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141 Sachliche Zuständigkeit<br />

§ 1<br />

ker betroffen als bei der örtlichen Zuständigkeit 33 . Doch wird es oftmals auch im Interesse<br />

des Bekl liegen, dass er sich etwa im Falle einer Deliktsklage umfassend auch mit Einwänden<br />

aus dem Vertragsrecht verteidigt. Die Verklammerung von Vertrags- und Deliktsrecht<br />

wird durch den einheitlich verstandenen prozessualen Streitgegenstand<br />

ausgedrückt. Nur das international zuständige Gericht kann über den Streitgegenstand<br />

umfassend entscheiden. Zwar genügt etwa die schlüssige Behauptung einer deliktischen<br />

Anspruchsgrundlage durch den Kl, um über den Gerichtsstand des § 32 ZPO auch das<br />

Vorliegen der internationalen Zuständigkeit zu indizieren. Entgegen den Befürchtungen<br />

des BGH kann daraus jedoch nicht der Schluss gezogen werden, die Begründetheitsprüfung<br />

des Deliktsanspruches könne unterbleiben und es könne sogleich auf den Vertragsanspruch<br />

übergegangen werden 34 . Vielmehr dürfen im Rahmen der Begründetheit der<br />

Klage Vertragsansprüche erst geprüft werden, wenn die Begründetheit des Deliktsanspruches<br />

erörtert worden ist. Ergibt sich sodann, dass ein Anspruch aus unerlaubter<br />

Handlung nicht vorliegt, so bleibt es allerdings bei der internationalen Zuständigkeit des<br />

angerufenen Gerichts. Das zuständige Gericht darf über Vertragsansprüche entscheiden,<br />

weil ihm der gesamte prozessuale Streitgegenstand angefallen ist 35 .<br />

IV. Zuständigkeitserschleichung und Arglisteinrede<br />

12 Der Grundsatz von Treu und Glauben (näher → Brehm vor § 1 Rdnr. 221 ff.) ist auch für<br />

die Zuständigkeiten von Bedeutung. Wenn der Kl die tatsächlichen Voraussetzungen der<br />

von ihm in Anspruch genommenen Zuständigkeit arglistig geschaffen hat, scheidet die so<br />

begründete Zuständigkeit schon wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aus 36 .<br />

Der Arglistgedanke ist auch in Art. 6 Nr. 2 a. E. EuGVO (Art. 8 Nr. 2 EuGVO nF) ausgedrückt.<br />

Das Gesagte gilt für alle Arten der Zuständigkeit, sei es die sachliche, örtliche 37 ,<br />

internationale Zuständigkeit (→ H. Roth Rdnr. 42 vor § 12) oder eine Bestimmung des<br />

Gerichtsstandes nach § 36 ZPO. Im Hinblick auf die ausschließliche Zuständigkeit des § 3<br />

Abs. 1 InsO wird im Insolvenzverfahren durch Schuldner häufiger versucht, durch missbräuchliche<br />

Zuständigkeitserschleichung den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2<br />

GG) zum Nachteil der Gläubiger zu vermeiden 38 . Missbräuche sind auch durch beklagte<br />

AG oder GmbH möglich. Mit Inkrafttreten des MoMiG (2008) herrscht allerdings freie<br />

Sitzwahl der AG (§ 5 AktG) und der GmbH (§ 4a GmbHG). Nicht rechtsmissbräuchlich ist<br />

es daher für sich gesehen, wenn der Sitz keine räumliche Beziehung zum tatsächlichen<br />

Verwaltungssitz aufweist. Der Gläubiger muss die AG oder GmbH daher bei Sitzverlegung<br />

grundsätzlich an ihrem (neuen) satzungsmäßigen Sitz nach § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO<br />

verklagen. Ein abweichender tatsächlicher Verwaltungssitz spielt trotz § 17 Abs. 1 Satz 2<br />

ZPO keine Rolle, weil sich aus den §§ 5 AktG, 4a GmbHG etwas »anderes ergibt« 39 . Eine<br />

12<br />

33<br />

Eingehend Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995), 73 ff.<br />

34<br />

BGHZ 132, 105, 114.<br />

35<br />

Zu allem H. Roth FS E. Schumann (2001) 355 ff.<br />

36<br />

BGHZ 132, 195, 196 f. (formale Sitzverlegung); RGZ 51, 176 (dort wurde noch auf die Einrede<br />

der prozessualen Arglist abgestellt); 102, 222; BayObLGZ 2003, 192, 195 (gewerbsmäßige Firmenbestattung);<br />

2003, 229, 232 (Zuständigkeitserschleichung im Insolvenzverfahren); KG KGR 1996,<br />

95 (erschlichene Verweisung); OLG Hamm NJW 1987, 138; OLG Darmstadt JW 1929, 121; Riezler,<br />

Internationales Zivilprozeßrecht (1949), 335; Heeder, Fraus legis (1998), 306; a. M. Novak ÖsterrJZ<br />

1949, 342.<br />

37<br />

Einzelheiten → H. Roth § 22 Rdnr. 3; → H. Roth § 23 Rdnr. 33; → H. Roth § 32 Rdnr. 13.<br />

38<br />

BayObLGZ 2003, 229, 232; 2003, 192, 195; OLG Celle NJW-RR 2004, 627; 2004, 698 (jeweils<br />

zur alten Rechtslage).<br />

39<br />

Henssler/Strohn/Lange, Gesellschaftsrecht (2011) § 5 AktG Rdnr. 1.<br />

Herbert Roth

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