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Prof. Dr. Dr. Klaus W. Grätz, Zürich

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EMS – Eignungstest für das Medizinstudium:<br />

Umsetzung und Entwicklung in der Schweiz<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Klaus</strong> W. <strong>Grätz</strong><br />

Präsident des Collége des Doyens der Medizinischen Fakultäten der<br />

Schweiz<br />

Dekan der Medizinischen Fakultät, Universität <strong>Zürich</strong><br />

Hohes Präsidium,<br />

werte Vorsitzenden,<br />

liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Vielen Dank für die freundliche Einladung. Es ist mir eine Ehre und Freude,<br />

dass ich als Präsident des Collége des Doyens der Medizinischen Fakultäten<br />

der Schweiz hier vor Ihnen sprechen darf. Auch in meinem Referat wird es<br />

um die Eignungstests, nun um die in der Schweiz und die sich daraus ableitenden<br />

Erfahrungen gehen.<br />

Zulassung zum Studium der Humanmedizin in der Schweiz<br />

Im Jahr 2012 gab es nach den Zahlen der Eidgenössischen Prüfung Humanmedizin<br />

etwa 800 Studienabschlüsse. Auch in der Schweiz gab es in der jüngeren<br />

Vergangenheit große Pressekampagnen, die anführten, dass auf der einen<br />

Seite zu wenige Bewerber zum Studium zugelassen, auf der anderen Seite 40 %<br />

der Neueröffnungen der Praxen in der Schweiz durch EU-Ausländer vorgenommen<br />

und in den drei deutschsprachigen Universitäten der Schweiz der<br />

Numerus Clausus als eine Form der Zugangsbeschränkung gelten würde, was<br />

dem Ärztebedarf entgegenstünde.<br />

1


In der Schweiz kann an fünf Standorten Humanmedizin studiert werden –<br />

<strong>Zürich</strong>, Bern, Basel, Lausanne und Genf. Es wird nach dem Bologna-<br />

Verfahren als Bachelor/Masterstudium angeboten. In Fribourg kann bis zum<br />

Bachelorabschluss Humanmedizin studiert werden und in Neuchatel läuft gegenwärtig<br />

das erste Jahr eines Bachelorstudienganges.<br />

Die Anmeldezahlen (Abb. 1) für das laufende Kalenderjahr liegen in der Humanmedizin,<br />

der Zahnmedizin und der Veterinärmedizin über der Kapazität<br />

der Universitäten. Dabei wird deutlich, dass besonders <strong>Zürich</strong> bei den Schweizer<br />

Studierenden sehr beliebt ist und die dortige Kapazität die Bewerberzahlen<br />

bei weitem unterschreitet.<br />

Abb. 1: Anmeldezahlen und verfügbare Ausbildungskapazität in der Schweiz im Jahre 2013,<br />

Zahlen nach Daten der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS)<br />

2


Die Kantone haben als Träger der Universitäten die Hoheit über die Studiengänge<br />

und die Festlegung der Studienplatzkapazität. Die jährliche Kapazitätsfestlegung<br />

erfolgt dann auch durch die Kantone/den Kantonsrat oder den Regierungsrat<br />

basierend auf dem Antrag der Universitäten. Aktuell sind vermehrt<br />

bundespolitische Initiativen zur Kapazitätsdiskussion zu verzeichnen, mit dem<br />

Ziel, mehr Studierende in den einzelnen Universitäten auszubilden. In diesem<br />

Zusammenhang verweise ich auf einen Bericht „Strategie gegen Ärztemangel<br />

und zur Förderung der Hausarztmedizin“ durch das Schweizer Bundesamt für<br />

Gesundheit (BAG) vom September 2011 (http://www.bag.admin.ch/themen/berufe/07962/).<br />

Zur Erhöhung der Studierendenzahl und zur Auseinandersetzung<br />

mit vielen weiteren Themenbereichen der ärztlichen Bildung und<br />

der medizinischen Versorgung wurde nationale eine „Plattform für die ärztliche<br />

Bildung“ gegründet. Eine Themengruppe dieser Plattform war die Erhöhung<br />

der Abschlusszahlen in der Humanmedizin. In <strong>Zürich</strong> wurde als Reaktion<br />

die Aufnahmekapazität von 240 auf 300 Studierende pro Jahr erhöht. Insgesamt<br />

will man bis 2018 von 800 Abschlüssen auf 1.100 bis 1.200 kommen, damit in<br />

jedem Jahr eine hinreichende Zahl von Nachwuchsärzten die Hochschulen verlässt.<br />

