PDF (200 KB) - Mohr Siebeck Verlag
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Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
XV<br />
Dass der Begriff des methodologischen Singularismus von einem österreichischen<br />
Ökonomen geprägt wurde, hat sich nicht zufällig ergeben. Gegen Ende<br />
des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts schienen die deutschen und österreichischen<br />
Ökonomen faktisch zwei grundverschiedenen geistigen Welten anzugehören.<br />
Auf Seiten der Deutschen dominierte die Denkströmung der sog.<br />
historischen Schule, insbesondere vertreten durch Gustav Schmoller. Vereinfacht<br />
gesagt sah dieser die Aufgabe der Ökonomie darin, die Entwicklung der<br />
ökonomischen Institutionen zu erfassen. Dementsprechend blickten die deutschen<br />
Ökonomen auf die Vertreter der österreichischen Grenznutzenschule<br />
herab, die vor allem ökonomische Einzelphänomene wie die in ökonomischen<br />
Statistiken beobachtbaren Regelmäßigkeiten erklären wollten.<br />
Auch die bewegte Geschichte der berühmten Frankfurter Schule zeugt vom<br />
gleichen Methodenkonflikt. Ich beschränke mich darauf, eine Anekdote zu erwähnen<br />
(Wiggershaus <strong>200</strong>8). Als Max Horkheimer in den 1930er Jahren in den<br />
USA Aufnahme gefunden hatte, nahm er sich vor, dort „die“ Gesellschaftstheorie<br />
in der Tradition von Marx zu entwickeln. Da seine amerikanischen Gesprächspartner<br />
aber einige Mühe hatten, sein Projekt zu verstehen, sträubten sie<br />
sich, ihn zu unterstützen. In der ersten Zeit genoss er aber die Unterstützung<br />
eines österreichischen Kollegen, der einer der bedeutendsten Soziologen des<br />
20. Jahrhunderts werden sollte: Paul Lazarsfeld. Aber sobald es sowohl Horkheimer<br />
als auch Lazarsfeld gelungen war, in der universitären Welt der USA Fuß<br />
zu fassen, belauerten sie einander nur noch. Der Hauptgrund dafür war, dass sie<br />
in der Singularismusfrage auf unterschiedlichen Seiten standen.<br />
Die Anwendung des methodologischen Singularismus<br />
durch die Gründerväter der Soziologie<br />
Die Gründerväter der Soziologie machten sich das Prinzip des methodologischen<br />
Singularismus deshalb zu eigen, weil sie rätselhafte soziale Phänomene<br />
mit Hilfe von Prozeduren erklären wollten, die allen Wissenschaften gemein<br />
sind. Der Biologe etwa beschäftigt sich in seiner täglichen Arbeit mit den Ursachen<br />
singulärer Phänomene wie der Wirkung dieses oder jenes Virus. Die Frage<br />
nach dem Wesen und dem Ursprung des Lebens ist für ihn nicht uninteressant,<br />
aber er verlagert sie an den Horizont seiner Forschung.<br />
Max Weber folgt demselben Prinzip wie der Biologe, wenn er erklärt, warum<br />
die Pharisäer im Unterschied zu den Sadduzäern an die Unsterblichkeit der<br />
Seele glaubten ( Weber [1921] 1988). Das sei darauf zurückzuführen, erklärt er,<br />
dass die Pharisäer mehrheitlich Handelstreibende waren. Da die Tauschgerechtigkeit<br />
für sie einen zentralen Wert darstellte, nahmen sie erfreut zur Kenntnis,<br />
dass die Seele unsterblich sei, denn so konnten sie hoffen, dass die Verdienste so-