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Einführung in die Literaturwissenschaft 07.11.2006 Jan-Oliver Decker

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<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Literaturwissenschaft</strong><br />

<strong>07.11.2006</strong><br />

<strong>Jan</strong>-<strong>Oliver</strong> <strong>Decker</strong>


1. Zusammenfassung des Kommunikationsmodells<br />

2. Zusammenfassung der Sprachfunktionen nach Jakobson<br />

3. Jakobsons Gesetz<br />

4. <strong>Literaturwissenschaft</strong>liche Fragestellungen auf der Grundlage<br />

des Kommunikationsmodells<br />

5. Zum Status von Autor und Rezipient für <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />

Interpretation literarischer Texte


Sender/Autor<br />

Zeichensystem/Kode<br />

MEDIUM („KANAL“)<br />

materielles Medium der<br />

Zeichen- und<br />

Informationsübermittlung<br />

Nachricht<br />

Geordnete Menge von<br />

Zeichen<br />

Empfänger/<br />

Rezipient<br />

Kontext/Referent<br />

unterstellter Redegegenstand


Kode<br />

metasprachlich<br />

Sender<br />

emotiv/expressiv<br />

Kanal<br />

phatisch<br />

Nachricht<br />

poetisch<br />

Empfänger<br />

konativ/appellativ<br />

Kontext/Referent<br />

referenziell


Das ästhetische Wiesel<br />

E<strong>in</strong> Wiesel<br />

Saß auf e<strong>in</strong>em Kiesel<br />

Inmitten Bachgeriesel.<br />

Wißt ihr<br />

Weshalb?<br />

Das Mondkalb<br />

verriet es mir<br />

im Stillen:<br />

Das raff<strong>in</strong>ierte<br />

Tier<br />

tats um des Reimes willen.<br />

Christian Morgenstern


1. Die sprachliche Struktur weicht l<strong>in</strong>guistisch greifbar von<br />

normaler Sprache ab. Diese Abweichungen wie <strong>in</strong> unserem<br />

Beispiel etwa <strong>die</strong> zunächst unmotivierte Trennung, das Bilden<br />

von Endreimen und Alliterationen weckt erst e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong><br />

Aufmerksamkeit des Empfängers.<br />

2. Der Empfänger muss nun versuchen, <strong>die</strong>se Abweichungen<br />

zu erfassen, sie zu beschreiben und zu systematisieren. Der<br />

Empfänger erkennt also e<strong>in</strong>e sekundäre Struktur, nämlich<br />

Reimschema und Alliteration, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Abweichungen<br />

übergeordnet erklärbar machen und Widersprüche reduzieren.


Der König<br />

speist<br />

und ruht<br />

im Himmelbett<br />

Der Bürger<br />

isst<br />

und schläft<br />

im Sessel<br />

Der Bettler<br />

frisst<br />

und pennt<br />

auf dem<br />

Strohsack


Paradigma =<br />

Als Paradigma bezeichnet man e<strong>in</strong>e Klasse von<br />

Begriffen, <strong>die</strong> unter e<strong>in</strong>em bestimmten Merkmal, das<br />

dom<strong>in</strong>ant gesetzt wird, zusammengefasst werden. In<br />

e<strong>in</strong>em Paradigma gibt es dabei trotz e<strong>in</strong>es dom<strong>in</strong>anten<br />

Merkmals graduelle Abstufungen zwischen den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Begriffen. Das Paradigma ist also e<strong>in</strong>e<br />

abstrakte Klassenbildung, <strong>die</strong> man sowohl durch ihre<br />

wesentlichen Merkmale als auch durch <strong>die</strong> Aufzählung<br />

der Begriffe, <strong>die</strong> unter e<strong>in</strong> Paradigma fallen, def<strong>in</strong>ieren<br />

kann. E<strong>in</strong> Paradigma kann dabei offen oder<br />

geschlossen se<strong>in</strong>.


Paradigma 1:<br />

Paradigma 2:<br />

Paradigma 3:<br />

Paradigma 4:<br />

Substantiv<br />

Soziale<br />

Schicht<br />

Verbalphrase<br />

Nahrungsaufnahme<br />

Verbalphrase<br />

Erholung<br />

Präpositionalobjekt<br />

Ort der Erholung<br />

Der König<br />

speist<br />

und ruht<br />

im Himmelbett<br />

Der Bürger<br />

isst<br />

und schläft<br />

im Sessel<br />

Der Bettler<br />

frisst<br />

und pennt<br />

auf dem Strohsack


Syntagma =<br />

Als Syntagma bezeichnet man e<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>eare<br />

Verknüpfung, bei der aus Paradigmen jeweils e<strong>in</strong>e<br />

Alternative gewählt wird. E<strong>in</strong> Syntagma ist also immer<br />

<strong>die</strong> konkrete Realisation aus verschiedenen<br />

Paradigmen.


