Zehn Jahre für Mitsprache, Gleichberechtigung und Integration

Zehn Jahre für Mitsprache, Gleichberechtigung und Integration Zehn Jahre für Mitsprache, Gleichberechtigung und Integration

26.04.2014 Aufrufe

werden. Das bedeutet: Mit den Muslimen sind Gruppen gekommen, für die Religion noch ein ganzes Stück existentieller ist als für viele ihrer deutschen Nachbarn. Aber diese Gläubigen kommen nicht eigentlich in eine christliche Gesellschaft. Sie kommen in eine Gesellschaft, in der zwar das Staatskirchentum stark ausgeprägt ist, aber der christliche Glaube seit Jahrzehnten an Bedeutung verliert. Allerdings muss man natürlich auch bei den Muslimen unterscheiden. Aus Studien wissen wir, dass z.B. muslimische Mädchen nur etwa zur Hälfte religiös sind. Insgesamt sind aber Migranten religiöser als Deutsche. Das gilt für Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, aber auch für Italiener oder Spanier. r Verbirgt sich hinter den Konflikten um Moscheen also Unsicherheit über die eigene Identität? l Nicht ganz. Aber an den Moscheen wird manchen Menschen der Verlust eigener Religiosität deutlich. Außerdem fragen sie sich, was an die Stelle der Religion tritt. Auf keinen Fall darf man die Auseinandersetzungen nur als Animositäten gegen Muslime sehen. Man muss das in die besondere soziologische Situation einordnen. Hinzu kommt natürlich, dass man der deutschen Bevölkerung über fünfzig Jahre eingeredet hat, dass die Einwanderung steuerbar sei. Entweder würden nicht integrierbare Migranten irgendwann gehen, oder sie würden sich assimilieren. Aber genau diese falsche Vorstellung hat natürlich die Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Einwanderung geprägt. r Warum wenden sich denn heute mehr Jugendliche dem muslimischen Glauben zu? 72 10 JAHRE LAGA NRW

l Das verwundert die Deutschen tatsächlich, dass es den muslimischen Familien heute stärker gelingt, ihre Kinder im Islam zu sozialisieren. Eigentlich hatte man erwartet, dass gerade die Jüngeren die Säkularisierung nachvollziehen. Das hat sicher mit der Art und Weise zu tun, wie Muslime in dieser Gesellschaft behandelt und angenommen werden. Ich habe dazu keine empirischen Belege, aber ich bezweifle nicht, dass es so ist. Weder die deutsche Politik noch die deutsche Gesellschaft haben sich bisher ernsthaft mit den Menschen muslimischer Religion auseinandergesetzt. r Wäre dann die Einführung eines geregelten islamischen Religionsunterrichts, wie die amtierende Landesregierung ihn propagiert, ein richtiger Schritt? l Die Frage müsste doch vielmehr sein, warum wir in Deutschland seit dreißig Jahren darüber diskutieren und diesen Unterricht mit den seltsamsten Argumenten nicht einführen. Wenn wir nun schon ein System staatlichen Religionsunterrichts haben, dann ist es für mich selbstverständlich, dass es auch einen islamischen Unterricht geben muss. Mit allen Konsequenzen bis hin zur Einrichtung ausreichender Lehrstühle zur Ausbildung islamischer Religionslehrer an öffentlichen Hochschulen. Für mich geht die Frage aber noch weiter. Man müsste auch islamische Wohlfahrtsverbände zulassen, die wie christlich geprägte nach dem KJHG arbeiten und finanziert werden. Wir müssten also den Muslimen im geltenden System alle Möglichkeiten geben, die die christlichen Kirchen und deren Organisationen auch haben. r Damit wären wir bei der Frage gleicher Entwicklungschancen angelangt. Angesichts der bekannten demographischen Entwicklungslinien, muss doch jetzt rasch gehandelt werden, um insbesondere den 10 JAHRE LAGA NRW 73

werden. Das bedeutet: Mit den Muslimen sind Gruppen gekommen,<br />

für die Religion noch ein ganzes Stück existentieller ist als für viele ihrer<br />

deutschen Nachbarn. Aber diese Gläubigen kommen nicht eigentlich<br />

in eine christliche Gesellschaft. Sie kommen in eine Gesellschaft, in<br />

der zwar das Staatskirchentum stark ausgeprägt ist, aber der christliche<br />

Glaube seit Jahrzehnten an Bedeutung verliert.<br />

Allerdings muss man natürlich auch bei den Muslimen unterscheiden.<br />

Aus Studien wissen wir, dass z.B. muslimische Mädchen nur etwa<br />

zur Hälfte religiös sind.<br />

Insgesamt sind aber Migranten religiöser als Deutsche. Das gilt für<br />

Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, aber auch für Italiener<br />

oder Spanier.<br />

r Verbirgt sich hinter den Konflikten um Moscheen also Unsicherheit<br />

über die eigene Identität?<br />

l Nicht ganz. Aber an den Moscheen wird manchen Menschen der<br />

Verlust eigener Religiosität deutlich. Außerdem fragen sie sich, was an<br />

die Stelle der Religion tritt. Auf keinen Fall darf man die Auseinandersetzungen<br />

nur als Animositäten gegen Muslime sehen. Man muss das<br />

in die besondere soziologische Situation einordnen.<br />

Hinzu kommt natürlich, dass man der deutschen Bevölkerung<br />

über fünfzig <strong>Jahre</strong> eingeredet hat, dass die Einwanderung steuerbar<br />

sei. Entweder würden nicht integrierbare Migranten irgendwann gehen,<br />

oder sie würden sich assimilieren. Aber genau diese falsche Vorstellung<br />

hat natürlich die Einstellung der deutschen Bevölkerung zur<br />

Einwanderung geprägt.<br />

r Warum wenden sich denn heute mehr Jugendliche dem muslimischen<br />

Glauben zu?<br />

72 10 JAHRE LAGA NRW

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!