Anastasius Grün: Nibelungen im Frack - Nibelungenrezeption.de
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1<br />
<strong>Anastasius</strong> <strong>Grün</strong>s Werke<br />
Vierter Teil<br />
Epische Dichtungen<br />
Herausgegeben<br />
von<br />
Eduard Castle<br />
________________<br />
Berlin – Leipzig – Wien – Stuttgart<br />
Deutsches Verlagshaus Bong & Co.<br />
[o. J.]
2<br />
[5]<br />
Inhalt<br />
Widmung<br />
Ein Stück Exposition, Invokation, nebst etlichen Episo<strong>de</strong>n<br />
Von einer Fe<strong>de</strong>r, einem Schwerte und einer Axt; nebenbei etwas von <strong>de</strong>r Menschenhand<br />
Intermezzo als Arabeske<br />
Wie <strong>de</strong>r Merseburger Hofpoet gesungen haben wür<strong>de</strong><br />
Der Herzog bestellt sein Zeughaus und wirbt sein Heer<br />
Der Herzog meint die Harmonie zu fin<strong>de</strong>n<br />
Der berühmte Chevalier von Pöllnitz am Merseburger Hofe<br />
Etwas von <strong>de</strong>m alten Riesen Einheer<br />
Der Herzog besiegt die Hydra <strong>de</strong>r Rebellion<br />
Der Herzog bereist seine Staaten<br />
Hier wird Spielzeug verfertiget<br />
Eine Vision. Die Saiten klingen aus<br />
[Anhang. Zur Verständigung<br />
Einem Dichter, meinem Freun<strong>de</strong> (von Bauernfeld)<br />
An Eduard v. Bauernfeld]
3<br />
[7]<br />
<strong>Nibelungen</strong> <strong>im</strong> <strong>Frack</strong><br />
Ein Capriccio<br />
[8]<br />
Text nach <strong>de</strong>r zweiten Auflage<br />
1853<br />
[9-15]<br />
Einleitung <strong>de</strong>s Herausgebers<br />
[17]<br />
Herrn<br />
Paul Pfizer<br />
aus innigster Verehrung<br />
<strong>de</strong>r Verfasser
4<br />
[19]<br />
Übend angeborne Rechte<br />
An <strong>de</strong>n Lenz <strong>im</strong> Sonnenglanze,<br />
Mü<strong>de</strong> siegloser Gefechte,<br />
Legt die Muse ab die Lanze;<br />
Will nicht unter Machtgeboten<br />
Kämpfen in gedrillten Scharen,<br />
Nicht von Söldnern <strong>de</strong>r Despoten,<br />
Nicht von Freiheitsjanitscharen.<br />
Mögt <strong>de</strong>m Einzlen nicht versagen,<br />
Was das Ganze soll erlangen!<br />
Wollt ihr frei das hohe Jagen,<br />
Gebt auch frei das Grillenfangen.<br />
Nichts verliert an Macht und Glanze<br />
Albion, das stolze, große,<br />
Weil es frei die krause Pflanze<br />
Bunter Narrheit pflegt <strong>im</strong> Schoße. –<br />
Blumen trägt auf allen Wegen<br />
Rings die Welt, die blütenvolle;<br />
Wer nur will, sei nicht verlegen,<br />
Wo er Kränze win<strong>de</strong>n solle.<br />
Ausgestreut an allen Pfa<strong>de</strong>n<br />
Ist <strong>de</strong>r Wahrheit Saatensegen;<br />
Wer nur sucht von Gottes Gna<strong>de</strong>n,<br />
Fin<strong>de</strong>t sie an seinen Wegen.<br />
Wo <strong>im</strong> Frei’n <strong>de</strong>r Blumenarten<br />
Ungepflückt so viel noch bleiben,<br />
Ist’s ein danklos Mühn, <strong>im</strong> Garten<br />
Neu die alten Pflanzen treiben.<br />
[20]<br />
Und <strong>de</strong>r „großen Tat in Worten“<br />
Könnten wir beinah’ entraten;<br />
Was uns not tut allerorten,<br />
Ist ein großes Wort in Taten! – –<br />
Doch was soll ich dir es sagen,<br />
Deutscher Mann, auf <strong>de</strong>ssen Mun<strong>de</strong><br />
Schweigen ruht an rechten Tagen,<br />
Re<strong>de</strong> blüht zur rechten Stun<strong>de</strong>;
5<br />
Sprechend, wie <strong>de</strong>r Ton <strong>de</strong>r Flöte<br />
O<strong>de</strong>r wie Posaunenschrecken,<br />
Wenn er eine Morgenröte<br />
Grüßen durfte o<strong>de</strong>r wecken;<br />
Schweigend unter heil’gen Siegeln<br />
Sonst ein Alpensee, voll Tiefen,<br />
Drin <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> Höhn sich spiegeln,<br />
Drin <strong>de</strong>s H<strong>im</strong>mels Sterne schliefen. –<br />
Doch wie kam <strong>de</strong>in ernster Namen<br />
Und <strong>de</strong>in Bildnis, streng und bie<strong>de</strong>r,<br />
In <strong>de</strong>n krausgeschnitzten Rahmen<br />
Dieser heitern, losen Lie<strong>de</strong>r?<br />
So in Römervillen ragen<br />
Marmorbüsten alter Weisen;<br />
Bunte Blütenranken wagen<br />
Gaukelnd doch sie zu umkreisen.<br />
__________
6<br />
[21]<br />
<strong>Nibelungen</strong> <strong>im</strong> <strong>Frack</strong>.<br />
(1842)<br />
__________<br />
„Deus aeterne, nisi vigilares, quam<br />
male esset mundus, quem reg<strong>im</strong>us nos,<br />
ego miser venator et ebriosus ille et sceleratus<br />
Julius!“<br />
Ex dictis Imp. Max<strong>im</strong>iliani I.<br />
Ein Stück Exposition, Invokation, nebst etlichen Episo<strong>de</strong>n.<br />
Ich singe jenen Hel<strong>de</strong>n, – ja, welchen? – wo <strong>de</strong>r Held,<br />
Des Taten Zauberbanne, zu fesseln süß die Welt,<br />
Der Held, <strong>de</strong>r <strong>im</strong> Liebestaumel hin seines Dichters Geist,<br />
Wie Win<strong>de</strong>swirbel in Lüften mit sich <strong>de</strong>n Frühlingsfalter reißt?<br />
Sei er ein Held <strong>de</strong>r Vorzeit? Ach, wenn sein Banner wallt,<br />
Das nicht das unsre, umschauert uns Grabeszugwind kalt!<br />
Sei er aus unsern Tagen ein Held, noch strebend frei?<br />
Dem wer<strong>de</strong>n die Herzen wohl schlagen? – O daß es nur von Liebe sei!<br />
„Aufstieg ein Gestirn <strong>im</strong> Nor<strong>de</strong>n, es strahlte warm und hell,<br />
Schlaftrunkne riefen: ‚Wehe, wie wird es Tag so schnell!‛<br />
Schlaflose riefen: ‚Wehe, wie säumig, o Sonnenschein!‛<br />
Wer dankt, daß Licht gewor<strong>de</strong>n, was Wetterwolke könnte sein?<br />
Es herrscht ein Fürst <strong>im</strong> Nor<strong>de</strong>n, groß in <strong>de</strong>r Kunst zu geben,<br />
Fein abgelernt <strong>de</strong>r Sonne hat er’s, mit Gunst zu geben;<br />
Stehn <strong>de</strong>nn umsonst dort Blumen und Wiesen, Tannen, Lin<strong>de</strong>n,<br />
Und für die Kunst zu empfangen will ihnen sich kein Jünger fin<strong>de</strong>n?<br />
Nicht n<strong>im</strong>mt er seinen Lorbeer von Leichenschläfen fort.<br />
Fest hielt <strong>de</strong>r alte König verschlossen <strong>de</strong>n reichen Hort,<br />
Der Sohn erschleußt <strong>de</strong>n Segen, so daß es dünkt <strong>de</strong>m Volke,<br />
Als ob die Hand ihn schütte <strong>de</strong>s toten Königs aus <strong>de</strong>r Wolke.<br />
[22]
7<br />
Gerecht und mild seid <strong>de</strong>nen, die vor <strong>im</strong> Kampf uns gingen!<br />
Vor kranzgeschmückten Richtern ist doppelt schön das Ringen;<br />
Im Wald an alten Tannen <strong>de</strong>s Schößlings Wuchs sich messe,<br />
Im kahlen Steppenlan<strong>de</strong> dünkt selbst <strong>de</strong>r Schlehdorn sich Zypresse.<br />
Abtragen ist <strong>de</strong>s Handwerks, <strong>de</strong>r Kunst nur ist das Baun,<br />
Wohlfeiler Witz ist Zweifel, doch heil’ge Tat Vertraun;<br />
Der Bauspruch ist gesprochen, <strong>de</strong>r Grundstein ist gelegt,<br />
Sei drum <strong>de</strong>r Bau zerbrochen, weil eine Kron’ am First er trägt? –<br />
Die gestern Bettler, praßten am Königsmahl als Herrn!<br />
Am Goldplafond ob ihnen säh’ ich als Lüster gern<br />
Den Bettelsack von gestern, sie fein zu mahnen <strong>de</strong>ssen,<br />
Wie jenen zu Syracusä <strong>de</strong>r Töpferton bei Goldgefäßen.<br />
Der ungewohnte Gluttrank verwirrt Trinkspruch und Re<strong>de</strong>,<br />
Mit <strong>de</strong>r Parketten Glätte kommt Gleichgewicht in Feh<strong>de</strong>;<br />
So konnten sie nicht rühmen <strong>de</strong>n Komfort <strong>de</strong>iner Feste,<br />
Und dich, fürstlicher Gastfreund, nicht sehr erbauen <strong>de</strong>ine Gäste.<br />
Wir wer<strong>de</strong>n an dir nicht irre! Du bist wie Lenz gekommen,<br />
Erhofft, ersehnt! Lenzsonne mag noch nicht allen frommen;<br />
Daß sie kein Ke<strong>im</strong>lein senge, daß sie kein Blühn beirre,<br />
Verhüllt sie sich bisweilen. Wir wer<strong>de</strong>n, Herr, an dir nicht irre!<br />
O werd’ an uns nicht irre! Ein Sonnenaufgang weckt<br />
Gevögel viel, das nistend in Busch und Klüften heckt!<br />
Du hörst die Morgenlerche aus all <strong>de</strong>r St<strong>im</strong>men Gewirre:<br />
Lenzmündig sind die Lan<strong>de</strong>! O werd’ auch du an uns nicht irre!“<br />
__________<br />
So sang ich bei <strong>de</strong>inem Aufgang! – Wie wird <strong>de</strong>in Abend sein?<br />
Die Antwort liegt verschlossen in <strong>de</strong>ines Busens Schrein!<br />
Ich weiß nur, unsre Liebe schuf dir gar schwere Pflicht.<br />
Sei stark und treu dir selber! Dein Leuchten braucht kein frem<strong>de</strong>s Licht.<br />
In <strong>de</strong>inem Lan<strong>de</strong> nicht säng’ ich’s! Den reinsten Strahl ja schwärzt<br />
Verdacht in Knechtgemütern, sich dünkend frei und beherzt;<br />
Ich habe nichts zu fürchten und nichts von dir zu hoffen,<br />
Drum ließ ich <strong>de</strong>n Strom <strong>de</strong>r Liebe zu dir hinfluten frei und offen!<br />
[23]<br />
Doch möcht’ ich in <strong>de</strong>m Strome, beglänzt von heitrer Sonne,<br />
Nach Lotsenart befest’gen manch schwarze Warnungstonne:<br />
Herr, ein Geschenk, gegeben, darf keinen König reu’n!<br />
Wer vorwärts schritt, soll rückwärts <strong>de</strong>n Schritt, wie Nie<strong>de</strong>rlage, scheu’n!
8<br />
Nicht heb, o Fürst, zu Thronen, was an die Stufen sich schicke,<br />
Und nie zu Märtyrerkronen die eignen Palmen zerpflücke!<br />
Blutwaffen sind, und schärfre als Schwerter, die Dornenreiser,<br />
Der Kronentraum <strong>de</strong>s Martyrs gebiert <strong>de</strong>m Tollhaus einen Kaiser. –<br />
So sang ich in meinen Bergen, – noch hoffend, als <strong>de</strong>in Land<br />
Schon glaubens-, hoffensärmer <strong>de</strong>in Sternbild bleichend fand;<br />
Festhalten gern die Berge <strong>de</strong>n letzten Tagesstrahl,<br />
Wenn längst hereingebrochen die alte Nacht ins dunkle Tal.<br />
Wenn ich in Liebe irrte, mich wird es nicht entehren;<br />
Der Liebe heil’gen Purpur, kein Fürst kann ihn entbehren!<br />
Weh, läßt <strong>de</strong>r Reichgeschmückte die edlen Kleino<strong>de</strong> wan<strong>de</strong>rn,<br />
Bis ihm vom Leib gefallen ein schöner Lappen nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn!<br />
__________<br />
Das <strong>de</strong>utsche Herz hat lieben, vertrau’n beinah’ gelernt,<br />
Das <strong>de</strong>utsche Lied nur wandte sich ab und grollt entfernt;<br />
Den Faltenwurf <strong>de</strong>s Purpurs, <strong>de</strong>s Goldmunds Zauberre<strong>de</strong>,<br />
Das Schweigen selbst <strong>de</strong>r Lippe bemäkelt’s in so kleiner Feh<strong>de</strong>!<br />
Wo ist <strong>de</strong>r Mann, <strong>de</strong>r ragen noch überm Trosse darf,<br />
Den’s heut nicht hob zu Sternen, mit Kot nicht morgen warf?<br />
Es wirbt <strong>de</strong>m jungen Dichter ein Schmählied um <strong>de</strong>n Kranz,<br />
Sei auch <strong>de</strong>r Schlamm zu Perlen <strong>im</strong> Dichtermund verwan<strong>de</strong>lt ganz.<br />
Politisch Lied, du Donner, <strong>de</strong>r Felsenherzen spaltet,<br />
Du heil’ge Oriflamme, zum Siegeszug entfaltet,<br />
Du Feuersäule, <strong>de</strong>m Volke aus Knechtschaftwüsten hellend,<br />
Du Jerichoposaune, <strong>de</strong>r Zwingherrn Bollwerk all zerschellend!<br />
Sieghafter Sparterfeldherr, <strong>de</strong>r Freiheit Türmer du,<br />
Du To<strong>de</strong>slawine Murtens, Bastillenstürmer du,<br />
Zornwolke, <strong>de</strong>ren Blitze <strong>de</strong>r Korse zucken sah,<br />
Du Sterberöcheln <strong>de</strong>r armen, gemor<strong>de</strong>ten Polonia!<br />
[24]<br />
Du heil’ger Gral, Goldschale mit <strong>de</strong>s Erlösers Blut,<br />
Wenn sie zur rechten Stun<strong>de</strong> in rechten Hän<strong>de</strong>n ruht;<br />
Schiffbrücke du <strong>de</strong>n Deutschen zur Rache über <strong>de</strong>n Rhein,<br />
Du griechisch Feuer <strong>de</strong>r Klephten, du heller Juliussonnenschein!<br />
Du schwebst, wie Fahnen und Adler, <strong>de</strong>n Heeren rauschend vor!<br />
Veit Weber und Tyrtäos, Rouget und Arndt <strong>im</strong> Chor!<br />
Das „ça ira!“ – Die Klänge aus Berangers Verlies! –<br />
„Noch nicht ist Polen verloren!“ –„Der Gott, <strong>de</strong>r Eisen wachsen ließ!“
9<br />
Du sprachst befeuernd, warnend, Kassandra unsern Tagen;<br />
Ans Ohr hat uns <strong>de</strong>in Wehruf, doch nicht umsonst geschlagen! –<br />
Ein Buhlweib hat vors Antlitz schlau <strong>de</strong>ine Maske genommen,<br />
Doch durch die Larve funkeln nicht <strong>de</strong>ine Augen, die klugen, frommen!<br />
Sollst du das sein? Dies Winseln bezahlter Leichenweiber<br />
Um <strong>de</strong>n erlognen Leichnam, gespielt vom Possentreiber!<br />
Der Tote n<strong>im</strong>mt sein Laken und tanzt zu Schmaus und Scherz;<br />
Weh, rühren solche Hän<strong>de</strong> die Gottesharfe: Menschenherz!<br />
Sollst du das sein? Dies schleichend Gespenst von Löschpapier,<br />
Dein Harnisch Landtagsakten, ein Zeitblatt <strong>de</strong>in Panier,<br />
Den National, zum Dreispitz geformt, als Claque am Arme,<br />
Gefüllt mit Zeitungswin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Du<strong>de</strong>lsack, daß Gott erbarme!<br />
Papier <strong>de</strong>in rauschen<strong>de</strong>r Mantel, <strong>de</strong>in Herzblut Druckerschwärze!<br />
So wird das Lied gewinselt vom großen Zeitenschmerze,<br />
In Re<strong>im</strong>e die „Allgemeine“ gebracht und nun, sub rosa<br />
Noch komponiert dreist<strong>im</strong>mig, – wir lesen lieber sie in Prosa.<br />
Traun, auch in Prosa läßt sich Erträgliches noch sagen,<br />
Ein keck Scharmützeln wagen, ein herzhaft Treffen schlagen;<br />
In Versen schrieb Washington <strong>de</strong>n Brief <strong>de</strong>r Freiheit nicht,<br />
Der Herr sprach selbst in Prosa das große Wort: Es wer<strong>de</strong> Licht! – –<br />
Es kreucht Gewürm: Notizen, und spinnt die Blätter entlang,<br />
Spinnt weiche Sei<strong>de</strong> die Raupe? Nein, blanken Namen <strong>de</strong>n Strang!<br />
Nun schwingt sie als Lied die Flügel! Will’s dir zu Ohr nicht schallen,<br />
Und du gehst seitab schweigend, – hui, bist eidbrüchig, abgefallen!<br />
Wem ihren Strahl die Freiheit einmal durchs Herz gegossen,<br />
Abfällt <strong>de</strong>r nie und n<strong>im</strong>mer, trotz sondrer Kampfgenossen!<br />
[25]<br />
Wir tragen <strong>de</strong>r Freiheit Banner, nicht ihre Liverei’n;<br />
Der Knecht will Unterknechte, <strong>de</strong>r Freiheit selbst kein Sklav’ ich sein!<br />
Ihr wollt, <strong>de</strong>r Freiheit Sänger, die eigne Mutter knechten,<br />
Die Poesie, <strong>im</strong> Feldrock <strong>de</strong>r Politik zu fechten!<br />
Im Mondlichttraum <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s o laßt die Jägerin schweifen,<br />
Ist’s Zeit, wird die Amazone nach Schwert und Chlamys zürnend greifen!<br />
Ist’s Zeit, wird Speere säen <strong>de</strong>r Sämann goldner Saaten,<br />
Unmünd’ge Kin<strong>de</strong>r nur spielen in Frie<strong>de</strong>nszeit Soldaten;<br />
Ein Tellgeschoß gilt besser, das, muß es sein, trifft Herzen,<br />
Als Perserpfeile tausend, – Heuschrecken, die <strong>de</strong>n Tag nur schwärzen!<br />
Das Wort, das <strong>de</strong>utsche, freie, wir n<strong>im</strong>mer missen können!<br />
Doch lernt, auch Fürstenlippen ihr freies Wort zu gönnen.
