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Vier Paradigmen<br />

11<br />

Welt prägen sollte. In gleicher Weise führte die Rivalität zwischen weltlicher<br />

und spiritueller Macht im Mittelalter zur Entfaltung des Prinzips der Gewaltenteilung.<br />

Auch hier wurde ein Programm entworfen, dessen Bedeutung sich<br />

als einschneidend für die Zukunft der aus dem abendländischen Teil des Römischen<br />

Reiches hervorgegangenen Welt herausstellen sollte. So hat es etwa die<br />

Föderalistenartikel (federalist papers) genauso wie die Erklärung der Menschenund<br />

Bürgerrechte inspiriert. Hier spielt der Mechanismus der Adaptation nur<br />

eine untergeordnete Rolle, auch wenn die betreffenden Programme natürlich<br />

auf Dispositionen aufbauen, die durch die biologische Evolution selegiert sind,<br />

etwa dem Gerechtigkeitssinn, dem Pflichtbewusstsein oder jenen Adaptationsmechanismen,<br />

die Hayek oder Piaget im Auge haben.<br />

Ein Soziologe, der die Entstehung und Entwicklung solcher Programme erklären<br />

will, benötigt eine Konzeption von Rationalität jenseits des Instrumentalismus:<br />

Eine Konzeption, welche die Ziele und Werte, die sich die Menschen<br />

setzen, erklären kann. Denn genau hierin liegt der Hauptschwachpunkt der Rational-Choice-Theorie<br />

und aller irrationalistischen Handlungstheorien: Weder<br />

die eine, noch die anderen sind in der Lage, zu dieser Frage eine zufriedenstellende<br />

Erklärung zu liefern.<br />

Insgesamt sind nur einige ganz bestimmte Paradigmen geeignet, zur Erklärung<br />

sozialer Phänomene beizutragen: die Soziobiologie und Neurowissenschaften<br />

auf Seiten der Naturwissenschaften, die Rational-Choice-Theorie und<br />

die allgemeine Theorie der Rationalität auf Seiten der Sozialwissenschaften.<br />

Vielleicht werden die Analysen in diesem Band einigen Lesern abstrakt und<br />

theoretisch erscheinen, obgleich ich immer versucht habe, sie anhand von Beispielen<br />

zu veranschaulichen. Daher ist es vielleicht sinnvoll, in Erinnerung zu<br />

rufen, dass die Formulierung von Menschenbildern und allgemein alle durch die<br />

Geisteswissenschaften vermittelten Ideen nicht ohne praktische Konsequenzen<br />

sind. Insbesondere die Geschichte des Marxismus, des Positivismus oder des<br />

Sozialdarwinismus und ihr enormer Einfluss dürften genügen, um den Leser<br />

davon zu überzeugen. In jüngerer Zeit hatten auch eher gemäßigte Denksysteme<br />

wie der Strukturalismus oder der Kulturalismus nicht zu vernachlässigende<br />

soziale Auswirkungen – und haben sie immer noch. Sie haben zum Beispiel<br />

in positiver wie negativer Hinsicht zu völlig neuartigen Lehrmethoden<br />

beim Erlernen natürlicher Sprachen und mathematischer Fertigkeiten angeregt.<br />

Sie haben der Lehre auf dem Gebiet der Geschichte bzw. der ökonomischen<br />

und sozialen Phänomene teilweise eine dogmatische Brille verschafft. Sie haben<br />

die Bildungspolitik seit Jahrzehnten beeinflusst und dadurch die Heranbildung<br />

neuer Bürger – einen wesentlichen Parameter des zivilen Zusammenlebens –<br />

von Grund auf mitgeprägt.<br />

Die Geisteswissenschaften haben auch diffusere Einflüsse ausgeübt. Indem<br />

in verschiedenen geisteswissenschaftlichen Denkströmungen die Bedeutung<br />

der menschlichen Rationalität heruntergespielt bzw. ihr zu enge Grenzen ge-

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