Integrationsjournal November 2013 - Lehrerweb
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I-JOURNAL<br />
Der Stadtschulrat für Wien informiert<br />
<strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
THEATER<br />
selber machen<br />
Projekt „2050-Alle Menschen sind gleich“<br />
Fotos Copyright: Andreas Langeder
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Alle Fotos des Titelblattes gehören zu dem Artikel von Seite 48:<br />
THEATER selber machen: Projekt „2050-Alle Menschen sind gleich“<br />
2
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Inhalt<br />
Eine kleine Geschichte............................................................................................................................4<br />
Eine Ära geht zu Ende ...........................................................................................................................6<br />
Zur Pensionierung von BSI RR Richard Felsleitner................................................................................8<br />
Richard Felsleitner - eine Fotogeschichte.............................................................................................10<br />
Supervision als Angebot für professionelle Weiterentwicklung.............................................................16<br />
MOKI-Wien in den Schulen – ein Rückblick – die Gegenwart – und eine Vision für die Zukunft..........19<br />
Spitalspädagogin/Spitalspädagoge – Portfolio Wilhelminenspital.........................................................21<br />
Mein Leben als autistische Frau............................................................................................................25<br />
Rezension „Überraschend anders: Mädchen und Frauen mit Asperger“..............................................27<br />
Roma-Schulmediation an Wiener Schulen............................................................................................28<br />
Integrative Lernwerkstatt Brigittenau - ILB............................................................................................33<br />
My Fair Lady: Theaterspiel – ein Inklusionsprojekt...............................................................................43<br />
Wir stellen vor: Neue LeiterInnen im 17. IB...........................................................................................47<br />
THEATER selber machen: Projekt „2050-Alle Menschen sind gleich“..................................................48<br />
Rhythmus in die Schule!........................................................................................................................50<br />
„Du fühlst, ich höre, wir musizieren – ein Dialog“..................................................................................54<br />
YES, WE CAN! – Wie Rechnen für Menschen mit Down Syndrom auch Spaß machen kann.............58<br />
Ein Comeniusprojekt zur Inklusion: „Experts Academy“........................................................................62<br />
Dank an das SPZ 20.............................................................................................................................70<br />
Caritas & Du - Kinderhotel <strong>2013</strong>/14.......................................................................................................72<br />
Liebe Leserin! Lieber Leser!..................................................................................................................74<br />
3
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Eine kleine Geschichte<br />
Es war noch gar nicht so lange her, als Kinder und Jugendliche einfach als unfertige Erwachsene betrachtet<br />
wurden, deren Heranwachsen Züchtigung und Disziplin erforderte. Sie konnten Erziehung zur Mündigkeit<br />
noch nicht erleben. Die Rituale der Disziplin kannten den Begriff der Selbstständigkeit und des freien Denkens<br />
in keiner Form. Der höchste ethische Anspruch an jede erzieherische Tätigkeit, den Menschen niemals<br />
als Mittel sondern als Zweck an sich selbst anzusehen, ist erst ein Produkt der Aufklärung.<br />
Am 6. Februar 1721 wird in der norddeutschen Hansestadt Lübeck der kleine Christian Heineken geboren.<br />
Schon in frühester Zeit, im zarten Alter von 10 Monaten, gelingt es ihm zu sprechen, Bilder zu erkennen und<br />
Begriffe eindeutig zu verwenden. „Dat is een Perd, dat is´n Katt un dat is een Kerkturm.“ Das Baby lernt in<br />
weiterer Folge in atemberaubenden Geschwindigkeit dazu. Laut historischen Berichten war sein Gedächtnis<br />
phänomenal. Einmal Gehörtes wurde nicht mehr vergessen. Bibelzitate wurden ihm dabei ebenso geläufig<br />
wie Genealogien von Königshäusern. Angeblich beherrschte er mit 14 Monaten das Alte Testament,<br />
konnte 80 Psalme rezitieren, und erlernte pro Woche rund 150 lateinische Vokabeln.<br />
Sehr bald zog Christian das hohe Interesse von Gelehrten und Monarchen auf sich. Er wurde in kürzester<br />
Zeit als Wunderkind angesehen, in einer Zeit, die in den Nachwehen des großen Nordischen Krieges in<br />
der Hochblüte des Barock stand. Sogar auf die Titelseite einer „moralischen Wochenschrift“, genannt „Der<br />
Patriot“ (Vorläufer der Zeitschrift „Die Zeit“), wurde die Geschichte des damals dreijährigen Kindes gesetzt.<br />
Der Wunderknabe interessierte das Publikum. Die ersten Wunderkindtouristen besuchten Lübeck, unter<br />
ihnen auch der Musiker Georg Philipp Telemann, der dem Kind mit folgenden Worten begegnete: „Wahrlich,<br />
wäre ich ein Heide, ich würde meine Knie beugen und dieses Kind anbeten.“ Intellektuell entwickelte<br />
sich Christian stetig. Sein Lieblingsbuch, Orbis sensalium pictus (Jan Amos Comenius), kannte er praktisch<br />
auswendig.<br />
Doch ein anfangs wenig beachteter Umstand erschwerte Christian zunehmend die Freude am Leben. Gegen<br />
seinen Willen sollte er von der Brust der Säugeamme im 2. Lebensjahr entwöhnt werden. Es stellte sich<br />
in weiterer Folge heraus, dass er jede andere Nahrungsform verweigerte, so dass es nahezu unmöglich<br />
war, auf Sophie, die Amme, zu verzichten. Zwar kannte er die Namen der unterschiedlichsten Nahrungsmittel,<br />
wusste über deren Herkunft Bescheid, doch eine innere Abwehr sorgte dafür, dass er zeit seines<br />
Lebens niemals eine Gabel oder einen Löffel nutzen würde, niemals seine Zähne verwenden würde um<br />
zu kauen oder zu beißen. Die Ratlosigkeit der Erwachsenen war umfassend. Wie konnte es sein, dass ein<br />
Kind, das Kenntnis von der Heiligkeit des Brotes durch das Neue Testament gewonnen hatte, sich diesem<br />
und auch allen anderen Speisen verweigerte? Immer wieder wurden dem Kind Nahrungsmittel eingeflößt,<br />
doch mit jeder Nahrung traten verstärkte Durchfälle und Schwächeanfälle auf. So stark, dass es ihm nicht<br />
einmal möglich war, einen Stift zu halten oder Buchseiten umzublättern. Doch sein Geist blieb phänomenal.<br />
Sein Gedächtnis, jedenfalls ein lexikalisches, schien nichts zu vergessen.<br />
Am 9. September 1724 erhielt Christian eine Audienz beim König Friedrich in Kopenhagen. Einige Tage<br />
zuvor war er mit Familie und Amme bereits angereist. Wiederum plagten ihn Schwächezustände und Fieberkrämpfe.<br />
Am Tag der Audienz war Christian völlig geschwächt und gestand dem König: „Rebus adversis<br />
melius sperare memento.“ (In Notzeiten bleibt nur die Hoffnung auf Besserung.) Dennoch setzte er<br />
nach kurzem Schlaf zu einer sehr langen Ansprache an, zitierte die Abstammung des Königshauses mit<br />
untertänigsten Phrasen, erzählte biblische Stellen und schilderte geographische Kenntnisse. Als das Kind<br />
erschöpft zurücksank, erhielt die Amme die Erlaubnis, Christian die Brust zu reichen. Ein Umstand, der<br />
Spekulationen antrieb, dass die schweren Darmstörungen durch die aus den Brüsten der Amme gesogene<br />
Milch hervorgerufen wurden. An Stelle der Milch wurde Christian Heineken oftmals Brotbrei vorgesetzt,<br />
denn Brot, als von Gott gesegnete Speise, sollte als Heilung dienen.<br />
4
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Am 27. Juni 1725 verstarb der vierjährige Christian an völliger Schwäche. Jahrhunderte später gelang es,<br />
an Hand der überlieferten Dokumente, den ersten Fall von Zöliakie zu diagnostizieren. Das zur Würdelosigkeit<br />
hochgefeierte und domestizierte Kind wurde in seinen wichtigsten und persönlichsten Belangen nicht<br />
ernst genommen, es verstarb qualvoll an seinen Leiden. Die Welt der Erwachsenen hatte einige Jahre ihr<br />
Spielzeug. (vgl. Die Zeit: 22.12.1999)<br />
Wenn in diesem Jahr Bezirksschulinspektor Richard Felsleitner in den Ruhestand tritt, dann ist es noch<br />
mehr unsere Aufgabe, seine vorbildliche Haltung - den unbedingten Respekt vor jeder Persönlichkeit, ganz<br />
gleich was ihre Biographie war und ist, welches körperliche Leiden sie hat - zu bewahren. Als Freund und<br />
Kollege darf ich stolz sagen, Richard hat diese Einstellung authentisch vorgelebt: Haltung hat auch immer<br />
mit Wahrhaftigkeit zu tun. Es liegt an uns Pädagoginnen und Pädagogen, dass Kinder niemals wieder das<br />
Spielzeug einer Welt der Erwachsenen sein dürfen.<br />
Rupert Corazza<br />
Landesschulinspektor für Inklusion<br />
5
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Eine Ära geht zu Ende ...<br />
Regierungsrat Richard Felsleitner hat sich entschieden mit Ende <strong>November</strong> <strong>2013</strong> seine berufliche Tätigkeit<br />
im Stadtschulrat für Wien zu beenden.<br />
Mit ihm geht eine langjährige erfolgreiche Ära im sonderpädagogischen Bereich des Wiener Schulwesens<br />
zu Ende. Ich bin überzeugt, dass neben der Darstellung des beruflichen Werdeganges des scheidenden<br />
Inspektors auch zahlreiche Interpretationen zur pädagogischen Bedeutung seines Wirkens zu hören und<br />
zu lesen sein werden.<br />
Nahezu zwanzig Jahre hatte ich das Vergnügen Seite an Seite mit Richard Felsleitner zu arbeiten und ich<br />
möchte in diesem Artikel die menschlichen Aspekte, die sich in all den Jahren für mich immer wieder ganz<br />
deutlich abzeichneten, aus meiner Sicht darstellen.<br />
Bei allen Fällen, die mein lieber Kollege und Freund Richard Felsleitner behandelte und die wir erfreulicherweise<br />
häufig auch gemeinsam lösten, brachte er immer wieder differenzierte Sichtweisen ein. Zu aller erst<br />
stand für ihn immer die Frage im Zentrum, was die angedachte Lösung für das betroffene Kind bzw. die<br />
betroffenen Kinder und ihre Eltern an Auswirkung bringen würde, aber auch die Folgen für die LehrerInnen<br />
wurden von ihm immer mitbedacht.<br />
Umfassenden Überlegungen wurden von ihm sowohl in Einzelfällen als auch hinsichtlich grundlegender<br />
gesetzlicher Bestimmungen angestellt.<br />
Dieser primär kindzentrierte Ansatz zeichnete Kollegen Felsleitner aus und führte immer wieder zu Kontrapositionen<br />
zu anderen sogenannten Fachleuten, die deutlich organisatorische, finanzielle und andere<br />
formale Argumente in den Vordergrund schoben.<br />
Hier ist der Punkt, wo unbedingt erwähnt werden muss, dass Richard in zahlreichen Fällen ungemein fantasievolle,<br />
aber stets kindzentrierte Lösungen kreierte, die häufig nur mehr dem Schlagwort „sich in Rufweite<br />
des Gesetzes zu befinden” entsprachen. Dass solche Lösungen immer wieder zu sorgenerfüllten Zwischenrufen<br />
der Rechtsabteilung, der Personalabteilung und Abteilungen des Stadtschulrates bzw. diverser<br />
Ministerien führten, muss hier nicht mehr besonders festgehalten werden.<br />
Wer, so wie ich, das Vergnügen hatte, ihn in konkreten Begegnungen mit Kindern und Eltern zu erleben, der<br />
weiß, wie gut und diplomatisch er einerseits auf Kinder eingehen konnte andererseits bei Bedarf aber auch<br />
sehr klar und kompromisslos mit Eltern umging. Er zeigte sowohl Kindern als auch Eltern und Erziehungsberechtigten<br />
sehr deutlich, wo Grenzen gesetzt und eingehalten werden müssen.<br />
In vielen Fällen vereinbarten wir eine „Doppelconference”, wobei vorher festgelegt wurde, wer die Rolle<br />
des „guten” und wer die Rolle des „bösen” Inspektors übernehmen würde und wir erzielten mit dieser Vorgangsweise<br />
immer wieder frappante Erfolge. Das Modell der Doppelconference wurde von uns auch in den<br />
Bereich von Referaten zu (sonder-)pädagogischen Themen erfolgreich übernommen und wir „tingelten” mit<br />
unserer pädagogischen Show zum Wiener Modell der Integration durch viele österreichische und deutsche<br />
Bundesländer, aber auch durch die Schweiz.<br />
Ich muss aber im Zusammenhang mit dieser hohen persönlichen Qualität Richards hier auch eine Besonderheit<br />
in seiner Art zu arbeiten anmerken, die mir immer wieder Sorge bereitete. Er war in Konfliktsituationen<br />
eigentlich zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar und dann auch bereit, sich wirklich lange und ausführlich<br />
mit dem jeweiligen Fall und den involvierten Menschen zu beschäftigen. Dieser außerordentliche<br />
klientenzentrierte Ansatz brachte ihn in den vielen Jahren seiner beruflichen Tätigkeit immer wieder an die<br />
Grenzen seiner sowieso weit über dem Durchschnitt liegenden Leistungsfähigkeit.<br />
Er verstand es sehr gut, in Bereichen außerhalb seines Berufs neue Kräfte zu tanken. Jeder, der ihn auf<br />
einem seiner exquisiten Fahrräder anbrausen sah, konnte erleben, dass Richard eine, für einen Regierungsrat<br />
sichtlich außergewöhnliche Art der Fortbewegung liebt.<br />
Sein hohes Fachwissen auf künstlerischem Gebiet beeindruckte immer wieder Insider, sowohl im Bereich<br />
der Oper und der klassischen Musik als auch beim Jazz, ganz zu schweigen von Theater und Film bis hin<br />
zum Kabarett.<br />
6
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Und ganz offen stand er zu seiner Fußballleidenschaft, wobei ihm seine Rapidler sicher das eine oder andere<br />
graue Haar beschert haben.<br />
Wenn ich spontane Assoziationen zu Richard bilden sollte, so würde mir der Begriff „Humanist” wohl sehr<br />
schnell einfallen.<br />
Diese Menschlichkeit spiegelt sich nicht nur in universellen Bereichen wie in den von ihm begleiteten großen<br />
Gesetzesvorhaben zur Integration, im Bereich der Kinder mit dissozialem Verhalten, der Heilstättenschule,<br />
etc. wider, sondern lässt sich für mich noch viel besser in der Form ablesen, wie er seine täglichen<br />
Begegnungen mit Menschen abwickelte. Wie respektvoll er mit den Lehrmädchen in seiner Kanzlei umging,<br />
wie er empathisch vom Schicksal betroffener Eltern sprach, deren Kind nach einem Unfall schwer<br />
beeinträchtigt blieb, wie fachgerecht er ratsuchende Lehrerinnen und Lehrer beriet und ermutigte, ihre<br />
verantwortungsvolle und schwere Arbeit weiterzuführen.<br />
Ein weiterer Aspekt in der Form, wie mein geschätzter Kollege seine wirklich an die Grenzen der Leistbarkeit<br />
gehende Arbeit bewältigten konnte, war sein Humor. Eine Eigenschaft, die nicht jeder gleich auf den<br />
ersten Blick wahrnehmen konnte, aber jene Menschen, die ihn näher und besser kennenlernen durften,<br />
werden jetzt sofort wissen, was ich meine. Seine Form des Humors war feinsinnig, nie verletzend und damit<br />
für ihn ein ganz wichtiges „Überlebensmittel”.<br />
Ich bin sehr zuversichtlich, dass Richard den neuen Freiraum wirklich genießen wird, seinen zahlreichen<br />
Hobbys endlich entspannt und selbstbestimmt nachgehen kann.<br />
Dieser Artikel muss aber unbedingt auch dazu dienen, Richard persönlich zu danken. Zu danken für seine<br />
Freundschaft und hohe Menschlichkeit in der jahrzehntelangen Zusammenarbeit zum Wohle unserer „Sorgenkinder”<br />
und ihrer Eltern, aber auch zum Ansehen Wiens im Bereich einer außergewöhnlichen integrativen<br />
Sonderpädagogik.<br />
Gerhard Tuschel<br />
7
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Zur Pensionierung von BSI RR Richard Felsleitner<br />
BSI RR Richard Felsleitner geht mit 1. Dezember <strong>2013</strong> in seiner Funktion als Bezirksschulinspektor,<br />
zuständig für den 18. Inspektionsbezirk, in den wohlverdienten Ruhestand.<br />
Er war in der Funktion des BSI für den 18. IB sowohl für die Spartenschulen der<br />
sehbehinderten, schwerhörigen und körperbehinderten Kinder und für die Heilstättenschule<br />
als auch für die Sonderpädagogischen Zentren für verhaltensauffällige Kinder<br />
zuständig, wo auch seine Wurzeln im Einsatz für sozial-emotional benachteiligte Kinder<br />
zu finden sind.<br />
Foto: Eva Kunz<br />
Richard Felsleitner hat bereits bei seinem Einstieg in den Lehrberuf als vertraglicher Volksschullehrer an<br />
der Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder in der Schwarzingergasse 4 in seinem ersten Schuljahr<br />
Erfahrungen im Umgang mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen gesammelt.<br />
Nach diesem Jahr wechselte er an den Standort der Hauptschule Leipziger Platz 2, wo er sein Engagement<br />
für Schüler und Schülerinnen als Lehrer der Fächer Deutsch sowie Geschichte und Sozialkunde fortsetzte.<br />
Bereits zu dieser Zeit war ihm die soziale Integration ein wichtiges Anliegen und er ging mit seinem persönlichen<br />
Einsatz weit über die reine Lehrtätigkeit hinaus. Er arbeitete schon damals daran, Eltern davon zu<br />
überzeugen, dass ein Schulabschluss für die Zukunft ihrer Kinder wichtig ist und tat dies, wenn notwendig,<br />
auch außerhalb der Schule, um auch weniger schulinteressierte Erziehungsberechtigte zu erreichen.<br />
Um auch andere junge Lehrer und Lehrerinnen für seine Anliegen zu gewinnen, engagierte er sich als<br />
Junglehrervertreter.<br />
Folgerichtig vollzog er 1984 als nächsten logischen Schritt den Sprung in den verhaltenspädagogischen<br />
Bereich und wurde der Sondererziehungsschule Galileigasse 3 im 9. Bezirk zugeteilt. Dort setzte er sein<br />
Engagement für sozial deprivierte Kinder in den unterschiedlichsten Bereichen fort. So arbeitete er als Beratungslehrer,<br />
als Förderklassenlehrer und im damaligen Jugendgerichtshof Rüdengasse als Klassenlehrer<br />
für inhaftierte schulpflichtige Jugendliche und wurde dadurch mit allen Tätigkeitsbereichen des Standortes<br />
vertraut.<br />
Zwischenzeitlich wurde er Mitarbeiter in der damals noch sehr neuen Integrationsberatungsstelle zur Betreuung<br />
und Koordination des Schulversuchs „Integrationsklassen“.<br />
1991 wurde Richard Felsleitner zum Leiter der Sondererziehungsschule Galileigasse 3 ernannt, wo er<br />
durch seine genaue Kenntnis aller zu diesem Standort gehörigen Bereiche seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
sehr spezifisch unterstützen konnte.<br />
Drei Jahre später übernahm er die Agenden des Bezirksschulinspektors für den 20. Bezirk mit der zusätzlichen<br />
Aufgabe, den für die Beschulung bzw. Betreuung verhaltensauffälliger Kinder zuständigen Bereich<br />
zu koordinieren.<br />
1995 erfolgte die Neugründung des 18. Inspektionsbezirks mit den Sonderpädagogischen Zentren für sozial-emotional<br />
benachteiligte Kinder sowie den Spartenschulen und der Heilstättenschule. Richard Felsleitner<br />
wurde zum Leiter dieses neuen Inspektionsbezirks ernannt. Dabei zeigte er sich immer sehr offen<br />
für Ideen, die versuchten, den besonderen Gegebenheiten sowohl der Standorte als auch der Schüler und<br />
8
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Schülerinnen zu entsprechen. So entstanden Modelle wie z.B. die Nestklasse (Beschulung introvertiertneurotischer<br />
Kinder), Schlangenfuß (niederschwellige Beschulung von Schulverweigerern), Mosaikklassen<br />
(verhaltensauffällige Kinder in der Schuleingangsphase) sowie die Einbeziehung tiergestützter Pädagogik<br />
in die Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen.<br />
Richard Felsleitner gelang es, durch seinen persönlichen und sehr zeitintensiven Einsatz über seine Funktion<br />
hinaus, sich ein sehr weites berufliches Netzwerk aufzubauen, welches er stets für die Anliegen der<br />
Kinder und der sie betreuenden Lehrer und Lehrerinnen zur Verfügung stellte.<br />
Ein wesentliches Anliegen war für ihn immer die Rückführung der vorübergehend in den Förderklassen beschulten<br />
Kinder in die Regelklassen. Auch hier waren ihm seine guten Kontakte zu den unterschiedlichsten<br />
Institutionen, Einrichtungen sowie Personen von hohem Nutzen. Aber auch die Ressourcen des eigenen<br />
Inspektionsbezirks ermöglichten ihm immer wieder neue, oft ungewöhnliche Lösungswege für schwierige<br />
Kinder in schwierigen Lebenssituationen zu finden. Trotz der großen Fülle an Aufgaben in seinem Bereich<br />
zeichnete ihn sein Arbeitsansatz aus, alle Beteiligten persönlich kennen zu lernen und sich von ihnen und<br />
der Situation ein Bild zu machen, bevor individuelle Angebote erarbeitet wurden.<br />
In diese Richtung zielte auch sein Anliegen, in den Sparteneschulen Integrationsklassen einzurichten, so<br />
dass auch an diesen Standorten eine Durchmischung von Kindern mit unterschiedlichsten Bedürfnissen<br />
ermöglicht wurde.<br />
Als jüngste Aufgabe wurde Richard Felsleitner die Fachaufsicht für den neu implementierten Bereich der<br />
Schulsozialarbeit übertragen, wo er als Vermittler in der Phase der Aufgabenklärung von beiden Seiten<br />
(LehrerInnen / SchulsozialarbeiterInnen) sehr gefordert war.<br />
Neben all diesen schulischen Tätigkeiten engagierte sich Richard Felsleitner in der außerschulischen Jugendarbeit<br />
im Verein „back bone“, wo er 1996 den Vorsitz dieses neugegründeten Vereins übernahm.<br />
Seine vielfältigen Beziehungen (zu Bewohnerinnen/Bewohnern, Lehrerinnen/Lehrern, BSI, …) zum 20.<br />
Bezirk waren ausschlaggebend dafür, die Vernetzung von Schule und Jugendarbeit zu unterstützen und<br />
zum Gelingen dieses Projekts beizutragen, um für Jugendliche der Brigittenau Angebote stellen zu können.<br />
Weiters zeigt sich seine Verbundenheit mit dem 20. Bezirk auch in der Übernahme der Funktion des Vorsitzenden<br />
des Vereins „Internat Brigittenau“ in der Stromstraße 34. Dort wird für 6 bis 15-jährige Kinder und<br />
Jugendliche sowohl Hort- als auch Internatsbetrieb angeboten, um auch in dieser Form Hilfestellungen für<br />
Familien zu schaffen.<br />
Richard Felsleitner war in einer Zeit der geringer werdenden Ressourcen und der damit einhergehenden<br />
Zunahme der Komplexität in der Kooperation mit anderen Institutionen DER Lobbyist für die Anliegen der<br />
sozial-emotional benachteiligten Kinder. Alle Kolleginnen und Kollegen, die sich wie er für diese Kinder engagieren,<br />
unabhängig davon, ob sie in der Schule oder in anderen Institutionen arbeiten, werden ihn und<br />
seinen hohen persönlichen Einsatz vermissen.<br />
Gabriele Schestauber<br />
Leiterin des Sonderpädagogischen Zentrums Galileigasse<br />
9
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Richard Felsleitner - eine Fotogeschichte<br />
Manchmal war es nicht so klar,<br />
was ihm durch den Kopf ging, ...<br />
Aber wenn es um Kinder und deren<br />
Wohlergehen ging, kannte er<br />
„keinen Spaß“, suchte und fand<br />
immer kreative, auf das Kind<br />
zugeschnittene Lösungen.<br />
Wie groß wohl die Schaltruhe von<br />
Richard zu Hause ist?<br />
Markenzeichen Schals: Diese gab es in<br />
unglaublich vielen Varianten, was das<br />
Design, die Stoffart und Farbe betrifft,<br />