10<br />
Die Zeit will euch mißfallen; gefallt wohl ihr <strong>de</strong>r Zeit,<br />
Die, was sie baut, zertrümmern, und die entweihn, was sie geweiht?<br />
Was nennt ihr heilig? Schützen vor eurem Hohn die Narben,<br />
Der Kranz <strong>de</strong>n greisen Fechter? das Leichentuch, die starben?<br />
Ihr grollt mit Gott! – <strong>de</strong>r Herrgott wird wohl abmagern vor Weh! –<br />
Entsetzt es dich, Hyäne, <strong>de</strong>in Spiegelbild zu schau’n <strong>im</strong> See?<br />
Erlösen wollt ihr die schöne, verzauberte Prinzeß,<br />
Ihr wißt das rechte Wort nicht, und Unke bleibt sie in<strong>de</strong>s;<br />
Ihr schleppt Gebirge Reisigs zum Feuer, – frommt es auch?<br />
Es strahlt als Licht in Nächten, bei hellem Tage gibt’s nur Rauch.<br />
Der grüne Baum <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>, ist er <strong>de</strong>nn umgerissen,<br />
Daß nur von <strong>de</strong>r Trauerwei<strong>de</strong> Feldzeichen wir pflücken müssen?<br />
Weh uns, erkrankten Adlern, daß unsre matten Augen<br />
Nur durch geschwärzte Gläser ins Sonnenaug’ zu schauen taugen!<br />
Du aber, Neubekränzter, wenn <strong>de</strong>ines Lieds Galeere<br />
Die höchste Wogenspitze krönt in <strong>de</strong>m stürm’schen Meere<br />
Der Volksgunst, – meinst du, sie wolle dich nur in die Sterne heben?<br />
Von <strong>de</strong>iner Schwin<strong>de</strong>lhöhe sieh dort das Riff und lerne beben!<br />
Und hat <strong>de</strong>s Riffs Gekose <strong>de</strong>in Schiffsgebälk zerschlagen,<br />
Nur Mut! – Ein Brett wird landwärts dich und <strong>de</strong>n Lorbeer tragen;<br />
Ein neues Floß dir z<strong>im</strong>mre, kühn kreuze durch die Meere,<br />
Doch steure besser, wahre getreuer <strong>de</strong>iner Flaggen Ehre! –<br />
[26]<br />
Der Dichtung keusches Feuer noch nähren edle Reiser,<br />
Sprach auch, sie fast verschüchternd, <strong>de</strong>r Siebenzahl ein Weiser:<br />
„Das Wiesental Poesis ist Blumentragens schwach,<br />
Düngt, Blumen, dort <strong>de</strong>n Acker, <strong>de</strong>r ungepflügt noch liegt und brach!“<br />
Groß gnug bist, Menschenseele, groß gnug du, Gotteswelt,<br />
Daß frei ein Herz ausklinge, bevor’s zur Grube fällt!<br />
Nie wird <strong>de</strong>r E<strong>de</strong>lhirsch ackern, Waldrehlein gehn mit Säcken,<br />
Strauchröslein Stuben heizen, euch Nachtigall als Haushahn wecken!<br />
Und ragten zu <strong>de</strong>n Sternen groß unsre Lie<strong>de</strong>sahnen,<br />
Wie Palmen feingefie<strong>de</strong>rt, schönblättrig wie Platanen;<br />
Dem Erdpuls sind wir näher, <strong>de</strong>r Neuzeit Orchi<strong>de</strong>en,<br />
Bizarr <strong>de</strong>r Wuchs, die Blüten wie blumengewor<strong>de</strong>ne Märchen <strong>de</strong>r Feen. – – –<br />
Blitz! <strong>im</strong> Diskurse hätt’ ich bald meinen Hel<strong>de</strong>n vergessen,<br />
Wie Amme das Kindlein, herzend <strong>de</strong>n Grenadier in<strong>de</strong>ssen,<br />
Wie Kindlein seine Puppe, <strong>de</strong>r Apfelschnitten halber,<br />
Wie Grenadier die Amme, wohl einer schönern dritten halber!
11<br />
Mein Held ist, traun, kein Riese, das könnt’ uns schnell entzwei’n,<br />
Dir möcht’ ein Wicht mein Riese, <strong>de</strong>in Ries’ ein Zwerg mir sein;<br />
Er ist nicht so groß, daß Mißgunst ihn noch verkleinern wollte,<br />
Er ist nicht so klein, daß Liebe aufblasen ihn und strecken sollte.<br />
Er schwingt in seinen Hän<strong>de</strong>n kein Schwert, so hart und scharf<br />
Wie Durandart, das sterbend Roland in <strong>de</strong>n Brunnen warf;<br />
Statt Etzels Gottesgeißel ein Stab, roßhaarbezogen!<br />
Escalibor <strong>de</strong>s Artus, in seiner Hand ein Fie<strong>de</strong>lbogen!<br />
Das Rößlein, das er reitet, hat fast noch stärkern Rücken<br />
Als Bayard, <strong>de</strong>ssen Kruppe vier Ha<strong>im</strong>onssöhne drücken,<br />
Und wie <strong>de</strong>s Serben Marko Roß Scharatz ist’s verständig<br />
Und lebhaft wie Rosinante und wie Bucephalus unbändig!<br />
Sein Rößlein heißt Marotte, <strong>im</strong> Baß geht’s statt <strong>im</strong> Paß,<br />
Von seinem Schenkeldrucke stöhnt, schnaubt <strong>de</strong>r Geigenbaß!<br />
Marotte, sei besungen wie <strong>de</strong>ine Brü<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Stalle,<br />
Du springst viel höher, weiter, du bist gewaltiger als sie alle!<br />
Du hast, mein frommer Klepper, mich oft fel<strong>de</strong>in getragen,<br />
Stolzierst vor <strong>de</strong>r Staatskarosse und keuchst vorm Erntewagen,<br />
[27]<br />
Schleppst <strong>de</strong>m die Dosensammlung, trägst <strong>de</strong>n auf die Käferjagd;<br />
Greif aus und trag uns, solange die laue Lebenssonne tagt!<br />
Du bist ein gelehrig Tierlein und zählst berühmte Reiter,<br />
Hier überkl<strong>im</strong>mend zierlich <strong>im</strong> Büchersaal die Leiter,<br />
Dort watend mit <strong>de</strong>m Feldherrn <strong>im</strong> Blut erschlagner Heere,<br />
Schwingst dich mit diesem zu Sternen und springst mit jenem über die Meere!<br />
Minister trainiert dich zum Wettlauf, – am Ziel statt <strong>de</strong>s Preises erblickt er<br />
Fait accompli die Dame! Verdutzt doch grüßt und nickt er;<br />
Beredsam wie das Graupferd <strong>de</strong>r Bibel wardst du da<br />
Und sprichst zum Weltregierer: Quam parva sapientia!<br />
Dort hat ein Springer ersprungen <strong>de</strong>r Lebensrennbahn Preis,<br />
Bekränzt und volkumjubelt piaffiert <strong>de</strong>r Hengst <strong>im</strong> Kreis;<br />
Du bist’s, mein Pferdchen, mag dich <strong>de</strong>in Reiter auch verstecken<br />
In prunken<strong>de</strong> Schabracken, sinnspruchgeblähte Purpur<strong>de</strong>cken!<br />
Es kommt ein Held zum Sterben, sein treues Roß ersticht er,<br />
Daß sich’s kein andrer eigne, und dann sein Schwert zerbricht er;<br />
Treu harrst du aus, Marotte, an <strong>de</strong>ines Reiters En<strong>de</strong>,<br />
Ihm macht’s das Sterben bittrer, zu lassen dich in frem<strong>de</strong> Hän<strong>de</strong>.<br />
Ich singe, Rößlein, <strong>de</strong>inen berühmtesten Besteiger,<br />
Den Herzog Moritz Wilhelm, Mersburgs fürstlichen Geiger 1 ,
12<br />
Der auf dir ausgezogen, Frau Harmonia zu frei’n,<br />
Den Fürsten, <strong>de</strong>ssen Hän<strong>de</strong> von Blut- und Tintengreuel rein.<br />
Ob auch die Welt unhöfisch ihn einen Narren nenne,<br />
Daß nur <strong>de</strong>s H<strong>im</strong>melsfeuers ein Teil durchs Herz ihm brenne!<br />
Ein Nam’ ist nur ein O<strong>de</strong>m und Narr gern, wer’s errät,<br />
Daß Narren sich Weise nennen, wenn sie in <strong>de</strong>r Majorität.<br />
Der liebe Gott läßt fließen reich seinen Sonnenschein,<br />
Wie Kaiser bei Krönungsfesten aus Brunnen goldnen Wein;<br />
Der Marschalk fängt <strong>im</strong> Goldkelch, das Volk in Gläsern rein,<br />
In Ton ihn auf <strong>de</strong>r Bettler; doch blieb’s <strong>de</strong>rselbe, edle Wein!<br />
Viel Freu<strong>de</strong>nfünkchen geben ein großes Freu<strong>de</strong>nfeuer,<br />
Mondseligkeit, du spiegelst <strong>im</strong> Meer dich, wie <strong>im</strong> Weiher!<br />
Mein Held stieß sich ins Herze, ob Winkelried er wäre,<br />
Soviel er konnt’ umfassen <strong>de</strong>r Lebenssonne Strahlenspeere!<br />
[28]<br />
Dich, Sonnenschein, du klarer, ruf’ ich nach Recht <strong>de</strong>r Dichter,<br />
Erhellend, wärmend, schlage durchs Lied mir <strong>de</strong>ine Lichter!<br />
Den Splitter Glas am Bo<strong>de</strong>n schmückst du mit Regenbogen,<br />
Den Demant unter Kieseln hast du zur Kron’ emporgezogen.<br />
Ihr aber, Hauskobol<strong>de</strong>, mutwill’ger Geisterchor,<br />
Seid meine Maschinisten, doch nicht zuviel Rumor!<br />
Ihr wißt ja, in das Epos gehört ein wenig Mirakel,<br />
Blast Geigenharz, Blitzpulver, durchs Licht zu Feuerwerks Spektakel!<br />
O <strong>Nibelungen</strong>strophe, gewohnt in stählern Mie<strong>de</strong>r,<br />
Ins Panzerhemd zu schnüren die markig strammen Glie<strong>de</strong>r,<br />
Bei wallen<strong>de</strong>r Oriflamme <strong>im</strong> leuchten<strong>de</strong>n Harnisch zu schreiten,<br />
Mit hochgeschwungner Keule und langgestrecktem Speer zu streiten;<br />
Leihst du dich auch <strong>de</strong>n Spielen von schwächern Enkelsöhnen,<br />
Dein Haupt mit Pu<strong>de</strong>rwolken statt Schlachtenstaubs zu krönen,<br />
In Schnallenschuh’ zu strecken <strong>de</strong>n Fuß, statt in <strong>de</strong>n Bügel,<br />
Dein Ebenmaß zu opfern <strong>de</strong>s Sei<strong>de</strong>nfracks betreßtem Flügel?<br />
Du Vers <strong>de</strong>r <strong>Nibelungen</strong>, du bist ein Meer, ein weites,<br />
Hier ruht’s so glänzend, schweigend, dort bran<strong>de</strong>nd am Felsen aufschreit es!<br />
Du bist <strong>de</strong>r Strom <strong>de</strong>r Ebne, <strong>de</strong>r breit sich <strong>de</strong>hnt und reckt,<br />
Und bist auch das Bächlein <strong>de</strong>r Berge, das schäkernd mit Schaumdiamanten uns neckt.<br />
Du wan<strong>de</strong>lst wie in Feier ein Zug zu Domeshallen,<br />
Im Taktschritt Truppen wallen und Narrenschellen schallen,<br />
Herol<strong>de</strong> werfen Gold aus, das Volk sich balgt an <strong>de</strong>r Treppe,<br />
Der König schreitet schweigend, ein Page trägt die lange Schleppe.
