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Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften<br />

Studien in den Grenzbereichen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

Band 146<br />

I<br />

Begründet von<br />

Erik Boettcher<br />

Unter der Mitwirkung von<br />

Andreas Diekmann · Dieter Frey · Volker Gadenne<br />

Karl Homann · Wolfgang Kerber · Christian Kirchner<br />

Arnold Picot · Viktor Vanberg · Reinhard Zintl<br />

herausgegeben von<br />

Max Albert


III<br />

Raymond Boudon<br />

Beiträge<br />

zur allgemeinen Theorie<br />

der Rationalität<br />

übersetzt von Felix Wolter<br />

<strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong>


IV<br />

Raymond Boudon, 1934–2013; 1978–<strong>200</strong>2 Professor für Soziologie an der Universität<br />

Paris-Sorbonne; Mitglied des Institut de France – Académie des sciences morales et politiques,<br />

der Société Royale du Canada, der British Academy, der American Academy of<br />

Arts and Sciences und der European Academy of Sociology.<br />

ISBN 978-3-16-150901-8<br />

ISSN 0424-6985 (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften)<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;<br />

detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.<br />

dnb.de abrufbar.<br />

© 2013 <strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong> Tübingen. www.mohr.de<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung<br />

außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des<br />

<strong>Verlag</strong>s unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,<br />

Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen<br />

Systemen.<br />

Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Stempel Garamond<br />

gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt<br />

und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.


V<br />

Inhalt<br />

Vorbemerkung des Übersetzers .................................<br />

Vorwort zur deutschen Übersetzung:<br />

Die drei Regeln der erklärenden Soziologie .......................<br />

XI<br />

XIII<br />

Vorwort zur französischen Originalausgabe ...................... XXIII<br />

Einführung:<br />

Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften .... 1<br />

Der Bruch mit der Philosophie der Aufklärung ....................... 2<br />

Die Reaktion der Rational-Choice-Theorie .......................... 4<br />

Misserfolge der Rational-Choice-Theorie ............................ 5<br />

Eine allgemeine Theorie der Rationalität ............................. 7<br />

Vier Paradigmen ................................................. 9<br />

Teil I<br />

Eine allgemeine Theorie der Rationalität ...................... 15<br />

Kapitel 1<br />

Der Zerfall der zeitgenössischen Sozialtheorie ................. 17<br />

Individuelle Motivationen und Beweggründe als Ursachen<br />

für jegliche soziale Phänomene ..................................... 20<br />

Die Ablehnung der gewöhnlichen Psychologie durch die<br />

Sozialwissenschaften ............................................. 22<br />

Die Beziehung zwischen Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften . 27


VI<br />

Inhalt<br />

Sozialwissenschaften und Neurowissenschaften ...................... 29<br />

Ist Wissenschaft zwangsläufig materialistisch? ........................ 32<br />

Ist Rationalität zwangsläufig instrumentell? .......................... 36<br />

Die Identität der Soziologie ........................................ 38<br />

Kapitel 2<br />

Rational-Choice-Theorie<br />

und allgemeine Theorie der Rationalität ....................... 43<br />

Die Postulate der Rational-Choice-Theorie .......................... 44<br />

Die Erfolge der Rational-Choice-Theorie ............................ 45<br />

Kann die Rational-Choice-Theorie als allgemeine Theorie<br />

aufgefasst werden? ............................................... 50<br />

Gründe für die Schwächen der Rational-Choice-Theorie ............... 53<br />

Jenseits der Rational-Choice-Theorie:<br />

Eine erweiterte Theorie der Rationalität ............................. 55<br />

Die kognitive Rationalität ......................................... 56<br />

Die axiologische Rationalität ...................................... 61<br />

Die Validität von Gründen ........................................ 63<br />

Die Grenzen der Rationalität weiter fassen ........................... 64<br />

Teil II<br />

Anwendungen der allgemeinen Theorie der Rationalität ....... 69<br />

Kapitel 3<br />

Die Rationalität der Moderne nach Tocqueville ............... 71<br />

Tocquevilles Objektivismus ....................................... 73<br />

Symptomatische und enigmatische Tatsachen ......................... 75<br />

Konditionale Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79


Inhalt<br />

VII<br />

Was ist eine gute Theorie? ........................................ 85<br />

Der Gelehrte und der Politiker . ................................... 89<br />

Kapitel 4<br />

Die Rationalität religiöser Überzeugungen<br />

nach Max Weber ............................................. 93<br />

Zwei Theorieansätze zur Erklärung des Religiösen ................... 94<br />

Eine offene Konzeption von Rationalität ........................... 96<br />

Die Magie ..................................................... 98<br />

Seele, Dämonen, Geister und Götter ............................... 101<br />

Die Dimensionen der Rationalität des Religiösen . .................... 105<br />

Suche nach Kohärenz . ........................................... 107<br />

Eine evolutionistische Konzeption . ................................ 111<br />

Die Entzauberung der Welt . ...................................... 112<br />

Ein komplexer Evolutionismus . ................................... 113<br />

Die Metatheorie des Verstehens: Ein effizienter theoretischer Rahmen ... 123<br />

Kapitel 5<br />

Die Rationalität des „Irrationalen“ nach Durkheim .......... 131<br />

Die Gesellschaft: Eine Realität sui generis ........................... 132<br />

Die Kategorientheorie ........................................... 135<br />

Die Erklärung von Überzeugungen ................................ 146<br />

Die Erklärung religiöser Überzeugungen ........................... 150<br />

Der Ursprung und die Bedeutung des Begriffs der Seele ............... 157<br />

Die Theorie zu Ursprung und Bedeutung magischer Überzeugungen ... 163<br />

Eine immer noch aktuelle Theorie ................................. 170


VIII<br />

Inhalt<br />

Kapitel 6<br />

Die Rationalität des Wertewandels<br />

von Generation zu Generation ............................... 173<br />

Was uns die Daten sagen ......................................... 175<br />

Kontinuität und Wandel von Werten ............................... 176<br />

Feingliedrige und persistente Wertestruktur ........................ 199<br />

Die Bedeutung der Bildung . ...................................... 211<br />

Kurz gesagt .................................................... 214<br />

Kapitel 7<br />

Die Rationalität des institutionellen Wandels<br />

von Demokratien ............................................ 217<br />

Der „unparteiische Zuschauer“ und die „volontée générale“:<br />

Kernbegriffe der politischen Theorie der Aufklärung ................. 219<br />

Die Erklärung verschiedener soziologischer Phänomene<br />

durch den „unparteiischen Zuschauer“ ............................. 223<br />

Das Prinzip der Gewaltenteilung .................................. 230<br />

Die Durchsetzung des Prinzips der Gewaltenteilung ................. 231<br />

Kompromissdemokratie oder repräsentative Demokratie? ............. 234<br />

Mitfühlende oder rationale Politik? ................................ 235<br />

Die Erklärung von Evolutionen mit Hilfe des „unparteiischen<br />

Zuschauers“ ..................................................... 237<br />

Die repräsentative Demokratie erneuern . ........................... 242<br />

Personenregister ................................................ 247<br />

Sachregister . ................................................... 251


„Der Begriff, der ursprünglich für wahr gehalten wurde, weil er kollektiv ist,<br />

neigt dazu, nur unter der Bedingung kollektiv zu werden, dass er für wahr<br />

gehalten wird: Wir verlangen seine Richtigkeit, ehe wir ihm unser Vertrauen<br />

schenken.“<br />

Emile Durkheim<br />

IX


XI<br />

Vorbemerkung des Übersetzers<br />

Der vorliegende Band ist die deutsche Übersetzung des <strong>200</strong>7 bei Presses Universitaires<br />

de France erschienenen Werkes Essais sur la théorie générale de la<br />

rationalité des Soziologen, Sozialtheoretikers und Philosophen Raymond Boudon.<br />

Die in sich abgeschlossenen Aufsätze des Buches schlagen einen weiten<br />

Bogen: von einer Zeitdiagnose des Zustands der Sozialwissenschaften über aktuelle<br />

Handlungstheorien und den Vorschlag eines erweiterten Rationalitätskonzeptes<br />

(gegenüber jenem der Rational-Choice-Theorie), über die Aktualität<br />

soziologischer Klassiker wie Max Weber und Emile Durkheim hin zu aktuellen,<br />

auch in der Öffentlichkeit präsenten Themen wie dem (angeblichen)<br />

Werteverfall und der Lähmung demokratischer Institutionen. Das weite Spektrum<br />

der Beiträge macht das Buch für viele Leser interessant.<br />

Bei der Übersetzung habe ich einige Entscheidungen getroffen, die hier kurz<br />

erläutert werden sollen. Bei direkten Zitaten von Klassikern wurde immer das<br />

deutsche Original (etwa bei Max Weber), oder, sofern verfügbar, die deutsche<br />

Übersetzung des französischen Originals (etwa bei Emile Durkheim) verwendet.<br />

An einigen wenigen Stellen hat sich allerdings herausgestellt, dass die jeweils<br />

vorliegende deutsche Version sinnentstellend war. In solchen Fällen wurde<br />

das Zitat entsprechend dem französischen Original leicht abgewandelt, wobei<br />

dies im Text immer gekennzeichnet ist. Bei indirekten Quellenangaben konnte<br />

nicht immer die genaue Entsprechung im deutschen Original und der französischen<br />

Übersetzung lokalisiert werden. Da der Autor zudem unterschiedliche<br />

Ausgaben und Übersetzungen heranzieht und dies auch in der Übersetzung<br />

dokumentiert werden sollte, wurde hier in der Regel entschieden, die Quellenangaben<br />

der jeweiligen französischen Ausgabe zu belassen.<br />

Im Zuge der Übersetzung konnte ich mit Raymond Boudon persönlich sprechen<br />

und einige Fragen klären. Der Autor hat dabei zum Ausdruck gebracht,<br />

dass ihm eine gute Verständlichkeit und Lesbarkeit des deutschen Textes wichtiger<br />

ist als die wortgenaue Übertragung. Insofern mag der akribische Leser an<br />

einigen Stellen einige stilistische Änderungen bemerken, die ich vorgenommen<br />

habe und zu denen mir Raymond Boudon freie Hand gegeben hat, sofern der<br />

Sinn nicht entstellt wird. Ebenfalls in jeweiliger Rücksprache mit dem Autor<br />

wurden Widersprüchlichkeiten im Original ausgeräumt und einige wenige illustrative<br />

Anspielungen oder Metaphern, die nur für französische Leser verständlich<br />

und für die Gesamtaussage des Textes nebensächlich sind, gestrichen.


XII<br />

Vorbemerkung des Übersetzers<br />

Formale Änderungen betreffen die Vereinheitlichung der Zitierweise (Quellen<br />

werden durchgehend im Text zitiert und nicht in Fußnoten), die Ergänzung einiger<br />

zitierter Quellen, die im Original in den Literaturverzeichnissen fehlten,<br />

und die Darstellung der Daten in Kapitel 6 in Tabellen im Text und nicht in<br />

Fußnoten. Auch dies geschieht auf Wunsch des Autors.<br />

Es freut mich sehr, dass dieses Übersetzungsprojekt zustande gekommen ist.<br />

Mein Dank gilt Raymond Boudon für die intensive und fruchtbare Zusammenarbeit<br />

und den herzlichen Empfang in Paris. Zudem hätte die Übersetzung ohne<br />

die überragende und unermüdliche Hilfe von Mariann Wolter nie fertiggestellt<br />

werden können. Ihr gebührt mein größter Dank.<br />

Mainz, im Februar 2013<br />

Felix Wolter


XIII<br />

Vorwort zur deutschen Übersetzung:<br />

Die drei Regeln der erklärenden Soziologie<br />

Die drei Kulturen von Wolf Lepenies (1985), ein Buch mit grundsätzlichen Reflexionen<br />

zur Soziologie, ist in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts in bestimmten<br />

soziologischen Kreisen auf große Resonanz gestoßen. Lepenies verteidigt<br />

darin zwei Thesen: Erstens sei die Soziologie weder eine Wissenschaft<br />

noch eine Kunst, sondern eine „dritte Kultur“; zweitens hätten sich die großen<br />

Klassiker der Soziologie einer Illusion hingegeben, als sie glaubten, die Soziologie<br />

könne eine Wissenschaft wie jede andere sein. Das Buch bezog seine Inspiration<br />

aus dem Zustand der Soziologie zu der Zeit, als es in den 1980er Jahren<br />

verfasst wurde. Die Soziologie war damals von zwei gegensätzlichen geistigen<br />

Strömungen beherrscht, dem Strukturalismus und dem Konstruktivismus. Der<br />

Strukturalismus war von Wissenschaftsgläubigkeit geprägt, der Konstruktivismus<br />

von Relativismus. Heute eröffnet sich mit der Entfaltung einer analytischen<br />

oder erklärenden Soziologie ein neuer Ansatz.<br />

Ein Kommentar auf der vierten Umschlagseite des Sammelbandes Analytical<br />

Sociology and Social Mechanisms erklärt die analytische Soziologie kurzerhand<br />

zur „guten Soziologie“ (good sociology) und interpretiert sie im Wesentlichen<br />

als Reaktion auf die zunehmende Heterogenität der heutigen Soziologie<br />

(Demeu lenaere 2012). Das Aufkommen des Begriffs analytische Soziologie ist<br />

vielleicht in erster Linie ein Zeichen; es steht für das Ende der Ära „weder Wissenschaft<br />

noch Kunst“ und für die Absicht, die Soziologie als eine Wissenschaft<br />

zu begreifen, die denselben Regeln gehorcht wie alle anderen.<br />

Viele soziologische Arbeiten, die als echte wissenschaftliche Beiträge gelten,<br />

folgen drei Regeln, anhand derer „gute Soziologie“ identifiziert werden kann.<br />

Das vorliegende Buch widmet sich in erster Linie der ersten Regel: Menschliches<br />

Verhalten ist als rational zu behandeln. Aber was ist Rationalität? Diese<br />

Frage bildet den Kernpunkt des Bandes. Ich freue mich, dass mir dieses Vorwort<br />

zur deutschen Übersetzung Gelegenheit gibt, die beiden anderen Punkte<br />

der Prinzipientrias, die „gute Soziologie“ ausmacht, anzusprechen.