Das Zulassungsverfahren beginnt mit der zentralen Anmeldung aller Studienplatzinteressierten<br />

für Human-, Zahn- und Veterinärmedizin sowie Chiropraktik<br />

(seit 2008, nur Universität <strong>Zürich</strong>) bei der CRUS über www.crus.ch. Dabei<br />

gilt jeweils die Frist zum 15. Februar des selben Jahres. In der Schweiz gibt es<br />

weder eine Quotenregelung noch eine Wartezeitregelung. Die Durchführung<br />

eines Eignungstests geschieht auf Anordnung der Kantone an den Universitäten<br />

Bern, Basel, Fribourg und <strong>Zürich</strong>. Dagegen gibt es an den Universitäten<br />

Genf und Lausanne keine Beschränkung der Aufnahmekapazität. Dort erfolgt<br />

eine Selektion durch summative Prüfungen vor allem im 1. Studienjahr. In<br />

Genf ist zudem der Eignungstest 2012 zum dritten Mal obligatorisch, er wird<br />

aber dort nicht selektiv für die Humanmedizin eingesetzt. Die Rückmeldung<br />

3


der Leistung sowie Gesprächsangebote für die 40 % der Testschlechtesten wurden<br />

konzipiert, aber kaum genutzt.<br />

Die Empfehlung der Schweizerischen Universitätskonferenz (SUK) vom 12.<br />

Oktober 2006 sieht vor, dass einige Kategorien von ausländischen Studienanwärterinnen<br />

und -anwärtern den Schweizer Anwärterinnen und Anwärtern<br />

gleichgestellt sind. Dies betrifft allerdings nur Staatsangehörige aus Liechtenstein,<br />

in der Schweiz oder in Liechtenstein niedergelassene Ausländerinnen und<br />

Ausländer und einige wenige Spezialfälle, wie Kinder, deren Eltern in der<br />

Schweiz Diplomatenstatus genießen, und von der Schweiz anerkannte Flüchtlinge.<br />

Die Zulassung ausländischer Studienanwärterinnen und -anwärter zum<br />

Medizinstudium (Human-, Zahn- oder Veterinärmedizin) wird abgestimmt auf<br />

diese Empfehlung durch reglementarische Bestimmungen der jeweiligen Universität<br />

geregelt.<br />

Der Eignungstest für medizinische Studiengänge (EMS)<br />

Der Eignungstest EMS wurde vom Zentrum für Testentwicklung und Diagnostik<br />

(ZTD) am Departement für Psychologie der Universität Fribourg in der<br />

Schweiz basierend auf dem überprüften deutschen TMS weiterentwickelt und<br />

wird dort auch ausgewertet. Er ist als ein fachspezifischer Studierfähigkeitstest<br />

angelegt und bewertet als „wettbewerbsorientiertes Reihungsverfahren“ nach<br />

der Studieneignung. Er wird als ein Eintages-Assessment durchgeführt und<br />

prüft studienrelevante Fähigkeiten in zehn Aufgabengruppen (Abb. 2). Dabei<br />

ist der EMS kein Wissenstest, vielmehr wird durch ihn die Fähigkeit zur Aneignung<br />

von neuem Wissen geprüft. Aufgaben, die mit dem Schulwissen aus dem<br />

Abitur zu beantworten wären, bilden mit 20 Items, die gerade 20 Punkte erbringen,<br />

die Minderheit.<br />

Der Testwert repräsentiert die erreichte Leistung und ist dank spezieller Standardisierung<br />

zwischen den Jahren vergleichbar. Zur weiteren Differenzierung<br />

bei gleichem Testwert steht der gemittelte Rangplatz über die einzelnen Aufga-<br />

4


engruppen zur Verfügung. Zurzeit findet mit dem EMS keine Berücksichtigung<br />

von sozialen Kompetenzen und anderen Persönlichkeitsmerkmalen oder<br />

der Berufseignung statt.<br />

Abb. 2: Aufgabengruppen und Zeitvorgaben im EMS (aus: Eignungstest für das Medizinstudium<br />

EMS; © 4/2013 ZTD Zentrum für Testentwicklung und Diagnostik am Departement<br />

für Psychologie der Universität Fribourg UNI Rte Englisberg 9 CH-1763<br />

Granges-Paccot; http://www.unifr.ch/ztd/)<br />

Der Eignungstest für das vergangene Jahr fand am 6. Juli 2012 gleichzeitig an<br />

zehn Testorten und in 32 Testlokalen in drei Sprachen (Deutsch, Französisch,<br />

