Handreichung Sprachbildung Sek I (pdf, 1.2 MB) - LIS - Bremen
Handreichung Sprachbildung Sek I (pdf, 1.2 MB) - LIS - Bremen
Handreichung Sprachbildung Sek I (pdf, 1.2 MB) - LIS - Bremen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Handreichung</strong> zum <strong>Sprachbildung</strong>skonzept – <strong>Sek</strong>undarstufe I<br />
Zu bedenken ist, dass es eines Kraftaktes bedarf, das Lesen zu trainieren, da wir eigentlich nicht<br />
darauf „angelegt“ sind. Der Mensch hat Interesse, sich fortzupflanzen; Lesen war in diesem Kontext<br />
nicht unbedingt vorgesehen 50 . Lesen muss also trainiert werden, damit irgendwann Lust dabei<br />
entwickelt werden kann.<br />
Die Situation von Leseunlust, Ergebnisse von Vergleichsstudien und auch die Zahl funktionaler Analphabeten<br />
ändert sich trotz großer Bemühungen nicht … Was wird ggf. noch nicht genügend berücksichtigt?<br />
Jungen und Mädchen lesen anders, lesen Anderes und geben dem Lesen eine andere Bedeutung.<br />
Jungen lesen sachorientiert, die Texte müssen zu Beginn spannend sein und Bücher werden ggf.<br />
sogar mehrfach gelesen. Dabei darf der Text im Idealfall eine grafische Unterstützung haben, d. h.,<br />
er sollte Bilder und Tabellen enthalten. Jungen lesen Sachbücher, Comics, auch mal eine Fußballzeitung<br />
oder auch Harry Potter. Mädchen fühlen sich eher durch Geschichten angesprochen. Die<br />
Auswahl geschlechtsspezifischen Lesestoffes wird an der Erfurter Studie zur Entwicklung von Lesemotivation<br />
bei Grundschülern deutlich: Während Jungen Abenteuergeschichten und Sachbücher<br />
sowie Fantasy an erste Positionen setzen, stellen Mädchen diese Bücher zwar nicht auffallend zurück,<br />
greifen aber ebenso gern auch zu Märchen und Tiergeschichten. Wahre Geschichten haben<br />
insgesamt nur einen Beliebtheitsgrad von 25 %. Gerade solche Texte werden aber in Schule häufig<br />
gewählt …<br />
Kinder steigen innerlich aus, wenn Bücher nicht interessant sind oder die Helden nicht ihrem<br />
Selbstbild entsprechen. Positive weibliche Heldinnen in Büchern stellen für viele der Jungen keinen<br />
Leseanreiz dar. Jungen suchen ihre Identität und streben nach einem anderen Selbstbild: Für<br />
sie zählt sportlich, reich, berühmt, erfolgreich (nicht weiblich, zickig …). Sie wollen Neues, Beeindruckendes,<br />
Einzigartiges. Die Kinder sollten daher bei ihrer Faszination und ihrem Interesse abgeholt<br />
werden. Vermittelt werden muss dabei, dass Lesen auch „männlich“ ist.<br />
Das Schulsystem ist gerade in der Grundschule und der SEK I aber stark feminisiert. Es fehlen<br />
männliche Lesevorbilder, die diesem Selbstbild entsprechen und Lesen propagieren. Außerdem<br />
können Männer den Peerdruck, der Jungen vom Lesen abhält, positiv umkehren.<br />
Was kommt erschwerend hinzu? 80 % derjenigen, die Bücher konsumieren, sind Frauen. Auch Cover<br />
werden daher im Wesentlichen für Frauen entworfen …<br />
Eine weitere Frage ist, in wieweit Bildschirmmedien Einfluss nehmen. Mädchen nutzen Bildschirmmedien<br />
als Ergänzung, Jungen als Ersatz. Erwiesen ist: Wer ein guter Leser ist, wird auch ein<br />
guter PC-Nutzer.<br />
Welche Möglichkeiten können in der Schule und zu Hause „greifen“?<br />
• Das Erzählen von Geschichten und das gemeinsame Lesen fördern: Dies muss auch<br />
zu Hause stattfinden, damit nicht nur vor dem Fernseher oder dem PC konsumiert<br />
wird. Das ist allerdings Arbeit … Liest ein Sechstklässler nicht, dann ist er nicht erst<br />
mit zwölf Jahren in der Schule ein Nicht-Leser geworden.<br />
• Kinder können durch Lesen eine ruhige innere Haltung zu sich und ihrem Umfeld gewinnen,<br />
vor allem, wenn sie mit dieser Emotionalität groß werden. Bei dem Lesen<br />
von Gute-Nacht-Geschichten beispielsweise geht es um Vermittlung von Sicherheit,<br />
es geht um das Kuscheln und die wohlige Situation. Nur so wird Lesen mit etwas Positivem<br />
verbunden. Lesekompetenz muss ab der frühen Kindheit gefördert werden<br />
und beginnt mit dem Singen eines Kindes in den Schlaf. Dieses emotionale Band kann<br />
weder der Fernseher noch der Computer bieten.<br />
• Rituale sind wichtig: Das Einführen von Lesezeiten sollte verbunden werden mit dem<br />
Ansprechen „aller Sinne“, dies kann sensorisch, mit Keksen, Kakao, angenehmen Gerüchen<br />
etc. verbunden sein (Hinweis auf Leseevents wie z. B. „Lunch Bunch“ 51 ).<br />
50<br />
Siehe Müller-Walde, Katrin: Warum Jungen nicht mehr lesen und wie wir das ändern können, , Campus Verlag, Frankfurt<br />
am Main, 2010, Kapitel 5, S. 73 ff.<br />
39