XIV<br />

Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />

Methodologischer Singularismus<br />

Emile Durkheim, den alle Lehrbücher zusammen mit Max Weber als Vater der<br />

Soziologie betrachten, stellt sich in seiner Studie über den Selbstmord ([1897]<br />

1983) eine Reihe von Fragen, die sich alle auf singuläre Phänomene beziehen:<br />

Warum ist nach den am Ende des 19. Jahrhunderts verfügbaren Statistiken die<br />

Selbstmordrate von Frauen regelmäßig niedriger als jene von Männern? Warum<br />

ist die Selbstmordrate bei Protestanten höher als bei Katholiken? Warum ist sie<br />

bei Ledigen höher als bei Personen, die in einer Familie leben? Durkheim bemüht<br />

sich sodann, die Erklärungen, die er für diesen Komplex an Einzelphänomenen<br />

anbietet, im weiteren theoretischen Rahmen seiner drei Selbstmordtypen<br />

zu synthetisieren.<br />

Max Weber geht genauso vor. So fragt er sich in seinem Werk Das antike Judentum<br />

( Weber [1921] 1988), warum die Pharisäer an die Unsterblichkeit der<br />

Seele glaubten und die Sadduzäer nicht. An anderer Stelle fragt er nach dem<br />

Grund der religiösen Sonderstellung Amerikas: Warum sind Amerikaner immer<br />

noch deutlich religiöser als Deutsche, Engländer oder Franzosen? Die Akkumulation<br />

von Erklärungen für Einzelphänomene wie diese verhilft ihm zu<br />

einer völlig neuen Erklärung religiöser Phänomene.<br />

Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat den Begriff des methodologischen<br />

Singularismus geprägt, um den Ansatz zu bezeichnen, der sich<br />

die Erklärung von Einzelphänomenen zum Ziel setzt, und um ihn von dem<br />

Ansatz abzugrenzen, der möglichst umfangreiche Objekte aus einer übergreifenden<br />

Perspektive fassen will (von Mises [1949] 1998). Für von Mises ist der<br />

methodologische Singularismus eine Vorbedingung für jegliche wissenschaftliche<br />

Erklärung. Die andere Perspektive, die man aus Symmetriegründen als<br />

methodologischen Holismus bezeichnen könnte, kann interessante Interpretationen<br />

hervorbringen, aber keine Erklärungen im eigentlichen Sinne. So kann<br />

eine komplexe Ereignissequenz wie die Französische Revolution von 1789 viel<br />

eher interpretiert als erklärt werden, denn sie ist von Haus aus nicht klar definiert.<br />

Insbesondere ihr Schlusspunkt lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen.<br />

Für manche Historiker war sie mit der Machtübernahme Bonapartes im Jahre<br />

1800 abgeschlossen. Für andere endete sie erst 1871 mit der „Pariser Kommune“.<br />

Warum die Selbstmordrate einer bestimmten sozialen Gruppierung in einem<br />

bestimmten Kontext höher liegt als die einer anderen sozialen Gruppierung,<br />

oder warum Amerikaner offenbar religiöser sind als Europäer, lässt sich hingegen<br />

sehr wohl erklären.<br />

Der Begriff des methodologischen Singularismus gilt nicht nur für die Soziologie,<br />

sondern für alle Sozialwissenschaften. Sie alle haben Denktraditionen begründet,<br />

die entweder dem Prinzip des methodologischen Singularismus oder<br />

dessen Gegenposition folgen.


Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />

XV<br />

Dass der Begriff des methodologischen Singularismus von einem österreichischen<br />

Ökonomen geprägt wurde, hat sich nicht zufällig ergeben. Gegen Ende<br />

des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts schienen die deutschen und österreichischen<br />

Ökonomen faktisch zwei grundverschiedenen geistigen Welten anzugehören.<br />

Auf Seiten der Deutschen dominierte die Denkströmung der sog.<br />

historischen Schule, insbesondere vertreten durch Gustav Schmoller. Vereinfacht<br />

gesagt sah dieser die Aufgabe der Ökonomie darin, die Entwicklung der<br />

ökonomischen Institutionen zu erfassen. Dementsprechend blickten die deutschen<br />

Ökonomen auf die Vertreter der österreichischen Grenznutzenschule<br />

herab, die vor allem ökonomische Einzelphänomene wie die in ökonomischen<br />

Statistiken beobachtbaren Regelmäßigkeiten erklären wollten.<br />

Auch die bewegte Geschichte der berühmten Frankfurter Schule zeugt vom<br />

gleichen Methodenkonflikt. Ich beschränke mich darauf, eine Anekdote zu erwähnen<br />

(Wiggershaus <strong>200</strong>8). Als Max Horkheimer in den 1930er Jahren in den<br />

USA Aufnahme gefunden hatte, nahm er sich vor, dort „die“ Gesellschaftstheorie<br />

in der Tradition von Marx zu entwickeln. Da seine amerikanischen Gesprächspartner<br />

aber einige Mühe hatten, sein Projekt zu verstehen, sträubten sie<br />

sich, ihn zu unterstützen. In der ersten Zeit genoss er aber die Unterstützung<br />

eines österreichischen Kollegen, der einer der bedeutendsten Soziologen des<br />

20. Jahrhunderts werden sollte: Paul Lazarsfeld. Aber sobald es sowohl Horkheimer<br />

als auch Lazarsfeld gelungen war, in der universitären Welt der USA Fuß<br />

zu fassen, belauerten sie einander nur noch. Der Hauptgrund dafür war, dass sie<br />

in der Singularismusfrage auf unterschiedlichen Seiten standen.<br />

Die Anwendung des methodologischen Singularismus<br />

durch die Gründerväter der Soziologie<br />

Die Gründerväter der Soziologie machten sich das Prinzip des methodologischen<br />

Singularismus deshalb zu eigen, weil sie rätselhafte soziale Phänomene<br />

mit Hilfe von Prozeduren erklären wollten, die allen Wissenschaften gemein<br />

sind. Der Biologe etwa beschäftigt sich in seiner täglichen Arbeit mit den Ursachen<br />

singulärer Phänomene wie der Wirkung dieses oder jenes Virus. Die Frage<br />

nach dem Wesen und dem Ursprung des Lebens ist für ihn nicht uninteressant,<br />

aber er verlagert sie an den Horizont seiner Forschung.<br />

Max Weber folgt demselben Prinzip wie der Biologe, wenn er erklärt, warum<br />

die Pharisäer im Unterschied zu den Sadduzäern an die Unsterblichkeit der<br />

Seele glaubten ( Weber [1921] 1988). Das sei darauf zurückzuführen, erklärt er,<br />

dass die Pharisäer mehrheitlich Handelstreibende waren. Da die Tauschgerechtigkeit<br />

für sie einen zentralen Wert darstellte, nahmen sie erfreut zur Kenntnis,<br />

dass die Seele unsterblich sei, denn so konnten sie hoffen, dass die Verdienste so-


XVI<br />

Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />

wie die Verfehlungen, die im Diesseits nicht gerecht bestraft wurden, im Jenseits<br />

erneut zur Sprache kämen. Die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele<br />

spiegelte symbolisch die Zuversicht wider, dass ihrem Wunsch nach Gerechtigkeit<br />

Genüge getan werde. Die Sadduzäer hingegen bildeten das Reservoir, aus<br />

dem sich die religiösen und politischen Eliten der jüdischen Gesellschaft rekrutierten.<br />

Sie hatten also keine Gründe, einer Idee aus der Fremde, wahrscheinlich<br />

aus Indien oder Persien, anzuhängen, die ihnen mutmaßlich seltsam vorkam.<br />

Tocqueville ([1840] 1987) hatte in dieser Beziehung Weber vorgegriffen, als<br />

er vorschlug, den hinduistischen Glauben an die Reinkarnation auf die gleiche<br />

Weise zu erklären. Seiner Meinung nach drückt der Glaube an die wiederholte<br />

Reinkarnation desselben Menschen auf symbolische Weise das Anliegen des<br />

Gläubigen aus, dass ihm bei einer Art Jüngstem Gericht am Ende des Reinkarnationszyklus<br />

Gerechtigkeit widerfahren möge.<br />

Ein weiteres Beispiel für methodologischen Singularismus ist die von Durkheim<br />

vorgelegte Erklärung der Gründe, aus denen die Existenz von Wundern<br />

zunächst jahrhundertelang ohne Zögern akzeptiert und später bestritten<br />

wurde. Das liege daran, erklärt Durkheim, dass das Konzept des Wunders erst<br />

diskreditiert werden konnte, nachdem sich aufgrund der Entwicklung der Wissenschaft<br />

der Begriff des Naturgesetzes etabliert und die Idee eines universellen<br />

Determinismus durchgesetzt hatte. Zuvor hatte nichts dagegen gesprochen,<br />

zahlreiche Geschehnisse als Produkt von Praktiken wahrzunehmen, die man<br />

später als Magie qualifizierte.<br />

Es ist wichtig, sich den Gegensatz bewusst zu machen zwischen der Soziologie,<br />

die auf die wissenschaftliche Erklärung singulärer Tatbestände abzielt,<br />

und der Soziologie, die Gesellschaften als Gesamtheiten erfassen will, denn dieser<br />

Gegensatz ist allgegenwärtig. Ulrich Beck verdankt seine Popularität heute<br />

dem Umstand, dass er den Ausdruck Risikogesellschaft geprägt hat (Beck 1986),<br />

durch den er das Wesen heutiger Gesellschaften zu erfassen sucht; Zygmunt<br />

Baumann wiederum dem Umstand, dass er in ihnen liquide Gesellschaften (liquid<br />

societies) ohne Fixpunkte sieht, in denen alle Werte und alle Institutionen<br />

ihre frühere Stabilität verloren haben. Ende des 19. Jahrhunderts war Gustave<br />

Le Bon zu einem von Weber und Durkheim nie gekannten Ruhm gelangt, weil<br />

er die Gesellschaften seiner Zeit als durch ein seiner Meinung nach nie da gewesenes<br />

Phänomen charakterisiert beschrieb: Die Herrschaft der Massen (Le Bon<br />

1895). Dieser holistischen Soziologie wird seit jeher die meiste Aufmerksamkeit<br />

zuteil.


Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />

XVII<br />

Methodologischer Individualismus<br />

Der methodologische Singularismus ist die erste Regel, die allen wissenschaftlichen<br />

Erklärungen der Sozialwissenschaften gemein ist. Max Weber und nach<br />

ihm Joseph Schumpeter haben eine zweite Regel identifiziert und ihr den Namen<br />

methodologischer Individualismus gegeben. Der Begriff wurde später<br />

durch Karl Popper populär. Max Weber betrachtete den methodologischen Individualismus<br />

als Basisprinzip dessen, was er verstehende Soziologie nannte:<br />

„Die verstehende Soziologie, in unserem Sinne, behandelt das Einzelindividuum<br />

und sein Handeln als unterste Einheit, als ihr ‚Atom‘“ ( Weber [1922]<br />

1988: 415). Man kann sich kaum klarer ausdrücken: Der methodologische Individualismus<br />

ist das Grundprinzip der verstehenden Soziologie, weil individuelle<br />

Handlungen die einzig möglichen Gründe für soziale Phänomene sind.<br />

Weber bekräftigt das noch einmal in einem bekannten Brief vom 9. März 1920<br />

an den Ökonom Robert Liefmann: „Soziologie auch muss strikt individualistisch<br />

in der Methode betrieben werden“ (Mommsen 1965). Bedauerlicherweise<br />

ziehen zahlreiche Lehrbücher den methodologischen Individualismus mit dem<br />

Vorwurf ins Lächerliche, er ignoriere, dass Individuen in Institutionen eingebettet<br />

sind, einem sozialen Kontext angehören und eine Lerngeschichte haben.<br />

Selbst der Begriff der verstehenden Soziologie wird oft missverstanden. Daher<br />

präzisiert Weber im ersten oben zitierten Beitrag, er verstehe den Begriff in<br />

seinem eigenen Sinne. Nicht wenige Soziologen seiner Zeit schrieben ihm nämlich<br />

einen holistischen und nicht einen individualistischen Sinn zu. Sogar heute<br />

noch stellen etliche wissenschaftliche Werke die verstehende Soziologie als jene<br />

Soziologie dar, die auf die Beschreibung charakteristischer Merkmale bestimmter<br />

Gesellschaften oder bestimmter Epochen abzielt – wie früher Dilthey oder<br />

Burckhardt und heute Ulrich Beck oder Zygmunt Baumann.<br />

Um solchen Missverständnissen zu begegnen, verteidigte Weber ausdrücklich<br />

die Idee, dass das Hauptziel der Soziologie in der Erklärung singulärer Phänomene<br />

bestehe; da soziale Phänomene durch individuelle menschliche Handlungen<br />

verursacht seien, setze eine solche Erklärung voraus, dass der Soziologe<br />

in der Lage sei, die Ursachen dieser Handlungen zu bestimmen. Genau das tut<br />

Weber, wenn er erklärt, warum die Pharisäer an die Unsterblichkeit der Seele<br />

glaubten und die Sadduzäer nicht. Die Ursache für diesen makrosoziologischen<br />

Unterschied steckt in den Gründen, aus denen ein idealtypischer Pharisäer für<br />

diese Vorstellung empfänglicher war als ein idealtypischer Sadduzäer.<br />

Auch Durkheim hat sich implizit zum Prinzip des methodologischen Individualismus<br />

bekannt, ungeachtet des vagen Charakters seiner Überlegungen<br />

zur Mikro-Makro-Verbindung (Borlandi 2011). So erklärt er im Selbstmord das<br />

Makrophänomen höherer Selbstmordraten unter Protestanten mit Hilfe der<br />

Hypothese, dass sich der idealtypische Katholik von den Instruktionen reli-


XVIII<br />

Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />

giöser Autoritäten leiten lasse, während der Protestant seine existenziellen Probleme<br />

aus eigener Kraft lösen solle, indem er die Empfehlungen der Heiligen<br />

Schrift selbst entschlüsselt. Daher greife Letzterer im Falle presönlichen Scheiterns<br />

mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die „Lösung“ Selbstmord zurück.<br />

In den Elementaren Formen religiösen Lebens behauptet Durkheim, der Begriff<br />

der Seele scheine deshalb universell und dauerhafter als andere religiöse<br />

Konzepte zu sein, weil er eine symbolische Bedeutung habe, die allen einleuchtet.<br />

In jeder Gesellschaft, erklärt er, hat jedes Individuum ein Gespür dafür,<br />

dass bestimmte Verhaltensweisen legitim oder nicht legitim, gut oder nicht gut<br />

sind. In unserem modernen Vokabular ausgedrückt: Jedes Individuum hat einen<br />

