Akute Harnwegsinfektionen, Teil 1: HWI in der Praxis - Swiss ...
Akute Harnwegsinfektionen, Teil 1: HWI in der Praxis - Swiss ...
Akute Harnwegsinfektionen, Teil 1: HWI in der Praxis - Swiss ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ambulante mediz<strong>in</strong><br />
<strong>Akute</strong> <strong>Harnwegs<strong>in</strong>fektionen</strong>, <strong>Teil</strong> 1: <strong>HWI</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Praxis</strong><br />
Philip Tarr a , Katr<strong>in</strong> Baumann b , Astrid Wallnöfer b , Franziska Zimmerli c , Daniela Maritz a , Ursula Burri a ,<br />
Mart<strong>in</strong> Egger d , Olivier Clerc e , Enos Bernasconi f , Helen Kovari g , Laurence Senn h<br />
Qu<strong>in</strong>tessenz<br />
P <strong>Akute</strong> Blasenentzündungen s<strong>in</strong>d bei Frauen weit häufiger als bei Männern.<br />
Wenn die Diagnose kl<strong>in</strong>isch klar ist, dann br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> positiver Ur<strong>in</strong>streifentest<br />
ke<strong>in</strong>e zusätzliche Information; umgekehrt haben bis zu 30%<br />
<strong>der</strong> Frauen mit <strong>HWI</strong> e<strong>in</strong>en negativen Streifentest.<br />
P Bei typischen <strong>HWI</strong>-Symptomen (Dysurie, Pollakisurie, Harndrang) ist<br />
auch das Wachstum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ur<strong>in</strong>kultur von 10 2 -kompatiblen Keimen/ml<br />
(Frau) o<strong>der</strong> 10 3 (Mann) diagnostisch.<br />
P Bei e<strong>in</strong>er unkomplizierten Zystitis kommt es auch ohne Antibiotika<br />
sehr selten zu e<strong>in</strong>er Sepsis o<strong>der</strong> Pyelonephritis. Die Symptome verschw<strong>in</strong>den<br />
<strong>in</strong> ca. 50% auch ohne Antibiotika und mit Ibuprofen möglicherweise<br />
gleich schnell wie mit Antibiotika.<br />
P Es wird vermehrt auf antibiotikafreie Zystitistherapien h<strong>in</strong>gewiesen,<br />
denn Antibiotika verursachen ökologische Kollateralschäden: Sie begünstigen<br />
die Kolonisation und Infektion mit antibiotikaresistenten Keimen.<br />
P Rezidivierende <strong>HWI</strong> sollen nur mit e<strong>in</strong>er Antibiotikadauerprophylaxe<br />
behandelt werden, wenn nicht-antibiotische Strategien nicht ausreichen.<br />
Daten zu Cranberryprodukten s<strong>in</strong>d nicht überzeugend; vag<strong>in</strong>ale Probiotika<br />
sche<strong>in</strong>en vielversprechend.<br />
<strong>Harnwegs<strong>in</strong>fektionen</strong> (<strong>HWI</strong>) gehören zu den häufigsten<br />
bakteriellen Infektionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Praxis</strong>. Sie gelten als unkompliziert,<br />
wenn ke<strong>in</strong>e strukturellen o<strong>der</strong> funktionalen<br />
Verän<strong>der</strong>ungen des Urogenitaltrakts vorliegen.<br />
Viele Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen fühlen sich zu Recht<br />
verunsichert, denn die antibiotische Resistenzlage hat<br />
sich <strong>in</strong> den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Ziel<br />
dieses Artikels ist es, Grundlegendes zu <strong>HWI</strong> sowie<br />
neue Trends bezüglich antibiotikafreier Therapie für<br />
Praktiker<strong>in</strong>nen und Praktiker zusammenzufassen.<br />
50-jährigen Frauen ist die <strong>HWI</strong>-Inzidenz deutlich tiefer<br />
als bei jungen Frauen. Diabetes mellitus erhöht das<br />
<strong>HWI</strong>-Risiko. Nicht e<strong>in</strong>heitlich nachgewiesen ist <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss<br />
von vag<strong>in</strong>aler Trockenheit und Nierenste<strong>in</strong>en. Als<br />