und immer passend und perfekt auf die<br />
übrige Garderobe abgestimmt.<br />
„Nicht selten blitzte ihm der<br />
Schalk aus den Augen…“<br />
Bei den „unangekündigten<br />
Kontrollgängen“ in unser Büro<br />
(immer dann, wenn der Herr LSI<br />
auf Dienstreise war) betrat er mit<br />
ähnlicher Miene das Zimmer …<br />
10
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
„Guter Bulle, böser Bulle“ ...<br />
... die sind doch beide sehr lieb.<br />
Richard Felsleitner und Gerhard<br />
Tuschel haben in den<br />
unterschiedlichsten Situationen<br />
legendäre Doppelconferencen<br />
„performed“: vor Kindern und bei<br />
Elterngesprächen, Seminaren,<br />
Auslandsbesuchen, ...<br />
„Was früher das<br />
Gasthaus Schöfbeck“<br />
in Rudolfsheim-Fünfhaus<br />
war, wurde dann<br />
„Kern´s Beisl“ in der<br />
Inneren Stadt ...<br />
Ein Ort zum Entspannen,<br />
Plaudern, gut<br />
Essen, Schmäh führen<br />
oder Freunde treffen.<br />
„Ein „Schulausflug“ der<br />
„sonderpädagogischen Truppe“ –<br />
Hauptsache EINER hat den Plan …“<br />
Die Betriebsausflüge hatten besondere<br />
Qualität, da wir bei diesen sowohl im<br />
Arbeitskontext (Schulbesuche, Gespräche<br />
mit ExpertInnen) als auch in vielen<br />
anderen Lebenslagen gut harmonierten.<br />
11
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Ein kreativer Gedankenblitz,<br />
der auf der Stelle notiert<br />
werden muss?<br />
In der Realität hat sich Richard<br />
unglaublich viel gemerkt und nur<br />
selten etwas notieren müssen.<br />
Angesprochen auf ein Kind,<br />
wusste er beinahe immer sofort<br />
viele Details zum Fall.<br />
Der Traum jeder Frau: Ein Mann<br />
der gerne einkaufen geht …<br />
Schuhe sind eine Leidenschaft des<br />
Herrn Inspektors und ausschließlich<br />
aus edelsten Materialen und bester<br />
Werkstatt, sogar bei Sportschuhen<br />
(z.B. Yamamoto).<br />
12
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Diese Situation soll nicht<br />
näher ausgeführt werden;<br />
die dabei gewesen sind,<br />
wissen worum es ging.<br />
Großartig, wie sich Richard<br />
auf die unterschiedlichsten<br />
Menschen empathisch,<br />
sensibel, wertschätzend, …<br />
einstellen kann.<br />
„War das eine China Reise,<br />
oder was?“<br />
Jedenfalls war die Truppe gut<br />
gelaunt unterwegs.<br />
13
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
„Nicht immer alles tierisch ernst<br />
nehmen“ und „in Rufweite des<br />
Gesetzes agieren“ war ein nicht<br />
unwichtiges Motto der beiden<br />
kongenialen Partner.<br />
„Designerbrille,<br />
wallendes Haar,<br />
„gestylte“ Garderobe –<br />
Bobo oder Bohemien??“<br />
Wichtig war ihm immer, mit<br />
MENSCHEN ins Gespräch zu<br />
kommen, egal wo er sich<br />
befand – im „Citybezirk<br />
Brigittenau“, im Burgenland,<br />
oder sonst wo auf der Welt …<br />
14
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Die Integrationsberatungsstelle informiert<br />
BSI RR Richard Felsleitner geht mit 1.12. <strong>2013</strong> in Pension.<br />
Er wird uns fehlen und es wird uns abgehen,<br />
• dass unsere Bürotür aufgeht und Richard auf ein „Tratscherl“, eine „Kontrolle“ oder zur „spontanen<br />
Fallbesprechung“ kommt.<br />
• dass wir uns mit jemand über aktuelle Filme, neue CDs, Oper, Theater, Kabarett … austauschen<br />
können.<br />
• dass wir eine „lebendige Klagemauer“ mit viel Empathie und Verständnis haben können.<br />
• dass wir „liebevoll“ andere ausrichten können (mit Richard immer wertschätzend).<br />
• dass wir die neuesten Schuh– und Taschenmodelle besprechen können.<br />
• dass wir einen wunderbaren Freund und Kollegen nicht mehr im Haus haben werden.<br />
Wir wünschen dir, lieber Richard,<br />
• Gesundheit<br />
• Freude daran, dass du dein Leben selbstbestimmt gestalten kannst<br />
• dass es dir nicht abgeht, in manchen Bereichen nicht mehr „so“ wichtig zu sein<br />
• dass du wieder Lust zum Kochen bekommst (und uns einlädst …)<br />
• dass sich Freundschaften weiter erhalten<br />
• dass du ganz einfach wundervolle Pensionsjahre genießen kannst<br />
Danke für ALLES<br />
Brigitte und Judith<br />
15
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Supervision als Angebot für<br />
professionelle Weiterentwicklung<br />
Ein praktisches Beispiel gibt am besten Einblick in supervisorische Arbeit:<br />
Klassenlehrerin Lena S. und Integrationslehrer Klaus L. arbeiten beide in der 3. Klasse einer Wiener Volksschule.<br />
Klaus L. erzählt folgende Fallgeschichte:<br />
Denis, ein von ihm betreuter Bub, ist ein I-Kind mit großen sozialen Auffälligkeiten, zeigt deutliche Rückzugstendenzen<br />
und mangelnde Impulskontrolle. Seine Aggression richtet sich manchmal gegen sich selbst,<br />
manchmal gegen seine Umgebung, manchmal führt sie zu impulsivem Verlassen des Klassenraums und<br />
auch des Schulhauses. Da Klaus L. seine Integrationskinder aus gegebenen Anlass manchmal in einem<br />
anderen Raum unterrichtet und betreut, hat Klaus L. dann keine Handlungsspielräume, um in Situationen,<br />
in denen Denis aus dem Klassenraum stürmt, adäquat zu reagieren. Er kann weder die I-Kinder alleine<br />
zurücklassen und Denis folgen, noch ist es für ihn angebracht, bei den Kindern zu bleiben und Denis sich<br />
selbst unbeaufsichtigt zu überlassen. Sehr oft wünscht sich Klaus L. genau in solchen Situationen mehr<br />
Unterstützung von seiner Teamkollegin Lena S. Er kann diese Situation nicht alleine bewältigen.<br />
Integrationslehrer Klaus L. hat somit mit folgender Problemlage zu kämpfen:<br />
Er fühlt sich durch Denis zusehends in der Arbeit gemeinsam mit den sechs anderen I-Kindern überfordert,<br />
er hätte gerne in diesen fordernden Situationen mehr Unterstützung von Lena S., er sieht keine Handlungsoptionen<br />
mehr für sich. Wäre doch die Kompetenzaufteilung zwischen Klassenlehrerin und Integrationslehrer<br />
genauer festgelegt! Die Verantwortung für seine Schützlinge und speziell für Denis wird ihm allmählich<br />
zu schwer zu tragen.<br />
Nach einem Gespräch mit seiner Teamkollegin Lena S. haben beide das Gefühl, dass sich ihnen die Lage<br />
nur noch komplexer darstellt. Sie entschließen sich beide Supervision in Anspruch zu nehmen. Ihr Wunsch<br />
ist es, mehr gegenseitige Unterstützung zu erfahren und so die gemeinsame Verantwortung für die I-Klasse<br />
zu leben.<br />
In der Supervision führt sie die Supervisorin nach gemeinsamer Beschreibung ihrer unterschiedlichen Sicht<br />
auf die Problemlage zu einer klaren Formulierung von Zielen, für deren Erreichung die Lösungswege gefunden<br />
werden müssen.<br />
Die beiden arbeiten an folgenden Zielen:<br />
• Die Kooperation zwischen Klassenlehrerin und Integrationslehrer ist eine gelungene.<br />
• Die Handlungsmöglichkeiten in besonderen Situationen mit Denis sind erweitert.<br />
• Eine optimierte Zusammenarbeit bringt sowohl der Klassenlehrerin als auch dem Integrationslehrer<br />
Entlastung.<br />
Im Zuge des Supervisionsprozesses kommen die beiden zu folgenden Erkenntnissen: „Wir müssen unsere<br />
Arbeitsbereiche besser im Sinne gegenseitiger Entlastung in der Arbeit mit den Kindern definieren, damit<br />
wir wissen, wofür wer zuständig ist. Wir entwickeln ein funktionierendes Kooperationsmodell, damit wir<br />
auch in schwierigen Situationen handlungsfähig bleiben. Wir müssen unser Rollenverständnis professionell<br />
weiterentwickeln. Wir werden die Schulleitung besser einbinden.“<br />
Mit weiterer Begleitung der Supervisorin gelingt Lena S. und Klaus L. ihre Ziele zu erreichen. Sie sprechen<br />
sich regelmäßig über die Zusammenarbeit in der Klasse ab und reflektieren ihre Erfahrungen. Sie erleben<br />
eine vertiefte Kooperation, was ihren Handlungsspielraum in besonderen Situationen vergrößert. Die<br />
Einbindung der Schulleiterin bedeutet für die beiden Entlastung und den Gewinn neuer Perspektiven im<br />
Umgang mit Denis.<br />
16
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Supervision und Coaching sind neben der fachlichen und methodischen Fortbildung wichtige Säulen der<br />
professionellen Weiterentwicklung von Pädagog/inn/en. Supervision bezeichnet eine Beratungsform die<br />
darauf abzielt, die Handlungskompetenzen von Supervisand/inn/en in ihrem Berufsfeld auf anstehende<br />
Entscheidungen, neu zu entwickelnde Perspektiven, mögliche Entlastungen, bestehende Konflikte, neue<br />
Handlungsweisen u.v.m. zu erweitern. Supervisor/inn/en gehen auf die individuellen Bedürfnisse von Pädagog/inn/en<br />
unter Berücksichtigung unterschiedlicher Rahmenbedingungen ein und geben der Reflexion<br />
von Berufserfahrungen breiten Raum.<br />
Supervision für Pädagog/inn/en – ein Angebot der PH Wien<br />
Seit 19 Jahren besteht im Bundesland Wien das Wiener Modell – systemische Supervision für Pädagogen/<br />
innen aller Schularten zuerst als Angebot des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien, seit 2007 der Pädagogischen<br />
Hochschule der Stadt Wien. Im Kontext professioneller Weiterentwicklung von Pädagog/inn/en<br />
ergänzt sie Formen der kollegialen Kooperation und Beratung durch externe Begleitung.<br />
In einem bestimmten supervisorischen Setting werden häufig folgende Themen angesprochen:<br />
• Reflexion von Bedingungen für gelingenden Unterricht,<br />
• Fallarbeit (Klärungsarbeit betreffend Schüler/innen, deren Weiterentwicklung, Förderung; die Einbeziehung<br />
von Unterstützungssystemen, …),<br />
• Vermittlung von Wissen und Erfahrungsaustausch über Gruppenprozesse, Interaktionen und<br />
Kommunikationsstrategien,<br />
• Erfahrungsaustausch und Möglichkeiten des Erkennens von Handlungsoptionen,<br />
• Bearbeitung und Entwickeln von Lösungsstrategien<br />
von Problem- und Konfliktsituationen,<br />
• Klärungshilfen in schwierigen Berufssituationen<br />
und bei unklaren beruflichen<br />
Beziehungen,<br />
• Reflexion von Schulentwicklungsvorhaben<br />
und Schulentwicklungsmaßnahmen,<br />
• Möglichkeiten zur Rollen-, Funktionsund<br />
Aufgabenklärung,<br />
• Unterstützung und Stärkung bei Veränderungsprozessen<br />
und bei Neuorientierungen,<br />
• Begleitung bei der Entwicklung und<br />
Durchsetzung von Lösungsstrategien,<br />
Gruppensupervision bei Aufstellungsarbeit<br />
• Ermutigung zur Entdeckung eigener Ressourcen und Stärkung der persönlichen Kompetenzen in der<br />
Bewältigung des Berufsalltages.<br />
In der Supervision wird das berufliche Handeln im Rahmen des persönlichen, institutionellen und gesellschaftlichen<br />
Kontextes durchleuchtet, wodurch eine Weiterentwicklung professioneller Kompetenzen sowie<br />
ein bewussteres Aktivieren der Eigenressourcen ermöglicht werden. Neue Sichtweisen können so entdeckt<br />
und flexiblere Handlungsweisen gefunden werden, was zu größerer Klarheit und mehr Zufriedenheit im<br />
Berufsleben führen kann.<br />
17
Die folgende Graphik gibt einen Überblick I-JOURNAL über <strong>November</strong> das Angebot <strong>2013</strong> der „Supervision – das<br />
Wiener Modell“:<br />
Die folgende Graphik gibt einen Überblick über das Angebot der „Supervision – das Wiener Modell“:<br />
3<br />
Systemische Supervision – das Wiener Modell<br />
davon für Krisenintervention am LBZ reserviert.<br />
Professionalisierung von Pädagog/inn/en<br />
für Pädagog/inn/en aller Schularten<br />
Gruppensupervision<br />
Supervisand/inn/en sind<br />
Lehrer/innen einer Schule<br />
ORT:<br />
Gemischte Gruppen<br />
Supervisand/inn/en sind<br />
Lehrer/innen aus verschiedenen<br />
Schulen<br />
Räume von<br />
Schulen /<br />
Institutionen<br />
Teamsupervision<br />
Supervisand/inn/en sind<br />
Lehrer/innen, die in einem<br />
Team arbeiten.<br />
Coachinggruppen<br />
Supervisand/inn/en sind<br />
Direktor/inn/en und<br />
Berufseinsteiger/innen aus<br />
verschiedenen Schulen<br />
bzw. disloziert<br />
Beratung und<br />
Krisenintervention im<br />
supervisorischen<br />
Kontext<br />
Einzelsupervision für Lehrer/innen<br />
und Direktor/inn/en in<br />
Krisensituationen (derzeit LBZ)<br />
Mag a . Elisabeth Leska<br />
Mag a . Lisa Kümmel, M.Ed.<br />
Mag a . Elisabeth Leska und Mag a . Lisa Kümmel, M.Ed.<br />
ORT:<br />
Beide Lehrerinnen arbeiten bereits seit vielen Jahren<br />
als systemische Supervisorinnen im Rahmen Räume von Schulen / Institutionen<br />
„Systemische Supervision – das Wiener Modell“ an der PH Wien.<br />
bzw. disloziert<br />
Interessierte wenden sich bitte an:<br />
Mag a . Elisabeth Leska (Koordinatorin)<br />
Mobil: 0676 626 81 04<br />
Email: elisabeth.leska@phwien.ac.at<br />
18
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
MOKI-Wien in den Schulen – ein Rückblick – die Gegenwart<br />
– und eine Vision für die Zukunft<br />
Von Anfang an war bei MOKI-Wien die Betreuung der Kinder<br />
und Jugendlichen in Kindergärten, Schulen und Horten ein<br />
Thema, viele Eltern wenden sich an uns. Hier möchte ich einen<br />
Überblick geben, was war – und ist – und wo der Weg hinführen<br />
sollte.<br />
… ein Rückblick<br />
MOKI-Wien betreut seit 14 Jahren<br />
Kinder und Jugendliche mit<br />
chronischen Erkrankungen oder<br />
Behinderungen. In diesen Jahren<br />
haben wir auch einen starken<br />
Anstieg bei der Betreuung<br />
in den Kindergärten und Schulen<br />
bemerkt.<br />
Immer mehr Kinder erkranken an<br />
Diabetes Mellitus oder einer anderen<br />
chronischen Erkrankung.<br />
Für diese Kinder ändert sich von<br />
einem Tag auf den anderen sehr<br />
viel, daher benötigen sie Sicherheit<br />
in ihrem schulischen Umfeld<br />
umso mehr. Aber auch bei den<br />
Kindern und Jugendlichen mit<br />
Behinderungen und ihren Familien<br />
ist die soziale Integration ein<br />
zentraler – und auch verständlicher<br />
- Wunsch.<br />
Doch dazu sind Blutzuckerkontrollen, Insulinverabreichungen, Medikamentengaben, Katheterisieren, Verbandwechsel,<br />
Nahrungsverabreichungen über eine Sonde, Sauerstoffgaben, absaugen und manchmal sogar<br />
Beatmungsmaschinen notwendig.<br />
Die PädagogInnen sind in vielen dieser Bereiche nicht ausgebildet und können diese Tätigkeiten nicht<br />
übernehmen. Auch Ängste etwas falsch zu machen oder zu übersehen, spielen hier mit.<br />
Ich denke, man muss unterscheiden, um welche Maßnahmen es sich handelt. So haben wir in den letzten<br />
Jahren sehr viele PädagogInnen begleitet und unterstützt, wenn es um Diabetes ging. Vor allem in den<br />
Schulen konnten diese PädagogInnen nach einer anfänglich unterstützenden Begleitung tätig werden.<br />
In anderen Bereichen, vor allem wenn es um medizinische Tätigkeiten geht, oder es sogar zu lebensbedrohlichen<br />
Situationen kommen kann, übernimmt eine/ein diplomierte Kinderkrankenschwester/-pfleger<br />
(DKKS/P) diese Betreuung. Wir kommen punktuell zur Durchführung der Maßnahmen, wie z.B. Katheterisieren,<br />
oder sind während des ganzen Schulbetriebs Vorort.<br />
Diese Form der Zusammenarbeit hat sich – aus meiner Sicht – gut etabliert. Hier ist es wichtig gleichwertige<br />
Partner zu sein, und gemeinsam einen Weg zu finden.<br />
19
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
… die Gegenwart<br />
Aber noch immer gibt es viel zu tun. So haben wir immer wieder Anfragen von Eltern, deren Kinder bei Ausflügen<br />
nicht mitfahren können. Dies betrifft sowohl Tagesausflüge als auch mehrtägige Fahrten in andere<br />
Bundesländer. Bei ersterem begleitet die MOKI-DKKS/P den Ausflug und übernimmt in dieser Zeit die Tätigkeiten.<br />
Bei Fahrten in andere Bundesländer ist es um vieles schwieriger. Die DKKS/P muss eine ganze<br />
Woche in ein anderes Bundesland fahren, dies ist derzeit kaum finanzier- und organisierbar. Die Pflege in<br />
Österreich ist Landessache, die Finanzierung gilt in den meisten Bundesländern nur für das eigene Bundesland<br />
– die Kinder müssen in Wien gemeldet sein und in Wien betreut werden. Das heißt in diesem<br />
Fall müssen die Eltern die kompletten Kosten übernehmen, oder das Kind kann nicht mitfahren. Diese<br />
Kinder erleben dann wieder Ausgrenzung und Isolierung. Heuer haben wir für zwei dieser Kinder einen<br />
Sponsor gesucht und die Teilnahme an dem/der Schulausflug/-landwoche somit ermöglicht, zum Teil unter<br />
erheblichen finanziellen Einbußen. Aber dies ist keine zufriedenstellende Lösung, daher hoffen wir auf eine<br />
Finanzierung für alle betroffenen Kinder und Jugendlichen.<br />
… eine Vision für die Zukunft<br />
Aus unserer Sicht ist ein zusätzliches Konzept einer „School Nurse“ in Zukunft absolut notwendig. Es gibt<br />
immer mehr Kinder mit einem medizinisch/pflegerischen Bedarf. Andererseits kann gesundheitspräventiv<br />
auch bei „gesunden“ Kindern sehr viel angeboten, und umgesetzt werden.<br />
Vorstellbar ist eine Präsenz der DKKP von Montag bis Freitag von 09.00 bis spätestens 15.00 Uhr (je nach<br />
Schuldauer und notwendiger Tätigkeiten).<br />
In dieser Zeit ist die DKKP sowohl für die oben beschriebenen Tätigkeiten bei Kindern/Jugendlichen als<br />
auch für andere Bereiche zuständig. Ein wichtiger Schwerpunkt ist hier die Gesundheitsprävention. Bei<br />
den täglich betreuten Kindern erleben wir immer wieder, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen notwendig<br />
wären, diese aber aus pädagogischer Sicht nicht erkannt werden, oder keine Lösungen überlegt bzw.<br />
umgesetzt werden können.<br />
Auch bei den vermeintlich gesunden Kindern/Jugendlichen ist Prävention in Form von – den Kindern angepassten<br />
– Vorträgen oder Rollenspielen notwendig und kann zukunftsentscheidend sein. Dies würde<br />
der Kinder- und Jugendstrategie, Ziel 6, Maßnahme 6.1. und 6.2.1 entsprechen. (Bundesministerium für<br />
Gesundheit, Kinder- und Jugendstrategie 2012)<br />
Zusammenfassend glaube ich, dass wir die ersten Schritte in die richtige Richtung gemacht haben, aber<br />
noch einen weiten Weg vor uns haben. Ich hoffe, dass in 15 Jahren viele Bereiche selbstverständlich sind,<br />
und wir neue Visionen haben können....<br />
Hintermayer Gabriele<br />
Akademische Pflegemanagerin<br />
Geschäftsführende Vorsitzende<br />
MOKI-Wien<br />
0699/166 777 00<br />
g.hintermayer@wien.moki.at<br />
www.wien.moki.at<br />
20
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Spitalspädagogin/Spitalspädagoge<br />
Portfolio Wilhelminenspital<br />
PAVILLON 18 – STATION FÜR KINDERPSYCHOSOMATIK UND PSYCHOTHERAPIE<br />
ABTEILUNG FÜR KINDER- UND JUGENDHEILKUNDE – KINDERKLINIK GLANZING, SCHULPAVILLON 11<br />
http://www.wien.kav.at<br />
Der Mensch ist ein Wesen mit Geist und Vernunft. Er kann abstrakt denken,<br />
Gedanken formulieren, diese in Sprache fassen, Gegenstände benennen,<br />
Objekten einen Sinn verleihen, die Welt gestalten, Gegebenes in Frage stellen<br />
und durch geplantes Handeln ändern, usw. [RENE DESCARTES (1596<br />
– 1650) sagte schon: „COGITO ERGO SUM“. ICH DENKE, ALSO BIN ICH.]<br />
Diese Ausstattung ermöglicht ihm eine enorme Lern- und Erziehungsfähigkeit,<br />
geprägt von der kulturellen Lebensführung. Dabei kommt es in der Erziehung<br />
und Bildung vor allem auf den Erwerb von Kulturtechniken an, die die<br />
Erhaltung und Weitergabe der jeweiligen Kultur ermöglichen. Dazu gehören<br />
die Sprache, die Interaktion und Kommunikation, das Denken, das Lesen,<br />
Schreiben und Rechnen, Wertebewusstsein, Moralvorstellung und andere.<br />
Die Fähigkeit zur produktiven Neuschaffung, beispielsweise die Handhabung<br />
der Technik, Kritikfähigkeit, Engagement, Verantwortungsbewusstsein, Kooperation,<br />
Konfliktfähigkeit, Individualität und Gemeinschaftlichkeit, … muss gelernt werden, nicht nur bei<br />
Gesundheit sondern auch bei Beeinträchtigung bzw. Krankheit [„HOMO DISCENS“ = DER LERNENDE<br />
MENSCH]. Der Mensch lernt meist nicht alleine. Er ist ein soziokulturelles Wesen und braucht soziale<br />
Beziehungen, Gruppen, Schulen, Institutionen, Betriebe …. Das kranke Kind oder der Jugendliche wird im<br />
Spital beim Lernen von Spitalspädagoginnen/ Spitalspädagogen unterstützt.<br />
Die Soziologie hat die Gesamtgesellschaft zum Gegenstand, und die Psychologie (die Wissenschaft vom<br />
menschlichen Erleben, Verhalten, Bewerten und Interpretieren) ist auf das Individuum ausgerichtet. Die<br />
Pädagogik beschäftigt sich überwiegend mit intentionalem (zielgerichtetem), geplantem, normativ orientiertem,<br />
überaus komplexem und auf Interaktion ausgerichtetem Handeln. Jede dieser Fachwissenschaften<br />
hat unterschiedliche Sichtweisen, diese überlappen einander aber auch bei zahlreichen Inhalten.<br />
PSYCHOSOMATIK = PSYCHE (SEELE) UND SOMA (KÖRPER)<br />
Veränderungen des bewussten Erlebens und Verhaltens führen im Körper zu Veränderungen und umgekehrt.<br />
Daher ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass zwischen Körper und Psyche eine enge Verbindung<br />
besteht. Jede emotionale Erregung wird von körperlichen Vorgängen begleitet, so wie körperliche Vorgänge<br />
meist seelische Begleiterscheinungen zeigen. So kommt es bei Wut, Panikattacken oder Angst zu Veränderungen<br />
der Herz-Kreislauf-Frequenz, zu Veränderungen der Magen-Darm-Funktion, zu weißen oder roten<br />
Flecken auf der Haut oder Erhöhung der Muskelspannung. Normalerweise klingen diese Erregungen nach<br />
kurzer Zeit wieder ab. Wird das autonome Nervensystem jedoch auf einem solchen erhöhten Erregungsniveau<br />
gehalten, kommt es zu einer Dauerbelastung des Organismus und damit zu vorübergehenden oder<br />
dauernden Schäden bestimmter Körperorgane (vgl. LAHMER, S. 271). Psychosomatische Krankheiten,<br />
körperliche Krankheiten, von denen angenommen wird, dass psychische oder psychosoziale Faktoren bei<br />
ihrer Entstehung oder Aufrechterhaltung einen maßgebenden Einfluss ausüben, entstehen. Hierzu zählen<br />
laut dem weltweit anerkannten Diagnoseklassifikationssystem ICD 10 (Internationale statistische Klassifikation<br />
der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - International Statistical Classification of Diseases<br />
and Related Health Problems, ein von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenes Manual<br />
aller anerkannten Krankheiten und Diagnosen) Dissoziale Persönlichkeitsstörungen (Schulverweigerung,<br />
21
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Leistungsverweigerung), Verhaltensauffälligkeiten, Anpassungsschwierigkeiten, Belastungsstörungen,<br />
Essstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, Adipositas), Enuresis, Enkopresis, rezidivierendes Erbrechen,<br />
Störungen der Darmfunktion, Dauerkopfschmerz, Asthma bronchiales, … (http://www.medaustria.<br />
at/medaustria/f_icd10.html).<br />
Körperliche Leiden („die Organsprache“ - ein stummer Hilfeschrei) stehen für verwundete Seelen. In diesem<br />
Sinne schreien Patientinnen/ Patienten mit jeder psychosomatischen Erkrankung auf indirektem Weg<br />
um Hilfe, um Beseitigung einer unerträglichen Situation.<br />
„DER KÖRPER IST DER ÜBERSETZER DER SEELE INS SICHTBARE“. (MORGENSTERN)<br />
PÄDAGOGIK BEI KRANKHEIT „SCHULE IM SPITAL“<br />
Pädagogik bei Krankheit bedeutet, Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 16 Jahren, die in schwierigen<br />
Lebensumständen verharren und einen langen stationären Aufenthalt im Spital (drei bis zwölf Monate) benötigen,<br />
