PDF (200 KB) - Mohr Siebeck Verlag
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Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften Studien in den Grenzbereichen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Band 146 I Begründet von Erik Boettcher Unter der Mitwirkung von Andreas Diekmann · Dieter Frey · Volker Gadenne Karl Homann · Wolfgang Kerber · Christian Kirchner Arnold Picot · Viktor Vanberg · Reinhard Zintl herausgegeben von Max Albert
- Seite 3 und 4: III Raymond Boudon Beiträge zur al
- Seite 5 und 6: V Inhalt Vorbemerkung des Übersetz
- Seite 7 und 8: Inhalt VII Was ist eine gute Theori
- Seite 9: „Der Begriff, der ursprünglich f
- Seite 12 und 13: XII Vorbemerkung des Übersetzers F
- Seite 14 und 15: XIV Vorwort zur deutschen Übersetz
- Seite 16 und 17: XVI Vorwort zur deutschen Übersetz
- Seite 18 und 19: XVIII Vorwort zur deutschen Überse
- Seite 20 und 21: XX Vorwort zur deutschen Übersetzu
- Seite 22 und 23: XXII
- Seite 24 und 25: XXIV Vorwort zur französischen Ori
- Seite 26 und 27: XXVI
- Seite 28 und 29: 2 Einführung: Eine Theorie der Rat
- Seite 30 und 31: 4 Einführung: Eine Theorie der Rat
- Seite 32 und 33: 6 Einführung: Eine Theorie der Rat
- Seite 34 und 35: 8 Einführung: Eine Theorie der Rat
- Seite 36 und 37: 10 Einführung: Eine Theorie der Ra
- Seite 38 und 39: 12 Einführung: Eine Theorie der Ra
- Seite 40 und 41: 247 Personenregister Abel, Theodore
- Seite 42 und 43: Personenregister 249 Rickert, Heinr
- Seite 44 und 45: 251 Sachregister Adaptation 10 f.,
- Seite 46: Sachregister 253 Sozialkapital 18 f
Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften<br />
Studien in den Grenzbereichen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />
Band 146<br />
I<br />
Begründet von<br />
Erik Boettcher<br />
Unter der Mitwirkung von<br />
Andreas Diekmann · Dieter Frey · Volker Gadenne<br />
Karl Homann · Wolfgang Kerber · Christian Kirchner<br />
Arnold Picot · Viktor Vanberg · Reinhard Zintl<br />
herausgegeben von<br />
Max Albert
III<br />
Raymond Boudon<br />
Beiträge<br />
zur allgemeinen Theorie<br />
der Rationalität<br />
übersetzt von Felix Wolter<br />
<strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong>
IV<br />
Raymond Boudon, 1934–2013; 1978–<strong>200</strong>2 Professor für Soziologie an der Universität<br />
Paris-Sorbonne; Mitglied des Institut de France – Académie des sciences morales et politiques,<br />
der Société Royale du Canada, der British Academy, der American Academy of<br />
Arts and Sciences und der European Academy of Sociology.<br />
ISBN 978-3-16-150901-8<br />
ISSN 0424-6985 (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften)<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;<br />
detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.<br />
dnb.de abrufbar.<br />
© 2013 <strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong> Tübingen. www.mohr.de<br />
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung<br />
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des<br />
<strong>Verlag</strong>s unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,<br />
Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen<br />
Systemen.<br />
Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Stempel Garamond<br />
gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt<br />
und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
V<br />
Inhalt<br />
Vorbemerkung des Übersetzers .................................<br />
Vorwort zur deutschen Übersetzung:<br />
Die drei Regeln der erklärenden Soziologie .......................<br />
XI<br />
XIII<br />
Vorwort zur französischen Originalausgabe ...................... XXIII<br />
Einführung:<br />
Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften .... 1<br />
Der Bruch mit der Philosophie der Aufklärung ....................... 2<br />
Die Reaktion der Rational-Choice-Theorie .......................... 4<br />
Misserfolge der Rational-Choice-Theorie ............................ 5<br />
Eine allgemeine Theorie der Rationalität ............................. 7<br />
Vier Paradigmen ................................................. 9<br />
Teil I<br />
Eine allgemeine Theorie der Rationalität ...................... 15<br />
Kapitel 1<br />
Der Zerfall der zeitgenössischen Sozialtheorie ................. 17<br />
Individuelle Motivationen und Beweggründe als Ursachen<br />
für jegliche soziale Phänomene ..................................... 20<br />
Die Ablehnung der gewöhnlichen Psychologie durch die<br />
Sozialwissenschaften ............................................. 22<br />
Die Beziehung zwischen Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften . 27
VI<br />
Inhalt<br />
Sozialwissenschaften und Neurowissenschaften ...................... 29<br />
Ist Wissenschaft zwangsläufig materialistisch? ........................ 32<br />
Ist Rationalität zwangsläufig instrumentell? .......................... 36<br />
Die Identität der Soziologie ........................................ 38<br />
Kapitel 2<br />
Rational-Choice-Theorie<br />
und allgemeine Theorie der Rationalität ....................... 43<br />
Die Postulate der Rational-Choice-Theorie .......................... 44<br />
Die Erfolge der Rational-Choice-Theorie ............................ 45<br />
Kann die Rational-Choice-Theorie als allgemeine Theorie<br />
aufgefasst werden? ............................................... 50<br />
Gründe für die Schwächen der Rational-Choice-Theorie ............... 53<br />
Jenseits der Rational-Choice-Theorie:<br />
Eine erweiterte Theorie der Rationalität ............................. 55<br />
Die kognitive Rationalität ......................................... 56<br />
Die axiologische Rationalität ...................................... 61<br />
Die Validität von Gründen ........................................ 63<br />
Die Grenzen der Rationalität weiter fassen ........................... 64<br />
Teil II<br />
Anwendungen der allgemeinen Theorie der Rationalität ....... 69<br />
Kapitel 3<br />
Die Rationalität der Moderne nach Tocqueville ............... 71<br />
Tocquevilles Objektivismus ....................................... 73<br />
Symptomatische und enigmatische Tatsachen ......................... 75<br />
Konditionale Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Inhalt<br />
VII<br />
Was ist eine gute Theorie? ........................................ 85<br />
Der Gelehrte und der Politiker . ................................... 89<br />
Kapitel 4<br />
Die Rationalität religiöser Überzeugungen<br />
nach Max Weber ............................................. 93<br />
Zwei Theorieansätze zur Erklärung des Religiösen ................... 94<br />
Eine offene Konzeption von Rationalität ........................... 96<br />
Die Magie ..................................................... 98<br />
Seele, Dämonen, Geister und Götter ............................... 101<br />
Die Dimensionen der Rationalität des Religiösen . .................... 105<br />
Suche nach Kohärenz . ........................................... 107<br />
Eine evolutionistische Konzeption . ................................ 111<br />
Die Entzauberung der Welt . ...................................... 112<br />
Ein komplexer Evolutionismus . ................................... 113<br />
Die Metatheorie des Verstehens: Ein effizienter theoretischer Rahmen ... 123<br />
Kapitel 5<br />
Die Rationalität des „Irrationalen“ nach Durkheim .......... 131<br />
Die Gesellschaft: Eine Realität sui generis ........................... 132<br />
Die Kategorientheorie ........................................... 135<br />
Die Erklärung von Überzeugungen ................................ 146<br />
Die Erklärung religiöser Überzeugungen ........................... 150<br />
Der Ursprung und die Bedeutung des Begriffs der Seele ............... 157<br />
Die Theorie zu Ursprung und Bedeutung magischer Überzeugungen ... 163<br />
Eine immer noch aktuelle Theorie ................................. 170
VIII<br />
Inhalt<br />
Kapitel 6<br />
Die Rationalität des Wertewandels<br />
von Generation zu Generation ............................... 173<br />
Was uns die Daten sagen ......................................... 175<br />
Kontinuität und Wandel von Werten ............................... 176<br />
Feingliedrige und persistente Wertestruktur ........................ 199<br />
Die Bedeutung der Bildung . ...................................... 211<br />
Kurz gesagt .................................................... 214<br />
Kapitel 7<br />
Die Rationalität des institutionellen Wandels<br />
von Demokratien ............................................ 217<br />
Der „unparteiische Zuschauer“ und die „volontée générale“:<br />
Kernbegriffe der politischen Theorie der Aufklärung ................. 219<br />
Die Erklärung verschiedener soziologischer Phänomene<br />
durch den „unparteiischen Zuschauer“ ............................. 223<br />
Das Prinzip der Gewaltenteilung .................................. 230<br />
Die Durchsetzung des Prinzips der Gewaltenteilung ................. 231<br />
Kompromissdemokratie oder repräsentative Demokratie? ............. 234<br />
Mitfühlende oder rationale Politik? ................................ 235<br />
Die Erklärung von Evolutionen mit Hilfe des „unparteiischen<br />
Zuschauers“ ..................................................... 237<br />
Die repräsentative Demokratie erneuern . ........................... 242<br />
Personenregister ................................................ 247<br />
Sachregister . ................................................... 251
„Der Begriff, der ursprünglich für wahr gehalten wurde, weil er kollektiv ist,<br />
neigt dazu, nur unter der Bedingung kollektiv zu werden, dass er für wahr<br />
gehalten wird: Wir verlangen seine Richtigkeit, ehe wir ihm unser Vertrauen<br />
schenken.“<br />
Emile Durkheim<br />
IX
XI<br />
Vorbemerkung des Übersetzers<br />
Der vorliegende Band ist die deutsche Übersetzung des <strong>200</strong>7 bei Presses Universitaires<br />
de France erschienenen Werkes Essais sur la théorie générale de la<br />
rationalité des Soziologen, Sozialtheoretikers und Philosophen Raymond Boudon.<br />
Die in sich abgeschlossenen Aufsätze des Buches schlagen einen weiten<br />
Bogen: von einer Zeitdiagnose des Zustands der Sozialwissenschaften über aktuelle<br />
Handlungstheorien und den Vorschlag eines erweiterten Rationalitätskonzeptes<br />
(gegenüber jenem der Rational-Choice-Theorie), über die Aktualität<br />
soziologischer Klassiker wie Max Weber und Emile Durkheim hin zu aktuellen,<br />
auch in der Öffentlichkeit präsenten Themen wie dem (angeblichen)<br />
Werteverfall und der Lähmung demokratischer Institutionen. Das weite Spektrum<br />
der Beiträge macht das Buch für viele Leser interessant.<br />
Bei der Übersetzung habe ich einige Entscheidungen getroffen, die hier kurz<br />
erläutert werden sollen. Bei direkten Zitaten von Klassikern wurde immer das<br />
deutsche Original (etwa bei Max Weber), oder, sofern verfügbar, die deutsche<br />
Übersetzung des französischen Originals (etwa bei Emile Durkheim) verwendet.<br />
An einigen wenigen Stellen hat sich allerdings herausgestellt, dass die jeweils<br />
vorliegende deutsche Version sinnentstellend war. In solchen Fällen wurde<br />
das Zitat entsprechend dem französischen Original leicht abgewandelt, wobei<br />
dies im Text immer gekennzeichnet ist. Bei indirekten Quellenangaben konnte<br />
nicht immer die genaue Entsprechung im deutschen Original und der französischen<br />
Übersetzung lokalisiert werden. Da der Autor zudem unterschiedliche<br />
Ausgaben und Übersetzungen heranzieht und dies auch in der Übersetzung<br />
dokumentiert werden sollte, wurde hier in der Regel entschieden, die Quellenangaben<br />
der jeweiligen französischen Ausgabe zu belassen.<br />
Im Zuge der Übersetzung konnte ich mit Raymond Boudon persönlich sprechen<br />
und einige Fragen klären. Der Autor hat dabei zum Ausdruck gebracht,<br />
dass ihm eine gute Verständlichkeit und Lesbarkeit des deutschen Textes wichtiger<br />
ist als die wortgenaue Übertragung. Insofern mag der akribische Leser an<br />
einigen Stellen einige stilistische Änderungen bemerken, die ich vorgenommen<br />
habe und zu denen mir Raymond Boudon freie Hand gegeben hat, sofern der<br />
Sinn nicht entstellt wird. Ebenfalls in jeweiliger Rücksprache mit dem Autor<br />
wurden Widersprüchlichkeiten im Original ausgeräumt und einige wenige illustrative<br />
Anspielungen oder Metaphern, die nur für französische Leser verständlich<br />
und für die Gesamtaussage des Textes nebensächlich sind, gestrichen.
XII<br />
Vorbemerkung des Übersetzers<br />
Formale Änderungen betreffen die Vereinheitlichung der Zitierweise (Quellen<br />
werden durchgehend im Text zitiert und nicht in Fußnoten), die Ergänzung einiger<br />
zitierter Quellen, die im Original in den Literaturverzeichnissen fehlten,<br />
und die Darstellung der Daten in Kapitel 6 in Tabellen im Text und nicht in<br />
Fußnoten. Auch dies geschieht auf Wunsch des Autors.<br />
Es freut mich sehr, dass dieses Übersetzungsprojekt zustande gekommen ist.<br />
Mein Dank gilt Raymond Boudon für die intensive und fruchtbare Zusammenarbeit<br />
und den herzlichen Empfang in Paris. Zudem hätte die Übersetzung ohne<br />
die überragende und unermüdliche Hilfe von Mariann Wolter nie fertiggestellt<br />
werden können. Ihr gebührt mein größter Dank.<br />
Mainz, im Februar 2013<br />
Felix Wolter
XIII<br />
Vorwort zur deutschen Übersetzung:<br />
Die drei Regeln der erklärenden Soziologie<br />
Die drei Kulturen von Wolf Lepenies (1985), ein Buch mit grundsätzlichen Reflexionen<br />
zur Soziologie, ist in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts in bestimmten<br />
soziologischen Kreisen auf große Resonanz gestoßen. Lepenies verteidigt<br />
darin zwei Thesen: Erstens sei die Soziologie weder eine Wissenschaft<br />
noch eine Kunst, sondern eine „dritte Kultur“; zweitens hätten sich die großen<br />
Klassiker der Soziologie einer Illusion hingegeben, als sie glaubten, die Soziologie<br />
könne eine Wissenschaft wie jede andere sein. Das Buch bezog seine Inspiration<br />
aus dem Zustand der Soziologie zu der Zeit, als es in den 1980er Jahren<br />
verfasst wurde. Die Soziologie war damals von zwei gegensätzlichen geistigen<br />
Strömungen beherrscht, dem Strukturalismus und dem Konstruktivismus. Der<br />
Strukturalismus war von Wissenschaftsgläubigkeit geprägt, der Konstruktivismus<br />
von Relativismus. Heute eröffnet sich mit der Entfaltung einer analytischen<br />
oder erklärenden Soziologie ein neuer Ansatz.<br />
Ein Kommentar auf der vierten Umschlagseite des Sammelbandes Analytical<br />
Sociology and Social Mechanisms erklärt die analytische Soziologie kurzerhand<br />
zur „guten Soziologie“ (good sociology) und interpretiert sie im Wesentlichen<br />
als Reaktion auf die zunehmende Heterogenität der heutigen Soziologie<br />
(Demeu lenaere 2012). Das Aufkommen des Begriffs analytische Soziologie ist<br />
vielleicht in erster Linie ein Zeichen; es steht für das Ende der Ära „weder Wissenschaft<br />
noch Kunst“ und für die Absicht, die Soziologie als eine Wissenschaft<br />
zu begreifen, die denselben Regeln gehorcht wie alle anderen.<br />
Viele soziologische Arbeiten, die als echte wissenschaftliche Beiträge gelten,<br />
folgen drei Regeln, anhand derer „gute Soziologie“ identifiziert werden kann.<br />
Das vorliegende Buch widmet sich in erster Linie der ersten Regel: Menschliches<br />
Verhalten ist als rational zu behandeln. Aber was ist Rationalität? Diese<br />
Frage bildet den Kernpunkt des Bandes. Ich freue mich, dass mir dieses Vorwort<br />
zur deutschen Übersetzung Gelegenheit gibt, die beiden anderen Punkte<br />
der Prinzipientrias, die „gute Soziologie“ ausmacht, anzusprechen.
