<br />
Gefühle, die helfende Gedanken<br />
hervorrufen können:<br />
Was hast du nach diesem Ereignis/<br />
diesen Ereignissen getan?<br />
Was möchtest du tun?<br />
Übung mit den helfenden Gedanken:<br />
155
Literatur<br />
Bergstra, J., T. Binnendijk e.a.<br />
Families First. Het verslag van een studiereis.Utrecht: NIZW, 1992<br />
Consortium Families First/NIZW<br />
Het starten van een Families First project.Utrecht: NIZW, 1996<br />
Datawerken<br />
KISIT. Kliënt Informatie Systeem Intensieve Thuisbehandeling.<br />
Gebruikershandleiding.Utrecht: NIZW, 1995<br />
Handleiding voor Teamleiders.Utrecht: NIZW, 1997<br />
Jagers, J.D.<br />
Programma-evaluatie als een instrument bij innovatie in de jeugdhulpverlening: een<br />
illustratie aan de hand van Families First. Boekholdt, M.G. (red.) Programma-evaluatie<br />
sleutel tot kwaliteit.Utrecht: SWP, p. 57-65, 1995<br />
Jagers, J.D. en N.W. Slot<br />
Start-notitie programma gezinsactivering. In: Bakker, K. en H. Jagers<br />
Projectontwikkeling en -organisatie Families First Nederland.Utrecht: NIZW, 1993<br />
Janssen, H.<br />
Als praten bij je werk hoort. Gespreksvaardigheden voor hulp- en dienstverleners.Meppel:<br />
Boom, 1987<br />
Kemp, R.A.T. de, J.W. Veerman en L.T. ten Brink<br />
Evaluatie-onderzoek Families First Nederland. Deel 2: Bereikte doelgroep.Utrecht: NIZW,<br />
1996a<br />
Kemp, R.A.T. de, J.W. Veerman en L.T. ten Brink<br />
Evaluatie-onderzoek Families First Nederland. Deel 3: Werkwijze en waardering.Utrecht:<br />
NIZW, 1996b<br />
Kemp, R.A.T. de, J.W. Veerman en L.T. ten Brink<br />
Evaluatie-onderzoek Families First Nederland. Deel 4: Uitkomsten op korte en lange termijn.<br />
Utrecht: NIZW, 1997<br />
Kinney, J., D. Haapala en C. Booth<br />
Keeping <strong>families</strong> together. The Homebuilders model.New York: Aldine de Gruyter, 1991<br />
156
Ploeg, J.D. van der<br />
Geweld op school. Tijdschrift voor Orthopedagogiek, jrg .34, nr. 7/8, p 357-368, 1995<br />
Slot, N.W.<br />
Residentiële hulpverlening voor jongeren met antisociaal gedrag.Proefschrift Vrije Universiteit<br />
Amsterdam. Lisse: Swets en Zeitlinger, 1988<br />
Slot, W. en H. Spanjaard<br />
Ontwikkelingstaken voor ouders van jonge kinderen. Het competentiemodel en<br />
gezinsgerichte hulpverlening. Jeugd en samenleving, jrg. 12, nr. 1, 1996, p. 3-19, 1996<br />
Veerman, J.W., R.A.T. de Kemp en L.T. ten Brink<br />
Evaluatie-onderzoek Families First Nederland. Deel 1: Achtergronden en opzet.Utrecht:<br />
NIZW, 1996<br />
Wit, J. de, G. van der Veen en N.W. Slot<br />
Psychologie van de adolescentie.Baarn: Intro, 1995<br />
157
DAS 'NEDERLANDS INSTITUUT VOOR ZORG EN WELZIJN / NIZW'<br />
DAS NIEDERLÄNDISCHE INSTITUT FÜR FÜRSORGE UND GESUNDHEIT<br />
Das 'Nederlands Instituut voor Zorg en Welzijn / NIZW' ist ein unabhängiges Institut, das<br />
Einrichtungen auf dem Fürsorge- und Gesundheits-Sektor hilft, sich auf gesellschaftliche<br />
Entwicklungen einzustellen und die Qualität ihrer Arbeit zu gewährleisten. In enger<br />
Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen entwickelt das NIZW Methoden, mit denen<br />
das Arbeitsfeld adäquat auf neue Fragen der Klienten reagieren kann. Das Resultat sind<br />
Bücher, Rundbriefe, Kongresse, Lernlaufzeiten, Datenbanken und Videos. Außerdem setzt<br />
sich das Institut zum Ziel, den Sektor als Ganzes zu verstärken. Damit beschäftigen sich vor<br />
allem das 'Centrum voor Beroeps- en Opleidingsvraagstukken'/'Zentrum für Berufs- und<br />
Ausbildungs-Fragen' und das 'Informatiecentrum Zorg en Welzijn' / 'Informationszentrum<br />
für Fürsorge und Gesundheit'.<br />
Die Tätigkeiten des NIZW erstrecken sich auf viele verschiedene Gebiete wie Kinderkrippe,<br />
Jugendfürsorge, Versorgungs- und Pflegehäuser, häusliche Fürsorge und Hilfeleistungen für<br />
Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung.<br />
Im Sektor Fürsorge und Gesundheit arbeiten beruflich mehr als 400.000 Menschen und<br />
viele Freiwillige. Für sie sind die Produkte des NIZW bestimmt. In zunehmendem Maße<br />
wendet sich das NIZW mit seinen Informationen auch direkt an die tatsächlichen<br />
Konsumenten der Angebote auf diesem Sektor.<br />
159