Sinn für Werte. Jeder hat das Gefühl, dass die Werte, die er vertritt, konstitutiv<br />

für seine persönliche Identität sind, weiß aber auch, dass sie ihm von außen zugetragen<br />

werden, d. h. dass er nicht ihre Quelle ist. Folglich kommt kein Individuum<br />

umhin, ein Gefühl der Dualität seines Ichs zu verspüren. Laut Durkheim<br />

muss der Begriff der Seele als symbolischer Ausdruck dieser Dualität interpretiert<br />

werden.<br />

Verstehen als offenes Rationalitätskonzept<br />

Der Begriff des Verstehens im Weber’schen Sinne beinhaltet ferner ein drittes<br />

Kernprinzip, und zwar das Prinzip der Rationalität: Um dieses geht es im<br />

vorliegenden Buch. Das Rationalitätsprinzip liegt der Auffassung zugrunde,<br />

die Weber, Durkheim sowie die analytischen Soziologen unserer Zeit von der<br />

Soziologie als Wissenschaft haben. Für sie liegen die Ursachen, die erklären,<br />

warum sich ein idealtypisches Individuum auf eine bestimmte Art und Weise<br />

verhält oder an bestimmte Dinge glaubt, in den Gründen, die das Individuum<br />

bewegen. Genauer gesagt hängt ein idealtypisches Individuum dann einer bestimmten<br />

Überzeugung an, wenn es den Eindruck hat, dass diese im Rahmen<br />

eines Systems von Gründen, die es als akzeptabel wahrnimmt, fundiert ist. Im<br />

Allgemeinen werden diese Gründe durch den Kontext parametrisiert: So hatten<br />

die Sadduzäer nicht die gleichen Gründe wie die Pharisäer, an die Unsterblichkeit<br />

der Seele zu glauben.<br />

Durkheim wird in dieser Hinsicht sogar noch deutlicher als Weber. Er steht<br />

Autoren seiner Zeit äußerst kritisch gegenüber, die – wie Max Müller oder<br />

Lucien Lévy-Bruhl – religiöse Überzeugungen oder magische Rituale als Folge<br />

von Illusionen analysieren, die durch soziale Zwänge oder verborgene psychische<br />

Kräfte in die Köpfe der Individuen gelangt sind. Er postuliert explizit,<br />

dass dauerhafte Überzeugungen niemals als Illusionen erklärt werden dürfen.<br />

Er hätte also die marxistische Vorstellung abgelehnt, nach der die soziale Konditionierung<br />

die Individuen blind macht für die Gründe, aus denen sie das tun,<br />

was sie tun, und daran glauben, woran sie glauben: Eine Idee, die Soziologen mit


Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />

XIX<br />

strukturalistischem Ansatz im Gegenteil für ein Fundamentalpostulat halten.<br />

Nichts davon findet sich bei Weber und Durkheim: Da das Individuum normalerweise<br />

eher die Ziele seiner Handlung als seine Beweggründe im Auge hat, ist<br />

es sich der Gründe, die es antreiben, im Allgemeinen nur halb bewusst. Doch es<br />

liegen Lichtjahre zwischen dieser banalen Bemerkung und der von den Strukturalisten<br />

übernommenen These von Marx und Karl Mannheim, derzufolge das<br />

Selbst- und das Weltbild des Individuums unter dem Einfluss eines solchen Sozialdeterminismus<br />

zwangsläufig verzerrt sind. Im Gegensatz zu dieser These<br />

spielen für Durkheim und Weber der gesunde Menschenverstand und der Common<br />

Sense 1 eine zentrale Rolle.<br />

Ein einfaches, Weber entlehntes Beispiel veranschaulicht die Idee, dass Überzeugungen<br />

durch die Gründe erklärt werden müssen, aus denen ihnen die Individuen<br />

anhängen, und zwar unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Kontextes.<br />

Ein idealtypischer moderner Abendländer ist überrascht, wenn er feststellt,<br />

dass der „primitive Mensch“, wie man im 19. Jahrhundert sagte, offenbar an die<br />

Wirksamkeit von Regentanzritualen glaubt; nicht überrascht ist er hingegen angesichts<br />

der Tatsache, dass dieser zwei Holzstücke aneinander reibt, um Feuer<br />

zu erzeugen. Da der Abendländer die Gesetze der Energieumwandlung kennt,<br />

weiß er, dass sich kinetische Energie in thermische umwandelt. Daher wundert<br />

er sich nicht über den „Feuermacher“; das Verhalten des „Regenmachers“ hingegen<br />

erscheint ihm rätselhaft. Der „primitive Mensch“ selbst wiederum hat<br />

überhaupt keinen Grund, hier genauso zu differenzieren: Wie die Beobachtungen<br />

von Anthropologen zeigen, sind für ihn die Praktiken des „Feuermachers“<br />

und des „Regenmachers“ gleichermaßen durch Theorien fundiert; diese werden<br />

vom Abendländer jedoch als „magisch“ wahrgenommen.<br />

In diesem Beispiel und in all seinen Analysen empfiehlt Weber, die übliche<br />

instrumentelle Konzeption von Rationalität durch eine kognitive zu ersetzen.<br />

Das Beispiel veranschaulicht mit anderen Worten die für Weber zentrale Idee,<br />

wonach eine individuelle Handlung, Überzeugung oder Verhaltensweise zu<br />

verstehen bedeutet, die Gründe für sie im Geiste des Individuums zu identifizieren<br />

– wobei die Entschlüsselung dieser Gründe selbstverständlich impliziert,<br />

dass der Forscher die Merkmale des sozialen und kognitiven Kontextes berücksichtigt,<br />

in dem das Individuum verortet ist.<br />

Die Theorie, die ich allgemeine Theorie der Rationalität oder auch Theorie<br />

der Alltagsrationalität nennen möchte, formalisiert die von Weber in seinen<br />

theoretischen Texten skizzierten und in seinen empirischen Analysen umgesetzten<br />

Ideen. Sie unterscheidet sich von der in den Sozialwissenschaften üb-<br />

1<br />

Anm. d. Übers.: Französisch „sens commun“, deutsch auch „Sensus communis“. Der<br />

Autor differenziert durchgehend zwischen dem gesunden Menschenverstand auf der Individualebene<br />

(„le bon sens“), also der Vernunft jedes einzelnen, und dem „Common Sense“ auf<br />

der Makroebene, welcher den aggregierten gesunden Menschenverstand Aller, also eine Art<br />

kollektive Vernunft bezeichnet.


XX<br />

Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />

licherweise herangezogenen Rational-Choice-Theorie. Diese postuliert, dass<br />

die Gründe, welche die Individuen antreiben, egoistischer und instrumenteller<br />

Natur sind; in der allgemeinen Theorie der Rationalität können sie auch überindividueller<br />

und kognitiver Art sein. Beispielsweise sind die Gründe, die erklären,<br />

warum Abendländer das Verhalten des „Regenmachers“ im Gegensatz<br />

zum Verhalten des „Feuermachers“ als seltsam betrachten, überindividuell und<br />

kognitiv.<br />

Diese allgemeine Theorie der Rationalität fußt letztlich auf einem Prinzip,<br />

dass ich Prinzip des kognitiven Gleichgewichts nennen möchte. Es besagt: Ein<br />

Individuum glaubt erst von dem Augenblick an, dass X wahr, akzeptabel, gut,<br />

legitim usw. ist, in dem es den Eindruck hat, dass dieses Urteil auf einem System<br />

akzeptabler Gründe beruht. Die Rational-Choice-Theorie und die allgemeine<br />

Theorie der Rationalität widersprechen sich in einem ganz entscheidenden<br />

Punkt: Die Rational-Choice-Theorie sieht den homo sociologicus als Solipsisten,<br />

die allgemeine Theorie der Rationalität als verbunden mit Anderen. Man<br />

kann in der Tat nicht der Überzeugung sein, dass X wahr, richtig, gut, legitim<br />

usw. ist, ohne gleichzeitig das Gefühl zu haben, dass andere diese Überzeugung<br />

teilen müssten.<br />

Neben dem methodologischen Singularismus und dem methodologischen<br />

Individualismus ist schließlich das Prinzip des kognitiven Gleichgewichts das<br />

dritte Prinzip, welches meiner Ansicht nach implizit jenes Paradigma definiert,<br />

das von den Gründervätern der Soziologie und ebenso von vielen modernen<br />

Soziologen – insbesondere den Verfechtern der sog. analytischen Soziologie –<br />

benutzt wird.<br />

Weil es so erklärungsstark und einleuchtend ist, wurde dieses Paradigma<br />

schon seit jeher angewendet und unter verschiedenen Bezeichnungen geführt:<br />

verstehende Soziologie, erklärende Soziologie, analytische Soziologie oder auch<br />

middle-range theory (Pawson <strong>200</strong>9). Ich meinerseits habe vorgeschlagen, dieses<br />

Paradigma als Definiens der Soziologie als Wissenschaft zu präsentieren, um<br />

zu unterstreichen, dass es in allen wissenschaftlichen Disziplinen gilt. Alle, ob<br />

Physik, Biologie oder Soziologie, versuchen singuläre Phänomene zu erklären,<br />

indem sie zu deren letzten Ursachen vordringen.<br />

Natürlich machen sich nicht alle Soziologen das durch die oben genannten<br />

drei Prinzipien definierte Paradigma zu eigen. Der Kontrast zwischen der individualistischen<br />

Soziologiekonzeption in der Tradition Webers, Durkheims<br />

und ihrer Nachfolger sowie der von Le Bon und heute von Ulrich Beck oder<br />

Zygmunt Bauman vertretenen holistischen Konzeption zeigt hinreichend, dass<br />

die holistische Orientierung anderen Prinzipien gehorcht. Daneben existieren<br />

außerdem eine deskriptive Soziologie, die bestenfalls literarischen Wert hat;<br />

eine kritische Soziologie, die gern nach Theorien sucht, die zur Verteidigung<br />

dieser oder jener Sache genutzt werden können; und schließlich eine szientistische<br />

Soziologie, die sorgfältig von der Soziologie als Wissenschaft zu unterschei-


Vorwort zur deutschen Übersetzung<br />

XXI<br />

den ist. Sie wird durch die strukturalistische Soziologie, durch die Soziobiologie<br />

oder durch jene Soziologie illustriert, die all ihre Hoffnungen auf die Entwicklung<br />

der Neurowissenschaften setzt. Diese Varianten haben eines gemeinsam:<br />

Sie gehen alle davon aus, dass das menschliche Verhalten das Produkt sozialer,<br />

psychologischer oder biologischer Ursachen ist, die sich, ähnlich wie die Ursachen<br />

menschlicher Verdauungsmechanismen, vollständig der Kontrolle durch<br />

den menschlichen Geist und das menschliche Bewusstsein entziehen (Boudon<br />

2012).<br />

Müssen die Geisteswissenschaften das Menschliche wirklich über Bord werfen,<br />

um wissenschaftlich zu sein?<br />

Raymond Boudon, Oktober 2012<br />

Literatur<br />

Beck, Ulrich 1986: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt<br />

am Main: Suhrkamp.<br />

Borlandi, Massimo 2011: Durkheim et la psychologie, in: Boudon, Raymond (Hrsg.):<br />

Durkheim fut-il durkheimien?, Paris: Colin: S. 55–80.<br />

Boudon, Raymond 2012: Croire et savoir: penser le politique, le moral et le religieux, Paris:<br />

Presses Universitaires de France.<br />

Demeulenaere, Pierre (Hrsg.) 2012: Analytical Sociology and Social Mechanisms, Cambridge:<br />

Cambridge University Press.<br />

Durkheim, Émile [1897] 1983: Der Selbstmord, Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />

Le Bon, Gustave 1895: Psychologie des foules, Paris: Aclan. Deutsche Ausgabe <strong>200</strong>8: Die<br />

Psychologie der Massen, Stuttgart: Kröner.<br />

Lepenies, Wolf 1985: Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft,<br />

München: Hanser.<br />

Mommsen, Wolfgang 1965: Max Weber’s Political Sociology and his Philosophy of World<br />

History, in: International Social Science Journal 17 (1): S. 23–45.<br />

Pawson, Ray <strong>200</strong>9: On the Shoulders of Merton. Boudon as the modern Guardian of<br />

Middle-Range Theory, in: Cherkaoui, Mohamed/Hamilton, Peter (Hrsg.): Raymond<br />

Boudon: A Life in Sociology, Band 4, Oxford: Bardwell Press: S. 317–334.<br />

Tocqueville, Alexis de [1840] 1987: Über die Demokratie in Amerika. Zweiter Teil, Zürich:<br />

Manesse.<br />

von Mises, Ludwig [1949] 1998: Human Action. A Treatise on Economics, Auburn: Ludwig<br />

von Mises Institute.<br />

Weber, Max [1921] 1988: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie III, Tübingen:<br />

<strong>Mohr</strong>.<br />

Weber, Max [1922] 1988: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Auflage, Tübingen:<br />

<strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong>.<br />

Wiggershaus, Rolf <strong>200</strong>8: Die Frankfurter Schule: Geschichte, Theoretische Entwicklung,<br />

Politische Bedeutung, 7. Auflage, München: Deutscher Taschenbuch <strong>Verlag</strong>.