XIV<br />
Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
Methodologischer Singularismus<br />
Emile Durkheim, den alle Lehrbücher zusammen mit Max Weber als Vater der<br />
Soziologie betrachten, stellt sich in seiner Studie über den Selbstmord ([1897]<br />
1983) eine Reihe von Fragen, die sich alle auf singuläre Phänomene beziehen:<br />
Warum ist nach den am Ende des 19. Jahrhunderts verfügbaren Statistiken die<br />
Selbstmordrate von Frauen regelmäßig niedriger als jene von Männern? Warum<br />
ist die Selbstmordrate bei Protestanten höher als bei Katholiken? Warum ist sie<br />
bei Ledigen höher als bei Personen, die in einer Familie leben? Durkheim bemüht<br />
sich sodann, die Erklärungen, die er für diesen Komplex an Einzelphänomenen<br />
anbietet, im weiteren theoretischen Rahmen seiner drei Selbstmordtypen<br />
zu synthetisieren.<br />
Max Weber geht genauso vor. So fragt er sich in seinem Werk Das antike Judentum<br />
( Weber [1921] 1988), warum die Pharisäer an die Unsterblichkeit der<br />
Seele glaubten und die Sadduzäer nicht. An anderer Stelle fragt er nach dem<br />
Grund der religiösen Sonderstellung Amerikas: Warum sind Amerikaner immer<br />
noch deutlich religiöser als Deutsche, Engländer oder Franzosen? Die Akkumulation<br />
von Erklärungen für Einzelphänomene wie diese verhilft ihm zu<br />
einer völlig neuen Erklärung religiöser Phänomene.<br />
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat den Begriff des methodologischen<br />
Singularismus geprägt, um den Ansatz zu bezeichnen, der sich<br />
die Erklärung von Einzelphänomenen zum Ziel setzt, und um ihn von dem<br />
Ansatz abzugrenzen, der möglichst umfangreiche Objekte aus einer übergreifenden<br />
Perspektive fassen will (von Mises [1949] 1998). Für von Mises ist der<br />
methodologische Singularismus eine Vorbedingung für jegliche wissenschaftliche<br />
Erklärung. Die andere Perspektive, die man aus Symmetriegründen als<br />
methodologischen Holismus bezeichnen könnte, kann interessante Interpretationen<br />
hervorbringen, aber keine Erklärungen im eigentlichen Sinne. So kann<br />
eine komplexe Ereignissequenz wie die Französische Revolution von 1789 viel<br />
eher interpretiert als erklärt werden, denn sie ist von Haus aus nicht klar definiert.<br />
Insbesondere ihr Schlusspunkt lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen.<br />
Für manche Historiker war sie mit der Machtübernahme Bonapartes im Jahre<br />
1800 abgeschlossen. Für andere endete sie erst 1871 mit der „Pariser Kommune“.<br />
Warum die Selbstmordrate einer bestimmten sozialen Gruppierung in einem<br />
bestimmten Kontext höher liegt als die einer anderen sozialen Gruppierung,<br />
oder warum Amerikaner offenbar religiöser sind als Europäer, lässt sich hingegen<br />
sehr wohl erklären.<br />
Der Begriff des methodologischen Singularismus gilt nicht nur für die Soziologie,<br />
sondern für alle Sozialwissenschaften. Sie alle haben Denktraditionen begründet,<br />
die entweder dem Prinzip des methodologischen Singularismus oder<br />
dessen Gegenposition folgen.
Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
XV<br />
Dass der Begriff des methodologischen Singularismus von einem österreichischen<br />
Ökonomen geprägt wurde, hat sich nicht zufällig ergeben. Gegen Ende<br />
des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts schienen die deutschen und österreichischen<br />
Ökonomen faktisch zwei grundverschiedenen geistigen Welten anzugehören.<br />
Auf Seiten der Deutschen dominierte die Denkströmung der sog.<br />
historischen Schule, insbesondere vertreten durch Gustav Schmoller. Vereinfacht<br />
gesagt sah dieser die Aufgabe der Ökonomie darin, die Entwicklung der<br />
ökonomischen Institutionen zu erfassen. Dementsprechend blickten die deutschen<br />
Ökonomen auf die Vertreter der österreichischen Grenznutzenschule<br />
herab, die vor allem ökonomische Einzelphänomene wie die in ökonomischen<br />
Statistiken beobachtbaren Regelmäßigkeiten erklären wollten.<br />
Auch die bewegte Geschichte der berühmten Frankfurter Schule zeugt vom<br />
gleichen Methodenkonflikt. Ich beschränke mich darauf, eine Anekdote zu erwähnen<br />
(Wiggershaus <strong>200</strong>8). Als Max Horkheimer in den 1930er Jahren in den<br />
USA Aufnahme gefunden hatte, nahm er sich vor, dort „die“ Gesellschaftstheorie<br />
in der Tradition von Marx zu entwickeln. Da seine amerikanischen Gesprächspartner<br />
aber einige Mühe hatten, sein Projekt zu verstehen, sträubten sie<br />
sich, ihn zu unterstützen. In der ersten Zeit genoss er aber die Unterstützung<br />
eines österreichischen Kollegen, der einer der bedeutendsten Soziologen des<br />
20. Jahrhunderts werden sollte: Paul Lazarsfeld. Aber sobald es sowohl Horkheimer<br />
als auch Lazarsfeld gelungen war, in der universitären Welt der USA Fuß<br />
zu fassen, belauerten sie einander nur noch. Der Hauptgrund dafür war, dass sie<br />
in der Singularismusfrage auf unterschiedlichen Seiten standen.<br />
Die Anwendung des methodologischen Singularismus<br />
durch die Gründerväter der Soziologie<br />
Die Gründerväter der Soziologie machten sich das Prinzip des methodologischen<br />
Singularismus deshalb zu eigen, weil sie rätselhafte soziale Phänomene<br />
mit Hilfe von Prozeduren erklären wollten, die allen Wissenschaften gemein<br />
sind. Der Biologe etwa beschäftigt sich in seiner täglichen Arbeit mit den Ursachen<br />
singulärer Phänomene wie der Wirkung dieses oder jenes Virus. Die Frage<br />
nach dem Wesen und dem Ursprung des Lebens ist für ihn nicht uninteressant,<br />
aber er verlagert sie an den Horizont seiner Forschung.<br />
Max Weber folgt demselben Prinzip wie der Biologe, wenn er erklärt, warum<br />
die Pharisäer im Unterschied zu den Sadduzäern an die Unsterblichkeit der<br />
Seele glaubten ( Weber [1921] 1988). Das sei darauf zurückzuführen, erklärt er,<br />
dass die Pharisäer mehrheitlich Handelstreibende waren. Da die Tauschgerechtigkeit<br />
für sie einen zentralen Wert darstellte, nahmen sie erfreut zur Kenntnis,<br />
dass die Seele unsterblich sei, denn so konnten sie hoffen, dass die Verdienste so-
XVI<br />
Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
wie die Verfehlungen, die im Diesseits nicht gerecht bestraft wurden, im Jenseits<br />
erneut zur Sprache kämen. Die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele<br />
spiegelte symbolisch die Zuversicht wider, dass ihrem Wunsch nach Gerechtigkeit<br />
Genüge getan werde. Die Sadduzäer hingegen bildeten das Reservoir, aus<br />
dem sich die religiösen und politischen Eliten der jüdischen Gesellschaft rekrutierten.<br />
Sie hatten also keine Gründe, einer Idee aus der Fremde, wahrscheinlich<br />
aus Indien oder Persien, anzuhängen, die ihnen mutmaßlich seltsam vorkam.<br />
Tocqueville ([1840] 1987) hatte in dieser Beziehung Weber vorgegriffen, als<br />
er vorschlug, den hinduistischen Glauben an die Reinkarnation auf die gleiche<br />
Weise zu erklären. Seiner Meinung nach drückt der Glaube an die wiederholte<br />
Reinkarnation desselben Menschen auf symbolische Weise das Anliegen des<br />
Gläubigen aus, dass ihm bei einer Art Jüngstem Gericht am Ende des Reinkarnationszyklus<br />
Gerechtigkeit widerfahren möge.<br />
Ein weiteres Beispiel für methodologischen Singularismus ist die von Durkheim<br />
vorgelegte Erklärung der Gründe, aus denen die Existenz von Wundern<br />
zunächst jahrhundertelang ohne Zögern akzeptiert und später bestritten<br />
wurde. Das liege daran, erklärt Durkheim, dass das Konzept des Wunders erst<br />
diskreditiert werden konnte, nachdem sich aufgrund der Entwicklung der Wissenschaft<br />
der Begriff des Naturgesetzes etabliert und die Idee eines universellen<br />
Determinismus durchgesetzt hatte. Zuvor hatte nichts dagegen gesprochen,<br />
zahlreiche Geschehnisse als Produkt von Praktiken wahrzunehmen, die man<br />
später als Magie qualifizierte.<br />
Es ist wichtig, sich den Gegensatz bewusst zu machen zwischen der Soziologie,<br />
die auf die wissenschaftliche Erklärung singulärer Tatbestände abzielt,<br />
und der Soziologie, die Gesellschaften als Gesamtheiten erfassen will, denn dieser<br />
Gegensatz ist allgegenwärtig. Ulrich Beck verdankt seine Popularität heute<br />
dem Umstand, dass er den Ausdruck Risikogesellschaft geprägt hat (Beck 1986),<br />
durch den er das Wesen heutiger Gesellschaften zu erfassen sucht; Zygmunt<br />
Baumann wiederum dem Umstand, dass er in ihnen liquide Gesellschaften (liquid<br />
societies) ohne Fixpunkte sieht, in denen alle Werte und alle Institutionen<br />
ihre frühere Stabilität verloren haben. Ende des 19. Jahrhunderts war Gustave<br />
Le Bon zu einem von Weber und Durkheim nie gekannten Ruhm gelangt, weil<br />
er die Gesellschaften seiner Zeit als durch ein seiner Meinung nach nie da gewesenes<br />
Phänomen charakterisiert beschrieb: Die Herrschaft der Massen (Le Bon<br />
1895). Dieser holistischen Soziologie wird seit jeher die meiste Aufmerksamkeit<br />
zuteil.
Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
XVII<br />
Methodologischer Individualismus<br />
Der methodologische Singularismus ist die erste Regel, die allen wissenschaftlichen<br />
Erklärungen der Sozialwissenschaften gemein ist. Max Weber und nach<br />
ihm Joseph Schumpeter haben eine zweite Regel identifiziert und ihr den Namen<br />
methodologischer Individualismus gegeben. Der Begriff wurde später<br />
durch Karl Popper populär. Max Weber betrachtete den methodologischen Individualismus<br />
als Basisprinzip dessen, was er verstehende Soziologie nannte:<br />
„Die verstehende Soziologie, in unserem Sinne, behandelt das Einzelindividuum<br />
und sein Handeln als unterste Einheit, als ihr ‚Atom‘“ ( Weber [1922]<br />
1988: 415). Man kann sich kaum klarer ausdrücken: Der methodologische Individualismus<br />
ist das Grundprinzip der verstehenden Soziologie, weil individuelle<br />
Handlungen die einzig möglichen Gründe für soziale Phänomene sind.<br />
Weber bekräftigt das noch einmal in einem bekannten Brief vom 9. März 1920<br />
an den Ökonom Robert Liefmann: „Soziologie auch muss strikt individualistisch<br />
in der Methode betrieben werden“ (Mommsen 1965). Bedauerlicherweise<br />
ziehen zahlreiche Lehrbücher den methodologischen Individualismus mit dem<br />
Vorwurf ins Lächerliche, er ignoriere, dass Individuen in Institutionen eingebettet<br />
sind, einem sozialen Kontext angehören und eine Lerngeschichte haben.<br />
Selbst der Begriff der verstehenden Soziologie wird oft missverstanden. Daher<br />
präzisiert Weber im ersten oben zitierten Beitrag, er verstehe den Begriff in<br />
seinem eigenen Sinne. Nicht wenige Soziologen seiner Zeit schrieben ihm nämlich<br />
einen holistischen und nicht einen individualistischen Sinn zu. Sogar heute<br />
noch stellen etliche wissenschaftliche Werke die verstehende Soziologie als jene<br />
Soziologie dar, die auf die Beschreibung charakteristischer Merkmale bestimmter<br />
Gesellschaften oder bestimmter Epochen abzielt – wie früher Dilthey oder<br />
Burckhardt und heute Ulrich Beck oder Zygmunt Baumann.<br />
Um solchen Missverständnissen zu begegnen, verteidigte Weber ausdrücklich<br />
die Idee, dass das Hauptziel der Soziologie in der Erklärung singulärer Phänomene<br />
bestehe; da soziale Phänomene durch individuelle menschliche Handlungen<br />
verursacht seien, setze eine solche Erklärung voraus, dass der Soziologe<br />
in der Lage sei, die Ursachen dieser Handlungen zu bestimmen. Genau das tut<br />
Weber, wenn er erklärt, warum die Pharisäer an die Unsterblichkeit der Seele<br />
glaubten und die Sadduzäer nicht. Die Ursache für diesen makrosoziologischen<br />
Unterschied steckt in den Gründen, aus denen ein idealtypischer Pharisäer für<br />
diese Vorstellung empfänglicher war als ein idealtypischer Sadduzäer.<br />
Auch Durkheim hat sich implizit zum Prinzip des methodologischen Individualismus<br />
bekannt, ungeachtet des vagen Charakters seiner Überlegungen<br />
zur Mikro-Makro-Verbindung (Borlandi 2011). So erklärt er im Selbstmord das<br />
Makrophänomen höherer Selbstmordraten unter Protestanten mit Hilfe der<br />
Hypothese, dass sich der idealtypische Katholik von den Instruktionen reli-
XVIII<br />
Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
giöser Autoritäten leiten lasse, während der Protestant seine existenziellen Probleme<br />
aus eigener Kraft lösen solle, indem er die Empfehlungen der Heiligen<br />
Schrift selbst entschlüsselt. Daher greife Letzterer im Falle presönlichen Scheiterns<br />
mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die „Lösung“ Selbstmord zurück.<br />
In den Elementaren Formen religiösen Lebens behauptet Durkheim, der Begriff<br />
der Seele scheine deshalb universell und dauerhafter als andere religiöse<br />
Konzepte zu sein, weil er eine symbolische Bedeutung habe, die allen einleuchtet.<br />
In jeder Gesellschaft, erklärt er, hat jedes Individuum ein Gespür dafür,<br />
dass bestimmte Verhaltensweisen legitim oder nicht legitim, gut oder nicht gut<br />
sind. In unserem modernen Vokabular ausgedrückt: Jedes Individuum hat einen<br />
Sinn für Werte. Jeder hat das Gefühl, dass die Werte, die er vertritt, konstitutiv<br />
für seine persönliche Identität sind, weiß aber auch, dass sie ihm von außen zugetragen<br />
werden, d. h. dass er nicht ihre Quelle ist. Folglich kommt kein Individuum<br />
umhin, ein Gefühl der Dualität seines Ichs zu verspüren. Laut Durkheim<br />
muss der Begriff der Seele als symbolischer Ausdruck dieser Dualität interpretiert<br />
werden.<br />
Verstehen als offenes Rationalitätskonzept<br />
Der Begriff des Verstehens im Weber’schen Sinne beinhaltet ferner ein drittes<br />
Kernprinzip, und zwar das Prinzip der Rationalität: Um dieses geht es im<br />
vorliegenden Buch. Das Rationalitätsprinzip liegt der Auffassung zugrunde,<br />
die Weber, Durkheim sowie die analytischen Soziologen unserer Zeit von der<br />
Soziologie als Wissenschaft haben. Für sie liegen die Ursachen, die erklären,<br />
warum sich ein idealtypisches Individuum auf eine bestimmte Art und Weise<br />
verhält oder an bestimmte Dinge glaubt, in den Gründen, die das Individuum<br />
bewegen. Genauer gesagt hängt ein idealtypisches Individuum dann einer bestimmten<br />
Überzeugung an, wenn es den Eindruck hat, dass diese im Rahmen<br />
eines Systems von Gründen, die es als akzeptabel wahrnimmt, fundiert ist. Im<br />
Allgemeinen werden diese Gründe durch den Kontext parametrisiert: So hatten<br />
die Sadduzäer nicht die gleichen Gründe wie die Pharisäer, an die Unsterblichkeit<br />
der Seele zu glauben.<br />
Durkheim wird in dieser Hinsicht sogar noch deutlicher als Weber. Er steht<br />
Autoren seiner Zeit äußerst kritisch gegenüber, die – wie Max Müller oder<br />
Lucien Lévy-Bruhl – religiöse Überzeugungen oder magische Rituale als Folge<br />
von Illusionen analysieren, die durch soziale Zwänge oder verborgene psychische<br />
Kräfte in die Köpfe der Individuen gelangt sind. Er postuliert explizit,<br />
dass dauerhafte Überzeugungen niemals als Illusionen erklärt werden dürfen.<br />
Er hätte also die marxistische Vorstellung abgelehnt, nach der die soziale Konditionierung<br />
die Individuen blind macht für die Gründe, aus denen sie das tun,<br />
was sie tun, und daran glauben, woran sie glauben: Eine Idee, die Soziologen mit
Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
XIX<br />
strukturalistischem Ansatz im Gegenteil für ein Fundamentalpostulat halten.<br />
Nichts davon findet sich bei Weber und Durkheim: Da das Individuum normalerweise<br />
eher die Ziele seiner Handlung als seine Beweggründe im Auge hat, ist<br />
es sich der Gründe, die es antreiben, im Allgemeinen nur halb bewusst. Doch es<br />
liegen Lichtjahre zwischen dieser banalen Bemerkung und der von den Strukturalisten<br />
übernommenen These von Marx und Karl Mannheim, derzufolge das<br />
Selbst- und das Weltbild des Individuums unter dem Einfluss eines solchen Sozialdeterminismus<br />
zwangsläufig verzerrt sind. Im Gegensatz zu dieser These<br />
spielen für Durkheim und Weber der gesunde Menschenverstand und der Common<br />
Sense 1 eine zentrale Rolle.<br />
Ein einfaches, Weber entlehntes Beispiel veranschaulicht die Idee, dass Überzeugungen<br />
durch die Gründe erklärt werden müssen, aus denen ihnen die Individuen<br />
anhängen, und zwar unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Kontextes.<br />
Ein idealtypischer moderner Abendländer ist überrascht, wenn er feststellt,<br />
dass der „primitive Mensch“, wie man im 19. Jahrhundert sagte, offenbar an die<br />
Wirksamkeit von Regentanzritualen glaubt; nicht überrascht ist er hingegen angesichts<br />
der Tatsache, dass dieser zwei Holzstücke aneinander reibt, um Feuer<br />
zu erzeugen. Da der Abendländer die Gesetze der Energieumwandlung kennt,<br />
weiß er, dass sich kinetische Energie in thermische umwandelt. Daher wundert<br />
er sich nicht über den „Feuermacher“; das Verhalten des „Regenmachers“ hingegen<br />
erscheint ihm rätselhaft. Der „primitive Mensch“ selbst wiederum hat<br />
überhaupt keinen Grund, hier genauso zu differenzieren: Wie die Beobachtungen<br />
von Anthropologen zeigen, sind für ihn die Praktiken des „Feuermachers“<br />
und des „Regenmachers“ gleichermaßen durch Theorien fundiert; diese werden<br />
vom Abendländer jedoch als „magisch“ wahrgenommen.<br />
In diesem Beispiel und in all seinen Analysen empfiehlt Weber, die übliche<br />
instrumentelle Konzeption von Rationalität durch eine kognitive zu ersetzen.<br />
Das Beispiel veranschaulicht mit anderen Worten die für Weber zentrale Idee,<br />
wonach eine individuelle Handlung, Überzeugung oder Verhaltensweise zu<br />
verstehen bedeutet, die Gründe für sie im Geiste des Individuums zu identifizieren<br />
– wobei die Entschlüsselung dieser Gründe selbstverständlich impliziert,<br />
dass der Forscher die Merkmale des sozialen und kognitiven Kontextes berücksichtigt,<br />
in dem das Individuum verortet ist.<br />
Die Theorie, die ich allgemeine Theorie der Rationalität oder auch Theorie<br />
der Alltagsrationalität nennen möchte, formalisiert die von Weber in seinen<br />
theoretischen Texten skizzierten und in seinen empirischen Analysen umgesetzten<br />
Ideen. Sie unterscheidet sich von der in den Sozialwissenschaften üb-<br />
1<br />
Anm. d. Übers.: Französisch „sens commun“, deutsch auch „Sensus communis“. Der<br />
Autor differenziert durchgehend zwischen dem gesunden Menschenverstand auf der Individualebene<br />
(„le bon sens“), also der Vernunft jedes einzelnen, und dem „Common Sense“ auf<br />
der Makroebene, welcher den aggregierten gesunden Menschenverstand Aller, also eine Art<br />
kollektive Vernunft bezeichnet.
XX<br />
Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
licherweise herangezogenen Rational-Choice-Theorie. Diese postuliert, dass<br />
die Gründe, welche die Individuen antreiben, egoistischer und instrumenteller<br />
Natur sind; in der allgemeinen Theorie der Rationalität können sie auch überindividueller<br />
und kognitiver Art sein. Beispielsweise sind die Gründe, die erklären,<br />
warum Abendländer das Verhalten des „Regenmachers“ im Gegensatz<br />
zum Verhalten des „Feuermachers“ als seltsam betrachten, überindividuell und<br />
kognitiv.<br />
Diese allgemeine Theorie der Rationalität fußt letztlich auf einem Prinzip,<br />
dass ich Prinzip des kognitiven Gleichgewichts nennen möchte. Es besagt: Ein<br />
Individuum glaubt erst von dem Augenblick an, dass X wahr, akzeptabel, gut,<br />
legitim usw. ist, in dem es den Eindruck hat, dass dieses Urteil auf einem System<br />
akzeptabler Gründe beruht. Die Rational-Choice-Theorie und die allgemeine<br />
Theorie der Rationalität widersprechen sich in einem ganz entscheidenden<br />
Punkt: Die Rational-Choice-Theorie sieht den homo sociologicus als Solipsisten,<br />
die allgemeine Theorie der Rationalität als verbunden mit Anderen. Man<br />
kann in der Tat nicht der Überzeugung sein, dass X wahr, richtig, gut, legitim<br />
usw. ist, ohne gleichzeitig das Gefühl zu haben, dass andere diese Überzeugung<br />
teilen müssten.<br />
Neben dem methodologischen Singularismus und dem methodologischen<br />
Individualismus ist schließlich das Prinzip des kognitiven Gleichgewichts das<br />
dritte Prinzip, welches meiner Ansicht nach implizit jenes Paradigma definiert,<br />
das von den Gründervätern der Soziologie und ebenso von vielen modernen<br />
Soziologen – insbesondere den Verfechtern der sog. analytischen Soziologie –<br />
benutzt wird.<br />
Weil es so erklärungsstark und einleuchtend ist, wurde dieses Paradigma<br />
schon seit jeher angewendet und unter verschiedenen Bezeichnungen geführt:<br />
verstehende Soziologie, erklärende Soziologie, analytische Soziologie oder auch<br />
middle-range theory (Pawson <strong>200</strong>9). Ich meinerseits habe vorgeschlagen, dieses<br />
Paradigma als Definiens der Soziologie als Wissenschaft zu präsentieren, um<br />
zu unterstreichen, dass es in allen wissenschaftlichen Disziplinen gilt. Alle, ob<br />
Physik, Biologie oder Soziologie, versuchen singuläre Phänomene zu erklären,<br />
indem sie zu deren letzten Ursachen vordringen.<br />
Natürlich machen sich nicht alle Soziologen das durch die oben genannten<br />
drei Prinzipien definierte Paradigma zu eigen. Der Kontrast zwischen der individualistischen<br />
Soziologiekonzeption in der Tradition Webers, Durkheims<br />
und ihrer Nachfolger sowie der von Le Bon und heute von Ulrich Beck oder<br />
Zygmunt Bauman vertretenen holistischen Konzeption zeigt hinreichend, dass<br />
die holistische Orientierung anderen Prinzipien gehorcht. Daneben existieren<br />
außerdem eine deskriptive Soziologie, die bestenfalls literarischen Wert hat;<br />
eine kritische Soziologie, die gern nach Theorien sucht, die zur Verteidigung<br />
dieser oder jener Sache genutzt werden können; und schließlich eine szientistische<br />
Soziologie, die sorgfältig von der Soziologie als Wissenschaft zu unterschei-
Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />
XXI<br />
den ist. Sie wird durch die strukturalistische Soziologie, durch die Soziobiologie<br />
oder durch jene Soziologie illustriert, die all ihre Hoffnungen auf die Entwicklung<br />
der Neurowissenschaften setzt. Diese Varianten haben eines gemeinsam:<br />
Sie gehen alle davon aus, dass das menschliche Verhalten das Produkt sozialer,<br />
psychologischer oder biologischer Ursachen ist, die sich, ähnlich wie die Ursachen<br />
menschlicher Verdauungsmechanismen, vollständig der Kontrolle durch<br />
den menschlichen Geist und das menschliche Bewusstsein entziehen (Boudon<br />
2012).<br />
Müssen die Geisteswissenschaften das Menschliche wirklich über Bord werfen,<br />
um wissenschaftlich zu sein?<br />
Raymond Boudon, Oktober 2012<br />
Literatur<br />
Beck, Ulrich 1986: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt<br />
am Main: Suhrkamp.<br />
Borlandi, Massimo 2011: Durkheim et la psychologie, in: Boudon, Raymond (Hrsg.):<br />
Durkheim fut-il durkheimien?, Paris: Colin: S. 55–80.<br />
Boudon, Raymond 2012: Croire et savoir: penser le politique, le moral et le religieux, Paris:<br />
Presses Universitaires de France.<br />
Demeulenaere, Pierre (Hrsg.) 2012: Analytical Sociology and Social Mechanisms, Cambridge:<br />
Cambridge University Press.<br />
Durkheim, Émile [1897] 1983: Der Selbstmord, Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />
Le Bon, Gustave 1895: Psychologie des foules, Paris: Aclan. Deutsche Ausgabe <strong>200</strong>8: Die<br />
Psychologie der Massen, Stuttgart: Kröner.<br />
Lepenies, Wolf 1985: Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft,<br />
München: Hanser.<br />
Mommsen, Wolfgang 1965: Max Weber’s Political Sociology and his Philosophy of World<br />
History, in: International Social Science Journal 17 (1): S. 23–45.<br />
Pawson, Ray <strong>200</strong>9: On the Shoulders of Merton. Boudon as the modern Guardian of<br />
Middle-Range Theory, in: Cherkaoui, Mohamed/Hamilton, Peter (Hrsg.): Raymond<br />
Boudon: A Life in Sociology, Band 4, Oxford: Bardwell Press: S. 317–334.<br />
Tocqueville, Alexis de [1840] 1987: Über die Demokratie in Amerika. Zweiter Teil, Zürich:<br />
Manesse.<br />
von Mises, Ludwig [1949] 1998: Human Action. A Treatise on Economics, Auburn: Ludwig<br />
von Mises Institute.<br />
Weber, Max [1921] 1988: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie III, Tübingen:<br />
<strong>Mohr</strong>.<br />
Weber, Max [1922] 1988: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Auflage, Tübingen:<br />
<strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong>.<br />
Wiggershaus, Rolf <strong>200</strong>8: Die Frankfurter Schule: Geschichte, Theoretische Entwicklung,<br />
Politische Bedeutung, 7. Auflage, München: Deutscher Taschenbuch <strong>Verlag</strong>.