Risikofaktoren nicht belegt s<strong>in</strong>d Kälteexpositionen, geme<strong>in</strong>sames<br />
Baden, Hallenbadbesuche, vag<strong>in</strong>ales Duschen<br />
nach dem Sex, chronisches «zu lange warten»<br />
mit Wasserlösen, Tampons, enge Unterwäsche, ger<strong>in</strong>ge<br />
Tr<strong>in</strong>kmengen und Wischen mit Toilettenpapier von h<strong>in</strong>ten<br />
nach vorn [1].<br />
Lei<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e grundlegend neuen<br />
Erkenntnisse <strong>in</strong> den letzten 20 Jahren<br />
Die Mehrzahl <strong>der</strong> unkomplizierten Zystitiden wird durch<br />
E. coli verursacht (75–95%), gefolgt von Proteus mirabilis,<br />
Klebsiella pneumoniae, Enterokokken und, vor allem<br />
bei jungen Frauen, Staphylococcus saprophyticus.<br />
Staph. aureus im Ur<strong>in</strong> entspricht selten e<strong>in</strong>em primären<br />
<strong>HWI</strong>; häufiger ist e<strong>in</strong>e Bakteriämie mit sekundärer Streuung<br />
<strong>in</strong> den Ur<strong>in</strong> – bei Staph. aureus im Ur<strong>in</strong> sollten deshalb<br />
Blutkulturen abgenommen werden.<br />
Die am Per<strong>in</strong>eum angesiedelten Darmkeime gelangen <strong>in</strong><br />
Vag<strong>in</strong>a und Urethra und steigen <strong>in</strong> die Blase auf. Wie das<br />
genau geht, wissen wir auch heute nicht im Detail. Geför<strong>der</strong>t<br />
wird dies durch Sex (z.T. werden E. coli auch zwischen<br />
Sexpartnern übertragen), die kurze Harnröhre <strong>der</strong><br />
Frau und durch die Fähigkeit von uropathogenen E.-coli-<br />
Stämmen, sich an urogenitale Epithelzellen anzuheften.<br />
Auch genetische Veranlagung (gewisse Blutgruppenantigene)<br />
wird als prädisponieren<strong>der</strong> Faktor diskutiert.<br />
Ur<strong>in</strong>streifentest: bei klaren <strong>HWI</strong>-Symptomen<br />
ke<strong>in</strong>e zusätzliche Information<br />
Philip Tarr<br />
Die Autoren haben<br />
ke<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle<br />
Unterstützung und<br />
ke<strong>in</strong>e Interessenkonflikte<br />
im<br />
Zusammenhang<br />
mit diesem Beitrag<br />
deklariert.<br />
<strong>HWI</strong> s<strong>in</strong>d häufig, vor allem bei jungen<br />
gesunden Frauen<br />
Etwa die Hälfte aller Frauen ist m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im<br />
Leben von e<strong>in</strong>er unkomplizierten Zystitis betroffen, und<br />
30–40% dieser Frauen erleiden m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Rezidiv<br />
(Abb. 1 x). Fast jede dritte Frau ist bis zum Alter von<br />
25 Jahren mit Antibiotika gegen e<strong>in</strong>en <strong>HWI</strong> behandelt<br />
worden. Auf 20 Frauen mit Zystitis kommt höchstens<br />
e<strong>in</strong>e, bei <strong>der</strong> es zur Pyelonephritis kommt.<br />
Sexuell aktive Frauen s<strong>in</strong>d häufiger von <strong>HWI</strong> betroffen.<br />
Spermizide, mit welchen viele Kondome imprägniert<br />
s<strong>in</strong>d, stellen e<strong>in</strong>en wichtigen Risikofaktor dar. Bei über<br />
Liegen bei e<strong>in</strong>er jungen Frau <strong>HWI</strong>-Symptome wie Dysurie,<br />
Harndrang und Pollakisurie vor, dann beträgt die<br />
a<br />
Infektiologie und Spitalhygiene, Mediz<strong>in</strong>ische Universitätskl<strong>in</strong>ik,<br />
Kantonsspital Baselland, Bru<strong>der</strong>holz<br />
b<br />
FMH Innere Mediz<strong>in</strong>, Muttenz BL<br />
c<br />
Frauenkl<strong>in</strong>ik, Kantonsspital Baselland, Bru<strong>der</strong>holz<br />
d<br />
Mediz<strong>in</strong>ische Kl<strong>in</strong>ik, Regionalspital Emmental, Burgdorf<br />
e<br />