13<br />
Du bist die Kriegsgallione, von Erzgeschossen schwer,<br />
Trugst einst als Sängerbarke mich gon<strong>de</strong>lflink durchs Meer<br />
Dorthin, wo vom Balkone winkt Poesie, die Fei; –<br />
O trag auch jetzt mich wie<strong>de</strong>r, zu fern nicht ihrem Herzen vorbei!<br />
__________<br />
Von einer Fe<strong>de</strong>r, einem Schwerte und einer Axt; nebenbei etwas von <strong>de</strong>r<br />
Menschenhand.<br />
Das Prinzlein Moritz Wilhelm, <strong>de</strong>s Herzogs Christian Sprosse,<br />
Sitzt bei <strong>de</strong>m frommen Pred’ger <strong>im</strong> Merseburger Schlosse,<br />
Vor ihnen aufgeschlagen ein Buch zum Unterrichte,<br />
Leicht lesbar, schwer verständlich: das Fürstenbuch <strong>de</strong>r Weltgeschichte.<br />
[29]<br />
Sie lesen, wie Gutes, Schl<strong>im</strong>mes <strong>de</strong>r Menschenhän<strong>de</strong> Ziel,<br />
Wie Roms Mordbrenner Nero als Kind, harmlos, <strong>im</strong> Spiel<br />
Mit Purpurnetzen fischte, – wohl ahnte die Naja<strong>de</strong><br />
Im roten Netz <strong>de</strong>n Blutstrom <strong>de</strong>s Lehrers einst <strong>im</strong> To<strong>de</strong>sba<strong>de</strong>!<br />
Wenn Gärtner zu Salona ward <strong>de</strong>r entthronte Kaiser,<br />
Mordwaffe blieb sein Grabscheit, zum Spott heißt er ein Weiser;<br />
Es ist nur alte Übung <strong>de</strong>s Köpfens fortgesetzt,<br />
Nur daß Kohlköpfe müssen statt Christenhäuptern springen jetzt!<br />
Der Vogelherd übt Heinrichs <strong>de</strong>s Finklers Hand <strong>im</strong> Mor<strong>de</strong>n<br />
Für spätre Wan<strong>de</strong>rvögel, die schl<strong>im</strong>men Hunnenhor<strong>de</strong>n;<br />
Den blut’gen Fang am Keuschberg hält noch das Wandbild fest 2 .<br />
Es ist die Hand <strong>de</strong>s Menschen wie Henkerschwert, Brandfackel, Pest!<br />
Glückselig, wie Da-Vincis, die Hand, die gottbegeistert<br />
Das Dichterroß gebändigt, <strong>de</strong>s Pinsels Zauber meistert,<br />
Die Silbergeige tönen läßt, wie ihr Stoff, so rein;<br />
Da scheint <strong>de</strong>r Gottheit Dreiklang gefahren in armes Menschengebein!<br />
O süße Harfe Davids! O Karls schwertmü<strong>de</strong> Hand,<br />
Die, frommbekehrt, uns Reben gepflanzt an Rheines Strand!<br />
Da zuckt die Hand <strong>de</strong>m Schüler, Herr Sittig aber spricht 3 :<br />
„Es sei die Hand <strong>de</strong>s Menschen wie Vogelsang und Sonnenlicht!“<br />
Drauf legt’ die Händ’ er segnend aufs Haupt <strong>de</strong>m Knaben hold,<br />
Als ob er gleich sie üben in frommem Werke wollt’,<br />
Des Knaben Hän<strong>de</strong> faßt er dann liebevoll in seine:<br />
„Daß <strong>de</strong>ine Hand nur gleiche <strong>de</strong>m Vogelsang, <strong>de</strong>m Sonnenscheine!“
14<br />
Dies Wort, es sank <strong>de</strong>m Schüler zu Herzen tief und leise,<br />
Wie in <strong>de</strong>n See ein Steinlein, lang beben nach die Kreise;<br />
Und fromm und scheu anblickt er, wie fremd, die eigne Hand,<br />
Als sei’s ein andres Wesen, ein Pflegekind, ein heilig Pfand.<br />
Der Knabe, wie entschlossen, auffährt von seinem Sitze:<br />
„Sei meiner Hand Gewaffen du, friedliche Fe<strong>de</strong>rspitze!“<br />
Das Haupt <strong>de</strong>r Lehrer schüttelt, steht auf, antwortet nichts<br />
Und führt hinab zum Schloßhof ihn schweigend, ernsten Angesichts.<br />
An S<strong>im</strong>sen, Portalen, Wän<strong>de</strong>n sind unterwegs zu schau’n<br />
Viel Rabenbil<strong>de</strong>r, in Farben, in Stein und Metall gehau’n,<br />
[30]<br />
Im Käfig von goldnem Drahte zuletzt, auf seinem Stabe<br />
Sich wiegend mit Behagen, kohlschwarz und feist ein lebend’ger Rabe.<br />
„Im Zuge unsrer Äbte Abt Thilo ist die Ze<strong>de</strong>r 4 ,<br />
Doch dieser Rab’ ein schnö<strong>de</strong>r Schreibfehler seiner Fe<strong>de</strong>r,<br />
Ein Tintenklecks, ein schwarzer, <strong>de</strong>r lebt und krächzt <strong>im</strong> Lichte;<br />
Mit feiner Rabenfe<strong>de</strong>r ins Herz dir zeichne die Geschichte!<br />
Ihm ward ein Ring gestohlen. Er ahnt und spürt Verrat,<br />
Er greift nach seiner Fe<strong>de</strong>r und schreibt – o schl<strong>im</strong>me Tat! –<br />
Dem Kämmerling das Urteil. Als schon <strong>de</strong>r Arme hing,<br />
Fand sich – dir sang’s die Amme – in eines Raben Mund <strong>de</strong>r Ring!<br />
Die Blutschuld ging zu Herzen tief <strong>de</strong>m gerechten Manne.<br />
Daß er vors Aug’ in Reue ihr Ange<strong>de</strong>nken banne,<br />
Ließ er <strong>de</strong>n Raben bil<strong>de</strong>n in Farb’, in Erz, in Stein<br />
Und schloß in goldnem Bauer <strong>de</strong>n schwarzen Übeltäter ein.<br />
Oft bracht’ er selbst zum Käfig Fleischbröcklein, Körnersaat,<br />
Mit eigner Hand ihn speisend, – o noch viel schl<strong>im</strong>mre Tat!<br />
So wird <strong>de</strong>m Bösewichte noch Lohn für seine Sün<strong>de</strong>,<br />
So wird <strong>de</strong>m alten Diebe fürs Leben eine fette Pfrün<strong>de</strong>!<br />
Und sterbend griff zur Fe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Abt, – o schl<strong>im</strong>mste Tat!<br />
Sein Testament, <strong>de</strong>n Raben empfiehlt’s <strong>de</strong>m Domsenat,<br />
Stellt Brotbrief, Hulddiplome ihm aus mit Ehrenrechten!<br />
Der Dieb mit seinen Kin<strong>de</strong>rn verzehrt die Brote <strong>de</strong>r Gerechten.<br />
Ihm, Erben, Erbeserben bis an <strong>de</strong>r Zeiten En<strong>de</strong><br />
Zwölf Scheffel Korns alljährlich, zwölf Taler Golds zur Spen<strong>de</strong>!<br />
Wird solch ein Pfründner begraben, ja kein Interkalare!<br />
Daß treu <strong>de</strong>m Enkelraben <strong>de</strong>r Wärter seinen Freiplatz wahre.<br />
Ins Haus <strong>de</strong>m Wärter fliegen die schwarzen Kandidaten,<br />
Am Kirchentor <strong>de</strong>r Bettler benei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n Prälaten;
15<br />
So wuchert fort die Sippe von Sün<strong>de</strong>rn, Gesetzverächtern,<br />
So blüht <strong>de</strong>r Ahnen Untat in Gold und Ehren <strong>de</strong>n Enkelgeschlechtern!<br />
So hat <strong>de</strong>s Weisen Fe<strong>de</strong>r, nun er fein nachgesonnen,<br />
Wie Übereiltes er sühne, noch Schl<strong>im</strong>mres angesponnen.<br />
Das ist <strong>de</strong>r Rabe Thilos, <strong>de</strong>r unsrer Äbte Ze<strong>de</strong>r. –<br />
Du aber, wenn’s dich lustet, erküre <strong>de</strong>iner Hand die Fe<strong>de</strong>r!“<br />
[31]<br />
Herr Sittig sprach’s. Der Knabe empor aus Träumen fährt:<br />
„So schmücke meine Hän<strong>de</strong> in Ehren einst ein Schwert!“<br />
Das Haupt <strong>de</strong>r Lehrer schüttelt, kehrt um, antwortet nichts<br />
Und führt zum hohen Münster ihn schweigend, ernsten Angesichts.<br />
Es ragt <strong>de</strong>r Dom vor ihnen mit vier gewalt’gen Türmen,<br />
Wie eine heil’ge Feste, die vier Basteien schirmen,<br />
Kanonen ihre Glocken, ihr Kreuz Panier <strong>de</strong>r Schlacht,<br />
Das Kaiserbild <strong>de</strong>s Stifters hält an <strong>de</strong>r Pforte strenge Wacht.<br />
Sie schreiten durch die Hallen <strong>de</strong>s Doms zur Sakristei,<br />
An Gegenkaiser Rudolfs metallnem Mal vorbei;<br />
Dort aus geschnitztem Schranke n<strong>im</strong>mt er ein Schwert von Gewichte,<br />
Ein Leuchten wirft das blanke, als ob’s frohlocke wie<strong>de</strong>r <strong>im</strong> Lichte.<br />
Herr Sittig spricht: „O Knabe, das gute Schwert hier sieh,<br />
Ein Riese nur mag’s schwingen, ein beßres gab es nie!<br />
Als sei’s <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sengel, hat’s einst geflammt <strong>im</strong> Fel<strong>de</strong>;<br />
Dies Schwert, es war zu eigen Rudolf <strong>de</strong>m tapfern Schwabenhel<strong>de</strong> 5 .“<br />
Dann ein vergül<strong>de</strong>t Kästlein hebt er vom Schrank <strong>de</strong>r Wand,<br />
Drin, rumpfgetrennt, vertrocknet, liegt eine Menschenhand,<br />
Es ruht die Kaiserkrone am Deckel goldgetrieben,<br />
In Rundschrift: „Petra Petro, Petrus Rudolpho!“ drauf geschrieben.<br />
„Die jenes Schwert einst führte, sieh, Knabe, hier die Hand,<br />
Die Mumie <strong>de</strong>s Sieges, die Ei<strong>de</strong>spflicht noch band!<br />
Daß nie gen seinen Kaiser er sie erhoben hätte,<br />
Vom Papst, <strong>de</strong>m Kronhausierer, erstan<strong>de</strong>n nie Goldreif und – Kette!<br />
Ob selbst sich in Kanossa <strong>de</strong>r Kaiser thronentsetzte,<br />
Den Purpur, daß er büßend drauf kniee, selbst zerfetzte;<br />
Es glänzt ein Stern, ein Lichtmal an je<strong>de</strong>r Fürstenstirne,<br />
Ein Gottesmal! – Verwischen darf nicht die Staubhand Lichtgestirne.<br />
Es war <strong>de</strong>r Tag bei Mölsen ein doppelt Blutgericht,<br />
Herr Rudolf glänzt <strong>im</strong> Siege, <strong>de</strong>s Kaisers Heer zerbricht;<br />
Nur einer sprengt an <strong>de</strong>n Sieger, <strong>de</strong>r wehrlos starrt, wie gebannt,<br />
Als sei <strong>im</strong> Gottessol<strong>de</strong> Scharfrichter <strong>de</strong>r, so vor ihm stand.
16<br />
Der haut ihm die Hand, die sünd’ge, vom Rumpf mit einem Streiche!<br />
O statt <strong>de</strong>s Kaiserzuges nun Armensün<strong>de</strong>rleiche!<br />
[32]<br />
Der Gottesheld war’s, Bouillon, dies seine erste Sendung,<br />
Die einst in Zions Mauern gediehn zur herrlichen Vollendung!<br />
Da flohn, die erst so freudig gefolgt <strong>de</strong>m hellen Stern,<br />
Von Merseburg <strong>de</strong>r Bischof Wernher mit Fürsten und Herrn 6 ;<br />
Die Sehnsucht nach <strong>de</strong>m H<strong>im</strong>mel rief aufwärts, aufwärts! <strong>de</strong>n Frommen,<br />
Da hätt’ er bei einem Härlein das luft’ge Galgenbrett erklommen!<br />
Auf Rudolfs Totenmale kannst du’s in Erz noch lesen,<br />
Daß er <strong>de</strong>r heil’gen Kirche ein frommer Streiter gewesen!<br />
In seiner Gruft zecht dankbar die Kirche <strong>de</strong>n Leichenwein,<br />
Zum Keller macht sie <strong>de</strong>r Pfaffe und schmeißt hinaus das Kaisergebein 7 .<br />
Längst mo<strong>de</strong>rt’s auf <strong>de</strong>m Anger, und von <strong>de</strong>r Fürstenleiche<br />
Ist nur die Hand geblieben, ein Ast <strong>de</strong>r Königseiche;<br />
Sieh, warnend streckt entgegen sie dir <strong>de</strong>n droh’n<strong>de</strong>n Finger! –<br />
Zieh hin auf <strong>de</strong>inen Wegen und wer<strong>de</strong> nun <strong>de</strong>m Schwert ein Jünger.“<br />
Da füllt <strong>de</strong>m Fürstenknaben das Herz <strong>de</strong>r Menschheit Heil:<br />
„So rag’ in meinen Hän<strong>de</strong>n hoch <strong>de</strong>r Gesittung Beil,<br />
Das Wald und Wüsten lichte!“ Herr Sittig antwortet nichts<br />
Und führt hinaus ins Freie ihn schweigend, ernsten Angesichts.<br />
Vor ihnen auf <strong>de</strong>r Höhe blinkt Sankt Romans Kapelle,<br />
Vom Turm das Glöcklein w<strong>im</strong>mert hin durch die Abendhelle.<br />
Herr Sittig spricht: „Sieh ragen <strong>de</strong>n Bau von weißen Steinen!<br />
Und dünkt dir nicht sein Läuten ein tiefes, lang verhaltnes Weinen?<br />
Dort grünte Swatibor einst, <strong>de</strong>r Hain von heil’gen Eichen,<br />
Wie Gott sie urgeschaffen, noch keusch von Beilesstreichen,<br />
Es schien, verwan<strong>de</strong>lt, das alte Geschlecht gewalt’ger Recken<br />
Im grünen Jägermantel, <strong>im</strong> Rin<strong>de</strong>nharnisch sich zu strecken.<br />
Herr Wigbert, <strong>de</strong>r die Hei<strong>de</strong>n bekehrt mit frommem Mun<strong>de</strong> 8 ,<br />
Wollt’ einst ein Kirchlein bauen, doch fehlt’ es ihm an Grun<strong>de</strong>;<br />
Der will <strong>de</strong>n Acker n<strong>im</strong>mer und <strong>de</strong>r nicht geben die Wiesen.<br />
Da trat <strong>de</strong>r fromme Bischof zuletzt vor jenes Haines Riesen.<br />
Hier stör’ ich keine Rechte! – O hätt’ er wahr gesprochen!<br />
Hier drück’ ich keinen Armen! – Noch Schl<strong>im</strong>mres ward verbrochen.<br />
[33]<br />
Be<strong>im</strong> ersten Schlag <strong>de</strong>s Beiles, o hätt’ er da gelauscht,<br />
Wie durch <strong>de</strong>n Wald ein Klagen verhallt und ängstlich Trippeln rauscht!
17<br />
Es war <strong>de</strong>r Wald voll Leben, ein dichtbevölkert Reich!<br />
Elfkönig herrschte mil<strong>de</strong> vom Thron <strong>de</strong>r Moose weich,<br />
Gesattelt stand sein Schröter zum Alexan<strong>de</strong>rszuge;<br />
Elfkönigin dreht be<strong>im</strong> Reigen mit ihren Damen sich <strong>im</strong> Fluge.<br />
Das ist ein lustig Treiben, das ist ein bunt Geschäfte!<br />
Der preßt, ein Kräuterkund’ger, aus Blumen süße Säfte,<br />
Gefüllt in zwei Gol<strong>de</strong><strong>im</strong>er muß Bienlein fort sie tragen,<br />
Wie Müllertier die Säcke; hallo, nun heißt’s die Luft durchjagen!<br />
Ein Architekt ist jener, er lehrt dort an <strong>de</strong>r Welle<br />
Den Biber bau’n und brauchen <strong>de</strong>n Schwanz als Maurerkelle;<br />
Ein Musikus ist dieser, <strong>de</strong>r Sprosser unterrichtet<br />
Auf einem Rosenblatte, wie sich’s vom Blatt weg singt und dichtet.<br />
Der ist ein feiner Maler, malt einem Schmetterlinge<br />
Mit Regenbogenfarben die ausgespannte Schwinge;<br />
Dort aus Libellenflügeln näht fein ein Schnei<strong>de</strong>rlein<br />
Ein Tanzgewand von Gaze zum nächsten Ball <strong>im</strong> Mon<strong>de</strong>nschein.<br />
Ein Waffenschmied ist jener, Goldkäfers Flügel<strong>de</strong>cken<br />
Weiß er zu Schild und Harnisch zu hämmern und zu strecken;<br />
Dort sitzt auf einem Aste einsam ein Philosoph,<br />
Studiert <strong>im</strong> Lin<strong>de</strong>nblatte Urweltgehe<strong>im</strong>nis, Wesenstoff.<br />
Hier ist ein kunstreich Weibchen, das lehrt die Spinne stricken,<br />
Und dort die Küchenmeistrin topfgucken kluge Mücken;<br />
Da bleicht ein rührig Mägdlein ihr Linnenzeug am Teiche,<br />
Schneeglöckchen, Liljenblätter, o musterhafte, weiße Bleiche!<br />
Bei Nacht <strong>im</strong> Hinterhalte viel reisiges Geschwa<strong>de</strong>r,<br />
Beritten auf Leuchtwürmlein! Ei, hier auch Kriegesha<strong>de</strong>r?<br />
Im Sturm soll Rosenknospe, die Feste, geöffnet sein,<br />
Um, <strong>de</strong>n sie hält verschlossen, Duft, <strong>de</strong>n Gefangnen, zu befrei’n!<br />
Das alles bebt zusammen <strong>de</strong>s Beiles erstem Schlage!<br />
Im ganzen Elfenreiche ist Trauern, Bangen, Klage.<br />
Horch, nun vom Turm frohlocken Herrn Wigberts fromme Glocken,<br />
Da, purzelnd durcheinan<strong>de</strong>r, zerstäubt das ganze Reich erschrocken!<br />
[34]<br />
Nicht ahnt be<strong>im</strong> frommen Werke Herr Wigbert, daß er quäle<br />
In kleinen Elfenseelchen die große Gottesseele,<br />
Daß die Natur auch weine, daß Wun<strong>de</strong>n sei’n, die nicht bluten,<br />
Und durch <strong>de</strong>n Weltenäther viel ungeahnte Klagen fluten.<br />
Nur feinre Sinne belauschen <strong>de</strong>n O<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Natur,<br />
Sie hören aus jenen Glocken ein tiefes Weinen nur! –
18<br />
Geh hin, und bist du sicher, es blinke nur <strong>de</strong>m Heil,<br />
In <strong>de</strong>inen Hän<strong>de</strong>n schwinge empor hoch <strong>de</strong>r Gesittung Beil!“ –<br />
Des Lehrers Wort <strong>de</strong>m Knaben ins Herz sinkt tief und leise,<br />
Wie in <strong>de</strong>n See ein Steinlein, lang beben nach die Kreise;<br />
Und fromm und scheu anblickt er, wie fremd, die eigne Hand,<br />
Als sei’s ein andres Wesen, ein Pflegekind, ein heilig Pfand.<br />
Wenn er zum Spiel Raketen, Vesuvlein losgebrannt,<br />
Der Lehrer mahnt: „Nie wer<strong>de</strong> Brandfackel Menschenhand!“<br />
Wenn <strong>de</strong>m erhaschten Falter er tän<strong>de</strong>lnd die Schwinge bricht,<br />
Der Lehrer zürnt: „Nie wer<strong>de</strong> die Menschenhand zum Hochgericht!“<br />
Die rote Kin<strong>de</strong>rgeige zur Hand <strong>de</strong>r Knabe n<strong>im</strong>mt,<br />
Er streicht sie, daß unterm Bogen sie ächzt und kreischt verst<strong>im</strong>mt;<br />
Herr Sittig dul<strong>de</strong>t’s schweigend, er sagt nicht ja, nicht nein,<br />
Ihm dünkt’s das erste Zwitschern von einem Vogelsang zu sein.<br />
__________<br />
Intermezzo als Arabeske.<br />
Es ist <strong>de</strong>r Knabe Moritz ein Mann <strong>im</strong> Fürstenor<strong>de</strong>n,<br />
Rotgeiglein Violine in seiner Hand gewor<strong>de</strong>n,<br />
Und Cello dann, das Herzen wie Menschenst<strong>im</strong>m’ erweicht,<br />
Baßgeige zuletzt, die tapfer <strong>de</strong>r Herzog bis an sein En<strong>de</strong> streicht.<br />
Doch Spiel nun und Konzerte verlaß, o Fürst, ein Weilchen,<br />
Dir duften doppelt würzig Narzissen, Glöcklein, Veilchen,<br />
Nun sie getraut dir haben ein schön, ein fürstlich Gemahl;<br />
Dir zaubre Honigmon<strong>de</strong> Schloß Dobrilugk <strong>im</strong> Blütental!<br />
Des Turteltaubers Girren ist ja doch auch Musik<br />
Und Kuß ein süßes Schallen und Harmonie ein Blick<br />
Und in Damastgardinen, in Busch und Laubenwand,<br />
In düstren Baumverliesen wohnt Wohlklang, <strong>de</strong>n du nie geahnt.<br />
[35]<br />
Hoch fliegt ihr, Sonnenlerchen, – sein Herz nochmal so hoch!<br />
Ihr flüstert süß, Boskette, – er flüstert süßer noch!<br />
Du lächelst froh, o Vollmond, – sein Blick noch froher, voller!<br />
Das Flügelroß <strong>de</strong>r Zeiten geht durch in<strong>de</strong>s, gleichwie <strong>im</strong> Koller.<br />
Allein, allein, Herr Moritz, eins fehlt doch, will mir ahnen,<br />
Dich zupft am Rock bisweilen ein Rückerinnern, Mahnen;<br />
Füllt <strong>de</strong>nn die Lebensschale nicht Liebe zu Genügen?<br />
In Einsamkeit was sinnst du, was bei <strong>de</strong>r Feste rauschen<strong>de</strong>n Zügen? – –
19<br />
Sie wan<strong>de</strong>ln durch <strong>de</strong>n Garten. Baumwipfel überwallend,<br />
Wogt dort <strong>im</strong> Doppelschafte <strong>de</strong>r Springquell, steigend, fallend;<br />
Ihm dünkt’s ein Geigenbogen, gespenstisch, ungemessen,<br />
Er schwankt, als droht’ er fragend: Und hast du mein <strong>de</strong>nn ganz vergessen?<br />
Zwei weiße Schwäne steuern stumm <strong>im</strong> Bassin vor ihnen,<br />
Ihm sind’s, gebaut von Silber, zwei sch<strong>im</strong>mern<strong>de</strong> Violinen;<br />
Dort ums Parterre die Wän<strong>de</strong> gestutzter Baumalleen,<br />
Ihm sind’s nur Notenpulte, die <strong>de</strong>s Orchesters harrend stehen.<br />
Im Zirkus die straffen Seile, drauf springen<strong>de</strong> Gaukler fliegen,<br />
Ihm sind’s gespannte Saiten, drauf tanzend die Töne sich wiegen;<br />
Im Hoftheater <strong>de</strong>r M<strong>im</strong>e, <strong>de</strong>n Dolche nie<strong>de</strong>rzwingen,<br />
O tragisch En<strong>de</strong>, <strong>im</strong> Solo ist’s einer Saite kläglich Springen!<br />
Ein Feuerwerk gibt’s abends; Leuchtkugeln, Raketenflug!<br />
Hell <strong>im</strong> Brillantenfeuer <strong>de</strong>s Paares Namenszug!<br />
Das zischt und sprüht und prasselt! – O sieh gen H<strong>im</strong>mel fahren<br />
In Flammen die Kreise, die Haken, geschwänzter, gestrichner Notenscharen!<br />
Ei sieh, ei sieh, Herr Moritz, das ist das schl<strong>im</strong>mste Zeichen:<br />
Mit ihren Locken spielend, welch keck, gewagt Vergleichen!<br />
Ach, diese blon<strong>de</strong>n Ringlein, so kraus zur Schulter fallend,<br />
Ein schlängeln<strong>de</strong>s Saitengeringel, <strong>de</strong>s Cellos Nacken blond umwallend!<br />
Ausfüllt die Lebensschale nicht Liebe zur Genüge!<br />
Ist Liebe fern, zu ihr führen all Steg’ und Straßenzüge;<br />
Ist Liebe nah, manch Pfadlein wird doch hinweg sich fin<strong>de</strong>n,<br />
Doch bangt nur nicht, bald wie<strong>de</strong>r wird sich’s zurück holdselig win<strong>de</strong>n.<br />
[36]<br />
____________<br />
Wie <strong>de</strong>r Merseburger Hofpoet gesungen haben wür<strong>de</strong>.<br />
Baß ist <strong>de</strong>r Regens Chori, <strong>de</strong>r Donner in Geigenwettern,<br />
Der Eichstamm, <strong>de</strong>n die an<strong>de</strong>rn Tonblumen schmiegsam umklettern,<br />
Der Riesenleib, <strong>de</strong>n die Rüstung memnon’schen Metalls umklingt,<br />
Neptunus, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Tonflut Rebellen mit <strong>de</strong>m Quos ego! zwingt.<br />
Und herrscht <strong>de</strong>r Baß als Kaiser, <strong>de</strong>r streng zu Recht erkennt,<br />
Darf stolz Baßgeige heißen ein fürstlich Instrument;<br />
Drum strich sie Herzog Moritz, strich sie in Freud’, in Sorgen,<br />
Strich sie <strong>im</strong> Schloß und Garten, strich sie am Abend und am Morgen,<br />
Dahe<strong>im</strong> zu eigner Freu<strong>de</strong>, <strong>im</strong> Dom zu Gottes Ehre,<br />
Strich sie bei langer Predigt, als ob’s ein Schnarchen wäre,<br />
Strich sie so stark und freudig, daß schwellend sich vom Schloß<br />
Wie Lan<strong>de</strong>ssegen über ganz Merseburg <strong>de</strong>r Klang ergoß!