XXII
XXIII<br />
Vorwort zur französischen Originalausgabe<br />
Genau wie die Naturwissenschaften entwickeln sich auch die Sozialwissenschaften<br />
immer mehr über Aufsätze statt durch Bücher. Die vorliegende Sammlung<br />
von Artikeln ist die Weiterentwicklung meines Buches Raison, bonnes<br />
raisons (Boudon <strong>200</strong>3). Mehrere der Beiträge wurden nach Erscheinen dieses<br />
Buches verfasst und vertiefen in einigen Punkten die dort vorgebrachte allgemeine<br />
Theorie der Rationalität – insbesondere aufbauend auf den Diskussionen,<br />
zu denen das Buch geführt hat. Die Grundlagen der allgemeinen Theorie<br />
der Rationalität sowie die Gründe, warum sie mir fruchtbarer erscheint als die<br />
Rational-Choice-Theorie, werden detaillierter ausgearbeitet als im Buch von<br />
<strong>200</strong>3. Abgesehen davon bieten die Artikel einen Überblick über das Spektrum<br />
an Themen, für die sich die allgemeine Theorie der Rationalität als adäquates<br />
Paradigma herausstellt. Betont wird, dass es genau dieses Paradigma ist, das<br />
zahlreiche, überall in der Soziologie anerkannte Klassiker verfolgt haben.<br />
Die zwei Artikel des ersten Teils bieten einen Überblick über die allgemeine<br />
Theorie der Rationalität und präzisieren deren Verhältnis zur Rational-Choice-Theorie.<br />
Sie schlagen eine analytische Definition des kontroversen<br />
Begriffs der „axiologischen Rationalität“ 2 vor.<br />
Die fünf Artikel des zweitens Teils illustrieren die Bedeutung der allgemeinen<br />
Theorie der Rationalität für die Erklärung weiter Bereiche an soziologischen<br />
Fragestellungen: das Verständnis fremder Kulturen, die Erklärung<br />
religiöser Überzeugungen und solcher Überzeugungen, die ein Beobachter<br />
spontan als „irrational“ qualifizieren würde, die Erklärung von Meinungsphänomenen,<br />
vom Wertewandel im Generationenverlauf und von mittel- und langfristigen<br />
Entwicklungstendenzen, denen demokratische Gesellschaften unterliegen.<br />
Die Wahl dieser konkreten Phänomene hat den Vorteil aufzuzeigen, dass<br />
die theoretischen Diskussionen zum Begriff der Rationalität eine unmittelbare<br />
Bedeutung für die Erklärung sozialer Phänomene haben.<br />
Spontane Erklärungen sozialer Phänomene machen aus diesen oft das Ergebnis<br />
„irrationaler“ Verhaltensweisen. Die generelle Schlussfolgerung aus den<br />
im vorliegenden Band versammelten Texten lautet, dass eine wissenschaftliche<br />
Erklärung sozialer Phänomene aber in der Regel darin besteht zu zeigen, dass<br />
man sie vielmehr auf rationale Gründe zurückführen muss. Genau dies haben<br />
2<br />
Etwa: „Wertrationalität“, Anm. d. Übers.
XXIV<br />
Vorwort zur französischen Originalausgabe<br />
Tocqueville, Weber oder Durkheim instinktiv vermutet. Sie haben klar gesehen,<br />
dass eine soziologische Erklärung oft bedeutet, die Grenzen der Rationalität<br />
neu zu ziehen. Genau dies ist einer der Kernpunkte, der die Größe ihrer Werke<br />
erklärt und aus ihnen eine unverzichtbare Propädeutik für die aktuell identitätslosen<br />
Sozialwissenschaften macht.<br />
Das Kapitel „Der Zerfall der zeitgenössischen Sozialtheorie“ („L’éclatement<br />
de la théorie sociale contemporaine“) wurde ursprünglich für einen Band über<br />
soziologische Theorie, initiiert von François Chazel und Jacques Coenen-Huther<br />
verfasst. Der Artikel „Rational-Choice-Theorie und allgemeine Theorie der Rationalität“<br />
(„Théorie du choix rationnel et théorie générale de la rationalité“) ist<br />
die ausführlichere Version eines Beitrags in der dritten Auflage des The New<br />
Blackwell Companion to Social Theory“, herausgegeben von Bryan S. Turner<br />
(Boudon <strong>200</strong>9). Das Kapitel „Die Rationalität der Moderne nach Tocqueville“<br />
(„La rationalité de la modernité selon Tocqueville“) ist die schriftliche Fassung<br />
eines Vortrags vom 31. Mai <strong>200</strong>5 am Institut de France im Rahmen eines Symposiums<br />
zur Feier des zweihundertsten Geburtstages von Tocqueville. Er wurde<br />
unter dem Titel „L’éxigence de Tocqueville: la ‚science politique nouvelle‘“ im<br />
Tocqeville Review/Revue Tocqueville publiziert (Boudon <strong>200</strong>6). 3 „Die Rationalität<br />
religiöser Überzeugungen nach Max Weber“ („La rationalité des croyances<br />
religieuses selon Max Weber“) wurde ursprünglich in L’Année sociologique unter<br />
dem Titel „La rationalité du religieux selon Max Weber“ veröffentlicht (Boudon<br />
<strong>200</strong>1). Der Beitrag „Die Rationalität des ‚Irrationalen‘ nach Durkheim“ („La rationalité<br />
de l’‚irrationnel‘ selon Durkheim“) erschien zuerst in L’Année sociologique<br />
unter dem Titel „Les formes élémentaires de la vie religieuse: une théorie<br />
toujours vivante“ (Boudon 1999). „Die Rationalität des Wertewandels von Generation<br />
zu Generation“ („La rationalité de l’évolution des valeurs d’une génération<br />
à l’autre“) ist die überarbeitete Version eines vor der Société royale du Canada<br />
am 15. November <strong>200</strong>1 gehaltenen Vortrags. „Die Rationalität des institutionellen<br />
Wandels von Demokratien“ („La rationalité de l’évolution institutionelle<br />
des démocraties“) ist eine überarbeitete Version einer Broschüre mit dem Titel<br />
Renouveler la démocratie: mode d’emploi (Boudon <strong>200</strong>7). Es ist die theoretische<br />
Konvergenz der Texte, die mich dazu animiert hat, sie hier zu versammeln. Alle<br />
illustrieren die Wichtigkeit eines offenen Konzepts von Rationalität für die Analyse<br />
und das Verständnis politischer und sozialer Phänomene. Alle veranschaulichen<br />
den Umstand, dass die Sozialwissenschaften vor allem dann fruchtbar sind,<br />
wenn sie augenscheinlich höchst „irrationale“ Phänomene als Ergebnis individuell<br />
rationaler Verhaltensweisen erklären. Alle versuchen die Frage nach den<br />
Grenzen des Rationalen zu klären – die theoretische Kernfrage, die sich heute<br />
der Gesamtheit der Sozialwissenschaften stellt. Heute erkennen die Ökonomen<br />
3<br />
Eine deutsche Übersetzung einer leicht abweichenden Version des Artikels findet sich<br />
im Berliner Journal für Soziologie (Boudon <strong>200</strong>5), Anm. d. Übers.
Vorwort zur französischen Originalausgabe<br />
XXV<br />
immer mehr an, dass die in ihrer Disziplin etablierte Rationalitätstheorie, die<br />
Rational-Choice-Theorie, unbefriedigend ist; und bei den Soziologen wächst die<br />
Erkenntnis, dass sie zu oft den Bequemlichkeiten irrationaler Verhaltenserklärungen<br />
nachgegeben haben.<br />
Mehrere der hier versammelten Texte wurden ursprünglich zu großen Teilen<br />
in Form von Vorträgen präsentiert. Die Anmerkungen und Fragen des Publikums<br />
waren in allen Fällen sehr hilfreich, um die in diesem Band dem Leser<br />
präsentierten Texte auszuarbeiten. Besonders danke ich Mohammed Cherkaoui<br />
und Annie Devinant für ihre Anmerkungen zum Manuskript. Sie haben viel<br />
zu dessen Verbesserung beigetragen. Meine Frau hat mir geholfen, die unverständlichen<br />
Stellen in der ersten Version des Manuskripts zu finden und mich<br />
auf mehrere der Beispiele aus dem vergangenen und heutigen sozialen und politischen<br />
Alltag hingewiesen. Seit jeher erscheint es mir unverzichtbar, die Relevanz<br />
theoretischer Ideen zu illustrieren und zu testen, indem gezeigt wird, dass<br />
sie Sachverhalte erhellen, die auf den ersten Blick unverständlich erscheinen.<br />
Paris, 30. Juni <strong>200</strong>7<br />
Literatur<br />
Boudon, Raymond 1999: Les formes élémentaires de la vie religieuse: une théorie toujours<br />
vivante, in: L’Année sociologique 49 (1): S. 149–198.<br />
Boudon, Raymond <strong>200</strong>1: La rationalité du religieux selon Max Weber, in: L’Année sociologique<br />
51 (1): S. 9–50.<br />
Boudon, Raymond <strong>200</strong>3: Raison, bonnes raisons, Paris: Presses Universitaires de France.<br />
Boudon, Raymond <strong>200</strong>5: Tocquevilles Plädoyer für eine neue politische Wissenschaft, in:<br />
Berliner Journal für Soziologie 15 (4): S. 459–472.<br />
Boudon, Raymond <strong>200</strong>6: L’exigence de Tocqueville: la „science politique nouvelle“, in: The<br />
Tocqueville Review/Revue Tocqueville 27 (2): S. 13–34.<br />
Boudon, Raymond <strong>200</strong>7: Renouveler la démocratie: mode d’emploi, Paris: Fondation pour<br />
l’Innovation politique.<br />
Boudon, Raymond <strong>200</strong>9: Rational Choice Theory, in: Turner, Bryan S. (Hrsg.): The New<br />
Blackwell Companion to Social Theory, Chichester: Wiley-Blackwell: S. 179–195.
XXVI
1<br />
Einführung: Eine Theorie der Rationalität<br />
für die Sozialwissenschaften<br />
„Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der gesunde Menschenverstand.“<br />
Diese berühmte Behauptung 4 hätte wohl von allen großen Philosophen, Soziologen<br />
und Ökonomen unterzeichnet werden können. Wie die Theorie des „unparteiischen<br />
Zuschauers“ von Adam Smith zeigt, hat jedes Individuum, sobald<br />
es über Fragen nachdenkt, die seine Interessen, Leidenschaften oder vorgefassten<br />
Meinungen nicht gefährden und die es mit der erforderlichen Sachkompetenz<br />
beurteilen kann, alle Möglichkeit, das Gerechte und Wahre zu erkennen.<br />
Jean-Jacques Rousseau hat klar erkannt, dass der gesunde Menschenverstand<br />
die Grundlage des demokratischen Konsenses ist. Die „volontée générale“ nach<br />
Rousseau ist der Wille, den die Bürger zum Ausdruck brächten, wenn sie sich<br />
von ihren Leidenschaften, Interessen und vorgefassten Meinungen freimachen<br />
könnten. Sie würden dann alle Dinge, die keine Fachkenntnisse erfordern, mit<br />
Hilfe des gesunden Menschenverstandes beurteilen. Dieselbe Hypothese wird<br />
auch im „Schleier des Nichtwissens“ von John Rawls angedeutet. Die Theorie<br />
der kollektiven Vorstellungen von Emile Durkheim geht davon aus, dass das<br />
Individuum prinzipiell die Fähigkeit hat, die Vorurteile zu erkennen, die seine<br />
Meinungen bestimmen, aber sich meistens aus kognitiver Bequemlichkeit oder<br />
mitunter auch in seinem eigenen Interesse mit übernommenen Vorstellungen<br />
zufriedengibt.<br />
Der Begriff des gesunden Menschenverstandes ist unverzichtbar für das<br />
Verständnis praktisch aller sozialen, politischen oder kulturellen Phänomene.<br />
Ohne diesen Begriff könnten die kurz-, mittel- und langfristigen Entwicklungen,<br />
die das demokratische Leben kennzeichnen, nur schwer verstanden werden.<br />
Es wäre schwer, Informationen aus Umfragedaten – dem täglichen Brot<br />
politischer Kommentatoren und Soziologen – herauszukristallisieren oder die<br />
Glaubensüberzeugungen längst vergangener Epochen oder exotischer Kulturen<br />
zu erklären. Der Begriff des gesunden Menschenverstandes ist jedoch nicht nur<br />
für die Erklärung sozialer und politischer Phänomene unverzichtbar, sondern<br />
auch für das politische und alltägliche Handeln. Das Grundprinzip der Demokratie,<br />
nämlich jeden Bürger als letzte Quelle des Rechts zu sehen, verliert jede<br />
4<br />
Von René Descartes 1637, Discours de la méthode, dt. Abhandlung über die Methode,<br />
eig. Übersetzung, Anm. d. Übers.
2<br />
Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />
Bedeutung, wenn man die Idee nicht akzeptiert, dass der Mensch fähig ist, mit<br />
Hilfe seiner Vernunft über Fragen zu urteilen, die seine Interessen oder Leidenschaften<br />
nicht gefährden und in denen er die nötige Sachkenntnis besitzt.<br />
Wenn man die Bedeutung des gesunden Menschenverstandes im demokratischen<br />
Alltag nicht akzeptiert, reduziert sich dieser zwangsläufig auf das Hobbes’sche<br />
Bild des Krieges aller gegen alle: die Konfrontation von Interessen und<br />
Leidenschaften.<br />
Bleibt also nur noch, „gesunden Menschenverstand“ zu definieren. Wie wir<br />
sehen werden, existiert eine analytische Definition. Der wiederholte Rekurs<br />
auf den Begriff des gesunden Menschenverstandes unter verschiedenen anderen<br />
Bezeichnungen bei Smith, Rousseau und Rawls beweist dessen theoretische<br />
Bedeutung. Man könnte zwar behaupten, dass dadurch ein etwas zu theoretisches<br />
Menschenbild gezeichnet wird, doch jede wissenschaftliche Disziplin<br />
verwendet theoretische Konzepte. Die Frage ist lediglich, ob diese tatsächlich<br />
auch eine Erkenntnisquelle sind und ob sie es erlauben, Wirkungsmechanismen<br />
zu formulieren.<br />
Wie schon erwähnt, kann auch der Name Durkheims in die Reihe dieser Autoren<br />
aufgenommen werden. Tatsächlich nämlich steht bereits in seinem ersten<br />
Buch, dass „der Individualismus und das freie Denken […] nirgendwo anfangen,<br />
sondern […] sich unaufhaltsam die ganze Geschichte hindurch entwickelt<br />
[haben]“ (Durkheim [1893] 1992: 226 f.). Diese Formulierung unterstellt klar,<br />
dass der Mensch autonom ist und über gesunden Menschenverstand verfügt:<br />
ein Menschenbild, das den inhaltlichen Analysen des großen französischen Soziologen<br />
ebenso stetig zugrunde liegt wie allen großen Werken der Soziologie.<br />
Was nun den Gemeinsinn oder „Common Sense“ 5 anbetrifft, ist jener nichts<br />
anderes als die Aufsummierung des gesunden Menschenverstandes eines jeden.<br />
„Der Begriff, der ursprünglich für wahr gehalten wurde, weil er kollektiv<br />
ist, neigt dazu, nur unter der Bedingung kollektiv zu werden, dass er für wahr<br />
gehalten wird: Wir verlangen seine Richtigkeit, ehe wir ihm unser Vertrauen<br />
schenken“, präzisiert Durkheim ([1912] 1984: 585) noch einmal in seinem letzten<br />
Buch. Eine Vorstellung setzt sich – zumindest in langfristiger Sicht – als<br />
Common Sense nur dann durch, wenn jeder objektive Gründe dafür hat, ihr<br />
zuzustimmen.<br />
Der Bruch mit der Philosophie der Aufklärung<br />
Konträr zu der durch den Begriff des gesunden Menschenverstandes repräsentierten<br />
Tradition sind im 19. Jahrhundert einflussreiche Denkströmungen entstanden,<br />
die sich im 20. Jahrhundert weiter entfaltet haben. Diese streiten nicht<br />
5<br />
Vgl. Fußnote 1 im Vorwort zur deutschen Übersetzung, Anm. d. Übers.