XXII


XXIII<br />

Vorwort zur französischen Originalausgabe<br />

Genau wie die Naturwissenschaften entwickeln sich auch die Sozialwissenschaften<br />

immer mehr über Aufsätze statt durch Bücher. Die vorliegende Sammlung<br />

von Artikeln ist die Weiterentwicklung meines Buches Raison, bonnes<br />

raisons (Boudon <strong>200</strong>3). Mehrere der Beiträge wurden nach Erscheinen dieses<br />

Buches verfasst und vertiefen in einigen Punkten die dort vorgebrachte allgemeine<br />

Theorie der Rationalität – insbesondere aufbauend auf den Diskussionen,<br />

zu denen das Buch geführt hat. Die Grundlagen der allgemeinen Theorie<br />

der Rationalität sowie die Gründe, warum sie mir fruchtbarer erscheint als die<br />

Rational-Choice-Theorie, werden detaillierter ausgearbeitet als im Buch von<br />

<strong>200</strong>3. Abgesehen davon bieten die Artikel einen Überblick über das Spektrum<br />

an Themen, für die sich die allgemeine Theorie der Rationalität als adäquates<br />

Paradigma herausstellt. Betont wird, dass es genau dieses Paradigma ist, das<br />

zahlreiche, überall in der Soziologie anerkannte Klassiker verfolgt haben.<br />

Die zwei Artikel des ersten Teils bieten einen Überblick über die allgemeine<br />

Theorie der Rationalität und präzisieren deren Verhältnis zur Rational-Choice-Theorie.<br />

Sie schlagen eine analytische Definition des kontroversen<br />

Begriffs der „axiologischen Rationalität“ 2 vor.<br />

Die fünf Artikel des zweitens Teils illustrieren die Bedeutung der allgemeinen<br />

Theorie der Rationalität für die Erklärung weiter Bereiche an soziologischen<br />

Fragestellungen: das Verständnis fremder Kulturen, die Erklärung<br />

religiöser Überzeugungen und solcher Überzeugungen, die ein Beobachter<br />

spontan als „irrational“ qualifizieren würde, die Erklärung von Meinungsphänomenen,<br />

vom Wertewandel im Generationenverlauf und von mittel- und langfristigen<br />

Entwicklungstendenzen, denen demokratische Gesellschaften unterliegen.<br />

Die Wahl dieser konkreten Phänomene hat den Vorteil aufzuzeigen, dass<br />

die theoretischen Diskussionen zum Begriff der Rationalität eine unmittelbare<br />

Bedeutung für die Erklärung sozialer Phänomene haben.<br />

Spontane Erklärungen sozialer Phänomene machen aus diesen oft das Ergebnis<br />

„irrationaler“ Verhaltensweisen. Die generelle Schlussfolgerung aus den<br />

im vorliegenden Band versammelten Texten lautet, dass eine wissenschaftliche<br />

Erklärung sozialer Phänomene aber in der Regel darin besteht zu zeigen, dass<br />

man sie vielmehr auf rationale Gründe zurückführen muss. Genau dies haben<br />

2<br />

Etwa: „Wertrationalität“, Anm. d. Übers.


XXIV<br />

Vorwort zur französischen Originalausgabe<br />

Tocqueville, Weber oder Durkheim instinktiv vermutet. Sie haben klar gesehen,<br />

dass eine soziologische Erklärung oft bedeutet, die Grenzen der Rationalität<br />

neu zu ziehen. Genau dies ist einer der Kernpunkte, der die Größe ihrer Werke<br />

erklärt und aus ihnen eine unverzichtbare Propädeutik für die aktuell identitätslosen<br />

Sozialwissenschaften macht.<br />

Das Kapitel „Der Zerfall der zeitgenössischen Sozialtheorie“ („L’éclatement<br />

de la théorie sociale contemporaine“) wurde ursprünglich für einen Band über<br />

soziologische Theorie, initiiert von François Chazel und Jacques Coenen-Huther<br />

verfasst. Der Artikel „Rational-Choice-Theorie und allgemeine Theorie der Rationalität“<br />

(„Théorie du choix rationnel et théorie générale de la rationalité“) ist<br />

die ausführlichere Version eines Beitrags in der dritten Auflage des The New<br />

Blackwell Companion to Social Theory“, herausgegeben von Bryan S. Turner<br />

(Boudon <strong>200</strong>9). Das Kapitel „Die Rationalität der Moderne nach Tocqueville“<br />

(„La rationalité de la modernité selon Tocqueville“) ist die schriftliche Fassung<br />

eines Vortrags vom 31. Mai <strong>200</strong>5 am Institut de France im Rahmen eines Symposiums<br />

zur Feier des zweihundertsten Geburtstages von Tocqueville. Er wurde<br />

unter dem Titel „L’éxigence de Tocqueville: la ‚science politique nouvelle‘“ im<br />

Tocqeville Review/Revue Tocqueville publiziert (Boudon <strong>200</strong>6). 3 „Die Rationalität<br />

religiöser Überzeugungen nach Max Weber“ („La rationalité des croyances<br />

religieuses selon Max Weber“) wurde ursprünglich in L’Année sociologique unter<br />

dem Titel „La rationalité du religieux selon Max Weber“ veröffentlicht (Boudon<br />

<strong>200</strong>1). Der Beitrag „Die Rationalität des ‚Irrationalen‘ nach Durkheim“ („La rationalité<br />

de l’‚irrationnel‘ selon Durkheim“) erschien zuerst in L’Année sociologique<br />

unter dem Titel „Les formes élémentaires de la vie religieuse: une théorie<br />

toujours vivante“ (Boudon 1999). „Die Rationalität des Wertewandels von Generation<br />

zu Generation“ („La rationalité de l’évolution des valeurs d’une génération<br />

à l’autre“) ist die überarbeitete Version eines vor der Société royale du Canada<br />

am 15. November <strong>200</strong>1 gehaltenen Vortrags. „Die Rationalität des institutionellen<br />

Wandels von Demokratien“ („La rationalité de l’évolution institutionelle<br />

des démocraties“) ist eine überarbeitete Version einer Broschüre mit dem Titel<br />

Renouveler la démocratie: mode d’emploi (Boudon <strong>200</strong>7). Es ist die theoretische<br />

Konvergenz der Texte, die mich dazu animiert hat, sie hier zu versammeln. Alle<br />

illustrieren die Wichtigkeit eines offenen Konzepts von Rationalität für die Analyse<br />

und das Verständnis politischer und sozialer Phänomene. Alle veranschaulichen<br />

den Umstand, dass die Sozialwissenschaften vor allem dann fruchtbar sind,<br />

wenn sie augenscheinlich höchst „irrationale“ Phänomene als Ergebnis individuell<br />

rationaler Verhaltensweisen erklären. Alle versuchen die Frage nach den<br />

Grenzen des Rationalen zu klären – die theoretische Kernfrage, die sich heute<br />

der Gesamtheit der Sozialwissenschaften stellt. Heute erkennen die Ökonomen<br />

3<br />

Eine deutsche Übersetzung einer leicht abweichenden Version des Artikels findet sich<br />

im Berliner Journal für Soziologie (Boudon <strong>200</strong>5), Anm. d. Übers.


Vorwort zur französischen Originalausgabe<br />

XXV<br />

immer mehr an, dass die in ihrer Disziplin etablierte Rationalitätstheorie, die<br />

Rational-Choice-Theorie, unbefriedigend ist; und bei den Soziologen wächst die<br />

Erkenntnis, dass sie zu oft den Bequemlichkeiten irrationaler Verhaltenserklärungen<br />

nachgegeben haben.<br />

Mehrere der hier versammelten Texte wurden ursprünglich zu großen Teilen<br />

in Form von Vorträgen präsentiert. Die Anmerkungen und Fragen des Publikums<br />

waren in allen Fällen sehr hilfreich, um die in diesem Band dem Leser<br />

präsentierten Texte auszuarbeiten. Besonders danke ich Mohammed Cherkaoui<br />

und Annie Devinant für ihre Anmerkungen zum Manuskript. Sie haben viel<br />

zu dessen Verbesserung beigetragen. Meine Frau hat mir geholfen, die unverständlichen<br />

Stellen in der ersten Version des Manuskripts zu finden und mich<br />

auf mehrere der Beispiele aus dem vergangenen und heutigen sozialen und politischen<br />

Alltag hingewiesen. Seit jeher erscheint es mir unverzichtbar, die Relevanz<br />

theoretischer Ideen zu illustrieren und zu testen, indem gezeigt wird, dass<br />

sie Sachverhalte erhellen, die auf den ersten Blick unverständlich erscheinen.<br />

Paris, 30. Juni <strong>200</strong>7<br />

Literatur<br />

Boudon, Raymond 1999: Les formes élémentaires de la vie religieuse: une théorie toujours<br />

vivante, in: L’Année sociologique 49 (1): S. 149–198.<br />

Boudon, Raymond <strong>200</strong>1: La rationalité du religieux selon Max Weber, in: L’Année sociologique<br />

51 (1): S. 9–50.<br />

Boudon, Raymond <strong>200</strong>3: Raison, bonnes raisons, Paris: Presses Universitaires de France.<br />

Boudon, Raymond <strong>200</strong>5: Tocquevilles Plädoyer für eine neue politische Wissenschaft, in:<br />

Berliner Journal für Soziologie 15 (4): S. 459–472.<br />

Boudon, Raymond <strong>200</strong>6: L’exigence de Tocqueville: la „science politique nouvelle“, in: The<br />

Tocqueville Review/Revue Tocqueville 27 (2): S. 13–34.<br />

Boudon, Raymond <strong>200</strong>7: Renouveler la démocratie: mode d’emploi, Paris: Fondation pour<br />

l’Innovation politique.<br />

Boudon, Raymond <strong>200</strong>9: Rational Choice Theory, in: Turner, Bryan S. (Hrsg.): The New<br />

Blackwell Companion to Social Theory, Chichester: Wiley-Blackwell: S. 179–195.


XXVI


1<br />

Einführung: Eine Theorie der Rationalität<br />

für die Sozialwissenschaften<br />

„Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der gesunde Menschenverstand.“<br />

Diese berühmte Behauptung 4 hätte wohl von allen großen Philosophen, Soziologen<br />

und Ökonomen unterzeichnet werden können. Wie die Theorie des „unparteiischen<br />

Zuschauers“ von Adam Smith zeigt, hat jedes Individuum, sobald<br />

es über Fragen nachdenkt, die seine Interessen, Leidenschaften oder vorgefassten<br />

Meinungen nicht gefährden und die es mit der erforderlichen Sachkompetenz<br />

beurteilen kann, alle Möglichkeit, das Gerechte und Wahre zu erkennen.<br />

Jean-Jacques Rousseau hat klar erkannt, dass der gesunde Menschenverstand<br />

die Grundlage des demokratischen Konsenses ist. Die „volontée générale“ nach<br />

Rousseau ist der Wille, den die Bürger zum Ausdruck brächten, wenn sie sich<br />

von ihren Leidenschaften, Interessen und vorgefassten Meinungen freimachen<br />

könnten. Sie würden dann alle Dinge, die keine Fachkenntnisse erfordern, mit<br />

Hilfe des gesunden Menschenverstandes beurteilen. Dieselbe Hypothese wird<br />

auch im „Schleier des Nichtwissens“ von John Rawls angedeutet. Die Theorie<br />

der kollektiven Vorstellungen von Emile Durkheim geht davon aus, dass das<br />

Individuum prinzipiell die Fähigkeit hat, die Vorurteile zu erkennen, die seine<br />

Meinungen bestimmen, aber sich meistens aus kognitiver Bequemlichkeit oder<br />

mitunter auch in seinem eigenen Interesse mit übernommenen Vorstellungen<br />

zufriedengibt.<br />

Der Begriff des gesunden Menschenverstandes ist unverzichtbar für das<br />

Verständnis praktisch aller sozialen, politischen oder kulturellen Phänomene.<br />

Ohne diesen Begriff könnten die kurz-, mittel- und langfristigen Entwicklungen,<br />

die das demokratische Leben kennzeichnen, nur schwer verstanden werden.<br />

Es wäre schwer, Informationen aus Umfragedaten – dem täglichen Brot<br />

politischer Kommentatoren und Soziologen – herauszukristallisieren oder die<br />

Glaubensüberzeugungen längst vergangener Epochen oder exotischer Kulturen<br />

zu erklären. Der Begriff des gesunden Menschenverstandes ist jedoch nicht nur<br />

für die Erklärung sozialer und politischer Phänomene unverzichtbar, sondern<br />

auch für das politische und alltägliche Handeln. Das Grundprinzip der Demokratie,<br />

nämlich jeden Bürger als letzte Quelle des Rechts zu sehen, verliert jede<br />

4<br />

Von René Descartes 1637, Discours de la méthode, dt. Abhandlung über die Methode,<br />

eig. Übersetzung, Anm. d. Übers.


2<br />

Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />

Bedeutung, wenn man die Idee nicht akzeptiert, dass der Mensch fähig ist, mit<br />

Hilfe seiner Vernunft über Fragen zu urteilen, die seine Interessen oder Leidenschaften<br />

nicht gefährden und in denen er die nötige Sachkenntnis besitzt.<br />

Wenn man die Bedeutung des gesunden Menschenverstandes im demokratischen<br />

Alltag nicht akzeptiert, reduziert sich dieser zwangsläufig auf das Hobbes’sche<br />

Bild des Krieges aller gegen alle: die Konfrontation von Interessen und<br />

Leidenschaften.<br />

Bleibt also nur noch, „gesunden Menschenverstand“ zu definieren. Wie wir<br />

sehen werden, existiert eine analytische Definition. Der wiederholte Rekurs<br />

auf den Begriff des gesunden Menschenverstandes unter verschiedenen anderen<br />

Bezeichnungen bei Smith, Rousseau und Rawls beweist dessen theoretische<br />

Bedeutung. Man könnte zwar behaupten, dass dadurch ein etwas zu theoretisches<br />

Menschenbild gezeichnet wird, doch jede wissenschaftliche Disziplin<br />

verwendet theoretische Konzepte. Die Frage ist lediglich, ob diese tatsächlich<br />

auch eine Erkenntnisquelle sind und ob sie es erlauben, Wirkungsmechanismen<br />

zu formulieren.<br />

Wie schon erwähnt, kann auch der Name Durkheims in die Reihe dieser Autoren<br />

aufgenommen werden. Tatsächlich nämlich steht bereits in seinem ersten<br />

Buch, dass „der Individualismus und das freie Denken […] nirgendwo anfangen,<br />

sondern […] sich unaufhaltsam die ganze Geschichte hindurch entwickelt<br />

[haben]“ (Durkheim [1893] 1992: 226 f.). Diese Formulierung unterstellt klar,<br />

dass der Mensch autonom ist und über gesunden Menschenverstand verfügt:<br />

ein Menschenbild, das den inhaltlichen Analysen des großen französischen Soziologen<br />

ebenso stetig zugrunde liegt wie allen großen Werken der Soziologie.<br />

Was nun den Gemeinsinn oder „Common Sense“ 5 anbetrifft, ist jener nichts<br />

anderes als die Aufsummierung des gesunden Menschenverstandes eines jeden.<br />

„Der Begriff, der ursprünglich für wahr gehalten wurde, weil er kollektiv<br />

ist, neigt dazu, nur unter der Bedingung kollektiv zu werden, dass er für wahr<br />

gehalten wird: Wir verlangen seine Richtigkeit, ehe wir ihm unser Vertrauen<br />

schenken“, präzisiert Durkheim ([1912] 1984: 585) noch einmal in seinem letzten<br />

Buch. Eine Vorstellung setzt sich – zumindest in langfristiger Sicht – als<br />

Common Sense nur dann durch, wenn jeder objektive Gründe dafür hat, ihr<br />

zuzustimmen.<br />

Der Bruch mit der Philosophie der Aufklärung<br />

Konträr zu der durch den Begriff des gesunden Menschenverstandes repräsentierten<br />

Tradition sind im 19. Jahrhundert einflussreiche Denkströmungen entstanden,<br />

die sich im 20. Jahrhundert weiter entfaltet haben. Diese streiten nicht<br />

5<br />

Vgl. Fußnote 1 im Vorwort zur deutschen Übersetzung, Anm. d. Übers.