im Lernen und Verhalten zu unterstützen. Ziel ist es, die Patientinnen/ Patienten unabhängig ihrer<br />
Herkunft, ihres Geschlechtes, ihres sozialen Status, ihrer Religion und ihres Alters in ihrer persönlichen<br />
Entwicklung, ihrer Lebensführung zu fördern und Chancengleichheit sowie Gleichberechtigung anzustreben.<br />
Der tägliche Unterricht für die 12 stationären Patientinnen/<br />
Patienten der Station für Psychosomatik und Psychotherapie<br />
findet von 8:15 Uhr bis 11:45 Uhr im Schulpavillon 11 statt.<br />
Er stellt einen integralen Bestandteil des Betreuungs- und Behandlungskonzeptes<br />
dar, mit dem Ziel, eine Atmosphäre des<br />
Vertrauens und der Geborgenheit zu schaffen, um die Beziehungsfähigkeit<br />
zu fördern. Bereits vorhandene Kompetenzen<br />
und dem Alter angemessene Fähigkeiten werden weiterentwickelt<br />
sowie Aha-Erlebnisse und Einsichten vermittelt. Dies<br />
erfolgt unter ständiger Berücksichtigung der körperlichen (Müdigkeit,<br />
Übelkeit, Schwindel, …) und der seelischen (Angst,<br />
Trauer, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, …) Belastbarkeit sowie<br />
der erforderlichen medizinischen Untersuchungen (Blutabnahme,<br />
Röntgen, MRI, EKG, EEG, …) und therapeutischen<br />
Maßnahmen (Diagnostik, Beratungsgespräche, Psycho-, Physiotherapie,<br />
Helferkonferenzen, …).<br />
Das Feststellen des erreichten Bildungsniveaus, das Nachholen<br />
versäumter Lehrinhalte, das Erarbeiten des neuen<br />
Lehrstoffes anhand mitgebrachter Schulbücher und die<br />
nahtlose Rückführung in den Klassenverband der Patientinnen/<br />
Patienten oder die Integration in eine neue Schule<br />
bilden eine wichtige Seite des pädagogischen Berufsfeldes.<br />
Neben der fächerübergreifenden kognitiven (die<br />
Erkenntnis betreffend), affektiven (gefühlsbetonten) und<br />
psychomotorischen (Verknüpfung von Geist und Bewegung)<br />
Wissensvermittlung versuchen die Spitalspädagogin<br />
(Volksschullehrerin mit einem Magisterium und Doktorat in<br />
22
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
der Fächerkombination Pädagogik/ Sonder- und Heilpädagogik/ Psychologie sowie Lebens- und Sozialberaterin)<br />
und der Spitalspädagoge (Bachelor für das Hauptschullehramt mit einer Krankenpflegeausbildung)<br />
Lernblockaden, Leistungsschwierigkeiten zu erkennen, Fördermaßnahmen zu erstellen, Misserfolgsängsten<br />
entgegenzuwirken und ein negatives Selbstbild durch Schaffung von Erfolgserlebnissen und dem Entdecken<br />
eigener Stärken und Ressourcen abzubauen. Im einmal wöchentlich stattfindenden Bewegungsunterricht<br />
im Turnsaal der Krankenpflegeschule werden Bewegungsversäumnisse aufgearbeitet, ein Ausgleich<br />
zur aktuellen physischen und psychischen Belastung angestrebt und selbständige Bewegung sowie Fang-,<br />
Ball- und Laufspiele angeboten. Der Unterricht gibt neben der Wissensvermittlung den Kindern und Jugendlichen<br />
ein Stück Normalität zurück. Lernen erzeugt Glücksgefühle, lenkt von der Krankheit ab, unterstützt<br />
das kranke Kind und den kranken Jugendlichen beim Verarbeitungsprozess seiner Krankheit und<br />
sichert die Schullaufbahn. Die Förderung des gesunden Anteils hilft oftmals die Krankheit zu überwinden.<br />
Die Spitalspädagogin und der Spitalspädagoge bemühen sich stets die Schülerin/ den Schüler zu einem<br />
partnerschaftlichen, verantwortungsvollen, respektvollen Umgang miteinander anzuhalten, um sie/ ihn zu<br />
einem ebensolchen Umgang mit anderen Menschen zu befähigen. Zudem leiten sie sie/ ihn dahin, den<br />
eigenen Platz zwischen notwendiger Einfühlung einerseits und Abgrenzung andererseits zu finden. Dies<br />
fordert von der Spitalspädagogin und dem Spitalspädagogen eine ausgeprägte spezifische Fach- und Sozialkompetenz,<br />
Nervenstärke, Dynamik, viel Zeit, Teamfähigkeit, Begeisterungsfähigkeit, Optimismus, Objektivität,<br />
Kreativität, Fröhlichkeit, Kompromissbereitschaft, Geduld, Warmherzigkeit und Humor, denn dieser<br />
nimmt nicht nur auf den Arm sondern auch in den Arm.<br />
Die ziel- und lösungsorientierte Betreuung, Beratung und Aufklärung mit konkreten Vorschlägen (manchmal<br />
auch mit beschwichtigenden Floskeln) aller Familienmitglieder der Patientin/ des Patienten und eine<br />
kontinuierliche intensive Kooperation mit den Pädagoginnen/ Pädagogen der Stammschulen und dem interdisziplinärem<br />
Stationsteam, den Ärztinnen/ Ärzten, Pflegepersonen, Therapeutinnen/ Therapeuten, der<br />
Psychologin, der Sozialarbeiterin und den Abteilungshelferinnen gehören ebenso zu den täglichen Anforderungen.<br />
Fortschritte, aber auch Rückschläge sowie Behandlungsmaßnahmen und Wochenziele werden<br />
in den Teambesprechungen, die zweimal wöchentlich stattfinden, gemeinsam besprochen bzw. festgesetzt.<br />
Eine zusätzliche wöchentliche Besprechung des Pflegepersonals mit der Spitalspädagogin und dem Spitalspädagogen<br />
dienen der Klärung gruppendynamischer Abläufe, Vorgänge und Wechselwirkungen.<br />
PÄDAGOGISCH-DIDAKTISCHE METHODE<br />
Die Lehr- und Unterrichtsgestaltung reicht vom darbietenden Unterricht (Frontalunterricht) über den aufgebenden<br />
Unterricht (Referate), das entdeckende Lernen (Interviews zu vorgegebenen Themen, Exkursionen)<br />
bis zum selbständigen Bearbeiten von Hausübungsbeispielen, welche die optimale Festigung ermöglichen.<br />
Dabei werden unterschiedliche Lernarrangements wie Einzel- und Partnerarbeit oder arbeitsgleicher bzw.<br />
arbeitsteiliger Gruppenunterricht eingesetzt. Der Wiederholung dienen Arbeitsblätter, Rätsel und kurze Videopräsentationen.<br />
Schriftliche und mündliche Leistungsüberprüfungen wie Tests und Schularbeiten bilden<br />
neben einer allgemeinen Leistungsbeobachtung die Basis für den Notenvorschlag, den die Pädagoginnen/<br />
Pädagogen der Stammschulen nach dem Spitalsaufenthalt über den Dienstweg bekommen.<br />
Der veraltete Begriff „Heilstättenschule“ wurde bewusst nicht verwendet, da er nicht mehr zeitgerecht ist.<br />
In Österreich gibt es keine Heilstätten sondern Spitäler und Krankenhäuser. Zudem ist eine Übersetzung<br />
ins Englische nicht möglich. In den europäischen Ländern sind die Bezeichnungen Spitalspädagogin/ Spitalspädagoge<br />
und Klinikschule oder Spitalsschule vorherrschend. Ein Namensvorschlag wäre „Zentrum für<br />
Pädagogik bei Krankheit (ZPK)“. Da hätten auch die Hauslehrerinnen und Hauslehrer ihren Platz.<br />
23
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
LITERATUR<br />
AIGNER, I.: Die Wiener Heilstättenschule stellt sich vor – sonderpädagogische<br />
Aufgaben eines Unterrichts im Krankenhaus. Heilpädagogik 1990 (33)<br />
AIGNER, I.: Heilstättenschule – gestern, heute, morgen: Unterricht im Krankenhaus.<br />
APS – Zeitschrift des BMUKS, Wien 1990 (21/3)<br />
BURIAN-LANGEGGER, B. / ZIMPRICH, H.: Kinderpsychosomatik im Rahmen eines<br />
Schwerpunktkrankenhauses: Das Wiener Kinderpsychosomatische Modell.<br />
Verhaltensmodifikation und Verhaltensmedizin 1990 (2) 177-182<br />
DUTTER, F.; GRUBER, B.: Lernen durch Begegnung IN: Braucht die Schule<br />
Psychotherapie / Unterweger, E.; Zimprich, V.: (Hrsg.) Wien: Orac, 2001<br />
GRUBER, B.: Dissertation: Verhaltensauffälligkeiten eine Folgeerscheinung<br />
frühkindlicher Bewegungsstörung, 2000<br />
KLUßMANN, R: Psychosomatische Medizin, 2. Auflage, Springer Verlag Berlin<br />
Heidelberg, 1992<br />
LAHMER, K.: Kernbereiche Psychologie, 3. Auflage, 2009 Verlag E. Dorner GmbH<br />
SCHWENDENWEIN, W.: Theorie des Unterrichtens und Prüfens, 6., überarb. u. erw.<br />
Auflage, Wien: WUV-Univ.-Verlag, 1998<br />
STEINDORF, G.: Grundbegriffe des Lehrens und Lernens, 5. Aufl. Bad Heilbrunn / Obb.:<br />
Klinkhardt, 2000<br />
ZIMPRICH, H.: Kinderpsychosomatik, 1995 Georg Thieme Verlag<br />
DIPL. PÄD. MAG. DR. BRIGITTE GRUBER, BEd<br />
NEBENBERUFLICH LEHRBEAUFTRAGTE AN DER<br />
KRANKENPFLEGESCHULE UND FORTBILDUNGS-<br />
AKADEMIE AKH-WIEN<br />
LANDESVERTRETERIN IN ÖSTERREICH<br />
FÜR HOPE (WWW.HOSPITALTEACHERS.EU)<br />
LEHRWARTIN FÜR TURNEN, ÖSTA-PRÜFERIN<br />
ÖSD- UND ÖIF-SPRACHPRÜFERIN<br />
24
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Mein Leben als autistische Frau<br />
Natürlich habe ich schon als Kind bemerkt, dass ich mich von den anderen Kindern unterschied, aber damals<br />
war ich als stille, aufmerksame Schülerin, die schüchtern wirkte, mit dem Alleinsein aber ganz gut zurechtzukommen<br />
schien, für meine Umgebung nicht sehr auffällig. Inzwischen habe ich bemerkt, dass das bei<br />
vielen autistischen Mädchen der Fall ist. Ihr ruhiges, zurückhaltendes Auftreten entspricht oft den typischen<br />
Vorstellungen von einem Mädchen. Dadurch ist es natürlich auch in vielen Fällen nicht möglich, frühzeitige<br />
Unterstützung zu erhalten, die auch mir sehr geholfen hätte. Besonders gelitten habe ich in den Pausen<br />
zwischen den Unterrichtsstunden, die auf mich chaotisch und unstrukturiert wirkten und ohne jede Regel<br />
abzulaufen schienen, was mich überforderte. Oft saß ich lange auf der Schultoilette, wo ich ein bisschen<br />
Ruhe fand. Auch Veränderungen aller Art waren und sind noch immer eine große Herausforderung.<br />
Im Jugendalter wurde mein „Anderssein“ auffälliger. Während sich meine Klassenkameradinnen für<br />
Mode, Kosmetika, angesagte Musik oder das andere Geschlecht interessierten, lief ich am liebsten in<br />
bequemer Trainingskleidung herum und beschäftigte mich nach wie vor mit meinen Interessen aus der<br />
Kindheit, also dem Weihnachtsfest, großen Flughäfen und Plänen aller Art. Die anderen tauschten sich<br />
darüber aus, welche Jungs sie „süß“ fanden, ich aber fand die Frage, welche Flugziele die Lufthansa<br />
wohl nach dem nächsten Flugplanwechsel zu welcher Uhrzeit ansteuern würde, viel spannender. Das<br />
alles passte nicht wirklich zusammen, und natürlich bemerkten das beide Seiten, die anderen Mädchen<br />
genauso wie ich selbst. In jüngeren Jahren halfen sie mir ein bisschen, aber nun machten sie<br />
sich über mich lustig, fanden mich „uncool“, plump und naiv und schämten sich nicht selten in meiner<br />
Gegenwart, was mir doch ein bisschen wehtat, da ich mir Mühe gab, dazugehören zu können.<br />
Gegen Ende meines Studiums wurde die Tatsache, dass andere Menschen Freunde und Partner hatten,<br />
ich dagegen nicht, für mich immer mehr zum Problem. Ich entwickelte eine schwere depressive Phase und<br />
begann mit der Arbeit mit einer Psychotherapeutin. Im Alter von 27 Jahren kam es so zur Diagnose einer<br />
Autismus-Spektrum-Störung (Asperger-Syndrom), die für mich eine große Erleichterung bedeutete. Endlich<br />
gab es einen Namen für meine Auffälligkeiten; bis dahin bekam ich immer gesagt, ich wäre „so komisch“ und<br />
vor allem faul, solle mich „nicht so anstellen“, mir mehr Mühe geben etc. Es war wichtig für mich zu erfahren,<br />
dass mich selbst keine Schuld traf an meinem Anderssein. Und auch für das Umfeld bedeutete es eine<br />
Erleichterung, dass es nicht Erziehungsfehler waren, die für meine Auffälligkeiten verantwortlich waren.<br />
Seither ist vieles für mich einfacher geworden. Ich richte jetzt mein Leben so ein, dass es nicht<br />
nur erträglich, sondern erfüllt ist. Partys und Discobesuche etwa bedeuten nur Stress und überfordern<br />
mich völlig. Und ohne feste Strukturen könnte ich auch heute meinen Alltag kaum bewältigen.<br />
Autistische Störungen lassen sich nicht heilen, aber es ist möglich, durch gezielte Hilfe vieles zu verbessern.<br />
Vor allem durch die Arbeit mit meiner Psycho- und meiner Ergotherapeutin habe ich eine Menge<br />
gelernt. Wichtig sind dabei das Aufklären von Missverständnissen bei zwischenmenschlichen Kontakten,<br />
das Erkennen und Einordnen von Gefühlen, die ganz lebenspraktische Unterstützung und vor allem die<br />
Aufklärung und Hilfestellung im Hinblick auf das Leben mit Autismus. Dazu ist es wichtig, die eigenen<br />
Schwierigkeiten anzugehen, aber auch die bestehenden Ressourcen gut zu kennen und gezielt für alle<br />
Lebensbereiche zu nutzen. So sind wir Menschen mit Autismus in der Regel ausgesprochen liebe, loyale,<br />
offene und ehrliche Menschen, böswillige Absichten sind uns fern. Wir sind zuverlässig, lieben ein ausgeprägtes<br />
Regelwerk und feste Strukturen als alltägliche Hilfen. Besonders gut können wir uns nicht selten<br />
25
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
große Mengen an Details merken, das kam auch mir in meinem Studium sehr zugute, wo das Lernen vieler<br />
Fakten entscheidend war. Schwierig zu erkennen sind für uns jedoch meist übergeordnete Zusammenhänge.<br />
Das machte sich bei mir in der Schule beim Lesen von Literatur oder beim Schreiben von Aufsätzen<br />
bemerkbar. Auch der Handlung von Filmen kann ich nicht folgen, aber heute finde ich das nicht mehr so<br />
schlimm. Ich lese gern Sachbücher und Nachrichtenmagazine und schaue mir Dokumentationen an.<br />
Auch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe war für mich wichtig. Hier lernte ich andere Menschen mit<br />
ähnlichen Auffälligkeiten kennen, von deren Lösungsstrategien ich profitieren konnte und mit denen ich<br />
mich über alltägliche Schwierigkeiten austauschen konnte.<br />
Mit der Zeit wurde also vieles in meinem Leben leichter. Der strukturierte Tagesablauf auf meiner Station<br />
kommt mir sehr entgegen. Außerdem halte ich Vorträge und schreibe Texte, um den Autismus in all seinen<br />
Facetten bekannter zu machen und zu einem besseren Verständnis für die betroffenen Menschen beizutragen.<br />
Vieles in meinem Leben war schwer und mühsam, und ich wünsche mir, dass es die Betroffenen<br />
künftig leichter haben können. Wichtig ist mir vor allem ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, unverständliche<br />
und unangemessen erscheinende Verhaltensweisen zuerst zu hinterfragen, statt sie gleich als offene<br />
Provokation anzusehen, was sie in der Regel nicht sind. Dann kann man auch uns Menschen mit Autismus<br />
als fröhliche und liebenswerte Menschen wahrnehmen, die ihren Platz in dieser Welt suchen. Wir sind in<br />
vielen Fällen anders als andere Menschen, aber anders ist nicht schlechter, und erst das bunte Miteinander<br />
unterschiedlicher Menschen bereichert diese Welt.<br />
Dr. Christine Preißmann<br />
Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie<br />
Asperger-Autistin<br />
Öffentlichkeitsarbeit mit Vorträgen und Publikationen<br />
Kontakt: Ch.Preissmann@gmx.de<br />
Publikationen von Dr. Christine Preißmann (Auswahl)<br />
Asperger – Leben in zwei Welten. Betroffene berichten: Das hilft mir in Schule, Beruf, Partnerschaft und<br />
Alltag. 2. Auflage, Trias <strong>2013</strong>.<br />
Überraschend anders: Mädchen und Frauen mit Asperger. Trias <strong>2013</strong>.<br />
Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom. 3. Auflage, W. Kohlhammer <strong>2013</strong>.<br />
26
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Rezension „Überraschend anders: Mädchen und Frauen mit<br />
Asperger“<br />
Neuerscheinung <strong>2013</strong><br />
Mädchen und Frauen mit autistischen Störungen sind die<br />
„Minderheit einer Minderheit“ in der Gesellschaft, bislang<br />
wurde dieses Thema vernachlässigt. Zugleich aber wird<br />
die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung auch<br />
beim weiblichen Geschlecht immer häufiger gestellt, sodass<br />
es sinnvoll ist, zu überlegen, welche spezifischen<br />
Schwierigkeiten bei Frauen bestehen und wie die diagnostischen<br />
Überlegungen und therapeutischen Möglichkeiten<br />
noch besser an ihre speziellen Bedürfnisse angepasst<br />
werden können.<br />
Dieses Buch stellt die erste Publikation dar, die sich ausführlich<br />
mit der Situation autistischer Mädchen und Frauen<br />
in den deutschsprachigen Ländern beschäftigt. Eine Besonderheit<br />
ist auch der Perspektivenwechsel. So kommen<br />
in diesem Buch alle Beteiligten zu Wort: Fünf Frauen, die<br />
ihr Leben mit dem Autismus schildern und dabei auch so<br />
sensible und schwierige Themen wie Partnerschaft, Kinderwunsch,<br />
Einsamkeit, gesellschaftliche Erwartungen an<br />
eine Frau, den Bereich der Frauengesundheit oder psychisches<br />
und körperliches Wohlbefinden nicht ausklammern.<br />
Zwei Mütter berichten, wie sie das Aufwachsen ihrer autistischen<br />
Töchter erlebt haben. Was war für sie schwierig,<br />
auch im Vergleich zu den nicht autistischen Geschwistern,<br />
was haben sie als besondere Bereicherung erlebt? Eine Psychotherapeutin, die eine Therapiegruppe speziell<br />
für autistische Frauen leitet, beschreibt, warum solche Gruppen wichtig sind, was sie leisten können<br />
und was sich als besonders hilfreich herausgestellt hat. Eine Ergotherapeutin gibt Einblicke in ihre Arbeit<br />
und zeigt auf, in welchen Bereichen autistische Mädchen und Frauen davon profitieren können. Daneben<br />
enthält das Buch ausführliche Hintergrundinformationen zu allen angesprochenen Themen.<br />
Das Buch richtet sich gleichermaßen an autistische Menschen selbst, ihre Eltern, Geschwister und andere<br />
Familienmitglieder, ihre Freunde, Schulkameraden, Arbeitskollegen oder Bekannte, aber auch an alle<br />
Fachleute, die mit autistischen Mädchen und Frauen zu tun haben, also Ärzte, Therapeuten, Pädagogen<br />
oder Sozialarbeiter, Ausbilder, Arbeitgeber usw. Es soll das Verständnis verbessern für die Betroffenen, die<br />
sich in der Regel große Mühe geben, die an sie gestellten Anforderungen zu bewältigen, die aber gesellschaftlich<br />
und auch im familiären Umfeld oft viel Unverständnis ausgesetzt sind, weil niemand mit ihren<br />
Eigenheiten und Auffälligkeiten wirklich umzugehen vermag. Sie sind eben überraschend anders.<br />
Ursula Rief-Cerny<br />
Mentorin für Schüler/innen mit ASS<br />
www.integration-autismus.at<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Roma-Schulmediation an Wiener Schulen<br />
Ein Projekt von Romano Centro – Verein für Roma<br />
Der Verein Romano Centro wurde 1991 als eine der ersten Selbstvertretungsorganisationen für Roma<br />
gegründet. Von Beginn an engagierten sich sowohl Roma aus unterschiedlichen Gruppen (Lovara, Burgenland-Roma,<br />
Kalderaš, Gurbet, Arlije,...) als auch Nicht-Roma für eine Verbesserung der Lebenssituation der<br />
Roma in Wien. Standen anfangs kulturelle Aktivitäten und der Kampf um die Anerkennung als Volksgruppe<br />
im Vordergrund, fand der Verein sehr schnell einen weiteren Tätigkeitsbereich: Bildung. Bereits 1995 startete<br />
das Lernhilfe-Projekt, welches bis in die Gegenwart fortgeführt wird und im Rahmen dessen im vergangenen<br />
Schuljahr 130 Kinder in ganz Wien individuell betreut wurden. Seit dem Jahr 2000 wird auch die<br />
Roma-Schulassistenz durchgeführt, welche seit dem Schuljahr 2012/<strong>2013</strong> erweitert und unter dem Namen<br />
Roma-Schulmediation weiter geführt wird.<br />
Zielgruppe<br />
In Wien leben viele verschiedene Roma-Gruppen. Es gibt die sogenannten autochthonen Roma (Burgenland-Roma,<br />
Lovara und Sinti), die in Österreich als Volksgruppe anerkannt sind und Angehörige verschiedener<br />
Gruppen, die seit den 1960er Jahren eingewandert sind und in Wien die überwiegende Mehrheit<br />
bilden. Die Roma-SchulmediatorInnen haben in den letzten Jahren v.a. mit Roma verschiedener Gruppen<br />
aus dem ehemaligen Jugoslawien gearbeitet. Der EU-Beitritt osteuropäischer Staaten in den letzten Jahren<br />
macht sich aber auch in den Schulen bemerkbar. Es kommen vermehrt Roma aus Bulgarien oder Rumänien<br />
nach Wien. Wie viele Roma es in Wien gibt ist nicht bekannt. Die Schätzungen variieren sehr stark.<br />
Klar ist, dass es nicht um ein paar hundert, sondern um mehrere Zehntausend Menschen geht, die v.a. aus<br />
Serbien kommen. Die Migration nach Österreich hat bereits mit der „Gastarbeiter“-Migration in den 1960er-<br />
Jahren begonnen und dauert bis heute an, wenn es auch aktuell sehr schwierig ist, sich als serbischer<br />
Staatsbürger in Österreich niederzulassen.<br />
Bildungssituation von Roma/Romnja in Wien<br />
Zuallererst muss betont werden, dass es viele Roma-Kinder gibt, die in der Schule keine Probleme haben<br />
und ihre Schullaufbahn ohne Unterstützung von außen erfolgreich beenden, Berufe erlernen und später<br />
studieren. Doch aus der Erfahrung in der Arbeit mit Roma-Kindern ist dem Verein Romano Centro auch<br />
bekannt, dass viele Roma-Kinder in der Schule massive Probleme haben und die Bildungssituation der<br />
Roma/Romnja mit Migrationshintergrund allgemein sehr schlecht ist. Freilich konnte diese Erfahrung nicht<br />
in verlässliche Zahlen gegossen werden.<br />
Seit 2011 gibt es erstmals Zahlen zur Bildungssituation von Roma/Romnja mit Migrationshintergrund in<br />
Wien: Die Arbeiterkammer Wien erhob in einer Studie zur Beschäftigungssituation von MigrantInnen in Wien<br />
die Situation von Roma/Romnja und KurdInnen und in diesem Zusammenhang auch deren Bildungssituation.<br />
Das Ergebnis ist eindeutig: Roma/Romnja mit Migrationshintergrund haben ein signifikant schlechteres<br />
Bildungsniveau als der Durchschnitt der MigrantInnen. 52 % der Roma/Romnja haben maximal einen<br />
Pflichtschulabschluss, bei der Gesamtgruppe der MigrantInnen liegt dieser Wert im Schnitt unter der Hälfte,<br />
nämlich bei 24 %, bei den Nicht-MigrantInnen nur bei 9 %. Nur 4 % der Befragten haben ein Studium abgeschlossen,<br />
bei allen MigrantInnen liegt dieser Wert bei 20 %. Zu beachten ist bei diesen Zahlen, dass<br />
nur Mitglieder der Arbeiterkammer befragt wurden, d.h. unselbstständig Beschäftigte oder Menschen, die<br />
seit weniger als sechs Monaten arbeitslos waren. Es ist zu vermuten, dass die Situation noch wesentlich<br />
28
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
schlechter ist, da viele Roma/Romnja von längerer Arbeitslosigkeit betroffen sind, informeller Arbeit nachgehen<br />
oder selbstständig sind.<br />
Die Gründe für die schlechte Bildungssituation sind nicht in einer „Kultur der Roma“ zu suchen, sondern in<br />
ihrer Situation als diskriminierte Minderheit in Vergangenheit und Gegenwart. Sowohl in Serbien als auch in<br />
anderen Ländern und bis vor nicht allzu langer Zeit in Österreich, waren und sind Roma im Bildungssystem<br />
massiv diskriminiert und benachteiligt. Dies erfolgt(e) durch direkte Diskriminierung, wie beispielsweise der<br />
Zuweisung in Sonderschulen oder in eigene Roma-Klassen oder der schlichten Verweigerung eines Schulplatzes.<br />
Aber auch durch Desinteresse an den Roma- SchülerInnen und Diskriminierung durch LehrerInnen<br />
und MitschülerInnen.<br />
Ein weiterer Faktor ist der physische Zugang zu Schulen: Oft gibt es zu Roma-Siedlungen keine oder unzureichende<br />
Busverbindungen, die Schulwege sind lang, die ökonomische Situation der Familien oft äußerst<br />
prekär. Kommen Familien nach Österreich, wirkt sich diese Benachteiligung auch auf die Bildungschancen<br />
der Kinder aus, die hier in die Schule gehen. Die Eltern haben aufgrund eigener Unerfahrenheit mit Bildung<br />
und Schule oft nur begrenzte Möglichkeiten,<br />
ihre Kinder zu unterstützen,<br />
oft fehlt ihnen auch notwendiges Wissen<br />
zum Schulsystem. Auch die teils<br />
massiven Diskriminierungserfahrungen<br />
dürfen nicht unterschätzt werden:<br />