Service de médec<strong>in</strong>e et maladies <strong>in</strong>fectieuses, Hôpital<br />
Neuchâtelois, Neuchâtel<br />
f<br />
Servizio Malattie Infettive, Ospedale Regionale, Lugano<br />
g<br />
Kl<strong>in</strong>ik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene, Universitäts-<br />
Spital Zürich, Universität Zürich<br />
h<br />
Service de Médec<strong>in</strong>e Préventive Hospitalière, Centre Hospitalier<br />
Universitaire Vaudois, Lausanne<br />
Schweiz Med Forum 2013;13(24):467–471<br />
467
ambulante mediz<strong>in</strong><br />
Abbildung 1<br />
Kumulative Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit (und 95%-Konfidenz<strong>in</strong>tervall), e<strong>in</strong>e<br />
Harnwegs<strong>in</strong>fektion zu erleiden, gemäss Telefon<strong>in</strong>terviews mit 2000<br />
zufällig ausgewählten, >18-jährigen Frauen <strong>in</strong> den USA im Jahr 1996.<br />
Das Risiko steigt im Adoleszentenalter, parallel zum Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />
sexuellen Aktivität.<br />
(Modifiziert nach Foxman B: Ann Epidemiol. 2000;10:509–15,<br />
mit freundlicher Genehmigung des Verlags)<br />
Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er bakteriellen Zystitis >50%; bei<br />
fehlendem vag<strong>in</strong>alem Ausfluss ist die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />
noch höher. Treten dieselben Symptome wie<strong>der</strong>holt<br />
auf, so liegt <strong>in</strong> ca. 90% e<strong>in</strong> <strong>HWI</strong> vor. E<strong>in</strong>e Pyelonephritis<br />
wird suggeriert, wenn 01 <strong>der</strong> folgenden Symptome vorliegen:<br />
Fieber, Schüttelfrost, schlechter Allgeme<strong>in</strong>zustand,<br />
Übelkeit, lumbale o<strong>der</strong> Flankenschmerzen o<strong>der</strong><br />
Flankenklopfdolenz.<br />
E<strong>in</strong> positiver Ur<strong>in</strong>streifentest liefert bei suggestiver<br />
Anamnese für e<strong>in</strong>en <strong>HWI</strong> ke<strong>in</strong>e zusätzliche Information.<br />
Zudem kann bei negativem Streifentest (ke<strong>in</strong> Nitrit,<br />
ke<strong>in</strong>e Leukozyten) e<strong>in</strong>e Zystitis nicht ausgeschlossen<br />
werden, denn die Sensitivität beträgt nur ca. 75%.<br />
Liegen im Ur<strong>in</strong>sediment
ambulante mediz<strong>in</strong><br />
Tabelle 1<br />
Patient<strong>in</strong>nen mit erhöhtem Risiko für e<strong>in</strong>en komplizierten <strong>HWI</strong>-Verlauf, empfohlene Indikationen für Ur<strong>in</strong>kultur.<br />
– Fieber, reduzierter Allgeme<strong>in</strong>zustand, Übelkeit (Pyelonephritis?)<br />
– Symptome ausgeprägter/an<strong>der</strong>s als üblich<br />
– Symptome persistieren >5–7 Tage<br />
– Rezidivierende <strong>HWI</strong><br />
– Pyelonephritis <strong>in</strong> Anamnese<br />
– Patient<strong>in</strong> aktuell o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den letzten 3 Monaten hospitalisiert o<strong>der</strong> mit Antibiotika behandelt (erhöhtes Resistenzrisiko)<br />
– Resistenter Keim <strong>in</strong> Anamnese<br />
– Alters- o<strong>der</strong> Pflegeheimbewohner<strong>in</strong><br />
– Patient<strong>in</strong> hat Dauer-Ur<strong>in</strong>katheter, Ureteralstent o<strong>der</strong> Nephrostomiekatheter<br />
– Schwangerschaft<br />
– Immunsuppression<br />
– Patient<strong>in</strong> ist polymorbid, <strong>in</strong>kl. Diabetes mellitus, Nieren<strong>in</strong>suffizienz<br />
– Urolithiasis, Stauung <strong>der</strong> oberen Harnwege, vorheriger urologischer E<strong>in</strong>griff, anatomische Abnormalität (z.B. Zystozele), Blasenentleerungsprobleme<br />