Der Bruch mit der Philosophie der Aufklärung<br />
3<br />
nur die Existenz eines gesunden Menschenverstandes ab, sondern behaupten<br />
sogar, der Mensch werde ausschließlich von seinen Interessen, Leidenschaften<br />
und Vorurteilen geleitet.<br />
Sie gehen sogar noch weit darüber hinaus, wenn sie fordern, die Vorstellungen<br />
des Menschen in erster Linie als das Ergebnis kultureller, sozialer, biologischer<br />
oder psychologischer Kräfte oder Zwänge zu sehen, die sich seiner Kontrolle<br />
und sogar seinem Bewusstsein entziehen. Positivismus, Marxismus, Freudianismus<br />
oder andere moderatere Denkrichtungen wie der Kulturalismus und<br />
der Strukturalismus haben bei allen Unterschieden gemeinsam, dass sie ein radikal<br />
neues Menschenbild entwerfen. Die gesamte abendländische Denktradition<br />
– einschließlich der Philosophie der Aufklärer – hat immer die Autonomie<br />
des Menschen im Hinblick auf die Gedankenfreiheit und sein Urteilsvermögen<br />
betont, dabei aber durchaus die Bedeutung von Leidenschaften, Interessen und<br />
Vorurteilen in der menschlichen Psyche anerkannt. Das Denken Kants, der stets<br />
die Rationalität und die Autonomie des Menschen hervorgehoben hat, zieht sich<br />
konstant durch das Werk Max Webers genauso wie durch jenes von Emile Durkheim.<br />
Im Gegensatz dazu haben die im 19. und 20. Jahrhundert florierenden irrationalistischen<br />
Denkschulen ein fundamental heteronomes Menschenbild<br />
entworfen. Ihr Einfluss auf weite Bereiche der Geistes- und Sozialwissenschaften<br />
und dadurch auch auf das Bildungswesen, die Medien und – in geringerem<br />
Umfang – auf die Öffentlichkeit braucht nicht betont zu werden. Sie haben ein<br />
naturalistisches Menschenbild legitimiert, welches zwangsläufig in eine relativistische<br />
Philosophie münde. Sobald angenommen wird, dass ein Mensch ein<br />
bestimmtes Werturteil, also ein Urteil der Art „das ist gut, legitim usw.“, unter<br />
dem Einfluss sozialer, kultureller, psychologischer oder biologischer Kräfte<br />
oder Zwänge trifft, die mehr oder weniger mechanisch wirken, kann man unmöglich<br />
behaupten, dass das Urteil des einen Menschen besser begründet oder<br />
fundiert ist als das eines anders Urteilenden. Letztlich folgt aus dem naturalistischen<br />
Menschenbild notwendigerweise auch, dass alles nur Meinung ist, dass alle<br />
Meinungen gleichwertig sind, und auch, dass alle „Kulturen“ gleichwertig sind.<br />
Was aber nun Zweifel an der Gültigkeit der von diesen Denkströmungen<br />
übernommenen Modelle aufwirft, ist insbesondere die Tatsache, dass die bedeutendsten<br />
Soziologen sie in keinster Weise benutzt haben. Tocqueville, Weber<br />
und Durkheim, um nur die größten zu nennen, halten sich an die klassische<br />
Konzeption des Menschen, und dies übrigens ganz im Gegensatz zu dem, was<br />
uns die Vertreter, die durch die naturalistische Brille schauen, weismachen wollen.<br />
Für Tocqueville, Weber und Durkheim ist der Mensch mit einem gesunden<br />
Menschenverstand ausgestattet und nicht anonymen Kräften unterworfen,<br />
wobei der gesunde Menschenverstand sicherlich durch Leidenschaften und<br />
Vorurteile eingetrübt werden kann. Mit Hilfe dieses Modells erklären sie die<br />
komplexesten Makrophänomene. Tocqueville gelingt es, das Mysterium des<br />
Sonderwegs der amerikanischen Religion oder des „Kultes der Vernunft“ im
4<br />
Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />
Frankreich des 18. Jahrhunderts zu entschlüsseln, und zwar indem er sich damit<br />
begnügt, den Amerikanern und Franzosen eine möglichst einfache Psychologie<br />
zu unterstellen. Max Weber macht unzählige religiöse Phänomene transparent,<br />
nur indem er den Gläubigen die einfachste Psychologie attribuiert. Durkheim<br />
hat gezeigt, dass sich scheinbar völlig irrationale Überzeugungen – wie z. B.<br />
der Glaube an imaginäre Kausalbeziehungen, auf denen Praktiken der Magie<br />
basieren – viel besser erklären lassen, wenn man gerade von nicht-irrationalen<br />
Gläubigen ausgeht.<br />
Die Reaktion der Rational-Choice-Theorie<br />
Als Reaktion auf die Denkströmungen, die menschliches Handeln auf das Wirken<br />
überindividueller Kräfte zurückführen, waren die Sozialwissenschaften in<br />
den letzten Jahrzehnten vor allem vom beeindruckenden Siegeszug einer Theorie<br />
mit generalistischem Anspruch geprägt: der Theorie der rationalen Wahl<br />
oder Rational-Choice-Theorie. Diese hat in den letzten Jahren innerhalb der<br />
Sozialwissenschaften entscheidend an Einfluss gewonnen. Sie sieht den homo<br />
sociologicus als nahen Verwandten des homo oeconomicus und schlägt den Politik-<br />
und Sozialwissenschaften und insbesondere der Soziologie einen allgemeinen<br />
theoretischen Rahmen vor.<br />
Die Rational-Choice-Theorie kann unbestrittene und bedeutende Erfolge<br />
verbuchen. Sie hat es erlaubt, auf wissenschaftlich überzeugende Art und Weise<br />
eine große Zahl an Phänomenen aus der Welt der Ökonomie zu erklären, aber<br />
auch viele andere Phänomene, die nicht aus der Ökonomie stammen. Besonders<br />
beachtlich ist ihr Beitrag zur Erklärung von Phänomenen des politischen<br />
Lebens. Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere an die nunmehr<br />
klassischen Arbeiten von Anthony Downs, Mancur Olson, James Buchanan<br />
und Gordon Tullock, oder auch Anthony Oberschall und, unlängst, von Gary<br />
Becker (1996), James Coleman ([1990] 1991) sowie vielen anderen. Genauso hat<br />
sie sich besonders fruchtbar bei der Erklärung von Phänomenen der Delinquenz<br />
erwiesen, wie die Arbeiten von James Wilson (1975) oder Russell Hardin (1995)<br />
beweisen. Mit ihrer Hilfe ließen sich Phänomene von Menschenaufläufen erklären,<br />
wie James Coleman gezeigt hat.<br />
Die Rational-Choice-Theorie verdankt ihre Erfolge der Tatsache, dass sie<br />
Phänomene auf „individualistische“ Weise interpretiert, die auf den ersten<br />
Blick nicht in diesen Interpretationsrahmen passen. Seit Gustave Le Bon kehrt<br />
der Mythos einer kollektiven Psychologie, deren Mechanismen von der individuellen<br />
Psychologie völlig abgekoppelt seien, immer wieder auf die Tagesordnung<br />
zurück, sogar heute noch. Allgemein gesagt führt das Auftreten von verwirrenden<br />
oder anstößigen Ereignissen immer wieder zu Arbeiten, die diese<br />
Ereignisse auf eine tief sitzende Irrationalität des Menschen sowie auf Gesetze
Misserfolge der Rational-Choice-Theorie<br />
5<br />
einer kollektiven Psychologie zurückführen, die allerdings erst noch nachzuweisen<br />
wären. Nicht nur Attentate von Fundamentalisten, sondern auch die<br />
Launen der Börse oder die Entwicklung der „Dotcom-Blase“ haben schon genügt,<br />
um irrationalistischen Verhaltenstheorien neues Leben einzuhauchen.<br />
Zwangsläufig ist diese Kollektivpsychologie – deren Gegenstandbereich laut<br />
deren Vertretern natürlich gänzlich verschieden von jenem der individuellen<br />
Psycho logie ist – stets eine hohle Beschwörungsformel geblieben.<br />
Die Rational-Choice-Theorie bediente eine bestimmte Erwartungshaltung:<br />
Soziologen hatten seit einiger Zeit immer klarer die Unzulänglichkeiten jener<br />
Konzeption erkannt, die den Menschen als Spielball anonymer Kräfte sozialer,<br />
kultureller oder biologischer Art sieht, den „sozialen Strukturen“ oder den in<br />
einem Milieu geltenden Normen, dem Gesetz der biologischen Evolution oder<br />
bestimmten Instinkten wie dem Nachahmungstrieb unterworfen. Die unbestrittenen<br />
wissenschaftlichen Erfolge der Rational-Choice-Theorie sowie die<br />
Tatsache, dass sie eine Alternative zu dem beschriebenen anfechtbaren Verhaltenskonzept<br />
bietet, sind die beiden Faktoren, die ihren Einfluss erklären.<br />
Misserfolge der Rational-Choice-Theorie<br />
Allerdings bin ich nicht davon überzeugt, dass die Rational-Choice-Theorie einen<br />
theoretischen Rahmen für die Sozialwissenschaften bietet, der allgemein genug<br />
ist. Das wird dort deutlich, wo sie keine Erklärung für allgemein bekannte<br />
Phänomene liefern kann. Sie kann nicht erklären, warum Menschen wählen gehen.<br />
Sie ist hilflos angesichts negativer Gefühle, die durch bestimmte, allgemein<br />
geächtete Handlungen provoziert werden. Sie ist unfähig, so wichtige Phänomene<br />
wie die Entwicklung des moralischen Empfindens oder der Religiosität<br />
abendländischer Gesellschaften während der letzten Jahrhunderte bzw. Jahrzehnte<br />
zu erklären. Die Vorhersagen der Rational-Choice-Theorie werden von<br />
der Realität zuweilen mit einer spektakulären Härte widerlegt. So zeigen Experimente<br />
aus dem Bereich der Neurowissenschaften, dass sich unter bestimmten<br />
Umständen Versuchspersonen nur dann gemäß der Rational-Choice-Theorie<br />
verhalten, wenn die normale Funktion bestimmter, genau definierter Bereiche<br />
ihres Gehirns zuvor ausgeschaltet wurde (Knoch et al. <strong>200</strong>6, vgl. auch Henderson<br />
<strong>200</strong>6). Das heißt, ein normal funktionierender Mensch folgt nicht notwendigerweise<br />
den Grundsätzen der Rational-Choice-Theorie. Diese Befunde<br />
widersprechen der seitens der Rational-Choice-Theorie oft proklamierten Ambition,<br />
dank ihrer Formalisierung eine starke Prognosekraft zu besitzen.<br />
Aufgrund dieser erwiesenen Unzulänglichkeiten muss die Rational-Choice-<br />
Theorie wichtige Kategorien von Verhaltensweisen notgedrungen irrationalistischen<br />
Erklärungen überlassen, die wiederum anonyme biologische, kulturelle,<br />
soziale oder psychologische Kräfte heraufbeschwören. So kehrt sie aber zu der
6<br />
Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />
Konzeption menschlichen Verhaltens zurück, die sie aufzugeben behauptete<br />
und die sie ursprünglich ersetzen wollte. Obendrein sind die Einflüsse, die sie<br />
nun bemüht, in den meisten Fällen rein spekulativ. Sie werden implizit in Sätzen<br />
wie den folgenden postuliert: „Sie handeln in einer Weise, die uns seltsam<br />
erscheint, weil man in ihrem Milieu so handelt; sie glauben an merkwürdige<br />
Dinge, weil man in ihrer Kultur an solche Dinge glaubt.“ Solche Erklärungen,<br />
obgleich gang und gäbe, verdienen nicht die Bezeichnung „Erklärung“. Sie sind<br />
offenkundig tautologisch. Sie gehören per se zur Kategorie von Pseudo-Erklärungen,<br />
die schon Molière zu seinem berühmten sarkastischen Spruch angeregt<br />
haben: „Opium schläfert ein, weil es eine einschläfernde Wirkung hat.“ Indem<br />
sich die Rational-Choice-Theorie damit zufrieden gibt, über für sie nicht erklärbare<br />
Handlungen durch Rekurs auf die Idee Rechenschaft abzulegen, dass<br />
soziale Akteure unter der Einwirkung von durch anonyme Kräfte installierten<br />
„Rahmen“ (frames) handeln, fällt sie erneut in das Chaos zurück, aus dem sie<br />
die Sozialwissenschaft eigentlich herausholen wollte. Schon Karl Popper (1976)<br />
hat zu Recht bekundet, dass der Begriff des „frame“ rein mythisch ist: Er verdient<br />
es nicht, zur Sprache der Wissenschaft zu gehören.<br />
In dem Bewusstsein, dass solche phrasenhaften Erklärungen inakzeptabel<br />
sind, haben einige Autoren vorgeschlagen, den Unzulänglichkeiten der Rational-Choice-Theorie<br />
mit einer Hinwendung zu den Neurowissenschaften und<br />
zur Soziobiologie zu begegnen. So hat ein einflussreicher amerikanischer Autor,<br />
James Wilson, in seinen früheren Büchern versucht, kriminelle Verhaltensweisen<br />
mit Hilfe der Rational-Choice-Theorie zu erklären – mit dem oben beschriebenen<br />
Erfolg. Er hat nachgewiesen, dass Straftäter in zahlreichen Fällen<br />