20<br />
Und Segen ist <strong>im</strong> Lan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Fürst so fromm vergnüglich,<br />
Fürtrefflich sein Minister: geigt überaus vorzüglich!<br />
Im Takt ist’s gut arbeiten! ruft Gerber froh und Bräuer,<br />
Statt Silbers bringt <strong>de</strong>r Bauer ein Klümpchen Geigenharz als Steuer.<br />
Sonst wintert’s in <strong>de</strong>utschen Lan<strong>de</strong>n, Zugvögel westwärts fluten,<br />
Ihr Schwaben, scheu entsprungen <strong>de</strong>m Käfig und <strong>de</strong>n Ruten,<br />
Salzburger, Wan<strong>de</strong>rvögel, aus Alpenschlüften ziehend,<br />
Ein leuchtend Kreuz <strong>im</strong> Gefie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>svater Raben fliehend!<br />
Kursachsen, <strong>de</strong>ren Schwingen zum Meeresflug zu schwach,<br />
Die nebst Hufeisen, Talern <strong>de</strong>r starke August brach,<br />
Fleugt her in unser Ländchen, pickt keck und frei die Brocken!<br />
Und hört ihr nicht die Klänge, <strong>de</strong>s Finklers Weisen, lieblich locken?<br />
Statt Kämmerlings be<strong>im</strong> Herzog ein Fie<strong>de</strong>lstrich dich kün<strong>de</strong>,<br />
Ein Stradivari verfechte Bittschriften, statt <strong>de</strong>r <strong>Grün</strong><strong>de</strong>;<br />
Uns Dichtern welch ein Leben! Zensur ist todverblichen:<br />
Im Merseburger Amte wird gar nichts, als <strong>de</strong>r Baß, gestrichen.<br />
Des Herzogs Favorite, <strong>de</strong>m Seckel nicht zu teuer,<br />
Nur Kolophonium naschend, ein reizend Ungeheuer!<br />
Hochbusig, schwanenhalsig, gewölbt <strong>de</strong>r Hüften Masse,<br />
Französin nach <strong>de</strong>r St<strong>im</strong>me, <strong>de</strong>nn re<strong>de</strong>nd nur <strong>im</strong> rauhen Basse.<br />
[37]<br />
So vieler Reize Umfang hat Raum nicht in <strong>de</strong>r Karosse,<br />
Sie fährt <strong>im</strong> Erntewagen, davor vier stolze Rosse;<br />
Seht, wie sich Favorite und Gattin gut verstun<strong>de</strong>n,<br />
Die Herzogin hat selber mit Blumen ihr das Haupt umwun<strong>de</strong>n.<br />
Denn Liebe soll, wie Gottheit, bar aller Selbstsucht sein;<br />
Nicht sei gebannt die Andacht an Gottes Dom allein!<br />
Wohlauf zu Bergen und Talen! ihr müßt doch seiner <strong>de</strong>nken,<br />
Frisch in <strong>de</strong>n Wald! es könnte die Nachtigallen sonst noch kränken.<br />
Ein Priestertum, ein mil<strong>de</strong>s, übt auch die Liebe so,<br />
Die Lippe, die sie küßte, werd’ auch <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s froh,<br />
Der Arm, <strong>de</strong>r sie umschlungen, darf auch <strong>de</strong>n Pokal kre<strong>de</strong>nzen;<br />
Sie wird, was du liebst, lieben und Harfe dir und Becher kränzen.<br />
Und als ein rosig Kindlein die Herzogin geboren 9 ,<br />
Der Herzog prüft nicht lange die Äuglein, Nase, Ohren;<br />
Daß ganz es seinem Vater als echtes Kind sich zeige,<br />
Als Anrecht aus <strong>de</strong>m Jenseits mitbracht’ es eine kleine Geige.<br />
Und ist <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s Antlitz, drin sich <strong>de</strong>r Vater erkennt,<br />
Ein makelrein und lesbar geschriebnes Dokument,
21<br />
So ist das Kin<strong>de</strong>rgeiglein, von Mütterchen geschenkt,<br />
Des Fürstenwappens Kapsel, die an <strong>de</strong>m Pergamente hängt.<br />
____________<br />
Der Herzog bestellt sein Zeughaus und wirbt sein Heer.<br />
Und kam die erste Schwalbe, bald kommen nach die an<strong>de</strong>rn,<br />
So eine Geigenwallfahrt sah man zum Schlosse wan<strong>de</strong>rn,<br />
Da zogen hin sanglustig die Cremoneserinnen,<br />
Bassette, Bratsche, Gambe, mit Violon und Violinen,<br />
Viola auch d’amore, ach, ein entthronter Namen!<br />
Dann ihr Gefolg’ einst hol<strong>de</strong>r, jetzt längstvergeßner Damen,<br />
In Blusen und pappnen Panzern, geschleppt, geschleift, getragen,<br />
Die ein’ <strong>im</strong> Schiebekarren, die andre in Ministers Wagen.<br />
Anflogen da die gelben Sangvögel aus Tirol;<br />
Schalk Stainer hat verschlossen in ihres Busens Hohl<br />
Zugleich die Häherzunge, die Nachtigallenkehle,<br />
Daß jene <strong>de</strong>n Lehrling quäle, <strong>de</strong>r Meister diese neu beseele.<br />
[38]<br />
Wie einst um sich versammelt <strong>de</strong>r Welserin Gemahl<br />
Der Ahnen Rüstung, Waffen zu Ambras in <strong>de</strong>m Saal<br />
– Man hält noch wert Festbecher, drin edler Wein einst kochte:<br />
O daß zur Fürstenzwiesprach’ ein Herz noch in <strong>de</strong>n Panzern pochte! –<br />
So eint hier köstlich Rüstzeug <strong>de</strong>r Fürst zum Arsenale,<br />
Manch Werk Zeugschmieds Amati, Küriss’ aus Fichtenschale,<br />
Vom Patagonen Basso, vom Lapplandszwerg Sopran;<br />
Doch Sprache, Leben allen gibt eines Zauberstäbchens Bann!<br />
Die langen vollen Reihen besieht <strong>de</strong>r Herzog heiter:<br />
„Ein Marstall edler Hengste, doch fehlen noch die Reiter!“<br />
Horch, durch die Gassen hallend Gesänge, Tritte wogen!<br />
Mit Kränzen kommt und Bän<strong>de</strong>rn vom Land Rekrutenvolk gezogen.<br />
„Weit hinterm Berg ja wohnen die Türken und Korsaren!<br />
Hält Prinz Eugenius Wache, was ist uns zu befahren?<br />
Kommt Hagelschlag und Dürre, ihr könnt’s vom Land nicht wen<strong>de</strong>n!“<br />
Der Herzog spricht’s am Fenster und nickt und winkt mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n.<br />
Da kamen schlanke Bursche, die Freier <strong>de</strong>r Muskete,<br />
Der Fürst schnell Geig’ und Bogen in ihre Hän<strong>de</strong> drehte:<br />
„Da schultre mir, mein Junge, das Flintlein ring und rund!<br />
Das trägt in weite Ferne und drückt dir nicht die Achsel wund!“
22<br />
Mit Geigenharz die Kiste gibt er <strong>de</strong>n Grenadieren<br />
Und reicht die stattlichen Bratschen <strong>de</strong>n stämm’gen Kanonieren:<br />
„Nicht wer<strong>de</strong>n diese Granaten die Hand euch, platzend, sengen,<br />
Das Brummen dieser Kartaunen wird nicht das Ohrenfell euch sprengen.“<br />
Vorführt er dann das Cello <strong>de</strong>m Reitervolk mit Sporen:<br />
„Das wär’ ein feines Rößlein, ein Vollblut auserkoren!<br />
Das braucht nicht Streu und Hafer; nur aufgesessen munter!<br />
Es beißt nicht, und es schlägt nicht und wirft <strong>de</strong>n Reiter nicht herunter.“<br />
Nun ist das Heer gesammelt! Kommandoworte schallen!<br />
Die Rößlein scharren und wiehern, <strong>im</strong> Takt Fußvölker wallen,<br />
Kanonen rasseln und brummen; doch durch das Kampfgew<strong>im</strong>mel<br />
Ragt hoch <strong>de</strong>r Baß <strong>de</strong>s Herzogs, <strong>im</strong> Pulverdampf <strong>de</strong>s Feldherrn Sch<strong>im</strong>mel!<br />
[39]<br />
Es klirren von <strong>de</strong>n Salven die Merseburger Scheiben,<br />
Wie fernes Donnerrollen durchs Land die Klänge treiben.<br />
Doch nun die Schlacht geschlagen, <strong>de</strong>r Held belobt die Seinen<br />
Und freut sich still <strong>de</strong>s Sieges, <strong>de</strong>nn siehe – keine Mütter weinen. – –<br />
Es ist kein Glück vollkommen; wer hat, <strong>de</strong>r hätte noch gerne.<br />
Der Herzog, fast beklommen, erfleht von seinem Sterne:<br />
„O könnt’ ich mein noch nennen <strong>de</strong>n Zwerg, <strong>de</strong>n also kleinen,<br />
Daß er die Violine als Contrabaß strich’ zwischen <strong>de</strong>n Beinen!<br />
Und hätt’ ich einen Riesen, <strong>de</strong>n Anblick, Götter zu laben,<br />
Der Kontrabaß als kleine Armgeige kann handhaben!<br />
So wür<strong>de</strong> Laune, Mißklang, die in die Form <strong>de</strong>r Wesen<br />
Natur <strong>im</strong> Unmut legte, versöhnt durch Wesen auserlesen.<br />
Das Zwerglein mit <strong>de</strong>m Basse ein Größeres mir <strong>de</strong>ute!<br />
Klein Roland ist’s, nachschleppend das Riesenschwert als Beute;<br />
Die Hirtin, die begeistert <strong>de</strong>n Stab <strong>de</strong>s Marschalls schwingt.<br />
Groß wird <strong>de</strong>r Kleine, Schwache, <strong>de</strong>r kühn <strong>de</strong>s Starken Tat vollbringt.<br />
Der Riese mit <strong>de</strong>m Geiglein ein andres Bild mir zeigt:<br />
Aufs Knie <strong>de</strong>r große Bearner als Kin<strong>de</strong>rpferd sich neigt;<br />
Des Bauers Pflug ein Kaiser mit weißen Hän<strong>de</strong>n lenkt.<br />
Die Größe wird nicht schrecken, die sich zum Werk <strong>de</strong>s Kleinen senkt.<br />
„Die bei<strong>de</strong>n sind zwei Wellen, d i e senkend sich, d i e hebend,<br />
Doch bei<strong>de</strong> zurück zum Einklang <strong>de</strong>r Spiegelfläche strebend.<br />
O hätt’ ich bei<strong>de</strong> diese, daß mir kein Wunsch mehr bleibe<br />
Und mir mein Glücksstern wiese die ganze, helle Vollmondscheibe!“<br />
_____________
23<br />
Der Herzog meint die Harmonie zu fin<strong>de</strong>n.<br />
Ein Tag ist’s voll Verhängnis, Sonnaufgang rotentbrannt,<br />
Der Weichselzopf in Polen, die Pest <strong>im</strong> Türkenland,<br />
In allerlei Gestalten zerweht die Wolkenrän<strong>de</strong>r,<br />
Kometen, nicht am H<strong>im</strong>mel, berechnet doch <strong>im</strong> Hofkalen<strong>de</strong>r.<br />
Der Herzog mit <strong>de</strong>m Kanzler durch Wies’ und Feld lustwallte,<br />
Horch, aus <strong>de</strong>m hohen Grase ein Schrei, ein W<strong>im</strong>mern schallte:<br />
„O weh, in Urwaldsdickicht hab’ ich mich ganz verloren!<br />
Ach, Stamm an Stamm ohn’ En<strong>de</strong>! Weh mir zum Bärenfraß erkoren!<br />
[40]<br />
Daß ich sie nie gesehen, daß nie geliebt ich hätte!<br />
O daß ich nie verlassen <strong>de</strong>r Jugend sichre Stätte!“<br />
Aufhorcht gespannt <strong>de</strong>r Herzog, <strong>de</strong>r Kanzler spricht: „Ich mein’,<br />
Es wird nach Tagesmo<strong>de</strong> ein malkontenter Laubfrosch sein!“<br />
Der Herzog sucht <strong>im</strong> Grase; da sitzt auf einem Stein<br />
Ein Männlein bärtig, runzlig, doch wie ein Kind so klein,<br />
Nach Zollen nur zu messen, das weint gar bitterlich;<br />
Aufhebt <strong>de</strong>n Zwerg <strong>de</strong>r Herzog: „Wer bist du und von wannen? sprich!“<br />
„Ich war an Peters Hofe, <strong>de</strong>s Zaren, wohlgelitten, 10<br />
Es stand mein festes Schlößlein auf seiner Tafel mitten;<br />
Sie nannten es Pastete. Wie jubelten sie alle,<br />
Als ich, Goldfahnen schwingend, in ganzer Rüstung sprang vom Walle!<br />
Einst mir genüber glommen die Augen einer Dame,<br />
Nicht Augen! Lichtgestirne, Glutsonnen sei ihr Name!<br />
Verzückt stand ich, gezogen zu ihr von je<strong>de</strong>r Fiber,<br />
Doch, ach, ein See lag zwischen, See Suppenteller! Wie hinüber?<br />
Das sehend sprach Zar Peter: Bist du so liebesschmächtig,<br />
Will dir ein Bräutlein geben, ein Fest dir halten prächtig!<br />
Da wies ein klein Zwergdirnlein er mir, <strong>de</strong>m schönsten Manne!<br />
Die niedre Krüppelbirke anstatt <strong>de</strong>r höchsten, schlanksten Tanne!<br />
Nur Zwerge die Hochzeitgäste, großköpfige, höckrige Kerle!<br />
Und Zwerge die Musikanten, breitmäulige, dürre Schmerle!<br />
Truchseß und Festmarschälle Zwergkrabben ungestalte!<br />
Nur häßlich Zwerggesin<strong>de</strong>l, damit <strong>de</strong>r Schönste Hochzeit halte!<br />
Nun liebt, tanzt, musizieret nach <strong>de</strong>m Kommandostabe!<br />
Doch ich, die freie Seele, ich lief davon <strong>im</strong> Trabe;<br />
Hui, <strong>de</strong>m Kosakenpfer<strong>de</strong> flink an <strong>de</strong>n Schweif mich hängt’ ich,<br />
Wie <strong>de</strong>r Komet durch die Räume, durch Feld und Steppen sausend sprengt’ ich!