(z.B. bei Paraplegie)<br />
– Mann 3 chronische Prostatitis erwägen, vor allem wenn rezidivierende <strong>HWI</strong><br />
ren Daten l<strong>in</strong><strong>der</strong>t Ibuprofen die <strong>HWI</strong>-Symptome gleich<br />
gut und gleich schnell wie Ciprofloxac<strong>in</strong> [6]. Antibiotika<br />
können zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt e<strong>in</strong>gesetzt werden,<br />
falls <strong>der</strong> Verlauf unbefriedigend ist. Das Berner<br />
I nstitut für Hausarztmediz<strong>in</strong> und das Institut für Infektionskrankheiten<br />
<strong>der</strong> Universität Bern koord<strong>in</strong>ieren<br />
aktuell e<strong>in</strong>e randomisierte Doppelbl<strong>in</strong>dstudie (Norfloxac<strong>in</strong><br />
vs. Diclofenac) bei unkomplizierter Zystitis, siehe<br />
www.biham.unibe.ch/content/forschung/laufende_projekte/<strong>in</strong>dex_ger.html.<br />
Qu<strong>in</strong>olone s<strong>in</strong>d nicht mehr Therapie <strong>der</strong> Wahl<br />
Nitrofuranto<strong>in</strong>, Fosfomyc<strong>in</strong> und Cotrimoxazol werden<br />
neu als Antibiotika <strong>der</strong> ersten Wahl zur empirischen<br />
Therapie <strong>der</strong> unkomplizierten Zystitis empfohlen. Sie<br />
können auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schwangerschaft verwendet werden<br />
(Ausnahme: ke<strong>in</strong> Cotrimoxazol kurz vor Term<strong>in</strong>).<br />
Für Nitrofuranto<strong>in</strong> (2x 100 mg/d für 5 Tage) und Fosfomyc<strong>in</strong><br />
(3-g-E<strong>in</strong>zeldosis) s<strong>in</strong>d die Resistenzraten momentan<br />
noch sehr tief [2]. Beide verursachen ger<strong>in</strong>ge Kollateralschäden,<br />
und auch ESBL-Keime s<strong>in</strong>d darauf meist<br />
empf<strong>in</strong>dlich [5]. Die renalen Parenchymkonzentrationen<br />
s<strong>in</strong>d aber ungenügend zur Behandlung e<strong>in</strong>er Pyelonephritis<br />
(Indikation nur für Zystitis). Zudem ist S. saprophyticus<br />
<strong>in</strong>tr<strong>in</strong>sisch resistent auf Fosfomyc<strong>in</strong>.<br />
Cotrimoxazol (2x 160/800 mg/d für 3 Tage) ist gut<br />
wirksam und verursacht wenig Kollateralschäden, wird<br />
aber nicht empfohlen bei e<strong>in</strong>er lokalen Resistenzrate<br />
von >20%. Wegen <strong>der</strong> extrem hohen Urogenitalkonzentration<br />
ist Cotrimoxazol aber auch bei resistenten E.coli<br />
<strong>in</strong> ca. 50% wirksam.<br />
Aufgrund <strong>der</strong> grossen Kollateralschäden sollten Qu<strong>in</strong>olone<br />
nicht mehr als empirische Therapie bei <strong>HWI</strong> e<strong>in</strong>gesetzt<br />
werden. Qu<strong>in</strong>olone werden nur noch bei <strong>der</strong> unkomplizierten<br />
Pyelonephritis o<strong>der</strong> <strong>in</strong> komplexen Situationen<br />
empfohlen – nach Rücksprache mit e<strong>in</strong>er Spezialist<strong>in</strong>.<br />
Betalaktame, zum Beispiel Amoxicill<strong>in</strong>-Clavulansäure<br />
o<strong>der</strong> Cefuroxim, s<strong>in</strong>d bei <strong>HWI</strong> weniger wirksam und<br />
verursachen relevante Kollateralschäden. Sie s<strong>in</strong>d daher<br />
nur 2. Wahl. Ihre Anwendung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schwangerschaft<br />
ist erlaubt.<br />
Rezidivierende <strong>HWI</strong>: Cranberrydaten<br />
s<strong>in</strong>d nicht überzeugend<br />
Frauen mit e<strong>in</strong>em ersten <strong>HWI</strong> erleben <strong>in</strong> 30–40% rezidivierende<br />
Blasenentzündungen. Bei älteren, nicht aber<br />
jüngeren Patient<strong>in</strong>nen liegt oft e<strong>in</strong>e komplizierte Zystitis<br />