einem rationalen Kalkül folgen und dass mit dieser Annahme viele Erscheinungsformen<br />
der Kriminalität über Raum und Zeit erklärt werden können.<br />
Aber als er anschließend versuchte, die Existenz eines moralischen Empfindens<br />
zu ergründen, das dem Menschen innewohnt und das erklärt, warum stets<br />
nur eine kleine Minderheit von Individuen delinquent wird, gab er die Rational-Choice-Theorie<br />
zugunsten der Soziobiologie auf (Wilson 1993).<br />
Es ist unstrittig, dass die Soziobiologie und die Neurowissenschaften dazu<br />
aufgerufen sind, in Zukunft soziale Phänomene zu beleuchten, die für die Sozialwissenschaften<br />
undurchsichtig geblieben sind. Was die Soziobiologie betrifft,<br />
so hat sie zu interessanten Thesen geführt, etwa zu denen von Wilson über<br />
den Ursprung des Moralempfindens. Doch nach unserem aktuellen Kenntnisstand<br />
wird es schwierig, Prozeduren zur Überprüfung dieser Thesen zu entwickeln.<br />
Die Neurowissenschaften wiederum machen auf Effekte aufmerksam,<br />
die durch diverse Veränderungen des Zentralnervensystems entstehen, und lassen<br />
hoffen, Gründe für Verhaltensweisen zu finden, die man mit den Möglichkeiten<br />
der Geistes- und Sozialwissenschaften allein nur schwer erklären kann.<br />
Die Sozialwissenschaften ihrerseits halten jedoch mit Sicherheit zu Recht an<br />
ihrem Anspruch fest, jegliche soziale und politische Phänomene ausgehend von
Eine allgemeine Theorie der Rationalität<br />
7<br />
gewöhnlichen Subjekten mit einer normalen Psychologie zu erklären. Wie die<br />
Geschichte der Sozialwissenschaften eindrücklich belegt, lassen sich zahlreiche<br />
rätselhafte soziale und politische Phänomene einzig und allein mit diesen zwei<br />
Zutaten erklären.<br />
Kurz zusammengefasst: Wegen ihrer Schwachpunkte hat die Rational-<br />
Choice-Theorie Erklärungen irrationalistischen Charakters, die sie vorher erfolgreich<br />
vor die Tür gesetzt hatte, durch die Hintertür wieder hereingelassen.<br />
Einige Erklärungen irrationalistischer Art gehören aber zu einem wissenschaftlichen<br />
Register, wie etwa die Neurowissenschaften oder die Soziobiologie, andere,<br />
wie solche, die sich damit begnügen, psychologische oder okkulte soziale<br />
Kräfte heraufzubeschwören, hingegen nicht.<br />
Schon vor einiger Zeit haben die Schwierigkeiten der Rational-Choice-Theorie<br />
Herbert Simon zu seiner Theorie der „begrenzten Rationalität“ („bounded<br />
rationality“) inspiriert. Gary Becker hat eine Version der Rational- Choice-<br />
Theorie vorgelegt, die einige ihrer Schwächen ausräumen konnte. Diese Autoren<br />
markieren die einzigen zwei großen Durchbrüche, welche die Rational-Choice-Theorie<br />
in den letzten Jahrzehnten zu verzeichnen hatte. Trotzdem<br />
ist sie nach wie vor und sogar in ihren offeneren Versionen untauglich gegenüber<br />
einer Vielzahl an Phänomenen. Daher ist es wichtig, das Augenmerk auf eine<br />
Diagnose der Gründe für die Schwachpunkte der Rational-Choice-Theorie zu<br />
legen, und, wenn möglich, Abhilfe zu schaffen.<br />
Eine allgemeine Theorie der Rationalität<br />
Dieser letzte Punkt ist eines der Hauptziele, das in den hier versammelten Beiträgen<br />
verfolgt wird. Die Artikel präsentieren und erläutern einen Ansatz, den<br />
ich vorschlage, allgemeine Theorie der Rationalität zu nennen. Wie die Rational-Choice-Theorie<br />
auch, folgt dieser Ansatz der Perspektive des methodologischen<br />
Individualismus. Aber im Gegensatz zur Rational-Choice-Theorie vermeidet<br />
er es, menschliche Rationalität auf ihre instrumentelle Dimension zu<br />
reduzieren. Berücksichtigt wird stattdessen, dass nicht nur die Wahl von Mitteln,<br />
sondern auch die Wahl von Zielen und Werten als rational bezeichnet werden<br />
kann, und zwar in einem Sinn, den es noch zu präzisieren gilt. Mit anderen<br />
Worten basiert meine Theorie zum einen auf der Diagnose, dass die Schwächen<br />
der Rational-Choice-Theorie daher rühren, dass sie Rationalität stets mit instrumenteller<br />
Rationalität gleichsetzt, zum anderen auf der Vermutung, dass<br />
diese Gleichsetzung keineswegs zwingend ist. Mit dieser Diagnose geht eine<br />
Erweiterung des Rationalitätsbegriffs einher; deshalb der Vorschlag, die Theorie<br />
als „allgemein“ zu qualifizieren.<br />
Mit der allgemeinen Theorie der Rationalität ist es möglich, wesentliche soziale<br />
Phänomene – wie Glaubensüberzeugungen und Meinungen – Erklärun-
8<br />
Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />
gen zuzuführen, die ohne die zwar geläufigen, aber unbefriedigenden Erklärungen<br />
irrationalistischer Art auskommen, welche solche Phänomene lediglich<br />
als Resultat soziokultureller Determinismen sehen. Der Ansatz ist jedoch nicht<br />
nur für die Erklärung von Überzeugungen notwendig, sondern auch für die Erklärung<br />
von Handeln, da jedes Handeln auch Überzeugungen mit einschließt.<br />
Er hat eine bessere Vorhersagekraft als die Rational-Choice-Theorie und vermeidet<br />
es gänzlich, menschliche Verhaltensweisen, Überzeugungen und Handlungen<br />
durch Bemühen von spekulativen anonymen Kräften oder Einflüssen<br />
zu erklären.<br />
Der erste der hier versammelten Texte („Der Zerfall der zeitgenössischen<br />
Sozialtheorie“) geht der Frage nach, aus welchen Gründen die Sozialwissenschaften<br />
heute keinen allgemeinen theoretischen Rahmen außer der Rational-Choice-Theorie<br />
zu besitzen scheinen, wobei über diese jedoch kein Konsens<br />
herrscht. Der zweite Beitrag („Rational-Choice-Theorie und allgemeine Theorie<br />
der Rationalität“) hat zum Ziel, eine präzise Diagnose über die Erfolge und<br />
über die Gründe für die Misserfolge der Rational-Choice-Theorie zu erstellen.<br />
Es wird gezeigt, dass die Defizite der Rational-Choice-Theorie im Wesentlichen<br />
nur durch eine Neukonzeption der heute in den Sozialwissenschaften dominierenden<br />
Rationalitätstheorie behoben werden können. Aus diesen ersten zwei<br />
Beiträgen geht die erwähnte allgemeine Theorie der Rationalität hervor.<br />
Die Texte im zweiten Teil des Bandes verfolgen das Ziel, die Bedeutung<br />
dieses Ansatzes für einige zentrale Fragen herauszustellen. Der vierte Beitrag<br />
(„Die Rationalität der Moderne nach Tocqueville“) zeigt, dass die „neue politische<br />
Wissenschaft“, auf deren Dringlichkeit Tocqueville zu seiner Zeit verwiesen<br />
und deren Konturen er implizit abgesteckt hat, bereits die allgemeine<br />
Theorie der Rationalität vorwegnahm, um kulturelle Unterschiede zu erklären,<br />
wie sie etwa zwischen Frankreich und England bzw. den Vereinigten Staaten<br />
festzustellen waren. Der fünfte Beitrag („Die Rationalität religiöser Überzeugungen<br />
nach Max Weber“) und der sechste („Die Rationalität des ‚Irrationalen‘<br />
nach Durkheim“) dokumentieren, dass eine wissenschaftliche Erklärung<br />
religiöser Glaubensüberzeugungen sowie des Glaubens an Magie nur im Rahmen<br />
der allgemeinen Theorie der Rationalität erfolgen kann – wie die beiden<br />
dominierenden Größen der deutschen und der französischen Soziologie schon<br />
klar, aber nur implizit angedeutet haben. Der siebte Text („Die Rationalität<br />
des Wertewandels von Generation zu Generation“) zeigt die Unverzichtbarkeit<br />
der Theorie für die Erklärung der Veränderungen, die man in den Werten<br />
der abendländischen Welt im Generationenverlauf beobachtet. Der in den letzten<br />
Jahrzehnten dort zu beobachtende Wandel der Sitten und Gebräuche zeugt<br />
den vorliegenden Umfragen zufolge eher von Rationalisierung als von Beliebigkeit.<br />
Im achten Beitrag („Die Rationalität des institutionellen Wandels von Demokratien“)<br />
wird die Bedeutung der allgemeinen Theorie der Rationalität für<br />
die Erklärung der Evolution demokratischer Institutionen herausgestellt. Nicht
Vier Paradigmen<br />
9<br />
wenige Entwicklungen im Steuerrecht, im Strafrecht oder bezüglich der Definition<br />
von Rechten und Pflichten des Bürgers, werden durch einen Prozess der<br />
Rationalisierung geleitet.<br />
Selbstverständlich lässt sich die hier vorgestellte Theorie der allgemeinen Rationalität<br />
auch auf weitere Themen anwenden, die ebenso wichtig sind wie jene,<br />
die in den vorgelegten Analysen behandelt werden. Ich habe hier vor allem versucht,<br />
Themen zu bevorzugen, bei denen die Rational-Choice-Theorie machtlos<br />
erscheint.<br />
Zusammengenommen wollen die Analysen deutlich machen, dass die Kategorien<br />
des gesunden Menschenverstandes und des Common Sense unverzichtbar<br />
sind für eine Soziologie, die eine Erklärung für soziale Phänomene vorlegen<br />
möchte, welche sich penibel nach den Anforderungen richtet, denen jede<br />
wissenschaftliche Disziplin unterliegt. Wie vor allem die letzte Studie über den<br />
Wandel von Institutionen in demokratischen Gesellschaften zeigt, hat die allgemeine<br />
Theorie der Rationalität nicht nur Erklärungs-, sondern auch Prognosekraft.<br />
Des Weiteren vermag sie der Makrosoziologie wieder einen wissenschaftlichen<br />
Stil zu geben, wo doch dieses wichtige Kapitel der Soziologie heutzutage<br />
eher einer – bereits von Tocqueville so genannten – „literarischen“ Gattung zuzurechnen<br />
ist.<br />
Vier Paradigmen<br />
In seinem seinerzeit viel beachteten Buch Leidenschaften und Interessen stellte<br />
Albert Hirschman fest, dass die Geisteswissenschaften immer zwischen zwei<br />
Menschenbildern hin und her geschwankt sind (Hirschman 1987). Das eine<br />
sieht den Menschen als von seinen Leidenschaften getrieben, das andere von seinen<br />
Interessen. Hirschmans Analyse ist richtig, aber unvollständig. Wir müssen<br />
noch einmal wiederholen: Die Analysen von Tocqueville, Durkheim und Weber,<br />
der von Adam Smith geprägte Begriff des „unparteiischen Zuschauers“, der<br />
Begriff der „volonté générale“ von Rousseau oder, zeitlich näher, der „Schleier<br />
des Nichtwissens“ von John Rawls zeigen gleichermaßen, dass man nur dann<br />
hoffen kann, soziale Phänomene zufriedenstellend zu erklären, wenn man zulässt,<br />
dass der Mensch nicht nur von seinen Leidenschaften und Interessen angetrieben<br />
wird, sondern auch von seinem gesunden Menschenverstand.<br />
In jedem Fall ist das Problem der Konzeption von Rationalität heute eins<br />
der wesentlichen theoretischen Probleme für das Verständnis des Sozialen. Um<br />
die Problematik korrekt darzustellen, müssen drei Punkte verdeutlicht werden.<br />
1. Es ist gut möglich und bestimme Autoren sehen es so, dass die Tatsache,<br />
nach der die meisten Menschen einen Sinn für Gerechtigkeit haben, das Ergebnis<br />
der biologischen Evolution ist: dass er auf Selektionsmechanismen zurückzuführen<br />
ist, bei denen das menschliche Subjekt von der Evolution zum Objekt
10<br />
Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />
natürlicher Mechanismen gemacht wurde, auf die das Individuum selbst keinerlei<br />
Einfluss hatte. Vielleicht hat die Rationalität des Menschen für die Herausbildung<br />
der Existenz eines Gerechtigkeitssinns bei den meisten Menschen<br />
überhaupt keine Rolle gespielt. Die Neurowissenschaften lehren uns, dass bestimmte<br />
Veränderungen des Gehirns eine Störung des normalen Zusammenspiels<br />
von Emotionen, Urteilen und Verhaltensweisen provozieren können. Für<br />
die Sozialwissenschaften können diese Befunde nur interessant sein. Es ist jedoch<br />
nicht ersichtlich, welchen Beitrag sie für sich genommen zur wissenschaftlichen<br />
Klärung dieser intraindiviuellen Mechanismen leisten können.<br />
