Praxis und Politik - Michael Oakeshott im Dialog - Mohr Siebeck ...
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2 Martyn P. Thompson<br />
Ich weiß nicht, ob er in Hegels Fußstapfen trat <strong>und</strong> nach Jena reiste. Aber<br />
es kann kein Zweifel daran bestehen, daß er Jena ebenso w<strong>und</strong>ervoll gef<strong>und</strong>en<br />
hätte, wie das Tübingen der 1920er Jahre, über das er in einem seiner<br />
Briefe schrieb: Es war »ein Ort außerhalb der Welt, nur Philosophie <strong>und</strong><br />
Theologie«. Dennoch wurden Tübingen, Jena <strong>und</strong> all die anderen w<strong>und</strong>erbaren<br />
»Nicht-von-dieser-Welt-Orte« unaufhaltsam Teil dieser Welt. Sie alle<br />
erlagen (manche mehr, manche weniger) dem unerbittlichen Druck der<br />
Modernisierung <strong>und</strong> Innovation. <strong>Oakeshott</strong>s Liebe zu ihnen schwand folglich.<br />
In seiner Erinnerung aber blieben sie so lebhaft wie damals. Doch er<br />
empfand vielleicht leidenschaftlicher als die meisten anderen einen tiefen<br />
Verlust, als sich die von ihm so geschätzte Vertrautheit der Welt unweigerlich<br />
in etwas anderes verwandelte, etwas Neues. Gelegentlich wurde er bei<br />
diesen Erinnerungen etwas sent<strong>im</strong>ental, doch war da selbstverständlich<br />
mehr als Sent<strong>im</strong>entalität.<br />
Im Sinne einer Hinführung zum ernsthaften Studium der Ideen <strong>Oakeshott</strong>s<br />
möchte ich einige Aspekte ansprechen, die mir für das Denken von<br />
<strong>Oakeshott</strong> bedeutsam erscheinen; <strong>und</strong> ich werde dabei versuchen, verschiedene<br />
Mißverständnisse aufzuklären, die sowohl bei Fre<strong>und</strong>en als auch bei<br />
Gegnern zu Fehlinterpretationen geführt haben.<br />
I.<br />
Zunächst geht es mir um die Natur des oft genannten <strong>Oakeshott</strong>schen<br />
»Konservativismus«. Viele, die von <strong>Oakeshott</strong> gehört (ihn aber nie sorgfältig<br />
gelesen) haben, glauben, daß sein gesamtes Œuvre einer politisch konservativen<br />
Ausrichtung verpflichtet sei. So ist es beispielsweise üblich geworden,<br />
<strong>Oakeshott</strong> für seine philosophische Gr<strong>und</strong>lagenarbeit zu loben oder zu tadeln,<br />
die er angeblich parteipolitischen Konzepten wie beispielsweise Margaret<br />
Thatchers »Konservativismus« angedient hätte. Das ist Unfug. Viel<br />
wurde auch darüber geschrieben, ob man <strong>Oakeshott</strong> als Konservativen oder<br />
als Liberalen klassifizieren solle, ob er ein Verteidiger oder ein Gegner der<br />
repräsentativen Demokratie sei, ob man ihn als Republikaner bezeichnen<br />
könne, ob er die <strong>Politik</strong> des »Austarierens« (tr<strong>im</strong>ming) vertreten habe usw.<br />
Aber all diese Spekulationen lenken von der eigentlichen Bedeutung seines<br />
Werkes eher ab – <strong>und</strong> verdunkeln die Sache mehr, als sie zu erhellen. Demgegenüber<br />
gilt es, zwei unterschiedliche, aber gleichermaßen verfehlte<br />
Sichtweisen namhaft zu machen: Es ist erstens irrig, daß der politische Konservativismus<br />
sein gesamtes Denken durchdrungen habe; <strong>und</strong> es ist zweitens<br />
ebenso falsch, daß die Essenz seiner Arbeit in einer konservativen Kritik der