vor, mit anatomischen, funktionalen o<strong>der</strong> metabolischen<br />
Abnormalitäten. Das langfristige Ziel <strong>der</strong> Therapie<br />
rezidivieren<strong>der</strong> <strong>HWI</strong> ist die Verbesserung <strong>der</strong><br />
Lebensqualität, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit nicht-antibiotischen<br />
Mitteln (Abb. 2 x). Für die Wirksamkeit vieler dieser<br />
Methoden, wie die beliebten Cranberryprodukte, gibt<br />
es zwar kaum überzeugende Daten. Sie können aber<br />
empfohlen werden, da sie kaum Nebenwirkungen haben<br />
und viele Frauen von ihrer Wirksamkeit überzeugt<br />
s<strong>in</strong>d. Probiotische Produkte werden von Frauen mit rezidiverenden<br />
<strong>HWI</strong> seit vielen Jahren vag<strong>in</strong>al appliziert;<br />
gemäss e<strong>in</strong>er kürzlichen, gut gemachten Studie s<strong>in</strong>d vag<strong>in</strong>ale<br />
Laktobazillen tatsächlich wirksam [7]. Orale Östrogene<br />
reduzieren <strong>HWI</strong>-Raten nicht, und mit topischen<br />
vag<strong>in</strong>alen Östrogenen wurden <strong>in</strong> verschiedenen Studien<br />
unterschiedliche Erfolgsraten erzielt. Uro-Vaxom,<br />
e<strong>in</strong> orales Präparat mit <strong>in</strong>aktivierten E. coli, ist möglicherweise<br />
wirksam, aber die Datenqualität ist ungenügend.<br />
Wichtig ist auch, dass die Praktiker<strong>in</strong> im Detail erfragt,<br />
<strong>in</strong>wiefern Faktoren wie exzessive Intimhygiene,<br />
mechanische Irritation wegen häufigen Sex und/o<strong>der</strong><br />
<strong>in</strong>adäquater Lubrikation, postmenopausale Vulvovag<strong>in</strong>alatrophie,<br />
Allergie auf Intimprodukte o<strong>der</strong> sexuell<br />
übertragbare Infektionen (bakterielle Vag<strong>in</strong>ose, Candida,<br />
Trichomonaden, Herpes) e<strong>in</strong>e Rolle spielen. Denn<br />
auch diese Faktoren können <strong>HWI</strong>-Symptome wie Harndrang,<br />
Pollakisurie und Hämaturie verursachen und<br />
eventuell <strong>HWI</strong> begünstigen.<br />
Schweiz Med Forum 2013;13(24):467–471<br />
469
ambulante mediz<strong>in</strong><br />
Abbildung 2<br />
Nicht-antibiotische Strategien bei rezidivierenden Blasenentzündungen.<br />
Erst wenn nicht-antibiotische Massnahmen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />
postkoitale Antibiotikaprophylaxe nicht ausreichen,<br />
soll e<strong>in</strong>e Antibiotikadauerprophylaxe diskutiert werden.<br />
E<strong>in</strong>e tägliche E<strong>in</strong>nahme von Cotrimoxazol führt<br />
aber <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Monats zu Trägertum mit resistenten<br />
Darmbakterien und ist dann zur <strong>HWI</strong>-Prophylaxe<br />
nicht mehr wirksam. Bei schwierigen Situationen<br />
(grosser Leidensdruck, wie<strong>der</strong>holte Pyelonephritis,<br />
Sepsis) empfiehlt sich die Rücksprache mit e<strong>in</strong>em Infektiologen.<br />
<strong>HWI</strong> bei Männern:<br />
chronische Prostatitis erwägen<br />
Unterschied kle<strong>in</strong>er. Die Prostatahyperplasie ist <strong>der</strong><br />
wichtigste pathogenetische Mechanismus, aber e<strong>in</strong>e<br />
urologische Abklärung zeigt sonst meist ke<strong>in</strong>e Abnormalitäten.<br />
Bei rezidivierenden <strong>HWI</strong> f<strong>in</strong>den sich ab und<br />
zu Urethrastrikturen o<strong>der</strong> Prostataste<strong>in</strong>e, aber <strong>in</strong> erster<br />
L<strong>in</strong>ie soll hier e<strong>in</strong>e chronische Prostatitis gesucht werden<br />
[8]. Diese wird durch Ur<strong>in</strong>kulturen vor und nach<br />