Italienisch) statt. Der Numerus Clausus (NC) wurde 2012 wiederum für Humanmedizin<br />

(dort gültig seit 1998), Veterinärmedizin (dort gültig seit 1999)<br />

und Zahnmedizin (dort gültig seit 2004) angewandt. Am Eignungstest mussten<br />

die Bewerber für die Universitätsstandorte Basel, Bern, Fribourg und <strong>Zürich</strong><br />

teilnehmen, An der Universität <strong>Zürich</strong> galt 2012 der NC auch für Chiropraktik<br />

(dort gültig seit 2008).<br />

5


Insgesamt haben sich 3.045 Personen (Vorjahr 2.853) bis zur gesetzten Frist im<br />

Mai 2012 bei der CRUS zum Test angemeldet. Mit einem gültigen Ergebnis haben<br />

2012 2.902 Personen den EMS beendet.<br />

Abb. 3: Anmeldungen zum Medizinstudium 1991 bis 2012 nach Gruppen (Basel, Bern, Fribourg,<br />

<strong>Zürich</strong> vs. Genf, Neuchatel, Lausanne). Leere Säulen: Jahre ohne NC; blaue<br />

Säulen: Jahre mit NC, rote Säule: Anmeldungen 2012; grüne Säule: Kapazität 2012<br />

und Markierung des 20 %-Überschreitungskriteriums als Grenze für NC. (aus:<br />

Hänsgen, <strong>Klaus</strong>-Dieter; Spicher, Benjamin (2012): EMS Eignungstest für das Medizinstudium<br />

2012; Berichte des Zentrums für Testentwicklung, Nummer 19, im Auftrag<br />

der SUK; Freiburg/Schweiz: Zentrum für Testentwicklung und Diagnostik,<br />

2012.)<br />

In der Abbildung 3 werden die Anmeldezahlen mit den tatsächlichen Kapazitäten<br />

der Schweizer Medizinausbildungsstätten verglichen. Dabei wird der<br />

steile Anstieg der Anmeldezahlen an den vier Standorten, die einen Eignungstest<br />

anbieten, gegenüber flacheren Anstiegen der Anmeldezahlen an den<br />

Standorten ohne Eignungstest besonders deutlich. Wie aus Abbildung 4 er-<br />

6


kennbar wird, sind die absoluten Anmeldezahlen nach Einführung des Eignungstests<br />

kontinuierlich angestiegen.<br />

Abb. 4: Disziplinenspezifische Statistiken für die am NC beteiligten Universitäten Basel, Bern,<br />

Fribourg und <strong>Zürich</strong> für Humanmedizin. *28 Personen wollen aus einem Studium<br />

der Zahnmedizin in ein höheres Semester Humanmedizin wechseln. Sie nahmen am<br />

Test teil, zählen aber nicht als Bewerbungen im die Studienplätze 2012. Vergleichbare<br />

Fälle wurden auch in den Vorjahren entsprechend herausgerechnet. 20 Plätze für<br />

Chiropraktik (51 Bewerbungen, 48 Testantritte) sind mit eingerechnet. m Stand November<br />

2012 gemäß Modell. (aus Hänsgen, <strong>Klaus</strong>-Dieter; Spicher, Benjamin (2012)<br />

7


An der Universität Genf ist für die Humanmedizin der Einsatz des Eignungstests<br />

obligatorisch. Er wird dort aber nicht selektiv eingesetzt. Die Ergebnisse<br />

aus dem Einsatz des EMS über drei Jahre lassen sich so zusammenfassen:<br />

• Abschreckende Wirkung des Tests ist nicht ausreichend<br />

• Deutlicher Unterschied bei der Vorbereitung<br />

• Prognoseleistung des EMS für den Studienerfolg von 2010 bis 2012<br />

deutlich abnehmend<br />

• Bereitschaft, eine Studienberatung in Anspruch zu nehmen, ist praktisch<br />

vernachlässigbar<br />

Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass der EMS für einen Einsatz<br />

als Zulassungskriterium im Rahmen eines Numerus Clausus als kapazitätsgenaue<br />