Viele Eltern versuchen zu verstecken,<br />
dass sie Roma sind, haben Angst vor<br />
Diskriminierung und schlechter Behandlung<br />
durch LehrerInnen und haben<br />
durch ihre eigenen Erfahrungen<br />
ein schlechtes Bild von Schulen.<br />
Hinzu kommt in vielen Familien der<br />
Kompetenzverlust in der Muttersprache<br />
Romanes, die in manchen Familien<br />
nicht mehr an die Kinder weitergegeben<br />
wird, da geglaubt wird, es wäre<br />
besser, wenn die Kinder Serbisch<br />
könnten. Doch die Serbisch-Kenntnisse<br />
der Eltern sind in vielen Fällen nicht<br />
so gut, wodurch es insgesamt zu einem Kompetenzverlust in der Sprache kommen dürfte (es gibt dazu<br />
leider keine Untersuchungen). Für den Bildungserfolg der Kinder sind dies keine guten Voraussetzungen.<br />
Die Unterstützung durch Muttersprachen-LehrerInnen ist in Wien leider kaum vorhanden (derzeit gibt es<br />
drei für Romanes). Dies hat zwei Gründe: Einerseits geben die Eltern nur in Ausnahmefällen Romanes als<br />
Muttersprache an, da sie Angst vor Diskriminierung haben und nicht gewohnt sind, dass diese Sprache in<br />
einem offiziellen Setting eine Relevanz hat. Dadurch gibt es offiziell nur einen geringen Bedarf an muttersprachlichem<br />
Unterricht. Andererseits ist es auch nicht einfach, Personen zu finden, die Romanes unterrichten<br />
können und die notwendigen formalen Qualifikationen erfüllen.<br />
Roma-SchulmediatorInnen als Ansprechperson und Bindeglied<br />
Der Einsatz von Roma-SchulmediatorInnen ist kein Allheilmittel, jedoch können sie Eltern, LehrerInnen und<br />
SchülerInnen wertvolle Unterstützung bieten. Sie arbeiten in Schulen, die an einer Zusammenarbeit interessiert<br />
sind und die von vielen Roma-Kindern besucht werden. Für Eltern und Kinder ist es wichtig, dass<br />
jemand, der/die selbst Rom/Romni ist, in der Schule arbeitet und als Ansprechperson zur Verfügung steht.<br />
Auch für die LehrerInnen ist dies eine neue, wertvolle Erfahrung, die dazu führt, dass Vorurteile abgebaut<br />
werden können und mehr Verständnis für die Situation der Familien aufgebaut werden kann.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Die Aufgaben der Roma-SchulmediatorInnen sind:<br />
• Unterstützung der Beziehungen zwischen Schule und Elternhaus und der Kommunikation zwischen<br />
LehrerInnen und Roma-Eltern<br />
• Information, Beratung und Begleitung der Eltern in schulischen und erzieherischen Belangen<br />
• Ansprechperson (in mehreren Sprachen) für Roma-SchülerInnen und –Eltern und für LehrerInnen bei<br />
Problemen von/mit Roma-SchülerInnen<br />
• Begleitung von Lehrausgängen zur Sicherung der Teilnahme von Roma-SchülerInnen<br />
• Unterstützung der Roma-SchülerInnen in der Klasse während des Unterrichts, vor allem auch durch<br />
Kommunikation in der Muttersprache<br />
• Vermittlung von zusätzlichen Lernangeboten bzw. Fördermöglichkeiten für Roma-Kinder<br />
• Bereitstellung von Wissen über Roma-Kultur und -Geschichte für SchülerInnen und LehrerInnen, um<br />
das gegenseitige Verständnis und das Selbstbewusstsein der Roma-SchülerInnen zu fördern<br />
• Unterstützung der Familien in sozialen Krisen (gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin), um Schulbesuch/<br />
Schulerfolg zu sichern/zu ermöglichen<br />
Im Schuljahr 2012/<strong>2013</strong> wurden acht Schulen von vier Roma-Schulmediatorinnen betreut. Der Anteil der<br />
Roma-Kinder in diesen Schulen liegt zwischen 15 und 30 %. Die Rückmeldungen aus den Schulen sind<br />
sehr positiv, ein paar Zitate von Direktorinnen sollen dies verdeutlichen:<br />
„Ich bin, wir sind alle - mit der Arbeit von Fr. Vesna Dimic so sehr zufrieden, dass wir ohne sie gar nicht mehr<br />
auskommen könnten. Sie hat mit viel Verständnis, aber auch mit konsequenten Aussagen viele unserer<br />
Elternprobleme lösen geholfen (...) Unsere Lehrer kontaktieren sie gerne, Eltern reden gerne mit ihr und sie<br />
sind für Gespräche viel offener als wir es gewohnt sind.“<br />
Im Bereich der Kommunikation zwischen Schule und Eltern berichten alle Schulen von großen Fortschritten:<br />
Die Eltern nehmen Gesprächstermine öfter wahr und besuchen deutlich häufiger Veranstaltungen in<br />
der Schule. Dadurch haben sie einen verbesserten Zugang zu wichtigen Informationen und die LehrerInnen<br />
und die Schulleitung können sie leichter erreichen, um sie in schulischen oder erzieherischen Belangen zu<br />
beraten. Eine konkrete Auswirkung dieser verbesserten Kommunikation zeigte sich in einer Volksschule,<br />
die neu betreut wurde und wo nach kurzer Zeit die häufigen Verspätungen der Kinder deutlich abgenommen<br />
haben.<br />
Die Roma-Schulmediatorinnen führen mit den Eltern sehr viele Gespräche, jede von ihnen mehrere Stunden<br />
pro Woche. In den Gesprächen geht es häufig um Anforderungen der Schule an die Eltern, deren Pflichten,<br />
Möglichkeiten zum Schulerfolg ihrer Kinder beizutragen, erzieherische Belange, hier insbesondere die<br />
Wichtigkeit, den Kindern klare Grenzen zu setzen und sie nicht zu sehr zu verwöhnen. Bei den Gesprächen<br />
werden auch wichtige Fragen zum österreichischen Bildungssystem, sinnvollen Freizeitangeboten, sozialen<br />
Dienstleistungen u.v.m. beantwortet. Für viele Eltern werden die Roma-Schulmediatorinnen schon in<br />
kurzer Zeit zu wichtigen Vertrauenspersonen, die sie in sehr vielen Belangen um Rat fragen. Vielen Eltern<br />
fällt es leichter, mit einer Vertrauensperson über ihre Probleme zu sprechen. Gibt es in der Schule eine<br />
Vertrauensperson, dann vermindert sich auch ihre Scheu vor dieser Institution oder die Angst, diskriminiert<br />
zu werden. Sie erkennen, dass auch ihre Kultur in dieser Schule wichtig ist und dadurch verbessert sich ihr<br />
Verhältnis zur Schule.<br />
In allen Schulen arbeiten die Roma-Schulmediatorinnen integrativ in den Klassen mit und unterstützen Kinder,<br />
die etwas mehr Zeit brauchen bzw. dem Unterricht aufgrund sprachlicher oder anderer Gründe nicht<br />
entsprechend folgen können. Einige LehrerInnen sind über die positiven Ergebnisse dieser Unterstützung<br />
sehr erstaunt, da Kinder auf einmal in kurzer Zeit Dinge lernen, die sie zuvor lange nicht geschafft haben<br />
und sich in der Klasse mehr zutrauen und öfter zu Wort melden. Die Roma-Mediatorinnen können in der<br />
Klasse auch intensiv mit einzelnen Kindern arbeiten, die besonders viel Unterstützung brauchen, etwa weil<br />
sie gerade erst eingeschult wurden oder durch lange Abwesenheit viel versäumt haben.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Viele Kinder benötigen aufgrund der fehlenden Möglichkeiten der Eltern zusätzliche, außerschulische Unterstützung.<br />
Die Roma-Schulmediatorinnen haben vielen Familien zusätzliche Angebote vermittelt, etwa<br />
Lernhilfe-Gruppen oder das Lernhilfe-Projekt des Romano Centro. Für einige Kinder wurden auch sinnvolle<br />
Freizeitaktivitäten gefunden, z.B. für Danijel, Schüler einer 4. Klasse Volksschule, der in der Schule oft aggressiv<br />
aufgefallen ist. Seit für ihn ein Fußballverein gefunden wurde, hat sich sein Verhalten in der Schule<br />
verbessert.<br />
Die Roma-Schulmediatorinnen haben am 8. April (Internationaler Roma-Tag) in einigen Schulen Projekte<br />
zur Kultur der Roma durchgeführt, was in den Schulen sehr gut angekommen ist. Auch für die LehrerInnen<br />
ist es eine Bereicherung, eine Kollegin aus der Volksgruppe der Roma zu haben. In einigen Schulen waren<br />
die Vorurteile gegenüber Roma anfangs auch für die Roma-Mediatorinnen deutlich zu spüren, was sich<br />
durch den täglichen Kontakt und konstruktive Zusammenarbeit aber deutlich verbessert (bis auf wenige<br />
Einzelpersonen). Auch für die Kinder ist es wichtig, in der Schule ein Vorbild aus dem eigenen Kulturkreis<br />
zu haben:<br />
„Ich habe das Gefühl, dass es für das Selbstwertgefühl der Kinder sehr wichtig ist, dass es jemanden gibt,<br />
der aus ihrem kulturellem Umfeld kommt und es geschafft hat, in einer Schule zu arbeiten. Für einige SchülerInnen<br />
ist das sicher ein Antrieb, selbst etwas schaffen zu können.“ (VS Rötzergasse)<br />
Die Roma-Schulmediatorinnen besuchen<br />
die Familien in ihren Wohnungen<br />
und werden für sie in vielen Fällen<br />
zu Vertrauenspersonen. Oft stoßen<br />
sie dabei auf familiäre Umstände und<br />
Rahmenbedingen, die der schulischen<br />
Entwicklung der Kinder hinderlich sind.<br />
Deshalb arbeiten sie eng mit der Sozialarbeiterin<br />
des Romano Centro zusammen,<br />
um Probleme zu lösen bzw.<br />
an andere Unterstützungsangebote<br />
zu vermitteln. Die Roma-Schulmediatorinnen<br />
haben auch einige Familien<br />
bei der Anmeldung in der Schule unterstützt<br />
und begleitet. Eltern, die nicht<br />
gut genug Deutsch sprechen, haben<br />
sie häufig auf Ämter und Behörden begleitet,<br />
um ihnen zu Unterstützungen<br />
zu verhelfen:<br />
„Sie (die Roma-Schulmediatorin, Anm.) hat in Zusammenarbeit mit den Klassenlehrerinnen und der Sozialarbeiterin<br />
des Romano-Centro einigen SchülerInnen zu einem geregelten Schulbesuch und zu besseren<br />
Lebensbedingungen verholfen.“ (SPZ Quellenstraße)<br />
Es gibt immer wieder Kinder und Jugendliche, die die Schule unregelmäßig oder gar sehr selten besuchen,<br />
und deren Schul- und späterer Berufserfolg dadurch massiv gefährdet sind. Die Roma-Schulmediatorinnen<br />
können diesem Prozess, der oft im Schulabbruch endet, durch ihre Beziehung zu den Eltern oft etwas entgegen<br />
setzen.<br />
„Manche Eltern fühlen sich allein durch ein Gespräch in ihrer Muttersprache schon besser in der Schule<br />
angenommen und verstanden (auf allen Ebenen). Konkret wurde z.B. die Mutter eines Schülers durch die<br />
Intervention der Mediatorin motiviert ihren Sohn, der bis jetzt eine sehr lückenhafte Schulkarriere aufweist,<br />
wieder jeden Tag in die Schule zu bringen und auch die Schule verlässlich zu verständigen, wenn ihr Sohn<br />
krank ist.“ (SPZ Quellenstraße)<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Ungewisse Zukunft<br />
Das Projekt Roma-Schulmediation an Wiener Schulen wird aktuell vom BMUKK, dem BMI (seit 2012/<strong>2013</strong>)<br />
und aus Mitteln der Volksgruppenförderung (Bundeskanzleramt) gefördert. Gegenüber dem Vorjahr sind<br />
die Fördermittel zurückgegangen, dennoch können im laufenden Schuljahr sieben Schulen ab September<br />
und zusätzliche zwei Schulen ab Ende <strong>November</strong> betreut werden. Die Roma-Schulmediatorinnen werden<br />
immer wieder von Schulen angefragt, die sie nicht betreuen und versuchen nach ihren zeitlichen Möglichkeiten<br />
auch dort zu unterstützen, was in vielen Fällen gelingt. Im vergangenen Schuljahr ist insbesondere<br />
aus den Sonderpädagogischen Zentren der Wunsch nach einer Roma-Schulmediatorin geäußert worden,<br />
allerdings konnten nicht alle Schulen betreut werden, an denen es Bedarf gegeben hätte. Daraus wird<br />
ersichtlich, dass der Bedarf an Roma-Schulmediation deutlich höher ist als er derzeit abgedeckt werden<br />
kann. Das große Interesse aus den Sonderschulen hat auch gezeigt, dass dort besonders viele Roma-<br />
Kinder sind. Ein Umstand, der dringend einer genaueren Betrachtung und geeigneter Gegenmaßnahmen<br />
bedarf. Eine Weiterentwicklung des Projektes in quantitativer Hinsicht (ca. 10 bis 15 Personen) und in qualitativer<br />
Hinsicht (Ausbildungslehrgang für die Roma-SchulmediatorInnen, wie etwa in Berlin) ist aus Sicht<br />
des Romano Centro und vieler Schulen dringend notwendig. Ein Konzept dafür liegt bereits vor. Jedoch<br />
ist es bisher nicht gelungen, die zuständigen Ministerien von einer Finanzierung zu überzeugen. Wie alle<br />
anderen EU-Staaten ist auch Österreich verpflichtet, die Situation der Roma bis 2020 in den Bereichen Bildung,<br />
Gesundheit, Arbeitsmarkt und Wohnen zu verbessern. Nicht nur deshalb wäre es dringend geboten,<br />
die Problematik der schlechten Bildungschancen von Roma-Kindern anzugehen und dabei auf international<br />
bewährte Maßnahmen wie die Roma-Schulmediation zu setzen.<br />
Mag. Ferdinand Koller<br />
ist seit zwei Jahren Projektleiter der Roma-Schulmediation<br />
und der Lernhilfe im Romano Centro.<br />
ferdinand.koller@romano-centro.org<br />
www.romano-centro.org<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Integrative Lernwerkstatt Brigittenau - ILB<br />
15 Jahre Inklu-tegra-lern-ion<br />
Zu jahrelanger Knochenarbeit gehört auch das gebührende Innehalten und Feiern.<br />
So geschehen in der Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau beim ersten großen Straßenfest nach 10 Jahren<br />
ILB 2008, und nun im Juni <strong>2013</strong> zum zweiten Mal seit dem Start 1998, also nach 15 Jahren.<br />
Was ist zwischen den beiden Festen gleich geblieben – was hat sich verändert? Gleich geblieben sind die<br />
Grundpfeiler unserer Arbeit: Mehrstufig, integrativ, ganztägig, notenfrei.<br />
Was hat sich in den letzten 5 Jahren verändert?<br />
Enorm viel:<br />
• Uns sind ab 2009/10 Hauptschul- bzw. Neue Mittelschul-Flügel dazu gewachsen – d.h. wir sind eine<br />
Volksschule mit angeschlossenen HS- bzw. NMS-Klassen geworden<br />
• Wir sind seit kurzem eine Ganztagsschule der Stadt Wien – für Kinder und Jugendliche durchgängig<br />
von 6 – 15 Jahren<br />
• Unter unseren aktuell 366 Volks- und MittelschülerInnen sind knapp 100 mit Sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf<br />
• An unserem Standort sind in unterschiedlichsten Teamkonstellationen fünf Kategorien von PädagogInnen<br />
in alltäglicher enger Kooperation tätig (in der Reihenfolge des historischen Auftretens an der ILB):<br />
VolksschullehrerInnen, FreizeitbetreuerInnen, SonderpädagogInnen, HauptschullehrerInnen, AHS-<br />
LehrerInnen<br />
• Im Zuge des Mittelschulausbaus und -schulversuchs sind wir auch strukturell in neue Sphären vorgestoßen,<br />
insbesondere ist zu den schon länger davor eingeläuteten Tandems von Stammgruppen (also<br />
zwei Klassen, die nebeneinander liegen und deren Teams und SchülerInnen mehr oder weniger gemeinsam<br />
arbeiten) nun auch im Ausgangs-Bereich (der 13 bis 15-Jährigen, 7. und 8. Stufe) und teilweise<br />
im Übergangs-Bereich (der 9/10 bis 12/13-Jährigen, 4., 5. und 6. Stufe) das sog. Coachinggruppen-<br />
System in Erprobung und Entwicklung<br />
Am 14. Juni <strong>2013</strong> machten wir den Brigittenauer Vorgarten bei herrlichem Wetter zur öffentlichen Schul-<br />
Bühne! Schon ein paar Tage zuvor haben ca. 350 individuell gestaltete Wimpel das Doppelhaus in der<br />
Vorgartenstraße 50 / Allerheiligenplatz 7 wunderbar umrahmt.<br />
Foto: Josef Reichmayr<br />
Am 14. Juni <strong>2013</strong> haben wir nicht nur erstmals einen großen Schippel 14-/15-jähriger SchülerInnen, die<br />
von ihrem Schuleintritt an die ILB während ihrer ganzen Pflichtschulzeit durchlaufen haben, „entlassen“ und<br />
feierlich verabschiedet, sondern auch anlässlich des Festes viele Gäste begrüßen und teilweise auf die<br />
Bühne bitten dürfen: SSRW-Präsidentin Susanne Brandsteidl, NR-Abgeordneten Harald Walser, Bezirksvorsteher<br />
Hannes Derfler, GR-in Tanja Wehsely, LSI Rupert Corazza, BSI Walter Gusterer, BSI Richard<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Felsleitner, Integrationsberatungsstellen-Mitarbeiterin Brigitte Mörwald, SPZ-Leiterin Andrea Bossler, RepräsentantInnen<br />
der MA 56, der Wr. Kinder- und Jugendbetreuung, viele ehemalige SchülerInnen, Eltern,<br />
unterschiedlichste WegbegleiterInnen und DaumenhalterInnen der ILB seit 1998, dem Geburtsjahr dieses<br />
Schulprojekts.<br />
O-Ton und bewegte Bilder zum Fest (kleine Ausschnitte) sind abrufbar unter http://youtu.be/RAQksbMS0zs<br />
Bei den folgenden Kurzbeiträgen rund ums Fest kommen dort oder da SchülerInnen, die unter der landläufigen<br />
Kategorie Integrationskind laufen, ausdrücklich vor. Meistens aber sind sie bei uns SchülerInnen<br />
wie alle anderen auch und nicht extra erwähnt. Da wir von Anfang an die SchülerInnen mit SPF auf alle<br />
Klassen aufgeteilt haben und dies nach wie vor tun, sind diese Kinder und Jugendlichen allgegenwärtig<br />
und stellen (bei aller Heterogenität von ASO-Kindern über SchülerInnen mit Down-Syndrom, autistischer<br />
Wahrnehmung bis zu körperlich / geistig Gehandicapten) ca. 27% der gesamten SchülerInnenschaft dar.<br />
Und eines habe ich (nicht auf der PädAk im Rahmen meiner Sonderschulausbildung Ende der 90er Jahre,<br />
sondern in der Praxis vor Ort, seit wir auch ältere I-Jugendliche begleiten dürfen) dazu gelernt: Es stimmt<br />
nicht, dass es mit der Integration in der Sekundarstufe I, in der Zeit der pubertären Anwandlungen dieser<br />
Altersgruppe, mit der Integration ganz besonderer SchülerInnen vorbei ist: Am Beispiel Lorenz, einem<br />
Schüler mit Down-Syndrom und grad mal 3 Jahre bei uns gewesen. Er war in seiner ganz besonderen Art<br />
und gefühlsmäßigen Intensität bei der Verabschiedung der „VerlässlerInnen“ sichtbar, spürbar integraler<br />
Teil, ja geradezu Sensor aller anderen seiner „Kohorte“.<br />
Ist das nun Integration oder Inklusion, oder<br />
differenzierte Lernunion – viele Begriffe,<br />
die auch in meinem Kopf manchmal zu Irritation<br />
und Konfusion führen (darum die<br />
merkwürdige Überschrift zu diesem Beitrag).<br />
Ich weiß nur und sehe tagtäglich,<br />
dass wir auch im Lichte des sehr nützlichen<br />
„Index für Inklusion“ auf einem (für<br />
uns und unsere SchülerInnen) guten Weg<br />
sind. 15 Jahre bisher und hoffentlich noch<br />
einige Jährchen mehr!<br />
Josef Reichmayr<br />
Gründer und Leiter der Integrativen<br />
Lernwerkstatt Brigittenau<br />
Ganztagsschule der Stadt Wien<br />
Volksschule mit angeschlossenen<br />
Hauptschul- / Neuen Mittelschul-Klassen<br />
1200 Wien<br />
Vorgartenstraße 50 / Allerheiligenplatz 7<br />
www.lernwerkstatt.or.at<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
15 Jahresfest der ILB<br />
Am 14. Juni <strong>2013</strong> feierte die ILB ihr 15 Jahres Fest. Es war ein sehr buntes Straßenfest mit vielfältigem<br />
Programm, das von einem engagierten Festvorbereitungskomitee bestehend aus Eltern und LernbegleiterInnen<br />
geplant und organisiert wurde. Seit Herbst 2012 trafen sie regelmäßig zusammen. Herzlichen Dank<br />
an dieser Stelle den Eltern, die sich mit ihrem know - how und ihrem tatkräftigen Einsatz vor allem für einen<br />
reibungslosen organisatorischen Ablauf des Festes gekümmert haben. Auch die behördlichen Hürden, die<br />
zur Genehmigung eines solchen Straßenfestes notwendig sind, haben sie bravourös gemeistert!<br />
Das Fest startete bereits um 10:00 Uhr Vormittag mit der Verabschiedung der VerlässlerInnen auf der<br />
Straßenbühne.<br />
Um 13:00 Uhr zogen alle Gruppen zur Bühne hinaus, den Festauftakt am Nachmittag bildeten Trommelpräsentationen.<br />
Danach gab es einige Festansprachen, u. a. von Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl<br />
und von unserem Herrn Direktor Josef Reichmayr. Dieser wurde für seine unermüdliche, kreative,<br />
engagierte pädagogische Arbeit herzlich von den Clustern mit bunten Pflanzen bedankt.<br />
Um 14:30 Uhr startete ein fulminantes, abwechslungsreiches dreistündiges<br />
Bühnenprogramm, bei dem Kinder stolz in einer Modeschau<br />
ihre selbst entworfenen und selbst genähten Designerstücke<br />
präsentierten. Weiters stellten unsere Kids ihr musikalisches,<br />
tänzerisches und schauspielerisches Talent unter Beweis. Auch<br />
unsere Schulband war mit einigen coolen Nummern stark vertreten.<br />
Den Abschluss unseres bunten Programms bildete ein begeisterter<br />
und begeisternder SchülerInnen-Chor mit Jonny Pinter, der drei<br />
Tage lang an der ILB ein Chorworkshop geleitet hatte.<br />
Parallel zum Bühnenprogramm gab es Spiel- und Bastelstationen<br />
im Hof und am Spielplatz. Im Schulgebäude konnte man interessante<br />
Ausstellungen über unsere Schulentwicklung, über verschiedene<br />
laufende Projekte, wie z. B. unsere neue grüne Außenstelle<br />
in Stockerau und Medienprojekte von verschiedenen Stammgruppen<br />
bestaunen. Es gab auch eine Ausstellung mit technischen und<br />
textilen Werkstücken der Kinder zu sehen. Eine engagierte Mutter<br />
organisierte einen Flohmarkt, dessen Einnahmen der ILB zugute<br />
kommen.<br />
Für das leibliche Wohl war bestens durch den Elternverein mit<br />
Würstelgrillen, Schnitzelsemmeln und guten Kuchen gesorgt.<br />
Sehr schön war auch, dass viele ehemalige SchülerInnen und<br />
Eltern zu unserem Fest kamen, mit uns feierten und gemeinsam<br />
auf 15 Jahre ILB anstießen.<br />
Waltraud Pröstler<br />
Volksschullehrerin<br />
und eine der Hauptorganisatorinnen des ILB Festes,<br />
seit über 14 Jahren schon Lehrerin an der ILB<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
„Ich habe den Raum als viel größer in Erinnerung …“<br />
Der 14. Juni <strong>2013</strong>, der 15-Jahre-ILB-Festtag, war auch für mich ein ganz besonderer Tag aus mehreren<br />
Gründen:<br />
• Ich bin Lernbegleiterin an der ILB seit 1998<br />
– und ich liebe es, Kinder, die ich in der<br />
Schule begleiten durfte, wieder zu treffen<br />
und zu sehen, wie sie sich verändert haben.<br />
Drei Schüler aus der allerersten Stammgruppe<br />
A, in der ich damals Lernbegleiterin war, kamen<br />
auch zum Fest: Berni, Matthias und Max.<br />
Max war vor zwei Jahren auch in unserer Schule<br />
als Zivildiener und hat sich danach entschieden,<br />
die Pädagogische Hochschule zu besuchen und<br />
Volksschullehrer zu werden. Nun studiert er doch<br />
noch weiter. Berni ist in die Firma seines Vaters<br />
eingestiegen. Er war mit seiner Freundin da, und<br />
er denkt an Hausbau. Matthias, damals schon ein<br />
Computerkenner ersten Grades, ist ein begnadeter<br />
Computerfachmann geworden. Ich habe den<br />
dreien „unsere“ Fotobände von damals gezeigt und<br />
auch die Klasse, in der der sie einige Jahre ihres<br />
Lebens verbracht haben. Da fiel der Titelsatz: „Ich<br />
habe den Raum als viel größer in Erinnerung ...“<br />
Eine junge Frau trat vor mich, schaute mich an<br />
und fragte, ob ich sie noch kenne. Ich erkannte Katharina<br />
– eine Schülerin, die im 3. ILB-Jahr zu uns in<br />
die Stammgruppe kam und nun eine Studentin ist.<br />
Ich habe David, einen Schüler, den ich 6 Jahre<br />
lang in der ILB begleitet habe, und der nun in<br />
ein Gymnasium geht, wiedergesehen und war erstaunt,<br />
welch „anderer Mensch“ nach nur einem<br />
Jahr da vor mir stand.<br />
• Die Schülerinnen und Schüler aus den beiden Stammgruppen<br />
H und P und wir Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter haben immer wieder mit viel Energie und<br />
Aufwand die diversen Auftritte auf der Bühne einstudiert und geübt. Sie sie sind alle gut gelungen.<br />
Dass „unser“ Daniel (ein autistischer Bub) dann bevor wir als Gruppe mit dem Lied „beetles everywhere“<br />
begonnen haben, den Refrain als Solo ins Mikrofon gesungen hat, war für mich (und ich denke nicht<br />
nur für mich) ein uneingeplantes Highlight des Tages.<br />
• Ich freue mich immer, wenn ich Menschen begegne, mit denen ich gute Beziehungserfahrungen hatte.<br />
Und am 14.Juni <strong>2013</strong> gab es deren sehr viele! Dafür bin ich dankbar!<br />