Der Bruch mit der Philosophie der Aufklärung<br />

3<br />

nur die Existenz eines gesunden Menschenverstandes ab, sondern behaupten<br />

sogar, der Mensch werde ausschließlich von seinen Interessen, Leidenschaften<br />

und Vorurteilen geleitet.<br />

Sie gehen sogar noch weit darüber hinaus, wenn sie fordern, die Vorstellungen<br />

des Menschen in erster Linie als das Ergebnis kultureller, sozialer, biologischer<br />

oder psychologischer Kräfte oder Zwänge zu sehen, die sich seiner Kontrolle<br />

und sogar seinem Bewusstsein entziehen. Positivismus, Marxismus, Freudianismus<br />

oder andere moderatere Denkrichtungen wie der Kulturalismus und<br />

der Strukturalismus haben bei allen Unterschieden gemeinsam, dass sie ein radikal<br />

neues Menschenbild entwerfen. Die gesamte abendländische Denktradition<br />

– einschließlich der Philosophie der Aufklärer – hat immer die Autonomie<br />

des Menschen im Hinblick auf die Gedankenfreiheit und sein Urteilsvermögen<br />

betont, dabei aber durchaus die Bedeutung von Leidenschaften, Interessen und<br />

Vorurteilen in der menschlichen Psyche anerkannt. Das Denken Kants, der stets<br />

die Rationalität und die Autonomie des Menschen hervorgehoben hat, zieht sich<br />

konstant durch das Werk Max Webers genauso wie durch jenes von Emile Durkheim.<br />

Im Gegensatz dazu haben die im 19. und 20. Jahrhundert florierenden irrationalistischen<br />

Denkschulen ein fundamental heteronomes Menschenbild<br />

entworfen. Ihr Einfluss auf weite Bereiche der Geistes- und Sozialwissenschaften<br />

und dadurch auch auf das Bildungswesen, die Medien und – in geringerem<br />

Umfang – auf die Öffentlichkeit braucht nicht betont zu werden. Sie haben ein<br />

naturalistisches Menschenbild legitimiert, welches zwangsläufig in eine relativistische<br />

Philosophie münde. Sobald angenommen wird, dass ein Mensch ein<br />

bestimmtes Werturteil, also ein Urteil der Art „das ist gut, legitim usw.“, unter<br />

dem Einfluss sozialer, kultureller, psychologischer oder biologischer Kräfte<br />

oder Zwänge trifft, die mehr oder weniger mechanisch wirken, kann man unmöglich<br />

behaupten, dass das Urteil des einen Menschen besser begründet oder<br />

fundiert ist als das eines anders Urteilenden. Letztlich folgt aus dem naturalistischen<br />

Menschenbild notwendigerweise auch, dass alles nur Meinung ist, dass alle<br />

Meinungen gleichwertig sind, und auch, dass alle „Kulturen“ gleichwertig sind.<br />

Was aber nun Zweifel an der Gültigkeit der von diesen Denkströmungen<br />

übernommenen Modelle aufwirft, ist insbesondere die Tatsache, dass die bedeutendsten<br />

Soziologen sie in keinster Weise benutzt haben. Tocqueville, Weber<br />

und Durkheim, um nur die größten zu nennen, halten sich an die klassische<br />

Konzeption des Menschen, und dies übrigens ganz im Gegensatz zu dem, was<br />

uns die Vertreter, die durch die naturalistische Brille schauen, weismachen wollen.<br />

Für Tocqueville, Weber und Durkheim ist der Mensch mit einem gesunden<br />

Menschenverstand ausgestattet und nicht anonymen Kräften unterworfen,<br />

wobei der gesunde Menschenverstand sicherlich durch Leidenschaften und<br />

Vorurteile eingetrübt werden kann. Mit Hilfe dieses Modells erklären sie die<br />

komplexesten Makrophänomene. Tocqueville gelingt es, das Mysterium des<br />

Sonderwegs der amerikanischen Religion oder des „Kultes der Vernunft“ im


4<br />

Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />

Frankreich des 18. Jahrhunderts zu entschlüsseln, und zwar indem er sich damit<br />

begnügt, den Amerikanern und Franzosen eine möglichst einfache Psychologie<br />

zu unterstellen. Max Weber macht unzählige religiöse Phänomene transparent,<br />

nur indem er den Gläubigen die einfachste Psychologie attribuiert. Durkheim<br />

hat gezeigt, dass sich scheinbar völlig irrationale Überzeugungen – wie z. B.<br />

der Glaube an imaginäre Kausalbeziehungen, auf denen Praktiken der Magie<br />

basieren – viel besser erklären lassen, wenn man gerade von nicht-irrationalen<br />

Gläubigen ausgeht.<br />

Die Reaktion der Rational-Choice-Theorie<br />

Als Reaktion auf die Denkströmungen, die menschliches Handeln auf das Wirken<br />

überindividueller Kräfte zurückführen, waren die Sozialwissenschaften in<br />

den letzten Jahrzehnten vor allem vom beeindruckenden Siegeszug einer Theorie<br />

mit generalistischem Anspruch geprägt: der Theorie der rationalen Wahl<br />

oder Rational-Choice-Theorie. Diese hat in den letzten Jahren innerhalb der<br />

Sozialwissenschaften entscheidend an Einfluss gewonnen. Sie sieht den homo<br />

sociologicus als nahen Verwandten des homo oeconomicus und schlägt den Politik-<br />

und Sozialwissenschaften und insbesondere der Soziologie einen allgemeinen<br />

theoretischen Rahmen vor.<br />

Die Rational-Choice-Theorie kann unbestrittene und bedeutende Erfolge<br />

verbuchen. Sie hat es erlaubt, auf wissenschaftlich überzeugende Art und Weise<br />

eine große Zahl an Phänomenen aus der Welt der Ökonomie zu erklären, aber<br />

auch viele andere Phänomene, die nicht aus der Ökonomie stammen. Besonders<br />

beachtlich ist ihr Beitrag zur Erklärung von Phänomenen des politischen<br />

Lebens. Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere an die nunmehr<br />

klassischen Arbeiten von Anthony Downs, Mancur Olson, James Buchanan<br />

und Gordon Tullock, oder auch Anthony Oberschall und, unlängst, von Gary<br />

Becker (1996), James Coleman ([1990] 1991) sowie vielen anderen. Genauso hat<br />

sie sich besonders fruchtbar bei der Erklärung von Phänomenen der Delinquenz<br />

erwiesen, wie die Arbeiten von James Wilson (1975) oder Russell Hardin (1995)<br />

beweisen. Mit ihrer Hilfe ließen sich Phänomene von Menschenaufläufen erklären,<br />

wie James Coleman gezeigt hat.<br />

Die Rational-Choice-Theorie verdankt ihre Erfolge der Tatsache, dass sie<br />

Phänomene auf „individualistische“ Weise interpretiert, die auf den ersten<br />

Blick nicht in diesen Interpretationsrahmen passen. Seit Gustave Le Bon kehrt<br />

der Mythos einer kollektiven Psychologie, deren Mechanismen von der individuellen<br />

Psychologie völlig abgekoppelt seien, immer wieder auf die Tagesordnung<br />

zurück, sogar heute noch. Allgemein gesagt führt das Auftreten von verwirrenden<br />

oder anstößigen Ereignissen immer wieder zu Arbeiten, die diese<br />

Ereignisse auf eine tief sitzende Irrationalität des Menschen sowie auf Gesetze


Misserfolge der Rational-Choice-Theorie<br />

5<br />

einer kollektiven Psychologie zurückführen, die allerdings erst noch nachzuweisen<br />

wären. Nicht nur Attentate von Fundamentalisten, sondern auch die<br />

Launen der Börse oder die Entwicklung der „Dotcom-Blase“ haben schon genügt,<br />

um irrationalistischen Verhaltenstheorien neues Leben einzuhauchen.<br />

Zwangsläufig ist diese Kollektivpsychologie – deren Gegenstandbereich laut<br />

deren Vertretern natürlich gänzlich verschieden von jenem der individuellen<br />

Psycho logie ist – stets eine hohle Beschwörungsformel geblieben.<br />

Die Rational-Choice-Theorie bediente eine bestimmte Erwartungshaltung:<br />

Soziologen hatten seit einiger Zeit immer klarer die Unzulänglichkeiten jener<br />

Konzeption erkannt, die den Menschen als Spielball anonymer Kräfte sozialer,<br />

kultureller oder biologischer Art sieht, den „sozialen Strukturen“ oder den in<br />

einem Milieu geltenden Normen, dem Gesetz der biologischen Evolution oder<br />

bestimmten Instinkten wie dem Nachahmungstrieb unterworfen. Die unbestrittenen<br />

wissenschaftlichen Erfolge der Rational-Choice-Theorie sowie die<br />

Tatsache, dass sie eine Alternative zu dem beschriebenen anfechtbaren Verhaltenskonzept<br />

bietet, sind die beiden Faktoren, die ihren Einfluss erklären.<br />

Misserfolge der Rational-Choice-Theorie<br />

Allerdings bin ich nicht davon überzeugt, dass die Rational-Choice-Theorie einen<br />

theoretischen Rahmen für die Sozialwissenschaften bietet, der allgemein genug<br />

ist. Das wird dort deutlich, wo sie keine Erklärung für allgemein bekannte<br />

Phänomene liefern kann. Sie kann nicht erklären, warum Menschen wählen gehen.<br />

Sie ist hilflos angesichts negativer Gefühle, die durch bestimmte, allgemein<br />

geächtete Handlungen provoziert werden. Sie ist unfähig, so wichtige Phänomene<br />

wie die Entwicklung des moralischen Empfindens oder der Religiosität<br />

abendländischer Gesellschaften während der letzten Jahrhunderte bzw. Jahrzehnte<br />

zu erklären. Die Vorhersagen der Rational-Choice-Theorie werden von<br />

der Realität zuweilen mit einer spektakulären Härte widerlegt. So zeigen Experimente<br />

aus dem Bereich der Neurowissenschaften, dass sich unter bestimmten<br />

Umständen Versuchspersonen nur dann gemäß der Rational-Choice-Theorie<br />

verhalten, wenn die normale Funktion bestimmter, genau definierter Bereiche<br />

ihres Gehirns zuvor ausgeschaltet wurde (Knoch et al. <strong>200</strong>6, vgl. auch Henderson<br />

<strong>200</strong>6). Das heißt, ein normal funktionierender Mensch folgt nicht notwendigerweise<br />

den Grundsätzen der Rational-Choice-Theorie. Diese Befunde<br />

widersprechen der seitens der Rational-Choice-Theorie oft proklamierten Ambition,<br />

dank ihrer Formalisierung eine starke Prognosekraft zu besitzen.<br />

Aufgrund dieser erwiesenen Unzulänglichkeiten muss die Rational-Choice-<br />

Theorie wichtige Kategorien von Verhaltensweisen notgedrungen irrationalistischen<br />

Erklärungen überlassen, die wiederum anonyme biologische, kulturelle,<br />

soziale oder psychologische Kräfte heraufbeschwören. So kehrt sie aber zu der


6<br />

Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />

Konzeption menschlichen Verhaltens zurück, die sie aufzugeben behauptete<br />

und die sie ursprünglich ersetzen wollte. Obendrein sind die Einflüsse, die sie<br />

nun bemüht, in den meisten Fällen rein spekulativ. Sie werden implizit in Sätzen<br />

wie den folgenden postuliert: „Sie handeln in einer Weise, die uns seltsam<br />

erscheint, weil man in ihrem Milieu so handelt; sie glauben an merkwürdige<br />

Dinge, weil man in ihrer Kultur an solche Dinge glaubt.“ Solche Erklärungen,<br />

obgleich gang und gäbe, verdienen nicht die Bezeichnung „Erklärung“. Sie sind<br />

offenkundig tautologisch. Sie gehören per se zur Kategorie von Pseudo-Erklärungen,<br />

die schon Molière zu seinem berühmten sarkastischen Spruch angeregt<br />

haben: „Opium schläfert ein, weil es eine einschläfernde Wirkung hat.“ Indem<br />

sich die Rational-Choice-Theorie damit zufrieden gibt, über für sie nicht erklärbare<br />

Handlungen durch Rekurs auf die Idee Rechenschaft abzulegen, dass<br />

soziale Akteure unter der Einwirkung von durch anonyme Kräfte installierten<br />

„Rahmen“ (frames) handeln, fällt sie erneut in das Chaos zurück, aus dem sie<br />

die Sozialwissenschaft eigentlich herausholen wollte. Schon Karl Popper (1976)<br />

hat zu Recht bekundet, dass der Begriff des „frame“ rein mythisch ist: Er verdient<br />

es nicht, zur Sprache der Wissenschaft zu gehören.<br />

In dem Bewusstsein, dass solche phrasenhaften Erklärungen inakzeptabel<br />

sind, haben einige Autoren vorgeschlagen, den Unzulänglichkeiten der Rational-Choice-Theorie<br />

mit einer Hinwendung zu den Neurowissenschaften und<br />

zur Soziobiologie zu begegnen. So hat ein einflussreicher amerikanischer Autor,<br />

James Wilson, in seinen früheren Büchern versucht, kriminelle Verhaltensweisen<br />

mit Hilfe der Rational-Choice-Theorie zu erklären – mit dem oben beschriebenen<br />