Prostatamassage diagnostiziert. Viele Antibiotika penetrieren<br />
schlecht <strong>in</strong> die Prostata; Qu<strong>in</strong>olone (für m<strong>in</strong>destens<br />
4–6 Wochen) s<strong>in</strong>d bei sensiblem Keim Mittel <strong>der</strong><br />
Wahl. Bei den meisten Männern mit chronischer Prostatitis<br />
gel<strong>in</strong>gt ke<strong>in</strong> Keimnachweis (nicht-bakterielle<br />
chronische Prostatitis), und die Ätiologie bleibt unklar.<br />
Junge Männer s<strong>in</strong>d rund 30-mal seltener von akuten<br />
<strong>HWI</strong> betroffen als Frauen. Bei alten Männern ist <strong>der</strong><br />
Schweiz Med Forum 2013;13(24):467–471<br />
470
ambulante mediz<strong>in</strong><br />
Danksagung<br />
Die Autoren danken Randy DuBurke, B<strong>in</strong>n<strong>in</strong>gen BL (www.randyduburke.com),<br />
für die Anfertigung <strong>der</strong> Illustrationen und Dr. Susanne Graf,<br />
Kantonsspital Baselland, für wertvolle Mikrobiologie-Diskussionen.<br />
Korrespondenz:<br />
PD Dr. med. Philip Tarr<br />
Leiten<strong>der</strong> Arzt<br />
Infektiologie und Spitalhygiene<br />
Mediz<strong>in</strong>ische Universitätskl<strong>in</strong>ik<br />
Kantonsspital Baselland<br />
CH-4101 Bru<strong>der</strong>holz<br />
philip.tarr[at]unibas.ch<br />
Literatur<br />
1 Hooton TM. Uncomplicated ur<strong>in</strong>ary tract <strong>in</strong>fection. N Engl J Med.<br />
2012;366:1028–37.<br />
2 Savaria F, Zb<strong>in</strong>den R, Wüst J, et al. Antibiotikaresistenzen von E. coli<br />
<strong>in</strong> Ur<strong>in</strong>proben: Prävalenzdaten dreier Laboratorien im Raum Zürich<br />
von 1985 bis 2010. <strong>Praxis</strong>. 2012;101:573–9.<br />
3 Kahlmeter G. An <strong>in</strong>ternational survey of the antimicrobial susceptibility<br />
of pathogens from uncomplicated ur<strong>in</strong>ary tract <strong>in</strong>fections: the<br />
ECO.SENS Project. J Antimicrob Chemother. 2003;51:69–76.<br />
4 Kronenberg A, Koenig S, Droz S, et al. Active surveillance of antibiotic<br />
resistance prevalence <strong>in</strong> ur<strong>in</strong>ary tract and sk<strong>in</strong> <strong>in</strong>fections <strong>in</strong> the outpatient<br />
sett<strong>in</strong>g. Cl<strong>in</strong> Microbiol Infect. 2011;17:1845–51.<br />
5 Gupta K, Hooton TM, Naber KG, et al. International Cl<strong>in</strong>ical Practice<br />
Guidel<strong>in</strong>es for the Treatment of Acute Uncomplicated Cystitis and<br />
Pyelonephritis <strong>in</strong> Women: A 2010 Update by the Infectious Diseases<br />
Society of America and the European Society for Microbiology and<br />
Infectious Diseases. Cl<strong>in</strong> Infect Dis. 2011;52:e103–e120. cid.oxfordjournals.org/content/52/5/e103.full?ijkey=Evn1QGFzwH8Xrj3&keyty<br />
pe=ref<br />
6 Bleidorn J, Gagyor I, Kochen MM, Wegschei<strong>der</strong> K, Hummers-Pradier<br />
E. Symptomatic treatment (ibuprofen) or antibiotics (ciprofloxac<strong>in</strong>)<br />
for uncomplicated ur<strong>in</strong>ary tract <strong>in</strong>fection? – Results of a randomized<br />
controlled pilot trial. BMC Medic<strong>in</strong>e. 2010;8:30.<br />
7 Stapleton AE, Au-Yeung M, Hooton TM, et al. Randomized, Placebo-<br />
Controlled Phase 2 Trial of a Lactobacillus crispatus Probiotic Given<br />
Intravag<strong>in</strong>ally for Prevention of Recurrent Ur<strong>in</strong>ary Tract Infection.<br />
Cl<strong>in</strong> Infect Dis. 2011;52:1212–7.<br />
8 Lipsky BA, Byren I, Hoey CT. Treatment of bacterial prostatitis. Cl<strong>in</strong><br />
Infect Dis. 2010;50:1641–52.<br />
Schweiz Med Forum 2013;13(24):467–471<br />
471