MITEINANDER LEBEN - VONEINANDER LERNEN<br />
steht beim Eingang unserer Schule – erweitert könnte es werden um<br />
AUFEINANDER ACHTEN - FÜREINANDER SORGEN - ANEINANDER INTERESSIERT SEIN<br />
Christiana Pock-Rosei<br />
VS-Lehrerin an der ILB<br />
36
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
15 Jahre ILB, 15 Jahre vermehrtes Angebot im Textilen und Technischen Werken<br />
„Inklusiver Werkunterricht für alle Kinder“, ist bei uns nicht nur ein Schlagwort.<br />
Zahlreiche Projekte bei denen unsere Integrationskinder voll eingebunden sind, zeigen uns wie wichtig es<br />
ist, sie in allen Bereichen zu fördern.<br />
Sie fertigen wie jedes andere Kind mit Begeisterung ihre Werkstücke und zeigen diese bei der jährlichen<br />
Ausstellung und Modeschau.<br />
Karla, ein hörbehindertes Mädchen, hat ihr Kleidungsstück selbst entworfen und angefertigt. 3 Jahre Werkclub<br />
(im Rahmen der Interessens- und Begabungsförderung) geben ihr Sicherheit an der Nähmaschine.<br />
Nenad, wollte unbedingt einen Mantel nähen. Er hat es tatsächlich geschafft. Wenn er Mathematik und<br />
Deutsch erledigt hatte, durfte er oft den ganzen Tag zum Textilen Werken. Die Motivation seine Arbeit in<br />
der Stammgruppe zu erledigen, war auf einmal unglaublich groß. Manche LernbegleiterInnen trauten ihren<br />
Augen kaum. Nenad wuchs über seine Verhältnisse hinaus. Bei der Modeschau war er der Star, was er<br />
sichtlich genoss. Er durfte einmal der sein, den man bewunderte.<br />
Wir durften im Laufe der 15 Jahre erkennen, dass die Grundlage für „freies, selbstbestimmtes<br />
Werken“, Vertrauen und Risikobereitschaft der LernbegleiterInnen ist.<br />
Die Kinder wissen meist genau an welchem Werkstück sie arbeiten wollen. Freude<br />
am Tun zeigen alle Kinder.<br />
Gabriele Reithofer<br />
Textiles Werken<br />
37
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
alle Fotos zu diesem Artikel:<br />
Gabi Reithofer<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Ich mag die ILB … nicht immer<br />
Die ILB ist halt eine Schule. Eine integrative Lernwerkstatt in der Brigittenau, eine Volksschule und Hauptschule,<br />
eine Ganztagsschule, eine Schule, in der es nur Integrationsklassen und Mehrstufenklassen gibt.<br />
Eine Schule, in der der Unterricht erst um 8:30 beginnt, eine Schule, in der die Klassen „Stammgruppen“<br />
heißen und die Schülerinnen und Schüler ihre Lernbegleiter und Lernbegleiterinnen mit Vornamen ansprechen.<br />
Eine Schule, die etwa 360 Schülerinnen und Schüler besuchen, davon über 90 mit Sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf. Eine Schule, in der viel in Teams gearbeitet wird, in Eingangsgruppen und in<br />
Übergansgruppen und in Ausgangsgruppen, in Coachinggruppen und Tandem-Coachinggruppen und hin<br />
und wieder abends dann noch in Arbeitsgruppen. Eine Schule, in der es dauernd was Neues gibt, so oft,<br />
dass man manchmal das Alte noch nicht richtig kennt.<br />
Für mich ist sie an den meisten Tagen<br />
nicht mehr und nicht weniger als<br />
mein Arbeitsplatz. 19 Schülerinnen und<br />
Schüler, davon 6 mit Sonderpädagogischem<br />
Förderbedarf, Kollegen und Kolleginnen<br />
- und Eltern auch.<br />
Und an den meisten Tagen mach<br />
ich einfach - und doch mit einigem<br />
Schwung - meine Arbeit, so wie viele<br />
andere Lehrerinnen auch. Guten Morgen,<br />
allen zuhören, Wörter nach dem<br />
ABC ordnen, vielen was erklären, mit<br />
manchen im Zahlenraum 5 rechnen,<br />
einem die Socken wieder anziehen,<br />
Wortarten bestimmen, jemanden trösten,<br />
mit einem die Siebenermalreihe<br />
erarbeiten, einige ermahnen, immer jemanden<br />
loben, direkte Rede einführen,<br />
mit manchen dividieren, mich bei einer<br />
Schülerin bedanken, alle motivieren, mit einem Schüler das Schreiben von Einsern und Zweiern üben,<br />
Mittagessen, ab in den Hof, im Turnsaal dann „alles wackelt“ spielen – und zwar so, dass für alle was Interessantes<br />
dabei ist und alle davon profitieren, Lernstunde heute am Schluss und … Mitteilungsmappe<br />
mitnehmen, bevor ihr nachhause geht!<br />
Das alles mach ich nicht alleine, immer im Team. Meistens gerne und mit der Überzeugung, dass es sich<br />
auszahlt. Und trotzdem ist es an manchen Tagen zu viel. Zu viele Bedürfnisse, zu viele Schulstufen, zu viel<br />
Lärm, zu viele Schwierigkeiten, zu viel Druck, zu viele Erwartungen, zu viele Kinder in diesem Haus, zu<br />
viele Projekte, zu viele Ideen, zu viele Vorgaben, zu viel Vorbereitungsarbeit, zu viel individuelles Arbeiten,<br />
zu viel Verschiedenheit, zu viele Lernziele zu erreichen, und dann noch ein Schulfest am Freitag Nachmittag<br />
… ich mag die ILB nicht immer!<br />
Und - jessas naa - die Bastelstation für das Fest müssen wir auch noch vorbereiten.<br />
Und dann ist er da, der Tag, an dem die ILB feiert, dass es sie seit 15 Jahren gibt. Da ist tatsächlich die<br />
Straße vor der Schule gesperrt und die Bühne ist ziemlich groß sogar. Reden werden gehalten. Schönes<br />
und Berührendes wird gesagt über die Schule, in der ich arbeite. Da kann man sich schon freuen und auch<br />
ein bissl stolz sein, dass man da dabei ist. Aber so richtig versöhnt mich das noch nicht mit den Tagen, an<br />
denen mir alles zu viel vorkommt und ich nicht weiß, ob sich der Einsatz lohnt…<br />
Das, was kleine, mittlere und große Kinder auf der Bühne zeigen, wirkt da doch besser. Schon cool, was<br />
es da zu sehen und zu hören gibt, was die alles können und wie sie es präsentieren. Erst recht, wenn man<br />
viele schon kennt, seit sie 6 Jahre alt waren. Wahnsinn, was sich da alles getan hat. Vielleicht lohnt sich<br />
der Einsatz ja doch…<br />
39
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Und dann treff´ ich Mara. Mara ist ein Mädl – eigentlich schon eine junge Frau – mit Downsyndrom. Sie ist<br />
nicht mehr an der Schule, aber das Fest lässt sie sich nicht entgehen. Sie ist alleine mit dem Bus hergekommen,<br />
und außerdem hat sie heute Geburtstag. Als der kleine Max aus meiner Stammgruppe das hört,<br />
schenkt er Mara seinen Essensgutschein. Sie holt sich Pommes und er kauft sich auch welche – ganz<br />
alleine - und dann sitzen sie nebeneinander auf der Bank, sehr zufrieden mit diesem Tag, und essen die<br />
Pommes. Max sagt strahlend und mit ziemlich viel Ketchup im Gesicht: „Ist das ein schönes Fest heute,<br />
ja?!“ Und da ist es auch für mich einer von den Tagen, an denen ich weiß, dass sich der Einsatz lohnt.<br />
Martina Englbrecht<br />
Sonderpädagogin und<br />
Lernbegleiterin in einer Übergangs-Gruppe der ILB<br />
(Schulstufe 4, 5, 6)<br />
40
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Von der Sinnhaftigkeit des Nachdenkens über den Wortlaut in Zeugnissen<br />
Ständige Veränderung. Ein Zeichen unserer schnelllebigen Zeit. Etwas beim Alten zu belassen verliert sich<br />
im unablässigen Reformergeist der Gegenwart.<br />
Ein sich Anpassen oder sich Gewöhnen an das Veränderte muss schnell gehen, bevor der Zeitgeist erneut<br />
zuschlägt.<br />
Beides hat wohl seinen Wert, die Beständigkeit ebenso wie die Veränderung, die Herausforderung besteht<br />
darin, zu erkennen, warum Veränderung passieren soll.<br />
In diesem Beitrag soll es darum gehen, die Macht von Wörtern, von Sprache – in gesprochener oder geschriebener<br />
Form – zu reflektieren um zeitgemäße Veränderung zu veranlassen, die Bestand hat.<br />
Wenn Inklusion in aller Munde ist, geht es wohl auch um die vielen zunächst als Kleinigkeit erscheinenden<br />
Einzelheiten rundherum, die miteinbezogen werden dürfen, um das Gemeinsame den Unterschieden<br />
vorzuziehen. Mit dem sehr systemlastigen Begriff der Inklusion fängt eine Mutter nichts an, deren Kind ein<br />
Zeugnis in Händen hält mit dem sehr eindeutigen Hinweis, dass es einem Unterricht nach dem Lehrplan<br />
für Schwerstbehinderte beiwohnen darf. Oder eben auch einem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule<br />
unterliegt, was die natürliche Besonderheit eines jeden einzelnen Kindes hier wohl doch unter ein etwas<br />
scheinheiliges Licht stellt.<br />
Und wenn laut vorhandenem Gesetzesentwurf<br />
in der Ausbildung das Sonderschullehramt<br />
abgeschafft werden soll – ein für<br />
die meisten LehrerInnen dieser Spezies<br />
wohl sehr zweifelhafter (Rück)schritt – ist es<br />
noch schwerer nachzuvollziehen, warum der<br />
Stempel der Unterschiedlichkeit im Lehrplan<br />
in Zeugnissen und sonstigen formellen Dokumenten<br />
aufscheinen soll.<br />
Ja, es handelt sich um das geschriebene<br />
Wort und ja, Papier ist geduldig. Trotzdem<br />
darf nicht unterschätzt werden, dass das,<br />
was hier vermittelt wird, ausstrahlt und verinnerlicht<br />
wird.<br />
Sprache manipuliert unser Denken und es<br />
erfordert viel Bewusstheit, diese Einflüsse<br />
aus einer bestimmten Distanz zu betrachten.<br />
Es gibt die offensichtliche Wirkung der Worte: Wer einen Roman aufschlägt, eine Liebeserklärung bekommt<br />
oder in einen heftigen Streit gerät, der spürt, wie Sprache berührt. Worte können trösten oder tief verletzen,<br />
manche hängen einem tage- oder gar jahrelang nach. Auch unsere eigenen Worte wirken auf uns. Wenn<br />
wir etwa ein Tabuwort aussprechen, kann das bei uns selbst körperlich messbare Stresssymptome hervorrufen.<br />
Sprache vermittelt Identität, diese wird gerade vor dem Hintergrund der allgemeinen Globalisierung und der<br />
nationalen Schulentwicklung immer wesentlicher. Wer bin ich und was kann ich auf dieser Welt dazu beitragen,<br />
dass sie lebenswerter wird. Denn darum geht es doch im Endeffekt, dass alle zum frühest möglichen<br />
41
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Zeitpunkt vermittelt bekommen, was für ein innewohnendes Potential eingebracht werden kann. Wenn wir<br />
den Ansatz verfolgen, dass Schule die Aufgabe hat, genau dieses Potential zu erkennen und zu fördern,<br />
dann sollten unsere Gedanken wohl weiter gehen als immer andere Definitionen für ein doch starres und<br />
unbewegliches System zu kreieren.<br />
Veränderung ist hier sicher angebracht. Veränderung hin zu einem System, das fördert und unterstützt und<br />
jede Bedürftigkeit und jedes Bedürfnis als ebenbürtig ansieht und das auch verbalisiert. Ja, wir brauchen<br />
Begriffe wie Inklusion, weil es heutzutage noch notwendig ist, das Bewusstsein in diese Richtung zu vergrößern<br />
und zu schärfen. Nicht mehr notwendig sind Begrifflichkeiten und Maßnahmen, die die Ausgrenzung<br />
immer noch plakativ vorzeigen. Deshalb plädiere ich in einem ersten Schritt dafür, dass der Begriff der<br />
„Schwerstbehinderung“ aus den Zeugnissen verbannt wird und – damit der Schulbürokratie genüge getan<br />
wird – eine Formulierung zu verwenden, wie sie beispielsweise in Vorarlberg schon Alltag ist.<br />
Anstatt „unterrichtet nach dem Lehrplan der allgemeinen Sonderschule“ wird hier die Formulierung „sonderpädagogischer<br />
Förderbedarf“ verwendet bzw. für „unterrichtet nach dem Lehrplan für Schwerstbehinderte“<br />
steht dort „erhöhter sonderpädagogischer Förderbedarf“.<br />
Weiterführend erlaube ich mir den Gedanken, dass wohl auch das „sonder“…wegformuliert werden darf.<br />
Erhöhter Bedarf heißt hohes Bewusstsein für Bedürfnisse. Für besondere, im Hinblick auf die breite Masse,<br />
nicht sonderbare Bedürfnisse.<br />
Karin Abriel<br />
Lehrerin an der ILB<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
My Fair Lady<br />
Theaterspiel – ein Inklusionsprojekt<br />
Mit diesem Theaterstück wurde ein wesentliches Ziel der Karl Schubert Schule, nämlich mit dem angebotenen<br />
Unterricht zur Persönlichkeitsentfaltung der SchülerInnen beizutragen, auf neue und kreative Weise<br />
eindrucksvoll umgesetzt. Einen wesentlichen Anteil daran hatte die „Besetzungsliste“: Schüler, Lehrer,<br />
Helfer, Zivildiener, Eltern – eine bunte Vielfalt an Mitwirkenden mit unterschiedlichstem Hintergrund, geeint<br />
durch ein gemeinsames Vorhaben.<br />
Am künstlerischen Prozess einer Theaterproduktion mitzuarbeiten, bei der zuallererst eine grobe Idee besteht,<br />
dann die einzelnen Szenen entwickelt werden, die sich nach und nach zu einem Ganzen fügen, ist<br />
ein außerordentlich spannendes und lehrreiches Geschehen für alle Beteiligten, die bei der gemeinsamen<br />
Arbeit sowohl eine Entwicklung der eigenen Fähigkeiten als auch des gemeinsamen Projektes miterleben<br />
können. Im kreativen (und manchmal mühsamen) Ringen um eine überzeugende Darstellung der Charaktere<br />
und der Inhalte begegnen sich alle Mitwirkenden auf gleicher Ebene. In unserem Falle forderte die<br />
Regisseurin Frau Mag. Lechner (ehemalige Klassenlehrerin an unserer Schule) von allen Schauspielern<br />
konsequent, sich ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend einzubringen – sie verlangte uns allen<br />
das Allerbeste ab und behielt gleichzeitig das gesamte Stück im Auge. Diese Anforderung war nicht immer<br />
leicht zu erfüllen, sie führte aber zu einer besseren Selbsteinschätzung und vor allem zu der Einsicht, dass<br />
durch ernsthafte Arbeit Vieles zu erreichen ist.<br />
Foto: Gerhard Müller<br />
Ein ganz besonderes Erlebnis war für mich, wie wir alle gleichermaßen unsere Fähigkeiten wie Unfähigkeiten<br />
bearbeiteten und uns dabei in unserem Entwicklungsweg in keiner Weise voneinander unterschieden,<br />
auch wenn unsere persönlichen Grenzen unterschiedlich sein mögen: Weiterentwicklung bedingt Schwierigkeiten<br />
zu überwinden, und die Vielfalt einer Gemeinschaft ist dafür ungeheuer erfrischend und unterstützend.<br />
43
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
In diesem Prozess des künstlerischen Schaffens wurde damit erlebbar, was Inklusion meint: Wir alle waren<br />
Mitglieder einer Gemeinschaft, bei der die Vielfalt und Potentiale aller von gleicher Wichtigkeit und Wertigkeit<br />
waren, und wo gegenseitige Unterstützung und wohlwollende Kritik unabhängig von individuellen<br />
Besonderheiten selbstverständlicher Bestandteil der Zusammenarbeit waren.<br />
Das Projekt war sowohl große Freude als auch unvergessliches Erlebnis, das ich nicht missen möchte!<br />
Wolfgang Füreder<br />
Schülervater<br />
My Fair Lady – Die Kritik<br />
Ende Juni bereitete das Werkstufenteam<br />
uns ein besonderes Vergnügen: Sie zeigten<br />
„My Fair Laidy“ in der Wiener Fassung,<br />
etwas gekürzt, aber vollwertig in jeder Hinsicht.<br />
Es war eine eindrucksvolle Zusammenarbeit<br />
von Schülern und Schülerinnen<br />
mit LehrerInnen, MitarbeiterInnen und Eltern,<br />
ein gelungenes Beispiel, wie Inklusion<br />
verwirklichbar ist.<br />
Die Hauptrollen, Eliza und Professor Higgins,<br />
verkörperten Tamara Pointner und<br />
Raffael Kölbel aus der 11. Klasse sowohl<br />
sprachlich und gesanglich, als auch darstellerisch<br />
unglaublich perfekt. Ich habe eine<br />
Besucherin sagen hören, sie habe noch nie<br />
eine bessere Eliza gesehen! Und wie Raffael<br />
den Higgins hingekriegt hat – bewundernswert!<br />
Ergänzt wurde das Protagonisten<br />
Team einfühlsam durch den Gentleman<br />
Oberst Pickering des Zivildienstleistenden<br />
Elias Wandl.<br />
Foto: Gerhard Müller<br />
Das Besondere an dieser Aufführung war aber die großartige Zusammenarbeit des gesamten Ensembles.<br />
Jede Nebenrolle war perfekt gegriffen und die „Massenszenen“, anfangs am Markt, dann in Ascot und beim<br />
Diplomatenball regiemäßig und choreographisch großartig. Viel Probenarbeit war das sicherlich – für die<br />
Zuschauer jedenfalls die reinste Freude! Ein spezielles Vergnügen der Doolittle von Bernhard Hager, aber<br />
auch der verliebte Freddy vor dem Haus der Eliza! Wie gut sich die mitwirkenden Erwachsenen in das Ensemble<br />
einfügten! Wie die SchülerInnen neben der besonderen Rolle, die sie im Spiel hatten, auch in den<br />
Massenszenen mitwirkten und so einmal Marktvolk und einmal High Society waren! Das alles war schon<br />
eine besondere Regieleistung von Brigitte Lechner, der man große Bewunderung aussprechen muss.<br />
Alle Melodien des Musicals erklangen begleitet am Klavier von Ivan Kovac. Auch die Zeiten der Umbauarbeiten<br />
hinter dem Vorhang zwischen den Szenen verschönerte er durch sein Spiel. Wir alle hatten ja keine<br />
Ahnung, was da alles umzubauen, umzuziehen und umzuordnen war. Die Dekorationen waren übrigens<br />
großteils im Kunstunterricht der Werkstufe entstanden.<br />
44
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Für diesen Theatergenuss möchte ich allen Beteiligten gratulieren und mich bei jedem Einzelnen herzlich<br />
bedanken, und das sicherlich auch im Namen von den vielen begeisterten Zuschauern!<br />
Uta Kriegleder<br />
ehemalige Kollegin im Ruhestand<br />
My Fair Lady – aus der Sicht eines Schauspielers<br />
Im Sommersemester <strong>2013</strong> haben wir mit dem Theaterprojekt "My Fair Lady" begonnen. Alle SchülerInnen<br />
und LehrerInnen der 11. Klasse trafen sich einmal in der Woche, um die Texte durchzulesen und die Rollen<br />
zu personalisieren. Im Laufe der Zeit holten wir uns weitere Mitspieler zum Theaterstück dazu, SchülerInnen<br />
aus anderen Klassen, Schülereltern und andere LehrerInnen. Mit der Zeit hatten wir an die 15 Personen,<br />
die an dem Theaterprojekt beteiligt waren (SchauspielerInnen, Choreographen, StatistInnen und die<br />
Regie). In den ersten Wochen fanden die Theaterproben in der Klasse statt. Ich war froh, dass die Osterferien<br />
dann endlich kamen. Nach den Ferien konnten wir dann frisch gestärkt weiter proben, und zwar während<br />
des Hauptunterrichtes im großen Festsaal. In dieser Zeit begannen wir aber auch in den Fachstunden<br />
Requisiten und Bühnenbilder in der Holzwerkstatt herzustellen oder zu reparieren (falls vorhanden und nötig).<br />
Wir kamen gut voran, sowohl wir SchülerInnen und gleichermaßen LehrerInnen und unser Zivildiener.<br />
Doch leider sagte uns Fr. Lechner immer wieder, wenn wir dachten, dass wir hervorragend seien, dass es<br />
immer noch besser gehen könnte. Da waren unser Selbstbewusstsein und unsere Gelassenheit hin und<br />
wieder im Keller. So angetrieben und motiviert verflogen die Tage im Nu. Doch leider gab es auch Tage, an<br />
denen die Zeit zu stehen schien. Als dann die Generalprobe kam, waren wir sehr nervös und angespannt.<br />
Nach dem Auftritt waren wir alle erleichtert, denn die Aufführung war gut verlaufen und es war nicht halb so<br />
anstrengend wie bei den Proben (fanden Elias & Raffael). Alles in allem war es eine schöne Zeit und ein<br />
kooperatives Zusammensein von SchülernInnen, LehrernInnen, einem Zivildiener, Schülereltern und einer<br />
pensionierten Lehrerin.<br />
Ein Aufsatz von Raffael Kölbel<br />
Schüler der 12. Klasse<br />
45
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Hochwasserhilfe Kössen – Dank den Zuschauern<br />
Im Frühsommer dieses Jahres, also kurz vor den Aufführungsterminen unseres Klassenspieles „My Fair<br />
Lady“ wurden viele Teile Österreichs und auch unserer Nachbarländer von schrecklichen Hochwassern<br />
zerstört. Die Mitwirkenden an unserem Theaterspiel kamen überein, dass wir einen eventuellen Erlös aus<br />
den Aufführungen den Hochwasseropfern zur Verfügung stellen wollen.<br />
Tatsächlich gelang es uns, bei den 4 Aufführungen das Publikum so sehr zu beeindrucken, dass die stolze<br />
Summe von € 2.200,-- zustande kam, die wir an die stark in Mitleidenschaft gezogene Gemeinde Kössen/<br />
Tirol überwiesen!<br />
Den Dank des Bürgermeisters wollen wir auf diesem Wege an jene Zuschauer weiterleiten, die uns geholfen<br />
haben, einen Beitrag zu leisten, damit das Leben wieder lebenswert wird in der schönen Gemeinde<br />
Kössen!<br />
Die Mitwirkenden am Projekt „My Fair Lady“<br />
46
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Wir stellen vor: Neue LeiterInnen im 17. IB<br />
SDn Marcella Feichtinger<br />
Jahrgang 1964, verheiratet, 2 Kinder<br />
Lehramtsprüfung 1986 für Sonderschulen<br />
Schwerstbehindertenpädagogik<br />
Sprachheilpädagogik<br />
Dienstantritt 1986 - SPZ 12, Rosasgasse<br />
Dienstantritt 1987 - SPR 3, Wiener Sprachheilschule<br />
Ab 2001 – Leiterstellvertretung , ab April 2012 – interimistische Leitung<br />
Stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik<br />
- ÖGS<br />
Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Logopädie, Phoniatrie<br />
und Pädaudiologie – ÖGLPP<br />
Seit 1. September <strong>2013</strong> Schulleiterin der Wiener Sprachheilschule, 1030<br />
Wien, Landstraßer Hauptstraße 146.<br />
SDn Karin Stepanek<br />
50a, verheiratet, 2 Kinder (17a, 14a)<br />
Ca. 20 Dienstjahre am SPZ 14, Kienmayergasse als Lehrerin in<br />
S-Klassen, danach 2 Jahre I-Lehrerin an der NMS-Steinbauergasse<br />
Zwischendurch außerschulische Erfahrungen (zwei Jahre Leitung einer<br />
WG für Menschen mit geistiger Behinderung, sechs Jahre Karenz, davon<br />
vier Jahre als Tagesmutter tätig)<br />
Ausbildung zur systemischen Supervisorin, als solche auch für PH tätig<br />
In den letzten 13 Jahren Aufbau der SMG (SchülerInnenmitgestaltung) für<br />
den sonderpädagogischen Bereich (Schulungen für SchulsprecherInnen<br />
und VertrauenslehrerInnen)<br />
Seit 1. September <strong>2013</strong> Schulleiterin der Allgemeinen Sonderschule 1140<br />
Wien, Linzer Straße 232.<br />
SD Dipl. Päd. Elmar Keimel-Waldmann<br />
Jahrgang 1974, verheiratet, 2 Kinder<br />
Diplomabschluss zum Diplomierten Behindertenpädagogen 1998, berufsbegleitendes<br />
Lehramtsstudium ab 2002<br />
Lehramtsprüfung 2005 für ASO und Integration, anschließend<br />
Dipl. Päd. für SSO geistig Behindertenpädagogik und Diplom für Sprachheilpädagogik<br />
Seit 1. Mai <strong>2013</strong> Schulleiter der Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder<br />
1140 Wien, Kienmayergasse 41.<br />
47
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
THEATER selber machen<br />
Projekt „2050-Alle Menschen sind gleich“<br />
„Theater selber machen“ entwickelte im Rahmen der vom bm:ukk und „Weiße Feder“ ins Leben gerufenen<br />
Theaterinitiative „MachtIschuleItheater“ zusammen mit dem SPZ Quellenstraße, der KMS Leibnizgasse<br />
und der NMS Hainburger Straße das Stück „2050 – Alle Menschen sind gleich“.<br />
Die insgesamt 45 Schülerinnen und Schüler haben das Theaterstück zusammen mit dem Autor und Regisseur<br />
Raphael Protiwensky-Schenk und der Dramapädagogin und Sprachtrainerin Birgit Maria Langeder<br />
entworfen, verfasst, geprobt und schließlich auf die Bühne gebracht. Das Bühnenbild entstand in Zusammenarbeit<br />
mit den Bühnen- und Kostümbildnern Karl Fehringer und Judith Leikauf. Die Schirmherrschaft<br />
über das Projekt wurde von der beliebten Schauspielerin Ursula Strauß (bekannt u.a. aus der TV Serie<br />
„Schnell ermittelt“) übernommen.<br />
Zur Sensibilisierung der Körpersprache im Hinblick auf Gewaltprävention wurden unsere Theaterkurse<br />
jeweils durch einen Selbstverteidigungskurs der Sektion „Krav Maga Allround“ der Polizeisportvereinigung<br />
Wien und Vorträgen einer Präventionsbeamtin der Wiener Polizei ergänzt. Dadurch lernten die SchülerInnen<br />
einerseits die Wirkung ihrer Körpersprache kennen und andererseits konnten sie Erfahrungen sammeln,<br />
welche gesellschaftlichen Auswirkungen Gewalthandlungen haben können.<br />