Erfolg. Er hat nachgewiesen, dass Straftäter in zahlreichen Fällen<br />

einem rationalen Kalkül folgen und dass mit dieser Annahme viele Erscheinungsformen<br />

der Kriminalität über Raum und Zeit erklärt werden können.<br />

Aber als er anschließend versuchte, die Existenz eines moralischen Empfindens<br />

zu ergründen, das dem Menschen innewohnt und das erklärt, warum stets<br />

nur eine kleine Minderheit von Individuen delinquent wird, gab er die Rational-Choice-Theorie<br />

zugunsten der Soziobiologie auf (Wilson 1993).<br />

Es ist unstrittig, dass die Soziobiologie und die Neurowissenschaften dazu<br />

aufgerufen sind, in Zukunft soziale Phänomene zu beleuchten, die für die Sozialwissenschaften<br />

undurchsichtig geblieben sind. Was die Soziobiologie betrifft,<br />

so hat sie zu interessanten Thesen geführt, etwa zu denen von Wilson über<br />

den Ursprung des Moralempfindens. Doch nach unserem aktuellen Kenntnisstand<br />

wird es schwierig, Prozeduren zur Überprüfung dieser Thesen zu entwickeln.<br />

Die Neurowissenschaften wiederum machen auf Effekte aufmerksam,<br />

die durch diverse Veränderungen des Zentralnervensystems entstehen, und lassen<br />

hoffen, Gründe für Verhaltensweisen zu finden, die man mit den Möglichkeiten<br />

der Geistes- und Sozialwissenschaften allein nur schwer erklären kann.<br />

Die Sozialwissenschaften ihrerseits halten jedoch mit Sicherheit zu Recht an<br />

ihrem Anspruch fest, jegliche soziale und politische Phänomene ausgehend von


Eine allgemeine Theorie der Rationalität<br />

7<br />

gewöhnlichen Subjekten mit einer normalen Psychologie zu erklären. Wie die<br />

Geschichte der Sozialwissenschaften eindrücklich belegt, lassen sich zahlreiche<br />

rätselhafte soziale und politische Phänomene einzig und allein mit diesen zwei<br />

Zutaten erklären.<br />

Kurz zusammengefasst: Wegen ihrer Schwachpunkte hat die Rational-<br />

Choice-Theorie Erklärungen irrationalistischen Charakters, die sie vorher erfolgreich<br />

vor die Tür gesetzt hatte, durch die Hintertür wieder hereingelassen.<br />

Einige Erklärungen irrationalistischer Art gehören aber zu einem wissenschaftlichen<br />

Register, wie etwa die Neurowissenschaften oder die Soziobiologie, andere,<br />

wie solche, die sich damit begnügen, psychologische oder okkulte soziale<br />

Kräfte heraufzubeschwören, hingegen nicht.<br />

Schon vor einiger Zeit haben die Schwierigkeiten der Rational-Choice-Theorie<br />

Herbert Simon zu seiner Theorie der „begrenzten Rationalität“ („bounded<br />

rationality“) inspiriert. Gary Becker hat eine Version der Rational- Choice-<br />

Theorie vorgelegt, die einige ihrer Schwächen ausräumen konnte. Diese Autoren<br />

markieren die einzigen zwei großen Durchbrüche, welche die Rational-Choice-Theorie<br />

in den letzten Jahrzehnten zu verzeichnen hatte. Trotzdem<br />

ist sie nach wie vor und sogar in ihren offeneren Versionen untauglich gegenüber<br />

einer Vielzahl an Phänomenen. Daher ist es wichtig, das Augenmerk auf eine<br />

Diagnose der Gründe für die Schwachpunkte der Rational-Choice-Theorie zu<br />

legen, und, wenn möglich, Abhilfe zu schaffen.<br />

Eine allgemeine Theorie der Rationalität<br />

Dieser letzte Punkt ist eines der Hauptziele, das in den hier versammelten Beiträgen<br />

verfolgt wird. Die Artikel präsentieren und erläutern einen Ansatz, den<br />

ich vorschlage, allgemeine Theorie der Rationalität zu nennen. Wie die Rational-Choice-Theorie<br />

auch, folgt dieser Ansatz der Perspektive des methodologischen<br />

Individualismus. Aber im Gegensatz zur Rational-Choice-Theorie vermeidet<br />

er es, menschliche Rationalität auf ihre instrumentelle Dimension zu<br />

reduzieren. Berücksichtigt wird stattdessen, dass nicht nur die Wahl von Mitteln,<br />

sondern auch die Wahl von Zielen und Werten als rational bezeichnet werden<br />

kann, und zwar in einem Sinn, den es noch zu präzisieren gilt. Mit anderen<br />

Worten basiert meine Theorie zum einen auf der Diagnose, dass die Schwächen<br />

der Rational-Choice-Theorie daher rühren, dass sie Rationalität stets mit instrumenteller<br />

Rationalität gleichsetzt, zum anderen auf der Vermutung, dass<br />

diese Gleichsetzung keineswegs zwingend ist. Mit dieser Diagnose geht eine<br />

Erweiterung des Rationalitätsbegriffs einher; deshalb der Vorschlag, die Theorie<br />

als „allgemein“ zu qualifizieren.<br />

Mit der allgemeinen Theorie der Rationalität ist es möglich, wesentliche soziale<br />

Phänomene – wie Glaubensüberzeugungen und Meinungen – Erklärun-


8<br />

Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />

gen zuzuführen, die ohne die zwar geläufigen, aber unbefriedigenden Erklärungen<br />

irrationalistischer Art auskommen, welche solche Phänomene lediglich<br />

als Resultat soziokultureller Determinismen sehen. Der Ansatz ist jedoch nicht<br />

nur für die Erklärung von Überzeugungen notwendig, sondern auch für die Erklärung<br />

von Handeln, da jedes Handeln auch Überzeugungen mit einschließt.<br />

Er hat eine bessere Vorhersagekraft als die Rational-Choice-Theorie und vermeidet<br />

es gänzlich, menschliche Verhaltensweisen, Überzeugungen und Handlungen<br />

durch Bemühen von spekulativen anonymen Kräften oder Einflüssen<br />

zu erklären.<br />

Der erste der hier versammelten Texte („Der Zerfall der zeitgenössischen<br />

Sozialtheorie“) geht der Frage nach, aus welchen Gründen die Sozialwissenschaften<br />

heute keinen allgemeinen theoretischen Rahmen außer der Rational-Choice-Theorie<br />

zu besitzen scheinen, wobei über diese jedoch kein Konsens<br />

herrscht. Der zweite Beitrag („Rational-Choice-Theorie und allgemeine Theorie<br />

der Rationalität“) hat zum Ziel, eine präzise Diagnose über die Erfolge und<br />

über die Gründe für die Misserfolge der Rational-Choice-Theorie zu erstellen.<br />

Es wird gezeigt, dass die Defizite der Rational-Choice-Theorie im Wesentlichen<br />

nur durch eine Neukonzeption der heute in den Sozialwissenschaften dominierenden<br />

Rationalitätstheorie behoben werden können. Aus diesen ersten zwei<br />

Beiträgen geht die erwähnte allgemeine Theorie der Rationalität hervor.<br />

Die Texte im zweiten Teil des Bandes verfolgen das Ziel, die Bedeutung<br />

dieses Ansatzes für einige zentrale Fragen herauszustellen. Der vierte Beitrag<br />

(„Die Rationalität der Moderne nach Tocqueville“) zeigt, dass die „neue politische<br />

Wissenschaft“, auf deren Dringlichkeit Tocqueville zu seiner Zeit verwiesen<br />

und deren Konturen er implizit abgesteckt hat, bereits die allgemeine<br />

Theorie der Rationalität vorwegnahm, um kulturelle Unterschiede zu erklären,<br />

wie sie etwa zwischen Frankreich und England bzw. den Vereinigten Staaten<br />

festzustellen waren. Der fünfte Beitrag („Die Rationalität religiöser Überzeugungen<br />

nach Max Weber“) und der sechste („Die Rationalität des ‚Irrationalen‘<br />

nach Durkheim“) dokumentieren, dass eine wissenschaftliche Erklärung<br />

religiöser Glaubensüberzeugungen sowie des Glaubens an Magie nur im Rahmen<br />

der allgemeinen Theorie der Rationalität erfolgen kann – wie die beiden<br />

dominierenden Größen der deutschen und der französischen Soziologie schon<br />

klar, aber nur implizit angedeutet haben. Der siebte Text („Die Rationalität<br />

des Wertewandels von Generation zu Generation“) zeigt die Unverzichtbarkeit<br />

der Theorie für die Erklärung der Veränderungen, die man in den Werten<br />

der abendländischen Welt im Generationenverlauf beobachtet. Der in den letzten<br />

Jahrzehnten dort zu beobachtende Wandel der Sitten und Gebräuche zeugt<br />

den vorliegenden Umfragen zufolge eher von Rationalisierung als von Beliebigkeit.<br />

Im achten Beitrag („Die Rationalität des institutionellen Wandels von Demokratien“)<br />

wird die Bedeutung der allgemeinen Theorie der Rationalität für<br />

die Erklärung der Evolution demokratischer Institutionen herausgestellt. Nicht


Vier Paradigmen<br />

9<br />

wenige Entwicklungen im Steuerrecht, im Strafrecht oder bezüglich der Definition<br />

von Rechten und Pflichten des Bürgers, werden durch einen Prozess der<br />

Rationalisierung geleitet.<br />

Selbstverständlich lässt sich die hier vorgestellte Theorie der allgemeinen Rationalität<br />

auch auf weitere Themen anwenden, die ebenso wichtig sind wie jene,<br />

die in den vorgelegten Analysen behandelt werden. Ich habe hier vor allem versucht,<br />

Themen zu bevorzugen, bei denen die Rational-Choice-Theorie machtlos<br />

erscheint.<br />

Zusammengenommen wollen die Analysen deutlich machen, dass die Kategorien<br />

des gesunden Menschenverstandes und des Common Sense unverzichtbar<br />

sind für eine Soziologie, die eine Erklärung für soziale Phänomene vorlegen<br />

möchte, welche sich penibel nach den Anforderungen richtet, denen jede<br />

wissenschaftliche Disziplin unterliegt. Wie vor allem die letzte Studie über den<br />

Wandel von Institutionen in demokratischen Gesellschaften zeigt, hat die allgemeine<br />

Theorie der Rationalität nicht nur Erklärungs-, sondern auch Prognosekraft.<br />

Des Weiteren vermag sie der Makrosoziologie wieder einen wissenschaftlichen<br />

Stil zu geben, wo doch dieses wichtige Kapitel der Soziologie heutzutage<br />

eher einer – bereits von Tocqueville so genannten – „literarischen“ Gattung zuzurechnen<br />

ist.<br />

Vier Paradigmen<br />

In seinem seinerzeit viel beachteten Buch Leidenschaften und Interessen stellte<br />

Albert Hirschman fest, dass die Geisteswissenschaften immer zwischen zwei<br />

Menschenbildern hin und her geschwankt sind (Hirschman 1987). Das eine<br />

sieht den Menschen als von seinen Leidenschaften getrieben, das andere von seinen<br />

Interessen. Hirschmans Analyse ist richtig, aber unvollständig. Wir müssen<br />

noch einmal wiederholen: Die Analysen von Tocqueville, Durkheim und Weber,<br />

der von Adam Smith geprägte Begriff des „unparteiischen Zuschauers“, der<br />

Begriff der „volonté générale“ von Rousseau oder, zeitlich näher, der „Schleier<br />

des Nichtwissens“ von John Rawls zeigen gleichermaßen, dass man nur dann<br />

hoffen kann, soziale Phänomene zufriedenstellend zu erklären, wenn man zulässt,<br />

dass der Mensch nicht nur von seinen Leidenschaften und Interessen angetrieben<br />

wird, sondern auch von seinem gesunden Menschenverstand.<br />

In jedem Fall ist das Problem der Konzeption von Rationalität heute eins<br />

der wesentlichen theoretischen Probleme für das Verständnis des Sozialen. Um<br />

die Problematik korrekt darzustellen, müssen drei Punkte verdeutlicht werden.<br />

1. Es ist gut möglich und bestimme Autoren sehen es so, dass die Tatsache,<br />

nach der die meisten Menschen einen Sinn für Gerechtigkeit haben, das Ergebnis<br />

der biologischen Evolution ist: dass er auf Selektionsmechanismen zurückzuführen<br />

ist, bei denen das menschliche Subjekt von der Evolution zum Objekt


10<br />

Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />

natürlicher Mechanismen gemacht wurde, auf die das Individuum selbst keinerlei<br />

Einfluss hatte. Vielleicht hat die Rationalität des Menschen für die Herausbildung<br />

der Existenz eines Gerechtigkeitssinns bei den meisten Menschen<br />

überhaupt keine Rolle gespielt. Die Neurowissenschaften lehren uns, dass bestimmte<br />

Veränderungen des Gehirns eine Störung des normalen Zusammenspiels<br />

von Emotionen, Urteilen und Verhaltensweisen provozieren können. Für<br />

die Sozialwissenschaften können diese Befunde nur interessant sein. Es ist jedoch<br />

nicht ersichtlich, welchen Beitrag sie für sich genommen zur wissenschaftlichen<br />

Klärung dieser intraindiviuellen Mechanismen leisten können.<br />

2. Wiederum andere Sachverhalte, so vor allem Friedrich von Hayek ([1973–<br />

1979] <strong>200</strong>3), ergeben sich ohne Zweifel durch eine Adaptationsreaktion des<br />

Menschen, der hier als handelndes Subjekt verstanden wird. Der Umstand, dass<br />

der Mensch einem gegebenen Wort einen Wert beimisst, rührt nach Ansicht<br />

des österreichischen Ökonomen, Soziologen und Philosophen vielleicht aus der<br />

Einsicht her, dass der Respekt vor dem gegebenen Wort den Tausch unter Menschen<br />

erleichtert. So hat der Mensch in ferner Vergangenheit den Nutzen des<br />

Tauschs konstatiert und anschließend erkannt, dass sich ein Tausch zwischen<br />

Individuen nur dann wiederholen lässt, wenn sie sich gegenseitig vertrauen. Die<br />

fundamentalen moralischen Regeln wären nach Hayek letztlich das Ergebnis<br />

der Praxis des Tauschs. In diesem Fall hätte der Mensch die Rolle eines handelnden<br />

Subjekts gespielt. Die hier anklingende Rationalität ist eine Rationalität der<br />

Adaptation. Hayek knüpft an dieser Stelle an die Spencer’sche Tradition an, die<br />

in der Adaptation den fundamentalen Mechanismus der moralischen, sozialen<br />

und politischen Evolution sieht. Gleiches gilt für Jean Piaget: In einem bestimmten<br />

Entwicklungsstadium versteht das Kind, dass Mogeleien besser aufgegeben<br />

werden, denn sie zerstören das Interesse am Spiel. Doch der Adaptationsmechanismus<br />

ist hier weder intraindividuell noch anonym. Er gehorcht einer<br />

instrumentellen Rationalität: Das Subjekt entscheidet sich für eine bestimmte<br />