24<br />
So wandr’ ich fort, ein Opfer <strong>de</strong>r Lieb’ und Tyrannei,<br />
So kam ich her todmü<strong>de</strong> und steh’ zu Dienst euch frei.“<br />
Der Kanzler steckt mitleidig <strong>de</strong>n Kleinen in <strong>de</strong>n Sack,<br />
Der Herzog Moritz Wilhelm vor Freu<strong>de</strong>nunmaß fast erschrak.<br />
[41]<br />
„O Seligkeit, nun hab’ ich <strong>de</strong>n Zwerg, <strong>de</strong>n also kleinen,<br />
Der leicht die Violine als Baß streicht zwischen <strong>de</strong>n Beinen!“<br />
Er spricht es, wie von einer Lichtglorie umfangen;<br />
Es war von seinem Glücksmond das erste Viertel eingegangen.<br />
Sie wan<strong>de</strong>rn fröhlich weiter. Der Herzog plötzlich spricht:<br />
„Mich dünkt, am Gotthardsteiche <strong>de</strong>n Turm dort sah ich noch nicht!“<br />
„Es tut mir, Sereniss’me, zu wi<strong>de</strong>rsprechen leid,<br />
Kein Turm ist’s, nur Windmühle! die Flügel rührt’s ja bei<strong>de</strong>rseit!“<br />
„Sei’s Windmühl’ o<strong>de</strong>r Kirchturm, Entsetzen ist’s zu sehn!<br />
Denn seht, es regt sich, schreitet, auf uns scheint’s loszugehn!“<br />
Und <strong>im</strong>mer näher wallt es, hat Arme, Beine, Kopf<br />
Und steht vor ihnen endlich, ein Goliath mit steifem Zopf.<br />
Nach Ellen ist’s zu messen vom Scheitel bis zur Ferse,<br />
Langbeinig, wie hier <strong>im</strong> Lie<strong>de</strong> die <strong>Nibelungen</strong>verse;<br />
Sein Atem dröhnt, als blähten <strong>de</strong>r Orgel Bälge sich.<br />
Der Herzog ruft fast zitternd: „Wer bist du und von wannen? sprich!“<br />
„O! Kennt ihr nicht <strong>de</strong>n Jonas vom Reg<strong>im</strong>ent <strong>de</strong>r Langen?<br />
Ich komm’ auf Meilenstiefeln von Potsdam hergegangen,<br />
Vom König, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Riesen in Lieb’ und Huld geneigt,<br />
Nur nicht <strong>de</strong>m einen jungen, <strong>de</strong>m Riesen, <strong>de</strong>n er selbst gezeugt. 11<br />
Wie Finkler <strong>im</strong> Gehege, wie auf <strong>de</strong>r Beize Sperber,<br />
So locken Diplomaten, so packen uns die Werber:<br />
Wie Schlingen junge Füllen, so fangen uns Verträge,<br />
Daß nur <strong>de</strong>r Tritt von Riesen <strong>de</strong>n Staub am Haveldamm errege!<br />
Wozu dies Trommeln, Blitzen, dies Rasseln, Wallen, Dröhnen?<br />
Will er August entsetzen und Stanislaus dann krönen?<br />
Nein, er zerbrach das Zepter <strong>de</strong>m Weichling Staatsperücke<br />
Und hob zu Thron und Ehren <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n Steifzopf <strong>im</strong> Genicke!<br />
Schön war’s, zu sehn <strong>im</strong> Marsche die blauen Reihn <strong>de</strong>r Riesen,<br />
Als kämen die blauen Berge herabgewallt die Wiesen;<br />
Schön war’s, wie festgemauert die Fronte goldner Mützen,<br />
Als ragte eine Zeile Leuchttürme mit <strong>de</strong>n feurigen Spitzen.<br />
Der Glanz hat seine Schatten. Seltsam hat sich’s begeben,<br />
Der König kam uns mustern, als ich <strong>im</strong> Schenkhaus eben;
25<br />
[42]<br />
Zufall, daß ich bisweilen kein musikalisch Ohr<br />
Und mich <strong>de</strong>r Trommel Wecker umsonst vom Schlafe rief empor.<br />
Heißt’s Unstern nicht, daß gra<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Königs Blick sich wählte<br />
Zur Rast das einz’ge Knopfloch, an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Knopf mir fehlte?<br />
Da hat es sich getroffen, – o schwärzester Schicksalsbock! –<br />
Daß eben mich getroffen von Rohr <strong>de</strong>r königliche Stock.<br />
Der stand nicht <strong>im</strong> Kontrakte! Da macht’ ich mich von dannen<br />
Und steh’ euch hier zu Dienste, ein Opfer <strong>de</strong>s Tyrannen.“<br />
Den Stift schon n<strong>im</strong>mt <strong>de</strong>r Kanzler, <strong>de</strong>n Steckbrief aufzusetzen,<br />
Der Herzog Moritz Wilhelm doch ruft in freudigem Entsetzen:<br />
„Nun hab’ ich auch <strong>de</strong>n Riesen, – o Anblick, Götter zu laben! –<br />
Der Kontrabaß als kleine Armgeige kann handhaben!“<br />
Ohnmächtig all <strong>de</strong>r Wonne, sinkt er mit bleichen Wangen,<br />
Es war von seinem Glücksmond das letzte Viertel eingegangen.<br />
Der Riese lädt auf <strong>de</strong>n Rücken <strong>de</strong>n Herzog huckepack,<br />
Der Kanzler wallt daneben, das Zwerglein in <strong>de</strong>m Sack,<br />
Wie Baß- und Violaträger zur Stadt he<strong>im</strong>wan<strong>de</strong>ln sie,<br />
Selbst tragend und getragen, ein schönes Bild <strong>de</strong>r Harmonie.<br />
_________<br />
Der berühmte Chevalier von Pöllnitz am Merseburger Hofe. 12<br />
Das Bienlein ist gar fleißig, noch fleißiger <strong>de</strong>r Tourist,<br />
Nebst Honig sammelnd manches, was gar nicht Honig ist;<br />
Das Immlein je<strong>de</strong> Blume durchforscht, die lenzig blüht,<br />
Und jener jed Gehirne, das <strong>de</strong>nkt, und je<strong>de</strong>s Herz, das glüht.<br />
„Ich war an allen Höfen!“ Mit Recht es rühmen darf<br />
Der Chevalier von Pöllnitz, da man aus allen ihn warf;<br />
Er hat auch die Geschichte vom Zwerg in schnellster Frist<br />
Erhascht wie <strong>de</strong>n seltnen Falter und an <strong>de</strong>n Reisehut gespießt.<br />
Gen Mersburg wallend <strong>de</strong>nkt er: Ich will mich präsentieren<br />
Als Peters Abgesandter, das Zwerglein reklamieren;<br />
Mersburg wird mich traktieren und Rußland <strong>de</strong>korieren,<br />
Im Obdach unterm Eichbaum darf ich <strong>de</strong>r Eicheln Fall riskieren!<br />
[43]<br />
Der Herzog hat’s vernommen, er weiß sich kaum zu fassen:<br />
„Mein Zwerglein, kaum gewonnen, ich soll dich wie<strong>de</strong>r lassen!“
26<br />
Der Kleine spricht: „Verbergt mich in <strong>de</strong>s Thronh<strong>im</strong>mels Falten,<br />
Ein russisch Lied ihm singend, will ich statt Euch die Red’ ihm halten.“<br />
Der Frem<strong>de</strong> tritt zum Throne: „Ein Flüchtling fand hier Gelaß,<br />
He<strong>im</strong> sen<strong>de</strong>t ihn, zu wen<strong>de</strong>n von Euch <strong>de</strong>s Zaren Haß!“<br />
Doch von <strong>de</strong>m Thron hernie<strong>de</strong>r zu ihm die Antwort klingt:<br />
„Vern<strong>im</strong>m als unsern Ausspruch ein Lied, das <strong>de</strong>ine He<strong>im</strong>at singt:<br />
Held Dieterich von Bern saß auf Ravennas Throne, 13<br />
Da traten in <strong>de</strong>n Saal Gesandte frem<strong>de</strong>r Zone;<br />
Sie nannten Esthen sich, ein braunes Fell ihr Kleid,<br />
Am Hals ein beinern Bild <strong>de</strong>s Ebers ihr Geschmeid’;<br />
Ihr Festschmuck Keul’ und Bart, fürwahr seltsame Tracht<br />
Hier vor <strong>de</strong>s feinen Hofs Juwel- und Sei<strong>de</strong>npracht!<br />
Sie brachten als Geschenk von Bernstein volle La<strong>de</strong>n<br />
Und Linnen manch ein Stück vom allerfeinsten Fa<strong>de</strong>n:<br />
‚Sieh, was die Flur uns zollt, sieh, was die See uns lan<strong>de</strong>t<br />
In unsrem He<strong>im</strong>atland, daran das Ostmeer bran<strong>de</strong>t.<br />
Es ist so weit von hier, daß auf <strong>de</strong>r langen Reise<br />
Aus starken Männern wir fast wur<strong>de</strong>n schwache Greise.<br />
Doch Ruhm wallt weiter, als ein Menschenalter zog,<br />
In unsre Wäl<strong>de</strong>rnacht <strong>de</strong>in Ruhm wie Nordlicht flog!<br />
O woll’ auch unser Land mit <strong>de</strong>inem Purpur <strong>de</strong>cken,<br />
Uns Fürst sein, Hort und Schirm und unsrer Fein<strong>de</strong> Schrecken!’<br />
Drauf Dieterich <strong>de</strong>r Fürst: ‚Wenn auf <strong>de</strong>r langen Reise<br />
Aus starken Männern ihr gewor<strong>de</strong>n fast schon Greise;<br />
So käm’ ich, selbst ein Greis – seht meine weißen Haare –,<br />
Als Fürst in euer Land wohl nur auf meiner Bahre.<br />
Blieb’ eures Lands Tribut ich zu empfangen hier,<br />
Verzehrt’ als Reisegeld ihn euer Bote schier.<br />
Bis daß er kommt zu euch, ist längst mein voller Segen<br />
Ein loser Nebelhauch, statt frischer duft’ger Regen;<br />
[44]<br />
Bis euch die Rute trifft, die ich <strong>im</strong> Zorn erhoben,<br />
Ist sie ein totes Reis, verdorrt längst und zerstoben.
27<br />
Der Liebe Leben ist umfassen und beglücken,<br />
Des Hasses Wesen ist, zu treffen und zu drücken!<br />
Sonst ist <strong>de</strong>r Liebe Glut ein Hof am Mond, ein blasser,<br />
Sonst ist <strong>de</strong>s Hasses Schlag ein Wetterschlag ins Wasser!<br />
Wählt Sonn’ und Jovis Aar zu Fürsten <strong>im</strong>merhin,<br />
Sind sie auch etwas weit, doch näher, als ich bin;<br />
Als Segen trifft euch doch <strong>de</strong>r Sonne Strahlenpfeil,<br />
Als Fluch erreicht euch doch <strong>de</strong>s Adlers Wetterkeil.’<br />
So sprach <strong>de</strong>r Fürst zu <strong>de</strong>n Gesandten frem<strong>de</strong>r Zone,<br />
Doch dir auch, o mein Volk, sprach er zu Nutz und Lohne:<br />
‚Und lächelt dir <strong>de</strong>r Zar, nicht juble vor <strong>de</strong>r Zeit!<br />
Der H<strong>im</strong>mel ist gar hoch, <strong>de</strong>r Zare wohnt gar weit.<br />
Und zürnt <strong>de</strong>r Zare dir, sei’s dir kein großes Leid!<br />
Der H<strong>im</strong>mel ist gar hoch, <strong>de</strong>r Zare wohnt gar weit.’<br />
Pöllnitz, erstaunt, betroffen, starrt auf <strong>de</strong>s Herzogs Mund,<br />
Der, nicht die Lippen regend, doch spricht so schön, so rund!<br />
– Ich will’s euch wohl vertrauen, doch ihm verrat’ ich’s nicht:<br />
Es ist <strong>de</strong>s Herzogs Zwerglein, das aus <strong>de</strong>m Baldachine spricht. –<br />
Dem Tagebuch er abends bekennt: „Ich sah noch nie<br />
Wie hier zum Völkerglücke bei Fürsten solch Genie;<br />
Nicht nur kunstfert’ger Geiger, Bauchredner ist er auch,<br />
Der eine lange Balla<strong>de</strong> mir <strong>de</strong>klamierte durch <strong>de</strong>n Bauch!“ –<br />
So pfeift jedwe<strong>de</strong>r Vogel <strong>im</strong> Lenz sein Urteil los;<br />
Zaunkönig an <strong>de</strong>r Ecke sieht alles erstaunlich groß,<br />
Stoßfalke in <strong>de</strong>n Wolken sieht alles unendlich klein,<br />
Die Lerche zwischen bei<strong>de</strong>n mag bester Kritikus noch sein.<br />
[45]<br />
____________<br />
Etwas von <strong>de</strong>m alten Riesen Einheer.<br />
„Zurück gebt mir <strong>de</strong>n Jonas! Mord, Blitz und Donnerwetter!<br />
Sonst Krieg um ihn! Eu`r Lieb<strong>de</strong>n stets wohlgeneigter Vetter.“ –<br />
Den Brief <strong>de</strong>s Preußenkönigs <strong>de</strong>r Herzog liest, erblaßt,<br />
Doch kann er n<strong>im</strong>mer sich trennen von <strong>de</strong>m geliebten Riesengast.<br />
Weh, schon ein Preußenlager diesseit <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sgrenzen!<br />
Wie’s w<strong>im</strong>melt dort am Hügel! Welch Rufen, Fl<strong>im</strong>mern, Glänzen!
28<br />
Hört ihr’s in aller Frühe dort pelotonweis knallen?<br />
Nicht Flinten! Klei<strong>de</strong>rklopfer sind’s, die auf Uniformen fallen.<br />
Seht rege wie Kranichzüge die Reihn, – doch nicht zu Gefechten!<br />
Den Hauptmann hält am Zopfe, ihn regelrecht zu flechten,<br />
Der Fähndrich; <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Waibel, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gemeine dann,<br />
In ungemeßner Zeile, so fort und fort, <strong>de</strong>r Mann <strong>de</strong>n Mann!<br />
Staub hüllt und Rauch das Lager, Entsetzen <strong>de</strong>m Bauernvolke!<br />
Doch Pulver nicht, nur Krei<strong>de</strong>, Haarpu<strong>de</strong>r ist die Wolke,<br />
In die noch nicht gefahren, beseelend, zün<strong>de</strong>nd <strong>de</strong>r Blitz,<br />
Sie ballend zu Wetterschlägen, <strong>de</strong>r Feuergeist <strong>de</strong>s großen Fritz! –<br />
Sie spähn: kein Feind ist drüben! – Doch sieh, jetzt wird entrollt<br />
Die Merseburger Fahne, das schwarze Kreuz in Gold!<br />
Ein weißes Zelt daneben. Jetzt wirbelt Trommelschlag,<br />
Jetzt klingt <strong>de</strong>r Ton <strong>de</strong>r Geige, als ging’s zu Kirmes und Gelag’!<br />
Der Schütz an <strong>de</strong>r Kanone lädt scharf, visiert und ruft:<br />
„Nun hab’ ich auf <strong>de</strong>m Korne <strong>de</strong>n musikal’schen Schuft!<br />
Spottvogel mit <strong>de</strong>r Fie<strong>de</strong>l, dir sei <strong>de</strong>r erste Gruß!<br />
Gilt’s jetzt? Nach Takt und Noten die Kugel tanze, knalle <strong>de</strong>r Schuß!“<br />
Der Hauptmann n<strong>im</strong>mt das Fernrohr, erblaßt und spricht: „Halt ein!<br />
Das ist <strong>de</strong>r Riese Jonas, geheiligt sein Gebein. „<br />
Der König sprach: „Den Jonas schont, wenn ihr klopft die Sachsen;<br />
Bevor ihr fällt die Eiche, <strong>de</strong>nkt, wie so lang sie mußte wachsen!“<br />
Da rief ein junger Fähndrich: „Dort regt sich’s <strong>im</strong> Gesträuche;<br />
Gilt’s, renn’ ich Bajonette <strong>de</strong>n Fein<strong>de</strong>n in die Bäuche!“<br />
Der Hauptmann schaut durchs Fernrohr: „Ich seh’ allein <strong>de</strong>n Langen;<br />
Es sprach mein Herr und König: „Wer <strong>de</strong>m ein Härlein krümmt, soll hangen!“<br />
[46]<br />
Nun will ich selbst hinüber ins Fein<strong>de</strong>slager reiten,<br />
Daß sie aus Kriegesfähr<strong>de</strong>n entfernen <strong>de</strong>n Geweihten.“<br />
Er n<strong>im</strong>mt ein weißes Fähnlein und trabt zu Tal durchs Feld,<br />
Bis wo <strong>de</strong>r Riese Jonas gemächlich sitzt vor seinem Zelt.<br />
„Ist hier die Vorpostwache? Zum Offizier mich führe,<br />
Daß er mein Aug’ verbin<strong>de</strong>, Tambour das Zeichen rühre.“<br />
„Ich bin Vorposten, Trommler und Offizier zugleich!“<br />
Er legt ums Aug’ ihm die Bin<strong>de</strong> und schlägt die Trommel mit mächt’gem Streich.<br />
„So führe <strong>de</strong>nn zum Feldherrn und führe mich zum Heere!“<br />
„Ich bin das Heer und habe Feldherr zu sein die Ehre!“<br />
„Du bist wie Luft und Wolke, die keiner hascht und greift,<br />
Du bist wie die Sonnenscheibe, <strong>de</strong>r nie ein Blei das Schwarze streift.