Foto Copyright: Andreas Langeder<br />
Unser Stück „2050 – Alle Menschen<br />
sind gleich“ gliedert sich in<br />
zwei Teile: In einem kurzen Prolog<br />
werden fünf Szenen gezeigt,<br />
die aufkeimende Gewalt im Alltag<br />
der SchülerInnen vorführen. Für<br />
die Entwicklung dieser Szenen<br />
wurde mit der literarischen Vorlage<br />
„Die Farm der Tiere“ von George<br />
Orwell gearbeitet. Neben der<br />
Heranführung an Literatur wurden<br />
damit die Gefühle spürbar<br />
gemacht, die Aggressionen hervorrufen.<br />
Die SchülerInnen spürten<br />
diese Gefühle in ihrem Alltag<br />
auf und schufen Szenen, die ihnen<br />
vertraut sind, stoppten aber<br />
jeweils die dadurch provozierte<br />
Gewalthandlung.<br />
Der Hauptteil unseres Stückes wurde in die Zukunft verlegt, ins Jahr 2050, ein Datum, das die SchülerInnen<br />
noch erleben werden und bis zu dem sie viele wichtige Lebensentscheidungen getroffen haben werden.<br />
Dieser längere, aufwendigere und dramaturgisch durch eindrucksvolle Massenszenen gestaltete Hauptteil<br />
zeigt eine Diktatur, deren Herrscher eine gewaltfreie Gesellschaft durch das Diktat der Gleichheit schaffen<br />
möchten. Nachdem es, wie die Realität zeigt, immer wieder zu Ausschreitungen kommt, liegt der vermeintlich<br />
einfache Schluss nahe, dass die Unterschiede zwischen den Menschen diese Auseinandersetzungen<br />
begünstigen. Also wird kurzerhand beschlossen, dass alle Menschen gleich sein müssen, damit sollten<br />
die Probleme gelöst werden. Von den Diktatoren werden daraufhin entsprechende Befehle ausgegeben:<br />
Alle müssen weiße Overalls und weiße Masken tragen Alle müssen die gleiche Sprache sprechen und alle<br />
müssen die gleiche Meinung haben. Alle?<br />
Nein, die Diktatoren, die diese Gesetze verlautbaren, nehmen sich selbst und ihre Vollstrecker, die Soldaten,<br />
davon aus. Frei nach George Orwells „Animal Farm“ sind alle gleich, aber manche sind gleicher …<br />
Und so ist es kaum verwunderlich, dass sich erste Aufstände gegen diese Gleichmacherei formieren …<br />
48
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Die Rebellen beginnen zunächst im Untergrund einen Widerstand zu formieren, überzeugen aber bald<br />
auch das Volk und schließlich auch die Soldaten, dass diese „ungleiche Gleichmacherei“ seitens der Diktatoren<br />
ungerecht ist und nicht länger geduldet werden kann.<br />
Aufstände und Demonstrationen werden organisiert und schließlich sehen sogar die Diktatoren ihr Fehlverhalten<br />
ein und entschuldigen sich dafür. Das ist das Wunder des Theaters: Echte Einsicht kann innerhalb<br />
kürzester Zeit passieren und so wendet sich alles zum Guten.<br />
Am Schluss des Stückes wenden sich die SchülerInnen direkt an das Publikum: „Was brauchen wir für ein<br />
friedliches, gewaltfreies und vor allem erfülltes Miteinander?“<br />
Die Antworten kommen ebenfalls von den SchülerInnen: Toleranz, Respekt, Freundschaft, Liebe, Rücksicht,<br />
Individualität, Bildung … und auch ein Eis!<br />
Die Premiere fand am 17. April im Festsaal der VS Jagdgasse statt. Besonders gefreut hat uns, dass sich<br />
BM Dr. Claudia Schmied, SchulinspektorInnen, DirektorInnen, LehrerInnen und natürlich die stolzen Eltern<br />
der DarstellerInnen für unser Erstaufführung interessiert haben. Weitere Vorstellungen folgten am 18. April<br />
unter Beisein der Wiener Stadtschulratspräsidentin Dr. Susanne Brandsteidl und am 25. April im Jugendzentrum<br />
c2g in Erdberg.<br />
Wir hoffen, dass allen Beteiligten, besonders den Schülerinnen/Schülern, das Stück in bereichernder, lustvoller<br />
Erinnerung bleiben wird und wir bedanken uns für die engagierte Unterstützung!<br />
Für weiterführende Informationen, mehr Bilder und Beiträge zum Gesamtprojekt sowie ein Video vom Stück<br />
und Presseberichte empfehlen wir die Homepage http://www.machtschuletheater.at/projekt/2050-alle-menschen-sind-gleich/<br />
Weiterführende Informationen über THEATER selber machen: www.nudelburg.at<br />
Mag. Birgit Langeder<br />
ist Theaterwissenschaftlerin und Sprachtrainerin Sie arbeitet am szenischen Zugang<br />
zum Spracherwerb und am Rollenbewusstsein in verschiedenen gesellschaftlichen<br />
Kontexten mit SchülerInnen, um deren Handlungsfeld bewusster zu gestalten. Dabei<br />
sind biographische Zugänge und Körpersprache zur Reflexion und Erweiterung von<br />
Ausdruck und Darstellung besonders wichtig. Denn Worte formen Wirklichkeit und auf<br />
der Bühne sind Experimente möglich, die auch den Aktionsraum im Alltag positiv und<br />
kreativ bereichern.<br />
Mag. Raphael Protiwensky-Schenk<br />
ist Autor, Regisseur und Theaterpädagoge. Er hat Theaterworkshops in Kindergärten,<br />
Kinderdörfern, Volks- und Hauptschulen, Gymnasien, Sonderschulen, Volkshochschulen<br />
im In-und Ausland (u.a. in Deutschland, Ungarn und Bosnien) geleitet.<br />
Veröffentlichungen: „Das erste Weihnachtsfest der Elfen, Feen und Trolle“, zusammen<br />
mit Kindern und Jugendlichen des Kinderdorfes Pöttsching, Ed. Lex Liszt 12. Theaterstücke<br />
verlegt bei Hartmann und Stauffacher, Whalesongs/ u.a. „Der Froschkönig“,<br />
„Franz und Karl - Die Räuberkinder“, „Hänsel und Gretel“, „Armer böser Wolf“, „König<br />
Drosselbart“, „Dornröschen“, „Rumpelstilzchen“, das Musical „Die zertanzten Schuhe“<br />
und das Kinderstück „Rufin im Schrank.<br />
Raphael Protiwensky-Schenk ist Mitglied des<br />
„Bundesverband Theaterpädagogik e.V.“ (BUT)<br />
49
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Rhythmus in die Schule!<br />
Die Suche nach neuen Wegen um Kindern in der Stärkung ihrer Persönlichkeit, ihres<br />
Selbstwertes beizustehen, ist die eigentliche Herausforderung der heutigen Zeit an<br />
die Pädagogik. Um dies und auch das soziale Verhalten von Jugendlichen zu schulen,<br />
bieten sich seit jeher die Musik und die Bewegung in der Gruppe an.<br />
Im Zuge meiner langjährigen Tätigkeit als Lehrer an Wiener Pflichtschulen habe ich<br />
erkannt, dass die Jugendlichen, speziell wenn sie in die Pubertät eintreten, über den<br />
Weg des aktiven Handelns besser angesprochen und ihre Ressourcen mobilisiert werden können, als<br />
durch das Vortragen und Abprüfen rein kognitiven Wissens. Die Wichtigkeit der Kreativität kann in diesem<br />
Zusammenhang nicht oft genug betont werden. Musik und Tanz, Rhythmus und Bewegung sind probate<br />
Mittel zur Persönlichkeitsbildung. Diese in den Unterricht zu integrieren, bzw. jenen danach auch auszurichten<br />
ist deshalb gefragt. Die Entwicklung der Persönlichkeit und Stärkung des Selbstwertes der Jugendlichen<br />
sollte absoluten Vorrang vor rein kognitiver Wissensvermittlung haben.<br />
Die Untersuchung<br />
Im Rahmen eines Forschungsprojektes über einen Zeitraum von insgesamt 16 Monaten wollte ich nun untersuchen,<br />
ob und inwieweit der Rhythmus für die Entwicklung der Persönlichkeit der Jugendlichen förderlich<br />
ist, indem deren Selbstwert dadurch wächst und in Folge davon ihr soziales Interagieren dem Gemeinwohl<br />
als zuträglich beschrieben werden kann. Durchgeführt wurde die Studie an einer Wiener Mittelschule<br />
in Wien - Hernals. Dieser Schulstandort hat einen integrativen Schwerpunkt. Zur Beobachtung standen<br />
zwei Klassen in aufeinanderfolgenden Schulstufen zur Verfügung. Der ältere Jahrgang hat 20 Kinder, davon<br />
sind sechs Mädchen, der jüngere 19 Kinder, wovon acht Mädchen sind. Bei der Arbeit mit den beiden<br />
untersuchten Gruppen wurden die Erkenntnisse mittels Aktionsforschung durch die Methoden der teilnehmenden<br />
freien und strukturierten Beobachtung gewonnen.<br />
Das Projekt „Rhythmus in die Schule!“ lief in diesen beiden Klassen vom Oktober 2011 bis zum März <strong>2013</strong>.<br />
Es fand u.a. in den Musik- und Lerncoachstunden eine geeignete Plattform, sodass mir daher pro Schulstufe<br />
zumindest jeweils drei Wochenstunden dafür zur Verfügung standen. Die Beobachtung der Schülerinnen<br />
und Schüler beschränkte sich klarerweise nicht nur lediglich auf diese Stunden, sondern bezog auch<br />
„herkömmliche“ Unterrichtsfächer, wie zum Beispiel Mathematik und Physik, sowie selbstverständlich die<br />
Pausen mit ein. Der Fokus richtete sich dabei einerseits auf das Verhalten der Kinder Anderen gegenüber,<br />
andererseits auf ihr Auftreten, das durch ihre Sicherheit und ihre Körperhaltung widergespiegelt wurde.<br />
Den Selbstwert der Schülerinnen und Schüler zu erahnen, bzw. durch gezieltes, sanftes Nachgehen und<br />
Hinspüren zu erfragen, stand im Mittelpunkt meiner Untersuchung. Wie könnte es denn nun möglich sein,<br />
durch die Arbeit mit dem Rhythmus Kinder in ihrem Selbstwert zu stärken?<br />
Versuch einer Erklärung<br />
Ein verbessertes Körpergefühl, das die Kinder durch das Trommeln - beispielsweise durch Bodypercussion<br />
am eigenen Körper - erfahren, lässt sie im Wachsen ihres Selbstwertes Unterstützung finden. Wer<br />
sich selbst gut spürt und, wie beim Trommeln üblich, mit beiden Beinen fest am Boden steht, nimmt sich<br />
selbst besser wahr und wächst daher in seiner Selbstwahrnehmung. In weiterer Folge sind dadurch ein<br />
verbessertes soziales Verhalten und mehr Aufmerksamkeit im Unterricht zu erwarten, was wiederum die<br />
Lernerfolge des einzelnen Schülers, der einzelnen Schülerin erhöht.<br />
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Meine Theorie<br />
Man kann bei der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern immer wieder beobachten, wie sie beim Erlernen<br />
von Rhythmen an ihre Grenzen kommen, wie sie anstehen und sich rhythmische, vordergründig durch<br />
motorische Probleme ergebende „Knoten“ zeigen, die gelöst werden müssen. Hemmungen treten auf,<br />
Schranken, die sie am Erfolg hindern. Manche SchülerInnen gehen in die Selbstbeobachtung, verkrampfen,<br />
schämen sich vor den anderen. Gelingt es mir, diese Blockaden, meist durch Umwege über andere<br />
Übungen zu lösen, steht dem Kind der Weg zum Erfolg frei. Wenn sie es dann schaffen, den Rhythmus zu<br />
spielen, steigert dieses Erfolgserlebnis ihren Selbstwert.<br />
Hilft dieses „Locker-Werden“ beim Trommeln an sich und in der Interaktion in der Percussion-Gruppe auch<br />
ihre persönlichen Grenzen auf anderen Gebieten zu überwinden? Gibt es einen Transfer zu ihrem sonstigen<br />
sozialen Verhalten, so dass sie in den Beziehungen zu den Mitgliedern ihrer Klassengemeinschaft<br />
ehrlicher, offener und freier werden können?<br />
Das Lernen in der Rhythmusgruppe<br />
Jedes Kind findet hier seinen eigenen Platz. Wesentlich ist es, beim Agieren und Interagieren entspannt zu<br />
sein. Grundlage ist es, den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln: „Du bist in Ordnung, so wie du bist“,<br />
und sie vor allem immer spüren lässt, dass man sie bei aller gebotenen professionellen Zurückhaltung,<br />
einfach gern hat. Der Spaß und Humor sollte dabei nie fehlen. Bei Verfehlungen im disziplinären Bereich ist<br />
es angebracht, klar zu sein, wenn ein Verhalten andere verletzend oder den Betrieb störend ist und dabei<br />
genau auszudrücken: „Dein Verhalten ist nicht in Ordnung, ich will das so nicht, höre auf damit!“ „Defizite<br />
im Sozialverhalten gehen nicht selten mit geringen Selbstwerten einher. Dies gilt für beide Extreme sozialer<br />
Inkompetenz, für den sozialen Rückzug ebenso wie für aggressive Versuche der Problembewältigung.“ 1<br />
An diesem Punkt wird angesetzt, wenn der Selbstwert durch Ausdrücken von Zuneigung und Verständnis<br />
eine Stärkung erfährt und „aggressive Versuche der Problembewältigung“ damit reduziert werden können.<br />
Beobachtet wurde das im Speziellen bei Mädchen und Burschen, die zuvor häufig mit einem aggressiven<br />
und unsicheren Verhalten aufgefallen sind.<br />
Wandlung im Handeln geschieht mit dem ersten Schritt. Diesen zu tun erfahren die Schülerinnen und Schüler,<br />
wenn sie es wagen, über den Tellerrand zu blicken, sich aus dem Fenster zu lehnen. Gelegenheit dazu<br />
haben sie in der rhythmischen Praxis mehr als genug: Solieren vor der Gruppe, ob durch Bewegungen, Bodypercussion<br />
oder Spiel auf den Trommeln – es kostet Überwindung, sich zu zeigen, aus sich herauszugehen.<br />
Ist das einmal geschafft, bleibt Zufriedenheit und Stolz. Der Anfang zu weiterer Entwicklung ist getan.<br />
Das Besondere am Gruppenmusizieren ist:<br />
• Das Gemeinschaftsgefühl und das Erlebnis, von den anderen „getragen“ zu werden, erleben zu dürfen.<br />
• Im Solieren den Ausdruck der eigenen Individualität zu erfahren und im Background das Kollektiv, das<br />
trägt und Verantwortung hat, spüren zu können.<br />
Der Grundgedanke meines Tuns ist es, den Selbstwert des Kindes durch mannigfache Erfolgserlebnisse<br />
sukzessive zu steigern, Vollbrachtes und Erlerntes als motivierende Basis für neue Aufbrüche in die Welt<br />
des Lernens und Lebens zu schaffen. In der Rhythmusgruppe wird daher viel miteinander gespielt. Mit<br />
wechselnden Rollen soliert einmal der eine, dann die andere. Das Kollektiv übt, wenn es spielt, eine eigene,<br />
faszinierende Kraft aus. Für manche/n war das die Gelegenheit, sich langsam anderen gegenüber zu öffnen,<br />
sich verletzlich zu zeigen, aber auch positive Zuwendung zu erfahren, wenn sie/er sich recht geschickt<br />
anstellte. „Was Bewegung und Sport für seine körperliche Entwicklung sind, ist das Spielen (von Musik,<br />
Anm.) für die Einübung seiner zwischenmenschlichen Handlungsstile,” schreibt Joachim Bauer. 2<br />
1 Kanning, Uwe P.: Selbstwertmanagement. Die Psychologie des selbstwertdienlichen Verhaltens, Göttingen u.a., Hofgrefe, 2000, S. 61.<br />
2 Bauer, Joachim: Warum ich fühle, was du fühlst, München, Heyne, 2005, S. 71.<br />
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Kinder lernen in diesem Kontext Sicherheit kennen. Für viele ist das eine dringend nötige, weil zuvor noch<br />
selten erlebte Erfahrung. Der Flow des Rhythmus lässt sie in eine Welt der Zufriedenheit eintauchen und<br />
bringt, obwohl heftig und lautstark gewerkt wird, körperliche Entspannung.<br />
Die Ergebnisse<br />
Als wesentliche Resultate der durchgeführten Studie können folgende Aussagen in Bezug auf die beobachteten<br />
Kinder gemacht werden:<br />
• Das gemeinsame Musizieren trägt zu einer wesentlichen Verbesserung des friedlichen Miteinanders<br />
bei.<br />
• Das intensive Trommeln hilft den Jugendlichen, die sich oft in einer emotionalen Dysbalance befinden,<br />
sich zu spüren und zu zentrieren.<br />
• Bietet man der Rhythmik und Bewegung im Schulalltag ausreichend Raum, erlebt man, dass die Schülerinnen<br />
und Schüler dadurch in ihrer seelisch-körperlichen Entwicklung Unterstützung finden und sich<br />
ausdrücken und entfalten können.<br />
• Der Selbstwert der Kinder erfährt durch die Erfolgserlebnisse auf der Bühne, die ehrliche Auseinandersetzung<br />
untereinander beim Erarbeiten von Musikstücken sowie durch das Bewältigen rhythmischer<br />
Aufgaben (Probleme) eine Stärkung.<br />
Bei etlichen Schülerinnen und Schülern konnte sowohl eine Beruhigung ihrer Rastlosigkeit, als auch eine<br />
Steigerung ihrer Konzentrationsfähigkeit sowie eine bessere Einbindung in die Klassengemeinschaft festgestellt<br />
werden. Die Gemeinschaft der beiden untersuchten Jahrgänge wurde nach dem Versuchszeitraum<br />
von den Lehr- und Erziehungspersonen als homogener und ruhiger wahrgenommen. Es erfolgten weniger<br />
Übergriffe auf und Ausgrenzungen von einzelnen Kindern als zuvor. In Folge der erhöhten Fokussierungsfähigkeit<br />
ergab sich zudem bei mehreren Jugendlichen auch eine Verbesserung ihrer schulischen Leistungen.<br />
Was in einem konkreten Fall, wo es galt, sieben „Nicht genügend“ auszubessern, sicher mit einem<br />
Hand-in-Hand-Gehen mit dem Verbleiben-Wollen im (in seiner Qualität verbesserten) Klassenverband zu<br />
tun hat.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Als generelle Folgen dieser Untersuchung ergeben sich für mich eine Bestätigung der bisherigen Arbeitsweise,<br />
d.h. ein ständiges Anbieten von musikalisch/rhythmischen Auftrittsmöglichkeiten bei Schulfesten,<br />
Gottesdiensten, Weihnachtsfeiern, etc. sowie eine rhythmische Grundschulung der Kinder und Jugendlichen,<br />
die im Musikunterricht ständiger Bestandteil des Lehrstoffes ist, und ein Beibehalten von rhythmischbewegungsorientierter<br />
Auflockerung und Ergänzung des Regelunterrichtes (beispielsweise in Physik- und<br />
Mathematikstunden).<br />
Die Arbeit mit dem Rhythmus kann Jugendliche<br />
in ihrem Körpergefühl und Teamgeist wachsen lassen!<br />
Ich würde mir wünschen, dass diese (bestimmt nicht neuen) Erkenntnisse auch in der LehrerInnenausbildung<br />
Berücksichtigung finden und sowohl in die Persönlichkeitsbildung der LehraspirantInnen, als auch in<br />
die Schuldidaktik im Allgemeinen einfließen.<br />
HObL Dipl. Päd. Gerhard Zeilinger, MA<br />
Jg. 1963, Vater von 4 Kindern.<br />
Hauptschullehrer in Wien, Referent an KPH in Wien und Krems.<br />
Ausbildung: Schlagzeug/Percussion an der Musikuniversität und dem<br />
Privatkonservatorium in Wien, Lehramt an der PH-Wien,<br />
Provokativpädagogik an der Donau-Universität in Krems.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
„Du fühlst, ich höre, wir musizieren – ein Dialog“<br />
Ein Forschungsprojekt mit Fokus Inklusion im Rahmen von Sparkling Science<br />
Beteiligte Institutionen:<br />
Universität für Musik und darstellende Kunst, Wien<br />
Bundesinstitut für Gehörlosenbildung (BIG)<br />
BRG/ORG 23 Anton-Krieger-Gasse<br />
Entstehung und Zielsetzung<br />
Das Forschungsprojekt „Du fühlst, ich höre, wir musizieren - ein Dialog“ wurde im Rahmen der Ausschreibung<br />
Sparkling Science 2012 konzipiert und auf Basis der Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Musikvermittlungsprojekt<br />
„Samba for BIG Kids“, dem Projekt „Musik zum Anfassen“ sowie dem uni:vision2 Projekt<br />
„Das andere Podium – Konzerte an gewöhnlichen und ungewöhnlichen Aufführungsorten“ entwickelt.<br />
Das Projekt „Du fühlst, ich höre, wir musizieren – ein Dialog“ hat zum Ziel, adäquate Unterrichtsmodelle für<br />
inklusive und integrative Kontexte mit heterogenen Gruppen (hörende, hörbeeinträchtigte und gehörlose<br />
Schüler/innen) zu entwickeln.<br />
Konzeption<br />
Im Rahmen eines in das Gesamtprojekt integrierten<br />
interaktiven Musikprojektes sollen mittels<br />
gemeinsamen Erfindens, Musizierens (Probens,<br />
Präsentierens) und Handelns sowie im<br />
gemeinsamen Dialog zwischen allen hörenden,<br />
hörbeeinträchtigen und nichthörenden Teilnehmer/innen<br />
jene Erfahrungen und Erkenntnisse<br />
gewonnen werden, die zur Erreichung der Projektziele<br />
dienlich sind.<br />
Die SchülerInnen des BIG und des BRG/ORG<br />
23 Anton-Krieger-Gasse tragen in wesentlicher<br />
Weise zur Erreichung der genannten Forschungsziele<br />
bei, indem sie aktiv in die Gestaltung<br />
und Realisation des in das Gesamtprojekt<br />
integrierten, interaktiven Musikprojektes eingebunden<br />
sind.<br />
In Rahmen des interaktiven und in das Gesamtprojekt integrierten kreativen Musikprojektes wird von allen<br />
Beteiligten eine gemeinsame „Komposition“ geschaffen und am Ende der Laufzeit im Rahmen einer Gesamtveranstaltung<br />
präsentiert. Alle Beteiligten entwickeln auf dem Weg zur Realisation dieses Zieles eine<br />
gemeinsame (musikalische, …) Sprache und funktionierende Formen gemeinsamen Handelns und erarbeiten<br />
auf diese Weise zugleich notwendige Voraussetzungen für das erfolgreiche Gelingen des geplanten<br />
Musikprojektes sowie in der Praxis erprobte Formen funktionierender Zusammenarbeit in heterogenen<br />
Gruppen.<br />
Berücksichtigung finden damit von Beginn an wichtige Parameter inklusiver Lernumgebungen: Gemeinschaft<br />
bilden – Gewaltfreie Kommunikation (Marshall B. Rosenberg), eine Schule für alle Schüler/innen<br />
entwickeln – Unterstützung für Vielfalt organisieren, Lernarrangements organisieren – Kooperatives Lernen<br />
(Norm & Kathy Green); Quelle: http://www.inklusionspaedagogik.de/.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Forschungszugang<br />
Zielvorgabe: Verbindung wissenschaftlicher<br />
und praktischer Maßnahmen<br />
Methodenwahl: Design-Based Research<br />
Ziel von DBR ist es, wissenschaftliche und praktische<br />
Maßnahmen miteinander zu verbinden,<br />
also z.B. Lernumgebungen zu entwickeln und<br />
dabei gleichzeitig einen Fortschritt in der Theoriebildung<br />
zu erzielen.<br />
Kernmerkmale von DBR<br />
Das Design-Based Research Collective (2003)1<br />
nennt folgende zentralen Merkmale von DBR<br />
(siehe auch Wang & Hannafin, 2004)2:<br />
• Die beiden Ziele „Gestaltung von Lernarrangements” und „Entwicklung von Theorien” sind eng miteinander<br />
verknüpft.<br />
• Entwicklung und Forschung finden zusammen in einem kontinuierlichen Kreislauf von Gestaltung,<br />
Umsetzung/Durchführung, Überprüfung und Überarbeitung statt.<br />
• DBR führt zu Theorien, die Praktikern relevante Folgerungen ermöglichen. Das heißt: Die Ergebnisse<br />
der Forschung sollen daran gemessen werden, inwieweit sie für die Praxis von Interesse sind und<br />
inwieweit sie die Praxis verbessern können.<br />
• DBR darf nicht nur Erfolg/Misserfolg einer Maßnahme dokumentieren. Sie muss auch klären, wie ein<br />
Design in der Praxis wirkt und dabei Interaktionen zwischen Elementen der Maßnahme und des Kontexts<br />
berücksichtigen.<br />
• DBR sieht einen engen Zusammenhang zwischen Kontext und Maßnahme. Deshalb sollen die Prozesse<br />
der Durchführung dokumentiert und mit den Ergebnissen verknüpft werden.<br />
DBR fördert die Zusammenarbeit über disziplinäre Grenzen hinweg und betont die Zusammenarbeit von<br />
Forschern und Praktikern. Diese Partnerschaften, zusammen mit dem Anspruch, Maßnahmen umfassend<br />
zu untersuchen und zu gestalten, führen zu einer Vielfalt an Lösungen.<br />
Die wissenschaftlichen das Projekt begleitenden Werkzeuge sind einerseits die bekannten wie Tagebuch,<br />
Protokolle, Supervision und mediale Dokumentation (Film und Foto), andererseits aber auch, dem<br />
im künstlerischen angesiedelten Forschungsgegenstand<br />
entsprechend, Zeichnungen, Aufsätze,<br />
Gedichte, Aphorismen, stimmliche und<br />
instrumentale Klangimprovisationen und natürlich<br />
qualitative Tiefeninterviews - eben subjektive<br />
Outputs der am Projekt Beteiligten als<br />
Spiegel der künstlerischen Erlebnisse und Erfahrungen<br />
des Einzelnen und der Gruppe. Outputs,<br />
um die persönlichen zwischenmenschlichen<br />
aus der Begegnung resultierenden<br />
Erfahrungen und inneren Veränderungsprozesse<br />
zu reflektieren und überhaupt dokumentieren<br />
zu können. Beide Zugänge unterstreichen<br />
somit den ganzheitlichen Gesamtansatz des<br />
Projektes und spiegeln diesen wider.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Erste Realisierungsphase<br />
Im SS <strong>2013</strong> fand die erste Realisierungsphase<br />
des Projektes statt. Die Eröffnung mit einer<br />
„Samba Bateria“, ein mehrtägiges Modul Instrumentenbau,<br />
weitere Module mit den Inhalten:<br />
Graphische Notation – Bewegung – Klang, Bewegung<br />
– Improvisation – Musizieren und Musikalische<br />