Art zu handeln, weil sie ihm positive Konsequenzen verspricht. Sobald weitere<br />

Akteure der gleichen Logik folgen, produziert der bestreffende Mechanismus<br />

kollektive Effekte. Die Spencer’sche Tradition entpuppt sich in diesem Fall als<br />

ein Modell, das eigentlich als Rational-Choice-Theorie oder auch Modell des<br />

subjektiv erwarteten Nutzens zu bezeichnen wäre.<br />

3. In wiederum anderen Fällen wird vorgebracht, dass der Mensch auch die<br />

Fähigkeit besitzt, Leitprinzipien zu entwickeln, sich Werte anzueignen und<br />

Programme zu entwerfen, die erst vage sind und sich dann im Laufe ihrer Umsetzung<br />

konkretisieren. So stellt die Entwicklung des Konzepts der Staatsbürgerschaft<br />

im 1. Jahrhundert n. Chr. – wie Max Weber ([1921] 1988) erklärt –<br />

eine grundlegende Innovation dar, obgleich sie eigentlich nur dem Bestreben<br />

zu verdanken war, die Streitigkeiten zwischen den religiösen Sekten des mittleren<br />

Ostens zu beenden. Das Konzept der Staatsbürgerschaft hat ein Programm<br />

begründet, das, so Max Weber, die gesamte Geschichte der abendländischen


Vier Paradigmen<br />

11<br />

Welt prägen sollte. In gleicher Weise führte die Rivalität zwischen weltlicher<br />

und spiritueller Macht im Mittelalter zur Entfaltung des Prinzips der Gewaltenteilung.<br />

Auch hier wurde ein Programm entworfen, dessen Bedeutung sich<br />

als einschneidend für die Zukunft der aus dem abendländischen Teil des Römischen<br />

Reiches hervorgegangenen Welt herausstellen sollte. So hat es etwa die<br />

Föderalistenartikel (federalist papers) genauso wie die Erklärung der Menschenund<br />

Bürgerrechte inspiriert. Hier spielt der Mechanismus der Adaptation nur<br />

eine untergeordnete Rolle, auch wenn die betreffenden Programme natürlich<br />

auf Dispositionen aufbauen, die durch die biologische Evolution selegiert sind,<br />

etwa dem Gerechtigkeitssinn, dem Pflichtbewusstsein oder jenen Adaptationsmechanismen,<br />

die Hayek oder Piaget im Auge haben.<br />

Ein Soziologe, der die Entstehung und Entwicklung solcher Programme erklären<br />

will, benötigt eine Konzeption von Rationalität jenseits des Instrumentalismus:<br />

Eine Konzeption, welche die Ziele und Werte, die sich die Menschen<br />

setzen, erklären kann. Denn genau hierin liegt der Hauptschwachpunkt der Rational-Choice-Theorie<br />

und aller irrationalistischen Handlungstheorien: Weder<br />

die eine, noch die anderen sind in der Lage, zu dieser Frage eine zufriedenstellende<br />

Erklärung zu liefern.<br />

Insgesamt sind nur einige ganz bestimmte Paradigmen geeignet, zur Erklärung<br />

sozialer Phänomene beizutragen: die Soziobiologie und Neurowissenschaften<br />

auf Seiten der Naturwissenschaften, die Rational-Choice-Theorie und<br />

die allgemeine Theorie der Rationalität auf Seiten der Sozialwissenschaften.<br />

Vielleicht werden die Analysen in diesem Band einigen Lesern abstrakt und<br />

theoretisch erscheinen, obgleich ich immer versucht habe, sie anhand von Beispielen<br />

zu veranschaulichen. Daher ist es vielleicht sinnvoll, in Erinnerung zu<br />

rufen, dass die Formulierung von Menschenbildern und allgemein alle durch die<br />

Geisteswissenschaften vermittelten Ideen nicht ohne praktische Konsequenzen<br />

sind. Insbesondere die Geschichte des Marxismus, des Positivismus oder des<br />

Sozialdarwinismus und ihr enormer Einfluss dürften genügen, um den Leser<br />

davon zu überzeugen. In jüngerer Zeit hatten auch eher gemäßigte Denksysteme<br />

wie der Strukturalismus oder der Kulturalismus nicht zu vernachlässigende<br />

soziale Auswirkungen – und haben sie immer noch. Sie haben zum Beispiel<br />

in positiver wie negativer Hinsicht zu völlig neuartigen Lehrmethoden<br />

beim Erlernen natürlicher Sprachen und mathematischer Fertigkeiten angeregt.<br />

Sie haben der Lehre auf dem Gebiet der Geschichte bzw. der ökonomischen<br />

und sozialen Phänomene teilweise eine dogmatische Brille verschafft. Sie haben<br />

die Bildungspolitik seit Jahrzehnten beeinflusst und dadurch die Heranbildung<br />

neuer Bürger – einen wesentlichen Parameter des zivilen Zusammenlebens –<br />

von Grund auf mitgeprägt.<br />

Die Geisteswissenschaften haben auch diffusere Einflüsse ausgeübt. Indem<br />

in verschiedenen geisteswissenschaftlichen Denkströmungen die Bedeutung<br />

der menschlichen Rationalität heruntergespielt bzw. ihr zu enge Grenzen ge-


12<br />

Einführung: Eine Theorie der Rationalität für die Sozialwissenschaften<br />

setzt wurden, haben sie eine Konzeption entstehen lassen, die die Bürger als<br />

manipulierbar betrachtet – durch verschiedene, von den „Kommunikationswissenschaften“<br />

erdachte Verfahren – und sie als unfähig ansieht, das ihnen vorliegende<br />

politische Angebot mit Hilfe ihres gesunden Menschenverstandes zu<br />

beurteilen. Dadurch haben sie einem Relativismus Nahrung gegeben, der das<br />

politische Handeln in Demokratien untergräbt. Der Relativismus seinerseits hat<br />

wiederum die sogenannte „pensée unique“ (Einheitsdenken) entstehen lassen:<br />

der Glaube an etablierte Meinungen, die Dogmencharakter erhalten und die<br />

den Tocquevilleschen Begriff der „Meinungstyrannei“ illustrieren. Allerdings<br />

sollte präzisiert werden, dass die „pensée unique“ gerade in modernen Demokratien<br />

das Werk umtriebiger Minderheiten ist und dass sie sich oft unter dem<br />

Einfluss von Mechanismen, die ich im letzten Kapitel des Buches skizzieren<br />

werde, gegen den gesunden Menschenverstand der Öffentlichkeit durchsetzt.<br />

Jedenfalls haben dieser Relativismus und der damit einhergehende Pessimismus<br />

in keiner Weise etwas Zwangsläufiges.<br />

Eine letzte Bemerkung. Die Theorie der Rationalität ist für die Sozialwissenschaften<br />

ein unerlässliches Thema. Sie gestattet es, die zentrale Frage nach der<br />

Beziehung zwischen der Logik individuellen Handelns und den dadurch hervorgerufenen<br />

Makroeffekten in aller Klarheit anzugehen. Sie ist für die Analyse<br />

sozialer Phänomene das, was die Grammatik für die Beherrschung der Sprache<br />

ist, die Quellenkritik für das Erlernen des Historikerberufs oder die Mathematik<br />

für die Physik. Sie gibt dem Denken ein Gerüst. Sie ist das Latein der Sozialwissenschaften.<br />

Literatur<br />

Becker, Gary S. 1996: Accounting for Tastes, Cambridge: Harvard University Press.<br />

Coleman, James S. 1990: Foundations of Social Theory, Cambridge: Harvard University<br />

Press. Deutsche Ausgabe 1991–1994: Grundlagen der Sozialtheorie, 3 Bände, München:<br />

Oldenbourg.<br />

Durkheim, Emile [1912] 1984: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt<br />

am Main: Suhrkamp.<br />

Durkheim, Emile [1893] 1992: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation<br />

höherer Gesellschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />

Hardin, Russel 1995: One for All: The Logic of Group Conflict, Princeton: Princeton<br />

University Press.<br />

von Hayek, Friedrich A. 1973–1979: Law, Legislation and Liberty, 3 Bände, London:<br />

Routledge. Deutsche Ausgabe <strong>200</strong>3: Recht, Gesetz und Freiheit: eine Neufassung der<br />

liberalen Grundsätze der Gerechtigkeit und der politischen Ökonomie, Tübingen:<br />

<strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong>.<br />

Hirschman, Albert Otto 1987: Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen<br />

des Kapitalismus vor seinem Sieg, Frankfurt am Main: Suhrkamp.


Vier Paradigmen<br />

13<br />

Knoch, Daria/Pascual-Leone, Alvaro/Meyer, Kaspar/Treyer, Valerie/Fehr, Ernst <strong>200</strong>6:<br />

Diminishing Reciprocal Fairness by Disrupting the Right Prefrontal Cortex, in:<br />

Science 314: S. 829–832.<br />

Popper, Karl 1976: The Myth of the Framework, in: Freeman, Eugene (Hrsg.): The Abdication<br />

of Philosophy: Philosophy and the Public Good, La Salle: Open Court: S. 23–48.<br />

Weber, Max [1921] 1988: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen: <strong>Mohr</strong>.<br />

Wilson, James Q. 1975: Thinking about Crime, New York: Basic Books.<br />

Wilson, James Q. 1993: The Moral Sense, New York: The Free Press.


