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Lehrbuch des Privatrechts - Mohr Siebeck Verlag

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§ 1 Einleitung<br />

1. Die dogmatischen Grundlagen der §§ 433ff.<br />

a) Die Lehre von der Vertragsnatur und das Prinzip von Treu und<br />

Glauben<br />

Nach einem bekannten Wort Ernst Rabels „gilt nachdenklichen Juristen das eigentliche<br />

‚Wesen der Gewährleistungspflicht’ als ein Problem.“ 1 Die mit dieser<br />

Einschätzung verbundene Kritik wiegt schwer, hat Rabel doch wie kein zweiter<br />

deutscher Zivilrechtler internationale Wirkung entfaltet und gilt als Wegbereiter<br />

der weltweiten Kaufrechtsharmonisierung in der CISG (United Nations Convention<br />

on Contracts for the International Sale of Goods, UN-Kaufrecht). Die<br />

von Rabel angesprochenen Fragen sind so grundlegend und offensichtlich, dass<br />

man sich fast scheut, sie auszusprechen: Warum haftet ein Verkäufer für Mängel<br />

der Kaufsache aus Vertrag, wenn die Ansprüche <strong>des</strong> Käufers doch offensichtlich<br />

auf einer Gesetzesnorm (§ 437) gründen? Warum kann der Verkäufer seine zum<br />

Vertragsschluss führende Willenserklärung nicht nach § 119 Abs. 1 anfechten,<br />

wenn er im Nachhinein erfährt, dass ihm an diese anknüpfend Schutzpflichten<br />

zugunsten <strong>des</strong> Käufers auferlegt wurden, wegen deren Verletzung er nun auf<br />

Schadensersatz haftet? Warum soll auf einen Finanzierungsleasingvertrag eine<br />

Norm aus dem Mietrecht (bspw. die strenge Haftung <strong>des</strong> § 546a Abs. 1) Anwendung<br />

finden, obwohl die Parteien dies nie gewollt und sich auch nicht vorgestellt<br />

haben? Auch in der Rechtswissenschaft gibt es das, was die Philosophie gelegentlich<br />

als ontologische Differenz bezeichnet: Ständig verwendete Begriffe<br />

und Regeln für die Gegenstände der Alltagswelt sind nicht selten wissenschaftlich<br />

am schwersten zu fassen. Und wie dort gilt: „Das Niveau einer Wissenschaft<br />

bestimmt sich daraus, wie weit sie einer Krisis ihrer Grundbegriffe fähig ist.“ 2 In<br />

der Rechtswissenschaft fehlt es nicht an Versuchen, die gerade gestellten Fragen<br />

zu beantworten. Die Antworten wiederum erlauben jeweils einen Einblick in<br />

Grundlagen und Perspektiven <strong>des</strong> deutschen und europäischen Vertragsrechts.<br />

Die im internationalen Vergleich wirkungsmächtigste Weichenstellung dieser<br />

Art trifft wohl das anglo-amerikanische Recht. Sie entwickelt sich zunächst<br />

aus ganz bescheidenen Anfängen im 14. Jahrhundert und ist heute Vorbild für<br />

die im Rechtsvergleich als wegweisend geltenden Kodifikationen <strong>des</strong> Leistungsstörungsrechts<br />

in den Artt. 45ff. CISG und den Artt. 21ff. aus Buch 7 <strong>des</strong><br />

Niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches. 3 Sie fand ihren Widerhall nicht<br />

1<br />

2<br />

1 Rabel, Das Recht <strong>des</strong> Warenkaufs, Bd. 2, 1958, S. 104.<br />

2 Heidegger, Sein und Zeit, 16. Aufl. 1986, § 3, S. 9.<br />

3 Nieper/Westerdijk, Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch, Series of Legislation in<br />

Translation 7, 1995.

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