29<br />
Dein Fürst hat, traun, <strong>de</strong>n besten Heerführer, wie ich seh’,<br />
Dem auf <strong>de</strong>n Wink gehorchen die Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Armee;<br />
Drum Meuterei <strong>de</strong>r Truppen droht ihm nicht, wenn er spricht:<br />
Das Heer soll sich ergeben!“ – „Fürwahr, das Heer ergibt sich nicht!“<br />
Der Hauptmann trabt von dannen, zähnknirschend, lachend, bei<strong>de</strong>s:<br />
„Ein Heer soll ich zermalmen und darf ihm tun kein Lei<strong>de</strong>s!<br />
Vernichtet’ ich’s, wär’ ewig <strong>de</strong>r Siegespreis verloren!<br />
Und zög’ ich he<strong>im</strong> als Sieger, wär’ ich zum Galgen erst erkoren!“<br />
Horch, Trommler-Pfeifersignale! He<strong>im</strong>wärts ziehn Wan<strong>de</strong>rflüge!<br />
He<strong>im</strong>wärts die Preußen wallen, geschloßne Kranichzüge!<br />
Und als er sah ihr Wan<strong>de</strong>rn, zog auch Herr Jonas he<strong>im</strong>;<br />
Ihn hält umarmt <strong>de</strong>r Herzog, ihn preist <strong>de</strong>r Hofpoet <strong>im</strong> Re<strong>im</strong>:<br />
„Es war ein starker Riese einst in uralten Tagen,<br />
Der fünf, sechs Feind’ am Spieße, wie fünf, sechs Hasen getragen;<br />
Weil wie ein Heer er mächtig, ward er Einheer genannt.<br />
Du neust <strong>de</strong>n Namen prächtig und galtst allein ein Heer <strong>de</strong>m Land.<br />
Dir schmiegt sich die gefeite Goldrüstung um die Len<strong>de</strong>n,<br />
Die noch kein Hieb entweihte, kein Kugelwurf darf schän<strong>de</strong>n.<br />
Du unverletzliche Eiche <strong>im</strong> heil’gen Hain <strong>de</strong>r Sachsen!<br />
Bevor sie falle <strong>de</strong>m Streiche, <strong>de</strong>nkt, wie so lang sie mußte wachsen.“<br />
[47]<br />
____________<br />
Der Herzog besiegt die Hydra <strong>de</strong>r Rebellion.<br />
Dem Schlosse gegenüber am Pult <strong>de</strong>r Anwalt sitzt,<br />
Ausbleiben die Gedanken, wie er <strong>de</strong>n Kiel auch spitzt.<br />
Traun, seltsam! Wie’s <strong>im</strong> Hirne ihm sonst gebärend kocht!<br />
Der Klempner unter ihm hämmert, <strong>de</strong>r Küfer neben ihm klopft und pocht!<br />
„Der Geigensturm vom Schlosse macht taumeln mich und schwin<strong>de</strong>ln,<br />
Erwürgt die Geisteskin<strong>de</strong>r mir schon in zarten Win<strong>de</strong>ln;<br />
Tyrannenlist, die freie Gedanken also jocht!“<br />
Der Klempner heut nicht hämmert, <strong>de</strong>r Küfer heut nicht klopft und pocht.<br />
Er steckt <strong>de</strong>n Kopf durchs Fenster: „Ihr lieben Nachbarsleut’,<br />
Ruht heut das fromme Handwerk und feiert Sonntag heut,<br />
Daß Hammer hält und Schlegel, kartäuserschweigsam, Frie<strong>de</strong><br />
Und nicht mit gewohntem Klange mir einwiegt die Gedankenschmie<strong>de</strong>?“<br />
Der Küfer ruft: „Vom Schlosse klingt’s so verst<strong>im</strong>mt, vertrackt;<br />
Will ich <strong>de</strong>n Schlegel schwingen, gleich bin ich aus <strong>de</strong>m Takt!“<br />
Der Klempner schreit: „Dies Fie<strong>de</strong>ln, mich bringt es noch von Sinnen!<br />
Wer mag sein stilles Handwerk mit innrer Sammlung da beginnen?“
30<br />
Zinngießer seufzt: „O Zeiten! Zum Bettel wird’s mich bringen!<br />
Lötharz kaum zu bestreiten! Die Geigen es ganz verschlingen!“<br />
Da stöhnt <strong>de</strong>r Stolz <strong>de</strong>s Weichbilds, <strong>de</strong>r Merseburger Brauer:<br />
„Dies Geigendonnerwetter macht mir das Bier <strong>im</strong> Keller sauer!<br />
Die Sage von <strong>de</strong>r Riesin Schildkröt’ ihr alle kennt,<br />
Die stumm zu Fall einst wühlte <strong>de</strong>s Domes Fundament;<br />
Jetzt hat <strong>de</strong>r Fürst die Schale mit Saiten ihr bespannt,<br />
Sie lebt und wühlt noch <strong>im</strong>mer und untergräbt das ganze Land!“ –<br />
Ein Mann aus welschen Lan<strong>de</strong>n wallt just vorbei die Stätte,<br />
Trägt auf <strong>de</strong>m Kopf Figuren von Gips auf einem Brette;<br />
Am Draht nickt je<strong>de</strong>r Schä<strong>de</strong>l, ja! ja! nickt Kopf und Schopf.<br />
Der Anwalt ruft: „Der Starke! Den ganzen Landtag auf <strong>de</strong>m Kopf!<br />
Ja ganz <strong>de</strong>r letzte Landtag! O neues Postulat:<br />
Den Hofzwerg ausstaffiere das Land mit Klei<strong>de</strong>rstaat! 14<br />
[48]<br />
Ihr gipsernen Lan<strong>de</strong>sväter, wollt ihr eu’r Brü<strong>de</strong>rlein,<br />
Das Zwerglein, neu beklei<strong>de</strong>n? Ihr nickt! Sagt endlich doch: Nein, nein!<br />
Da bringt Lauchstädt die Höslein, Schkeuditz die Schühlein gut,<br />
Das Röcklein steuert Lützen, Mersburg als Haupt <strong>de</strong>n Hut;<br />
Nun rechnet euren Anteil! O unerhörter Druck!<br />
O wär’s für Mausoleen, wär’s für <strong>de</strong>r Krieger Waffenschmuck!<br />
Wär’s für die Cosel, die seufzen tief unsre Nachbarn lehrt!<br />
So schöne Augensterne sind ja <strong>de</strong>s Seufzens wert;<br />
Doch Län<strong>de</strong>r auszupressen für solchen winz’gen Gecken!<br />
Merkt auf, es wird <strong>de</strong>n Enkeln <strong>de</strong>r Zwerg sich noch zum Riesen strecken!“<br />
Und: „Nie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Zwerge!“ und: „Nie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Basse!“<br />
Rief’s durch die Schar; wilddrohend drängt sich zum Schloß die Masse;<br />
Die Trepp’ empor mit ihnen zum Saal <strong>de</strong>r Anwalt steigt,<br />
Wo in <strong>de</strong>r Treuen Mitte zu Thron <strong>de</strong>r Herzog sitzt und geigt.<br />
Rings viel <strong>de</strong>r tapfern Fiedler! Am untern End’ <strong>de</strong>r Kleine,<br />
Der fest die Violine als Baß zwängt zwischen die Beine;<br />
Als Flügelmann <strong>de</strong>r Riese am an<strong>de</strong>rn En<strong>de</strong> droben,<br />
Der seinen Baß als kleine Armgeige spielend hält erhoben. –<br />
„In jenes Harfners Saiten lag solch blutdürst’ger Klang,<br />
Daß selbst <strong>de</strong>r fromme Erich in Wut nach Waffen sprang;<br />
So hat, o Fürst, das Dröhnen <strong>de</strong>r Geig’ in <strong>de</strong>iner Hand<br />
Dein Volk gehetzt zum Wahnsinn, daß zorngewaffnet es aufstand!“<br />
Der Anwalt glüht <strong>im</strong> Eifer, <strong>de</strong>r Herzog aber schweigt,<br />
Im Chore murrt die Menge, <strong>de</strong>r Herzog aber geigt.
31<br />
Er geigt ein Flageoletto, wie Wasser über Kieseln,<br />
Ihr hört das Bächlein wallen, durch Wiesen murmelnd rieseln;<br />
Kalt schau<strong>de</strong>rnd ziehn die Geiger die Beine auf die Stühle,<br />
Der Redner bangt <strong>de</strong>r Nässe, daß ihn das Fußbad überkühle. –<br />
„Dich schäme, so schön zu spielen! Philipp zum Sohn es sprach.<br />
Und Alexan<strong>de</strong>rs Laute Antigonus zerbrach:<br />
Dir ziemt ein Arm zum Herrschen, doch nicht zum Spiel <strong>de</strong>r Zither!<br />
Auch du, Fürst, dich ermanne und wirf <strong>de</strong>n Geigentand in Splitter!“<br />
[49]<br />
Der Anwalt sprüht’s <strong>im</strong> Eifer, <strong>de</strong>r Herzog aber schweigt,<br />
Im Chore murrt die Menge, <strong>de</strong>r Herzog aber geigt.<br />
Es plätschert sein Ligato, ein Gießbach, <strong>de</strong>ssen Gischt<br />
Sich jetzt zerstäubt an Felsen, jetzt durch <strong>de</strong>n Mühlgang zischt;<br />
Die kalten Fluten steigen <strong>de</strong>r Schar bis zu <strong>de</strong>n Bäuchen,<br />
Sie fühlt sich schwin<strong>de</strong>lnd, taumelnd, ergriffen von <strong>de</strong>s Mühlrads Speichen.<br />
Doch kreischt noch eine St<strong>im</strong>me: „Der Schmach ist’s allzuviel!<br />
Statt Zepters einen Bogen, statt Trommeln Saitenspiel!<br />
Die Hun<strong>de</strong> macht es bellen, doch schlägt es nicht die Türken;<br />
Laß einmal Fie<strong>de</strong>lbogen das Wun<strong>de</strong>ramt <strong>de</strong>s Schwertes wirken!“<br />
Der Anwalt spricht sich heiser, <strong>de</strong>r Herzog aber schweigt,<br />
Die Menge murmelt leiser, <strong>de</strong>r Herzog aber geigt.<br />
Und arpeggiando fallen die Geigen aller ein!<br />
Da bricht’s durch Fenster, Türen, wie Flutenschwall herein,<br />
Die Wellen sich überstürzen und bäumen sich, tosen und toben,<br />
Und Tisch’ und Stühle scheinen vom Wasser schaukelnd aufgehoben.<br />
Das ist ein Schrei’n und Flüchten! Zur Pforte welch Gedränge!<br />
Hinaus zur Türe ru<strong>de</strong>rt, Ertrinken<strong>de</strong>n gleich, die Menge.<br />
Die Stufen hinab welch Springen! Der Katarakt doch saust,<br />
Nachstürzend, hinab die Treppe, bis mählich er am Markt verbraust.<br />
Und Frie<strong>de</strong> war’s! Wie genesen vom Otternbiß das Rasen<br />
Des Kranken, <strong>de</strong>m die Flöte ward über die Wun<strong>de</strong> geblasen,<br />
So heilte <strong>de</strong>s Herzogs Geige <strong>de</strong>r Meutrer Fieberhitzen; –<br />
Die Neuzeit hat erfun<strong>de</strong>n dafür Pariser Feuerspritzen.<br />
___________
32<br />
Der Herzog bereist seine Staaten.<br />
„Soll’s, während wir hier geigen, <strong>im</strong> Land so übel stehn?<br />
O laßt, wie ich regierte, mich eignen Auges sehn!<br />
Den Schatz in<strong>de</strong>s bewahre Ries’ Einheer, Zwerg Laurin.“ –<br />
Der Fürst rollt mit <strong>de</strong>m Kanzler inkognito durchs Land dahin.<br />
Inkognito das heiße: Auf, Türen und Tore weit!<br />
Die Böller los und Glocken! Doch bergt, verhängt das Leid<br />
[50]<br />
Mit Blumen- und Mädchengirlan<strong>de</strong>n, betäubt’s mit Sang und Klang,<br />
Macht doppelt tief <strong>de</strong>n Bückling und eure Re<strong>de</strong>n doppelt lang!<br />
Der Fürst sah über Lützen verspätete Geier steigen:<br />
Nicht <strong>im</strong>mer regieren weise die Fürsten, die nicht geigen;<br />
Er sah es, wie in Lauchstädt bei hallischer Musen Sang<br />
Natur, <strong>de</strong>r Ärzte bester, <strong>de</strong>n Kelch voll schäumen<strong>de</strong>n Heilborns schwang;<br />
Er sah in <strong>de</strong>r „Goldnen Aue“ das Meer von Saaten wogen,<br />
Ein Bild bescheidnen Reichtums: Fruchtbäume, von Last gebogen,<br />
Die Rebe, Sü<strong>de</strong>ns Flüchtling, an Fenster um Einlaß klopfen,<br />
Stolz mißt von luft’ger Stange sie, <strong>de</strong>r hier König ist, <strong>de</strong>r Hopfen;<br />
Um Schkeuditz die schönen Forste voll Tannen hoch und schlank,<br />
Dank! sang vom Turm die Glocke, das Glöcklein <strong>de</strong>r Trift klang Dank!<br />
In Lüften pfiff die Lerche, <strong>im</strong> Korn das Bäuerlein;<br />
Der Fürst rief: „Du regierest fürtrefflich, goldner Sonnenschein!“<br />
Volksjubel aller Orten, sich sonnend in Fürstenhuld!<br />
O Eloquenz <strong>de</strong>r Schulzen, o fürstliche Geduld!<br />
Der Bürgermeister die Schlüssel darbringt auf Kissen und Teller,<br />
Und hat die Stadt nicht Tore, vergold’te Schlüssel sind’s vom Keller.<br />
Umrankt von Arabesken ein heitres Dichterlied<br />
Scheint’s, wenn durch Ehrenporten <strong>de</strong>r Herzog lächelnd zieht,<br />
Ganz weiß, ihm Blumen streuend viel Kindlein drängen herein,<br />
Der Herzog <strong>de</strong>nkt zufrie<strong>de</strong>n: Ich muß doch kein Hero<strong>de</strong>s sein! – –<br />
Bei Dölitsch stehn auf <strong>de</strong>r Höhe drei Lin<strong>de</strong>n alt und breit,<br />
Im Frei’n hier hielten Landtag die Männer alter Zeit;<br />
Da will <strong>de</strong>r Herzog rasten, er sinnt und schaut zu Tale,<br />
Saatfel<strong>de</strong>r, Auen, Triften reiht an ihr Band, wie Perlen, die Saale:<br />
„Wie kommt’s, daß diese Bäume <strong>de</strong>n Menschen überdauern<br />
Und seine flieh’n<strong>de</strong>n Geschlechter und seine fallen<strong>de</strong>n Mauern?<br />
Hat, Demut uns zu pred’gen, <strong>de</strong>r Herr sie aufgestellt?<br />
Wie, o<strong>de</strong>r einst zu Zeugen, gedächtnisstark, wenn Gericht er hält?
