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1 Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften „Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der gesunde Menschenverstand.“ Diese berühmte Behauptung 4 hätte wohl von allen großen Philosophen, Soziologen und Ökonomen unterzeichnet werden können. Wie die Theorie des „unparteiischen Zuschauers“ von Adam Smith zeigt, hat jedes Individuum, sobald es über Fragen nachdenkt, die seine Interessen, Leidenschaften oder vorgefassten Meinungen nicht gefährden und die es mit der erforderlichen Sachkompetenz beurteilen kann, alle Möglichkeit, das Gerechte und Wahre zu erkennen. Jean-Jacques Rousseau hat klar erkannt, dass der gesunde Menschenverstand die Grundlage des demokratischen Konsenses ist. Die „volontée générale“ nach Rousseau ist der Wille, den die Bürger zum Ausdruck brächten, wenn sie sich von ihren Leidenschaften, Interessen und vorgefassten Meinungen freimachen könnten. Sie würden dann alle Dinge, die keine Fachkenntnisse erfordern, mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes beurteilen. Dieselbe Hypothese wird auch im „Schleier des Nichtwissens“ von John Rawls angedeutet. Die Theorie der kollektiven Vorstellungen von Emile Durkheim geht davon aus, dass das Individuum prinzipiell die Fähigkeit hat, die Vorurteile zu erkennen, die seine Meinungen bestimmen, aber sich meistens aus kognitiver Bequemlichkeit oder mitunter auch in seinem eigenen Interesse mit übernommenen Vorstellungen zufriedengibt. Der Begriff des gesunden Menschenverstandes ist unverzichtbar für das Verständnis praktisch aller sozialen, politischen oder kulturellen Phänomene. Ohne diesen Begriff könnten die kurz-, mittel- und langfristigen Entwicklungen, die das demokratische Leben kennzeichnen, nur schwer verstanden werden. Es wäre schwer, Informationen aus Umfragedaten – dem täglichen Brot politischer Kommentatoren und Soziologen – herauszukristallisieren oder die Glaubensüberzeugungen längst vergangener Epochen oder exotischer Kulturen zu erklären. Der Begriff des gesunden Menschenverstandes ist jedoch nicht nur für die Erklärung sozialer und politischer Phänomene unverzichtbar, sondern auch für das politische und alltägliche Handeln. Das Grundprinzip der Demokratie, nämlich jeden Bürger als letzte Quelle des Rechts zu sehen, verliert jede 4 Von René Descartes 1637, Discours de la méthode, dt. Abhandlung über die Methode, eig. Übersetzung, Anm. d. Übers.

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