Entdeckungsreise – räumliche und<br />
bildnerische Umsetzung waren anfängliche<br />
Schwerpunkte. Nach der Vermittlung musikalischer<br />
Grundparameter und Ausdrucksformen<br />
wurde ein Rap erfunden und vertont sowie weitere<br />
musikalische Programmpunkte für das Abschlussprogramm<br />
des Sommersemesters <strong>2013</strong><br />
entwickelt, gestaltet und geprobt. Die Arbeit in<br />
der Gesamtgruppe widmete sich dem Samba<br />
und der individuellen Ausgestaltung von Soloteilen<br />
durch die einzelnen SchülerInnen. Wissenschaftskonferenzen mit allen Beteiligten dienten der Reflexion.<br />
Die gewonnen Erfahrungen flossen in die inhaltliche und konzeptuelle Weiterentwicklung des Projektes<br />
ein und werden im Rahmen einer Gesamtanalyse am Ende des Projektes Ausgangspunkt für die<br />
Entwicklung von adäquaten Unterrichtsmodellen für inklusive und integrative Kontexte mit heterogenen<br />
Gruppen darstellen.<br />
Erste erkennbare Tendenzen und Konsequenzen<br />
Auf Basis der Feedbacks aus den Wissenschaftskonferenzen lassen sich folgende Tendenzen erkennen:<br />
• Kommunikation und Interaktion sind Schlüsselfaktoren der Forschungsfragen<br />
• Individuelle Interessen bzw. Begabungen und Fähigkeiten sind wichtige zu berücksichtigende Aspekte<br />
• Gute Rahmenbedingungen (Raum, Zeit, Gruppengröße) sind entscheidende Voraussetzungen für gelingende<br />
Kommunikation und Interaktion.<br />
Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden in der Folge Anpassungen und Änderungen für den zweiten Teil der<br />
praktischen Projektrealisation vorgenommen. Diese beziehen sich auf Adaptierungen der Methodik, Adaptierungen<br />
der zeitlichen Struktur und Adaptierungen der didaktischen Strukturen.<br />
Beispielsweise beabsichtigt eine veränderte<br />
Zusammensetzung der Kleingruppen in Form<br />
von Neigungsgruppen eine bessere Förderung<br />
der persönlichen Bedürfnisse, Interessen, Begabungen<br />
und Fähigkeiten der SchülerInnen.<br />
Gruppendynamische Effekte (z.B. die gegenseitige<br />
Unterstützung innerhalb von Neigungsgruppen)<br />
sollen auf diese Weise für die inhaltliche<br />
Weiterentwicklung der einzelnen kreativen<br />
Programmschwerpunkte genutzt werden und<br />
durch deren geeignete Integration in die Aktivitäten<br />
der Gesamtgruppe zu weiteren Synergien<br />
in der Gestaltung des Musikprojektes und seiner<br />
Inhalte führen.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Schlussfolgerungen<br />
Die Erfahrungen aus der praktischen Arbeit und die im Rahmen von Wissenschaftskonferenzen sichtbar<br />
gewordenen Tendenzen (siehe oben) sind unverzichtbarer Ausgangspunkt für den permanenten Kreislauf<br />
von Gestaltung, Umsetzung/Durchführung, Überprüfung und Überarbeitung während der Projektlaufzeit.<br />
Aufgrund der prozessorientierten Charakteristik des Forschungsprojektes „Du fühlst, ich höre, wir musizieren<br />
– ein Dialog“ dürfen optionale Endergebnisse aber nicht aus Zwischenerkenntnissen hochgerechnet<br />
werden. Erst die Gesamtanalyse aller zu erwartenden Erfahrungen, Erkenntnisse und Daten nach Ende der<br />
zweiten Praxisphase wird jene wissenschaftlichen Erkenntnisse liefern, auf deren Grundlage die Entwicklung<br />
von adäquaten Unterrichtsmodellen für inklusive und integrative Kontexte mit heterogenen Gruppen<br />
erfolgen soll.<br />
Wolfgang Aichinger<br />
Weitere Informationen:<br />
www.mdw.ac.at/musizierenimdialog, http://www.musikzumanfassen.at/sambaForBIGkids/<br />
Optionale Angaben zum Kontakt:<br />
ao. Univ.-Prof. Wolfgang Aichinger<br />
Vorstand Hellmesberger-Institut<br />
Koordinator für „Die Begabtenförderung der mdw“<br />
mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien<br />
Rennweg 8<br />
1030 Wien, Austria<br />
Tel. +43 1 71155 4501<br />
Fax. +43 1 71155 4599<br />
Mobil: +43 664 52 35 740<br />
E-Mail: aichinger@mdw.ac.at<br />
www.mdw.ac.at/hbi; www.mdw.ac.at/musizierenimdialog<br />
www.mdw.ac.at/bfmdw; www.mdw.ac.at/das-andere-podium<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
YES, WE CAN! – Wie Rechnen für Menschen mit<br />
Down Syndrom auch Spaß machen kann<br />
Start als EU-Projekt<br />
„Yes, we can!“ startete als EU-Projekt unter der Projektleitung von<br />
Österreich in Zusammenarbeit mit den Ländern Deutschland, Rumänien,<br />
Tschechien, Italien und Dänemark.<br />
Multinationale Netzwerke im Rahmen des Grundtvig-Programms<br />
„Lifelong learning“ sind auf die effiziente Verknüpfung verschiedener,<br />
an der Erwachsenenbildung beteiligter Einrichtungen ausgelegt.<br />
Anfang März 2011 schickte jede Teilnehmernation zwei Personen<br />
nach Österreich, die dort in der Rechenmethode „Yes, we can!“<br />
ausgebildet wurden. Heimgekehrt bildeten sie als Multiplikatoren<br />
in ihrem jeweiligen Heimatland selbst 15-20 Trainer aus, die dann<br />
in der Zeit von April bis Oktober 100 junge Menschen mit Down<br />
Syndrom mit diesem Rechensystem trainierten.<br />
So lernten europaweit etwa 600 Menschen mit Down Syndrom<br />
dieses Rechensystem kennen, damit arbeiten und so ihre mathematische<br />
Kompetenz verbessern um damit zu einem besseren<br />
Verständnis von Geld, Maßen, Mengen und der Uhr befähigt zu<br />
werden.<br />
Die Schulung umfasste jeweils 20 Einheiten, entweder in Einzelförderung oder in der Gruppe. Viele erlernten<br />
erstmals das Zählen und Rechnen im Zahlenraum 10, andere bauten ihre schon vorhandenen Fähigkeiten<br />
aus und erwarben Praxis in der Anwendung von Alltagsmathematik. Es wurde gezahlt, gemessen,<br />
gewogen und die Uhrzeit abgelesen.<br />
Alle in dem Projekt gesammelten Erfahrungen wurden in einem Handbuch zusammengefasst und bestimmten<br />
die Gestaltung und Entwicklung einer Materialbox zu dieser Rechenmethode.<br />
Was ist „Yes, we can!“?<br />
„Yes, we can!“ ist eine Methode des „kybernetischen Fingerrechnens“, entwickelt von Mag. Bernadette<br />
Wieser, vom päd. Institut „Leben Lachen Lernen“ in Leoben.<br />
Die Rechenfähigkeiten von Menschen mit Down-Syndrom liegen vielfach weit hinter ihrem allgemeinen<br />
Leistungsniveau zurück. Infolge wird Kindern mit Down-Syndrom (DS) während ihrer schulischen Laufbahn<br />
häufig die Fähigkeit, mathematische Strukturen zu entwickeln, abgesprochen und nur sehr wenige von ihnen<br />
erlernen die Grundrechnungsarten.<br />
Rechnen erfordert das Zusammenspiel bestimmter Teilfunktionen des Gehirns, wie Behalten, Verstehen,<br />
Konzentration, Motorik und Koordination. Wahrscheinlich sind jene Bereiche des Gehirns, die für das Aufnehmen,<br />
Verarbeiten, Speichern und Wiedergeben von Rechenprozessen zuständig sind, bei Menschen<br />
mit DS weniger funktionstüchtig als andere Bereiche. Und deshalb ist es entscheidend, Fördermaßnahmen<br />
einzusetzen, um die zwar eingeschränkten, aber doch vorhandenen Ressourcen zu nützen.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Für alle Altersstufen<br />
Das „Yes, we can!” Programm ermöglicht den Einsatz für Lernende vom Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter<br />
durch den ansteigenden Schwierigkeitsgrad der Übungen. Somit ist eine effiziente Differenzierung<br />
gegeben.<br />
Das Alter der im „Yes, we can!“-Projekt geschulten Menschen mit Down Syndrom weist eine große Streubreite<br />
auf: Vom einjährigen Kleinkind bis zum 59-jährigen Menschen.<br />
Breites Einsatzgebiet<br />
Das „Yes, we can!“ Programm ist für die Umsetzung in Kindergärten, Schulen, Therapie- und Erwachsenenbildungseinrichtungen<br />
gleichermaßen geeignet wie für das Training des Menschen mit Down Syndrom<br />
zuhause.<br />
Nicht nur für Menschen mit Down Syndrom geeignet<br />
Die Anwendung des „Yes, we can!“ Programms wird durch differenzierte Adaptionen auch für Lernende<br />
ohne Down Syndrom nutzbar, dies vor allem für SchülerInnen mit unterschiedlichen Entwicklungsverzögerungen,<br />
Rechenschwächen und Schwierigkeiten in der Teilleistungsentwicklung.<br />
Erfahrungsberichte von Trainern<br />
1. Eltern, Therapeuten, Lehrer und Schüler können so viel Spaß damit haben!<br />
Wie wird ein Mathematik-Professor üblicherweise empfangen, wenn er eine Klasse zu Beginn der<br />
Stunde betritt? „Hurra, Mathe!“ schreien die Schüler und man kann ihre ungebremste Begeisterung<br />
über den ganzen Gang hören! Wunschvorstellung? Nicht so bei den Kindern mit dem Extra-Chromosom,<br />
die freuten sich immer tierisch, wenn ich zum Lernen kam!<br />
Am schönsten an der „Yes, we can!“ Rechenlernmethode ist, dass es nicht nur dem „Rechnen<br />
lernen“ dient, sondern eine Ganzkörpererfahrung an sich ist. Jedes noch so kleine Training in dem<br />
einen oder anderen Bereich fördert so viel Notwendiges für den Alltag!<br />
Am erstaunlichsten fand ich die Tatsache, dass alle SchülerInnen, egal auf welcher Entwicklungsstufe<br />
sie waren oder welches Alter sie hatten, am meisten von Geometrie fasziniert waren. Wir<br />
suchten geometrische Formen in Bildern und bei Spaziergängen auf der Straße, aber auch in diversen<br />
Spielen und Arbeitsblättern.<br />
Für’s Leben lernen<br />
Es ist so wunderschön zu sehen, wenn sich Kindern die Magie der Zahlen erschließt. Nach mehreren Stunden<br />
und unzähligen Spielen aus dem „Yes, we can!“ Konzept erkennen die Kinder, dass die Ziffer „4“ für vier<br />
Eier steht, die in den Kuchenteig gerührt werden; oder für vier Marillen, die man in Rekordzeit verputzen<br />
kann. Seit mich eine Schülerin mit übervollem Mund und Hamsterbäckchen anblickte, weiß ich, dass vier<br />
Marillen ohne Probleme auf einmal in einem Kindermund verschwinden können.<br />
Durch die Fülle an Material aus dem Mathematik-Set, das uns zur Verfügung gestellt wurde, war es aber<br />
möglich, für jedes Setting die passenden Übungen ausfindig zu machen und das Interesse der Schüler zu<br />
wecken.<br />
So konnte ich die einzelnen Trainingseinheiten recht gut und auch abwechslungsreich gestalten. Dabei<br />
habe ich versucht, jede Einheit individuell auf meine Schüler abzustimmen und ihnen den Spaß an der Mathematik<br />
zu vermitteln. Da bei meiner Tätigkeit die Freude am Lernen im Vordergrund stand, konnte ich bei<br />
meinen Schülerinnen/Schülern die Freude am Rechnen bzw. das Interesse an den Zahlen wecken.<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
2. Erfahrungsbericht einer Sonderschullehrerin<br />
Auch für mich persönlich war die Mathematik in der Schule stets ein „Rotes Tuch“, doch durch all<br />
diesen Spaß beim Rechnen wurde und wird auch bei mir die Angst davor immer kleiner. So bin ich<br />
überzeugt davon, dass es die „Yes, we can!“ Methode „voll bringt“.<br />
Ich bin Sonderschullehrerin und von der „Yes, we can!“- Methode restlos überzeugt. Für mich ist sie<br />
eine wertvolle Hilfestellung beim Unterrichten meiner Schüler mit Down Syndrom. Die Fingerknöchel<br />
als Zehner mit einzubeziehen, finde ich genial und sehr hilfreich für das Rechnen im ZR 100,<br />
um dadurch nicht auf weitere Hilfsmittel angewiesen zu sein. Daran werde ich mit meinen Schülern<br />
sicher über das Projektende hinaus noch weiter arbeiten und freue mich schon auf den ZR 1000.<br />
Das wirklich tolle Buch „Yes, we can“ ist zu 100 % praxistauglich. Alle Übungen und Beispiele kann<br />
man einfach übernehmen und man hat einen roten Faden zum Entwickeln von Alltagsmathematik<br />
bei Menschen mit Down Syndrom.<br />
Resümierend möchte ich feststellen, dass meine drei Schüler vom Projekt „Yes, we can“ sicher<br />
sehr profitiert haben und es ihnen auch Spaß gemacht hat. Für mich war es eine sehr spannende<br />
Zeit, da ich ein Teilleistungstraining in dieser intensiven Form mit meinen Schülern noch nicht<br />
durchgeführt hatte.<br />
Wo und wie kann man die Methode kennen lernen?<br />
In einem zweitägigen Workshop gibt es die Methodik das Fingerrechnen zu erlernen und andererseits sind<br />
verschiedene Materialien erhältlich.<br />
Dazu zählen eine Holzbox mit Spielen, das Handbuch mit zahlreichen Übungs- und Spielvorschlägen sowie<br />
die Lehr-DVD.<br />
Materialien<br />
Die Holzbox enthält vielfältige Fördermaterialien zum Aufbau der Basisfertigkeiten für numerisches Denken,<br />
wie Spiele zur Entwicklung der Raumorientierung, der Serialität, des Kategorisierens und der Formwahrnehmung.<br />
Die Stäbe und Platten zum Addieren und Multiplizieren sowie die Ziffern begleiten den<br />
Rechenprozess auf anschauliche Weise. Alle Materialien sind aus Holz gefertigt und für das gemeinsame<br />
Spiel mit Menschen mit Down Syndrom von 3-99 Jahren geeignet.<br />
Das Handbuch „Yes, we can!“ lässt Mathematik<br />
zum Spielerlebnis werden. Neben zahlreichen<br />
Übungsvorschlägen aus dem Bereich der Basisfertigkeiten<br />
sind alle Schritte zur Erlangung von<br />
Rechenkompetenzen genau erklärt. Die Kapitel<br />
„Lebenspraxis, Geld, Uhrzeit, Wiegen und Messen“<br />
schaffen einen intensiven Alltagsbezug. Das<br />
Buch ist für Eltern und Fachleute verfasst. Es hat<br />
einen Umfang von 145 Seiten, alle Übungs- und<br />
Spielanregungen sind durch Fotos veranschaulicht.<br />
Das Lehrvideo „Yes, we can!“ zeigt Ausschnitte<br />
aus dem mathematischen Alltag von Menschen<br />
mit Down Syndrom und regt zum Mitmachen an.<br />
Vom Zählen über das Addieren, Subtrahieren und<br />
60
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Multiplizieren sind die einzelnen Rechenschritte exakt nachvollziehbar und sowohl für Fachleute als auch<br />
für Eltern leicht erlernbar. Menschen mit Down Syndrom zeigen vor, wie es geht und verblüffen mit ihren<br />
mathematischen Kompetenzen! Das Video hat eine Gesamtlänge von 85 Minuten.<br />
Aktuelle Seminare<br />
04. und 05.11.2014 (jeweils von 9-17 Uhr)<br />
Kosten: € 150.- incl. Mittagessen und Kaffeepausen im Haus<br />
Ort: Down Syndrom Zentrum Leben Lachen Lernen, Kärntner Str. 395, 8700 Leoben<br />
Anmeldung unter: 03842-26852 oder institut@down-syndrom.at<br />
Falls Sie ausgebildete „Yes, we can!“ TrainerInnen in Österreich suchen, die Ihr Kind (vom Kleinkind bis<br />
zum Erwachsenen) mit dem gewissen Extra mathematisch fördern, kontaktieren Sie uns bitte. Österreichweit<br />
gibt es derzeit rund 30 TrainerInnen, wir können gerne einen Kontakt für Sie herstellen.<br />
Train the Trainer - Multiplikatoren<br />
Eine zweitägige Supervisions-Schulung am Projektende befähigt ausgebildete MultiplikatorInnen und<br />
TrainerInnen zur Weitergabe der Methodik an Erwachsene.Diese Schulung stützt sich auf Videoanalyse<br />
von Einzelpräsentationen.<br />
Mag. Maria Grossauer<br />
Marketing/PR/Fundraising<br />
Down-Syndrom Österreich - Büro Wien<br />
0676 411 88 88<br />
maria.grossauer@down-syndrom.at<br />
www.down-syndrom.at<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Ein Comeniusprojekt zur Inklusion: „Experts Academy“<br />
Beim Vorbereitungstreffen für zukünftige Comeniusprojekte 2011 in Belgien fanden sich vier Schulen aus<br />
Belgien, Spanien, Polen und Österreich zusammen, um in den nächsten zwei Jahren gemeinsam ein Projekt<br />
zu planen und durchzuführen, das als seinen wichtigsten Schwerpunkt anführte, dass auch Schüler<br />
und Schülerinnen „with special needs“ gleichberechtigt daran teilnehmen sollten. Um dieses Anliegen besser<br />
verstehen zu können, sollen die teilnehmenden Schulen kurz vorgestellt werden.<br />
1. Die teilnehmenden Schulen<br />
VZW De Ranken – Sint Janshof, Mechelen, Belgien<br />
Im Laufe ihres Bestehens hat<br />
diese Schule immer hauptsächlich<br />
Bildung für Kinder und Jugendliche<br />
mit besonderen Förderbedürfnissen<br />
angeboten. Die<br />
Schülerinnen und Schüler im<br />
Alter von 12 bis 21 Jahren können<br />
auf verschiedenen Stufen<br />
gefördert werden. Derzeit werden<br />
drei Niveauformen angeboten.<br />
Die höchste ist der Level 3.<br />
Von diesen Jugendlichen wird<br />
angenommen, dass sie in eine<br />
normale Arbeitswelt integriert<br />
werden können. Folgende Lehrabschlüsse<br />
werden angeboten:<br />
VerkäuferIn, logistische Hilfskraft<br />
in Spitälern, MalerIn, SchweißerIn<br />
und HolzarbeiterIn. Diese<br />
Ausbildungskurse stehen sowohl den Burschen als auch den Mädchen offen. Neben der Berufsausbildung<br />
werden auch allgemein bildende Gegenstände angeboten.<br />
Von den Schülerinnen und Schülern des Levels 2 soll erreicht werden, dass sie ihre Tätigkeit in einer geschützten<br />
Einrichtung ausüben können. Sie werden daher in den verschiedenen Fähigkeiten geschult, die<br />
man von Personen erwartet, die in solchen Werkstätten arbeiten. Die Burschen und Mädchen des Levels<br />
1 werden auf das Leben in einem Tagesbetreuungszentrum vorbereitet, wo ihnen spezielle Unterstützung<br />
zur Seite stehen werden wird. Die Lehrerinnen und Lehrer versuchen, ihnen jene Strukturen und Abläufe<br />
beizubringen, denen sie später begegnen werden, wenn sie die Schule verlassen haben.<br />
In letzter Zeit wurden in steigendem Maße Jugendliche mit verschiedenen Formen von Autismus aufgenommen.<br />
Das vor allem, weil Schülerinnen/Schülern mit ASS (Autismus-Spektrum-Störung) an dieser Schule<br />
eine durchgehende Struktur angeboten wird, die sie in den öffentlichen Schulen nicht finden, sie aber dringend<br />
benötigen. Anstatt den Autisten ein separates Bildungsprogramm in einem separaten Klassenraum<br />
anzubieten wird versucht, sie soweit wie möglich in Rahmen der Schulstruktur und der angegebenen Berufsangebote<br />
zu integrieren. Zusätzlich wurde für diese Gruppe in Zusammenarbeit mit Experten und Eltern<br />
ein zusätzliches Training erarbeit.<br />
62
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Neue Mittelschule Ensleinplatz, Wien 10, Österreich<br />
Die Schule liegt im Süden Wiens. Wie in den anderen Pflichtschulen für 10 bis 14-Jährige im 10. Wiener<br />
Gemeindebezirk besuchen auch die Ensleinschule zahlreiche Kinder mit Migrationshintergrund. Es hat hier<br />
eine lange Tradition, dass jeweils eine Klasse auf jeder Stufe als Integrationsklasse geführt wird. Auch die<br />
Klasse, die hauptsächlich die Arbeit an dem vorliegenden Projekt trägt, ist eine Integrationsklasse, die auch<br />
von Kindern mit Lernschwächen, Erziehungsschwierigkeiten und Autismus besucht wird.<br />
Der Schulstandort ist einer der ersten in Wien, der ganztägige Betreuung anbietet (seit 1984). Die Schülerinnen<br />
und Schüler können die Tage wählen, an denen sie den ganzen Tag in der Schule verbringen wollen.<br />
Der Unterricht findet Montag bis Donnerstag von 8 – 17 Uhr 30 und an Freitagen von 8 bis 15 Uhr 30<br />
statt. Zu Mittag unterbrechen die Mahlzeit, die Freizeit und die Lernstunde den Unterrichtsablauf. Für den<br />
Nachmittag – neben eventuell geplanten Unterrichtseinheiten – können die Schülerinnen und Schüler zu<br />
Beginn des Schuljahrs aus einem breit gefächerten Angebot wählen. Eine Besonderheit ist, dass seit dem<br />
Schuljahr 2008/2009 die Möglichkeit besteht, sich zum „Ensleinpeacepeer“ ausbilden zu lassen. In einem<br />
Mediationskurs lernen Schülerinnen und Schüler, wie sie auf friedliche Weise Probleme und Streitereien<br />
der Jugendlichen untereinander lösen können.<br />
INS Montgros, Sant Pere de Ribes bei Barcelona, Katalonien, Spanien<br />
Die Schule ist eine öffentliche Sekundarschule, die<br />
Schülerinnen und Schüler im Alter von 12 bis 16 Jahren<br />
betreut. Rund 250 Jugendliche absolvieren hier<br />
den zweiten Teil ihrer Schulpflicht, darunter sind auch<br />
SchülerInnen mit besonderen Bedürfnissen, auch einige<br />
RollstuhlfahrerInnen. Als eine inklusive Schule versucht<br />
man, die SchülerInnen mit besonderen Bedürfnissen<br />
in den Klassen mitzubetreuen. Sie verbringen<br />
die meiste Zeit dort und arbeiten auch an der Projekten<br />
in kleinen, mit ihnen kooperierenden Gruppen.<br />
In diesem Lerninstitut wird nach einem neuen Organisationsmodell<br />
unterrichtet. Auf Lehrbücher wird verzichtet,<br />
und der Laptop rückt in den Mittelpunkt des Geschehens.<br />
Die Unterrichtseinheit wird aufgehoben und<br />
durch individuelle, dem Bedarf des zu bewältigenden<br />
Arbeitsgebietes angepasste Zeiteinheiten – meist ca.<br />
zwei Stunden – ersetzt. Das zu erarbeitende Lerngut<br />
wird auf drei Bereiche aufgeteilt: das soziolinguistische<br />
Feld (schließt auch die Sprachen Katalanisch, Spanisch<br />
und Englisch mit ein), das Feld der technischen<br />
Wissenschaften (Mathematik, Technologie, Physik,<br />
Sport) und das Feld der sozialen Sphäre (Sozialkunde,<br />
Geschichte, Geographie, Musik, visuelle Erziehung).<br />
Die zu erarbeitenden Projekte werden zumeist in kooperativen<br />
Kleingruppen gelöst.<br />
63
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Liceum Ogolnoksztalcace nr XXX z Oddzialami Integracyjnymi, Wroclaw (Breslau), Polen<br />
Diese Schule besuchen Schülerinnen<br />
und Schüler im Alter von<br />
16 bis 19 Jahren. Es gibt hier auch<br />
Integrationsklassen für körperbehinderte,<br />
gehörlose und hörgeschädigte<br />
Jugendliche. Auch<br />
andere spezielle Förderbedürfnisse<br />
finden sich bei den Schülerinnen/Schülern<br />
dieser Klassen,<br />
z. B. verschiedene Formen des<br />
Autismus, Erziehungsschwierigkeiten<br />
oder erlittene psychische<br />
Verletzungen verschiedener Art<br />
und Schwere. Das Schulgebäude<br />
liegt in einem Arbeiterviertel<br />
von Breslau. Eine große Anzahl<br />
der Schülerinnen und Schüler<br />
kommt aus bescheidenen oder<br />
ärmlichen Verhältnissen. Fast in<br />
jeder Klasse gibt es Kinder aus zerrütteten Familien, die große emotionale Probleme mit sich tragen. Diese<br />
werden von den Psychologen der Schule intensiv betreut.<br />
Für die Jugendlichen mit körperlichen Behinderungen ist das Schulgebäude baulich (Lift, Vermeidung von<br />
Stufen, genug breite Türen, behinderten gerechte Einrichtung von WC-Anlagen) gerüstet. Außerdem steht<br />
ihnen unter fachlicher Betreuung ein Raum zum körperlichen Training oder zur Rehabilitation zur Verfügung.<br />
Seit 2009 wird an der Schule das Projekt „Drücke dein Talent aus!“ durchgeführt. Der Hauptzweck<br />
dieses Projektes liegt darin, alle SchülerInnen durch die Mittel der Kunst (Bildnerische Erziehung, Theaterstücke,<br />
Choreotherapie) zusammen zu bringen. Ab 2012 wurde auch der Tanz diesem Projekt hinzugefügt.<br />
2. Der Inhalt des Projekts<br />
Jede Schule sollte ein „Spezialgebiet“ übernehmen und die Anleitung zur Durchführung an die anderen<br />
Schulen übermitteln. Danach sollte ein Treffen von LehrerInnen und SchülerInnen an der Schule stattfinden,<br />
die die Durchführung des Spezialgebietes geleitet hatte. Dieses Treffen sollte außer dem Kennenlernen der<br />
Partnerschule auch zur Präsentation der erzielten Ergebnisse, zur Vertiefung der Arbeit auf dem angebotenen<br />
Spezialgebiet durch Workshops, zum kulturellen Erfahren der Stadt der Partnerschule und vor allem<br />
zum Anknüpfen persönlicher Bekanntschaften und Freundschaften unter den teilnehmenden SchülerInnen<br />
dienen. Da die Sprache des Projekts Englisch ist, ist auch die praktische Anwendung dieser Sprache ein<br />
wichtiger Punkt. Von Haus aus war geplant, dass bei allen Treffen auch Jugendliche mit speziellen Förderbedürfnissen<br />
teilnehmen würden. Für die teilnehmenden LehrerInnen sollte jeweils durch einen Experten<br />