33<br />
Wie dort <strong>de</strong>s Stromes Wellen, so ihnen vorüberrauschen<br />
Jahrhun<strong>de</strong>rte voll Taten! Sie aber stehn und lauschen;<br />
Die Knospenaugen sehen, <strong>im</strong> Stamme wohnen Seelen,<br />
Was ihnen vorbeigeschritten, sie wer<strong>de</strong>n’s wie<strong>de</strong>r einst erzählen!<br />
[51]<br />
Ein schön Beraten, ihr Alten, war’s hier <strong>im</strong> Lin<strong>de</strong>nzelte,<br />
Frei vor <strong>de</strong>m H<strong>im</strong>mel, <strong>de</strong>r helfe, frei vor <strong>de</strong>m Land, <strong>de</strong>m’s gelte!<br />
Redfreiheit schützt <strong>de</strong>r Panzer, ans Schwert greift flink <strong>de</strong>r Zorn;<br />
Die Sonne lächelt schweigend: es wächst die Tanne, es reift das Korn.<br />
Flohn wir, ihr Licht nur scheuend, zum Rat in dunkle Kammer?<br />
Heilt schneller <strong>de</strong>r geschriebne, als <strong>de</strong>r gesprochne Jammer?<br />
Die Motte frißt die Lettern, die Liebe schrieb, die Zorn;<br />
Die Sonne lächelt schweigend: es wächst die Tanne, es reift das Korn.<br />
Heil dir, weckt, wie ihr Leuchten, Wohlwollen <strong>de</strong>ine Saaten!<br />
Weh dir, wenn <strong>de</strong>ine Mißgunst verhagelt Ke<strong>im</strong>e <strong>de</strong>r Taten!<br />
Den Weltgang wird’s nicht irren, ist Hemmnis nicht, noch Sporn;<br />
Die Sonne lächelt schweigend: es wächst die Tanne, es reift das Korn.<br />
Soll ich <strong>de</strong>n Berg durchbohren, <strong>de</strong>r mir <strong>de</strong>n Weg umrän<strong>de</strong>rt,<br />
Die Bahn <strong>de</strong>s Stromes kürzen, <strong>de</strong>r frei <strong>im</strong> Tale schlen<strong>de</strong>rt?<br />
Das hieß’ in Gottes Werke die Fehler bessern wollen;<br />
Daß ich sie nicht verschl<strong>im</strong>mre, mag stehn <strong>de</strong>r Berg, <strong>de</strong>r Strom mag rollen!<br />
Mir ist’s, als wehte vom H<strong>im</strong>mel ein Blatt mir in <strong>de</strong>n Schoß<br />
Ganz weiß, daß drauf ich schreibe ein Wort, doch wichtig, groß!<br />
Schreib’ ich das Wörtlein: Liebe? Haß will doch auch sein Recht!<br />
Lieb’ allem Edlen, Schönen! Haß allem, was gemein und schlecht!<br />
Mensch? Schreib’ ich’s mit Lettern von Staube, wär’s nicht ein dreist Anmaßen?<br />
Gott? Schreib’ ich mit Lichtbuchstaben ihn, <strong>de</strong>n ich nicht kann fassen?<br />
Das Blatt blieb’ unbeschrieben, <strong>de</strong>n Win<strong>de</strong>n gäb’ ich’s preis!<br />
So wahrt’ ich’s frei von Makel, he<strong>im</strong>flög’ es fleckenrein und weiß.<br />
Doch Heil <strong>de</strong>m gewalt’gen Arme, <strong>de</strong>r in das Weltrad greift,<br />
Es hemmend o<strong>de</strong>r treibend, bis ihn’s zermalmt und schleift!<br />
Der Schöpfergeist ist’s selber, <strong>de</strong>r sich in ihm verjüngt<br />
Und, Gutes bessernd – schaffend, zerstörend – nur nach Vollendung ringt.<br />
Den neuen Bau zu türmen fühl’ ich <strong>de</strong>n Arm zu schwach;<br />
Möcht’ er <strong>de</strong>n alten schirmen getreu vor Fall und Schmach!<br />
Getrost lass’ ich <strong>de</strong>s Zepters Gewicht Statthaltern zwei’n:<br />
Dir, freie Menschenseele, dir, ew’ger, warmer Sonnenschein!“<br />
[52]
34<br />
Der Herzog wallt zu Tale. – Dort aus <strong>de</strong>r Kirche schreitet<br />
Ein Brautpaar; arme Leute, nicht von Musik begleitet.<br />
„Wie? stumm, verwaist von Klängen, ein hochzeitlicher Zug?<br />
Zu bessern <strong>de</strong>inen Fehler, Herr, ist mein Arm jetzt stark genug!“<br />
Der Herzog n<strong>im</strong>mt die Geige, er streicht sie frei und stark,<br />
In aller Blick fährt Freu<strong>de</strong>, und Freu<strong>de</strong> durchbebt ihr Mark!<br />
Der Zweig <strong>im</strong> Haar <strong>de</strong>s Bräutchens hat neuen Duft und Glanz,<br />
Im Reigen sich schwingen die Gäste, ein lebend gewordner Blumenkranz!<br />
Es wiegen sich die Klänge <strong>im</strong> klaren Vollmondschein,<br />
Sie stiegen empor die Hänge bis zu <strong>de</strong>n Lin<strong>de</strong>n drei’n,<br />
Die lauschen und die rauschen, als ob sie hätten Seelen;<br />
Was heute sie erlauschen, sie wer<strong>de</strong>n’s weiter noch erzählen.<br />
_____________<br />
Hier wird Spielzeug verfertiget.<br />
O Fürst, <strong>de</strong>in Dichter könnte, da eben du auf Reisen,<br />
Mit seinem Stab die Pforten zu unterird’schen Gleisen<br />
Dir öffnen und dich führen in <strong>de</strong>ines Geschickes Schmie<strong>de</strong>;<br />
Doch will kein Glück er stören, – oft mit <strong>de</strong>m Wissen flieht <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>. –<br />
In <strong>de</strong>r kristallnen Grotte tief <strong>im</strong> Verlies <strong>de</strong>r Berge,<br />
Da wohnen gute Geister, die Kobol<strong>de</strong>, die Zwerge,<br />
Die einst mit Menschen lebten, <strong>de</strong>m Knecht die Lasten trugen,<br />
Dem Ritter die Rüstung schleppten, <strong>de</strong>n Streithengst ihm mit Gold beschlugen;<br />
Die seinen Töchtern spannen das feinste Haar vom Rocken,<br />
Die Kin<strong>de</strong>rn Spiele lehrten und kämmten die gelben Locken;<br />
Ach, daß wir sie erzürnten mit Spott, unedlem Necken!<br />
Ach, daß wir sie verscheuchten mit Kreuzeschlagen und Weihbrunnbecken!<br />
Wie Liebe, unerwi<strong>de</strong>rt, noch heißer glüht <strong>im</strong> Brand,<br />
So lieben sie Menschenkin<strong>de</strong>r noch treu, wenn auch verbannt,<br />
Für die nur schafft und rasselt die Werkstatt in <strong>de</strong>m Berge<br />
Und hämmern, brau’n und raspeln, polieren und feilen Kobold’ und Zwerge.<br />
[53]<br />
Der schnei<strong>de</strong>t Talismane, <strong>de</strong>r schmilzt <strong>im</strong> Tiegel Metalle,<br />
Der schnitzelt köstlich Spielzeug aus Gold und Bergkristalle;<br />
Kunstproben aufgespeichert in Kasten rings und La<strong>de</strong>n,<br />
Ein unterirdisch Nürnberg, ein geisterhaftes Berchtesga<strong>de</strong>n!<br />
Und sengen <strong>de</strong>m und jenem <strong>de</strong>n Bart die Grubenlichter,<br />
Verzerren sie die häßlich-gutmütigen Gesichter,
35<br />
Doch <strong>im</strong>mer sprüht die Esse, und <strong>im</strong>mer donnert die Schmie<strong>de</strong>,<br />
Doch <strong>im</strong>mer rasseln die Rä<strong>de</strong>r, und rührig rauscht das Werk zum Lie<strong>de</strong>:<br />
„Weh, daß wir, Geisteraugen, durchschauend Tiefe und Höhe,<br />
Nur dunkeln sehn die Ferne, nur mo<strong>de</strong>rn sehn die Nähe!<br />
Weh, daß so schlecht die Blumen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> Verwesung <strong>de</strong>cken,<br />
Weh, daß so schlecht die Sterne <strong>de</strong>s H<strong>im</strong>mels Trostlosigkeit verstecken!<br />
Weh, Mensch, daß du geboren! Vor unsres Auges Strahlen<br />
Liegt bar <strong>de</strong>in armes Leben, Elend, erkauft durch Qualen! –<br />
Daß von <strong>de</strong>s Seins Entsetzen er ab sein Auge wen<strong>de</strong>,<br />
O Schacht, mit <strong>de</strong>inen Schätzen, mit <strong>de</strong>inem Flitter mild ihn blen<strong>de</strong>!“<br />
So singen sie und schaffen; es tosen Speichen und Scheiben!<br />
Die Splitter und die Späne, die von <strong>de</strong>r Drehbank stäuben,<br />
Demantenschutt und Goldstaub, fängt auf <strong>im</strong> Schurz die Naja<strong>de</strong>,<br />
Genug, zu kaufen alle die Königreiche <strong>de</strong>r Gesta<strong>de</strong>.<br />
Und hat vollen<strong>de</strong>t einer sein Spielzeug, sein Geschmei<strong>de</strong>,<br />
Fort trägt er’s, selbst unsichtbar, zu köstlicher Augenwei<strong>de</strong>,<br />
Dorthin, wo drauf recht helle die Sonnenstrahlen zielen,<br />
Zur großen Blumenwiese, auf <strong>de</strong>r die Menschenkin<strong>de</strong>r spielen.<br />
Recht, wie <strong>de</strong>n Balg ein Jüdlein, weiß er’s zu drehn, zu wen<strong>de</strong>n,<br />
Daß Kin<strong>de</strong>raugen sein Kleinod bald locken muß und blen<strong>de</strong>n,<br />
Bis sich’s ein Kind erhaschte! Doch das gibt’s n<strong>im</strong>mer frei:<br />
In<strong>de</strong>s das Aug’ ihm’s fesselt, zieht ungesehn sein Leid vorbei.<br />
Dem schlichten Kin<strong>de</strong>rtrosse gemeine Rößlein von Stecken,<br />
Doch manche von Bän<strong>de</strong>rn flatternd, und andre bunte Schecken;<br />
Doch alle rennen und springen, – <strong>de</strong>r Reiter sieht <strong>im</strong> Fliegen<br />
Den Jammer nicht am Wege, bis Roß und Mann <strong>im</strong> Graben liegen.<br />
Doch schönen, klugen Kin<strong>de</strong>rn gibt’s schöne feine Sachen!<br />
Dort läßt ein Kobold fliegen Kometen aus Rauschgolddrachen,<br />
Ein Kind erfaßt <strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>n, schaut <strong>im</strong>mer ihm nach in die Sterne:<br />
Dem Bild grau’nvoller Nähe entfloh sein Blick in gleißen<strong>de</strong> Ferne.<br />
[54]<br />
Von Gold <strong>de</strong>n Apfel schleu<strong>de</strong>rt ein andrer unter die Kleinen,<br />
Des Apfels Stiel ein Kreuzbild, die Wangen von E<strong>de</strong>lsteinen;<br />
Drum balgen sich die Knaben, – ihn faßt ein Königskind:<br />
Der Glanz quillt um sein Auge, für Er<strong>de</strong>njammer nun selig-blind!<br />
Der hascht die Silberflöte; ihr Klang ihn süß bezwingt,<br />
Daß ungehört <strong>de</strong>s Schmerzes Wehklagen ihm verklingt;<br />
Der dort sich in <strong>de</strong>s Prismas Glutfarbenspiel verschaut,<br />
Sieht nicht <strong>de</strong>s Lebens Töne ringsum erstorben und ergraut.
36<br />
Ein Kobold wirft in die Lüfte ein goldnes Vögelein,<br />
Rubine sind die Flügel, Demanten die Äugelein;<br />
Es zwitschert und singt so lieblich das Vöglein Poesie,<br />
Da lauscht und lauscht ein Knabe, – <strong>de</strong>m eignen Elend horcht er nie.<br />
Auf einem blanken Stahlschild <strong>im</strong> Traum liegt einer <strong>de</strong>r Knaben,<br />
Triumphe, Kriegerzüge sind kunstvoll drauf gegraben;<br />
Sein Aug’ sieht nur <strong>im</strong> Glanze <strong>de</strong>s Ruhms Gestalten schreiten,<br />
Geschlossen <strong>de</strong>n Trauerzügen, die bleich an ihm vorübergleiten.<br />
Mit Kichern und mit Lachen he<strong>im</strong> zu <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>r Scharen<br />
Kam von <strong>de</strong>r Blumenwiese ein Kobold einst vor Jahren:<br />
„Goldgeiglein, das ich formte <strong>de</strong>m Fiedlersohn zur Spen<strong>de</strong>,<br />
Fiel heut <strong>im</strong> wirren Gedränge in eines Fürstenkin<strong>de</strong>s Hän<strong>de</strong>!<br />
Doch ihm auch soll’s gefallen und nützen bis zur Bahre,<br />
Sein Ohr und Aug’ bezaubern, daß ihm’s zu sehn erspare<br />
Des eignen Stamms Erlöschen, <strong>de</strong>r dunklen Mächte Wallen,<br />
Des <strong>de</strong>utschen Sternes Sinken, <strong>de</strong>s großen Vaterlands Zerfallen!“<br />
__________<br />
Eine Vision. Die Saiten klingen aus.<br />
Der Sturzbach einst <strong>im</strong> Fallen wird festgebannt zu Eis,<br />
Dem grünen Baum entwallen treulos die Blätter leis,<br />
Des Meisters Hän<strong>de</strong>, mü<strong>de</strong>, herab die Harfe gleiten,<br />
Nachdröhnen still und stiller, bis sie verstummen ganz, die Saiten.<br />
Es lehnt <strong>im</strong> Sorgenstuhle <strong>de</strong>r Herzog schwach und krank,<br />
Sein Haupt am Halse nie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Favorite sank;<br />
Der Zauber ihrer St<strong>im</strong>me verflutet in <strong>de</strong>n Räumen<br />
Und singt ihn leis in Schlummer und wiegt ihn in ein süßes Träumen.<br />
[55]<br />
Die Klänge scheinen Wellen, verspülend an die Küste,<br />
Das Saitengedröhn Orkane, durchjagend <strong>de</strong>s Meeres Wüste;<br />
Der Geige Hohl durchschauert ein he<strong>im</strong>lich Knistern, Beben,<br />
Wie eine Riesenpuppe spürt sie Entfaltungsdrang und Leben.<br />
Zum Schiffe wird die Geige, ihr Bo<strong>de</strong>n wird zum Kiele,<br />
Ein Ruck, da schwankt’s vom Stapel auf glattgeseifter Diele!<br />
Vom Land jauchzt Jubel! Freudig Okeanos aufspringt,<br />
Schlägt Felsenbecken als Z<strong>im</strong>beln; Posaunenstoß, Meerorgel klingt!<br />
Das Schiff schw<strong>im</strong>mt stolz <strong>im</strong> Meere mit Flanken und Bastionen,<br />
Der Hals streckt sich zum Mastbaum, die Schrauben sind Kanonen,
37<br />
Vor[n]über legt als Bugspriet sich keck <strong>de</strong>r Fie<strong>de</strong>lbogen,<br />
Die Saiten wer<strong>de</strong>n Taue, Griffbrett das Steuer in <strong>de</strong>n Wogen.<br />
Die Anker auf! Ein tücht’ger Schnellsegler ist die Fregatte,<br />
Daß bald <strong>de</strong>s Festlands Anblick <strong>de</strong>r Ozean bestatte!<br />
Nun rings nur Flut und H<strong>im</strong>mel! Die Sterne sinken und steigen,<br />
Die Wellen fliehn und kommen; ringsum ein tiefes, ew’ges Schweigen.<br />
O sieh, Fata Morgana, schwingst du hier Zauberruten?<br />
Es taucht ein grünes Eiland urplötzlich aus <strong>de</strong>n Fluten!<br />
Doch aus <strong>de</strong>n Büschen klingen auch St<strong>im</strong>men und Gesänge<br />
Von nie geschauten Vögeln, doch lauter wohlbekannte Klänge!<br />
Sieh, mächt’ge Ahornhaine mit breiten Blättern sprießen<br />
Und Fichten, <strong>de</strong>ren Na<strong>de</strong>ln die Wolkenkissen spießen,<br />
Auch Pernambukos Sträucher mit krummgebeugtem Schafte,<br />
Seltsamer Form dazwischen <strong>de</strong>r Ebenbaum, <strong>de</strong>r fabelhafte.<br />
Und Elefantenru<strong>de</strong>l scheu durch die Büsche rasen,<br />
Milchweiße schöne Rosse mit Lämmern auf Triften grasen.<br />
Doch jetzt zerstob’s! – Der Geige war’s nur ein Wi<strong>de</strong>rschein,<br />
Zu <strong>de</strong>ren Bau gesteuert Lamm, Pferd, Olfant, Gehölz und Hain.<br />
Forttost das Schiff <strong>im</strong> Meere, von Well’ und Wind getragen,<br />
Der Herzog lehnt am Maste, das All möcht’ er befragen:<br />
„Soll, die ich überall suche, ich nirgend fin<strong>de</strong>n, nie?<br />
Wohin bist du geflüchtet, du all mein Sehnen, Harmonie?“<br />
Auftauchen, Muscheln blasend, <strong>im</strong> Binsenkranz Tritonen<br />
Und singen<strong>de</strong> Sirenen mit grünen Lockenkronen:<br />
„Auch wir, auch wir sie suchen!“ Der Fürst hört nur dies Wort,<br />
Dann hält er zu die Ohren: „Ei sucht nur noch ein Weilchen fort!“<br />
[56]<br />
Da rief <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Sturmes: „Ich auch, ich suche sie!<br />