247<br />

Personenregister<br />

Abel, Theodore 22<br />

Allais, Maurice 51<br />

Aristoteles 54, 58, 85, 104, 168<br />

Aron, Raymond 132<br />

Atatürk, Kemal 71<br />

Augustinus 109<br />

Bach, Johann Sebastian 161<br />

Baumann, Zygmunt XIX, XXII<br />

Beattie, John 167<br />

Beccaria, Cesare 66<br />

Beck, Ulrich XVIII f., XXII<br />

Becker, Gary 4, 7, 19, 43 f., 54<br />

Beethoven, Ludwig van 161<br />

Bellah, Robert 111<br />

Bellamy, Richard P. 222<br />

Bentham, Jeremy 126<br />

Berger, Peter L. 190<br />

Berlin, Isaiah 184<br />

Besnard, Philippe 141<br />

Bodin, Jean 66<br />

Boer, Jelle de 97<br />

Bourdieu, Pierre 126<br />

Buchanan, James 4<br />

Bunge, Mario 34<br />

Burckhardt, Jacob XIX<br />

Chazel, François XXVI, 120<br />

Cherkaoui, Mohamed 35<br />

Churchill, Winston 222<br />

Clinton, Bill 236<br />

Coenen-Huther, Jacques XXVI<br />

Coleman, James 4, 19, 26, 43, 48<br />

Comte, Auguste 32 f., 71 f., 85, 94, 107,<br />

111, 140, 143 f.<br />

Constant, Benjamin 114, 125, 160<br />

Coser, Lewis A. 143<br />

Cousin, Victor 72<br />

D’Andrade, Roy G. 94, 125<br />

Damasio, Antonio 29, 31, 40<br />

Darwin, Charles 17, 33<br />

Dawkins, Richard 17<br />

Demeulenaere, Pierre XV<br />

Denison, Edward 18<br />

Descartes, René 1, 38, 40, 75, 82, 103, 159<br />

Dewey, John 30<br />

Dilthey, Wilhelm XIX, 29, 76<br />

Downs, Anthony 4<br />

Duhem, Pierre 164<br />

Durkheim, Emile XVI, XVIII,<br />

XX–XXII, XXVI, 1–4, 8 f., 22, 28, 35,<br />

36, 39, 45, 67, 71, 73, 79, 93, 94, 95,<br />

98–103, 105, 107, 112, 114 f., 124, 125,<br />

131–170, 174, 190, 193, 196, 222, 237<br />

Echnaton 118<br />

Einstein, Albert 27, 38<br />

Epstein, Scarlett 74<br />

Erner, Guillaume 243<br />

Evans-Pritchard, Edward E. 99 f., 125<br />

Ferejohn, John A. 50<br />

Feuerbach, Ludwig 73<br />

Fiorina, Morris 50<br />

Firsching, Horst 151<br />

Flaubert, Gustave 122<br />

Fleischman, Eugène 120<br />

Forsé, Michel 185, 213<br />

Freud, Sigmund 3, 17, 26, 33 f., 58, 124,<br />

128<br />

Frey, Bruno 51<br />

Friedman, Milton 33<br />

Galilei, Galileo 76<br />

Gauchet, Marcel 109<br />

Gellner, Ernest 84


248<br />

Personenregister<br />

Giddens, Anthony 180<br />

Gorbatschow, Michail 47<br />

Granet, Marcel 139<br />

Guizot, François 71, 73, 76, 85 f.<br />

Hardin, Russell 4, 48<br />

Hayek, Friedrich August von 10 f., 36, 79,<br />

85, 111 f.<br />

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 72<br />

Hervieu-Léger, Danièle 187<br />

Hirschman, Albert Otto 9<br />

Hobbes, Thomas 2<br />

Hollis, Martin 43<br />

Horkheimer, Max XVII<br />

Horton, Robin 94, 125, 145, 150 f., 156,<br />

168<br />

Hume, David 63–65, 138, 140<br />

Innaccone, Laurence R. 186<br />

Inglehart, Ronald 114, 173, 176, 180, 187,<br />

203, 209, 211 f., 214<br />

James, William 30 f., 154 f.<br />

Jesus 107, 113, 117, 120, 230<br />

Kant, Immanuel 3, 63, 135–139, 143,<br />

153 f., 161, 170<br />

Keniston, Kenneth 175<br />

Kuhn, Thomas S. 28, 164<br />

Kuran, Timur 48<br />

Lakatos, Imre 28, 165<br />

Lavoisier, Antoine Laurent de 58, 63, 66<br />

Lazarsfeld, Paul F. XVII, 123 f.<br />

Le Bon, Gustave XVIII, XXII, 4<br />

Leibniz, Gottfried Wilhelm 38, 139, 143<br />

Lepenies, Wolf XV<br />

Lévy-Bruhl, Lucien XX, 58, 94, 143, 150,<br />

166 f., 169<br />

Liefmann, Robert XIX<br />

Luckmann, Thomas 190<br />

Lukács, Georg 122<br />

Luther, Martin 82<br />

Mahler, Gustav 161<br />

Mannheim, Karl XXI<br />

Marx, Karl XVII, XXI, 17, 67, 73, 96, 120,<br />

227<br />

Mauss, Marcel 154, 169<br />

Merton, Robert K. 123<br />

Messiaen, Olivier 161<br />

Michelet, Jules 73, 80<br />

Mill, John Stuart 111, 140, 165<br />

Mills, Charles W. 51<br />

Mises, Ludwig von XVI<br />

Mohammed 104<br />

Molière 6<br />

Montaigne, Michel de 26<br />

Montesquieu, Charles de Secondat,<br />

Baron de 66, 217, 230 f., 242<br />

Müller, Max XX, 149<br />

Napoleon XVI<br />

Needham, Rodney 125, 140, 143, 167<br />

Newton, Isaac 103, 126, 169<br />

Nietzsche, Friedrich 67, 96, 119 f., 126,<br />

154, 226<br />

Nisbet, Robert A. 124<br />

Oberschall, Anthony 4, 48<br />

Olson, Mancur 4, 48<br />

Pareto, Vilfredo 51, 57, 95, 97<br />

Parsons, Talcott 26, 204<br />

Pascal, Blaise 25, 27, 36, 54, 103<br />

Paulus 104, 106, 113, 116, 138<br />

Peirce, Charles 30<br />

Penn, William 95<br />

Petrus 113, 116<br />

Piaget, Jean 10 f., 101, 139<br />

Platon 168<br />

Popkin, Sam 48 f.<br />

Popper, Karl XIX, 6, 21, 79, 85, 106, 157<br />

Portes, Alessandro 19<br />

Prévert, Jacques 20<br />

Priestley, Joseph 58, 63, 66, 164<br />

Quattrone, George A. 50<br />

Quine, Willard Van Orman 164<br />

Radnitzky, Gerhard 53<br />

Rawls, John 1 f., 9<br />

Raynaud, Jocelyn 29<br />

Reagan, Ronald 47<br />

Renan, Ernest 95, 101, 105–107, 112 f., 120<br />

Rescher, Nicholas 96


Personenregister<br />

249<br />

Rickert, Heinrich 29, 76<br />

Ringen, Stein 227, 230<br />

Rivière, Claude 131<br />

Root, Hilton 48<br />

Rorty, Richard 33<br />

Rothstein, Bo 48<br />

Rousseau, Jean-Jacques 1 f., 9, 85, 121,<br />

219, 222, 225, 239, 242<br />

Ruse, Michael 44<br />

Russell, Bertrand 140<br />

Sanchez, Pascal 28<br />

Scheler, Max 104, 161, 192, 203<br />

Schiller, Friedrich 112<br />

Schmitt, Carl 120, 143<br />

Schmoller, Gustav XVII<br />

Schostakowitsch, Dmitri 161<br />

Schuessler, Alexander A. 51<br />

Schumpeter, Joseph 55, 85<br />

Sen, Amartya 19<br />

Shepner, Joseph 32<br />

Shweder, Richard A. 94, 125<br />

Siedentop, Larry 114<br />

Simmel, Georg 28, 151–155, 162, 168, 170<br />

Simon, Herbert 7<br />

Smith, Adam 1 f., 9, 61 f., 186, 219–222,<br />

225, 242<br />

Sourgins, Christine 244<br />

Spencer, Herbert 10, 36, 111 f., 116, 149<br />

Spinoza, Baruch de 40<br />

Stein, Heinrich Friedrich Karl vom<br />

und zum 61<br />

Strauss, Leo 120, 143<br />

Testart, Alain 131<br />

Tocqueville, Alexis de XVIII, XXVI, 3,<br />

8 f., 12, 22, 24, 28, 35, 39, 45 f., 56 f., 60,<br />

67, 71–90, 114, 122, 125, 159 f., 174, 186,<br />

218, 225–227, 232, 235, 237, 242, 244<br />

Torricelli, Evangelista 27, 54<br />

Troeltsch, Ernst 189<br />

Tullock, Gordon 4<br />

Tversky, Amos 50<br />

Tylor, Edward 149<br />

Vico, Giambattista 72<br />

Voegelin, Eric 120<br />

Voltaire 82, 95, 120<br />

Weber, Max XVII–XXII, XXVI, 3 f.,<br />

8–10, 18, 21 f., 24, 28 f., 35–39, 50, 55 f.,<br />

60 f., 64 f., 67, 71, 73 f., 76, 79, 81, 85, 89,<br />

93–120, 122–128, 143, 145, 148 f., 151,<br />

152, 154, 170, 174 f., 186, 189, 199, 215,<br />

220, 222 f., 230, 237 f., 240–243<br />

Whorf, Benjamin L. 139<br />

Wilson, James Q. 4, 6, 36, 204<br />

Wittgenstein, Ludwig 128, 140<br />

Yule, George Udny 165


250


251<br />

Sachregister<br />

Adaptation 10 f., 36<br />

Adoption 241 f.<br />

Altruismus 96<br />

Animismus 101, 103, 114<br />

Anomie 35, 140 f.<br />

Apriorismus 135–138, 154, 170<br />

Arbeit 89, 177–180, 185 f., 199, 211–214,<br />

222, 226, 236<br />

Arbeitslosigkeit 194 f., 211–214, 233, 237,<br />

242<br />

Aristotelismus 168<br />

Aufklärung 2 f., 73, 82, 154, 218 f., 227,<br />

230, 237, 242, 245<br />

Behaviorismus 33<br />

Bildung 18, 39, 174, 179–181, 184–187,<br />

190 f., 196 f., <strong>200</strong>–202, 204, 206,<br />

208–212, 214 f., 220, 229, 239–243, 245<br />

Buddhismus 101, 108 f., 122, 190<br />

Calvinismus 109 f., 117, 122 f.<br />

Charisma 97 f., 104, 113 f., 121, 124, 175,<br />

240<br />

Christentum 18, 24, 44, 60, 73 f., 82, 95,<br />

108, 116 f., 119–121, 123, 190<br />

Common Sense XXI, 2, 9, 38, 218–220,<br />

223, 228, 230<br />

Darwinismus 11, 19, 33, 39<br />

Denken, wildes / Mentalität, primitive /<br />

Mensch, primitiver XXI, 58, 94,<br />

99–101, 103, 114, 124–126, 141, 143,<br />

145–150, 166 f.<br />

démocratie participative 214, 217 f., 234,<br />

244<br />

Demokratie, direkte 181<br />

Demokratie, repräsentative 217, 219 f.,<br />

234, 242–245<br />

deus absconditus 109 f., 115, 117<br />

Egoismus 35, 45, 48, 55, 96, 159 f.<br />

Einkommenssteuer 227 f.<br />

Erbschaftssteuer 229<br />

Erwartungsnutzen 19, 64<br />

Ethik 109 f., 112 f., 115, 122 f., 197, 237<br />

Evolutionismus 100, 105, 111–123, 143<br />

Falsifikationismus 105 f.<br />

Familie 81, 176 f., 204 f., 214, 241<br />

frame 6, 24 f., 32, 50, 57 f., 60, 65<br />

Freudianismus 3, 17, 26, 33 f.<br />

Gefangenendilemma 19, 46 f.<br />

Geisteswissenschaften 6<br />

Gesellschaft 132–134, 136 f., 152 f.<br />

Gesetz, konditionales 79, 82<br />

Gewaltenteilung 11, 230–234<br />

Gleichheit 39, 74 f., 79–85, 90, 113, 184,<br />

225–227, 241<br />

Gnostizismus 108<br />

Habitus 32, 57 f.<br />

Holismus XVI, 24 f., 48 f., 124 f., 132, 167<br />

homo democraticus 80<br />

homo donator 38<br />

homo neuronalis 30<br />

homo oeconomicus 4, 19, 24 f., 38 f.<br />

homo sociologicus 4, 30, 67<br />

Humankapitaltheorie 18<br />

Idealtyp 35, 81<br />

Individualismus (methodologischer)<br />

XIX, XXII, 4, 7, 24, 35, 39, 45, 48, 55,<br />

85, 214 f.<br />

Instrumentalismus 11, 33, 45, 96<br />

Intellektualismus 120–122, 127, 150<br />

Judentum 93, 100, 108–110, 112 f., 117 f.,<br />

122 f.


252<br />

Sachregister<br />

Kalter Krieg 46–47<br />

Kapital, kulturelles 19<br />

Kategorientheorie 132, 135–145<br />

Katholizismus 82, 105, 117, 121, 186<br />

Komparatismus 77<br />

Kompromissdemokratie 234 f.<br />

Konfuzianismus 109 f.<br />

Konnektionismus 193<br />

Konsequentialismus 45, 54 f., 62, 65, 96<br />

Konstruktivismus XV, 18, 144<br />

Kontinuismus 145<br />

Kulturalismus 3, 11, 18, 26, 31, 33 f.<br />

Liberalismus 71, 218<br />

Magie XVIII, 4, 8, 74, 98–101, 103, 110,<br />

112 f., 115, 121 f., 125, 127, 132, 145, 157,<br />

163 f., 166–170<br />

Makrosoziologie 9, 39<br />

Mana 114, 141<br />

Manichäismus 108 f.<br />

Marxismus 3, 11, 17, 26, 33 f., 58, 136,<br />

245<br />

Materialismus (Historischer) 24, 30–36,<br />

38 f., 114, 120, 136 f., 212<br />

Meinungsdemokratie 234<br />

Meme 17, 19, 33 f.<br />

Menschenverstand, gesunder XXI, 1–3,<br />

9, 12, 23, 30, 32, 218–221, 223, 243–245<br />

Monade 139, 143<br />

Monismus 30<br />

Monotheismus 61, 65, 74, 105, 109, 112,<br />

118–120, 122<br />

Neuplatonismus 168 f.<br />

Neurowissenschaften XXIII, 5–7, 10 f.,<br />

29–32, 39 f., 52<br />

Neutralität, axiologische (Wertfreiheit)<br />

73, 75<br />

Nihilismus 175<br />

Ökonomie XV, 4, 19 f., 23, 79, 154<br />

Orenda 114, 141<br />

pensée unique 12<br />

Person 113, 135, 162, 191–193, 203, 238<br />

Pharisäer 96, 108, 121, 127<br />

Physiokraten 72, 76, 80<br />

Platonismus 168<br />

Polytheismus 61, 74, 109, 117<br />

polythetisches Konzept 140<br />

Positivismus 3, 11, 90, 107<br />

Postmoderne 173, 175<br />

Prädestination 108–110<br />

präskripitive / normative Überzeugungen<br />

Prozesse, zirkuläre / Rückkopplungseffekt<br />

83<br />

Puritanismus 109 f., 113, 123<br />

Rationalität, axiologische (Wertrationalität)<br />

XXV, 36 f., 39, 56, 60–64, 66,<br />

96, 143, 154, 210, 220, 228–230, 236 f.,<br />

241 f.<br />

Rationalität, instrumentelle (Zweckrationalität)<br />

XXI f., 7, 10, 36–39, 53 f.,<br />

56 f., 60, 64, 96, 100, 126, 143, 210, 220,<br />

228–230, 236 f., 241 f.<br />

Rationalität, kognitive XXI f., 36, 39, 54,<br />

56–61, 96, 100<br />

Rational-Choice-Theorie XIII, XXII,<br />

XXV–XXVII, 4–11, 19 f., 22–24, 26, 29,<br />

31, 37, 41, 43–56, 58, 60–62, 64–68, 96,<br />

126, 171<br />

rationality, bounded 7<br />

Realismus 33–36, 39, 113 f.<br />

Relativismus XV, 3, 12, 18, 31, 63 f., 90<br />

Religion 3–5, 8, 28, 37, 40, 44, 73–75, 77,<br />

82, 86 f., 90, 93–128, 131 f., 136, 141, 143,<br />

145, 147 f., 150–158, 160–164, 173, 176,<br />

185–191, 193, 196, 199–203, 211, 214 f.,<br />

239 f.<br />

Ritual 21, 27, 37, 57, 59, 100, 104, 109,<br />

112 f., 115, 122 f., 126, 134, 147, 149, 165,<br />

167, 193<br />

Sadduzäer 108, 121, 127<br />

Schleier des Nichtwissens 1, 9<br />

Schwangerschaftsabbruch (Abtreibung)<br />

<strong>200</strong>–203<br />

Seele XVI–XX, 101–104, 109, 114 f., 125,<br />

131, 145, 148, 157–163, 170, 190–193,<br />

196<br />

Seelenwanderung 108, 114 f., 160<br />

Singularismus (methodologischer)<br />

XVI–XIX<br />

Sozialdarwinismus 11


Sachregister<br />

253<br />

Sozialkapital 18 f.<br />

Sozialwissenschaften 6<br />

Soziologie, analytische XV, XX, XXII,<br />

25<br />

Soziologie, verstehende / Theorie des<br />

Verstehens XIX, XXII, 21, 45, 55, 60,<br />

93 f., 119, 123–128, 151<br />

Soziobiologie XXIII, 6 f., 11, 30, 32, 40<br />

Soziologismus 18, 26, 33 f., 119<br />

Soziozentrismus 101, 103, 126, 157<br />

Staatsverschuldung 229<br />

Strukturalismus XV, XXI, XXIII, 3, 11,<br />

17, 26, 31, 33 f. 58, 124<br />

Strukturfunktionalismus 17<br />

Symbolismus 111, 113 f., 127<br />

Theodizee 43, 107–110, 115, 117<br />

Theogonie 117, 121<br />

Theologie 73, 117<br />

Todesstrafe 23, 52, 55, 66, 238 f., 242<br />

Überzeugungen, moralische / Empfinden,<br />

moralisches / Werte, moralische 5 f.,<br />

10, 31, 37, 39, 44, 63, 86, 95, 102, 122,<br />

133, 141, 143, 152–154, 159, 161 f., 173 f.,<br />

176, 179, 186, 191, 194, 196, 202, 211,<br />

214 f., 220, 224, 239 f., 242<br />

UdSSR 46 f.<br />

Ultimatumspiel 29, 31, 51 f., 54, 66<br />

Ungleichheit 39, 81, 83, 225–227<br />

Urchristentum 93, 100, 113, 118, 123<br />

Verifikationismus 106<br />

volonté générale 1, 9, 219–223, 239<br />

Voucher 230, 232<br />

Wert XVI, XVIII, 7, 10, 18, 24, 37 f., 60 f.,<br />

67, 94, 102, 153–155, 162, 173, 175–177,<br />

180, 191, 196, 199, 203–205, 208–210,<br />

214 f., 226, 239<br />

Wohlfahrtsstaat 235<br />

Wunder XVI, 107, 146 f.<br />

Zuschauer, unparteiischer 1, 9, 62,<br />

219–227, 229–232, 235, 237–239,<br />

241–243

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