Paradigma als Achse der Selektion<br />

Syntagma als Achse der Komb<strong>in</strong>ation


Paradigma 1:<br />

Paradigma 2:<br />

Paradigma 3:<br />

Paradigma 4:<br />

Substantiv<br />

Soziale<br />

Schicht<br />

Verbalphrase<br />

Nahrungsaufnahme<br />

Verbalphrase<br />

Erholung<br />

Präpositional-objekt<br />

Ort der Erholung<br />

Syntagma 1<br />

Der König<br />

speist<br />

und ruht<br />

im Himmelbett<br />

Syntagma 2<br />

Der Bürger<br />

isst<br />

und schläft<br />

im Sessel<br />

Syntagma 3<br />

Der Bettler<br />

frisst<br />

und pennt<br />

auf dem Strohsack


Semantische Isotopie<br />

Unter semantischer Isotopie versteht man <strong>die</strong><br />

Dom<strong>in</strong>antsetzung e<strong>in</strong>es oder auch mehrerer<br />

semantischer Merkmale <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Syntagma.


Paradigma 1:<br />

Paradigma 2:<br />

Paradigma 3:<br />

Paradigma 4:<br />

Substantiv<br />

Soziale<br />

Schicht<br />

Verbalphrase<br />

Nahrungsaufnahme<br />

Verbalphrase<br />

Erholung<br />

Präpositional-objekt<br />

Ort der Erholung<br />

Syntagma 1<br />

Der König<br />

speist<br />

und ruht<br />

im Himmelbett<br />

Syntagma 2<br />

Der Bürger<br />

isst<br />

und schläft<br />

im Sessel<br />

Syntagma 3<br />

Der Bettler<br />

frisst<br />

und pennt<br />

auf dem Strohsack


E<strong>in</strong> Paradigma def<strong>in</strong>iert sich durch:<br />

Äquivalenz = Gleichwertigkeit<br />

Antonymie = graduelle Abstufung<br />

E<strong>in</strong> Syntagma def<strong>in</strong>iert sich durch:<br />

Kontiguität = semantische Berührung


Jakobsons Gesetz<br />

„Die poetische Funktion überträgt das Pr<strong>in</strong>zip der<br />

Äquivalenz von der Achse der Selektion auf <strong>die</strong> Achse<br />

der Komb<strong>in</strong>ation.“


(Jahreszeiten:)<br />

Herbst<br />

Sommer<br />

Frühl<strong>in</strong>g<br />

W<strong>in</strong>ter<br />

(w-)<br />

W<strong>in</strong>ter<br />

Weichen<br />

usw.<br />

(l-)<br />

Licht<br />

leuchten<br />

usw.<br />

„W<strong>in</strong>terstürme wichen dem Wonnemond / <strong>in</strong> mildem / Lichte leuchtet der Lenz.“


Kode<br />

metasprachlich<br />

Sender<br />

emotiv/expressiv<br />

Kanal<br />

phatisch<br />

Nachricht<br />

poetisch<br />

Empfänger<br />

konativ/appellativ<br />

Kontext/Referent<br />

referenziell


LINGUISTIK / LITERATURWISSENSCHAFT<br />

Autor<br />

Sprache<br />

Text<br />

andere Texte<br />

Leser<br />

historisch<br />

psychologisch<br />

sozial<br />

Literatursoziologie,<br />

Literaturpsychologie<br />

L<strong>in</strong>guistik,<br />

<strong>Literaturwissenschaft</strong>,<br />

Semiotik,<br />

Literaturgeschichte,<br />

Mentalitätsgeschichte<br />

historisch<br />

psychologisch<br />

sozial<br />

Literatursoziologie,<br />

Wahrnehmungspsych.


Mögliche Relationen von<br />

Senderkode und<br />

Empfängerkode<br />

ZSa = ZSr ZSa ZSr ZSa ZSr ZSa ZSr<br />

Extremfall: vollst.<br />

Verstehen<br />

Skala der Normalfälle:<br />

partielles Verstehen<br />

Extremfall: totales<br />

Nicht-Verstehen


KWa = KWr KWa KWr KWa KWr KWa KWr<br />

Extremfall:<br />

vollst. Identität<br />

Skala der Normalfälle:<br />

partielle Identität<br />

Extremfall: vollst.<br />

Nicht - Identität<br />

Mögliche Relationen des<br />

kulturellen Wissens von<br />

Sender und Empfänger


Der Relevanz von Autor und<br />

Rezipient für <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />

Interpretation literarischer Texte.