2. Wiederum andere Sachverhalte, so vor allem Friedrich von Hayek ([1973–<br />
1979] <strong>200</strong>3), ergeben sich ohne Zweifel durch eine Adaptationsreaktion des<br />
Menschen, der hier als handelndes Subjekt verstanden wird. Der Umstand, dass<br />
der Mensch einem gegebenen Wort einen Wert beimisst, rührt nach Ansicht<br />
des österreichischen Ökonomen, Soziologen und Philosophen vielleicht aus der<br />
Einsicht her, dass der Respekt vor dem gegebenen Wort den Tausch unter Menschen<br />
erleichtert. So hat der Mensch in ferner Vergangenheit den Nutzen des<br />
Tauschs konstatiert und anschließend erkannt, dass sich ein Tausch zwischen<br />
Individuen nur dann wiederholen lässt, wenn sie sich gegenseitig vertrauen. Die<br />
fundamentalen moralischen Regeln wären nach Hayek letztlich das Ergebnis<br />
der Praxis des Tauschs. In diesem Fall hätte der Mensch die Rolle eines handelnden<br />
Subjekts gespielt. Die hier anklingende Rationalität ist eine Rationalität der<br />
Adaptation. Hayek knüpft an dieser Stelle an die Spencer’sche Tradition an, die<br />
in der Adaptation den fundamentalen Mechanismus der moralischen, sozialen<br />
und politischen Evolution sieht. Gleiches gilt für Jean Piaget: In einem bestimmten<br />
Entwicklungsstadium versteht das Kind, dass Mogeleien besser aufgegeben<br />
werden, denn sie zerstören das Interesse am Spiel. Doch der Adaptationsmechanismus<br />
ist hier weder intraindividuell noch anonym. Er gehorcht einer<br />
instrumentellen Rationalität: Das Subjekt entscheidet sich für eine bestimmte<br />
Art zu handeln, weil sie ihm positive Konsequenzen verspricht. Sobald weitere<br />
Akteure der gleichen Logik folgen, produziert der bestreffende Mechanismus<br />
kollektive Effekte. Die Spencer’sche Tradition entpuppt sich in diesem Fall als<br />
ein Modell, das eigentlich als Rational-Choice-Theorie oder auch Modell des<br />
subjektiv erwarteten Nutzens zu bezeichnen wäre.<br />
3. In wiederum anderen Fällen wird vorgebracht, dass der Mensch auch die<br />
Fähigkeit besitzt, Leitprinzipien zu entwickeln, sich Werte anzueignen und<br />
Programme zu entwerfen, die erst vage sind und sich dann im Laufe ihrer Umsetzung<br />
konkretisieren. So stellt die Entwicklung des Konzepts der Staatsbürgerschaft<br />
im 1. Jahrhundert n. Chr. – wie Max Weber ([1921] 1988) erklärt –<br />
eine grundlegende Innovation dar, obgleich sie eigentlich nur dem Bestreben<br />
zu verdanken war, die Streitigkeiten zwischen den religiösen Sekten des mittleren<br />
Ostens zu beenden. Das Konzept der Staatsbürgerschaft hat ein Programm<br />
begründet, das, so Max Weber, die gesamte Geschichte der abendländischen
Vier Paradigmen<br />
11<br />
Welt prägen sollte. In gleicher Weise führte die Rivalität zwischen weltlicher<br />
und spiritueller Macht im Mittelalter zur Entfaltung des Prinzips der Gewaltenteilung.<br />
Auch hier wurde ein Programm entworfen, dessen Bedeutung sich<br />
als einschneidend für die Zukunft der aus dem abendländischen Teil des Römischen<br />
Reiches hervorgegangenen Welt herausstellen sollte. So hat es etwa die<br />
Föderalistenartikel (federalist papers) genauso wie die Erklärung der Menschenund<br />
Bürgerrechte inspiriert. Hier spielt der Mechanismus der Adaptation nur<br />
eine untergeordnete Rolle, auch wenn die betreffenden Programme natürlich<br />
auf Dispositionen aufbauen, die durch die biologische Evolution selegiert sind,<br />
etwa dem Gerechtigkeitssinn, dem Pflichtbewusstsein oder jenen Adaptationsmechanismen,<br />
die Hayek oder Piaget im Auge haben.<br />
Ein Soziologe, der die Entstehung und Entwicklung solcher Programme erklären<br />
will, benötigt eine Konzeption von Rationalität jenseits des Instrumentalismus:<br />
Eine Konzeption, welche die Ziele und Werte, die sich die Menschen<br />
setzen, erklären kann. Denn genau hierin liegt der Hauptschwachpunkt der Rational-Choice-Theorie<br />
und aller irrationalistischen Handlungstheorien: Weder<br />
die eine, noch die anderen sind in der Lage, zu dieser Frage eine zufriedenstellende<br />
Erklärung zu liefern.<br />
Insgesamt sind nur einige ganz bestimmte Paradigmen geeignet, zur Erklärung<br />
sozialer Phänomene beizutragen: die Soziobiologie und Neurowissenschaften<br />
auf Seiten der Naturwissenschaften, die Rational-Choice-Theorie und<br />
die allgemeine Theorie der Rationalität auf Seiten der Sozialwissenschaften.<br />
Vielleicht werden die Analysen in diesem Band einigen Lesern abstrakt und<br />
theoretisch erscheinen, obgleich ich immer versucht habe, sie anhand von Beispielen<br />
zu veranschaulichen. Daher ist es vielleicht sinnvoll, in Erinnerung zu<br />
rufen, dass die Formulierung von Menschenbildern und allgemein alle durch die<br />
Geisteswissenschaften vermittelten Ideen nicht ohne praktische Konsequenzen<br />
sind. Insbesondere die Geschichte des Marxismus, des Positivismus oder des<br />
Sozialdarwinismus und ihr enormer Einfluss dürften genügen, um den Leser<br />
davon zu überzeugen. In jüngerer Zeit hatten auch eher gemäßigte Denksysteme<br />
wie der Strukturalismus oder der Kulturalismus nicht zu vernachlässigende<br />
soziale Auswirkungen – und haben sie immer noch. Sie haben zum Beispiel<br />
in positiver wie negativer Hinsicht zu völlig neuartigen Lehrmethoden<br />
beim Erlernen natürlicher Sprachen und mathematischer Fertigkeiten angeregt.<br />
Sie haben der Lehre auf dem Gebiet der Geschichte bzw. der ökonomischen<br />
und sozialen Phänomene teilweise eine dogmatische Brille verschafft. Sie haben<br />
die Bildungspolitik seit Jahrzehnten beeinflusst und dadurch die Heranbildung<br />
neuer Bürger – einen wesentlichen Parameter des zivilen Zusammenlebens –<br />
von Grund auf mitgeprägt.<br />
Die Geisteswissenschaften haben auch diffusere Einflüsse ausgeübt. Indem<br />
in verschiedenen geisteswissenschaftlichen Denkströmungen die Bedeutung<br />
der menschlichen Rationalität heruntergespielt bzw. ihr zu enge Grenzen ge-
12<br />
Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />
setzt wurden, haben sie eine Konzeption entstehen lassen, die die Bürger als<br />
manipulierbar betrachtet – durch verschiedene, von den „Kommunikationswissenschaften“<br />
erdachte Verfahren – und sie als unfähig ansieht, das ihnen vorliegende<br />
politische Angebot mit Hilfe ihres gesunden Menschenverstandes zu<br />
beurteilen. Dadurch haben sie einem Relativismus Nahrung gegeben, der das<br />
politische Handeln in Demokratien untergräbt. Der Relativismus seinerseits hat<br />
wiederum die sogenannte „pensée unique“ (Einheitsdenken) entstehen lassen:<br />
der Glaube an etablierte Meinungen, die Dogmencharakter erhalten und die<br />
den Tocquevilleschen Begriff der „Meinungstyrannei“ illustrieren. Allerdings<br />
sollte präzisiert werden, dass die „pensée unique“ gerade in modernen Demokratien<br />
das Werk umtriebiger Minderheiten ist und dass sie sich oft unter dem<br />
Einfluss von Mechanismen, die ich im letzten Kapitel des Buches skizzieren<br />
werde, gegen den gesunden Menschenverstand der Öffentlichkeit durchsetzt.<br />
Jedenfalls haben dieser Relativismus und der damit einhergehende Pessimismus<br />
in keiner Weise etwas Zwangsläufiges.<br />
Eine letzte Bemerkung. Die Theorie der Rationalität ist für die Sozialwissenschaften<br />
ein unerlässliches Thema. Sie gestattet es, die zentrale Frage nach der<br />
Beziehung zwischen der Logik individuellen Handelns und den dadurch hervorgerufenen<br />
Makroeffekten in aller Klarheit anzugehen. Sie ist für die Analyse<br />
sozialer Phänomene das, was die Grammatik für die Beherrschung der Sprache<br />
ist, die Quellenkritik für das Erlernen des Historikerberufs oder die Mathematik<br />
für die Physik. Sie gibt dem Denken ein Gerüst. Sie ist das Latein der Sozialwissenschaften.<br />
Literatur<br />
Becker, Gary S. 1996: Accounting for Tastes, Cambridge: Harvard University Press.<br />
Coleman, James S. 1990: Foundations of Social Theory, Cambridge: Harvard University<br />
Press. Deutsche Ausgabe 1991–1994: Grundlagen der Sozialtheorie, 3 Bände, München:<br />
Oldenbourg.<br />
Durkheim, Emile [1912] 1984: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt<br />
am Main: Suhrkamp.<br />
Durkheim, Emile [1893] 1992: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation<br />
höherer Gesellschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />
Hardin, Russel 1995: One for All: The Logic of Group Conflict, Princeton: Princeton<br />
University Press.<br />
von Hayek, Friedrich A. 1973–1979: Law, Legislation and Liberty, 3 Bände, London:<br />
Routledge. Deutsche Ausgabe <strong>200</strong>3: Recht, Gesetz und Freiheit: eine Neufassung der<br />
liberalen Grundsätze der Gerechtigkeit und der politischen Ökonomie, Tübingen:<br />
<strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong>.<br />
Hirschman, Albert Otto 1987: Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen<br />
des Kapitalismus vor seinem Sieg, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Vier Paradigmen<br />
13<br />
Knoch, Daria/Pascual-Leone, Alvaro/Meyer, Kaspar/Treyer, Valerie/Fehr, Ernst <strong>200</strong>6:<br />
Diminishing Reciprocal Fairness by Disrupting the Right Prefrontal Cortex, in:<br />
Science 314: S. 829–832.<br />
Popper, Karl 1976: The Myth of the Framework, in: Freeman, Eugene (Hrsg.): The Abdication<br />
of Philosophy: Philosophy and the Public Good, La Salle: Open Court: S. 23–48.<br />
Weber, Max [1921] 1988: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen: <strong>Mohr</strong>.<br />
Wilson, James Q. 1975: Thinking about Crime, New York: Basic Books.<br />
Wilson, James Q. 1993: The Moral Sense, New York: The Free Press.
247<br />
Personenregister<br />
Abel, Theodore 22<br />
Allais, Maurice 51<br />
Aristoteles 54, 58, 85, 104, 168<br />
Aron, Raymond 132<br />
Atatürk, Kemal 71<br />
Augustinus 109<br />
Bach, Johann Sebastian 161<br />
Baumann, Zygmunt XIX, XXII<br />
Beattie, John 167<br />
Beccaria, Cesare 66<br />
Beck, Ulrich XVIII f., XXII<br />
Becker, Gary 4, 7, 19, 43 f., 54<br />
Beethoven, Ludwig van 161<br />
Bellah, Robert 111<br />
Bellamy, Richard P. 222<br />
Bentham, Jeremy 126<br />
Berger, Peter L. 190<br />
Berlin, Isaiah 184<br />
Besnard, Philippe 141<br />
Bodin, Jean 66<br />
Boer, Jelle de 97<br />
Bourdieu, Pierre 126<br />
Buchanan, James 4<br />
Bunge, Mario 34<br />
Burckhardt, Jacob XIX<br />
Chazel, François XXVI, 120<br />
Cherkaoui, Mohamed 35<br />
Churchill, Winston 222<br />
Clinton, Bill 236<br />
Coenen-Huther, Jacques XXVI<br />
Coleman, James 4, 19, 26, 43, 48<br />
Comte, Auguste 32 f., 71 f., 85, 94, 107,<br />
111, 140, 143 f.<br />
Constant, Benjamin 114, 125, 160<br />
Coser, Lewis A. 143<br />
Cousin, Victor 72<br />
D’Andrade, Roy G. 94, 125<br />
Damasio, Antonio 29, 31, 40<br />
Darwin, Charles 17, 33<br />
Dawkins, Richard 17<br />
Demeulenaere, Pierre XV<br />
Denison, Edward 18<br />
Descartes, René 1, 38, 40, 75, 82, 103, 159<br />
Dewey, John 30<br />
Dilthey, Wilhelm XIX, 29, 76<br />
Downs, Anthony 4<br />
Duhem, Pierre 164<br />
Durkheim, Emile XVI, XVIII,<br />
XX–XXII, XXVI, 1–4, 8 f., 22, 28, 35,<br />
36, 39, 45, 67, 71, 73, 79, 93, 94, 95,<br />
98–103, 105, 107, 112, 114 f., 124, 125,<br />
131–170, 174, 190, 193, 196, 222, 237<br />
Echnaton 118<br />
Einstein, Albert 27, 38<br />
Epstein, Scarlett 74<br />
Erner, Guillaume 243<br />
Evans-Pritchard, Edward E. 99 f., 125<br />
Ferejohn, John A. 50<br />
Feuerbach, Ludwig 73<br />
Fiorina, Morris 50<br />
Firsching, Horst 151<br />
Flaubert, Gustave 122<br />
Fleischman, Eugène 120<br />
