Zehn Jahre für Mitsprache, Gleichberechtigung und Integration

Zehn Jahre für Mitsprache, Gleichberechtigung und Integration Zehn Jahre für Mitsprache, Gleichberechtigung und Integration

26.04.2014 Aufrufe

jetzigen System sowie die Aufhebung des gegliederten Schulwesens. Ich unterscheide nur zwischen den Realisierungschancen. Im Kindergarten ist es doch eine reine Geldfrage. Die Erzieherinnen und wenigen Erzieher müssten anders und an Fachhochschulen ausgebildet und entsprechend höher bezahlt werden. Außerdem müsste der Kindergarten verpflichtend und damit gebührenfrei sein. Schwieriger ist der Umgang mit dem Schulsystem. r Was müsste sich denn über die sicher notwendigen Strukturreformen hinaus im Bildungswesen qualitativ ändern? l Die Strukturen sind meiner Ansicht nach sehr wichtig für die Qualität und beeinflussen das Schulkonzept. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle nur die besonderen Bedürfnisse der Schüler mit Migrationshintergrund betrachten. Der wichtigste Punkt ist das Lehrpersonal. Es ist verheerend, dass nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer mit dem gleichen Bild, wie es in der Gesellschaft insgesamt vorherrscht, an die Kinder mit Migrationshintergrund herangehen – insbesondere natürlich an die mit muslimischem Hintergrund. Sie können das den Menschen nicht zum Vorwurf machen. Man muss aber als Konsequenz den Umgang mit Schülern anderer als deutscher Herkunft als festen Bestandteil in die Lehrerausbildung aufnehmen. Darüber wird schon seit über 30 Jahren diskutiert. Aber wir sind nicht weiter als in den 70er Jahren – eher hat es wieder Rückschritte gegeben. r Können Sie das genauer erläutern? l Ja. Heute können Lehrer noch ihre komplette Ausbildung absolvieren ohne sich auch nur einmal mit Migrationsfragen beschäftigt zu haben. Nach dem Examen kommen diese jungen Lehrer und Lehrerin- 78 10 JAHRE LAGA NRW

nen aber in Klassen, in denen im Schnitt zwischen 30 und 50 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben. Sie gehen völlig unvorbereitet in eine solche Situation. Dann verstehen zu wenige Lehrpersonen wirklich etwas von pädagogischer Diagnostik. Diese Tatsache kann sich auf alle Schülerinnen und Schüler negativ auswirken. Es reicht eben nicht, sich mit Intelligenztests zu befassen. Es muss eine interkulturell differenzierende pädagogische Diagnostik geben. r Wo werden solche Inhalte angeboten? l Zur Zeit selbst an der Universität Duisburg-Essen nicht. Biete ich dann ein solches Seminar an, kommen zwischen 120 und 150 Studierende. Es ist klar, dass diese dann am Ende einmal von einer solchen Diagnostik gehört haben, aber mehr auch nicht. Zwar gibt es an zahlreichen Hochschulen Professoren, die auch Migrationsfragen für Lehramtskandidaten unterrichten, aber es hat kein wirkliches Gewicht in der Lehrerausbildung. Es fehlt die Reflexion. r Wie steht es um den Umgang mit der natürlichen Mehrsprachigkeit der Kinder mit Migrationshintergrund? l Es gibt einen parteienübergreifenden Konsens, der fordert, dass die Kinder deutsch können sollen. Das wollen die Eltern auch. Fast alle Eltern wollen aber auch, dass die Herkunftssprache erhalten bleibt. Die Eltern haben also ein zweisprachiges Konzept für die Erziehung ihrer Kinder. Hieraus sollten Schulen und Eltern in kleineren Gruppen versuchen, Konzepte für das zweisprachige Aufwachsen der Kinder zu erarbeiten. Denn selbst die Eltern, die über gute Deutschkenntnisse verfügen, wissen häufig nicht, wie sie dieses zweisprachige Konzept verwirklichen können. Ergänzend dazu sollten Fernsehprogramme zur Unterstützung der Zweisprachigkeit entwickelt und gesendet werden. 10 JAHRE LAGA NRW 79

nen aber in Klassen, in denen im Schnitt zwischen 30 <strong>und</strong> 50 Prozent<br />

der Schüler einen Migrationshintergr<strong>und</strong> haben. Sie gehen völlig unvorbereitet<br />

in eine solche Situation. Dann verstehen zu wenige Lehrpersonen<br />

wirklich etwas von pädagogischer Diagnostik. Diese Tatsache<br />

kann sich auf alle Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler negativ auswirken. Es<br />

reicht eben nicht, sich mit Intelligenztests zu befassen. Es muss eine interkulturell<br />

differenzierende pädagogische Diagnostik geben.<br />

r Wo werden solche Inhalte angeboten?<br />

l Zur Zeit selbst an der Universität Duisburg-Essen nicht. Biete ich<br />

dann ein solches Seminar an, kommen zwischen 120 <strong>und</strong> 150 Studierende.<br />

Es ist klar, dass diese dann am Ende einmal von einer solchen<br />

Diagnostik gehört haben, aber mehr auch nicht.<br />

Zwar gibt es an zahlreichen Hochschulen Professoren, die auch<br />

Migrationsfragen für Lehramtskandidaten unterrichten, aber es hat<br />

kein wirkliches Gewicht in der Lehrerausbildung. Es fehlt die Reflexion.<br />

r Wie steht es um den Umgang mit der natürlichen Mehrsprachigkeit<br />

der Kinder mit Migrationshintergr<strong>und</strong>?<br />

l Es gibt einen parteienübergreifenden Konsens, der fordert, dass die<br />

Kinder deutsch können sollen. Das wollen die Eltern auch. Fast alle Eltern<br />

wollen aber auch, dass die Herkunftssprache erhalten bleibt. Die<br />

Eltern haben also ein zweisprachiges Konzept für die Erziehung ihrer<br />

Kinder. Hieraus sollten Schulen <strong>und</strong> Eltern in kleineren Gruppen versuchen,<br />

Konzepte für das zweisprachige Aufwachsen der Kinder zu erarbeiten.<br />

Denn selbst die Eltern, die über gute Deutschkenntnisse verfügen,<br />

wissen häufig nicht, wie sie dieses zweisprachige Konzept verwirklichen<br />

können. Ergänzend dazu sollten Fernsehprogramme zur<br />

Unterstützung der Zweisprachigkeit entwickelt <strong>und</strong> gesendet werden.<br />

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