Zulassung nach der Höhe des Testwertes entwickelt ist. Er ist aber kein<br />

Test, mit dem die besten Bewerber für ein Medizinstudium ausgewählt werden<br />

können.<br />

Entwicklungen und Perspektiven<br />

Für den EMS wurde zwischen 1998 und 2003 die selbe Teststruktur verwendet.<br />

Im Jahre 2003 wurde durch das ZTD ein Workshop „Weiterentwicklung des<br />

EMS“ organisiert, auf dem auch die Diskussion um zukünftige Anpassungen<br />

des EMS auch an reformierte Studiengänge, die in der Schweiz in den Bologna-Studiengang<br />

mündeten, geführt wurden. Ein Jahr später kam es zur Veränderung<br />

des Untertests „Konzentriertes und sorgfältiges Arbeiten“. Dabei<br />

wurde eine Aktualisierung und Reduktion von Übungseffekten vorgenommen.<br />

Im Jahre 2005 wurde ein weiterer Untertest „Planen und Organisieren“ zur<br />

Erfassung von planerischen und organisatorischen Kompetenzen eingeführt.<br />

Es hat sich bei den Analysen der Testergebnisse gezeigt, dass nicht alle Entscheidungen<br />

von der tatsächlichen Eignung beeinflusst sind. Daher erscheint<br />

eine Optimierung aller Entscheidungen sinnvoll:<br />

8


1. Wählen Personen ein Medizinstudium, die realistische Erwartungen<br />

bezüglich Studium und Beruf haben?<br />

2. Sind die Personen für ein Medizinstudium geeignet?<br />

3. Sind die Voraussetzungen vorhanden, das Studium erfolgreich (ohne<br />

Abbruch oder Wechsel) zu beenden?<br />

4. Werden die Personen dann tatsächlich einen Medizinalberuf ergreifen?<br />

Durch die Verwendung des EMS für die Universitäten mit NC wurde nur die<br />

zweite Entscheidung dieser Liste optimiert. Der EMS ist ein Eignungstest, kein<br />

Auswahltest. Nach unserer Meinung sind Leistungstests als „wettbewerbsorientierte<br />

Reihungsverfahren“ nicht geeignet, Bereiche wie Interessen, soziale<br />

Kompetenzen oder Persönlichkeitsmerkmale zu erfassen.<br />

In einer Weiterentwicklung des EMS wurden neue Portale bereits eingerichtet,<br />

die aber bisher nicht für die Medizin, sondern nur z.B. für die Psychologie, die<br />

Wirtschafts- und Rechtswissenschaften wirksam sind. Hierbei besteht kein<br />

direkter Zusammenhang zwischen Ergebnis und Zulassung. Es werden aber<br />

individuelle Entscheidungsprozesse der Personen unterstützt, denn Antworten<br />

nach sozialer Erwünschtheit sind wenig relevant.<br />

Im Self Assessment-Portal gibt es eine Informationsvermittlung über Studium<br />

und Beruf. Dort werden eigene Interessen des Bewerbers erfasst, die gegebenenfalls<br />

einen Vergleich mit durchschnittlichen Interessenprofilen Studierender<br />

einer Fachrichtung ermöglichen. Daneben sollen eigene Vorstellungen<br />

über Studienanforderungen und zukünftigen Beruf angegeben und gegebenenfalls<br />

auch mit Durchschnittsprofilen erfolgreicher Studierender verglichen<br />

werden können. In diesem Portal werden neben sozialen Kompetenzen und<br />

anderen Merkmalen der Persönlichkeit (soft skills) auch bestimmte Fähigkeiten<br />

(hard skills) durch Wissenstests oder Fähigkeitstests erfasst und eventuell<br />

auch vor dem EMS Rückmeldungen zur Studieneignung gegeben.<br />

9


Seit 2010 wurde bereits ein ergänzendes Self-Assessment, aktuell mit drei Modulen<br />

eingesetzt. Diese Module sind „Studienrelevante Persönlichkeitsmerkmale“,<br />

„Interessen“ und „Erwartungen an Studium und Beruf“. Die anonyme<br />

Durchführung macht Verfälschungseffekte weniger wahrscheinlich. Durch die<br />

Teilnehmenden wurde dieses Self-Assessment vorläufig positiv evaluiert, was<br />

uns ermutigt hat, auf diesem Weg weiterzugehen.<br />

Eine laufende Weiterentwicklung und die Anpassung an sich verändernde<br />

Studienbedingungen, auf welche sich eine Erfolgsvorhersage bezieht oder beziehen<br />

sollte, bleiben permanente Aufgaben für diesen Eignungstest.<br />

Es bleibt die (bisweilen nicht nur rhetorische) Frage, ob wir uns als Lehrkräfte<br />

bei der Verbesserung des Eignungstests nicht zu viel Mühe geben. Diese Frage<br />

wird besonders dann gestellt, wenn wir aus den Medien die Forderung des<br />

Nationalrates nach einer Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen erfahren<br />

und von politischer Seite diese Forderung mit dem in der Schweiz herrschenden<br />

Ärztemangel begründet wird.<br />

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

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