Forsé, Michel 185, 213<br />
Freud, Sigmund 3, 17, 26, 33 f., 58, 124,<br />
128<br />
Frey, Bruno 51<br />
Friedman, Milton 33<br />
Galilei, Galileo 76<br />
Gauchet, Marcel 109<br />
Gellner, Ernest 84
248<br />
Personenregister<br />
Giddens, Anthony 180<br />
Gorbatschow, Michail 47<br />
Granet, Marcel 139<br />
Guizot, François 71, 73, 76, 85 f.<br />
Hardin, Russell 4, 48<br />
Hayek, Friedrich August von 10 f., 36, 79,<br />
85, 111 f.<br />
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 72<br />
Hervieu-Léger, Danièle 187<br />
Hirschman, Albert Otto 9<br />
Hobbes, Thomas 2<br />
Hollis, Martin 43<br />
Horkheimer, Max XVII<br />
Horton, Robin 94, 125, 145, 150 f., 156,<br />
168<br />
Hume, David 63–65, 138, 140<br />
Innaccone, Laurence R. 186<br />
Inglehart, Ronald 114, 173, 176, 180, 187,<br />
203, 209, 211 f., 214<br />
James, William 30 f., 154 f.<br />
Jesus 107, 113, 117, 120, 230<br />
Kant, Immanuel 3, 63, 135–139, 143,<br />
153 f., 161, 170<br />
Keniston, Kenneth 175<br />
Kuhn, Thomas S. 28, 164<br />
Kuran, Timur 48<br />
Lakatos, Imre 28, 165<br />
Lavoisier, Antoine Laurent de 58, 63, 66<br />
Lazarsfeld, Paul F. XVII, 123 f.<br />
Le Bon, Gustave XVIII, XXII, 4<br />
Leibniz, Gottfried Wilhelm 38, 139, 143<br />
Lepenies, Wolf XV<br />
Lévy-Bruhl, Lucien XX, 58, 94, 143, 150,<br />
166 f., 169<br />
Liefmann, Robert XIX<br />
Luckmann, Thomas 190<br />
Lukács, Georg 122<br />
Luther, Martin 82<br />
Mahler, Gustav 161<br />
Mannheim, Karl XXI<br />
Marx, Karl XVII, XXI, 17, 67, 73, 96, 120,<br />
227<br />
Mauss, Marcel 154, 169<br />
Merton, Robert K. 123<br />
Messiaen, Olivier 161<br />
Michelet, Jules 73, 80<br />
Mill, John Stuart 111, 140, 165<br />
Mills, Charles W. 51<br />
Mises, Ludwig von XVI<br />
Mohammed 104<br />
Molière 6<br />
Montaigne, Michel de 26<br />
Montesquieu, Charles de Secondat,<br />
Baron de 66, 217, 230 f., 242<br />
Müller, Max XX, 149<br />
Napoleon XVI<br />
Needham, Rodney 125, 140, 143, 167<br />
Newton, Isaac 103, 126, 169<br />
Nietzsche, Friedrich 67, 96, 119 f., 126,<br />
154, 226<br />
Nisbet, Robert A. 124<br />
Oberschall, Anthony 4, 48<br />
Olson, Mancur 4, 48<br />
Pareto, Vilfredo 51, 57, 95, 97<br />
Parsons, Talcott 26, 204<br />
Pascal, Blaise 25, 27, 36, 54, 103<br />
Paulus 104, 106, 113, 116, 138<br />
Peirce, Charles 30<br />
Penn, William 95<br />
Petrus 113, 116<br />
Piaget, Jean 10 f., 101, 139<br />
Platon 168<br />
Popkin, Sam 48 f.<br />
Popper, Karl XIX, 6, 21, 79, 85, 106, 157<br />
Portes, Alessandro 19<br />
Prévert, Jacques 20<br />
Priestley, Joseph 58, 63, 66, 164<br />
Quattrone, George A. 50<br />
Quine, Willard Van Orman 164<br />
Radnitzky, Gerhard 53<br />
Rawls, John 1 f., 9<br />
Raynaud, Jocelyn 29<br />
Reagan, Ronald 47<br />
Renan, Ernest 95, 101, 105–107, 112 f., 120<br />
Rescher, Nicholas 96
Personenregister<br />
249<br />
Rickert, Heinrich 29, 76<br />
Ringen, Stein 227, 230<br />
Rivière, Claude 131<br />
Root, Hilton 48<br />
Rorty, Richard 33<br />
Rothstein, Bo 48<br />
Rousseau, Jean-Jacques 1 f., 9, 85, 121,<br />
219, 222, 225, 239, 242<br />
Ruse, Michael 44<br />
Russell, Bertrand 140<br />
Sanchez, Pascal 28<br />
Scheler, Max 104, 161, 192, 203<br />
Schiller, Friedrich 112<br />
Schmitt, Carl 120, 143<br />
Schmoller, Gustav XVII<br />
Schostakowitsch, Dmitri 161<br />
Schuessler, Alexander A. 51<br />
Schumpeter, Joseph 55, 85<br />
Sen, Amartya 19<br />
Shepner, Joseph 32<br />
Shweder, Richard A. 94, 125<br />
Siedentop, Larry 114<br />
Simmel, Georg 28, 151–155, 162, 168, 170<br />
Simon, Herbert 7<br />
Smith, Adam 1 f., 9, 61 f., 186, 219–222,<br />
225, 242<br />
Sourgins, Christine 244<br />
Spencer, Herbert 10, 36, 111 f., 116, 149<br />
Spinoza, Baruch de 40<br />
Stein, Heinrich Friedrich Karl vom<br />
und zum 61<br />
Strauss, Leo 120, 143<br />
Testart, Alain 131<br />
Tocqueville, Alexis de XVIII, XXVI, 3,<br />
8 f., 12, 22, 24, 28, 35, 39, 45 f., 56 f., 60,<br />
67, 71–90, 114, 122, 125, 159 f., 174, 186,<br />
218, 225–227, 232, 235, 237, 242, 244<br />
Torricelli, Evangelista 27, 54<br />
Troeltsch, Ernst 189<br />
Tullock, Gordon 4<br />
Tversky, Amos 50<br />
Tylor, Edward 149<br />
Vico, Giambattista 72<br />
Voegelin, Eric 120<br />
Voltaire 82, 95, 120<br />
Weber, Max XVII–XXII, XXVI, 3 f.,<br />
8–10, 18, 21 f., 24, 28 f., 35–39, 50, 55 f.,<br />
60 f., 64 f., 67, 71, 73 f., 76, 79, 81, 85, 89,<br />
93–120, 122–128, 143, 145, 148 f., 151,<br />
152, 154, 170, 174 f., 186, 189, 199, 215,<br />
220, 222 f., 230, 237 f., 240–243<br />
Whorf, Benjamin L. 139<br />
Wilson, James Q. 4, 6, 36, 204<br />
Wittgenstein, Ludwig 128, 140<br />
Yule, George Udny 165
250
251<br />
Sachregister<br />
Adaptation 10 f., 36<br />
Adoption 241 f.<br />
Altruismus 96<br />
Animismus 101, 103, 114<br />
Anomie 35, 140 f.<br />
Apriorismus 135–138, 154, 170<br />
Arbeit 89, 177–180, 185 f., 199, 211–214,<br />
222, 226, 236<br />
Arbeitslosigkeit 194 f., 211–214, 233, 237,<br />
242<br />
Aristotelismus 168<br />
Aufklärung 2 f., 73, 82, 154, 218 f., 227,<br />
230, 237, 242, 245<br />
Behaviorismus 33<br />
Bildung 18, 39, 174, 179–181, 184–187,<br />
190 f., 196 f., <strong>200</strong>–202, 204, 206,<br />
208–212, 214 f., 220, 229, 239–243, 245<br />
Buddhismus 101, 108 f., 122, 190<br />
Calvinismus 109 f., 117, 122 f.<br />
Charisma 97 f., 104, 113 f., 121, 124, 175,<br />
240<br />
Christentum 18, 24, 44, 60, 73 f., 82, 95,<br />
108, 116 f., 119–121, 123, 190<br />
Common Sense XXI, 2, 9, 38, 218–220,<br />
223, 228, 230<br />
Darwinismus 11, 19, 33, 39<br />
Denken, wildes / Mentalität, primitive /<br />
Mensch, primitiver XXI, 58, 94,<br />
99–101, 103, 114, 124–126, 141, 143,<br />
145–150, 166 f.<br />
démocratie participative 214, 217 f., 234,<br />
244<br />
Demokratie, direkte 181<br />
Demokratie, repräsentative 217, 219 f.,<br />
234, 242–245<br />
deus absconditus 109 f., 115, 117<br />
Egoismus 35, 45, 48, 55, 96, 159 f.<br />
Einkommenssteuer 227 f.<br />
Erbschaftssteuer 229<br />
Erwartungsnutzen 19, 64<br />
Ethik 109 f., 112 f., 115, 122 f., 197, 237<br />
Evolutionismus 100, 105, 111–123, 143<br />
Falsifikationismus 105 f.<br />
Familie 81, 176 f., 204 f., 214, 241<br />
frame 6, 24 f., 32, 50, 57 f., 60, 65<br />
Freudianismus 3, 17, 26, 33 f.<br />
Gefangenendilemma 19, 46 f.<br />
Geisteswissenschaften 6<br />
Gesellschaft 132–134, 136 f., 152 f.<br />
Gesetz, konditionales 79, 82<br />
Gewaltenteilung 11, 230–234<br />
Gleichheit 39, 74 f., 79–85, 90, 113, 184,<br />
225–227, 241<br />
Gnostizismus 108<br />
Habitus 32, 57 f.<br />
Holismus XVI, 24 f., 48 f., 124 f., 132, 167<br />
homo democraticus 80<br />
homo donator 38<br />
homo neuronalis 30<br />
homo oeconomicus 4, 19, 24 f., 38 f.<br />
homo sociologicus 4, 30, 67<br />
Humankapitaltheorie 18<br />
Idealtyp 35, 81<br />
Individualismus (methodologischer)<br />
XIX, XXII, 4, 7, 24, 35, 39, 45, 48, 55,<br />
85, 214 f.<br />
Instrumentalismus 11, 33, 45, 96<br />
Intellektualismus 120–122, 127, 150<br />
Judentum 93, 100, 108–110, 112 f., 117 f.,<br />
122 f.
252<br />
Sachregister<br />
Kalter Krieg 46–47<br />
Kapital, kulturelles 19<br />
Kategorientheorie 132, 135–145<br />
Katholizismus 82, 105, 117, 121, 186<br />
Komparatismus 77<br />
Kompromissdemokratie 234 f.<br />
Konfuzianismus 109 f.<br />
Konnektionismus 193<br />
Konsequentialismus 45, 54 f., 62, 65, 96<br />
Konstruktivismus XV, 18, 144<br />
Kontinuismus 145<br />
Kulturalismus 3, 11, 18, 26, 31, 33 f.<br />
Liberalismus 71, 218<br />
Magie XVIII, 4, 8, 74, 98–101, 103, 110,<br />
112 f., 115, 121 f., 125, 127, 132, 145, 157,<br />
163 f., 166–170<br />
Makrosoziologie 9, 39<br />
Mana 114, 141<br />
Manichäismus 108 f.<br />
Marxismus 3, 11, 17, 26, 33 f., 58, 136,<br />
245<br />
Materialismus (Historischer) 24, 30–36,<br />
38 f., 114, 120, 136 f., 212<br />
Meinungsdemokratie 234<br />
Meme 17, 19, 33 f.<br />
Menschenverstand, gesunder XXI, 1–3,<br />
9, 12, 23, 30, 32, 218–221, 223, 243–245<br />
Monade 139, 143<br />
Monismus 30<br />
Monotheismus 61, 65, 74, 105, 109, 112,<br />
118–120, 122<br />
Neuplatonismus 168 f.<br />
Neurowissenschaften XXIII, 5–7, 10 f.,<br />
29–32, 39 f., 52<br />
Neutralität, axiologische (Wertfreiheit)<br />
73, 75<br />
Nihilismus 175<br />
Ökonomie XV, 4, 19 f., 23, 79, 154<br />
Orenda 114, 141<br />
pensée unique 12<br />
Person 113, 135, 162, 191–193, 203, 238<br />
Pharisäer 96, 108, 121, 127<br />
Physiokraten 72, 76, 80<br />
Platonismus 168<br />
Polytheismus 61, 74, 109, 117<br />
polythetisches Konzept 140<br />
Positivismus 3, 11, 90, 107<br />
Postmoderne 173, 175<br />
Prädestination 108–110<br />
präskripitive / normative Überzeugungen<br />
Prozesse, zirkuläre / Rückkopplungseffekt<br />
83<br />
Puritanismus 109 f., 113, 123<br />
Rationalität, axiologische (Wertrationalität)<br />
XXV, 36 f., 39, 56, 60–64, 66,<br />
96, 143, 154, 210, 220, 228–230, 236 f.,<br />
241 f.<br />
Rationalität, instrumentelle (Zweckrationalität)<br />
XXI f., 7, 10, 36–39, 53 f.,<br />
56 f., 60, 64, 96, 100, 126, 143, 210, 220,<br />
228–230, 236 f., 241 f.<br />
Rationalität, kognitive XXI f., 36, 39, 54,<br />
56–61, 96, 100<br />
Rational-Choice-Theorie XIII, XXII,<br />
XXV–XXVII, 4–11, 19 f., 22–24, 26, 29,<br />
31, 37, 41, 43–56, 58, 60–62, 64–68, 96,<br />
126, 171<br />
rationality, bounded 7<br />
Realismus 33–36, 39, 113 f.<br />
Relativismus XV, 3, 12, 18, 31, 63 f., 90<br />
Religion 3–5, 8, 28, 37, 40, 44, 73–75, 77,<br />
82, 86 f., 90, 93–128, 131 f., 136, 141, 143,<br />
145, 147 f., 150–158, 160–164, 173, 176,<br />
185–191, 193, 196, 199–203, 211, 214 f.,<br />
239 f.<br />
Ritual 21, 27, 37, 57, 59, 100, 104, 109,<br />
112 f., 115, 122 f., 126, 134, 147, 149, 165,<br />
167, 193<br />
Sadduzäer 108, 121, 127<br />
Schleier des Nichtwissens 1, 9<br />
Schwangerschaftsabbruch (Abtreibung)<br />
<strong>200</strong>–203<br />
Seele XVI–XX, 101–104, 109, 114 f., 125,<br />
131, 145, 148, 157–163, 170, 190–193,<br />
196<br />
Seelenwanderung 108, 114 f., 160<br />
Singularismus (methodologischer)<br />
XVI–XIX<br />
Sozialdarwinismus 11
Sachregister<br />
253<br />
Sozialkapital 18 f.<br />
Sozialwissenschaften 6<br />
Soziologie, analytische XV, XX, XXII,<br />
25<br />
Soziologie, verstehende / Theorie des<br />
Verstehens XIX, XXII, 21, 45, 55, 60,<br />
93 f., 119, 123–128, 151<br />
Soziobiologie XXIII, 6 f., 11, 30, 32, 40<br />
Soziologismus 18, 26, 33 f., 119<br />
Soziozentrismus 101, 103, 126, 157<br />
Staatsverschuldung 229<br />
Strukturalismus XV, XXI, XXIII, 3, 11,<br />
17, 26, 31, 33 f. 58, 124<br />
Strukturfunktionalismus 17<br />
Symbolismus 111, 113 f., 127<br />
Theodizee 43, 107–110, 115, 117<br />
Theogonie 117, 121<br />
Theologie 73, 117<br />
Todesstrafe 23, 52, 55, 66, 238 f., 242<br />
Überzeugungen, moralische / Empfinden,<br />
moralisches / Werte, moralische 5 f.,<br />
10, 31, 37, 39, 44, 63, 86, 95, 102, 122,<br />
133, 141, 143, 152–154, 159, 161 f., 173 f.,<br />
176, 179, 186, 191, 194, 196, 202, 211,<br />
214 f., 220, 224, 239 f., 242<br />
UdSSR 46 f.<br />
Ultimatumspiel 29, 31, 51 f., 54, 66<br />
Ungleichheit 39, 81, 83, 225–227<br />
Urchristentum 93, 100, 113, 118, 123<br />
Verifikationismus 106<br />
volonté générale 1, 9, 219–223, 239<br />
Voucher 230, 232<br />
Wert XVI, XVIII, 7, 10, 18, 24, 37 f., 60 f.,<br />
67, 94, 102, 153–155, 162, 173, 175–177,<br />
180, 191, 196, 199, 203–205, 208–210,<br />
214 f., 226, 239<br />
Wohlfahrtsstaat 235<br />
Wunder XVI, 107, 146 f.<br />
Zuschauer, unparteiischer 1, 9, 62,<br />
219–227, 229–232, 235, 237–239,<br />
241–243