PDF (200 KB) - Mohr Siebeck Verlag
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Vier Paradigmen<br />
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wenige Entwicklungen im Steuerrecht, im Strafrecht oder bezüglich der Definition<br />
von Rechten und Pflichten des Bürgers, werden durch einen Prozess der<br />
Rationalisierung geleitet.<br />
Selbstverständlich lässt sich die hier vorgestellte Theorie der allgemeinen Rationalität<br />
auch auf weitere Themen anwenden, die ebenso wichtig sind wie jene,<br />
die in den vorgelegten Analysen behandelt werden. Ich habe hier vor allem versucht,<br />
Themen zu bevorzugen, bei denen die Rational-Choice-Theorie machtlos<br />
erscheint.<br />
Zusammengenommen wollen die Analysen deutlich machen, dass die Kategorien<br />
des gesunden Menschenverstandes und des Common Sense unverzichtbar<br />
sind für eine Soziologie, die eine Erklärung für soziale Phänomene vorlegen<br />
möchte, welche sich penibel nach den Anforderungen richtet, denen jede<br />
wissenschaftliche Disziplin unterliegt. Wie vor allem die letzte Studie über den<br />
Wandel von Institutionen in demokratischen Gesellschaften zeigt, hat die allgemeine<br />
Theorie der Rationalität nicht nur Erklärungs-, sondern auch Prognosekraft.<br />
Des Weiteren vermag sie der Makrosoziologie wieder einen wissenschaftlichen<br />
Stil zu geben, wo doch dieses wichtige Kapitel der Soziologie heutzutage<br />
eher einer – bereits von Tocqueville so genannten – „literarischen“ Gattung zuzurechnen<br />
ist.<br />
Vier Paradigmen<br />
In seinem seinerzeit viel beachteten Buch Leidenschaften und Interessen stellte<br />
Albert Hirschman fest, dass die Geisteswissenschaften immer zwischen zwei<br />
Menschenbildern hin und her geschwankt sind (Hirschman 1987). Das eine<br />
sieht den Menschen als von seinen Leidenschaften getrieben, das andere von seinen<br />
Interessen. Hirschmans Analyse ist richtig, aber unvollständig. Wir müssen<br />
noch einmal wiederholen: Die Analysen von Tocqueville, Durkheim und Weber,<br />
der von Adam Smith geprägte Begriff des „unparteiischen Zuschauers“, der<br />
Begriff der „volonté générale“ von Rousseau oder, zeitlich näher, der „Schleier<br />
des Nichtwissens“ von John Rawls zeigen gleichermaßen, dass man nur dann<br />
hoffen kann, soziale Phänomene zufriedenstellend zu erklären, wenn man zulässt,<br />
dass der Mensch nicht nur von seinen Leidenschaften und Interessen angetrieben<br />
wird, sondern auch von seinem gesunden Menschenverstand.<br />
In jedem Fall ist das Problem der Konzeption von Rationalität heute eins<br />
der wesentlichen theoretischen Probleme für das Verständnis des Sozialen. Um<br />
die Problematik korrekt darzustellen, müssen drei Punkte verdeutlicht werden.<br />
1. Es ist gut möglich und bestimme Autoren sehen es so, dass die Tatsache,<br />
nach der die meisten Menschen einen Sinn für Gerechtigkeit haben, das Ergebnis<br />
der biologischen Evolution ist: dass er auf Selektionsmechanismen zurückzuführen<br />
ist, bei denen das menschliche Subjekt von der Evolution zum Objekt