Einblick in den Stand der Inklusion im jeweiligen Land geboten werden.<br />
64
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Die Spezialgebiete<br />
Polnische Schule aus Wroclaw/Breslau: Künstlerisches Handwerk – Puppenspiel<br />
Den teilnehmenden Schulen wurden verschiedene Wege angeboten, wie man Handpuppen herstellen<br />
kann. Es sollte auch darauf Wert gelegt werden, dass diese Puppen als typisch für das jeweilige Land<br />
gelten sollten. Mit den fertigen Puppen wurde ein kleines Theaterstück einstudiert, welches dann in der<br />
Schule, in welchem Rahmen konnte man selbst wählen, aufgeführt wurde.<br />
Da dieser Teil des Projekts bereits durchgeführt wurde, kann ich über seinen Ablauf an meiner Schule<br />
berichten. Das Projekt wird hauptsächlich durch die Kinder des Europaclubs getragen. Der Europaklub ist<br />
eine Unverbindliche Übung, in der die Europaangelegenheiten unserer Schule (z.B. eTwinning-Kontakte<br />
mit befreundeten Schulen, Durchführung von Projekten) erledigt werden. Wir hatten uns darauf geeinigt,<br />
Mozart in den Mittelpunkt unseres kleinen Theaterstückes zu stellen. Er sollte kurz über sein Leben berichten<br />
und das Paar Papagena und Papageno aus der Oper „Die Zauberflöte“ vorstellen. Diese beiden<br />
Figuren sollten dann zu dem bekannten Duett, das wir von der CD abspielen wollten, agieren. Gemeinsam<br />
wurden von den Fingerpuppen mehrere Exemplare angefertigt, bei der Aufführung des Theaterstücks konnten<br />
aber nur jene Kinder tätig werden, die sich für die Reise nach Breslau entschieden hatten, denn dort<br />
wollten wir unser kleines „Kunstwerk“ präsentieren.<br />
Besonders aktiv an der Gestaltung des Rollenspiels betätigte sich ein Schüler mit autistischer Wahrnehmung,<br />
der sich phänomenal in die Rolle des Mozarts hineinsteigerte. Mit gemischten Gefühlen kamen wir in<br />
Polen an. Würden wir gegen die anderen Schulen bestehen können? Damit die anderen TeilnehmerInnen<br />
an dem Treffen den Inhalt unseres Stückes verstehen konnten, hatten wir eine Übersetzung des Textes in<br />
Englisch mitgebracht, die den LehrerInnen der anderen Schulen übergeben wurde, damit diese wieder Ihre<br />
SchülerInnen über den Inhalt unseres Stückes informieren konnten. Zu unserem großen Erstaunen zeigten<br />
die anderen Schulen nur filmisch, was sie mit ihren Puppen erarbeitet und dargestellt hatten. Erklärt<br />
wurde diese damit, dass an den jeweiligen Stücken viel mehr Kinder teilnahmen, als die Reise nach Polen<br />
mitmachen konnten. So waren wir Österreicher nicht nur die jüngsten, sondern auch die einzigen TeilnehmerInnen,<br />
die sich live den anderen stellten. Ich darf mit etwas Stolz feststellen, dass die Kinder ihre Sache<br />
mit viel Engagement wirklich gut über die Bühne brachten.<br />
Österreichische Schule aus Wien 10: „Garteln“<br />
Die teilnehmenden Schulen sollten im Schulgarten Beete anlegen. In diesen sollten zunächst Frühblüher<br />
und später Gemüse und Sommerblumen gepflanzt werden. Schon beim Meeting der Koordinatoren im<br />
Herbst 2012 in Belgien hatten wir gemeinsam Samen eingekauft. Über das Anlegen der Beete im Schulhof<br />
und das Einpflanzen der Zwiebel der Frühblüher wurden von mir Fotos mit Textanleitungen in Englisch angefertigt,<br />
die über die Plattform moodle an die anderen Schulen weitergegeben wurden. Im Frühjahr berichteten<br />
wir einander über die Ergebnisse unserer Pflanztätigkeit. Leider hatte niemand mit einem so strengen<br />
Winter gerechnet, wie der heurige war. So zeigte es sich, dass die Blumen der spanischen und auch der<br />
belgischen Schule schon längst verblüht waren, als in Polen und zuletzt auch in Österreich die Frühblüher<br />
zaghaft aus der Erde lugten. Es mussten daher die Anleitungen für die Sommerblumen und das Gemüse<br />
bereits zu einer Zeit übermittelt werden, als bei uns die Frühblüher erst einigermaßen in Blüte standen. Da<br />
ich über das Wiener Treffen noch eingehender berichten möchte, soll nur vorweg genommen werden, dass<br />
an allen Schulen die Gartenarbeit sehr gut durchgeführt wurde. Es soll festgehalten werden, dass sich bei<br />
der Durchführung an allen vier Schulen besonders SchülerInnen mit Behinderungen und verschiedenen<br />
Förderbedürfnissen eifrigst beteiligt haben. Gerade sie hatten Spaß an der körperlichen Arbeit im Freien<br />
und freuten sich dann besonders über die Ergebnissen ihrer Tätigkeit.<br />
65
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Belgische Schule aus Mechelen: Kochen<br />
Die belgische Schule wird Rezepte und erklärende Bilder an die anderen Schulen übersenden. Diese werden<br />
die Speisen nachkochen und ihre Ergebnisse über das Internet austauschen. Jede Schule soll dann<br />
eine landestypische Spezialität vorstellen, diese wird von den anderen Schulen nachgekocht. Über den<br />
Erfolg und wie diese Speise den anderen gemundet hat, erfolgt ein Austausch ebenfalls über das Internet.<br />
Diese Aktion wird im Winter 2014 stattfinden und im Frühjahr erfolgt das Treffen aller Schulen in Mechelen.<br />
Spanische Schule aus Sant Pere de Ribes bei Barcelona: Arbeit mit dem Internet (moodle) – SchülerInnen<br />
mit besonderen Förderbedürfnissen und Therapietiere<br />
Die spanische Schule ist prädestiniert, die Arbeit mit dem Computer und hier vor allem mit dem Internet<br />
anzubieten. Es werden Kurse sowohl für die teilnehmenden LehrerInnen als auch für die SchülerInnen angeboten.<br />
Außerdem werden alle Aktivitäten des Projekts durch diese Schule präsentiert und über Internet<br />
allen Interessenten zugänglich gemacht. Beim Besuch an der spanischen Schule sollen die Ergebnisse an<br />
den jeweiligen Schulen dokumentiert und evaluiert werden. Außerdem wird auf einem speziellen Bauernhof<br />
gezeigt werden, wie man Haustiere für die Therapie bei Jugendlichen mit speziellen Förderbedürfnissen<br />
erfolgreich einsetzen kann.<br />
3. Das Treffen in Wien, 3. – 7. Juni <strong>2013</strong><br />
Große TeilnehmerInnenzahl<br />
Bereits lange vorher wurde den Partnerschulen ein vorläufiges Programm mit einem Finanzplan übermittelt,<br />
um die Planung der Schulen zu unterstützen. Ungewöhnlich waren bereits die Zahlen der zu erwartenden<br />
TeilnehmerInnen. Aus Polen waren vier SchülerInnen und vier LehrerInnen, aus Belgien vier SchülerInnen<br />
und drei LehrerInnen und aus Spanien 17 SchülerInnen und fünf LehrerInnen und Betreuerinnen gemeldet.<br />
Die große Zahl an TeilnehmerInnen zeigt den hohen Stellenwert, den Wien in Europa genießt.<br />
Probleme im Vorfeld<br />
Es war äußerst schwierig, während der Wiener Festwochenzeit für 37 Personen ein günstiges, gut gelegenes<br />
und allen Anforderungen gerecht werdendes Quartier zu finden. Unter den spanischen Teilnehmerinnen<br />
war auch eine Rollstuhlfahrerin gemeldet. Man wollte es gar nicht begreifen, wie schwer es wirklich ist,<br />
in einer Weltstadt wie Wien jugend- und behindertengerechte Zimmer zu finden. Jugendhostels, die über<br />
geeignete Räumlichkeiten verfügen, sind leider noch sehr selten und sie liegen auch nicht in unmittelbarer<br />
Nähe der Ensleinschule, die im Mittelpunkt des Treffens stand. Endlich konnte ein kürzlich eröffnetes Hostel<br />
im 10. Bezirk gefunden werden, das einen günstigen Preis anbietet und auch behindertengerecht ist. Die<br />
Türen der Zimmer und der Badezimmer weisen eine Breite auf, die ein gefahrloses Durchfahren mit dem<br />
Rollstuhl ermöglichen. Ein behindertengerechtes WC befindet sich im Untergeschoß.<br />
Die nächste Schwierigkeit bildete die Tatsache, dass die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel für eine<br />
Rollstuhlfahrerin in Wien noch immer nicht ganz leicht ist. Nicht alle Züge der Linien, die im Rahmen des<br />
Aufenthaltes benutzt werden sollten, sind ausschließlich Niederflurzüge. Es würde also Wartezeiten für alle<br />
TeilnehmerInnen geben, da wir immer auf Niederflurzüge warten müssten, weil ein Benutzen einer älteren<br />
Straßenbahn mit ihren Eingängen und steilen Stufen nicht möglich ist, auch wenn man Helfer zum Hineinheben<br />
des Rollstuhls hat. Die Eingänge dieser Straßenbahnzüge sind ganz einfach zu schmal.<br />
66
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Um das vorhergesehene Programm wirklich durchziehen zu können, musste nach einer anderen Lösung<br />
gesucht werden. Die öffentlichen Autobusse besitzen größtenteils schon eine Absenkvorrichtung, die in<br />
Verbindung mit einer integrierten Rampe, die leicht hervorgeholt werden kann, einer Rollstuhlfahrerin den<br />
Einstieg leichter ermöglicht.<br />
Es gibt in Wien mehrere Unternehmen, die öffentliche Busse stellen. Das Hindernis war meist die Teilnehmerzahl.<br />
Während im öffentlichen Betrieb Stehplätze benutzt werden dürfen, ist dies bei privater Vermietung<br />
verboten. Daher erreichten wir in fast keinem der zur Verfügung stehenden Busse die erforderliche<br />
Sitzplatzanzahl. Gelenkbusse bieten zwar die benötigte Sitzplatzanzahl, kosten aber sehr viel. Außerdem<br />
gab es das zusätzliche Problem, dass alle diese Busse über keine Lautsprecheranlage verfügten. Unsere<br />
Wienbesucher sollten aber doch über die Schönheiten unserer Stadt informiert werden. Diese Informationen<br />
sollten in Englisch gegeben werden, für diejenigen, die noch nicht so gut Englisch konnten, sollten die<br />
LehrerInnen Übersetzungen anbieten.<br />
Die Lösung des Problems boten Firmen an, die über so genannte „Rollis“ verfügen. „Rollis“ sind Busse, aus<br />
denen man Sitze herausnehmen kann, um Stellplätze für die Rollstuhlfahrer zu schaffen. Außerdem verfügen<br />
diese Busse auch über Rampen, über die man die Rollstühle in das Businnere und heraus hieven kann.<br />
Das Angebot des Busunternehmers für drei Tage „Rollibus“ lautete auf € 1.800.- Woher nehmen? Die Mittel,<br />
die für das Projekt aus EU-Geldern zur Verfügung stehen, sind für den Schüler- und Lehreraustausch zu<br />
verwenden. Sie waren außerdem zu diesem Zeitpunkt für unsere Besuche bei den Partnerschulen verplant.<br />
In die Bresche sprang der Kulturausschuss der Favoritner Bezirksvertretung, der die Kosten im Rahmen<br />
des internationalen Austausches als Subvention übernahm. Ich möchte mich dafür nochmals herzlich bedanken.<br />
Dafür zeigten wir auch allen TeilnehmerInnen die schönsten Seiten von Favoriten, damit sie eine<br />
nette Erinnerung an diesen Bezirk haben.<br />
67
Das Programm<br />
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
8:00 Frühstück im Hostel<br />
Dienstag, 4. Juni <strong>2013</strong><br />
9:00 Abholung von Hostel – Transfer mit dem Bus in die Ensleinschule<br />
10:00 - 12:00 • Willkommensadresse in der Ensleinschule.<br />
• Überreichung der Gastgeschenke.<br />
• Besichtigung der Schule und des Schulgartens.<br />
• Power-Point-Präsentation (jeweils 10 Minuten): Jede Schule zeigte das Einsetzen der Samen, Zwiebel<br />
und Pflänzchen, das Wachsen der Pflanzen und die Blütezeit.<br />
12:00 gemeinsames Mittagessen in der Schule<br />
12:30 -17:00 Stadtrundfahrt durch den 10. Bezirk: Therme Wien und Kurpark – Laaer Berg – Bezirkszentrum –<br />
Hauptbahnhof Wien. Weiterfahrt: Ringstraße (Staatsoper – Hofburg – Museen – Parlament – Rathaus<br />
– Burgtheater – Universität – Votivkirche) – Franz-Josefs-Kai – Hundertwasserhaus (Pause von 40<br />
Minuten) – Weiterfahrt durch die Praterauen – Happel Stadion – Reichsbrücke – UN–City – Prater – entlang<br />
der Donau – Grinzing – Kahlenberg (Pause von einer Stunde) – über die Höhenstraße und durch<br />
den Wiener Wald nach Hütteldorf – Wiental – Schloss Schönbrunn – Ende beim Hostel.<br />
Abend<br />
Individuelle Gestaltung<br />
Mittwoch, 5. Juni <strong>2013</strong><br />
8:00 Frühstück<br />
9:00 Abholung von Hostel – Transfer mit dem Bus in die Ensleinschule<br />
10:00 – 12:30 • Workshops für die SchülerInnen. Gebastelt und bemalt wurden Blumengestecke aus Holz- und Filzteilen<br />
unter Anleitung der Kinder des Europaclubs und unter Mithilfe der anwesenden LehrerInnen.<br />
Anschließend Präsentation der Ergebnisse und filmische sowie fotografische Dokumentation.<br />
• Die Projektkoordinatoren und weitere LehrerInnen nahmen an einem Vortrag von Frau Brigitte Mörwald<br />
über den Stand der Integration und Inklusion in Österreich in englischer Sprache teil.<br />
12:30 gemeinsames Mittagessen in der Schule<br />
13:30 – 18:00 • Besuch des Schlosses mit Audioguide.<br />
• Anschließend Spaziergang durch den Schlosspark zum Eingang in den Zoo. Erklärung: Unterschied<br />
zwischen französischem und englischem Park. Besuch des Zoos.<br />
• Während des Spazierganges durch den Park und dem Besuch des Tiergartens trafen sich die Koordinatoren<br />
im Kaffeehaus, um den weiteren Ablauf des Projektes zu besprechen und festzulegen.<br />
• Rückfahrt ins Hostel.<br />
Abend<br />
Individuelle Gestaltung<br />
Donnerstag, 6. Juni <strong>2013</strong><br />
8:00 Frühstück<br />
9:00 Abholung von Hostel – Transfer mit dem Bus zum Belvedere.<br />
9:30 – 12:00 • 1.Teil des Stadtrundganges: Belvedere (Erklärung eines typischen Barockgartens) – Hochstrahlbrunnen<br />
am Schwarzenbergplatz – Karlskirche mit Auffahrt in die Kuppel und Aufstieg in die Laterne.<br />
• Der Bus brachte uns vom Karlsplatz zum Schwedenplatz.<br />
12:00 – 13:00 Individuelle Mittagspause in den Lokalen am Schwedenplatz.<br />
13:00 – 16:00 • 2. Teil des Stadtrundganges: Stephansdom – Graben – Dreifaltigkeitssäule. Pause in einem der Kaffeehäuser<br />
am Graben, um die weltberühmte Sachertorte zu testen. Weiterwanderung über Graben<br />
und Kohlmarkt zur Hofburg. Besichtigung des Josefsplatzes und der Augustinerkirche, dann weiter<br />
durch die Hofburg auf den Heldenplatz.<br />
• Rückfahrt mit dem Bus ins Hostel.<br />
17:30 – 21:00 Abschiedsdinner in dem Vereinshaus eines Kleingartenvereins auf dem Laaer Berg. Wie es sich für ein<br />
Gartenprojekt gehört, wurde der Abschied in einem Kleingartenverein bei einem Buffet, bestehend aus<br />
typischen österreichischen Speisen, gefeiert. Den TeilnehmerInnen wurde zuerst die Art des Wiener<br />
Kleingartenwesens mit seiner Möglichkeit der ganzjährigen Benützung erklärt und am vorhandenen Beispiel<br />
gezeigt. Von den Delegationen wurden dankende Worte an die Wiener Veranstalterin gerichtet.<br />
68
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
4. Bisherige Erkenntnisse aus dem Ablauf des Projekts<br />
Im Rahmen des Projektes lernte ich belgische, polnische und spanische SchülerInnen, LehrerInnen und<br />
Schulen kennen. Ich konnte die SchülerInnen und ihren sorgfältigen Umgang mit Kindern mit speziellen<br />
Förderbedürfnissen beobachten. Ich bemerkte, dass die LehrerInnen ganz selbstverständlich von Inklusion<br />
und niemals von Integration sprachen. Die Beobachtungen beim Besuch der Partnerschulen haben<br />
gezeigt, dass diese auf dem Gebiet der Integration und Inklusion von Kindern mit speziellen Förderbedürfnissen<br />
entschieden weiter sind als wir in Österreich. Es ist dort für SchülerInnen und LehrerInnen ganz<br />
selbstverständlich, dass Kinder mit Behinderungen oder Defiziten verschiedenster Art zur Gesellschaft dazugehören<br />
und auch so zu behandeln sind.<br />
Es wäre wünschenswert, dass sich diese Art des Umgangs mit behinderten Menschen überall durchsetzt.<br />
Sabrina Piros<br />
Lehrerin an der NMS 10, Ensleinplatz<br />
69
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Dank an das SPZ 20<br />
In der Folge lesen Sie den Brief eines Vaters an Frau Dir. Bossler und ihr Lehrer/innen Team.<br />
Frau Dir. Bossler ist seit vielen Jahren Leiterin des SPZ 20, Treustraße 9. Sie war 1990 die erste Sonderschullehrerin<br />
in Wien, die an einer Hauptschule mit einer ersten Integrationsklasse begonnen hat.<br />
Brigitte Mörwald, Integrationsberatungsstelle des SSR für Wien<br />
Liebes SPZ-20 Team,<br />
allzu schnell ist der Übergang meiner Tochter Elisabeth von Ihrer Schule in eine nette Tagesstruktur bei<br />
JAW (Jugend am Werk) über die Bühne gegangen. „Zu schnell“, nicht, weil irgendetwas schlecht oder<br />
schief gelaufen wäre, sondern einfach zu schnell, weil mir kaum Zeit blieb, mich ordentlich zu verabschieden<br />
und zu bedanken.<br />
Das möchte ich hiermit nachholen:<br />
Elisabeth ist nach einer sehr positiv verlaufenen „Integrationskarriere“ (vom Kindergarten über die Volksschule<br />
und KMS) in Ihrem Haus gelandet – nachdem sich, wie bei allen I-Kindern die Frage nach dem<br />
70
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
neunten Schuljahr stellte. Ich war zuerst zögerlich, weil mich der Bruch in der inklusiven Laufbahn von<br />
Elisabeth irgendwie störte – eine bekannte Lücke in unserem System, die halt aus dem Umstand resultiert,<br />
dass das einjährige Polytechnikum für Kinder wie Elisabeth nur eine Übergangslösung ist. Die Lehrerin<br />
Daniela Staudinger hat mir damals diesen Weg – BVL – für Elisabeth empfohlen und so wurde er auch<br />
ergriffen.<br />
Abseits aller prinzipiellen Überlegungen (wie eben ausgeführt), haben die 3 Jahre in Ihrem Haus bei Elisabeth<br />
und mir ausschließlich Begeisterung hervorgerufen. Das Lehrerinnen Team hat eine schöne, wertschätzende<br />
und förderliche Arbeit geleistet und es gab keinen einzigen Tag, an dem sich Elisabeth nicht<br />
auf die Schule gefreut hätte. Schließlich wurde oft in Werkstätten „geschnuppert“, was letztlich immer durch<br />
das Engagement des Lehrerinnen Teams möglich war. Es war stets ein sicheres Gefühl, dass Elisabeth in<br />
guten Händen ist, was besonders aus meiner Alleinerziehersituation heraus naturgemäß eine große Rolle<br />
spielte. Schließlich eben die „Landung“ auf einem, wie ich bisher sehe, sehr guten Platz.<br />
Ich möchte mich daher für die<br />
jahrelange umsichtige, engagierte<br />
und liebevolle Betreuung<br />
bedanken, die Elisabeth<br />
bei Ihnen erfahren hat. Sie<br />
hat von diesen Jahren definitiv<br />
profitiert, große Fortschritte gemacht<br />
und sich eben jederzeit<br />
wohl gefühlt.<br />
Bitte geben Sie diesen Dank<br />
an die involvierten Lehrkräfte<br />
weiter – es ist mir ein Anliegen.<br />
Liebe Grüße,<br />
Ernst Lieber<br />
(Vater von Elisabeth)<br />
71
I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Caritas & Du - Kinderhotel <strong>2013</strong>/14<br />
Kinderhotel <strong>2013</strong>/14<br />
Kurzzeitunterbringung macht Urlaub<br />
Wochenenden:<br />
• Fr. 20.09.– So. 22.09.<strong>2013</strong><br />
• Fr. 18.10.– So. 20.10.<strong>2013</strong><br />
• Do. 31.10.– So. 03.11.<strong>2013</strong> (Allerheiligen)<br />
• Fr. 06.12.– So. 08.12.<strong>2013</strong><br />
• Fr. 10.01.– So. 12.01.2014<br />
• Fr. 24.01.– So. 26.01 2014<br />
• Fr. 21.02.– So. 23.02.2014<br />
• Fr. 07.03.– So. 09.03.2014<br />
• Fr. 28.03.– So. 30.03.2014<br />
• Do. 01.05.– So. 04.05.2014 (Tag der Arbeit)<br />
• Fr. 23.05.– So. 25.05.2014<br />
• Sa. 07.06.– Di. 10.06.2014 (Pfingsten)<br />
• Fr. 20.06.– So. 23.06.2014<br />
Ferienwochen:<br />
• Sa. 01.02.–Sa. 08.02 2014 (Semesterferien)<br />
• Sa. 12.04.–Sa. 19.04.2014 (Osterferien)<br />
• Sa. 19.07.–Sa. 02.08.2014 (4.+5. Ferienwoche)<br />
• Sa. 02.08.–Sa. 16.08.2014 (6.+7. Ferienwoche)<br />
• Sa. 16.08.–Sa. 30.08.2014 (8.+9. Ferienwoche)<br />
Kinder und Jugendliche<br />
mit Behinderung<br />
Caritas Erzdiözese Wien<br />
www.caritas-wien.at<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Die Caritas bietet Kindern<br />
unbeschwerte Tage mitten in der<br />
Natur – Wochenenden und<br />
Ferienwochen im Burgenland.<br />
Zielgruppe<br />
Kinder mit (schwerer) intellektueller oder mehrfacher Behinderung<br />
Angebot<br />
• spannende und interessante Freizeitangebote,<br />
zum Beispiel Baden im Schwimmteich oder im Neusiedlersee,<br />
Märchenpark, Tierpark, Thermenbesuch, Pferdekutschenfahrten,<br />
Spielzimmer, Streichelzoo im Garten<br />
• Betreuung, Pflege und Assistenz in Kleingruppe (5-9 Kinder)<br />
• barrierefreie Unterkünfte in Wallern/Burgenland bzw.<br />
Deutsch Kaltenbrunn/Burgenland<br />
• An- und Abreise<br />
• Kennenlernen und Abklären des Unterstützungsbedarfs<br />
Kosten<br />
Kostenübernahme im Rahmen des sozialen Dienstes<br />
Kurzzeitunterbringung über MAG11 – Fachbereich<br />
Integration möglich;<br />
Eltern leisten verdienstabhängigen Kostenbeitrag.<br />
Kontakt: Ruth Scheiterbauer, MSc<br />
Tel 01-4000-90889<br />
ruth.scheiterbauer@wien.gv.at<br />
Information<br />
freie Plätze, Anmeldungen bzw. Anmeldungszusagen<br />
Kontakt: Martin Rieder<br />
Tel 01-369 76 80-70<br />
martin.rieder@caritas-wien.at<br />
Caritas Kinder- und Jugendeinrichtung Am Himmel<br />
Gspöttgraben 5<br />
1190 Wien<br />
Tel 01-369 76 80<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
Liebe Leserin! Lieber Leser!<br />
Wir freuen uns, Ihnen die neueste Ausgabe des I-Journals präsentieren zu dürfen.<br />
Unser herzlicher Dank gilt auch diesmal wieder allen Autorinnen und Autoren, ohne deren Beiträge es uns<br />
nicht möglich wäre, dieses Journal herauszugeben. Die Qualität und die Vielfalt der Artikel sind immer<br />
wieder beeindruckend und bringen sehr deutlich auch die Vielfältigkeit der Arbeit mit den uns anvertrauten<br />
Kindern zum Ausdruck.<br />
Wir planen, die nächste Ausgabe im Frühjahr 2014 erscheinen zu lassen und freuen uns über Ihre Beiträge.<br />
Die Auswahl der Artikel, die publiziert werden, trifft das Redaktionsteam.<br />
Vorgaben zum Verfassen von Beiträgen:<br />
• Jeder Artikel enthält eine Überschrift und<br />
• den Namen (eventuell ein Foto) der Autorin/des Autors mit kurzer biographischer Angabe<br />
• Fotos, die im Beitrag verwendet werden, müssen auch im jpg-Format extra mitgeschickt und eindeutig<br />
benannt werden. Unbedingt das Einverständnis der Erziehungsberechtigten, sowie der darauf<br />
abgebildeten Personen zur Veröffentlichung der Fotos einholen und auch den Namen des Fotografen<br />
angeben.<br />
• Artikel als Word-Dokument (Standard, 11pt, Arial) schicken.<br />
• Geschlechtergerechte Formulierungen verwenden, wie es in der Broschüre des bm:ukk<br />
(vormals bm:bwk) erläutert wird: www.bmukk.gv.at/medienpool/15104/2002_22_beilage.pdf<br />
Jede Autorin/Jeder Autor ist dafür eigenverantwortlich.<br />
Die Beiträge senden Sie bitte per Email an:<br />
Brigitte Mörwald: brigitte.moerwald@ssr-wien.gv.at<br />
Abgabeschluss für Beiträge:<br />
11.04.2014 ... gerne auch früher :-)<br />
Online finden Sie unser Journal unter der Internetadresse:<br />
www.lehrerweb.at<br />
Wir freuen uns auf Ihre Mitarbeit!<br />
Das Redaktionsteam:<br />
Brigitte Mörwald Mag. Judith Stender Gerda Kargl Renate Dirnberger, MA<br />
(Redaktion) (Redaktion) (Redaktion, Layout) (Lektorat)<br />
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I-JOURNAL <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />
75
Herausgegeben von der Integrationsberatungsstelle<br />
im Stadtschulrat für Wien<br />
Verantwortliche Herausgeberinnen:<br />
Brigitte Mörwald, Mag. Judith Stender, Renate Dirnberger, MA, Gerda Kargl<br />
Für den Inhalt verantwortlich:<br />
Alle Autorinnen und Autoren sind eigenverantwortlich für den Inhalt der Artikel und die Genderformulierung.<br />
Layout: Gerda Kargl<br />
Druck: Eigendruck