Drei Klassen möglicher m<br />

Textbedeutung<br />

1. Die möglicherweise vom Autoren<br />

<strong>in</strong>ten<strong>die</strong>rte Bedeutung<br />

2. Die möglicherweise von e<strong>in</strong>em<br />

Rezipienten e<strong>in</strong>em Text zugeordnete<br />

Bedeutung<br />

3. Die faktisch nachweisbare Bedeutung<br />

des Textes<br />

Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Interpretation von<br />

Texten ist ausschließlich <strong>die</strong> nachweisbare Textbedeutung,<br />

gleichgültig, ob sie vom Autor <strong>in</strong>ten<strong>die</strong>rt wurde oder von<br />

e<strong>in</strong>em Rezipienten wahrgenommen wird.


Sprachliche und vor allem<br />

literarische Texte können sich durch<br />

Ambiguität (= Mehrdeutigkeit)<br />

auszeichnen.


Auf e<strong>in</strong>e Lampe<br />

Noch unverrückt, o schöne Lampe, schmückest du,<br />

An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier,<br />

Die Decke des nun fast vergeßnen Lustgemachs.<br />

Auf de<strong>in</strong>er weißen Marmorschale, deren Rand<br />

Der Efeukranz von goldengrünem Erz umflicht,<br />

Schl<strong>in</strong>gt fröhlich e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>derschar den R<strong>in</strong>gelreihn.<br />

Wie reizend alles! Lachend und sanfter Geist<br />

Des Ernstes doch ergossen um <strong>die</strong> ganze Form -<br />

E<strong>in</strong> Kunstgebild der echten Art. Wer achtet se<strong>in</strong>?<br />

Was aber schön ist, selig sche<strong>in</strong>t es <strong>in</strong> ihm selbst.<br />

Eduard Mörike<br />

(1804-1875)


1. Weder e<strong>in</strong>e möglicherweise <strong>in</strong>ten<strong>die</strong>rt noch e<strong>in</strong>e<br />

willkürlich dem Text möglicherweise zugesprochene<br />

Bedeutung können aus dem literarischen Text selbst<br />

geschlossen werden.<br />

2. Autoren<strong>in</strong>tention oder Rezipientenme<strong>in</strong>ungen können<br />

nicht <strong>die</strong> wissenschaftliche Interpretation e<strong>in</strong>es<br />

literarischen Textes und damit <strong>die</strong> Rekonstruktion der<br />

faktischen Textbedeutung ersetzen.<br />

3. Instanz für <strong>die</strong> Textbedeutung s<strong>in</strong>d also der Text selbst<br />

und <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen der ursprünglichen<br />

Kommunikationssituation, <strong>in</strong> der der Text verfasst wurde<br />

(Stufe des Sprachsystems und zeitgenössisches<br />

kulturelles Wissen)


1. Kompetenz der vom Text verwendeten Sprache<br />

2. Kenntnis des für den Text relevanten Wissens der<br />

Kultur, der der Text angehört<br />

3. Beobachtbare Textdaten und alle ihre Verknüpfungen<br />

untere<strong>in</strong>ander.


MERKSÄTZE<br />

Man darf also nicht unentscheidbare Spekulationen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Interpretation<br />

e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.<br />

Man darf nicht subjektive, nur e<strong>in</strong>em selbst<br />

zugängliche Assoziationen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Interpretation<br />

e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.<br />

Man darf Textsachverhalten ke<strong>in</strong>e Werte<br />

zuschreiben, <strong>die</strong> nicht aus dem Text selbst oder<br />

aus dem kulturellen Wissen des Textes gefolgert<br />

werden können.<br />

Man darf ke<strong>in</strong>e sonstigen re<strong>in</strong> persönlichen<br />

Stellungnahmen oder Überzeugungen als<br />

Interpretationsergebnis behandeln.


Berta: „…und du sagst, mit me<strong>in</strong>em Gefühl stimmt etwas nicht?“


Interpretation nötign<br />

Interpretation nötign<br />

LITERARISCHER TEXT<br />

TEXT ÜBER DEN LITERARISCHEN TEXT<br />

Verlagerung des Interpretationsproblems &<br />

Potenzierung der Interpretationsbedürftigkeit<br />

rftigkeit

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