Wenn Flotten ich zertrümmre, zum Abgrund Türme zieh’,<br />
Wenn ich das Segel reiße, wie ein Libell, entzwei<br />
Und Felsen rüttle, – zweifelt, daß Harmonie die Kraft nur sei!“<br />
Da kamen mildre Geister: Windstille, Westhauch, Brise;<br />
Sie gossen Öl aus Krügen, das Meer schien eine Wiese,<br />
Sie sangen süß <strong>im</strong> Chore: „Wir auch, wir suchen sie!<br />
Wir helfen, heilen, schmeicheln; ist <strong>de</strong>nn nicht Liebe Harmonie?“<br />
Der Geist <strong>de</strong>s Wirbelwin<strong>de</strong>s rief aus <strong>de</strong>r Wasserhose:<br />
„Was nütze jenes Toben, was helfe dies Gekose?<br />
Herabzieh’ ich die Wolke, das Meer empor ich zieh’,<br />
Zusammenschraub’ ich bei<strong>de</strong>: Vermittlung nur ist Harmonie!“
38<br />
Da kam die Nacht und legte um je<strong>de</strong>s Aug’ die Bin<strong>de</strong>:<br />
„Willst du <strong>im</strong> Geiste schauen, <strong>de</strong>in irdisch Aug’ erblin<strong>de</strong>!<br />
Sie kommt, wenn du nicht suchest; nicht suchend – such’ ich sie.<br />
Stark e i n Sinn, tot die an<strong>de</strong>rn! Bewußtlos findst du Harmonie!“<br />
Jetzt blen<strong>de</strong>nd hell wird’s plötzlich! Anstürmen aus aller Ferne<br />
Kometen mit brennen<strong>de</strong>r Schleppe, Laternenknaben Sterne,<br />
In goldner Rüstung Sonne, pfeilschleu<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Amazone,<br />
Nordlicht <strong>im</strong> wallen<strong>de</strong>n Purpur, am Haupt die funkeln<strong>de</strong> Islandskrone;<br />
Auch Mond, <strong>de</strong>r bleiche Jüngling, schwärmend für Licht und Recht,<br />
Manch irdisch Feuer: auf Er<strong>de</strong>n gefallnes Engelgeschlecht;<br />
Die Fackeln sprühn und prasseln! „Wir auch, wir suchen sie!<br />
Im Licht ward sie geboren! Bewußtsein nur ist Harmonie!“ – –<br />
Herr Moritz fühlt sich gehoben, entrückt <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>nsphäre,<br />
Sein Schiff, es ist verwan<strong>de</strong>lt zur leichten Mongolfiere;<br />
Nicht mehr durch grüne Wogen, durch Wolken geht sein Schiffen,<br />
Durchs blaue Meer <strong>de</strong>s H<strong>im</strong>mels, vorbei <strong>de</strong>r Sterne goldnen Riffen.<br />
Tief unter ihm die St<strong>im</strong>men <strong>de</strong>r Welt zusammenschlagen,<br />
Was sie vereinzelt suchen, sie all vereint es tragen!<br />
Selbst Schweigen ward nur Pause, Mißklang zur Note hie;<br />
Ein süßes Tongebrause: „Der Ganzheit All ist Harmonie!“<br />
Emporgeht’s rasch <strong>im</strong> Fluge zu sonnigen Strahlenstätten;<br />
Sieh da, schon Cherub<strong>im</strong>e, die h<strong>im</strong>mlischen Ve<strong>de</strong>tten!<br />
[57]<br />
Leiblose Flügelköpfchen! – „Mein Weib, du sahst noch nie<br />
So allerliebste Fächer!“ – Sie aber singen: „Wir fan<strong>de</strong>n sie!“<br />
Herr Moritz <strong>de</strong>nkt: das sollte mich wun<strong>de</strong>rn übermaßen,<br />
Euch fehlen ja die Händchen, ein Saitenspiel zu fassen! –<br />
Doch <strong>im</strong>mer steigt er höher, und <strong>im</strong>mer fliegt er schneller,<br />
Und <strong>im</strong>mer tönt es süßer, und <strong>im</strong>mer wird es heller, heller.<br />
Sieh nun, aus Sanzios Bil<strong>de</strong> die h<strong>im</strong>mlische Musika:<br />
Die lockigen Seraph<strong>im</strong>e, <strong>de</strong>n Bogen führend, da!<br />
Zum goldgewölbten Basse das Haupt verklärt sie neigen:<br />
Das ist die heilige Stelle, allda <strong>de</strong>r H<strong>im</strong>mel hängt voll Geigen.<br />
Begeistert lenkt am Pulte die Meisterschar <strong>de</strong>r Frommen<br />
Jubal, von <strong>de</strong>m die Geiger und Pfeifer all herkommen;<br />
Dabei manch einst Verkannter! Nicht dacht’ er hier zu fin<strong>de</strong>n<br />
Des Hirten Flöt’ aus Schilfrohr, <strong>de</strong>s Dorfes Fiedler auch, <strong>de</strong>n Blin<strong>de</strong>n!<br />
Cäcilia in die Tasten <strong>de</strong>r Orgel mächtig greift,<br />
Sankt Peter selbst <strong>im</strong> Takte auf seinen Schlüsseln pfeift,
39<br />
Posaunen führen jene und Z<strong>im</strong>beln, Harfen die;<br />
Ein Ozean <strong>de</strong>r Töne: „Wir fan<strong>de</strong>n sie, wir fan<strong>de</strong>n sie!“<br />
Der Sinn Herrn Moritz schwin<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn lichter ward’s und lichter;<br />
Sein Aug’ von Glanz erblin<strong>de</strong>t, er fühlt’s: nah ist sein Richter!<br />
Geblen<strong>de</strong>t und vernichtet sinkt er in sich und spürt,<br />
Wie ihm ein feuriger Finger das Haupt, das Herz, die Hand berührt.<br />
Berührt hat’s seine Stirne: – ein h<strong>im</strong>mlisches Kopfschütteln!<br />
Er sieht <strong>de</strong>r Strahlenlocken fast unzufriednes Rütteln;<br />
Berührt hat’s nun sein Herze: – sieh ein befriedigt Lächeln!<br />
Er fühlt <strong>de</strong>r Lichtflut Wellen, Glanzfittige, heitrer ihn umfächeln.<br />
Nun ihm’s die Hand berührte, hört’ eine St<strong>im</strong>m’ er sagen:<br />
– Der Ton schien’s seines Lehrers aus fernen Kin<strong>de</strong>rtagen! –<br />
„Die Hand blieb ohne Makel! Als Sternbild rage sie<br />
Inmitten Harf’ und Lyra – und bei<strong>de</strong>r Saiten schlage sie!“ – –<br />
_________<br />
„Laßt uns <strong>de</strong>n Leib begraben!“ So sang ein Trauerzug<br />
Im Merseburger Dome. Die schwarze Bahre trug<br />
Den Herzogshut <strong>de</strong>s Toten. Falsch klang die Melo<strong>de</strong>i;<br />
Ist’s, weil erstickt von Tränen? Ist’s, weil <strong>de</strong>r Meister nicht mehr dabei?<br />
[58]<br />
Längst ruht er bei <strong>de</strong>n Seinen. – Die du aus Erz und Stein<br />
Denkmale türmst, o Nachwelt, ist dir mein Held zu klein?<br />
Laß ihn <strong>im</strong> Standbild ragen, wie lebend mit <strong>de</strong>m Basse:<br />
Zum ersten Male wäre gehau’n <strong>de</strong>r Baß in Marmors Masse.<br />
Heiß einen Steinblock wälzen die Bergeswächter Zwerge,<br />
Ein Prachtstück sei’s, wie jener Koloß am Zobtenberge!<br />
Dann grabe – du kannst es selten – die Worte in <strong>de</strong>n Stein:<br />
„Dem Fürsten, <strong>de</strong>ssen Hän<strong>de</strong> von Blut- und Tintengreuel rein!“<br />
Nicht fehl’ ein Kranz! Statt Lorbeers Palmzweige nur, Jasmine!<br />
Und meinst du, daß mitnichten sein Haupt <strong>de</strong>n Kranz verdiene,<br />
So wind ihn als Sordine grün um die Saitenstränge,<br />
Tondämpfend, wenn das Bildnis vielleicht, ein neuer Memnon, klänge. –<br />
Euch, die <strong>de</strong>m Sänger folgten zu En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gedichts,<br />
Euch wünscht er die Lebensschale voll reinsten Sonnenlichts,<br />
Und eurem Rößlein – ihr reitet wohl eines? – Futter in Menge,<br />
Und daß zu allen Zeiten voll Geigen euer H<strong>im</strong>mel hänge.<br />
_____________
40<br />
[64-66]<br />
Anmerkungen <strong>Grün</strong>s<br />
1 Herzog Moritz Wilhelm, Sohn Herzogs Christian II., aus <strong>de</strong>m Hause Sachsen-Merseburg, postulierter<br />
Administrator <strong>de</strong>s Hochstiftes Merseburg, geb. 5. Febr. 1688, gest. 21. April 1731 auf <strong>de</strong>m Schlosse<br />
Dobrilugk, beigesetzt in <strong>de</strong>r herzoglichen Gruft <strong>im</strong> Dom zu Merseburg. Über seine Lei<strong>de</strong>nschaft für die<br />
Bassgeige berichten Büsching („Beiträge zur Lebensgeschichte <strong>de</strong>nkwürdiger Personen“ I, 286), Flögel<br />
(„Geschichte <strong>de</strong>r komischen Literatur“ I, 185), <strong>de</strong>r Baron Pöllnitz („Mémoires“ I, 147) u.a.<br />
2 König Heinrich I., <strong>de</strong>r Vogler o<strong>de</strong>r Finkler (Auceps), hielt, nach<strong>de</strong>m er die Hunnen i. J. 934 am<br />
Keuschberge bei Merseburg in blutiger Schlacht geschlagen, ein prächtiges Turnier zu Merseburg und<br />
ließ das Bild <strong>de</strong>r Schlacht auf einem Wandgemäl<strong>de</strong> <strong>im</strong> dortigen Schlosse verewigen. S. Vulpius<br />
Megalurgia Martisburgica und K. H. Weises „Halle und Merseburg“.<br />
3 Dr. Valent. Sittig, geb. 1630 in Schleusingen, seit 1668 Hofprediger und seit 1671 zugleich<br />
Superinten<strong>de</strong>nt zu Merseburg, gest. 1705. – Siehe J. G. Otto, „Die Schloß- und Domkirche zu<br />
Merseburg“.<br />
4 Thilo von Trotta, 1466 zum Bischof von Merseburg erwählt, gest. 1514, einer <strong>de</strong>r ausgezeichnetsten<br />
Prälaten seiner Zeit, beson<strong>de</strong>rs verdient um die Verschönerung <strong>de</strong>s Doms und <strong>de</strong>r Stadt Merseburg.<br />
Davon zeugt noch <strong>im</strong>mer sein an vielen Gebäu<strong>de</strong>n befindliches Wappen, ein Rabe mit <strong>de</strong>m Ringe <strong>im</strong><br />
Schnabel. Diesen seinen Wappenvogel scheint er sehr geliebt zu haben; noch jetzt wird, zu seinem<br />
<strong>im</strong>merwähren<strong>de</strong>n An<strong>de</strong>nken, ein lebendiger Rabe <strong>im</strong> äußeren Schloßhofe zu Merseburg in einem<br />
stattlichen Käfig bei ansehnlicher Pension erhalten. S. Otto, a. o. O. – So knüpfte sich <strong>im</strong> Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />
Volkes leicht an Thilos Person die oft vorkommen<strong>de</strong> Sage vom Diebstahl <strong>de</strong>s Raben und <strong>de</strong>r Enthauptung<br />
<strong>de</strong>s unschuldigen Kämmerlings. Die Geschichte, die für die äußere Wahrheit bürge, unterstützt hier nicht<br />
die Erzählung <strong>de</strong>r Sage, die ihrerseits nur die innere Wahrheit zu vertreten hat.<br />
5 Rudolf von Schwaben, eigentlich von Rheinfel<strong>de</strong>n, während Heinrich IV. zu Kanossa Buße tat, von <strong>de</strong>n<br />
Reichsstän<strong>de</strong>n zum Gegenkaiser erwählt, vom Papste unterstützt und mit einer gol<strong>de</strong>nen Krone<br />
beschenkt, welche die Inschrift trug: Petra <strong>de</strong>dit Petro, Petrus dia<strong>de</strong>ma Rudolpho. In mehreren Gefechten<br />
siegreich, verlor er in <strong>de</strong>r Schlacht bei Hohen-Mölsen an <strong>de</strong>r Elster, Oktober 1080, die rechte Hand durch<br />
Gottfried von Bouillon o<strong>de</strong>r nach an<strong>de</strong>rn durch Friedrich von Staufen, wur<strong>de</strong> nach Merseburg gebracht<br />
und starb daselbst an seinen Wun<strong>de</strong>n. Sein Grabmal <strong>im</strong> dortigen Dome, eine eherne gegossene Platte mit<br />
seinem Bil<strong>de</strong> in ganzer Figur, enthält die Umschrift:<br />
Rex hoc Rudolphus, patrum pro lege peremtus<br />
Plorandus merito, conditur in tumulo.<br />
Rex illi s<strong>im</strong>ilis, si regnet tempore pacis,<br />
Consilio, gladio non fuit a Carolo.<br />
Qua vicere sui, ruit sacra vict<strong>im</strong>a belli,<br />
Mors sibi vita fuit, ecclesiae cecidit.<br />
6 Der Merseburger Bischof Wernher, ein frommer, aber kriegerischer Mann, war unter Rudolfs<br />
Anhängern und in <strong>de</strong>r Schlacht an seiner Seite, als jener die tödliche Wun<strong>de</strong> erhielt. Wernher, von <strong>de</strong>n<br />
Kaiserlichen gefangen, sollte gehängt wer<strong>de</strong>n, doch rettete ihn Heinrich selbst. S. Vulpius und Otto<br />
a. o. O.<br />
7 Der letzte Merseburger Bischof unmittelbar vor <strong>de</strong>m Übergang <strong>de</strong>r Stiftsregierung an das Kurhaus<br />
Sachsen, <strong>de</strong>r berüchtigte Michael Heldung (Helding) auch Sidonius (von einer angeblichen<br />
Hei<strong>de</strong>nbekehrungsreise nach Sidon so genannt), gest. 1561 zu Wien, von <strong>de</strong>m die chronique scandaleuse<br />
seiner Zeit viel zu erzählen weiß, störte auch die Gebeine Rudolfs in ihrer Ruhe, um in <strong>de</strong>r kaiserlichen<br />
Gruft seinen Weinkeller anzulegen. Ebendaselbst.
41<br />
8 Wigbert, vormals Kaplan <strong>de</strong>s frommen Kaisers Heinrich II., <strong>de</strong>r dritte Bischof von Merseburg (1007-<br />
1012), ein eifriger Hei<strong>de</strong>nbekehrer, ließ <strong>de</strong>n heiligen Hain Zutiburi (nach slawischer Etymologie<br />
richtiger: Svetibor, Swatibor), <strong>de</strong>n noch nie eine Axt berührt hatte, nie<strong>de</strong>rhauen, um daselbst <strong>de</strong>m<br />
h. Romanus eine Kirche zu bauen. Otto, a. o. O.<br />
9 Die Gemahlin <strong>de</strong>s Herzogs Moritz Wilhelm war Henriette Charlotte, geborne Prinzessin von Nassau-<br />
Idstein, nach Büsching eine Dame von fürstlicher Miene, schweigend, ernst. Pöllnitz sagt von ihr: On ne<br />
pourrait être plus a<strong>im</strong>able. C’est un air <strong>de</strong> douceur, <strong>de</strong> bonté et <strong>de</strong> sagesse, repandu dans toute sa<br />
physiognomie. Son esprit est <strong>de</strong> la même nature que sa beauté; a<strong>im</strong>able sans para<strong>de</strong> et sans ostentation.<br />
Als sie ein Mädchen geboren, mußte sich dieses <strong>de</strong>m wun<strong>de</strong>rlichen Vater durch eine mitgebrachte<br />
Baßgeige legit<strong>im</strong>ieren. Die Herzogin starb 1731 wenige Wochen nach ihrem Gemahl und wur<strong>de</strong> ebenfalls<br />
in <strong>de</strong>r herzoglichen Gruft zu Merseburg beigesetzt.<br />
10 Peter <strong>de</strong>r Große und König Friedrich Wilhelm I. waren Zeitgenossen <strong>de</strong>s Herzogs Moritz Wilhelm. Die<br />
von ersterem 1710 zu Petersburg veranstaltete Zwergenhochzeit ist nicht min<strong>de</strong>r bekannt, als <strong>de</strong>s letzteren<br />
Vorliebe für seine Potsdamer Riesengar<strong>de</strong>.<br />
11 Dito.<br />
12 Daß die Rolle, die das Gedicht <strong>de</strong>m Chevalier von Pöllnitz zuwies, <strong>de</strong>ssen historischem Character nicht<br />
wi<strong>de</strong>rspreche, wird je<strong>de</strong>r zugeben, <strong>de</strong>r sein Leben aus <strong>de</strong>m ihm von Friedrich II. ausgefertigten<br />
Abschiedsdiplome kennt.<br />
13 Theodorich <strong>de</strong>r Große, in Lied und Sage <strong>de</strong>r Vorzeit auch Dietrich von Bern genannt. Das vorliegen<strong>de</strong><br />
Faktum berichtet Cassiodor. (Var. V. ep. 2.)<br />
14 „Nach <strong>de</strong>m Landtage (1727) wur<strong>de</strong>n die Stiftsstän<strong>de</strong>, wie gewöhnlich, bei Hofe gespeist. Bei <strong>de</strong>r<br />
letzten Mahlzeit wur<strong>de</strong> noch eine Kollekte für <strong>de</strong>n Hofzwerg angelegt. Je<strong>de</strong> Stadt gab 16 Groschen.“<br />
Sieh Landtagsverfassung <strong>im</strong> Hochstifte Merseburg von J. G. Gbl. Leipz. 1796.